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Vier Skaldengeschichten


Übertragen von Felix Niedner

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1914


Einleitung

Die Gestalt Egil Skallagrimssons erscheint am Anfang der ersten Geschichte dieses Bandes. Der verfasser der Saga von Gunnlaug Schlangenzunge war wohlbewandert in älteren isländischen Geschichten. Besonders war er heimisch in der Saga vom Skalden Egil. Das hochbegabte Geschlecht der Moorleute dort beschäftigte ihn lebhaft. In einer lapidaren Charakteristik faßt er den Eindruck von Egils großer Persönlichkeit auf seine isländischen Landsleute zusammen. Das hier gezeichnete Bild bestätigt die Egilssaga auf jeder Seite.

Die Geschichte von Gunnlaug erwähnt auch andere Berühmtheiten aus Egils Geschlecht. Sie vergißt nicht Kjartan, den Sohn des angesehenen Häuptlings Olaf Pfau aus dem Lachsachtal. Sie hebt mit Nachdruck den großen Historiker und Skalden Snorri Sturluson aus dem dreizehnten Jahrhundert hervor.

In dem Geschlecht der Moorleute wechselten harte und häßliche Recken gestalten mit schönen und ritterlichen Persönlichkeiten ab. In der Egilssaga treten jene beherrschend in den vordergrund. Hinter dem zähen Siedler Skallagrim und dem rauhen Egil selbst stehen liebens würdigere Helden, wie Skallagrims Bruder Thorolf und dessen gleichnamiger Sohn, zurück. Der Gunnlaugssaga liegt der schöne und ritterliche Teil des Geschlechtes besonders am Herzen. In der Geschichte vom Skalden Egil will dieser von seinem Sohn Thorstein wenig wissen. Er hält ibn für weichlich und unmannhaft. Die Saga von Gunnlaug zeigt Thorstein gleich im Beginn der Handlung als klugen und energischen Mann.

Die vorliebe die schönen Männer aus dem Geschlecht der Moorleute ist bei dem verfasser der Gunnlaugssaga natürlich. Sie erwuchs von selbst aus dem überlieferten Stoff und der künstlerischen Ausgestaltung der Erzählung. Die Heldin der Gunnlaugssaga, Helga, war nach der Tradition ein Ausbund von Schönheit. Sie gilt hier als das schönste Weib, das es jemals auf Island gegeben hat. Ihre Schönheit schafft alle Konflikte der Handlung und deren tragischen Ausgang. Diese Helga entstammte dem Geschlecht der Moorleute. Sie ist Egils e



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Enkelin, Thorsteins Tochter. Die Geschichte von Gunnlaug Schlangenzunge nennt sie voll trüber Ahnung nur Helga die Schöne".

Auch die zweite Geschichte dieses Bandes, die Saga von Björn und Thord, ist mit Egil, freilich loser, verknüpft. Björn, der Held aus dem Hitachtal, ist Egils Großneffe. Überdies ist er mit jenem durch die Gabe der Skaldenkunst verbunden und ähnelt ihm in manchem Charakterzüge. Wie Gunnlaug Schlangenzunge weilt auch Björn in der Jugend auf Borg, dem alten Stammsitz der Moorleute. Beide werden dort im Westland von Egils Sohn Thorstein gemeinsam mit dessen Enkel Skuli er

Auch sonst steht der Schauplatz beider Geschichten dem der Egilssaga näher als dem der anderen großen Sagas des Westlandes. Weiter ab nordwestlich von der Gegend, wo die Gunnlaugssaga spielt, lag Hjardarholt; die Heimat Olaf Pfaus aus dem Lachsachtal. Weiter auch nordwestlich von dem Schauplatz der Geschichte Björns und Thords war Helgafell, der Wohnsitz des Goden Snorri. Ungefähr in der Mitte von dem Schauplatz der Gunnlaugssaga und der Geschichte Björns und Thords, östlich von diesem, westlich von jenem, ist die Heimat der Egilssaga.

Zeitlich rücken die Ereignisse der beiden Erzählungen weit von dem heidnischen Zeitalter Egils ab. Die vorgänge in der Geschichte von Gunnlaug Schlangenzunge fallen um das Jahr Damals wurde auf Island das Christentum eingeführt. Noch später, in dem letzten Menschenalter der isländischen Heldenzeit, spielt die Saga von Björn und Thord. Beide Helden find Zeitgenossen des Norwegerkönigs Olafs des Heiligen. Das Todesjahr jenes Königs, 1030, gilt als das Ende des Heldenzeitalters auf Island. Thords Tod ist schon jenseits dieser Grenze.

Um 1200 wurde die Geschichte vom Skalden Egil von Snorri Sturluson in Borg zu Pergament gebracht. Etwa ein Jahrhundert später ist die Geschichte von Gunnlaug Schlangenzunge aufgezeichnet. Sie ist eine Renaissance Saga edelsten Stils. Von jeher hat man den kunstvollen Auf



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bau und die klare Entwicklung ihrer Handlung bewundert. In der Anmut der Darstellung sucht sie ihresgleichen.

Das Motiv der Nebenbuhlerschaft zweier Helden um ein schönes Weib kehrt oft in den isländischen Geschichten wieder. Niemals ist es so ergreifend durchgeführt wie hier. Gunnlaug hat am schwedischen Königshofe Hrafn, seinen späteren Rivalen, getroffen. Während der Held auf Wikingfahrten weilt, betratet Hrafn dessen Braut Helga auf Island. Daraus ergeben sich alle weiteren Konflikte. Sie gipfeln in dem doppelten Holmgang der beiden Nebenbuhler auf Island und in Norwegen und enden mit dem Tode der beiden Gegner. Die Schönheit Helgas, die Gunnlaug treu bis zum Tode liebt, ist der einzige Ouell aller Streitigkeiten.

Ein schicksalsschwerer Traum Thorsteins kündet den verlauf der Handlung voraus. Er läßt keinen Zweifel über das Unheil, das Helgas Schönheit dereinst anrichten wird. Dem Stil der alten Saga entspricht der tragische Schluß. Auch die traumhafte Weissagung hier kehrt dort oft wieder. Doch liegt über jener Traumszene, vor allem in ihrer breitausgesponnenen Deutung, ein jungerger romantischer Schimmer. Schon hier bereitet sich die eigenartige Mischung sagahaften und ritterlichen Stiles vor, die diesen Liebesroman durchzieht.

Der altertümliche Charakter ist in den Grundzügen meisterhaft durchgehalten. Die Geschichte steht fest auf historischem Boden. Die Berichte über die Einführung des Christentums, von dem verbot des Holmgangs auf Island und vieles andere lassen die Sagazeit in großer Treue durchblicken. Daneben aber fehlt es nicht an späteren, dem Rittertum entlehnten Zügen. Das Benehmen der Helden zeigt eine leise kavaliermäßige Färbung. Schon in der Geschichte des Skalden Egil meldete sich dieser Einfluß des Ritterromans schüchtern einmal. Egil in Blindheim vor dem Zweikampf mit Ljot trug artusartige Züge. Gunnlaug und Hrafn zeigen gleichmäßiger schon die Manieren des Ritters ohne Furcht und Tadel. Ihre Höflichkeit und Artigkeit hebt sie öfter über die Urwüchsigkeit der alten Sagawelt hinaus.

Am schärfsten tritt die Romantik in dem Schlußgemälde der



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Gunnlaugssaga zutage. Zum zweitenmal ist Helga einem ungeliebten Manne vermählt. Sie läßt den Mantel, das Geschenk ihres einstigen Jugendgeliebten, holen und ihn vor sich entfalten. In dieser Situation sinkt sie sterbend mit gebrochenem Herzen in die Arme des geduldigen Ehegatten zurück. Dies sentimentale Bild verträgt sich kaum mehr mit der Wirklichkeitswelt der alten Saga. Aber hier allein empfindet man die Doppelheit des Stils in dieser Saga peinlich. Im ganzen wirkt sie auch in der leisen romantischen Färbung alt und einheitlich.

Viel näher als die Geschichte von Gunnlaug Schlangenzunge steht die Saga von Björn und Thord in der Darstellung der vom Skalden Egil. Nur in ihren ersten Teil, dessen Handlung im Ausland vor sich geht, spielen gelegentlich Züge des Ritterromans hinein. Björns Aufenthalt am russischen und englischen Königshofe, der Kampf mit dem fliegenden Drachen und das Zauberschwert Märing stammen aus der Heldensage. Sonst zeigt das Wikingerleben Björns und Thords doch ganz die Ari des alten isländischen Kämpentums.

Getreuer und echter noch wird das Sagabild nach Björns Rückkehr in die isländische Heimat. Auch in der Geschichte von Björn und Thord steht eine Frau zwischen den Helden. Die Nebenbuhlerschaft ist ähnlich wie in der Gunnlaugssaga. Aber die schöne Oddny ist nur eine Ursache ihres Zwistes. Der unversöhnliche Hader geht bei beiden tiefer. Er quillt aus ihrer streithaften und spottlustigen Natur. Er wurzelt weiter in dem unvereinbaren Gegensatz ihrer Charaktere. Hinter dem unausgesetzten Streit mit Waffen, auf dem Thing und im Liede verschwindet das Liebesmotiv leicht. Erst am Schluß der Saga tritt es mit vollem Nachdruck wieder hervor.

An Klarheit der Handlung kann die Geschichte von Björn und Thord mit der Gunnlaugssaga ganzen nicht wetteifern. Der mittlere Teil ist überdies lückenhaft. Der Schluß freilich hebt sich zu einer staunenswerten künstlerischen Höhe. Sobald der energische Häuptling Thorstein Kuggason in die Handlung eingreift, kommt ein dramatischer Zug in die Darstellung. Bisher war das Interesse des Lesers zwischen Björn und Thord geteilt. Jetzt fällt alles Licht auf jenen. In uno nach seinem Tode



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ist Björn allein der Held. In der Egilssaga wuchs Egils Gestalt durch die Freundschaft mit dem treuen und mannhaften Arinbjörn noch an Heldenhaftigkeit. So auch Björn hier, nachdem er und Thorstein sich gelabt haben, einander für den Fall des Totschlages zu rächen.

Mit großer Kunst ist Björns heldenmütiger Kampf vor dem Tode und Thorsteins kluge und strenge Ahndung von Björns Erschlagung erzählt. Die Saga selbst hebt in ihrer trockenen Art den Eindruck hervor, den jener Kampf und jene Gerichtsverhandlung auf dem Allthing bei den Zeitgenossen hinterließen. Man glaubt sich dabei kaum mehr auf bäurischem Boden. Man fühlt sich fast wie im Heldenepos. Doch ist keins der billigem Kunstmittel des Heldenromanes zu dieser Wirkung verwandt.

vierundzwanzig Bauern müssen ausrücken, um Björn, den "kurzsichtigen Bären", zu fangen. Er ist rettungslos umstellt. Doch wollen die Gegner noch warten, bis Thord kommt und ihm den Todeshieb gibt. Todwund auf den Knien hockend vollführt dieser bäuerische Walther vom Waskenwald seine verteidigung gegen die Übermacht. Auch die tragische Ironie fehlt nicht in diesem ländlichen Heldenkampf. Fast muß Björn den eigenen Sohn von Thords Frau erschlagen. Sein Lieblingsgang galt der Pflege der Rosse, die er seinem Freund Thorstein geschenkt hatte. Dieser Gang soll ihm hier den Tod bringen.

Ihm an Mannheit ebenbürtig auf dem Allthing ist dieser Freund. Was die Macht der einzelnen Persönlichkeit im verzwicktesten Rechtsverfahren durchsetzen konnte, wird öfter in den Sagas erzählt. Als interessanter Gerichtsfall ist dieser Streit auf dem Allthing an sich merkwürdig. Aber selten haben wie hier Freundestreue , hochgespanntes Selbstgefühl und souveräne Kunst der Menschenbehandlung einen so heldenhaften Sieg davongetragen . Auch die Frauen der Saga wachsen nach Björns Tode in ihrer Wesenheit. Als seine Mutter das Haupt des erschlagenen Sohnes sieht; spricht sie Worte zu Thord, die die Kraft einer Brynhild oder Gudrun aus der Edda atmen .Björns Jugendgeliebte Oddny ist innerlich gebrachen, siecht aber äußerlich stolz dahin. Sie zeigt ein anderes Heldentum als die sentimental sterbende Helga in der Gunnlaugssaga.



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Das Gemälde des Skaldentums in beiden Sagas ergänzt das der Geschichte vom Skalden Egil. Gunnlaug und Hrafn zeigen das äußere Bild zweier guter Durchnittsskalden im Ausland. Björn und Thord sind zwei namhafte vertreter des Skaldentums auf der isländischen Heimatserde. In der Geschichte von Gunnlaug Schlangenzunge ist das Skaldenbild mehr äußere Dekoration für die Jugendgeschichte des Helden . In der Saga von Björn und Thord siebt es im Mittelpunkt der Geschichte. Dort, wo die Handlung in kleinlichen Waffen- und Thingfeh den zu zerfließen droht, schafft es eine feste künstlerische Einheit.

In der weitverzweigten Handlung der Egilssaga ging die typische Erscheinung des Fürsten skalden leicht verloren. Aus der klaren Erzählung von Gunnlaug Schlangenzunge hebt sie sich mit der Deutlichkeit einer Silhouette ab. Egils eigenwilliger Charakter widerstrebte dem berufsmäßigen Dienst am Königshofe. Der junge Gunnlaug atmet in dieser Luft wie in seiner natürlichen Atmosphäre.

Von dem Empfang des wandernden Skalden am Fürstenhof erhalten wir ausgezeichnete Bilder. Wir erleben mit Gunnlaug die Sorge, sein Lied anzubringen. Wir empfinden das Hochgefühl nach, mit dem er Anerkennung, klingenden Lohn und kostbare Geschenke entgegennimmt. Wir sehen die vertrauensstellung des Skalden in der Halle wie im Streit. Die Liebe zum Isländer tritt deutlich bei den Herrschern hervor. Die Großen wie Jarl Eirik von Norwegen und König Adalrad von England fühlen sich als Gönner der Skalden. Den Kleinkönigen und geringeren Zarten schmeichelt es, daß jene mit ihrem Besuche beehren. Ein Neuling in der Etikette Skalden gegenüber erscheint. Der König von Dublin muß sich von seinem Schatzmeister belehren lassen, was man den Skalden schenkt.

Auch in die Seele des Skalden tun wir manchen Blick. Mut und Offenherzigkeit sind dem Skalden eigen. Gunnlaug setzt mit einer höchst anzüglichen Bemerkung auf Jarl Eirik sein Leben aufs Spiel. Er erklärt König Adalstein freimütig, er müsse als Herrscher die Ehre seines Hofes hoch halten. Dem



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klugen Skalden überträgt man gern das Schiedsrichteramt in der Halle. Diplomatisch schlichtet Gunnlaug durch ein Skaldenlied einen Streit von Leuten der Jarle Sigurd und Eirik. Er erkennt diesem den Preis zu, ohne doch die Anhänger Sigurds zu verletzen. Das geschickte Kompliment gewinnt ihm zugleich die Gunst seines Todfeindes Eirik zurück.

Den interessantesten Anblick bietet doch der wachsende Neid der Skalden Gunnlaug und Hrafn am Hofe des Schwedenkönigs zu Upsala. vor allem fesselt ihr Wettstreit im Aufsagen des besten Preisgedichtes. Nach dem Wunsche des Königs müssen sie gegenseitig die Rolle des Kunstrichters über ihre Lieder spielen. Ihre boshafte Kritik kennzeichnet im Gedicht des Gegners zugleich dessen Charakter.

Hrafn wie Gunnlaug galten als gute Skalden. Darauf weist Hrafns Beiname und das Erinnerungsgedicht, das später Thord auf Gunnlaug Schlangenzunge machte. Weniger tritt ihre Kunst in den Dichtungen unserer Saga hervor. Freilich fehlt es auch hier nicht an hohen Schönheiten. In einer schalkhaften Strophe zürnt Gunnlaug Helgas Eltern, daß sie ihm zum Leide im Bette ein so herrliches Kunstwerk prägten. In dieser Weise batman mit Recht schon einen Vorklang Bellmanscher Anmut gefunden.

Reicher und lebendiger ist das Gemälde, das die Saga Björns und Thords von der Hohndichtung dieser beiden Skalden entwirft. Schon bei Egil Skallagrimsson spielt diese Form des Skaldenliedes eine große Rolle. Aber Egil tobte seinen Zorn im Spottvers auf norwegischen Halmen und in norwegischen Fjorden aus. Seine Gegner waren Ausländer.

Björn und Thord streiten auf Island. Der Spottvers fliegt zwischen ihnen hin und her in dem Bezirk, wo sie wohnen. Wohl begleiten häuslicher Zank und Thing streit, Waffenfehde, Hinterhalt, ja versuchter Meuchelmord die Erbitterung der beiden Gegner. Die volle Wucht ihres Streites liegt doch in ihren gegenseitigen Hohnliedern. Auf seinen Ausgang ist die ganze Gegend gespannt. Man bewundert ihre Skaldenkunst auch in der Form des gemeinsten Pamphlets. An Charakter und körperlicher Tüchtigkeit ist Thord Björn unterlegen. Im Skaldenlied ist er sein ebenbürtiger Gegner.



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Diese Form der Haders in kunstvollen Spottweisen ist echt isländisch . Anschaulich schildert die Saga, wie jede neue Weise der beiden in der Gegend herumgetragen und durchgesprochen wird. Wir erfahren, wie Freunde zu schlichten suchen, wie Feinde die Sache vor Gericht zu bringen trachten. Wir hören das Gesetz strenge Ahndung für das Aufsagen der bösen Strophen androhen. Trotzdem belustigen die Bauern des Distrikts sich gern an ihrer Hersagung.

Bei volksfesten geht neben Pferdekampf und anderer Kurzweil der Liederstreit einher. Man lauscht gespannt den beiden dichterischen Streithähnen, wenn sie Hohnlieder auf ihre gegenseitigen Frauen hersagen. Selbst den Vergleich des klugen Thorstein Kuggason macht die Spottlust der beiden Skalden zuschanden . Der ehrgeizige Zweifel, ob er auch ebensoviel Strophen gedichtet habe wie Björn, läßt Thord nicht ruhen. Neue Hohnlieder fallen selbst in dieser kritischen Stunde.

Alle Formen dieser Neiddichiung zeigt die Saga. Da ist die einzeln geprägte Strophe, die auf spätere Entgegnung wartet. Oder man dichtet Mann gegen Mann und erwidert im versmaß , das der Gegner anschlug. Ganze Spottgedichte, wie Björns Lied vom Steinbeißer und Thords Kuhweisen en, erklingen. Wir sehen endlich die giftigste und verletzendste Art des Hohns, die Errichtung einer entehrenden Neidstange auf der Feldmark des Gegners. Selbst diese Schmach wird noch mit neuen Hohnstropben gewürzt.

Auch die Eddadichtung spiegelt diese Hohn- und Spottlust des volkes in Schmähversen wieder. Der böse Loki höhnt dort den Götterstaat, oder Odin und Thor beschimpfen sich im Lied nach Herzenslust. In den Liedern von Helgi hadern die Helden mit ihren Gegnern in unflätigem Liederzank. Ungleich wirksamer sind doch hier die Dokumente des isländischen Alltagslebens. Thords und Björns Zank verstand jeder Bauer bis zum gemeinsten Knecht. Die ideale Welt der Edda stand dem volksleben ferner,

Die kleine Umwelt des geistig regsamen volkes erfassen die skaldischen Spondichter mit scharfem Auge. Sie gibt ihnen den Stoff für ihren heiklen Witz und die verletzend gewürzte Form.



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Schafhürde und Kuhstall-Seebund und Fisch —die Welt des Bauers und Fischers lebt in diesen Weisen. Durch sie weht der ländliche Heuduft und der frische Atem des freien Meeres. Daneben tönt aus ihnen der Waffenklang der Alltagsfehde. Auch Bilder von Wikingerfahrten und Seeräuberkämpfen im Ausland spielen in sie hinein.

von besonders künstlerischer Wirkung sind die drei Strophen, die Thord nach Björns Tode dichtet. Thord, der hier als Mensch so unvorteilhaft gezeichnet ist; verdunkelt Björns Bild doch als Skalde. Dies bleibt auf unsere Anteilnahme an seinem Schicksal nicht ohne Wirkung.

Man fühlt ihm in der ersten Weise nach, wie er, befreit von dem Druck des übermächtigen Gegners, aufatmet. Die zweite durchklingt bei allem Hochgefühl des Sieges eine verhaltene Wehmut. In der dritten kommen Zorn und Enttäuschung wundervoll zum Ausdruck. Am Ziel seiner Wünsche angelangt hofft Thord Oddny endlich glücklich zu besitzen. Da verliert er die Liebe dieses stolzen Charakters für immer. Den harten und wenig liebenswürdigen Mann bringt uns seine Dichtung näher. Einem solchen Helden der Skaldenkunst gönnen wir es nicht, daß selbst ein Björn ihn als Menschen so vollkommen in Schatten stellen durfte.

In eine andere Welt versetzt uns die dritte Geschichte dieses Bandes, die Saga vom Liebesdichter Kormak. Wir sind im Norden der Insel am Midfiörd. Dort hatte einst der mächtige Häuptling Skeggi Land genommen. Weithin ging sein beherrschender Einfluß auf die Ansiedler. Auch in dieser Saga ist er zu spüren. Er berät Kormaks Eltern, die von ihm Land nehmen. Er hilft Kormak selbst in kritischer Lage durch das Zauberschwert Sköfnung.

Die Handlung der Kormaks saga spielt in der ersten Zeit des Freistaates. von den Sagahelden dieses Bandes gehört nur Kormak ganz der Zeit Egil Skallagrimssons an. Er ist geboren, kurz ehe Egil in York die Haupteslösung dichtete. Bald nachdem Egil seine beiden andern"großen Lieder sang, fand er in Schottland einen frühen Tod.



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Noch ein anderes nähert Kormak und seine Geschichte dem Skalden Egil und dessen Saga. Kormak ist eine großartige Persönlichkeit wie jener. Feiner ist sein Seelenleben, eigenartiger sein durch dieses bestimmtes Schicksal als das der meisten Skalden. Kormak ist wie Egil eine Natur nur sich selbst ähnlich. Sein Leben und Erleben liegt in der Dichtung. Die Prosaerzählung tritt an Interesse zurück.

Wikingerdrang und Tatenfülle zeigen Kormak als echtes Kind der Sagazeit. Als Skalde übertrifft er die meisten durch die Glut und Tiefe seiner Empfindung. Er ist auch in modernem Sinne ein wirklicher Liebesdichter. Kormaks überschwängliche Phantasie hebt ibn aus der nüchternen Umgebung des alten Island seltsam heraus. In seiner Dichtung erscheint dieser seelenvolle Träumer fast wie ein Fremdling auf heimischer Erde.

Kormaks Liebe zu der schönen Großbauerntochter Steingerd ist die Seele seiner Taten und seiner Dichtung. Als Jüngling sieht er sie in der Tür der Halle stehen und bewundert auf der Schwelle ihre feinen Knöchel. Da beginnt seine ahnungsvolle Dichtung. Als Mann singt er ihr sein letztes Lied, da er, siech an der Todeswunde, auf dem Sterbebette liegt. Kormaks Liebe aber ist Sehnsucht geblieben von jenem ersten Zusammentreffen mit Steingerd bis sum Tode.

Kormaks Liebe ward von der koketten Steingerd erwidert. Die Hochzeit war festgesetzt —aber er kommt nicht. Der Fluch einer bösen Zauberin soll ihn verblendet haben. So motiviert es die Naivität der Saga. Er selbst verlacht doch hier wie später alles Hexenspiel. Er scheint von dem Aberglauben der Zeit unberührt. Erst ganz zuletzt macht auch er sein böses Geschick verantwortlich.

In Wirklichkeit liegt das verhängnis in Kormak selbst. Es wurzelt in der Tiefe seiner Seele. Mit glühender Phantasie malt er sich stets ein hohes Liebesglück aus. Immer, wenn es da ist, bebt er davor zurück, es zu ergreifen. Diese Unruhe peitscht den Helden ohne Frieden durch die Welt. Als Kämpe und Wiking der alten seit ist Kormak einheitlich. In Leben und Liebe bleibt er doch stets eine problematische Natur.

Eigenartig ist die Lage der von ihm vergötterten Steingerd



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Man begreift, daß sie dem hohen Flug von Kormaks Phantasie nicht zu folgen vermag. Außer Frage steht wohl, daß sie ihn trotz seiner seltsamen Art liebt. Mit verletzenden Worten gibt sie ihrem ersten Mann, dem ehrenwerten Kämpen Bersi, nach dessen Verwundung auf dem Holmgang den Laufpaß. Dahinter kann als letzte Triebfeder nur der Zorn stehen, daß ein Kormak sie verschmähte. Freilich lebt Steingerd dann mit ihrem zweiten Mann in der Art einer guten Hausfrau dahin. Sie harrt allen Annäherungsversuchen Kormaks gegenüber bei dem lächerlichen Trottel Tintein aus. Doch auch das deutet eher auf Trotz und gekränkten Stolz als auf geschwundene Liebe.

Wie über Steingerd ragt Kormak über die andern Gestalten seiner Umgebung empor. Sie alle erkennen sein hohes Heldentum an. Der treue Bruder, eine Horatiogestalt, ordnet sich hilfreich und warnend doch dem Lebensunklugen unter. Kormaks mannhaften Gegner Bersi ehrt dessen Tapferkeit im Holmgang . Der gute Tintein erklärt sich Kormaks Heldenart gegenüber kläglich für bankerott. Auch die vorwürfe von Kormaks Mutter und des welterfahrenen Häuptlings Skeggi gelten nur der Unbedachtsamkeit seiner Jugend. Schwerer wiegt der Tadel des alten Bärenhäuters Steinar. Kormak nimmt ihn schweigend hin. Er weiß, daß nur die Sorge um die Ehre ihres gemeinsamen Geschlechtes ihn hervorrief. Steinar trägt Kormak den Mißerfolg im Kampfe gegen Bergi nicht nach. Er ehrt jenen später besonders durch das Geschenk seines Schwertes Skrymir.

Kormaks Freunde und Feinde ahnen die Tragik, die sein Leben durchzieht. Der Liebesschmerz Kormaks ist kein geistvolles Spiel reiner Einbildung. Er stammt auch nicht aus der Selbstbespiegelung , die modernen Dichtern so leicht anhaftet. Dagegen spricht schon seine von der Saga nie angezweifelte Größe als Wiking. Der letzte Prüfstein ist seine Dichtung selbst. Ein gan er Kerl wie Egil spricht aus diesen weichen und doch mannhaften Liedern. In der Liebesdichtung versagte jener große Skalde ganz. Hier ergänzt ihn Kormaks Skaldentum am meinen.

Das Motiv der Liebe zu Steingerd beherrscht Kormaks ganze



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Dichtung. Holmgang und Wikingfahrt schildert gar manche seiner Strophen. Im Hintergrund glüht immer die eine Leidenschaft . In anderen Weisen schilt er spottend seine Feinde und Nebenbuhler. Auch in seine wildesten Hohnverse spielt immer der Gedanke an Steingerd hinein. Richtig sagt Kormaks treuherziger Bruder:"Wo du weilst und was du tust, immer kommt es bei dir auf Steingerd hinaus."

vier Gruppen von Liedern treten in Kormaks Dichtung hervor. Ungefähr entsprechen sie dem Gang der Handlung in der Saga. Die Strophen des Jugendidylls im Eingang eigen eine arte lyrische Stimmung. In bilderreichem Ausdruck enthüllen sie ein seelenvolles Gemälde von Kormaks und Steingerds aufblühender Liebe. Kormaks überschwengliche Liebesbeteuerungen malen plastisch die berückende Schönheit der jungen Bauerntochter. Auch sie selbst kommt in ihrer naiven Koketterie zum Wort. In Strophe und Gegenstrophe erfolgt die beiderseitige Liebeserklärung . Dieses reizvolle Frage- und Antwortspiel führt zur Verlobung. Es ist in seiner Schalkhaftigkeit kaum zu übertreffen.

Die! zweite Strophengruppe durchsieht Kormaks lodernde Eifersucht nach Steingerds Heirat mit Bersi. Die tragische Ironie der Handlung gibt bier Kormaks Leidenschaft einen besonders wirksamen Hintergrund. Böser sauber hat seine Vereinigung mit Steingerd zerstört. Er hat sein Roß zuschanden geritten, um rechtzeitig zu dem Stelldichein zu kommen —das ihm nur sein Unglück offenbart. Das Zauberschwert Skeggis soll ihm zum Siege über den Rivalen Bergi verhelfen. Es bringt ibm Schande und demütigt ihn in Steingerds Augen. In den Liedern auf das treulose Schwert klingt der ganze Zorn verlorener Ehre und verschmähter Liebe.

Erneute Hoffnung und beginnende Entsagung lebt in den Strophen der dritten Gruppe. Steingerd hat Bersi verlassen und den trottelhaften Tintein geheiratet. Jetzt tritt der unbegreifliche Widerspruch in Kormaks Natur am meisten hervor. Er umspannt im Liede Steingerd mit aller Liebesinnigkeit seiner Jugend. Er sucht sich ihr immer wiederzu nähern. Da er endlich mit ihr im selben Schlafgemach weilt, respektiert er die trennende Bettwand. Größte Liebespein bringt ihm auch diese Situation



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nicht die Erfüllung seines Dichtertraumes. In glutvollen Strophen klagt er über die fünf dummen bösen Nächte.

In einer Reihe von Strophen, die den gewaltigsten seiner Dichtung gehören, verhöhnt Kormak dann den verhaßten Gegner. Er stellt immer wieder sein gefahrvolles Wikingerleben dem philiströsen Mistbauer gegenüber. Er preist den hohen Flug seiner Liebe gegenüber den faulen Lagertreuden seines Rivalen. In diesen auch durch Meer- und Landschaftsmalerei ausgezeichneten Strophen spricht am meisten der Stolz des Wikings und Dichters.

Die letzten Weisen Kormaks vor seinem Tode durchzieht eine stille Resignation. Durch einen Riesen sind ihm im Kampf die Rippen gebrochen. Siech erwartet er auf der Streu das Ende. Schwerer als die Sorge, nicht nach Walhall zu kommen, wiegt der Gedanke des Abschieds von Steingerd, die er doch im Leben nie besaß.

Das Sehnende und vergeistigte in Kormaks Liebe erinnert zuweilen an die mittelalterliche Minnedichtung. Man denkt an Tristan, den Helden der keltischen Saga. Das Ausschweifende, Übersinnliche in Kormaks Phantasie ist vielleicht irischen Ursprungs. Auf irische Abstammung weist seine äußere Erscheinung: das dunkle Haar und die schwarzen Augen. Sein Name kehrt in irischen Königsgeschlechtern wieder. Auch sonst hinterließ die keltische Blutmischung bei den Ansiedlern Islands Spuren. Sa hat auch wahl an der Prägung von Kormaks Eigenart alg Skalde die grüne Insel einen Anteil.

Eine der Dichtung gleichwertige Prosadarstellung hat der Liebesroman von Kormak nicht gefunden. Ihm hat kein Snorri Sturluson eine kunstvolle Fassung gegeben. Erst am Ende des dreizehnten Jahrhunderts, lange nach der Blütezeit der Saga, ist diese chronikartige Darstellung entstanden.

Ein Verehrer der alten Skalden zeichnete damals auf, was ihm aus mündlicher oder schriftlicher Überlieferung von Kormak bekannt war. Er selbst bat, wohl besonders am Schluß, aus eigener Erfindung hinzugedichtet. Der abenteuerliche Ausgang der Kormakssaga wirkt fast komisch. Er entfernt sich voll



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kommen vom alten Sagaboden. Stücke aus drei älteren Geschichten , vom Skalden Kormak, von dessen Verwandtem Steinar und von seinem Gegner Bersi, ragen aus der jungen Darstellung hervor. Ein Kunstwerk im Stil der alten Saga konnte und wollte ihr Verfasser nicht formen.

Alle Vorzüge der alten Saga gehen dieser Darstellung ab. Sie ist ungleich und sprunghaft. Der Stil ist meist trocken wie der einer Chronik, zuweilen anekdotenhaft angehaucht. Die Gestalten der Handlung sind oft mehr typisch angedeutet als individuell durchgeführt. Es gibt keinen einheitlichen Aufbau in der Saga.

Die Spuren der späteren Entstehung zeigt am meisten der mittlere Teil. Fast alles in den breiten Episoden von Steinar und Bersi hängt nur lose oder gar nicht mit dem Haupthelden Kormak zusammen. Zeitlich fügt sich nur der Holmgang zwischen Kormak und Bersi in den Rahmen der Erzählung. Die Taten des alten Bergi schildern fast ganz selbständig ein zweites Kämpen- und Skaldenbild. Sie fallen zwanzig Jahre später als Kormaks Wiking fahrten und seine Abenteuer mit Tintein.

Den Kontrast zwischen der phantasievollen Dichtung und der mageren Erzählung trägt man dort am leichtesten, wo die Dichtung allein die Handlung ausmacht. Während des Liebesidylls zwischen Kormak und Steingerd am Anfang wird der Chronikstil kaum als Störung empfunden. Dagegen verlangen die Strophen des Schlusses in ihrer gesteigerten Schönheit einen tieferen Hintergrund der Handlung. Hier versagte die kurze und phantastische Schilderung von Kormaks letztem Wikingzuge ganz.

Die Unstimmigkeit in der Mitte der Saga läßt einen geteilten Eindruck zurück. Ungern sieht man das Leben Kormaks so lange durch die Geschichte eines anderen Helden unterbrochen Für den Genuß seiner Dichtung ist die Abschweifung dach vielleicht ein vorteil.

Die Gestalt des alten Bersi ist der denkbarste Gegensatz zu dem problematischen Kormak. Auch er ist Kämpe und Skalde zugleich. Seine Dichtung hat nichts Tieferes. Aus seinen Liedern aber spricht eine unvergleichliche Taten- und Lebenslust.



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Auch die trüben Bemerkungen über sein Alter heben diesen Grundton nicht auf. Tatenfroh schreitet Bergi bis zuletzt zum Holmgang. Die Einheitlichkeit seines Lebens und seiner Dichtung hinterläßt einen wohltuenden Eindruck.

Diese prächtige Kämpen- und Dichtergestalt schafft einen Ruhepunkt in der unruhigen Phantasiewelt Kormaks, die sonst die Saga beherrscht. Schon die Personen in der alten Geschichte ertrugen dort den ewigen Refrain"Steingerd" schwer. Bereits Kormaks Bruder erhob den leisen Vorwurf:"Immer nur sie." Einem modernen Leser mag es leicht ähnlich gehen. Aus der breit abschweifenden Episode der Bergischen Wirklichkeitswelt kehrt man williger in Kormaks ideale Traumwelt zurück.

Durch die junge Darstellung der Kormakssaga lugt doch überall alte Kultur. Kormaks Vater Ögmund nimmt wie Skallagrim Land auf Island. Er wirft die Hochsitzpfeiler des heimatlichen Hauses ins Meer, daß sie ihm die Landungsstelle weisen. In naiver Art wird die Weise der Hausgründung erzählt. Der glückliche oder unglückliche Fortgang bei der Ausmessung des Grundes gilt als Vorzeichen. Er bestimmt das spätere Schicksal der Ansiedler. So ragt die Landnahmezeit lebendig in den Anfang der Geschichte hinein.

In der Gunnlaugssaga wurde erzählt, wie der Zweikampf auf Island abgeschafft wurde. Hier sind wir noch in der ersten heidnischen Zeit des Freistaates. Eine große Anzahl von Zweikämpfen werden ausgefochten. von dem einfachen Zweikampf Mann gegen Mann wird der schwierigere und feierlich geordnete Holmgang unterschieden, der nach festbestimmten Regeln unter Kontrolle vor Zeugen stattfindet. Genau wird das alte Holmganggesetz beschrieben.

Auch der breite Raum, den der Zauber in der Darstellung einnimmt, weist auf die älteste Zeit Islands. Zwei Weissagerinnen greifen fortdauernd in die Entwicklung der Handlung ein. Es gilt fast als selbstverständlich, daß man sich im Kampf gegen einen gefährlichen Gegner der Hilfe einer Hexe versichert. Lebenerhaltende Zaubersteine trägt man. Der Landnahmemann Skeggi ist im Besitz eines uralten Zauberschwertes. Diese naive Zeit betrachtet die Schwerter fast als handelnde Personen. Die



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kostbaren Waffen Skeggis, Steinars und Bersis werden wie berühmte Helden besungen.

Das Christentum war in den anderen Sagas dieses Bandes bereits eine Macht. Die Geschichte des Königsskalden Hallfred ist ganz von ihm durchsetzt. Hier spielt es noch gar keine Rolle. Selbst die sonst üblichen chronikartigen Bemerkungen christlicher Art fehlen in der Darstellung.

Den schönen Einklang zwischen Prosa-Erzählung und Dichtung, wie ihn die Saga vom Skalden Egil zeigt, bot keine der drei voraufgehenden Geschichten. Er kehrt in der Erzählung von Hallfred dem Königsskalden wieder. Hier ist die klare Linienführung der Handlung, die jeden Zug der Dichtung verständnisvoll begleitet. Hier herrscht der knappe kernige Stil der Darstellung, aus dem die Strophen Hallfredv wie natürlich emporwachsen.

Hallfred selbst beansprucht als Individualität das größte Interesse. Als Mensch wie als Skalde ragt er aus seiner Zeit hervor wie Egil und Kormak. gehört nicht wie jene der heidnischen Zeit an. Sein Leben fällt in das zweite Menschenalter des Freistaates, in dem das Christentum schon seine Macht zu entfalten beginnt . Er ist ein älterer Zeitgenosse Gunnlaug Schlangenzunges. Durch seine enge verbindung mit dem norwegischen Königshofe kommt er mit dem Christentum in Berührung. Wie die Egilssaga zeigt auch seine Saga schon Einfluß der Königsgeschichten.

Fester als Egil, der Widersacher der Könige, wurzelt Hallfred in Norwegen. Er ist durch seine Freundschaft mit König Olaf Tryggvason eng an dessen Geschichte geknüpft. In den historischen Darstellungen von diesem Herrscher ist seine Saga gleichfalls heimisch. Die Hallfredssaga kehrt dort episodenhaft eingefügt in verbreiterter Darstellung wieder. Hier tritt sie uns in ihrer alten knappen Fassung entgegen.

Auch Hallfred hat einen problematischen Zug in seinem Wesen. Doch ist ereine viel nüchternere Erscheinung als der ideale Träumer Kormak. Auch ihm eignet eine jagende Unrast; die sein ganzes Leben erfüllt. Ahnungsvoll sagt er zu seinem Vater: "Ich fühle es, ich muß noch durch vieles hindurch."



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Diese Unrast haftet bei Hallfred nicht wie bei Kormak an einer Frau. Nur sein äußeres Liebesschicksal ist dem aller Skalden in den Geschichten dieses Bandes ähnlich. Hallfred stammt aus dem anmutigen vatnsdal im Norden der Insel. Dort lebte der schöne Ingolf, von dem das volkslied sang, daß alle Mädchen nur mit ihm gehen wollten. Auch Hallfred verlebt dort sein Jugendabenteuer mit der schönen Rolfinna und bekommt in deren Ehemann den bestgehaßten Rivalen. Aber weder Liebesleben noch Liebesdichtung füllen Hallfreds Inneres aug.

Hallfreds Liebe hat nichts Seelisches oder gar Übersinnliches wie Kormaks. Nach seiner Heirat in Schweden findet er auf Island die Jugendgeliebte wieder. Da improvisieren er und seine Gefährten mit jener und ihren Frauen eine höchst seltsame Hochzeitsnacht. Dieses heikle Abenteuer in der Sennhütte findet in isländischer Sagadarstellung sonst kaum ein Gegenstück. Es bildet den schärfsten Gegensatz zu Kormaks und Steingerds nur seelischem Zusammensein im selben Schlafgemach. Auf seinen Nebenbuhler Gris schleudert Hallfred, wie Kormak auf Tintein, die giftigsten Pfeile seines Liedes. Auch hier scheint mehr Spottlust als Eifersucht die Triebfeder. Jene Liebe und dieser Haß wirken bei Hallfred fast sportmäßig. Sie muten an wie ein übermütiger Ausbruch des Seien Wikingertums.

Der Konflikt in Hallfreds Leben, der seine tiefere Natur offenbart, beginnt erst in Norwegen. Er liegt in dem eigenartigen Verhältnis, in das er dort zu König Olaf Tryggvason und durch ihn zum Christentum tritt. Egils Gedicht "Der Söhne verlust Vernet, was die alten heidnischen Götter einem tiefer angelegten Dichtergeist auf Island bedeuteten. Egil mochte wohl vorübergehend mit Odin als Kriegsgott hadern: ab Dichtergott konnte er ihn nicht entbehren. Der Gott der Skalden sandte ihm im Lied den Trost, der ihn über sein Unglück erhob. So hat auch Hallfred zu den alten Göttern gestanden.

von Jugend auf war Hallfreds Dichterphantasie erfüllt von Odin. dein Gott der Raben, der auf dem Thron Hlidskjalf die Welt überschaute. Ihm waren Frey und Freyja und deren Vater Njörd, die lichten Vanengötter, im Liede alte Vertraute. von



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ihnen sprach man in seiner Jugend. Noch bevor er zu König Olaf nach Drontheim kam, hatte er mit seinen Gefährten Odin, Thor und Frey geopfert und sie um glückliche Seefahrt angerufen . Er und seine Begleiter glaubten fest an die Schicksalsmacht der Nornen-Nun

Nun kommt Hallfred an den Königshof. Schon vorher hatte er den König, ohne ihn zu kennen, gesehen. Er hatte dessen Mut und Tatkraft während eines Seesturmes bewundert. Nun wird dieser in schneller Folge sein Gönner, sein Schutzherr, sein Pate. Der Herrscher, ein stolzer Wiking wie wenige, stellt ihm stets nur eine Bedingung seiner Gunst: die Annahme des Christentums Er strahlt Liebe und Leutseligkeit ihm gegenüber aus. Nur in einem ist er unerbittlich, wo er Rückfall in den heidnischen Glauben wittert. Das Verbot, den alten Göttern opfern, lastet schwer auf Hallfred. Dieser innere Zwist dauert lange durch sein Leben.

Die Saga hat in ihrer kurzen Art alle äußeren Symptome dieses Kampfes verzeichnet. Hallfred überwindet den inneren Widerwillen gegen die neue Lehre langsam. Einen tapferen Jarl, den er im Dienste des Christentums blenden soll, sucht er soweit als möglich zu schonen. Er zieht in das heidnische Schweden und lebt und betratet dort unter Anhängern der alten Götter. Dann läßt er sich, nach Drontheim zu König Olaf zurückgekehrt, erneut die christlichen Ermahnungen und Unterweisungen gefallen. Er dichtet sogar ein Schöpfungslied. Schon in Schweden hatte er einmal in Gefahr den Christengott angerufen.

Allmählich ziehen ihn die Erscheinungen des Königs im Traum immer mehr in den Christenglauben hinein. Er befolgt des Königs Anweisung zur Milde und versöhnlichkeit dem Feinde gegenüber. Er dichtet auf Olafs Feind, Jarl Eirik, sogar eine Drapa, weil ihn der selige König im Traum dazu auffordert. Die letzten Lieder atmen dann reinen Christenglauben. In ihnen weiß Hallfred nichts Besseres als seine Seele Gott zu empfehlen. Der Segenswunsch auf seinen toten König gipfelt in der Hoffnung, daß Christus sich dessen nach dem Tode angenommen habe.

Diesen Kampf des Heidentums und Christentums in Hallfreds



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Seele zeigen am deutlichsten die Strophen, die Hallfred vor dem König zu Drontheim auf sein verhältnis zu den alten Göttern und zu Christus dichten mußte. In der ersten bekennt er sich trotzig zu jenen. In den folgenden, die ihm der Befehl des Königs zur Buße auferlegt, erfolgt die Absage an Odin und Thor. Aber der dichterische Ausdruck weilt ausgiebiger bei ihnen als bei Christus. Er schwelgt in der für ihn versunkenen Herrlichkeit Freys und Freyjas.

Die Verehrung für König Olaf gibt den Ausschlag gibt den Ausschlag für Hallfreds innere Bekehrung zum Christen. Von jenem fühlt sich Hallfred in seinem Charakter richtig erkannt und gewertet."Schlimmer Skalde hat ihn der König getauft. Er verzeiht ihm, daß er immer wieder von seinem Hofe fortwandert. Er weiß, daß die, Unrast Hallfreds eigentliches Wesen ist. Trocken erzählt die Saga, wie Hallfred bei der Nachricht von Olafs Tode betäubt ist, "als wäre er von einem Steine getroffen" . Er legt sich völlig gebrochen nieder wie Egil beim Empfang der Nachricht von seines Sohnes Tode. Dann findet Hallfred nirgends Ruhe. Er jagt von Island nach Dänemark und Schweden und wieder nach Island zurück. Die Anhänglichkeit und Liebe zu diesem König war der einzig ruhende Pol in Hallfreds stürmischem Leben.

Jene Weisen über die alten Götter und die kunstvolle Strophe auf ein von König Olaf geschenktes Schweri sind Perlen Hallfedscher Dichtung. Die Vorgänge bei Hallfreds Bekehrung am Königshof zu Drontheim sind auch in der Prosa der Saga am wirkungsvollsten dargestellt.

Auch Snorri Sturlusons berühmtes Geschichtswerk, das Königsbuch , erzählt Hallfreds Bekehrung. Diese Darstellung freilich übertrifft noch die unserer Saga. Schlag auf Schlag folgen dort die Ereignisse, die zur engen Verbindung von König und Skalde führen. Noch sicherer ist dort Hallfred in seinem Auftreten . Noch scharfäugiger erscheint der König, der sofort in jenem den rechten Mann für sich wittert. Die natürliche Bestimmung beider für einander Mit dort gleich am Anfang ihrer Bekanntschaft klar hervor. Hier paßt das Urteil eines großen isländischen Forschers: "Die Hallfredssaga ist gewiß eine



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schmucke Saga, aber diese wenigen Worte der Heims sind Gold gegen ihr Erz."

Snorri Sturluson hat Hallfred in seinem Königsbuch wie in seiner Edda ein Denkmal gesetzt. Der Geschichtsschreiber wie der Skalde in ihm haben die Lieder des Königsflalden gewertet. Ihre historische Zuverlässigkeit hat Snorri bei der Darstellung der Geschichte Olaf Tryggvasons hervorgehoben. Ihre Bedeutung als Skaldenwerke hat er in der Edda gewürdigt. Hallfreds Gedichte erregten wegen der Einfachheit ihrer Sprache und der Schönheit ihrer dichterischen Bilder die Bewunderung des alten Island.

Schon in dem ersten Preislied auf König Olaf hatte Hallfred seiner verehrung für den Herrscher Ausdruck gegeben. Es stellte die Taten des Königs dar vor seiner Thronbesteigung. Das Gemälde seiner Wikingerzüge umspannt dort ein weites Gebiet. Es reicht von Skandinavien bis Deutschland. Es erstreckt sich von Rußland bis den britischen Inseln.

Mächtiger ist der Eindruck des Totenliedes. Es erzählt von des Königs letzten Stunden, von seinem Fall in der Seeschlacht von Svoldr an der pommerschen Küste. Der Eingang schilde Olafs beherrschenden Einfluß auf seine Mannen. Die Mitte füllen prächtige Bilder aus jenem Kampfe. In ihnen ragt der Streit um das mächtige Flaggschiff des Königs, "die große Schlange", hervor. Stimmungsvoll malt der Kehrvers die verzweiflung ganz Norwegens beim Tode des einen Mannes.

Der Schluß des Gedichtes zeigt Hallfred in seinem persönlichen verhältnis zum König. Er sammelt und sichtet, alle widersprechenden Gerüchte über das Ende des Herrschers. Er klagt, daß er ihm in der entscheidenden Todesstunde nicht zur Seite stehen durfte. Keiner empfindet wie er den Verlust dieses Helden. Er rufi sich die stolzeste Stunde seines Lebens ins Gedächtnis zurück, da König Olaf sein Pate wurde.

Mein König" ist der Grundakkord des Totenliedes. "Mein Skalde" — so spricht am Schluß der Hallfredssaga der selige König Olaf vom Dichter. Dessen Liebe und Sorge begleitet Hallfred übet den Tod hinaus. Er läßt dem Abt der Insel, wo



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seines Skalden Gebeine gelandet sind, keine Ruhe, bis dieser ein ehrenvolles Begräbnis gefunden hat. In dem persönlichen Verhältnis zwischen König und Skalde findet das Kulturbild der Hallfredssaga seinen reinsten Ausdruck. Hierin ergänzt diese Geschichte am meisten die vom Skalden Egil.

In Hallfred ist das typische Bild des Könlgsfkalden geprägt, das nun Jahrhunderte hindurch bleibt. Zweimal wiederholt es sich im elften Jahrhundert noch in besonders anziehender Weise. König Olaf der Heilige und sein Bruder Harald der Harte hatten wie einst Harald Haarschön eine reiche Skaldenschar an ihrem Hofe. Beide hatten auch ihre Lieblingsfkalden. Wie Hallfred zu Olaf Tryggvason so standen Sighvat zu König Olaf dem Heiligen und Thjodolf zu Harald dem Harten. Dieses Vertrauensverhältnis großer Isländer zu den Nachfolgern Harald Haarschöns zeigt die Kulturmacht des Skaldentums besonders eindrucksvoll.

Noch im dreizehnten Jahrhundert ist das Königsflkldentum nicht verschwunden. Snorri Sturluson und seine beiden Neffen waren erste Kenner der alten Skaldendichtung. Sie waren noch in jener späten Zeit bewußte Königsskalden. Von Snorris jüngerem Neffen, dem genialen Sturla Thordarson, haben wir gegen das Ende des isländischen Freistaates prächtige Lieder. Sie feiern im edelsten Skaldenstil das Leben und die Taten König Hakons des Alten. Diese Gedichte waren der Schwanensang des Königsskaldentums im Norden.


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