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Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

g) Der Totendienst

Die Bosso schreiben alle Ereignisse des Lebenslaufes, soweit es sich nicht um den Eingriff anderer Geister handelt, nicht einem Gotte, sondern der Machtausübung der Verstorbenen zu. Kein Wunder, daß sie daher der Bestattung äußerste Aufmerksamkeit zuwenden und zumal, wenn hervorragende, besonders angesehene Menschen sterben, große Feste abhalten.

Besonders in der vormohammedanischen Zeit war der Totendienst ein sehr ausgesprochener. "Damals waren die Menschen größer als heute. Allein deswegen baute man die Grabhütten und Grabhallen größer als heutzutage", sagen sie, aber das geschah nicht nur dieserhalb. Man konnte die Gräber größer und mächtiger ausführen, weil die ganze Familie von allen Seiten bei einem Todesfalle zusammenkommen mußte und bei der Ausführung der Bini (= des Grabes), so sagte man früher (heute sagt man nur noch: Kaburru) alle Verwandte und Freunde zugriffen. Es wurden deswegen, sobald ein angesehener Mann die Augen geschlossen hatte, nach allen Seiten Boten ausgesandt, die die Nachricht verbreiteten. Und von allen Seiten kamen die Leute in Booten oder zu Lande heran. Mittlerweile begann man nicht mit der Herstellung des eigentlichen Grabes, sondern mit Anfertigung einer Hütte, die aber da aufgebaut wurde, wo der Tote nachher bestattet werden sollte. Darin bahrte man zunächst die Leiche auf. Neben die Leiche legte man hunderte und tausende von Kaurimuscheln als erste Opfergabe.

Das zweite, was geschah, war die Verfertigung eines großen Ringes aus Stricken. Den bezeichnete man als Nja. Dieser Nja galt damals als Gott, wenn die Bosso der alten Zeit ihm auch wenig Aufmerksamkeit widmeten. Heute ist er so gut wie vergessen. Ehe der Tote nun bestattet wurde, ließ man den Nja in den Busch hinaustragen. Zwei Leute mit Gitarren (von gleicher Gestalt wie die Jägergitarren der Malinke) begleiteten den Gott hinaus. Im



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Busch wurde dann ein Huhn und ein Hund geopfert. Von diesen beiden Opfertieren erhielt jeder Zweig der Familie einen kleinen Anteil. Man verspeiste diesen aber nicht gleich, sondern wartete, bis alle zusammengekommen waren. Und jede ankommende Familie brachte Huhn und Hund herbei, so daß für große Festmahle ausgezeichnet gesorgt war.

Sodann ging man an die Herstellung des Grabes selbst. Von Osten und Westen wurde unter die Hütte, in der der Verstorbene aufgebahrt war, ein Graben geführt. Alsdann wurde unter der Hütte selbst die Erde in großen Mengen ausgehoben, so daß ein großer, zirka zweieinhalb Meter hoher und im Durchschnitt ebenfalls zwei bis drei Meter und mehr haltender Raum entstand. Ob dieser Raum rund oder rechteckig war, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Jedenfalls scheint mir aus allen Angaben über die ungemeine Festigkeit, die diese Gräber haben sollen, und daraus, daß zum Innenbau viel Holz benötigt wurde, hervorzugehen, daß der Raum mit der Erde ausgefüttert wurde.

In diese unterirdische Grabkammer wurde der Tote gebracht. Er war in hockende Stellung gebracht wie peruanische Mumien. Bekleidet war er mit weißen Hosen, weißem Überhang und weißer Mütze, und zwar von jedem möglichst viel, so daß ein tüchtiger Stoffballen entstand. Dieser Ballen wurde zuweilen direkt in die Erde, zuweilen erst in einen mächtigen Topf gesetzt, mitten in die Grabkammer geschoben. Sein Gesicht war nach Westen gewendet. Um die Leiche herum waren vier Leuchter (gleich Pitarra aus Eisen oder Ton gleich den Firma der Bammana) aufgestellt. Sie wurden aber erst angezündet, wenn der Tote fertig gebettet war. Weiterhin stellte man um die Leiche herum auf: Duo, das heißt Getränke in kleinen und größeren Gefäßen, allerhand Speisen und Korn in verschiedenen Gefäßen. War es ein kriegerisches oder sonstiges Oberhaupt, das hier seine letzte Ruhestätte gefunden hatte, so wurden Bogen und Pfeile sowie sein Fliegenwedel in die Grabkammer gelegt. Vor allen Dingen begleitete jeden Fürsten dessen meistgeliebte Frau. Sie wurde lebend mit in die Grabkammer gebracht und darin für immer verschlossen. Man brauchte nie eine Frau hierzu zu zwingen; denn eine jede tat das herzlich gern und war froh, nicht von ihrem Geliebten getrennt zu werden.

