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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


41. Der dankbare Freigekaufte

Ein Sultan hatte drei Söhne. Die ließ er erziehen mit aller Kunst und ließ sie alles lehren, was die Lehrer im Lande selbst wußten. Die ältesten beiden Söhne ernteten stets den Lohn des Lehrers. Der Jüngste aber mußte vielen Tadel erdulden, so daß der Sultan meinte, es würde nicht viel aus ihm werden.

Eines Tages sagte der Sultan: "Ich möchte nun einmal selbst erproben, was meine drei Söhne gelernt haben und was sie können. Einer soll sich nach dem andern erweisen." Der Sultan ließ den ältesten Sohn kommen und fragte ihn: "Was kannst du? Wie willst du mir einen Beweis dafür ablegen, was du gelernt hast?" Der älteste Sohn sagte: "Gib mir fünfzig Goldstücke, so will ich dafür auf den Markt einkaufen gehen und ich hoffe, du wirst nachher zugeben, daß ich mich auf das Leben verstehe."

Der Sultan sagte: "Es ist gut, nimm hier fünfzig Goldstücke und zeige mir, daß du damit etwas Rechtes anzufangen verstehst."

Der älteste Sohn des Sultans nahm die fünfzig Goldstücke, bestieg am andern Tage ein Pferd und ritt auf den Markt. Auf dem Markte sah er einen schönen Widder, der ihm sehr gut gefiel. So ritt er denn auf den, der den Widder feilhielt, zu und fragte: "Denkst du nicht auch, daß dieser Widder würdig ist, vom Sohne des Sultans gekauft zu werden ?" Der Mann sagte: "Gewiß, denke ich auch so, wenn der Sohn des Sultans einen seiner würdigen Preis dafür zahlt!" Der Sohn des Sultans sagte: "Denkst du, daß fünfzig Goldstücke des Widders und des Sohnes des Sultans würdig sind?" Der Mann sagte: "So denke ich." Der Sohn des Sultans gab dem Manne die fünfzig Goldstücke und band den Widder mit einem Schnurende um seinen Kopf, mit dem andern an den Knopf des Sattels und ritt im schärfsten Galopp so schnell als möglich nach Hause.

Der Widder konnte natürlich nicht so schnell laufen und stürzte sogleich. Die Schnur zog sich um seinen Hals zusammen und er erstickte. Das galoppierende Pferd schleifte den Widder über den steinigen Boden, so daß er bald ganz unansehnlich war und als unkenntliche Masse daheim ankam. Der Sultan stand vor dem Hause und sah der Rückkehr seines Sohnes und des Beleges seiner Tüchtigkeit mit Spannung entgegen. Als der Sohn abstieg und ihm das Ergebnis mit den fünfzig Goldstücken zeigte, wurde der Sultan sehr zornig und schickte ihn zur Strafe für seine Unklugheit am andern Tage mit den Arbeitern in den Wald, damit er dort, würdig



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des Mangels an Verstand, beim Roden als Arbeiter mit Hand anlege.

Der zweite Sohn sah das und kam zu dem Sultan. Er sagte: "Ich bitte dich, mein Vater, gib mir auch fünfzig Goldstücke und erlaube mir, daß ich auf den Markt gehe, damit ich den Beleg meiner guten Lebensschulung erbringe." Der Sultan sagte: "Hier nimm fünfzig Goldstücke und zeige, was du kannst."

Der zweite Sohn des Sultans nahm die fünfzig Goldstücke, bestieg am andern Tage sein Pferd und ritt auch auf den Markt. Er ritt an dem Teil vorbei, wo das lebende Vieh verkauft wurde und sagte: "Wenn ich das Lebende tot nach Hause bringe, so bin ich unklug wie mein Bruder. Ich will etwas Totes mitbringen." Er kam an den Teil des Marktes, auf dem die Töpfer ihre Waren feilhalten und sagte: "Ich werde einen Topf kaufen, der kann nicht mehr sterben, denn er war nie lebendig. Er sah einen Topf, der war von ganz besonderer Größe. Er betrachtete ihn lange und fragte endlich die Frau: "Ist dies der größte Topf, der auf dem Markte ist?" Die Frau sagte: "Gewiß ist das der größte Topf." Der zweite Sohn des Sultans fragte: "Würde wohl ein anderer als ein Sohn des Sultans weniger als fünfzig Goldstücke zahlen ?" Die Frau sagte: "Ich verkaufe ihn einem Sohn des Sultans ebensogut wie einem andern, wenn ich fünfzig Goldstücke dafür bekomme. Das kann ich dir beschwören." Der Sohn des Sultans sagte: "Ich will den Topf nicht hinter meinem Pferde herschleifen. Wie könnte ich ihn nun aber mit mir nehmen ?" Die Frau sagte: "Wenn du es wünschst, schlage ich dem Topf den Boden aus und du stülpst ihn über den Kopf. Das ist am bequemsten." Der zweite Sohn des Sultans sagte: "Du bist eine kluge Frau. Hier nimm die fünfzig Goldstücke, schlage dem Topf den Boden aus und reiche ihn mir herauf."

Die Frau tat so. Der zweite Sohn des Sultans stülpte darauf den Topf so über, daß sein Kopf durch das Loch im Boden herausragte und ritt damit nach Hause. Als er aber zu Hause abstieg, zerbrach der Topfrest und lag vor dem Sultan und um dessen Sohn als Ergebnis des Handels mit den fünfzig Goldstücken in Scherben herum. Als der Sultan das Nähere sah und hörte, wurde er so zornig, daß er seinen zweiten Sohn ebenfalls in den Wald schickte. Während der ältere Bruder nun aber Bäume fällte, mußte der zweite Kohlen brennen.

