Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_07-0004 Flip arpa

TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

12. Frau Bana Baïnde

Im Dorfe Korro lebte eine Frau, die war schon seit fünf Monaten schwanger, als ihr Mann starb. Das Kind war erst fünf Monate im Mutterleib, da starb sein Vater. Dann näherte sich die Zeit, in der die Frau gebären sollte. Wenige Tage vorher ging sie nochmals mit andern Frauen in den Wald, um Holz aufzusuchen. Als sie im Walde waren, stürzte eine Räuberbande aus dem Busch, packte die Frauen und schleppte sie fort. Aber die schwangere Frau kam nicht weit mit. Die Räuber mußten sie liegen lassen. Denn die Wehen



Atlantis Bd_07-202 Flip arpa

setzten ein. Die Frau schleppte sich noch bis zu einem Uo (das ist der Diallabaum der Mande). Dort fiel das Kind am Boden nieder.

Das neugeborene Kind war ein Mädchen. Es regnete. Es regnete auf die Mutter und auf das Kind. Die Mutter starb. Es regnete. Es regnete auf das Kind bis zum andern Morgen. Das Kind blieb unter dem Baume liegen. Drei Jahre lag das Kind unter dem Baume, ohne daß jemand es wahrgenommen hätte. Danach aber stand das Kind auf.

Das Kind reckte sich unter dem Uobaume. Es erhob sich. Es begann zu singen: "Ich bin eine Frau, die jedermann liebt. Ich bin eine Frau, die der Teufel liebt. Ich bin eine Frau, die Gott liebt. Ich bin eine Frau, die alle Menschen lieben! Bana bainde koboni dia* Mein Name ist Bana Bainde!"

Das Mädchen stand unter dem Baum auf und suchte den Weg. Gonningkung (in Bammana = Dugu Massa korro; in Malinke - Budung-duga; das ist der Geier) zeigte dem kleinen Mädchen den Weg. Er sagte zu Bana Bainde: "Gehe dorthin den Weg, dort wirst du eine Stadt finden!" Das Mädchen ging.

Das Mädchen ging den Weg immer weiter und kam an eine Stadt. Als sie in der Stadt war, begann sie zu singen. Die Leute hörten es. Andere Leute kamen dazu. Die Leute sagten: "Ah! Das ist herrlich!" Alle Leute der Stadt kamen zusammen, um Bana Bainde singen zu hören. Alle Leute sagten: "So etwas haben wir noch nicht gehört." Alle Menschen waren entzückt. Frauen, deren Stunde noch gar nicht gekommen war, legten sich hin und gebaren.

Die Frauen versammelten sich um Bana Bainde. Sie schlugen die Kalebassen. Dann baten einige Frauen: "Das war sehr schön gesungen. Wir haben es aber noch nicht verstanden. Denn die Worte sind fremd für uns." Andere Frauen aber sagten: "Laßt das! Wenn es schön ist, gehen uns die Worte nichts an." In ihrer Begeisterung hoben die Frauen Bana Bainde auf eine Rinderhaut. Sie hoben die gespannte Rinderhaut hoch in die Luft. Das Mädchen stand auf der Haut. Dann ließen sie die Haut wieder auf die Erde fallen. Es geschah aber, daß das Mädchen frei in der Luft stehen blieb, trotzdem die Haut auf der Erde lag. Alle Leute sahen es.



Atlantis Bd_07-203 Flip arpa

Dann tanzte Bana Bainde auf der ausgespannten Ochsenhaut. Bana Bainde tanzte anders als andere Leute. Sie tanzte wunderbar schön. Alle Leute jubelten. Viele drängten sich heran, die ausgespannte Ochsenhaut hochzuhalten. Bana Bainde tanzte lange; aber dann ward Bana Bainde müde. Sie winkte der Musik ab. Bana Bainde stieg herab. Alle Leute brachten nun Bana Bainde Geschenke. Alle Frauen trugen Gaben herbei. Bana Bainde aber fragte nach den Armen und verteilte wieder unter die Armen.

Es kamen Leute aus andern Teilen der Stadt. Die baten: "Tanze auch bei uns!" Bana Bainde ging in andere Teile der Stadt und tanzte auch dort. Als sie aber am Stadttore angekommen war, begann sie mit den Armen aneinander zu schlagen. Sie hob sich in die Luft und flog wie ein Vogel von dannen. (Die Bosso nennen Menschen, die fliegen können, Apirtiga [oder Apitiga?] Man kann nach ihrer Meinung diese Kunst durch Zaubermittel gewinnen, die aus dem Kopf des Kumans, des Kronenkranichs, hergestellt werden.)

Bana Bainde flog so von einer Stadt zur andern, und bald waren alle Bossostädte voll des Rühmens. Alle Leute liebten Bana Baindes Gesang mehr als jeden andern.

In einer Stadt lebte damals ein großer Sänger, ein Bosso, der hieß Tiamani. Tiamani war ein Sänger, verfügte aber auch über starke Zaubermittel. Als Tiamani immer mehr von dem schönen Gesange der Bana Bainde hörte, ward er böse. Er sagte: "Wenn ich das Mädchen doch auch einmal hörte! Wenn das Mädchen doch auch einmal in unsere Stadt käme!" Die Leute sagten ihm: "Warte nur, das Mädchen wird schon kommen! Du wirst das Mädchen schon auch noch in dieser Stadt singen hören." Tiamani fragte immer: "Wo ist zur Zeit Bana Bainde ?" Mittlerweile stellte er ein starkes Zaubermittel her.

Eines Tages kam das Mädchen Bana Bainde an die Stadt, in der Tiamani lebte. Das Mädchen sang vor dem Tore: "Bana Bainde Koloni dia." Aber niemand achtete darauf. Die Leute gingen gleichgültig aus und ein. Niemand sah das Mädchen an oder hörte zu ihr hin. Endlich kam eine alte Frau an Bana Bainde vorüber. Das Mädchen sagte zu der Alten: "Das ist eine Sache Tiamanis. Wenn Tiamani nicht ein Zaubermittel bereitet hätte, würden die Leute mich schon längst eingeholt und in die Stadt gebracht haben!"

Die alte Frau ging in die Stadt und sagte das, was sie eben von dem Mädchen gehört hatte, der Frau Tiamanis. Die Frau Tiamanis sagte zu ihrem Manne: "Tue es nicht so! Wenn du Bana Bainde



Atlantis Bd_07-204 Flip arpa

töten willst, so mache das in anderer Weise." Tiamani aber war eifersüchtig auf den Ruf, den Bana Bainde genoß. Er war selbst ein berühmter Sänger, aber sein Ruhm ward durch den des Mädchens verdunkelt. Als seine Frau ihm das sagte, zog er das Zaubermittel, mit dem er die Begeisterung der Menge gebannt hatte, aus der Erde.

Kaum aber hatte Tiamani sein Zaubermittel zurückgezogen, so jubelten alle Leute Bana Bainde entgegen. Bana Bainde tanzte. So schön hatte Bana Bainde noch nicht getanzt. Die Leute umringten sie. Sie hoben das Mädchen hoch in die Luft. Sie überschütteten Bana Bainde mit Geschenken. Nie hatte Bana Bainde so schön gesungen, so schön getanzt. Es war so schön, daß die Bosso nicht vorher, nicht nachher so Schönes sahen.

Dreimal noch tanzte Bana Bainde in dieser Nacht. Dann schrie sie plötzlich auf und fiel tot zu Boden.

Die Familien von Korro leiten von dieser Frau ihren Ursprung ab.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt