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Kapitel 

Edda Erster Band Heldendichtung


Übertragen von Felix Genzmer /Mit Einleitungen und Anmerkungen von Andreas Heusler

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912


27. Das Herwörlied

Eine einzelne Nachtszene, aus dem Lebenslauf der Heldin herausgegriffen und durch lauter Redeverse versinnlicht. Der äußere Hergang ist einfach, und die Erfindungskraft des Dichters hat das lange Gespräch über eine gewisse Monotonie nicht hinauszuheben vermocht. Aber die Situation im großen prägt sich mit zwingender Stimmungsgewalt ein. Dazu gelingt es den Reden, die schaurige Umwelt vor Augen zu bringen, wie auch die fortschreitende Handlung zu spiegeln. Es fehlt ihnen nicht an dramatischem Puls; sie lassen die Erregung anschwellen und von Str. 22 an üch beruhigen.

Um in die Schrecken der Gespensternacht einzuführen und den Wagemut der Heldin zu beleuchten, hat der Dichter die kurze Vorszene mit dem Hirten beigegeben. Man denke sie sich weg, und das ganze verlöre viel von seiner bildweckenden Kraft.

Angantyr und seine Brüder hatte der überlebende Odd mit allen ihren Waffen in einem Grabhügel auf der Insel Samsey beigesetzt.

Angantyr hinterließ als einziges Kind eine Tochter namens Herwör; die wurde groß und stark und gewöhnte sich früh an Schild und Schwert. Es litt sie nicht am Hofe ihres Mutter-vaters: als Mann gekleidet und bewaffnet, zog sie zu einer Wikingschar und nannte sich Herward, und bald wählten die Krieger sie zu ihrem Anführer.

Einst kamen sie vor Samsey, da wollte Herwör ans Land: in den Grabhügeln auf der Insel, sagte sie, sei reiche Beute zu machen. Aber keiner wollte mit ihr; es sei dort nicht geheuer, die Toten gingen um. Da ruderte sie allein im Boote nach der Insel; es war zur Zeit des Sonnenuntergangs.

Sie traf einen Hirten, der redete sie an:



***
1 1
Wer kam einsam
Aufs Eiland her?
Von hinnen heb dich
Zur Herberge


***
2 Herwör:
Nicht flieh ich von hinnen
Zur Herberge;
Bin unbekannt
Auf dem Eilande.



Thule-Bd.01-197 Edda Heldendichtung Flip arpa

Eh du enteilst, Antworte rasch, Wo hier Hjörwards Hügel liegen!


***
3 Der Hirte:
Frag nach anderm!
Unklug bist du,
Wikingsgesell:
Dein Weg bringt Not.
Fliehn wir eilend,
Was die Füße können!
Nicht geheuer
Ists hier für Menschen.


***
4 Herwör:
Ringe biet ich,
Den Rat zu lohnen;
Schwer zu schrecken
Der Schlachtfreund ist;
Keiner könnte
Durch Kleinode,
Rote Ringe,
Zurück mich halten.


***
5 Der Hirte:
Wahnwitzig ist,
Wer weiter geht,
Wer einsam naht
Nachtgespenstern; Flammen hüpfen,
Die Hügel sind offen,
Es brennt das Feld —
Fliehn wir eilend!


***
6 Herwör:
Mag Feld und Flur
In Flammen stehn,
Ihr Geschnaube
Schreckt mich wenig;
Tote Recken
So rasch mich nicht
Weichen machen:
Ich will sie sprechen.

Der Hirte lief davon, Herwör aber ging auf die Hügelfeuer zu und schritt furchtlos durch die Flammen, bis sie vor das Grab der Arngrimssöhne kam. Da rief sie:



***
7
Wache, Angantyr!
Es weckt dich Herwör,
Deiner Tofa
Einzige Tochter.
Aus dem Hügel gib
Das harte Schwert,
Das Zwerge schlugen
Dem Swafrlami!


***
8
Herward, Hjörward,
Hrani, Angantyr!
Unter Waldwurzeln
Weck ich euch alle,
Mit Helm und Harnisch
Und hartem Schwert,
Mit Rüstung und Ringschild
Und rotem Ger.



Thule-Bd.01-198 Edda Heldendichtung Flip arpa



***
9
Seid wohl alle,
Arngrims Söhne,
Falsche Männer,
Moder worden,
Will Antwort keiner
Von Eyfuras Söhnen
Der Maid geben
In Munarwag!


***
10
So fühlt im Innern
Euch alle zernagt,
Als ruhtet ihr
Im Emsenhügel;
Oder gebt das Schwert,
Das Dwalin schlug —
Toten taugt nicht
Treffliche Wehr!


***
11 Angantyr:
Herwör, Tochter,
Wie tönt dein Ruf!
Schrecklich Geschick
Schaffst du dir selbst:
Wirr bist du worden
Und wahnbetört,
Wildes sinnend:
Du weckst Tote.


***
12
Mich barg nicht Vater
Noch Freund im Grab;
(Nicht gab man Toten
Den Tyrfing mit:)
Beute blieb er
Der beiden Steger;
Ihn hat noch heute
Der Helden einer.


***
13 Herwör:
Eins sag ehrlich:
Odin lasse dich
Heil im Hügel,
Hehlst du ihn nicht!
Betrügen willst
Um den Tyrfing du
Deine Erbin,
Dein einzig Kind.


***
14 Angantyr:
Das Heltor sank,
Die Hügel sind offen;
Ringsum in Flammen
Das Eiland steht.
Schlimm ists, außen
Sich umzuschaun;
Flieh schnell, wenn du kannst,
Zu den Schiffen dein!


***
15 Herwör:
Nimmer nährt ihr
Nächtlichen Brand,
Deß Flammen mich
Fliehen machten;



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Nicht wanken wird Der Wille der Maid, Sieht sie auch Tote Am Tore stehn.


***
10 Angantyr:
Nicht nenn ich, Maid,
Dich Menschen gleich:
Zu Grabhügeln
Gehst du nächtlich
Mit zierem Ger
Und gotischem Schwert,
Mit Helm und Brünne,
Vor der Halle Tor.


***
17 Herwör:
Bisher meint ich
Menschlich zu sein,
Eh eure Säle
Ich aufgesucht.
Aus dem Hügel gib
Den Hasser der Brünnen,
Der Helme Feind,
Hjalmars Mörder!


***
18 Angantyr:
Unter den Schultern
Das Schwert mir liegt,
Heißes Feuer
Umhüllt es ganz;
Kein Weib weiß ich
Auf der weiten Erde,
Das diese Waffe
Wagte zu fassen.


***
19 Herwör:
Ich will sie fassen
Und fest sie halten,
Scharfe Waffe,
Wird sie nur mein.
Feuers Flammen
Fürchte ich nicht;
Zusammen sinken sie,
Seh ich sie an.


***
20 Angantyr:
Ich sag dir, Herwör —
Höre mich wohl,
Du Königskind! —
Was kommen muß:
Der Tyrfing, Tochter,
Vertilgen soll —
Glaub meinem Wort! —
Dein ganz Geschlecht.


***
21 Herwör :
So treffe Unheil
Die Toten alle:
Mit Gespenstern mögt ihr
Modernd liegen!
Angantyr, gib
Aus Grabes Tiefe
Der Zwerge Werk:
Nicht ziemt dir Trug!


***
22 Angantyr:
Toll bist du, Tochter,
So tapfer du bist:
Offnen Auges
Eilst du ins Feuer!
Geben will ich
Aus dem Grab das Schwert,
Du junge Maid,
Nicht mag ichs weigern.



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***
23 Herwör:
Wohl nun tust du,
Du Wikingssproß,
Gibst mir das Schwert
Aus dem Grabhügel;
Herrlicher Gut
Held, gewinn ich,
Als nähm ich zu eigen
Norwegen ganz.


***
24 Angantyr:
Wenig weißt du —
Wahnsinn sprichst du,
Verblendet Weib! —
Was du wünschen sollst:
Der Tyrfing, Tochter,
Vertilgen soll —
Glaub meinem Wort! —
Dein ganz Geschlecht.


***
25 Herwör :
Will nun wieder
Zum Wogenrosse;
Froh ist das Herz
Der Fürstenmaid:
Wenig härmt mich,
O Heldensproß,
Ob meine Erben
Sich einst entzwein.


***
26 Angantyr:
Dein soll es sein,
Besitz es lange!
Halt verhohlen
Hjalmars Mörder!
Scheu die Schneiden,
Geschärft in Gift!
Der Tyrfing schlägt
Todeswunden.


***
27
Einen Sohn gewinnst du
Der soll einmal
Den Tyrfing tragen
Und traun der Kraft;
Heidrek wird ihn
Heißen das Volk,
Der stärkste erwächst er
Unterm Sternenzelt.


***
28
Fahr wohl, Tochter!
Ich wollte dir geben
Zwölf Krieger Kraft —
Kannst du mir traun —,
Mut und Stärke,
Das stolze Gut,
Das einst zu eigen
Arngrims Söhnen.


***
29 Herwör :
Ruhet alle —
Es reißt mich fort —
Heil im Hügel!
Von hinnen eil ich.
Zu weilen wähnt ich
Am Weltenrande,
Als mich umflammte
Des Feuers Glut.


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