Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Die Geschichte von den Leuten aus dem Lachswassertal


Mit zwei Beilagen Übertragen von Rudolf meißner

verlegt bei Lugen Diederichs in Jena 1913


Einleitung

Die Geschichte von den Leuten aus dem Lachswassertal hat, abgesehen von einzelnen Episoden, einen beschränkten Schauplatz, umspannt aber dafür einen großen Zeitraum. Mit der Besiedelung des Hvammsfjord, der vom Breidifjord nach Osten sich ins Land hineinzieht, beginnt die Saga, in den Tälern , die von Norden, Westen, Süden ber in den innersten Teil des Fjords auslaufen, im ,Tälerbezirk' spielt der Hauptteil der Saga ab, und in dem unweit der Mündung des Hvammsfjord gelegenen Helgafell nehmen wir Abschied von den Menschen, deren Schicksale uns hier erzählt werden.

Es sind die Schicksale von acht Geschlechtern, natürlich nicht mit gleicher Ausführlichkeit geschildert; die Folge der Geschlechter ist bezeichnet durch: Keul Flachnase, dessen Tochter Umi, deren Sohn Thorstein den Roten, dessen Sohn Olaf Feilan, dessen Neffen Höskuld, dessen Sohn Olaf Pfau, dessen Sohn Kjartan und Neffen Bolli und schließlich durch Bollis Sohn Bolli.

Am Beginn der Saga steht wie so oft die gewaltige Gestalt des Königs Harald Schönhaar, der den Trotz der norwegischen Häuptlinge zerbricht oder sie aus dem Lande treibt (872 bis ungefähr 903), am Schluß König Olaf der Heilige, gefallen in der Schlacht bei Stiklestad 1030, der das störrische Volk endgültig dem Christentum unterwirft. Auch die in der Zwischenzeit in Norwegen herrschenden Fürsten treten mit Ausnahme von Eirik Blutart und der beiden Jarke Eirik und Svein, die Olaf dem Heiligen vorangehen, in der Saga auf: Hakon, der jüngste Sohn des Harald Schönhaar, gefallen im Kampf gegen die Söhne Eiriks in der Schlacht von Fitje 96r Harald Graumantel , gefallen etwa 970 im Kampf gegen den Dänen Gold Harald; der Jarl Hakon, ermordet 99s p Olaf Tryggvason, gefallen in der Seeschlacht bei Svoldr im Jahre 10000

Die Saga beginnt um die Mitte des g. Jahrhunderts, das letzte, was sie erzählt, ist der Tod des Gellir, des Sohnes der Gudrun (1073).

Dieser Gellir ist der Großvater des Geschichtsschreibers Ari, der seine frühste Jugend bei ihm in Helgafell verlebte.



Thule-Bd. 06-002 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

Die Einleitung erzählt, wie das Geschlecht des mächtigen Hersen Ketil Flachnase aus Norwegen auswandert und in Island ,Land nimmt'. Unn (in andern Quellen Aud), die Stammmutter der mächtigsten Geschlechter am Breidifsord, gründet den Hof Hvamm, wo sie ihren Enkel Olaf Feilan zum Erben einsetzt und das in Besitz genommene Land verteilt.

Dann beginnt die eigentliche Saga von den Leuten im Lachswassertal. Die Hauptpersonen )ind Höskuld, sein Sohn Olaf Pfau, und dessen Sohn Kjartan. Dieser Teil endet mit der fur Kjartans Tod vollzogenen Rache, reicht also bis Kap. s6.

Höskuld ist ein Neffe des Olaf Feilan. ein Sohn des Roll und der Thorgerd, einer Schwester des Olaf. Bei der Hochzeit erhält Roll das ganze Lachswassertal als Mitgift (Kap. 5).

Sobald sich die Erzählung dem Höskuld zuwendet, tritt Hvamm mit seinen Bewohnern völlig zurück. Olaf Feilans Sohn war der mächtige und geschichtlich sehr bedeutsame Häuptling Thord Brüller: auf seinen Vorschlag wurde ungefähr 96s die Einteilung der Insel in Viertel und die damit zusammenhängende Thing- und Gerichtsordnung festgesetzt. Während er in andern Erzählungen eine wichtige Rolle spielt, steht er in der unsrigen ganz im Hintergrunde, aber doch als der erste Mann im ganzen Bezirk, dessen Wille entscheidend ist; vgl. Kap. i6.

Höskuld haust auf dem noch jetzt bestehenden Hofe Höskuldsstadir am südlichen Ufer des Lachswassers. Seine Mutter Thorgerd verläßt Island nach dem Tode ihres Mannes, verheiratet sich in Norwegen mit Herjolf, wird bald zum zweiten Male Witwe und kehrt wieder nach Island zurück; ihr und Herjolfs Sohn Hrut wird in Norwegen erzogen. Weiter erzählt die Saga von Höskulds verheiratung mit der stolzen Jorunn, und von den Kindern, die der Ehe entsprießen. von diesen ist der älteste Sohn Thorleik für die Saga wichtig, als Vater des Bolli.

Höskuld bringt von einer Auslandsreise eine stumme Sklavin als Nebenbau mit, die er auf dem großen Markt an der Mündung des Götaelf gekauft hat. In Island gebiert sie einen Sohn, der den Namen Olaf erhält. Höskuld belauscht eines Tages Mutter und Kind und macht dabei die Entdeckung, daß



Thule-Bd. 06-003 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

die Mutter nur aus Stolz ihre Stummheit angenommen hat. Er erfährt nun, das die Sklavin die Tochter des irischen Königs Myrkjartan ist und Melkorka heißt. Mit 15 Jahren ist sie in Kriegsgefangenschaft geraten. Das Verhältnis zwischen den beiden Frauen wird allmählich unerträglich, Mielkorka bekommt einen eigenen Hof im Lachswassertal, dort wächst Olaf auf (Kap. 13 )-

Hrut, Höskulds Halbbruder, kehrt nach Island zurück und erhebt Anspruch auf den ihm vorenthaltenen Anteil am mütterlichen Erbe. Der Zwist zwischen beiden Brüdern wird schließlich auf Jorunns Rat beigelegt, und Hrut richtet sich seinen Hof in Hrutsstadir ein. Dieser Hof lag südlich von Kambsnes an der Ostküste des Hvammsfjord. Die Reste des von Hrut errichteten Tempels, die schon der Sagaschreiber Interesse hatte (Kap. 19), sind noch zu sehen.

von Kapitel 20 ab wird Olaf Pfau, der Sohn des Höskuld und der Melkorka, Hauptperson der Saga. —Das verhältnis zwischen Höskuld und Melkorka ist schlechter geworden, sie verheiratet sich mit Thorbjörn Skrjup, der Olaf die Mittel für eine Auslandsreise gibt. Olaf gebt zunächst nach Norwegen, wo er ehrenvolle Aufnahme bei Harald und der Königinmutter Gunnhild findet. Dann segelt er nach Irland und wird dort von König Myr kjartan als Enkel anerkannt. Das Anerbieten des Königs, sein Nachfolger zu werden, lehnt er ab, und kehrt nach Island zurück. Auf den Rat Höskulds wirbt er um Thorgerd, die Tochter Egils, die zuerst den Magdssohn stolz zurückweist; dann aber doch von ihm gewonnen wird. Olaf baut den Hof Hjardarholt, auf der Nordseite des Lachswassertals gegenüber dem auf dem südlichen Ufer liegenden Hof seines vaters. Hjardarholt ist jetzt ein Pfarrhof.

Olafs Tüchtigkeit Reichtum, ,seine Verbindung mit der mächtigen Familie des Egil, erheben ihn zum Arger der Jorunn weit über die ehelichen Söhne des Höskuld, von denen ihm Thorleik, der den Hof Kambsnes (etwas nördlich von Hrutstadir ) übernommen hat; feindlich gesinnt ist, während der zweite Sohn Bard Freundschaft mit ihm hält. Das zeigt sich beim Tode Höskulds (Kap. 26). Thorleik weigert sich dem



Thule-Bd. 06-004 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

sterbenden Vater gegenüber, Olaf, den unehelich Geborenen, als gleichberechtigten Erben anzuerkennen, während Bard dazu bereit ist. Nach dem Erbmahl gewinnt aber Olaf seinen Halbbruder Thorleik dadurch, daß er dessen Sohn Bolli zur Erziehung übernimmt, — ein verhängnisvoller Entschluß.

von Kap. 28 ab geht die Saga zum nächsten Geschlecht über. Zunächst wird von Thurid. der Tochter Olafs, erzählt, von ihrer kurzen, unglücklichen Ehe mit dem Norweger Geirmund, den Olaf von einer zweiten Reise mitgebracht bat. Geirmund verläßt sie, Thurid raubt ihm sein Schwert Fußbeißer, über das er einen Fluch ausspricht. Dieses Schwert schenkt Thurid ihrem Vetter und Ziehbruder Bolli.

Im Kap. 32 wird die Familie des Osvifr auf Laugar im Sälingstal vorgestellt. Auch Osvifr stammt von Ketil Flachnase ab. Das Sälingstal öffnet sich nach dem innersten nordöstlichen Zipfel des Hvammsfjord, am Ausgang des Tales liegt Sälingsdalstunga (auch nur Tunga genannt). Laugar, so genannt nach einer warmen, zum Baden benutzten Ouelle, liegt etwas aufwärts im Tal. Auf Sälingsdalvtunga sitzt der Bauer Thorarin, der Sohn des Thorir.

Unter den Kindern des Osvifr ist es die Tochter Gudrun, die jetzt in den vordergrund tritt. Der auch aus andern Erzählungen wohlbekannte Gest, der Sohn des Öddleif deutet ihr an der warmen Ouelle ihre Träume auf vier Ehen, in denen sich das Geschick ihres Lebens erfüllen soll. Die beiden ersten Eben werden in Kap. 34 und 3s behandelt, die erste endet durch Scheidung, die zweite damit, daß ihr Gatte ertrinkt.

Nachdem Gudrun wieder Witwe geworden und auf den Hof ihres Vaters zurückgekehrt ist, beginnt ihre Bekanntschaft mit Kjartan, dem Sohne des Olaf Pfau, und Bolli, Kjartans Ziehbruder (Kap. 39). Kjartan und Gudrun lieben sich, aber es kommt nicht zur Verlobung, denn Kjartan entschließt sich zu einer Reise nach Norwegen. Beim Abschied gibt Gudrun ihre leidenschaftliche Liebe zu erkennen, indem sie Kjartan bittet, sie mitzunehmen. Stolz und unwillig weist dann Gudrun Kjartans verlangen, daß sie drei Jahre auf ihn warten möge, zurück.



Thule-Bd. 06-005 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

Kjartan tritt seine Reise auf dem Schiffe des Kalf an, der aus einer angesehenen Familie des Nordviertels stammt. Bolli begleitet ibn. Der folgende Abschnitt über ihre Erlebnisse in Norwegen findet sich auch in andern Quellen. Kjartan trifft in Trondhjem mit König Olaf Tryggvason zusammen, leistet zunächst dem Drängen des Königs, der die Isländer durch Überredung und Drohung zum Christentum zu bekehren sucht, Widerstand. wird aber schließlich durch den Eindruck, den der König auf ihn macht; überwältigt und läßt sich taufen. Kjartan wird dann über die Zeit, die er Gudrun angegeben hatte, durch den König in Norwegen zurückgehalten, aber Bolli kehrt heim und wirbt, obgleich Olaf Pfau abrät, obgleich Gudrun ihm erklärt, daß sie auf Kjartan warte (Kap. 42), um die Geliebte seines Freundes. Gudrun, von ihrem Vater und ihren Brüdern gedrängt, an der Treue des Geliebten zweifelnd, da Bolli ihr ven Kjartans Neigung zu Ingeborg, der Schwester des norwegischen Königs, erzählt, gibt schließlich nach.

Als Kjartan im Sammer darauf mit Kalf in der Hvita im Borgarfjord landet, hört er, daß Gudrun seit dem Winteranfang des vergangenen Jahres mit Bolli vermählt ist. Kjartan läßt sich bewegen, Hrefna, die Schwester seines Reisegefährten Kalf, zur Frau zu nehmen, und nun hofft Olaf Pfau, daß es möglich sein werde; ein erträgliches verhältnis zwischen den Höfen Hjardarholt und Laugar zu wahren. Er hält deshalb an den gewohnten gegenseitigen Besuchen und Einladungen fest. Aber grade dadurch führt er herbei, was er fernhalten will. Kjartan erwidert die Feindseligkeiten Gudruns und ihrer Brüder durch eine grobe verhöhnung (Kap-47) und nötigt Thorarin auf Sälingsdalstunga, der seinen Hof an Bolli verkauft hat, diesen Handel rückgängig zu machen. Gudrun reizt nun ihre Brüder auf, Kjartan zu überfallen, und zwingt auch Bolli, an dem Zuge teilzunehmen. Im ,Schweineial', nicht weit von Sälingsdalstunga, wird Kjartan angegriffen und von Bolli mit dem Schwert Fußbeißer getötet (Kap. 49). Das geschah nach den ältesten isländischen Annalen im Jahre iao3, und wenn der Tag, Donnerstag nach Ostern, in der Saga richtig angegeben ist, am 1. April. —



Thule-Bd. 06-006 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

Olaf Pfau verhindert, daß Rache an Bolli genommen wird, nur eine Geldbuße muss er erlegen. Ja, Olaf gebt noch weiter, er sorgt dafür, das Bolli und Gudrun nun doch den Hof Sälingsdalstunga erhalten. Die Söhne des Osvifr werden des Landes verwiesen. Olaf Pfau überlebt den Tod seines Lieblingssohnes noch um drei Jahre. —

Nach Olafs Tode reist seine Witwe Thorgerd ihre Söhne auf, an Bolli Rache zu nehmen. Bolli wird in einer Sennhütte des Sälingsials überfallen und getötet (Kap. 55).

Von nun an wendet sich die Saga durchaus der Gudrun zu; neben ihr tritt als ihr Freund, Ratgeber und Beschützer Snorri der Gode, die Hauptgestalt der Eyrbyggjasaga, bedeutsam hervor Die Leute des Lachswassertals. die Bruder Kjartans. und jetzt Nebenfiguren und werden nur noch erwähnt, soweit es die Beziehung zu Gudrun, ihren Söhnen und ihrem vierten Gatten erfordert.

Auf Gudruns Bitte tauscht Snorri mit ihr den Wohnsitz, Gudrun zieht nach Helgafell, Snorri nach Sälingsdalsiunga. Aus der Ehe Gudruns mit Bolli stammen zwei Söhne, Thorleik und der nachgeborene und deshalb nach dem Vater genannte Bolli. Thorleik wird aufgezogen von Thorgils, dem Sohne der Halla, der Tochter des weisen Gest, der Gudruns Träume gedeutet hat. Thorgils ist der Urenkel der Thorhild, einer Schwester des Olaf Feilan. Er wohnt auf Tunga im Hördatal (an der Südseite des Hvammsfjord). Zwischen ihm und Snorri besteht Feindschaft.

Thorgils bemüht sich eisig, Gudruns Gunst zu erringen, aber sie hält ihn in Abstand. Unterdessen hat Snorri einen tiefangelegten Plan ersonnen, in dem er verschiedene Ziele verbindet. Erstens will er seinem Freunde Thorkel, dem Sohne des Eyjolf, die Hand der Gudrun verschaffen, zweitens der Rachsucht Gudruns, die, wie er weiß, an nichts anderes denkt als an den ungefühnten Tod ihres Gatten, eine ungefährliche Richtung geben, und drittens will Snorri dem Thorgils einen bösen Streich spielen. Er überredet Gudrun, sich mit der Rache an Helgi, dem Sohne des Hardbein, zu begnügen . Helgi hatte ohne persönliche Ursache an dem Zuge



Thule-Bd. 06-007 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

gegen Bolli teilgenommen, diesem die erste schwere Wunde versetzt und nach dem Falle Bollis Gudrun auf das grausamste verhöhnt. — Thorgils soll durch ein zweideutiges Eheversprechen, das in Wirklichkeit Gudrun nicht bindet, veranlaßt werden, die Führung des Rachezuges neben den beiden Söhnen der Gudrun zu übernehmen. Wenn dann Thorgils betrogen ist, soll Thorkel, Eyjolfs Sohn, hervortreten und Gudruns Hand erhalten.

Alles geht dem verschlagenen Snorri nach Wunsch. Thorgils läßt sich durch die plumpe List fangen, der Rachezug gelingt, Helgi wird in seiner Sennhütte im Skorratal überrascht und nach tapferer Gegenwehr gefällt. Bolli, Bollis Sohn, versetzt ihm mit dem Schweri Fußbeißer die Todeswunde (Kap. 64). Thorgils erfährt aus Gudruns Mund, daß er betrogen ist, kommt aber nicht dazu, sich zu rächen, da er bald darauf auf dem Allthing erschlagen wird.

Nun beginnt der letzte Teil der Saga: er berichtet von den Ereignissen während der vierten Ehe Gudruns, einer Ehe, die am Hochzeitstage beinahe schon wieder in Stücke geht (Kap. 69). Die nun völlig erwachsenen Söhne Boallis wollen sich an dem Tode Helgis nicht genügen lassen, sondern planen einen Rachezug gegen Hjardarholt. Sie werden durch Snorri daran verhindert, der eine endgültige Sühne zwischen Bollis Söhnen und den Brüdern Kjartans zustande bringt (Kap. 7i). Thorkel reist mit seinem und Gudruns Sohn Gellir nach Norwegen, um sich Hols zum Kirchenbau zu besorgen. Nach seiner Rückkehr ertrinkt er aug einer Fahrt vom innern Hvammsfjord nach Helgafell. Damit sind alle Träume Gudruns in Erfüllung gegangen, so wie sie Gest gedeutet hatte (Kap. 76). — Der Schluß der Saga schildert Gudruns Alter und Tod.

Das ist der wesentliche Inhalt der Saga, der klare verlauf der Haupthandlung. Aber dem Stamme entsprießen Aste und Gezweig, eine grünende Fülle von Nebenhandlungen und Episoden, die hier übergangen sind.

Das allgemeine Urteil über die Saga lautet: gute Komposition , ganz ausgezeichnete Charakterschilderung, Unzuverlässigkeit in historischen Dingen.



Thule-Bd. 06-008 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

In früheren Zeiten, als man in treuherziger Weise jeden kleinen Einzelzug, jedes von den Personen der Saga gesprochene Wort für buchstäblich wahr ansah, war der vorwurf historischer Unzuverlässigkeit ein größerer Makel als heutzutage, wo die Gefahr des entgegengesetzten Extrems bedrohlich wird. Vom künstlerischen Standpunkt aus wäre es an sich ja völlig gleichgültig, wie weit die Saga geschichtlich ist, aber unsere Auffassung von dem Entstehen und Werden dieser einzigartigen Erzählungen hängt zum großen Teil von der Beantwortung dieser Frage ab.

Die Hauptgestalten unsrer Saga sind ohne Zweifel geschichtliche Personen, ihre verwandtschaftliche verknüpfung beruht auf einer im ganzen zuverlässigen Überlieferung.

Die Genealogie ist der sichere Halt der isländischen Geschichte- die ja wesentlich Familien- und Gaugeschichte ist. Man hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die sorgfältige Feststellung der verwandtschaftsverhältnisse eine große rechtliche Bedeutung hatte, z. B. für die Versorgungspflichten und die von der Kirche eingeführten Ehehindernisse. An dem allgemeinen genealogischen Interesse nimmt natürlich auch der Sagaerzähler teil, aber sein Ziel liegt auf einem anderen Gebiete. Widersprüche gegen diejenige genealogische Überlieferung, die uns als verhältnismäßig zuverlässig gilt, kommen daher in vielen Erzählungen vor, sie setzen die subjektive Geschichtlichkeit einer Saga nicht herab.

Das gleiche gilt von der Chronologie. Die genaue chronologische Ordnung des geschichtlichen Stoffes kommt erst durch fremden Einfluß und nach fremdem Vorbilde zustande, sie ist etwas Gelehrtes und der älteren volkstümlichen Überlieferung fremd. Verstöße gegen die Chronologie, die auf Sorglosigkeit beruhen, die durch ein naives Forterzählen bedingt werden, sind durchaus unbedenklich. 1 Man darf es z. B. als eine unbewußte Entstellung der Tatsachen ansehen, wenn gelegentlich einmal eine bekannte; bedeutende Persönlichkeit, die zu der bestimmten



Thule-Bd. 06-009 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

Zeit nicht mehr gelebt haben kann, in die Handlung eingeführt wird, vielleicht an Stelle eines ursprünglich hier erwähnten, weniger bekannten Mannes (so steht es in unserer Saga mit dem Goden Hallstein im 34. Kap.). Etwas ähnliches ist es, wenn Kap. s6 Snorris Übersiedlung nach Tunga mit wohlbekannten Händeln begründet wird, die damals schon längst abgeschlossen waren.

Das Erzählen ist in Island zu einer Kunst ausgebildet, nicht erst in den Zeiten der Schrift. Diese Kunst muß den ihr überlieferten Stoss formen, nach ihren eigenen Gesetzen. Sie muß unter Uniständen blühende Schilderung an Stelle einer dürren Nachricht setzen, sie muß eine einheitliche Handlung schaffen durch Motivierung, wo ihr nur eine Reibe von aufeinander folgenden Tatsachen vorliegt, sie muß lebendige Menschen darstellen durch Charakterzeichnung. Dabei macht aber die Saga stets den Anspruch, die Wahrheit su erzählen, und es ist bei den isländischen verhältnissen ganz unmöglich, daß sie sich in phantastischer Weise mit der Wahrheit in Widerspruch setzt, die in der reichen Überlieferung lebt, dem geistigen Besitztum der großen Familien und der ihnen zugehörenden abhängigen Leute. Aber durch allmähliche, in einmal festgelegter Richtung immer stärker wirkende Umformung kann sich die Saga mit der Zeit sehr erheblich von der geschichtlichen Wahrheit entfernen und von sich aus wieder auf die Seie Überlieferung entscheidenden Einfluß gewinnen.

von Anfang an muß die Saga die Wirklichkeit mit einer Fülle von Einzelheiten aufgenommen und festgehalten haben, besonders in verknüpfung mit dem Ort, an dem das Ereignis vor sich gebt. Die natürliche Annahme ist es, daß sich die Überfälle auf Kjartan und Bolli genau so zugetragen haben, wie die Saga berichtet, nicht, daß ein späterer Erzähler oder gar der Sagaschreiber' nach der Örtlichkeit die Darstellung geschaffen hat. Solange die Saga sich in der bekannten Gegend bewegt, wo ge durch Generationen hindurch ihr Leben führt, dürfen wir ihr auch in Einzelheiten großes vertrauen schenken. Gewisse Dinge scheiden natürlich ohne weiteres aus, vor allem die Züge. die offensichtlich dazu dienen, die Erzählung auszubreiten



Thule-Bd. 06-010 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

z. B. die gerade in unserer Saga häufigen Schilderungen der Brautwerbungen und Feste. Ein gutes Beispiel einer solchen öden Ausbreitung ist die Schilderung der Werbung und Hochzeit des jüngeren Bolli (Kap. 70).

Anders ist es, wenn die Saga den isländischen Schauplatz verläßt. Wir fühlen sofort, daß hier der Phantasie des Erzählers mehr Freiheit gelassen ist. Höskuld, Olaf Pfau, Kjartan, Thorkel, Eyjolfs Sohn, Thorleik und Bolli, Bollis Söhne. reisen nach Norwegen und treten in Beziehungen zu den norwegischen Herrschern. Stets geraten diese in Verzückung über die unbändige Vortrefflichkeit dieser Isländer, machen den versuch, sie bei zu behalten und beschenken sie verschwenderisch beim Abschied. Ganz besonders kraß tritt das beim jüngeren Bolli hervor, der im Auslande wirklich etwas an den braven Schelmuffsky erinnert.

Doch auch abgesehen von diesen zum Teil naiven, sich allzu ähnlichen Schilderungen finden sich gerade bei diesen Auslandreisen schwerwiegende Widersprüche gegen die beste Überlieferung. Höskulds Verhältnis zu König Hakon dem Guten ist zeitlich kaum denkbar; was von Hrut erzählt wird, stimmt nicht zum Bericht der Njalssaga, der zwar ebenfalls ausgeschmückt ist, aber in den Grundzügen mehr Anspruch auf Glaubwürdigkeit bat. Das Liebesverhältnis Hruts zur Königin Gunnhild wird übrigens in unserer Saga zwar nicht erwähnt, aber das Benehmen Gunnhilds beim Abschiede Hruis weist doch deutlich darauf hin (Kap. 19). Die Reise des Thorkel und des Gellir nach Norwegen (Kap. 74) ist unvereinbar mit sonst bekannten Tatsachen und wohl ganz und gar erfunden.

Daß Kjartan in Nidaros von Olaf Tryggvason zum Christentum bekehrt wird, ist gewiß historisch, daß er aber durch den König 1o lange in Norwegen zurückgehalten wird, ist unmöglich , und das Verhältnis Kjartans zu Ingeborg 1 ist ganz offenbar ersonnen, um Gudruns Nachgiebigkeit gegenüber Bollig Werbung zu begründen und den verhängnisvollen Kopfschnmck in die Erzählung einzuführen. Der Aufenthalt des 1 vgl., was in der Nialssaga (Sap. 31) von Gunnars verhältnis zur verwandten des Jarl Haran erzählt wird.



Thule-Bd. 06-011 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

Olaf Pfau bei Harald Graumantel und Gunnhild, seine Fahrt nach Irland, seine Anerkennung durch Myrkjartan, den irischen König, ist in einer Weise erzählt, die sich sehr wesentlich ven der Darstellung der in Island spielenden Ereignisse unterscheidet . Es ist kein übertriebenes Mißtrauen, wenn man die ganze Geschichte der Melkorka in das Gebiet der Erfindung verweist. Ganz natürlich erscheint es, daß man in der Nachkommenschaft des Olaf Pfau das Bedürfnis empfunden har, durch eine in jenen Zeiten wohl mögliche Geschichte die irische Sklavin Melkorka über die stolzen isländischen Bondentöchter zu erhöhen. Wir sehen ja in unserer Erzählung deutlich, wie Familienüberlieferung dem jüngeren Bolli eine Mitwirkung, vielmehr eine Hauptrolle bei dem Rachezug gegen Helgi zuweist , die ihm nicht zusteht, und wie dadurch die chronologische Ordnung im letzten Teil der Saga völlig zerstört Mrd. Bolli wird erst nach dem Tode seines vaters geboren. Nach der Saga wartet Gudrun mit ihrer Rache, bis Bolli nach isländischem Recht mündig, das heißt zwölf Jahre alt geworden ist. Nach dem gelungenen Rachezug erst vermählt sie sich mit Thorkel. In Wirklichkeit aber muß diese vermählung bald nach dem Tode des älteren Bolli stattgefunden haben, da Thorkels und Gudruns Sohn im Jahr 1073 im Alter von 6s Jahren stirbt. Trotzdem gibt die Saga im Kap. 76 das richtige Todesjahr des Thorkel an (1026), obgleich nach der übrigen Chronologie der Saga Thorkels und Gudruns Sohn Gellir dann den König Olaf den Heiligen im zartesten Kindesalter besucht haben müßte.

Die isländische Saga steht einzig da durch die Fülle der aus dem Leben gegriffenen Gestalten, und besonders unsere Saga nimmt in dieser Beziehung einen hoben Rang ein. Die Saga wird dramatisch, indem aus den Charakteren die eigentliche Handlung entwickelt wird. Auch hier muss man wischen zwei Auffassungen einen Mittelweg zu finden versuchen.

Weder ist hier alles Kunst; noch alles Abbild der Wirklichkeit. Eine feste Grenze zwischen Saga und der die Wirklichkeit aufnehmenden Überlieferung ist überhaupt nicht zu ziehen. Die eigentümliche Schärfe der Auffassung von menschlichen Charakteren,



Thule-Bd. 06-012 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

diese Klaräugigkeit muss in der einen wie in der andern dagewesen sein. Daß eine Gestalt wie Snorri nach dem Leben gezeichnet ist, beweist die Übereinstimmung der Erzählungen , in denen er auftritt.

In der Kritik der Saga spielt das ,Typische', wie mir scheint, eine gefährliche Rolle. dem ,Krieg der Geschlechter' z. B, müssen sich gewisse Erscheinungen immer wiederholen, so lange er währt. Daß ein liebendes Weib in ihrer Hoffnung auf den Besitz des Geliebten betrogen, dessen Untergang herbeiführt; ist sozusagen ein Urphänomen. Wenn Gudrun auf diese Weise einige Ähnlichkeit mit Brynhild hat, so ist damit nicht bewiesen, daß ihre und Kjartans Geschichte nach den Eddagedichten umgebildet ist.

Daß die Saga künstlerische Porträts gibt, d. b. Züge der Wirklichkeit auswählt, andere unterdrückt. damit das Bild einer einheitlichen Auffassung entspreche, ist selbstverständlich. Aber Gestalten wie Gudrun oder Hallgerd sind aus der Be- obachmng isländischen Lebens entstanden, und wenn sie mit Frauen eingewanderter Dichtung oder mit der irischen Königin Gormflaith Verwandtschaft zeigen, so ist das ein Zufall, und kein verwunderlicher.

Die Gestalten der isländischen Saga find Krieger und Bauern, Helden und Alltagsmenschen zugleich; sie haben stolze Heldengedanken. ein hochgespanmes Ehrgefühl, einen freien Geist, der sie zu Gefährten der Könige macht, und daneben zeigen sie oft eine enge, an die Scholle, an den Besitz sich klammernde Gesinnung, niedere Bauernverschlagenheit. Sie stolzieren in Scharlachkleidern, unter vergoldeten Helmen, eine gute Waffe ist ein hochgeschätztes Kleinod, und der Speer, die 'Uri, das Schwert sind allzeit bereit, Blut zu trinken; für gewöhnlich aber führen die Männer das Leben des Großbauern im Werktagskleide, der überall mit zugreifen kann, und jedenfalls in der Arbeit geübt ist, die der Knecht ausführt. Trotz aller kühnen Seefahrten, trotz der wilden Händel, der Menschenglück und Menschenleben vernichtenden Zusammenstöße sind es doch im Grunde Bauerngeschichten, die wir vor uns haben. Das gerade ist hier das Ergreifende, daß unmittelbar aus der ge



Thule-Bd. 06-013 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

meinen Alltäglichkeit gewaltige Menschengröße, ungeheures Schicksal aufsteigt.

Das Leben des Bauern ist ewig einförmig wie die Natur, von der er abhängt. Nicht bloß die Ereignisse, die Händel und Kämpfe, alle die mit der Bewahrung und Vermehrung des Besitzes zusammenhängenden Dinge müssen sich immer und ewig wiederholen, sondern auch die durch ein solches Leben in der Geschlechterfolge gebildeten Charaktere. Das gilt ganz besonders für die einsame, durch das Weltmeer von aller Nachbarschaft getrennte Insel. Auch die moderne Bauernerzählung arbeitet wesentlich mit feststehenden Typen. Sie kann nicht anders verfahren, wenn sie das Leben nachbilden will. Man darf daher das auf derartige ,typische Erscheinungen' gegründete Mißtrauen gegen die Wahrhaftigkeit der isländischen Saga nicht übertreiben.

So wie die Saga von den Leuten aus dem Lachswassertal hier vorliegt, ist sie im 13. Jahrhundert niedergeschrieben; es werden Personen erwähnt, die in den ersten Jahrzehnten des 13 Jahrhunderts gestorben sind. Damit ist nicht gesagt, daß es die erste Niederschrift ist. Überhaupt muß man den vorliegenden Tert als das Endergebnis einer langen Entwicklung ansehen. Es ist wahrscheinlich, daß für die Einleitung und andere Stellen eine ältere Fassung der Landnama (des Buches von der Besiedlung Islands) zugrunde gelegt ist, die der Benutzer für eine Schrift des Ari angesehen hat. Ferner geht der Bericht über den Aufenthalt Kjartans in Norwegen und die Bekehrung der Isländer auf eine schriftliche Ouelle zurück. Hier muß man also von einer schriftstellerischen Tätigkeit sprechen. Neben dem Rückweis ,wie früher gesagt ist' findet sich öfters die Wendung ,wie füher geschrieben ist'. Doch das betrifft nur Nebendinge.

Die Frage, ob der Kern der Saga, die geschlossene, wohlgeordnete Haupterzählung erst im Zeitalter der Schrift zustande gekommen kann, wenn überhaupt, nur im großen Zusammenhange der gesamten Sagaliteratur beantwortet werden. Es ist sicher, daß man schon vorher die besondere Kunst der Sagaerzähler bewunderte, große Stoffmassen gedächtnismäßig



Thule-Bd. 06-014 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

und geistig zu beherrschen. Etwas völlig Neues ist durch die Anwendung der Schrift nicht entstanden, aber die Schrift begünstigte das schon vorher lebendige Streben des Zusammenfassens und Ausbreitens und gestattete das Einschieben von längeren und kürzeren Episoden in weit höherem Maße, als ev vorher möglich war.

Das konnte in mehr oder minder geschickter Weile geschehen: es entstanden Ungleichheiten, Widersprüche, es blieben verräterische Nähte stehen, wo eine verbindung hätte hergestellt werden müssen u. ä. So ist auch in unserer Saga nicht der überlieferte Stoff durch einen künstlerischen Willen geformt, sie ist nicht ein Werk aus einem Guß, sondern etwas allmählich Zusammengewachsenes , ein Bau. an dem tüchtige Meister im Geist der alten Kunst, aber auch Handwerker in gröberer und geistloser Weise weitergearbeitet haben. Manche Züge in Beschreibungen deuten auf jüngere Zeiten. in der Sprache ;. B. das fanzösische Modewort cortois ,basisch', das uns hier wie in andern Erzählungen öfters begegnet.

Ein Stümper war v ;r allem der Mann, der den letzten Teil der Saga zu einer Aristie des jüngeren Bolli umgestaltete. Er hat dadurch nicht bloß die Chronologie in Unordnung gebracht, was man wohl verschmerzen könnte, sondern auch die künstlerische Wirkung der ganzen Saga außerordentlich herabgemindert . Der mit so überschwänglichem Lobe bedachte Bolli bleibt doch, verglichen selbst mit Kjartan, eine ganz schattenhafte Gestalt, die uns völlig gleichgültig läßt. Unerträglich fast ist hier die leere Geschwätzigkeit, mit der die typischen Gegenstände der Erzählung, Werbung, Hochzeitsfest, Ausreise, Aufnahme beim norwegischen Könige, behandelt werden. Aufgeputzt in der fremdländischen Flitterpracht des Rittertums reitet Bolli durch die ernste isländische Berglandschaft, und auch im übrigen bat er eine unangenehme Ähnlichkeit mit den unwiderstehlichen, aber sonst mehr oder minder unausstehlichen, nüchternen und hirnlosen Helden des höfischen Romans.

Dem Wesen der alten Erzählerkunst entspricht es, daß durch die vorstellung der unverbrüchlichen vorausbestimmung eine Reihe von Ereignissen miteinander eng verbunden werden.



Thule-Bd. 06-015 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

Das Schicksal verkündet sich in Träumen und in den Gesichten besonders begabter Menschen, die zwar in die Zukunft schauen, aber das Kommende; aues wenn es sie selbst betrifft, nicht abwenden können. In unserer Saga ist es vor allem der Tod Kjartans, das Hauptereignis der Erzählung, auf das in dieser Weise hingedeutet wird: durch den Fluch des Geirmund (Kap. 30), Olafs Traum (31), seine schlimme Ahnung bei Kjartans Besuchen in Laugar (39), durch Gest am Lachswasser (33), König Olaf beim Abschiede Kjartans (43). Helgi sieht voraus, daß er durch den Sohn, den Gudrun im Schoße trägt, fallen soll (Kap. ss). König Olaf der Heilige ahnt, daß Thorkel keinen Nutzen von seinem Bauholz haben wird (Kap. 74). Thorstein weiß, daß Thorkel seinen Tod auf der Segelfahrt nach Helgafell finden wird und sucht sie um jeden Preis zu verhindern (Kap. 76). Der Hauptteil ist durch die Träume der Gudrun. die der weise Gest in der eindrucksvollen Szene an der warmen Ouelle (Kap. 33) auf ihre vier Ehen deutet; zusammengehalten. Der Anfang dieses Teils ist durch die Personenvorstellung in Kap. 32 deutlich bezeichnet; er kann gerade zu eine Saga von der Gudrun genannt werden. Der Unterredung an der warmen Ouelle entspricht genau das Gespräch Gudruns mit ihrem Lieblingssohne Bolli (Kap. 78), ein ergreifender Schluß. Gudrun antwortet auf die drängende Frage ihres Sohnes mit einem Reim, der auf Kjartan su beziehen ist. 1 Die Entwicklung des verhältnisses von Gudrun zu Kjartan bis zu dem tragischen Abschluß wird durch diese Schlußszene auch äußerlich als der Kern der Gudrun-Saga bezeichnet

Wie gerade über diesem Abschnitt aller Gland isländischer Erzählungskunst ausgebreitet ist, wie hier die Handlung in raschem Schritt vorwärts geht, alles einzelne sich zusammenfügt zu einheitlicher Wirkung, die Spannung mit jeder Szene stärker wird bis zur vernichtenden Entladung, wie gerade hier der Erzähler durch die Kraft der Anschauung sich als echten Künstler erweist; - dies alles und mehr wird man ahne weiteres auch in der Übersetzung erkennen. Nur auf eins möchte



Thule-Bd. 06-016 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

ich hier hinweisen: wie der Erzähler in feinem Gefühle bemüht ist, Bollis Verhalten gegen den von ihm einst so geliebten Ziehbruder bis zu einem gewissen Grade begreiflich zu machen. Er läßt uns ahnen, daß während des Aufenthalts in Norwegen eine Entfremdung zwischen beiden eintritt. Bolli muß in jeder Beziehung hinter Kjartan zurückstehen, das zeigt sich beim Schwimmkampf und überhaupt im Verhältnis zum Könige. Bei der Szene in der Herberge der Isländer macht Kjartan eine verletzende Äußerung gegen Bolli. die andern müssen den Ausbruch eines Streits verhindern. Man beachte das kühle Gespräch der beiden bei der Abreise Boallis (Kap. 4i). Der Hinweis auf Ingeborg soll Kjartan zu irgendeinem Wort in bezug auf Gudrun, zu einem Gruß, Auftrag veranlassen. Aber Kjartan ist zu stolz dazu. Bolli beruft sich Gudrun gegenüber darauf, daß Kjartan bei dieser Gelegenheit geschwiegen hat. Nach isländischer Auffassung ist die Verlobung, die stets vor Zeugen stattfindet, ein Rechtsgeschäft wie die Eheschließung. Kjartan und Gudrun sind für andere nicht verlobt, daher nehmen Kjartans Brüder keinen Anstand, Bolli bei seiner Werbung zu unterstützen und mit nach Lau gar zu reiten, während allerdings der feiner fühlende Olaf zurückbleibt. Bolli macht einen, freilich ungeschickten, Versuch, Kjartan zu versöhnen (Kap. 4s), an dem Diebstahl des Schwerts und des Kopfputzes ist er nicht beteiligt, Kjartans gegen ihn gerichtete Verhöhnungen läßt er sich gefallen, er widerspricht oder schweigt, wenn seine Leute gegen Kjartan Drohungen ausstoßen (Schluß des 47. Kap.). Widerwillig, nur gezwungen durch Gudrun, zieht er mit aus zum Überfall, die Osvifrsöhne mißtrauen ibm mit Recht, er greift erst in den Kampf ein, als er nicht anders kann. Schweigend versetzt er dem Freund die Todeswunde und bettet den Sterbenden auf seinem Schoß. Tief empfindet er der leidenschaftlich triumphierenden Frau gegenüber, daß er vergebens den Freund geopfert hat, um die Liebe der Gudrun su erringen.

Die Schilderung des Überfalls auf die Sennhütte Bollis steht auf gleicher Höbe der Erzählungskunst; durch die ahnenden Worte des Helgi ist schon hier Bollis nachgeborner Sohn als



Thule-Bd. 06-017 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

Rächer bestimmt die erwähnte veränderung der ursprünglichen Überlieferung also vorausgesetzt. 1 Eine ganz eigenartige Szene ist die Schilderung der im Busch rastenden Angreifer durch den Hirten des Helgi (Kap. 63). In der Njalssaga (Rap. 69) wird erzählt, wie ein Hirt die im Busch schlafenden Feinde des Gunnar nach ihren Waffen und Kleidern so beschreibt, daß Njal sie erkennt; aber der Hörer oder Leser erfährt hier nicht die Einzelheiten der Schilderung.

Kap. 32 bis s6 (Bollis Tod) ist ebenso ein Teil der durch die Träume eingeleiteten Gudrunsaga wie der mit Höskuld beginnenden Saga von den Bewohnern des Lachswassertals; durch dieses Übereinandergreifen sind beide fest verklammert. Auf den Höhepunkt der ganzen Erzählung, Kjartans Tod, hindeutend, ist die Geschichte von Olafs Tochter Thurid eingeschoben Die Ehe der Thurid mit dem Norweger Geirmund ist sonst nicht bekannt, und die Episode beruht gewiß auf Erfindung. Das Schweri Fußbeißer mit dem darauf lastenden Fluch soll in die Familie gebracht werden. Wie Geirmunds Fluch deutet auch der Traum Olafs voraus (Kap. zi). Da unmittelbar darauf (Kap. 33) Gudruns Träume erzählt werden, so ist hier etwas viel zusammengehäuft an dieser Grenze zweier Abschnitte. Seltsam ist auch die Einführung der Kinder Olafs: Thurid wird schon im Kap. 24 erwähnt, Kap. 28 werden dann Olafs Kinder ohne Thurid aufgezählt.

Die Saga von Höskuld und Olaf kann für uns nicht dasselbe Interesse haben wie der zweite Teil. Hier fehlen die großen, menschlich ergreifenden Schicksale. Indessen besteht dieser Teil nicht, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte, aug einer losen Folge von chronikartig angereihten Geschichten und Geschichtchen; das, worauf alles bezogen wird, ist das Aufsteigen



Thule-Bd. 06-018 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

des von einer Sklavin geborenen Olaf ;u Reichtum und Macht, seine Erhebung über die Brüder; der Höhepunkt ist die Erwerbung der Thorgerd, der Tochter eines der stolzesten Geschlechter; und der Bau des stattlichen Hofes Hjardarholt, die Begründung des Glückes, das im zweiten Teil der Saga zerbricht . Dieses Endziel wird aber auf allerlei Umwegen erreicht: so entsteht der Eindruck einzelner, zum Teil vortrefflich ausgemalter Bilder.

Die vorgeschichte des Hofes Hjardarholt gibt Veranlassung nr Erzählung von Hrapp (Kap. 10, 17, 24), Thorstein Surt und Thorkel Zipfel (Kap. 18). Die Geschichte des Totschlägers Thorolf, der zu Thord Goddi im Lachswassertal flieht und von dessen tapferer Frau Vigdis gegen Ingjald geschützt wird (Kap. ff-), führt dazu, daß Olaf Pfau von Thord Goddi zur Erziehung angenommen und zum Erben eingesetzt wird.

Da, wie bemerkt, der Abschnitt über Kjartan der eigentlichen Saga von den Lachswasserleuten und der Gudrunsaga gemeinsam ist, so ist es begreiflich, daß das Geschick mancher Personen erst in diesem Teil zum Abschluß kommt. So geschieht es mit Thorleik (Rap-38). Hier zeigt sich die Erhebung Olafs über seine Halbbrüder in der Vollendung, denn er swingt Thorleik, seine Rachegedanken gegen Hrut aufzugeben und Island zu verlassen, ebenso wie Olaf im vorhergehenden Kapitel einem Oheim Hrut als befehlender Häuptling gegenübertritt. Hrut verschwindet übrigens aus der Saga, ohne daß sein Tod berichtet wird. —

Die Beziehungen des ersten Teils gehen aber über Bollis Tod hinaus. Bei der Gründung des Hofes Hjardarbolt (Kap. 24) werden drei Hausleute Olafs, An der Weiße, An der Schwarze und Beinir vorgestellt, vo )i denen zunächst nicht weiter die Rede ist. An der Weiße entdeckt das gestohlene Schwert Kjartans (Kap. 46), An der Schwarze (Reisigmagen) begleitet Kjartan auf seinem Ritt nach dem Saurbö und fällt von der Hand Bollig in dessen Sennhütte, aber Beinir kommt überhaupt erst wieder am Schluß der ganzen Saga, im Kap. 7s vor, wo er mit der Art hinter seinem Herren Halldor bereitsteht, einen der beiden feindlichen Besucher niederzuschlagen.



Thule-Bd. 06-019 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

Der wunderliche vagabund und Schwätzer Hrapp, der bei dem Überfall auf Helgi sich beteiligt und von Helgi erstochen wird (Kap. 63), weist zurück auf den Hrapp des ersten Teils.

Höskuld steht hinter seinem Sohne Olaf durchaus zurück. Soweit er überhaupt besondere Züge zeigt, ist er wenig sympathisch, habgierig fur sich und seinen Lieblingssohn, nicht wählerisch in den Mitteln, wo es seinen vorteil gilt, so in seinem verhalten Hrut gegenüber. Noch auf seinem Totenbett betrügt er seine ehelichen Söhne zugunsten Olafs.

Olaf Pfau 1 siebt in hellerem Lichte. Sein Sinn für äußeren Glanz, Entfaltung des Reichtums zeigt sich bei dem Einzug in Hjardarholi (Kap. 24), dem Aufwand für das zu Ehren seines vaters gehaltene Erbmahl (Kap. 27), dem Bau der prächtigen Halle (Kap. 29), deren Andenken in der Drapa eines Skalden bewahrt ist. Im weiteren Verlauf der Erzählung treten andere bedeutendere Züge seines Charakters hervor. Er gehört zu der Gattung der milden, friedliebenden Häuptlinge, die in der isländischen Saga den streit- und kampffrohen gegenüberstehen, ohne daß ihnen der vorwurf der Furchtsamkeit gemacht werden könnte. Dabei ist der Gegensatz zu Männern wie Snorri wohl zu beachten. Auch dieser wendet in unserer wie in andern Erzählungen oft Streit und Blutvergießen ab. Sein Beweggrund ist der wohlverstandene vorteil, Olafs Friedensliebe beruht auf edler Gesinnung. Er verhindert den Ausbruch der Fehde zwischen Thorleik und Hrut (Kap. 37, 38). Er versucht zwar, Bolli von der Werbung um Gudrun abzuhalten und übernimmt nicht, wie es die Sitte verlangt hätte, die Fürsprache bei Osvifr. Nachdem aber die verlobung stattgefunden hat, setzt er alles daran, den Frieden zu erhalten. Er geht zu Bollis Hochzeit, bemüht sich in jeder Weise, Kjartan zu beruhigen. Nach dem Tode des von ihm über alles geliebten Sohnes tritt er schützend vor Bolli (Rap-49 ff.), verbietet seinen Söhnen, an Bolli Rache zu nehmen, ja, er sendet eine Schutzmannschaft nach Laugar, die einen Angriff der empörten



Thule-Bd. 06-020 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

verwandten aus dem Nordviertel und dem Borgarfjord abwehren soll. Er läßt auch nicht , daß Bolli geächtet wird, und gibt ihm schließlich den Hof Sälingsdalstunga zurück, den Kjartan von Thorarin gekauft hatte (Rap. 51). Diese Milde wird fast zur Schwäche in dem allerdings verdächtigen Abschnitt von Geirmund und Thurid (Kap. 29, 30).

Olafs Bild ist gehoben durch sein verhältnis zu seinem Halbbruder Thorleik, dessen grob-schwerfälligen Stolz er völlig zu überwinden weiß. Thorleik ist scharf gezeichnet, besonders in seinem Benehmen gegen Hrut, dessen ritterliche Unterstützung er auf so tückische Weise vergilt (Kap. 37).

Kjartan und Bolli sind gut gegen einander gestellt. Bereits oben ist darauf hingewiesen, wie der Erzähler bemüht ist, schon im Kjartan-Abschnitt durch einzelne, mit sicherer Überlegung angebrachte Züge unser Verständnis und unsere Teilnahme auf Bolli ;u lenken, ihn nicht gans im Dunkeln zu lassen neben der lichten Siegfriedgestalt des andern. Kjartan selbst besitzt nicht nur die Schönheit eines Märchenprinzen und die Waffentüchtigkeit und Körpergewandtheit eines Helden, sondern ist zum Glück auch mit sehr menschlichen Eigenschaften ausgestattet. Er hat das Wesen eines Menschen, der sich seiner sieghaften Persönlichkeit bewußt ist, ein Wesen, das zwischen liebenswürdig und launisch sich bewegt. Er ist unbesonnen in seinen Entschliessungen, übermütig, sorglos und leichtsinnig, tolldreist. Wie schnell wandelt sich sein verhältnis zum König; erst will er lieber das unsinnige Wagestück unternehmen, den König in seinem Hause zu verbrennen, als sich von ihm bekehren zu lassen, dann kann er es kaum erwarten, bis er die Taufe empfängt. Aus Stolz schweigt er im entscheidenden Augenblick über Sein Verhältnis zu Gudrun. Wie ein ver agnes Kind, das schlecht behandelt ist, benimmt er sich Hrefna gegenüber ; die dann auch seine hastige und fast beleidigende Werbung in würdiger und zugleich kluger Weise abschlägt (Kap. 44). Er geht seinem Vater zu Liebe, der den Bruch zwischen den beiden Höfen vermeiden will, mit zur Gastung nach Laugar, eröffnet aber im Widerspruch dazu die Reihe der gegenseitigen Beleidigungen, indem er Bollis Geschenk zurückweist.



Thule-Bd. 06-021 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

Er benutzt jede Gelegenheit, Gudrun zu zeigen, was sie an ihm verloren hat, bezeichnenderweise auch durch eine kindische Prachtemfaltung; den Osvifrföhnen gegenüber beweist er grenzenlose verachtung, gibt sie durch die winterliche Belagerung von Laugar dem allgemeinen Hohn preis, reizt, indem er den Kauf von Sälingsdalstunga rückgängig macht, Bolli und Gudrun aufs äußerste, und doch kann er sich nicht denken, daß Bolli es nach alledem wagen sollte. die Waffe gegen ihn zu erheben (Kap. 48). Ausgelassen spottet er am Tage seines Todes über den Traum des An und schickt in seinem stolzen Übermut die Begleiter zurück, die ihm die sorgende Aud mitgegeben hatte.

Unter den Brüdern Kjartans tritt nur Halldor hervor, der die Überlegenheit und Milde des vaters geerbt hat. So zeigt er sich bei der durch Snorri vermittelten endgiltigen Sühne (Kap. 71). Würdig bei allem Gehorsam steht er seiner wilden Mutter gegenüber, er weist den rohen Helgi zurecht (Kap. 55) und durchschaut Gudruns scheinbare Ruhe (Kap. s6). Am lebendigsten ist er im Kap. 7s geschildert, wo er die freche Anmaßung des Thorkel und des Thorstein klug und selbstbewußt zurückweist.

Snorri wird ganz so gezeichnet, wie wir ihn aus andern Erzählungen kennen, nur daß die dunklen Seiten des Charakters fast gar nicht hervortreten. Einmal allerdings, da er dem von Thorgils gekränkten Audgisl mit bezeichnenden Worten die Mordwaffe in die Hand drückt, zeigt er äch als der gefährliche, nicht vergessende, vorsichtige und nie fehlende Hasser (Kap. 67). Mit keiner Silbe verrät er seine Befriedigung über den Fall des Feindes. Schon bei dem durch Zauber verursachten Tode des Thord. Gudruns zweitem Gatten. tritt er als ihr Beschützer auf (Kap. 36), verspricht ihr die Rache. will aber selbst Zeit und Weise bestimmen. Er liebt es, die Dinge sich entwickeln zu lassen und womöglich durch andere zu wirken. Sein Hauptstreich ist, wie er Thorgils veranlaßt, seinen und Gudruns Zwecken zu dienen, und ihn dabei um den Lahn betrügt, wie er Lambi und Thorstein den Schwarzen, die mit gegen Bolli ausgesogen waren, zwingen läßt, an dem Rachezug gegen



Thule-Bd. 06-022 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

Helgi, ihren Kameraden und Schwager, teilzunehmen (Kap. s9, 60). Auch hierbei hält er sich ganz im Hintergrunde. Seine Überlegenheit erweist sich als wohltätig, indem er Gudrun und ihre Söhne von den Brüdern Kjartans abhält und schließlich die friedliche Sühne durchsetzt (Kap. 71), die er gleich nach Bollis Tode Gudrun vergeblich vorgeschlagen hatte (Kap. s6).

sum Lobe Thorkels, ihres vierten Gatten, weiß Gudrun nur zu sagen, daß er ein mächtiger Häuptling gewesen sei. Thorkel ist ein Enkel des Thord Gellir, ein Sohn des wenig sympathischen , aus der Gislasaga bekannten Eyjolf. Unsere Saga stellt ihn dar als einen Mann, der ganz unter dem Einflusse Snorris steht, der stolz und macht gierig ist, dessen Taten aber durchaus nicht seinem Hochmute entsprechen. Er unterliegt dem geächteten Grim, gegen den er prahlerisch ausgezogen ist (Kap. s7, s8); er muß Gudrun weichen, als er Hand an Gunnar, den Thidranditöter, legen will (Kap. 69), und erleidet mit seinem Freunde Thorstein eine schmähliche Niederlage, als 1ie dem vortrefflichen Halldor den Hof Hjardarholt abzwingen wollen (Kap. 7s). Sein Hochmut, den König Olaf der Heilige so gui charakterisiert, zeigt sich in der von ihm gegebenen Deutung des Traumes, der seinen Tod verkündet (Kap. 74).

Die Gestalt, um deretwillen unsere Saga zu den ewigen Meisterwerken der Weltliteratur gehört, ist Gudrun, die Tochter des Osvifr, ihrer Art nach verwandt der Hallgerd aus der Njalssaga, aber doch weit menschlicher uns ansprechend. von der Szene, da das Mädchen an der warmen Ouelle im Sälingstal seinen schweren Träumen nachsinnt, bis zum Schluß, da die Greisin, die sich mit der ganzen Leidenschaft ihres Wesens dem Christentum ergeben hat, in der Kirche zu Helgafell im Gebete ringt, hält uns die Kunst des Erzählers in dem Bann dieser Frau gefangen. Wollte man diese Kunst zergliedern , müßte man die Geschichte noch einmal erzählen. Denn hier ist alles charakteristisch, nicht nur Handlung, Geberde, andeutende Rede, prägnantes Wort, wildes, leidenschaftliches Ausbrechen, sondern auch ganz besonders das Schweigen. Wie beredt ist uns dieses Schweigen bei ihrem ersten Besuch in Hjardarholi nach Kjartans Verheiratung den kränkenden



Thule-Bd. 06-023 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

Worten Kjartans gegenüber, und besonders beim 'Anblick des eigentlich sie bestimmten Kopftuches (Kap. 46)! Welche unheimliche Starrheit in ihrem Benehmen beim Tode Bollis (Kap. ss)! Ruhig schreitet sie vom Bach, wo sie während des Kampfes gewaschen hat, den Feinden entgegen und fragt sie aus, lächelnd duldet sie, daß der wilde Helgi seinen blutigen Speer an ihrem Mantel abwischt. Ein Lächeln. das Tod bedeutet.

Auch die andern Frauen sind in unsrer Saga besonders gui charakterisiert, die harmlose Hrefna, die stolze und wilde Egilstochter Thorgerd, die trotz des Widerspruchs ihrer Söhne mitreitet gegen Bolli, um sie ,scharf zu machen', die mutige Aud (Kap. 3s), im ersten Teil die hochmütige und eifersüchtige Jorunn, Höskulds Frau, die wackere Vigdis (Kap. 15) und die königliche Gestalt der Ahnmutter am Anfang der Erzählung.

Unsere Saga weiß nichts davon, was anderswo berichtet wird, daß Unn als Christin nach Island gekommen sein soll, während ihre Nachkommen vom Christentum wieder abfielen. Der neue Glaube verändert die Menschen unserer Erzählung nicht, wie etwa den Gudlaug, Snorris Sohn, wenn auch Kjartan die Fasten hält und die altgewordene Gudrun den Psalter liest und kanonisch lebt. Ungebrochen steht der mit dem Christentum unvereinbare Schicksalsglaube. Abgesehen von der ganze Ereignisfolgen verkettenden Vorausbestimmung, zeigt sich das hier wie in andern Erzählungen durch viele Einzelzüge und Wendungen. Thorolf und Asgaut kommen über den angeschwollenen Lachsfluß, weil sie mutig sind und ihnen ,längeres Leben bestimmt ist' (Kap. 15). Der elende Thorkel, der die Osvifrsöhne im Hinterhalt liegen und Kjartan heranreiten sieht, verhindert seinen Hirten, Kjartan zu warnen: ,meinst du, Narr, jemanden das Leben erhalten zu können, dem der Tod bestimmt ist" Manche haben die Gabe, jemandem anzumerken, ob er vom Glück ausersehen ist, so Grim gegenüber Thorkel, und Snorri gegenüber Grim (Kap. s8). Andrerseits siebt Olaf Pfau dem Geirmund an, daß Unglück von ihm ausgeht (Kap. 29).



Thule-Bd. 06-024 Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

Ebenso wie die Träume und Vorahnungen, das wundersame vorausblicken einzelner Begabter, übernahm die christliche Zeit die übrige Fülle des alten volksglaubens; unsere Saga ist eine ergiebige Ouelle dafür, und manches aus der Reihe wechselnder Bilder erhält dadurch seine besondere Stimmung.

Hier ist ;u erwähnen der Widergänger Hrapp, der seinen Hof verödet. und als gewaltiger Seehund mit Menschenaugen das dem Untergang geweihte Schiff umkreist; auf dem Thorstein Surt in den Hvammssiord einsegelt, um von Hrapps Hof Besitz zu nehmen (Kap. i8). Erst durch den Glückssohn Olaf Pfau wird er zur Ruhe verwiesen (Kap. 24). In der Geschichte der Kotkelleute ist besonders zu beachten die Schilderung des Wetterzaubers (Kap. 3s) und, was von dem bösen Blick erzählt wird (Kap. 37, 38). Gefährlich ist die Wirkung einer verwünschung, das zeigt sich beim Schwerte Fußbeißer, ferner bei dem Fluch, den Osvifr über Audun (Kap. 15), und Halldor über Thorstein und Thorkel ausspricht (Kap. 7s). Die Geschichte Thorkels schließt mit einer sehr wirksamen Szene. Am Abend des Tages, an dem Thorkel im Hvammsfjord ertrunken ist, geht Gudrun nach ihrer Gewohnheit in Helgafell zur Kirche (Kap. 76). In der Dunkelheit tritt ihr am Eingang sum Kirchhof ein Gespenst entgegen, das sich über sie neigt und ihr eine große Neuigkeit ankündet. vor der Kirchentür glaubt sie Thorkel und seine Begleiter zu erblicken, van deren Kleidern das Seewasser trieft. Schließlich sei noch auf das wundersame Schwert Sköfnung hingewiesen, dessen Griff die Sonne nicht bescheinen darf und das man nicht in Gegenwart von Frauen zücken soll (Kap. s7).

Unsere Saga ist in vielen Handschriften bewahrt, noch heute ein volksbuch, ein geliebtes und hochgeehrtes Erbe der vergangenheit.

Kritisch herausgegeben ist sie von Kr. Kaalund, Kopenhagen 1889-1891, mit deutschem Kommentar von demselben als Bd. 4 der altnordischen Saga-Bibliothek, Halle 1896.

Dieser Tert der Saga-Bibliothek ist hier zugrunde gelegt.



Thule-Bd. 06-024b Geschichten v. Landwassertal Flip arpa

VERWANDTSCHAFTSBEZIEHUNGEN DER HAUPTPERSONEN


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt