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Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

b) Äußeres, Kleidung, Geistesart

Wie nun die eigentlichen Wukarileute, die eigentlichen Jukum aussehen, kann man, soweit ich dies Land durchreist und kennengelernt habe, nur noch in Wukari selbst sehen. Dieses alte Städtebauvolk hat sich eben nur in seiner Stadtkultur halten können. In allen andern Ortschaften sind ihre Wesenszüge durch Mischung mit frein



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den Rassen so gut wie verwischt. Schon an der Kleidung kann man das deutlich sehen. In allen Jukumstädten, mit Ausnahme Wukaris, werden Toben und Hosen getragen. Am Königshofe aber und im Zeremonial der Jukumleute darf die "Riga" der Nupe und Haussa (Riga ist die mediterrane Kasula der syrtischen Kultur) nicht angelegt werden. Sie haben als Hoftracht das gleiche lange, togaartig getragene Gewand der Ifeleute, das eben nur ein aus vielen Streifen zusammengefügtes viereckiges Tuch ist. Nur wenn der König ausreitet, wirft er sich eine Tobe über und zieht Hosen an. Mit den unbedeckten, rundherum kahl geschorenen, in der Mitte aber mit aufragendem Haarschopf versehenen Köpfen, mit den beliebten Spitzbärten, den umgeworfenen Toben machen sie ganz den Eindruck der Ifeleute, deren Tracht ich für die ursprüngliche der Jorubakultur halte, soweit es sich nicht etwa um Panzer und Kriegsausrüstung handelt. Arbeiten die Leute, so begnügen sie sich wie allenthalben mit einem Schurz, der hier und da durchgezogen wird. Über die Kleidung der Frauen heutigentags ist wenig zu sagen. Nupe und Haussa haben ihren Einfluß ausgeübt, was man schon an dem Vorhandensein des von den Nupe eingeführten Frauengriffwebstuhles erkennen kann. Denn die Jukum sagen selbst, daß sie vordem den Frauenwebstuhl nicht gekannt hätten.

Aber die Frauentracht der Jukum bietet uns Gelegenheit zu einer recht ergiebigen Beobachtung. Als ich die erste Frauenmaske, die Totenmaske Aku-uowa, sah, da dachte ich, ich solle meinen Augen nicht trauen, denn ihre Kleidung war die fast genaue Kopie nordafrikanischer Frauengewandung. In der Mitte eine weit abstehende Krinoline, die nicht ganz bis an die Knie reicht, darüber einen breiten Stoffgürtel, darunter eine weite (bei neueren enge) Hose, eine Frauenjacke und vor das Gesicht gehalten einen Schleier. Diese Frauenhose heißt bei den Jukum genau wie die der Männer, nämlich Boku, der Schleier Tikbe, also ähnlich wie bei Nupe (Tukqua) und nicht wie bei den Joruba, wo das entsprechende Wort Ibori heißt.

Also Hose und Schleier -erklärte mir ein alter Jukum -hätten früher alle Frauen bei verschiedenen Gelegenheiten getragen. Ich will nun sagen, was ich von den Frauenhosen im dunklen Afrika bisher überhaupt gesehen habe.

Zuerst muß ich die Tomma im weit entlegenen Liberia erwähnen. Bei diesen tragen die Frauen stets Hosen. Sie tragen sie unter ihrem Umschlagtuch. Den Mande, die mich begleiteten und diese Sache bei gelegentlichen nächtlichen Abenteuern entdeckten, kam das als etwas ganz Merkwürdiges vor. Bei diesen Tomma ist auch der Brauch weiblicher und männlicher Masken. Bei ihnen wird auch gesagt, daß die Masken ursprünglich in Frauenhänden gewesen wären. Also ungemein wesentliche Übereinstimmungspunkte mit der Kultur des



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atlantischen Kreises (Toga) und der syrtischen Kultur (Kasula und Frauenhose).

Dann weiß ich aber zwischen Liberia und dem atlantischen Kreis kein Volk, das solche Sitte übt. Am häufigsten ist die Verwendung dieses Kleides in Joruba. In Joruba tanzen alle Schangoweiber an Festtagen mit Hosen, die an den Waden ungeheuer weit sind. (Diese Schangogruppe ist bekanntlich von allen andern Sippen dadurch unterschieden, daß sie nicht unbedingt exogamisch zu heiraten haben.) Die Weiberhose heißt in Joruba genau wie die Männerhose, also Gwatta. Weiterhin werden (oder wurden bis vor kurzem) in Ojo alle Weiber mit Hosen begraben. Der Schleier (Iberi) oder besser Gesichtstuch wird von jungen Weibern dreimonatelang nach ihrer Verehelichung genau wie in den Straßen von Tunis und von der Aku-uowa-Maske vor das Gesicht gehalten. Das Tuch geht von der Stirn aus und wird von den Zipfeln so weit vorgehalten, daß die Person nur vor sich auf die Erde sehen, ihr aber niemand ins Gesicht blicken kann.

Hinsichtlich der Hose habe ich bei den Joruba in so vielem nahestehenden Nupe nur eine Sitte feststellen können. Am siebenten Tage der Ehe tanzen zwei Mädchen den Kondtanz. Die beiden Mädchen sind ganz verschieden gekleidet. Das als Frau geltende Mädchen hat eine breite Masse von Djigida um die Lenden und je drei oder sechs (oder ähnlich) Schnüre von Djigida- und Ebogiperlen gekreuzt über Brust und Rücken. Mehr hat sie nicht an. Das als "Mann" geltende Mädchen hat aber Hosen an, einen Turban und ein Schwert übergehängt. — Wesentlicher ist es vielleicht, daß nach der Verehelichung die jüngeren Frauen auch monatelang mit dem Tikbe, dem Gesichtstuch, herumgehen, also genau wie die Akuuowa-Maske, wie die Flitterwöchnerinnen der Joruba und wie die Frauen in Tunis nach vorislamitischer Sitte.

Und auch in Rom bezeichnete man den Zustand des Heiratens mit Nubere alicui.

Das ist eine sehr wesentliche Reliktenkette.

Um die Schilderung der Jukum weiterzuführen, sei darauf hingewiesen, daß die Jukum heutigentags mit zu den schwärzesten Völkern Afrikas gehören. Folgender Typus schien mir unter den Häuptern der regierenden Familien am häufigsten: Breite Backen mit vorstehenden Knochen, schmairückige und leicht gebogene Nase, Augen ein wenig schräg stehend, körperlich ungemein zur Feistigkeit neigend.

Daß diese letztere Eigenschaft nicht nur als Rassenmerkmal, sondern auch als Beleg generationenlanger Faulenzerei anzusehen ist, ist wohl unschwer zu erkennen. Zu der schlanken, feingliedrigen Sudanrasse gehören die schweren Jukum keinesfalls. Außerdem



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führen sie ein wahrhaft paradiesisches Schlaraffenleben, sobald die vorsorglichen Väter arbeitsfähige Kinder haben. Das Land ist reich. Und irgendwelchen Arbeitstrieb, wie etwa bei den Muntschi, habe ich bei keinem Jukum gesehen.

Daß diese Jukum vordem einmal Tatkraft und Intelligenz in glücklicher Weise vereinigt hatten, geht aus ihrer Geschichte hervor; heute gehören sie auf jeden Fall zu den passivsten Bewohnern des Benuelandes. Ihre geistige Veranlagung hat natürlich bei dem Mangel irgendeiner großzügigen Übung und Betätigung auch nicht gerade gewonnen. Das ganze einseitige Interesse des Volkes hat sich auf religiöses Gebiet zurückgezogen. Für den Forscher ist das natürlich sehr erfreulich, denn auf diese Weise ist manches aus alten Zeiten gerettet, was anderweitig längst moderneren Anschauungen gewichen ist.

Aber leider hat auch auf diesem Gebiet die allgemeine Passivität einen Einfluß ausgeübt. Einerseits mußte eine Vermischung mit der Borireligion der eingewanderten Abaqua-Riga eintreten. Das hat selbstverständlich mancherlei Verwirrung in den Anschauungen hervorgerufen. Aber davon abgesehen, ist gar nicht zu verkennen, daß andererseits auch vieles verflacht ist, vor allem im Aki-kattasystem, dann aber auch in der Weltanschauung. Und wo einmal die Masken so emsig und vielartig tanzen, wo der Formenreichtum so wuchert wie bei den Jukum, da muß unbedingt eine Verringerung des Gehaltes, des bewußten Inhaltes damit Hand in Hand gehen, und das ist bei den Jukum in weitgehendem Maße geschehen.

Im übrigen ist es aber ein gutmütiges und gutartiges Volk.


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