Der Sultan war sehr traurig über die Torheit seiner ältesten beiden Söhne, die ihm von den Lehrern immer als Muster und Beispiel von



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klugheit und Gelehrsamkeit geschildert waren. Er wartete nun darauf, daß sein dritter Sohn auch zu ihm kommen und um die Gelegenheit, seine Geschicklichkeit ZU erweisen, bitten würde. Aber der dritte Sohn kam nicht. Der dritte Sohn ging still seiner Wege und kam dem Vater möglichst wenig nahe. Eines Tages rief ihn aber der Sultan und fragte ihn: "Sage mir doch, mein Sohn, ob du gar nicht den Wunsch hast, deinem Vater einen Beleg dafür zu erbringen, Was du gelernt hast?" Der Jüngste sagte: "Nein, mein Vater, den Wunsch habe ich nicht. Alle meine Lehrer haben mir stets gesagt, daß ich weniger geschickt und gelehrig sei wie meine Brüder. Meine Lehrer waren aber sehr gelehrte Leute, die es verstanden haben müssen, denn du hast sie mit Sorgfalt ausgesucht. Wenn nun meine Brüder, die doch als klüger gelten, von dir schon nach dem erster Versuche der Ungeschicklichkeit wegen so hart gestraft werden, so daß sie Bäume fällen müssen und Kohlen brennen, was muß Dann erst meine viel besprochene größere Ungeschicklichkeit mir ein. tragen! Wie soll ich da zu dem Wunsche kommen, dir einen Beleg meiner Ungeschicklichkeit zu erbringen, wo ich mir doch vorher sagen muß, daß ich dabei nur noch mehr an Achtung verlieren kaum aber etwas gewinnen kann!"

Da wurde der Sultan zornig und sagte: "Du ungeratener Sohn Überlasse es deinem Vater und deinen Lehrern, darüber zu entscheiden, wie sie über deine und deiner Brüder Tüchtigkeit und Geschicklichkeit urteilen. Ich bin sehr betrübt darüber, daß du so wenig den Wunsch hast, aus dem schlechten Rufe, in dem du stehst dich herauszuarbeiten. Es ist aber nicht eine freiwillige Handlung, der du dich unterziehen sollst, sondern eine von mir geforderte. Denn ich will die Art meiner Söhne kennenlernen. Nimm also hier die fünfzig Goldstücke und reite morgen in der Frühe auf den Markt und kaufe so ein, daß ich daran deine Geschicklichkeit und deine Art erkennen kann."

Der Jüngste nahm also die fünfzig Goldstücke, bestieg am andern Morgen sein Pferd und ritt auf den Markt. Er konnte aber auf dem Markte, so weit und so reichlich er besucht war, nichts finden, was seine Aufmerksamkeit erweckt hätte. Er wollte schon sein Pferd wenden und wieder heimreiten, da kam er am Gerichtsgebäude vorbei, vor dem sich eine große Menschenmenge versammelt hatte. Er hörte, wie zwei Leute miteinander sprachen. Der eine sagte: "Dieser M'hammed ei hém (Mohammed der "Schlaue" oder der "Schakal") kann mir leidtun. Er kann die fünfzig Goldstücke, die er schuldig



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ist, nicht aufbringen." Der andere sagte: "Du wirst sehen, sie werden den Mohammed ei hém gleich als Sklaven verkaufen."

Der Jüngste hörte es, sprang vom Pferde, gab es einem Manne zu halten und trat in das Gerichtsgebäude. Er ging an den Platz der Verhandlung und sagte: "Hier zahle ich die fünfzig Goldstücke für M'hammed ei hém. M'hammed ei hén, du bist frei." Der Verklagte warf sich vor dem dritten Sohne des Sultans nieder und sagte: "Ich danke dir! Ich will nun aber nicht frei sein, sondern ich bitte dich, daß du mir erlaubst, dir als Diener zu folgen, denn ich hoffe dir einmal von Nutzen sein zu können. Ich bitte dich, nimm mich mit. Erlaube mir, daß ich dir als Diener folge, treu wie ein Hund, bis zum Tode." Der Jüngste sagte: "Einen Diener will ich nicht an dir haben, wenn du aber mein Freund sein willst, so komm mit mir."

Der Jüngste nahm darauf M'hammed ei hém mit auf sein Pferd und ritt mit ihm nach Hause. Der Sultan stand inzwischen vor seinem Hause und sah der Rückkehr seines jüngsten Sohnes mit Ungeduld entgegen. Der Jüngste sagte indessen zu seinem neuen Freunde: "Höre, mein M'hammed, ich bin zwar der Sohn des Sulans, es ist aber sehr unsicher, ob ich nicht sehr ungnädig behandelt werde, wenn ich mit dir heimkomme. Sollte das der Fall sein, so reite nur gleich von dannen. Mein älterer Bruder wurde wegen Ungeschicklichkeit auf dem Markte zum Baumfällen, mein zweiter zum Kohlenbrennen verurteilt." M'hammed sagte: "So erkläre nur deinem Vater, dem Sultan, wenn er dich danach fragt, wie es auf dem Markte gewesen sei, du hättest einige gefunden, die hätten schlecht gehandelt, andere, die hätten mit Vorteil gehandelt, und wieder andere, die wären ohne Nutzen und Schaden aus dem Handeln herausgekommen."

Der Jüngste kam mit seinem neuen Freunde an. Der Vater hörte voller Erstaunen, was sich zugetragen hatte und sagte: "Dann eßt nur erst einmal!" Bei sich sagte der Vater: "Ich bin sehr neugierig, wie mein Jüngster sich in dieser Sache weiter verhalten und wie er gegen diesen M'hammed verfahren wird." Er hieß den Dienern, seinem Sohne und dessen Freund M'hammed Honig und Öl, Gerstenbrot und Weizenbrot zu reichen. Er blickte durch eine Spalte und sah, wie sein Sohn selbst Öl und Gerstenbrot aß, dem Freunde M'hammed aber Honig und Weizenbrot hinschob.

Als der Vater gesehen hatte, daß der Sohn dem Freunde das Bessere gab, sandte er Kuskus und Fleisch hinein. Der Jüngste unter.. brach aber das Mahl, kam zu dem Sultan und sagte: "Mein Vater,



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darf ich etwas sagen ?" Der Sultan sagte: "Sprich, mein Sohn!"Der Jüngste Sohn des Sultans sagte: "Du bist sehr gütig zu mir, mein Vater. Ehe ich aber esse, bitte ich dich, meine beiden Brüder zu rufen, die im Walde Hunger leiden, während ich und mein Freund im Überfluß leben." Der Sultan sagte: "Es soll geschehen."

Die beiden Brüder wurden aus dem Walde gerufen. Sie kamen mager und schwarz an. Der Jüngste sorgte für sie und blieb von da an derjenige, der unter den Söhnen des Sultans das Wort führte Und den die andern Brüder auch unter sich zum Sachwalter und Oberleiter erwählten. —

Eines Tages sagte der Sultan zu seinem Jüngsten: "Mein Sohn, ich werde alt. Ich möchte nicht mehr Sultan sein, übernimm du das Amt an meiner Stelle." Der Jüngste sagte: "Mein Vater, solange du lebst, bitte ich dich, Sultan zu bleiben. Wenn ich dir als Sohn in irgendeiner Weise helfen kann, so weißt du, daß ich immer da bin. Wenn du mir aber eine Freiheit erlauben willst, so bitte ich dich um die Genehmigung, in die Welt zu ziehen, um mir eine Frau zu suchen und zu diesem Zwecke meinen Freund M'hammed ei hém mitzunehmen." Der Sultan sagte: "Diese Genehmigung erteile ich dir ohne weiteres. Nimm dir aber genügend Geld mit." Der Sohn sagte: "Ich danke dir, mein Vater, wenn mich aber M'hammed begleitet, so ist das mehr wert als alle Schätze."

Der Prinz (statt Sohn des Sultans) nahm von seinem Vater Abschied und ritt mit M'hammed ei hém von dannen. Er ritt mit seinem Freunde sehr weit. Nach langer Wanderschaft kamen sie endlich in eine Stadt, in der ein Sultan lebte. Der Sultan hatte eine Tochter, die war ihrer Schönheit wegen weit und breit bekannt. Deshalb hatten sich schon viele Freier eingefunden, die um ihre Hand anhielten. Der Sultan, ihr Vater, verlangte aber von jedem Freier, daß er direkt mit seiner Tochter spreche, und er sagte dem ihre Hand zu, dem sie den Ring gab. Kam aber ein Freier ohne Ring zurück, so wurde er enthauptet, und bis dahin waren alle Freier geköpft worden.

Eines Tages, nachdem der Prinz mit M'hammed ei hém in der Stadt angekommen war, ging er durch Zufall am Hause des Sultans vorüber. Er blickte empor und sah, daß sich die Prinzessin oben gerade zum Fenster herausbeugte und dann in ihr Zimmer zurücktrat. Der Prinz blickte ihr lange nach, denn sie war schön wie das Licht der Sonne. Dann eilte er heim, suchte M'hammed ei hém auf und sagte: "M'hammed, wir sind am Ziel unserer Reise angelangt.



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Ich will die Tochter des Sultans heiraten. Nun rate mir, wie ich mich um sie bewerben und ihre Hand und den Ring gewinnen kans' ohne daß dir oder mir der Kopf abgeschlagen wird." M'hammed ei hrn sagte: "Warte, mein Prinz, über diese Sache werde ich erst nachdenken. Ich muß mir alles erst ganz genau ansehen und jede Gelegenheit auskundschaften. Dann erst will ich dir Bescheid sagen." M'hammed entfernte sich.

M'hammed ging in die Stadt und sprach mit den Leuten. Er machte mit den Dienern des Sultans Freundschaft und hörte, daß die Prinzessin in einem eignen Obergeschoß wohnte, unter der" ein grimmiger Neger Wache hielt und die Schlüssel beaufsichtigte. Nachdem er so viel gehört hatte, kaufte er sich eine Ladung Zucker, die er mit einem Kraute einrieb, einen lahmen Esel und schwarze Farbe. Er malte sich so dunkel an, daß er aussah wie ein Neger. Derart verunstaltet, zog er dann durch die Straßen der Stadt, den lahmen Esel mit der vorgerichteten Zuckerladung immer vor sich hertreibend.

M'hammed ei hém kam so bis vor das Haus des Sultans und trieb sein Tier bis dahin, wo der Neger unter dem Turmzimmer der Prinzessin Wache hielt. Der Neger stand in der offenen Tür und sah auf den schwarz angemalten M'hammed. Der Neger rief: "Ho! Wo bist du denn her? Du siehst ja auch nicht so aus, als ob du hier im Lande geboren worden wärest!" M'hammed sagte: "Das bin ich auch nicht! Ich komme aus dem Sudan." Der Neger rief: "Dann sind wir ja aus demselben Dorfe! Dann sind wir Brüder. Es ist lange her, seit ich den letzten Mann aus meinem Lande gesehen habe. Darum bitte ich dich, binde deinen Esel hier im Hofe innen an, komme zu mir in mein Wachtzimmer und teile mein Abendessen mit mir, dann können wir noch zusammen plaudern, solange du willst, — meinetwegen bis morgen früh, denn ich muß die Nacht hindurch Wache halten."

M'hammed erklärte sich einverstanden. Sie banden den Esel im Hofe an, schlossen die Vordertür von innen ab und warteten auf das Essen, das dem Neger jeden Abend vom Sultan gesandt wurde. Dies Essen bestand immer in einer riesigen Schale mit Kuskus, auf der eine schwere, große Hammelkeule lag. So groß diese Menge von Brei und Fleisch auch war, so verzehrte der Neger sie doch jeden Abend, ohne auch nur einen Bissen übrig zu lassen oder sich im Magen übermäßig beschwert zu fühlen.

Die große Schale mit Kuskus mit der großen, schweren Hammelkeule



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kam. Der Neger nickte M'hammed zu und sagte: "Nun iß mit mir, zu zweien werden wir das bald aufgegessen haben." M'hammed tat es. Er aß so viel, wie er nur vermochte, damit das, Was der Neger bekam, möglichst wenig sein möchte. So kam es denn, daß nach einiger Zeit die Schüssel leer war, ohne daß der Neger gesättigt gewesen wäre. Der Neger sah, daß er nun womöglich hungrig bleiben würde. Da packte ihn eine große Wut. Er sprang auf und Schrie: "Mann aus meinem Dorfe! Ich muß dich töten. Du hast mein Abendessen aufgegessen und ich bin nicht satt geworden. Nun muß ich dich totschlagen und nun will ich dich auffressen, damit ich endlich einmal satt werde."

M'hammed ei hém stand auf und sagte: "Beruhige dich, du Freund aus meinem Dorfe. Ich habe etwas für dich, was viel besser ist als mein Fleisch und was wir Neger über alles lieben. Ich habe auf meinem Esel eine Last Zucker. Zwar gehört der Zucker nicht mir, sondern meinem Herrn, aber wie ich mit dem fertig werde, das laß nur meine Sorge sein!" Der Neger brüllte vor Freude und schrie: "Her mit dem Zucker." Der Neger lief auf den Hof, nahm dem Esel die Last ab, trug sie herein, band sie auf und begann den Zucker mit beiden Händen in den Mund zu stecken. Da nun aber das Betäubungsmittel, das M'hammed ei hém dem Zucker beigefügt hatte, sehr stark war, so dauerte es nicht sehr lange und der Neger lag besinnungslos und völlig betäubt am Boden.

M'hammed beugte sich sogleich über den Betäubten und suchte nach dem Schlüssel zu dem Zimmer der Prinzessin. Er fand ihn am Gürtel des Negers, band ihn ab und eilte zur Treppe, die nach oben führte. Mit großer Vorsicht öffnete er die Tür. Er trat ein. Die Kammer war von einer niederbrennenden Lampe beleuchtet, die aber immer noch so viel Licht auf das Lager der Prinzessin warf, daß M'hammed ei hém heftig erschrak. Über die Prinzessin fielen nämlich nach vorn zu das Haupt und die Pranken eines Löwen. M'hammed el hém sagte bei sich: "Die schlafende Tochter des Sultans wird von einem Löwen bewacht, was soll ich nun tun?"

M'hammed ei hém wartete eine Zeitlang und sagte dann: "Der Löwe ist ja nur ein Fell! Sonst würde er atmen und mich riechen.' Er schlich dicht an die Prinzessin heran. Dann erkannte er, daß die schlafende Tochter des Sultans sich bis an den Kopf mit der Löwenhaut bedeckt hatte. M'hammed ei hém hob die Löwenhaut vorsichtig empor. Er sah die Schönheit des Mädchens und sagte: "Mit Recht wird sie Schaled-schimes (Licht der Sonne; arabisch) genannt."



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Er ergriff mit Vorsicht den Arm der Tochter des Sultans, streifte den Ring vom Finger und deckte Schaled-schimes mit dem Löwenfell wieder zu. Er zog sich zurück, verließ die Kammer, verschloß sie und stieg hinab, um dem Neger den Schlüssel wieder am Gürtel zu befestigen. Dann trieb er seinen Esel heraus, verließ das Tor, schloß es von außen ab und warf den Schlüssel herein, so daß er dem betäubten Neger vor die Füße fiel. Der Neger erwachte aber erst am andern Morgen, richtete sich auf, stierte lange vor sich hin, lachte dann laut auf und sagte: "Wahrhaftig, ich habe für einen Wächter recht lange und gut geschlafen und habe einen sehr sonderbaren Traum gehabt."

M'hammed ei hém kehrte nach Hause zurück. Er wusch die braune Farbe ab und ging zu dem Prinzen. Er sagte zu dem jüngsten Sohne des Sultans: "Ich habe dir das Versprechen gegeben, mich danach umzusehen, wie es zu machen sei, daß du dich um die Hand der Prinzessin Schaled-schimes bewirbst, ohne daß du in Gefahr kommst, wie alle früheren Freier, enthauptet zu werden. Du weißt, der Sultan hat demjenigen die Hand seiner Tochter zugesagt, der ihm den Ring von ihrem Finger bringt. Dieser Ring ist hier. Nimm ihn, gehe zum Sultan und heirate Schaled-schimes."

Der Prinz machte sich, sowie es Tag war, auf den Weg zum Sultan. Er sagte zum Sultan: "Ich bitte dich, mir deine Tochter Schaledschimes zur Frau zu geben." Der Sultan sagte: "Gehe zu ihr. Kommst du zurück und kannst mir den Ring von ihrer Hand zeigen, so soll sie deine Frau werden. Kommst du ohne den Ring zurück, so lasse ich dich töten." Der Prinz kam zur Prinzessin. Der Prinz sagte: "Schaled-schimes, dein Vater sendet mich zu dir, mit dir zu sprechen." Die Prinzessin sagte: "Ich habe einen Traum gehabt, und nun besitze ich den Ring nicht mehr." Der Prinz sagte: "Sieh, den Ring habe ich, darf ich ihn deinem Vater geben?" Die Prinzessin sagte: "Ich sehe, du hast den Ring. Gehe zu meinem Vater, dem Sultan und zeige ihm, daß du den Ring hast. Ich werde nun deine Frau werden."

Der Prinz kehrte zum Sultan zurück. Er reichte dem Sultan den Ring und sagte: "Hier ist das, was du wünschest. Nun gib mir Schaled-schimes zur Frau." Der Sultan war sehr erstaunt. Der Sultan betrachtete den Prinzen. Der Prinz hatte auf der langen Reise die Schönheit seiner Kleider eingebüßt und sah deshalb armselig aus. Der Sultan wurde zornig und sagte: "Meine Tochter hat die reichsten und bestgekleidetesten Söhne von Fürsten und Kaufleuten



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ausgeschlagen und will dich, der du nicht mehr zu sein scheinst als ein Bettler, zum Manne nehmen? Dazu werde ich meine Genehmigung nicht geben."Der Prinz sagte: "Ich bin vielleicht etwas anderes, als ich dir erscheine!" Der Sultan sagte höhnisch: "Das wäre natürlich möglich. Das will ich in Berücksichtigung ziehen. Zunächst hast du den Ring und die Einwilligung meiner Tochter und bist somit dem Tode entgangen. Nun habe aber auch ich noch einen Wunsch, den du erfüllen mußt, damit ich erkenne, ob du würdig und mächtig genug bist, meine Tochter zur Frau zunehmen. Höre: Innerhalb eines Tages bringst du mir soviel Gold, als das Gewicht meiner Tochter Schaled-schimes ausmacht, oder ich lasse dich töten."

Der Prinz ging. Der Prinz kam zu M'hammed ei heim und war tief traurig. M'hammed sagte: "Was ist dir? Du siehst nicht aus wie der glückliche Freier der Schaled-schimes." Der Prinz sagte: "Das bin ich auch nicht." Dann erzählte er, was ihm der Sultan gesagt hatte. M'hammed ei hem sagte: "Laß mich ein wenig nachdenken." M'hammed ei hém ging fort und begab sich zu einem Juden. Er fragte: "Was zahlst du hier für einen klugen und starken Mann, wie ich es zum Beispiel bin ?" Der Jude sagte: "Wie soll ich das bezahlen? Ich kann immer so hübsche Männer gebrauchen, wie du einer bist, aber die Leute bieten einem erst immer die Ware preisend an, und wenn man sie sieht, taugt sie nichts. Einen Mann, der hübsch und stark wie du bist, kann ich mit Gold aufwiegen. Aber ich bin sicher, wenn du deinen Sklaven bringst, ist er nicht halb so viel wert!" M'hammed ei hém sagte: "So schwöre mir, daß du den Mann mit Gold aufwiegen wirst, wenn er so viel wert ist wie ich." Der Jude sagte: "Ich schwöre es dir zu! Aber ich sage dazu sogleich, daß es auf mein Urteil ankommt, ob der Mann so viel wert ist wie du und nicht auf deines oder das eines Richters." M'hammed ei hém sagte: "Dein Urteil und dein Schwur entscheiden. Ich bin es selbst, der verkauft werden soll." Der Jude erschrak, denn nun mußte er seinen Schwur halten. M'hammed ei hém ließ sich sogleich abwiegen. Er sagte: "Komm Jude, wir wollen das Gold meinem Herrn bringen. Ich werde es selbst tragen." Der Jude mußte Folge leisten. Er ging mit M'hammed ei hém zu dem Prinzen. M'hammed ei hém setzte den Sack mit Gold hin und sagte: "Ich gehe für längere Zeit mit dem Juden, der da unten wartet, auf Reisen. Heirate du." M'hammed ei hém ging hinab. Der Jude brachte ihn auf einem Esel reitend nach dem Meere, um ihn auf einem Schiff nach der entgegengesetzten Küste zu bringen.



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Der Prinz brachte dem Sultan das Gold. Der Sultan war sehr erstaunt über den Reichtum, den ihm sein Schwiegersohn brachte und sagte: "Nun kann ich nichts mehr dagegen einwenden, daß du meine Tochter heiratest. Ich hätte mir aber einen angeseheneren Schwiegersohn gewünscht, deshalb werde ich nichts zu deinem ferneren Fortkommen beitragen. Sieh zu, wie du allein mit ihr fertig wirst." Der Prinz heiratete. Er sagte dem Sultan nicht, daß er der Sohn eines Sultans sei. Er hatte auch kein Geld mehr. Er zog mit seiner jungen Frau in ein kleines Haus und verdiente sein tägliches Brot als Sackträger. Er sagte zu Schaled-schimes: "Wir werden erst heimkehren, wenn mein Freund M'hammed ei hém von seiner Reise zurückgekommen sein wird. Solange müssen wir uns behelfen."



***
Inzwischen brachte der Jude M'hammed ei hém an das Schiff, um ihn über das Meer zu bringen. Er stieg zuerst in das Schiff und ließ M'hammed den Maulesel, auf dem er bis dahin geritten war, an einen Baum binden, damit ihn nachher ein Bursche abhole. M'hammed stieß dem Maulesel ein Messer in den Leib. Dann stieg auch er in das Schiff. Der Jude wollte abstoßen, da sagte M'hammed: "Jude, ich glaube, dein Maulesel ist krank. Er hat sich so ungewöhnlich hingelegt." Der Jude sagte: "Ich muß selbst einmal nachsehen und werde deshalb das Schiff noch einmal verlassen. Bleibe du auf dem Schiff." Der Jude stieg aus und ging zu dem Esel. M'hammed ei hém rief vom Schiff aus: "Ich werde also auf dem Schiff bleiben und warten, daß du mich innerhalb acht Tagen von dem Schiff abholst. Tust du das nicht, so nehme ich an, daß du mich aus deinen Diensten entläßt." Mit diesen Worten stieß M'hammed ei hém das Schiff vom Ufer ab und fuhr allein auf das Meer hinaus, während der Jude schreiend und heulend am Ufer auf- und ablief.

M'hammed fuhr drei Monate lang auf dem Meere umher. Dann sagte er: "Es scheint also, daß der Jude auf mich keinen Wert mehr legt, denn statt acht Tage hat er drei Monate lang auf sich warten lassen." Dann fuhr er auf einen Berg zu, der an der Küste aus dem Meere emporragte. M'hammed ei hém sagte: "Auf der Spitze dieses Berges liegt eine Stadt. Ich will aussteigen und sehen, was es in dieser Stadt Besonderes gibt." M'hammed ei hém brachte das Schiff an das Ufer und stieg aus.

Er ging den Berg hinauf in die Stadt. Die Stadt war sehr schön, aber nirgends traf er einen Menschen. Die Stadt lag da, als sei sie gestern verlassen worden. Die Läden waren offen. Das Gerichtsgebäude



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stand geöffnet da. Die Waffen der Polizisten standen an die Mauer gelehnt. Aber nirgends war ein Mensch, und die Stadt lag ganz still und schweigend. M'hammed ei hém ging lange umher und verwunderte sich über den Reichtum und den Überfluß, den er überall sah.

Endlich ging M'hammed ei hém in ein Haus, das ihm das schönste von allen zu sein schien. Er fand unten Speise und Wein und sättigte sich. Dann ging er weiter hinauf und sah, daß alles von Gold und von Silber war. Er erfreute sich an dem schönen Anblick, wurde aber von all dem Sehen müde und beschloß, sich in einen Winkel des schönsten Zimmers des Hauses zum Schlafe niederzulegen. Er streckte sich aus.

M'hammed lag noch nicht lange da und war noch nicht eingeschlafen, da hörte er ein zischendes und ein schleifendes Geräusch. Er richtete sich auf und sah, wie eine ungeheuerlich große Schlange in das Zimmer kam, auf den ihm gegenüberliegenden Winkel zukroch und sich dort, den an die hundert Fuß langen Leib langsam heranschleifend, zum Schlafe zusammenrollte.

M'hammed ei hém sagte: "Diese Schlange muß die Menschen dieser Stadt gefressen haben." M'hammed ei hém sah lange entsetzt auf die Schlange und gewahrte, wie sie noch einige Male blinzelte und dann einschlief. M'hammed sagte zu sich: "Jetzt muß ich Mut haben."

M'hammed ei hém sprang auf. Er ging auf die Schlange zu und sagte: "Willst du alles tun, was ich von dir verlange oder willst du von mir gegessen werden! Ich habe gerade großen Hunger." Die Schlange erschrak. Die Schlange hatte gehört, daß es Wuarssen (Riesenmenschenfresser) gäbe und hatte vor diesen große Angst. Sie glaubte, M'hammed sei ein Wuarssen und sagte: "Ich will dir gehorchen und alles tun, was du mir befiehlst. Ich bitte dich nur, lieber Wuarssen, friß mich nicht." M'hammed sagte: "Wenn du mir folgsam bist, werde ich dir nichts tun und werde dich ungegessen lassen. Zeige mir erst die Stadt und was es darin Besonderes gibt."

Die Schlange richtete sich auf. M'hammed ging heraus und ließ sich alle besonderen Häuser der Stadt zeigen. Die Schlange sagte: "Du kannst in alle Häuser ohne jede Gefahr, etwas Besonderes zu erleben, hineingehen, kannst auch an dich nehmen, was dir gefällt, denn ich habe alle Menschen dieser Stadt aufgefressen. Nur dieses Haus bietet Gefahr. In dieses Haus gehe auch ich nicht. Ich warne



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dich davor, es zu betreten, denn es ist auch für einen Wuarssen bedenklich." M'hammed sagte: "Ich danke dir für deinen Ratschlag. Nun lege dich irgendwo hin und pflege der Ruhe, in der ich dich vorhin gestört habe. Das Haus allerdings, in dem du mich getroffen hast, betritt in Zukunft ohne meine ausdrückliche Erlaubnis nicht, denn ich will darin selbst wohnen." Damit trennte M'hammed sich von der Schlange und legte sich wieder in den gleichen Winkel, den er zuerst gleich zu seiner Ruhestätte ausgewählt hatte, zur Ruhe nieder.

Nachdem M'hammed ei hém die Nacht über ausgezeichnet geschlafen und sich am andern Morgen an Speise und Trank gesättigt hatte, sagte er sich: "Nach allem, was mir die Schlange gesagt hat, ist das Bemerkenswerteste in dieser Stadt das Haus, das zu betreten sie mich gewarnt hat. Folglich werde ich mir jetzt dieses betrachten." M'hammed el hém erhob sich, verließ seine Kammer und sein Haus, ging durch die Stadt und öffnete die Türe zu dem Hause, vor dem ihn die Schlange gewarnt hatte. Er trat ein und sah, daß es fast noch prächtiger war als das, in dem er selbst gewohnt hatte. In der Mitte befand sich ein Bad, durch das warmes Wasser rann. M'hammed sagte: "Diese Gelegenheit werde ich mir nicht entgehen lassen! Er entkleidete und badete sich. Dann legte er sich in einen Winkel, um sich auszuruhen.

Er lag noch nicht lange, da vernahm er im Halbschlafe Flügelschläge. Er erwachte und sah, wie drei Tauben herniederflogen, sich auf dem Rande des Bades niederließen und ihre Federkleider ablegten. Kaum hatten sie aber ihre Federkleider abgelegt, so waren es drei wunderschöne Mädchen, die in das Wasser stiegen und sich spielend darin tummelten. M'hammed sagte bei sich: "Wahrhaftig, diese eine dort wäre gerade eine Frau für mich, mit der ich eine glückliche Ehe führen könnte." M'hammed ei hém schlich sich also ganz vorsichtig dorthin und wollte das eine schöne Mädchen fangen, da bemerkten die drei Badenden ihn, sprangen aus dem Wasser, ergriffen ihre Federkleider und flogen als Tauben von dannen.

M'hammed war sehr ärgerlich und verließ in böser Stimmung das Haus. Er ging zu der Schlange und erzählte ihr, was er erlebt hatte. Die Schlange sagte: "So warst du also doch in dem Hause und hast das, was ich dir gesagt habe, für nichts erachtet. Es ist aber bis jetzt noch jedem, der die Taubenmädchen gesehen, ergangen wie dir. Jeder möchte eine von ihnen zur Frau haben. Um dies aber zu erreichen, muß er zu guter Letzt bei dem Vater der Mädchen anhalten,



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der ein Wuarssen ist wie du, nur daß er nach allem, was ich gehört habe, viel schlimmer und böser und stärker sein muß. Wenn du nun aber deine Lust, ein Mädchen zu heiraten, nicht bewältigen kannst, so mußt du folgendermaßen verfahren: Gehe morgen nur um die gleiche Stunde wieder in das Haus mit dem heißen Bade und verstecke dich. Wenn dann die drei Tauben gekommen sind, ihr Federkleid abgelegt haben und als Mädchen baden, so versuche nicht, die Mädchen selbst zu fangen, sondern trachte danach, das Federkleid derjenigen zu erhaschen, die du zur Frau begehrst. Immerhin rate ich dir, die Sache noch gründlich zu überlegen, denn du kommst nicht darum herum, den Wuarssen, der der Vater der Taubenmädchen ist, aufzusuchen, und sein Anblick allein soll schon so grauenvoll sein, daß jeder, der ihm begegnet, vor Schrecken stirbt." M'hammed bedankte sich bei der Schlange für ihre Ratschläge, verließ sie und verbrachte den Rest des Tages, indem er durch die leeren Straßen ging, die ausgestorbenen Häuser betrat und sich merkte, wo besondere Reichtümer aufgespeichert lagen, die er dann später beim Verlassen der Stadt mitzunehmen gedachte.

Am andern Tage, nachdem er gehörig ausgeruht und gesättigt war, begab er sich wieder in das Haus mit dem warmen Bade. Wie gestern, erquickte er sich erst in dem Wasser und legte sich dann wieder in seinen Winkel, war aber heute so erregt, daß er nicht einschlafen konnte und vollkommen wach war, als die drei Tauben hereinflogen. Die drei Tauben setzten sich wieder auf den Rand des Beckens nieder, legten die Federkleider ab und stiegen in das Wasser. M'hammed merkte sich genau, wo jede einzelne ihr Kleid hinlegte und schlich dann dahin, wo das Kleid jener lag, die er sich zur Gattin ausersehen hatte.

M'hammed ei hém ergriff das Federkleid. Die drei Mädchen schrien auf und sprangen aus dem Wasser. Zwei von ihnen erfaßten ihr Federkleid, waren im Augenblick wieder Tauben und flogen zum Hause heraus. Die dritte lief weinend umher und rief: "Wo ist mein Federkleid? Wer hat meine Federn? Ich will dem, der mir meine Federn zurückgibt, alles geben, was er verlangt."

M'hammed ei hém trat hervor und sagte: "Dein Federkleid habe ich. Ich will es dir gerne wiedergeben, wenn du mir versprichst, meine Frau zu werden und mich heiraten zu wollen." Das schöne Mädchen sagte: "Ich will dir dies gerne zusagen. Es ist aber sehr schwer, denn du mußt zu meinem Vater gehen und ihn bitten, mich dir zur Frau zu geben. Mein Vater ist aber ein Wuarssen und zwar



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ein so schrecklich anzusehender, daß noch niemand seinen Anblick ertragen hat. Nun hat mein Vater sich vorgenommen, mich nur dem zur Frau geben zu wollen, der seinen Anblick erträgt, der seinen Antrag frohgemut vorträgt, und bei dessen Werbung ich selbst dann froh auflache. Du siehst also, es wird dir nicht leicht werden, mich zur Frau zu gewinnen. Willst du mir aber mein Federkleid wiedergeben, so will ich dazu beitragen, was ich kann. Auf jeden Fall werde ich dich davor schützen, daß mein Vater dich gleich tötet und verschlingt."

M'hammed el hém hörte das alles mit an. Dann gab er dem Mädchen das Federkleid und sagte: "Du kannst deine Zusage nur für dich, nicht aber für deinen Vater machen. Deshalb genügt mir das, was du mir versprochen hast. Nimm hier dein Federkleid zurück und zeige mir nun zum Schluß nur noch die Richtung, in der ich zum Hause deines Vaters kommen werde." Das schöne Mädchen nahm ihr Federkleid zurück und sagte: "Ich will es dir vom Dach des Hauses aus zeigen." Das Mädchen ging voran und M'hammed folgte. Auf dem (flachen) Dache angelangt, sagte das Mädchen: "Von hier aus kannst du genau sehen, wohin ich fliege. Damit kennst du die Richtung." Das schöne Mädchen nahm Abschied, hängte das Federkleid um, ward zur Taube und flog auf einen großen Wald zu. M'hammed ei hém merkte sich die Richtung genau und kehrte dann in sein Haus zurück, um sich für die Wanderung zu stärken.

Am andern Tage trat M'hammed ei hém die Wanderung an. Er ging den ganzen Tag über und erreichte den Wald erst mit einbrechender Dunkelheit. Er übernachtete auf einem Baum und setzte die Reise am andern Morgen so zeitig fort, daß er an diesem Tage gerade vor einbrechender Dunkelheit das Haus des Wuarssen vor sich sah. M'hammed sagte sich: "Nun werde ich schnell gehen, um anzukommen, ehe es dunkel ist. Wenn man schon einen schrecklichen Anblick ertragen will, so soll man ihn bei Licht genießen, denn im Dunkeln ist er noch schwerer zu überwinden."

M'hammed ei hém kam auf das Haus zu. Kurz vor dem Hause band er sich quer über das Gesicht noch ein Tuch und bedeckte damit ein Auge. Er sagte bei sich: "Nun werde ich, wenn ich schon erschrecke, auf der Seite, die verbunden ist, den Schrecken zur Schau tragen können, ohne daß mir daraus ein Nachteil erwächst, denn das kann niemand sehen."

M'hammed ei hém trat in das Haus, aber nur in die Haustür und sagte: "Ich werde nicht ganz hereintreten. Denn hier draußen im



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Walde habe ich geradesogut Heimatrechte wie der Wuarssen; da drinnen hat aber nur der Wuarssen Besitzrecht. Das Gefühl des Heimatrechtes wird mir aber den Mut und das Gefühl der Sicherheit vermehren."

M'hammed ei hém rief mit lauter Stimme: "Wuarssen, mein Freund, komme heraus, denn ich habe dir etwas sehr Wichtiges zu erzählen." Der Wuarssen rief von innen: "Wenn du mir etwas erzählen willst, so komme du doch herein zu mir!" M'hammed ei hém sagte: "Wenn einer den ganzen weiten Weg gelaufen ist, so kannst du doch die paar Schritte machen." Der Wuarssen sagte: "Wieviel Tage bist du gegangen? M'hammed ei hém sagte: "Zwei Tage weit!" Der Wuarssen sagte: "Dann will ich dir zwei Schritte Weit entgegengehen. Geh beiseite." M'hammed ei heim trat ins Freie Zurück und sagte: "Jetzt heißt's also nur auf der verbundenen Seite erschrecken!" Der Wuarssen machte zwei Schritte und stand vor M'hammed ei hém.

M'hammed ei hém tat so, als ob er nieste. Er nieste so zehnmal hintereinander und dachte: "Das ist allerdings schwierig. Da soll ich hinsehen. Aber während des Niesens gewöhne ich mich an den Anblick!" Als er ausgeniest hatte, trocknete er sich die Augen und sagte: "Höre, mein Freund Wuarssen, du hast mit den zwei Schritten so viel Staub aufgewirbelt, wie hundert Frauen an hundert Mahlsteinen in einem Jahre nicht an Mehl mahlen können. Und all den Staub treibst du mir in das Gesicht. Das ist nicht höflich."

Nachdem er sich Nase und Augen abgetrocknet hatte, sagte M'hammed bei sich: "Jetzt kann ich schon ganz gut hinsehen." Er blickte den Wuarssen fest an. Der Wuarssen sagte: "Nun, was hast du mir denn zu erzählen? Eile dich etwas, sonst werfe ich dich in den Kochtopf und esse dich heute abend."

M'hammed ei hém sagte bei sich: "Nun alle Kräfte zusammengenommen!" M'hammed ei hém sah den Wuarssen fest an, strengte alle seine Muskeln an und zwang die Angst herunter, daß ihm fast das Herz im Leibe gesprungen wäre vor Anstrengung, und dann lachte M'hammed ei hém und sagte: "Hat man je gehört, daß ein Vater seinen eignen Sohn in den Kochtopf wirft und nachher verzehrt? Höre, Freund Wuarssen! Laß das wilde Gesicht und überwinde du den Zorn, so wie ich die Angst überwunden habe. Danach gib mir dann deine Tochter zur Frau!"

In diesem Augenblick begann das schöne Mädchen im Hause zu lachen. Der Wuarssen sagte: "Nun kann ich dir allerdings meine



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Tochter nicht mehr verweigern, komm in das Haus." M'hammed ei hém band das Tuch ab und trat in das Haus. Er blieb einige Tage bei dem Wuarssen, der ihm das schöne Mädchen zur Frau gab.

Dann nahm M'hammed aber von dem Wuarssen Abschied und wanderte mit seiner jungen schönen Frau zurück in die Stadt der Schlange. M'hammed trug dann mit seiner Frau alle besonderen Schätze zusammen, die die Stadt barg; er trug sie herab in das Boot und fuhr von dannen. Nahe der Stadt, in der Schaled-schimes, trotzdem sie die Tochter des Sultans war, als arme Frau des armen Sackträgers lebte, stieg M'hammed ei heim an Land. Er verkaufte einige Kleinigkeiten und stellte dann eine große Karawane zusammen, mit der er samt seiner jungen Frau und allen seinen Schätzen zur Stadt des Vaters der Schaled-schimes zog. Kurz vor der Stadt lagerte er noch einmal und sandte einige Boten voraus mit dem Auftrage, ihm ein gutes Zeltlager zu errichten.

Diese Boten kamen an. Sie erzählten so viel von der Pracht und dem Reichtum ihres Herrn, daß der Sultan, der Vater der Schaledschimes, und alle Leute der Stadt glaubten, der fremde Reisende müsse ein großer Sultan sein, der nur seinen Namen und seine große Bedeutung verberge.

Alle Leute zogen ihm also unter Anführung des Sultans entgegen. Der Sultan begrüßte M'hammed ei hém mit vielen Worten. M'hammed ei hém antwortete nicht; M'hammed sah sich überall nach dem Prinzen um; endlich erkannte er ihn unter den schmutzigsten Leuten. Der Prinz aber erkannte seinen früheren Freund und Diener nicht.

M'hammed wurde auf den Männerplatz geführt, wo ihm der Kaffee gereicht wurde. Der Sultan wollte sich auf die rechte Seite M'hammeds setzen. M'hammed ei heim blickte über ihn hinweg und rief den schmutzigen Sackträger heran, daß der sich auf seine rechte Seite setze. Danach sprach M'hammed ei hém so viel mit dem Sackträger, daß sich alle Leute und auch der Prinz sehr verwunderten, denn er erkannte seinen alten Freund und Diener noch immer nicht. Dagegen sprach M'hammed ei heim wohl viel mit dem Sackträger und allerhand auch mit diesem und jenem unter den angesehenen Männern der Stadt, nicht ein Wort aber mit dem Sultan, so daß sich alle Leute sehr verwunderten, am meisten aber der Sultan. Der Sultan konnte die ganze Nacht nicht schlafen und beschloß, am andern Tage den vornehmen Fremden vor aller Welt deswegen zur Rede zu stellen.



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Am andern Tage hatte M'hammed ei hém sein Zeltlager mit aller kostbarkeit herrichten und schmücken lassen und bat als Dank für den freundlichen ihm bereiteten Empfang alle Männer der Stadt, an diesem Tage bei ihm zu Gaste zu sein. Es kamen auch alle Männer. M'hammed wies jedem seinen Platz an. In der Mitte hatte er Seidene Kissen hinlegen lassen. Der Sultan kam und wollte sich daraufsetzen. M'hammed wies ihm schweigend den Platz zur Rechten des Kissens an. Noch schwieg der Sultan. Als einer der letzten kam der Sackträger. Da erhob sich M'hammed ei hém ging dem Sackträger entgegen und warf sich vor ihm nieder. Dann führte er ihn zu dem Platze, an dem die seidenen Kissen lagen und bat ihn, darauf niederzusitzen.

Der Sultan wurde zornig. Er sagte: "Ich weiß nicht, aus welchem Lande du bist. Aber erkläre mir, warum du mit mir, dem Sultan, kein Wort sprichst und mich, den Sultan, auf eine schlechte Stelle setzest und dem armen Sackträger so viel Aufmerksamkeit erweist, ja ihm sogar den Ehrenplatz zwischen dir und mir gibst."

M'hammed ei hém lachte und sagte: "Sultan, du setzest mich nicht weniger in Erstaunen, als dich mein Gebaren gewundert hat. Denn ich habe nichts anderes getan, als du mir vorgemacht hast und habe doch dabei das, was du ungerecht getan hast, meinerseits gerecht getan. Auch du hast den Herrn mißachtet und den Diener geehrt und du denkst, ich hätte es gleicherweise getan. Ich habe mich aber von dem Scheine frei gemacht und die Wahrheit als solche betont."

Danach wandte sich M'hammed ei hirn an alle Anwesenden und sagte: "Ihr werdet auch meinen, dieser eine, hier sei ein großer Sultan und der andere sei ein armer Sackträger und sonst nichts. So wißt denn, daß dieser Sultan nur ein Tagessultan ist, denn seine Mutter war eine Brotverkäuferin und sein Vater ein Bäcker. Dieser Sackträger aber, der den Tagessultan erhöht hat, indem er seine Tochter geheiratet hat, ist der Sohn eines großen Sultans und wird nach seiner Heimkehr Sultan werden. Ich aber, den ihr als den verkleideten Sultan begrüßt habt, ich bin nichts als der Diener dieses großherzigen Prinzen."

M'hammed ei hém rüstete alles für die Heimkehr. Von nun an konnten der Prinz und seine Prinzessin, die schöne Schaled-schimes, in allem Wohlbehagen leben, bis M'hammed ei heim sie glücklich in die Heimat geführt hatte. Als sie in die Nähe der Stadt des Sultans kamen, sandte M'hammed ei hém Boten voran und ließ sagen:



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"Sultan, dein jüngster Sohn kommt mit seiner Gemahlin heini! Sende Trommler und Musikanten entgegen."

Da sandte der Sultan Trommler und Musikanten entgegen, und er bestieg selbst ein Pferd und ritt bis an das Tor, um seinen Sohn zu begrüßen. Danach veranstaltete er ein Fest, das dauerte sieben Tage. Die Freundschaft des Prinzen mit M'hammed ei hém währte aber bis an beider Lebensende.


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