In der Grabhütte über der Kammer, in der der Tote zuerst aufgebahrt lag, stellte man eine kurze Tonröhre oder Tonsäule auf, die zuweilen mit dem unteren Raume kommunizierte. Sie wurde genau da errichtet, wo unten der Kopf des Toten in der Kammer lag. Fernerhin zog man von der Grabhütte nach Norden und Süden je einen Graben. Derselbe mündete nicht in die Grabkammer, sondern diente nur dem Zwecke, Reservelebensmittel in Krügen



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und Schalen, dazu auch sonstige Gebrauchsgegenstände, wie Tabakspfeifen, Wasserkrüge, ja sogar Brennholz aufzunehmen. Diese Sachen waren bestimmt, den Toten zu erfreuen und zu erfrischen, wenn das, was direkt in der Grabkammer war, aufgebraucht war. Und das Brennholz sollte in kalten Zeiten die Möglichkeit bieten, erwärmende Feuer zu entzünden. War das alles sorgfältig zubereitet, so schloß man den Ost- und Westeingang mit starken Rindenstücken im Innern und warf Erde darauf. Auch schüttete man dann den Nord- und Südgraben zu.

Von vielen dieser alten Gräber weiß das Volk der Bosso, und diese dienen ihnen dann als Wallfahrtsorte. Es ist vielleicht nicht ohne Interesse für spätere Forscher, ein kleines Verzeichnis derjenigen Grabstätten vorzufinden, von denen ich hörte.

i. In Nerekorro, dem ersten Bossoorte nördlich von Segu, ist der Mamuru begraben. Er war der Inhaber starker Korti und sonstiger Zaubermittel.

2. In Joro, dem etwas nördlicher gelegenen Orte, ist der Bosso Juru Mbreema bestattet. Er war Inhaber des Diarra und brachte ihn zu hohem Einfluß in diesem Gebiete,

3. In Suru oder Schuru zwischen Sansanding und Konkonkurru ist Schur Schungai, die Frau des Diarragründe s Pama Kono, bestattet. Sie wollte nach dem Tode ihres Gatten nicht wieder heiraten, starb und wurde hier begraben.

4. In Saama zwischen Joro und Siraninkorro ist einer der interessantesten Punkte für die Forschung gegeben. Vor allen Dingen starb hier und ward hier begraben Pama Kono selbst, der Stifter des Diarra. Es sollen ein Baobab zu seinen Füßen, ein Baobab zu seinen Häupten stehen. Ich habe die Stelle nicht gefunden, und die Eingeborenen gaben an, das Grab sei vom Niger fortgespült worden. Andern Ortes wurde das bestritten. — Ich glaube, daß es noch existiert.

5. In dem gleichen Saama starb seinerzeit Schumu Moriba, das war der Inhaber des Kumang. Eines Tages nun trat ein zweiter Kumang im Dorfe auf. Schumu Moriba, der eifersüchtig auf den Neuangekommenen war, beschloß, ihn auf seine Hellseherkraft zu prüfen. Denn ein Kumang muß hellsehend sein. Nun ist es streng verboten, daß ein Weib mit dem Kumang irgendwie in Berührung kommt oder ihn sieht. Schumu Moriba wollte sehen, ob der neue Kumang einen Betrug in dieser Hinsicht bemerken würde, und verkleidete deshalb seine Freundin in Manneskleider. In diesem Habit wohnte sie als "Mann" einer Abendzeremonie bei, in der der neue Kumang tanzte. Als nun Schumu Moriba mit der verkleideten Freundin an dem Kumang vorbeikam, sagte der Kumang: "Ein Kopf, vier Füße." Damit hatte er zu erkennen gegeben, daß er den



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Betrug durchschaut hatte. Als Schumu Moriba mit seiner Freundin heimkam, starben sogleich alle beide. Schumu Moriba ward in der Nähe Saamas begraben.

6. In dem gleichen Saama starb Dumba Kulluni, der ein gewaltiger Juguntu war. Er war in Saama nicht ansässig, sondern nur auf der Durchreise. Seine Jugu waren aber so stark, daß sie den Verstorbenen aufhoben und ihn in sein Heimatsdorf trugen. Kein Mensch half dabei. Die Jugu (= die Baschi der Bammana) taten das ganz von allein. Wo sein Heimatsdorf und somit seine Grabstätte ist, wird man von den Saamaleuten bei längerem Aufenthalte sicher erfahren.

7. Kangokorro, 8. Takulli, 9. Mama Terreta liegen sämtlich in Fansira etwas landeinwärts auf dem rechten Nigerufer bei Konkonkurru bestattet. Diese scheinen alle drei in alten Zeiten sehr einflußreiche Nogutu, das heißt Dorfoberhäupter gewesen zu sein. Nach dem Tode eines Dorfoberhauptes gaben aber die Jine oder Djinne an, wer der Nachfolger sein sollte. Als Ausdruckswerkzeug ihres Willens diente ihnen ein altes Bachbett (oder Flußarm), das nahe Fansira durch das Land zog. Es war fast nie mit Wasser gefüllt. Der präsumptive Nachfolger des vorigen Nogutu mußte sich nun in den Busch begeben und dort weilen. War der Mann nun den Jine angenehm, so füllten sie das Bachbett mit Wasser, dann erkannte alle Welt ihren Willen, das heißt ihre Zustimmung, und alles schrie den Namen des neuen Nogutu. Der hörte das und kam sogleich aus dem Busch in das Dorf zurück. Auf keinen Fall durfte der Mann aber im Dorfe sein, wenn das Bachbett sich mit Wasser füllte; denn dann starb er auf jeden Fall sogleich.

10. In Schaba, das bei kuakurru und um sechs Dörfer nordöstlich von Konkurru gelegen ist, starb Schaba Schumana. Seine Grabstelle soll wohl bekannt sein. Es ist einer der tüchtigsten Majäger aller Zeiten gewesen.

11. In Tumura zwischen Kuakurru und Moutu (oder Mopti) liegt ein hervorragender Nilpferdjäger mit Namen Tumura Bokari bestattet.

12. Ka Mussa Kanta, 13. Mama Sampana liegen in Diebi bei Djenne bestattet. Ihre Familie lebt noch.

14. Tagung Breema ist in Tagung, einem Dorfe bei Djenne, am Wege nach Konkurru, bestattet. Er war ein mächtiger Tungutu, labei ein sehr kleiner Mann, der ganz schwarz war.

15. In Gomotugu, einen Tagemarsch von Djenne entfernt, liegt Kontung Mba bestattet. Sein Grab ist deswegen von besonderem (nteresse, weil in Gomotugu eine alte Königsfamilie lebte und noch beute in den letzten Sprossen existieren soll. 16. Ein uraltes Grab findet sich in Djenne selbst. Es gehört



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Niemumu Schumumu an und ist, wenn man bei Kanafa eintritt, auf der linken Seite, auf dem Plateau Kinkinkan gelegen.

Alle diese Gräber gelten, wie gesagt, als Wallfahrtsorte. In alten Zeiten hielt aber jede Familie die Grabhütten über den Kammern ihrer Toten hoch in Ehren. Zu besonderen Festtagen trat man hinein, rief den Namen des Toten und legte ihm Reisspeise und Huhn nieder. Aus dem Hühneropfer las man gleichzeitig das Orakel. Man schnitt dem Tiere die Kehle durch und warf es hin. Fiel es auf den Rücken, so war das ein Zeichen des Unwillens des Toten und ein schlechtes Omen. Fiel es auf die Brust, so war es klar, daß dem Verstorbenen das Opfer angenehm war und daß eine gute Zeit infolge seiner Hilfe bevorstehe. Im Falle schlechten Opferverlaufes mußte noch ein Huhn geschlachtet werden. Mit der Kolaopferung verband man gleichen Sinn. Man schnitt die Kolanuß in zwei Teile. Fielen die Fruchtteile auf die runde Außenseite, so war das gut, fielen sie auf die flache Schnittfläche, so war das ein böses Zeichen. Das wurde dreimal wiederholt. Das vom Toten durch schlechte Lage Abgewiesene aß man selbst, das mit gutem Omen Gefallene ward ihm zuteil. Die Kolanüsse zerbiß man und streute die Stückchen hin. — Sehr sorgfältig ward früher darauf geachtet, daß die Hütte unter der Grabkammer in gutem Zustande sei, und drohte sie einzustürzen, so ward eine neue hergerichtet.

Diese alte Form des Begräbnisses soll heute noch dann und wann im Gebiet zwischen Sansanding und Kokonkurru geübt werden. Mit der Islamisierung, die rasch fortschreitet, verschwindet sie mehr und mehr aus dem Volksgebrauche und an Stelle des schwierigen alten Bini tritt das weit einfacher herzustellende Kaburru der Mohammedaner.

Der Gestorbene heißt Pu. Das, was lebendig bleibt, ist Jongo = der Schatten (bei Bammana ni und bei Malinke nio); der repräsentiert eigentlich die Angie oder Anjie, die Seele (bei Malinke igia), und diese Angie ist es, die von ausschlaggebender Bedeutung für das Leben der Sichtbaren, der Menschen, ist. Darum hat jeder Haushalt der Bosso einen Opferplatz, an dem dem Angie Gaben dargebracht werden. Man gräbt in einer Hofecke kleine Töpfe nebeneinander ein, die mit hübschen Deckeln aus Ton versehen sind. Die Topfdeckel sind mit kleinen Tonwarzen verziert. Später habe ich solche Warzenverzierung noch bei verschiedenen Stämmen als "heilige" Töpfe getroffen. — Wenn ein einen Hausstand gründender Mann eine solche Kuoru genannte Opferstelle errichten will, opfert er zuerst eine schwarze Ziege (Schuo-pin, Schuo = Ziege, pin = schwarz) oder in Ermangelung deren zwei schwarze Hühner (saba pin pinni = Huhn, schwarz, zwei), dann legte er andere, kleine Speiseteile in die Töpfchen und zu gewissen



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Jahreszeiten auch Steinbeile, die er auf dem Acker findet, hin. Zum Zeichen seiner Würde als Hausherr dieses Opferplatzes und auch um den Verkehr mit den Angie aufrechtzuerhalten, trägt er um Stirn und Kopf einen dunkelblauen bis schwarzen Stoffstreifen, der Sissie pin heißt.

Die Angie erscheinen den Leuten, zumal den Trägern des Bandes, häufig im Traume und geben diesen oder jenen Rat oder sagen dieses oder jenes voraus. Dafür wird dann stets am Kuoru Reis, Kola und so weiter dargebracht. Die Pu respektive Angie der Verstorbenen regeln das gesamte Dasein der Lebenden. Sie sind es, die reiche Ernte und guten Fangertrag bringen oder die Saaten zerstören und die Fische fernhalten, die den Besitz erhöhen oder ihn herunterbringen, die im Kampfe gewinnen oder unterliegen lassen. Sie sind es auch, die den schwangeren Frauen das Kinderleben zutragen und die die Menschen sterben lassen. —Wenn man aber auf Reisen geht, bringt man ihnen ein Geschenk an ihrer Stelle in der alten Grabhütte dar, und in diesem letzten Falle verspricht man auch Nja = ein Geschenk, wenn die Unternehmung gut verlaufen sollte.

Das letztere erinnert an eine Sitte der Malinke. Diese errichteten früher auf den Gräbern eine Stelle, eine kurze Steinsäule, von der nur der Kopf aus der Erde herausragte. Diesen Stein nannten sie Digia-kurru, und hier machte man Digia ähnliche Geschenke und Versprechungen wie die Bosso ihrem Nja. Wenn die Malinke nun behaupten, daß dieser Digia ihr alter Gott gewesen sei, so muß daran erinnert werden, daß dies Wort sehr an Igia, das ist die Seele der Toten bei den Malinke, erinnert.


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