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Kapitel 

Edda Erster Band Heldendichtung


Übertragen von Felix Genzmer /Mit Einleitungen und Anmerkungen von Andreas Heusler

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912


3. Das Alte Sigurdlied

Mit diesem Liede betreten wir den Kreis der berühmten Nibelungensage. Zu dem alten Bestande der deutschen, fänkischen Sigfridsdichtung gehörte der tragische Stoff, den man nach seiner Heldin die Brynhild sage nennen kann. Sie füllt die erste Hälfte des deutschen Nibelungenliedes. Wie sie Jahrhunderte früher, unter dem Zeichen des Heidentums und der kurzen Liedform, aussah, davon gibt unser Bruchstück einen Begriff.

Diese seelisch keimereiche Sage hat die isländischen Dichter angezogen wie keine andere; davon zeugen Nr. 6, 9—13. Unter diesem jüngeren Wachstum ragt unser Altes Sigurdlied auf als das schlanke und spröde Gebilde, das noch in den Tatsachen aufgeht, noch nicht zur gefühlvollen Beredsamkeit erblüht ist. Auch neben den beiden vorangehenden und nachfolgenden Ereignisliedern nehmen sich unsere Strophen enthaltsam, schlicht aus, ein wenig arm und eckig im Ausdruck, ohne das Überströmende und den grellen Farbenreichtum. Die logischen Übergänge zwischen den Auftritten sind hier noch mehr wie sonst verschwiegen. Die besondere Eingebung unsres Dichters darf man wohl erblicken in der Art, wie er Sigurds Ermordung gleichsam hinter der Szene läßt: es ist, als ob wir die Tat im fernen Hintergrunde schattenhaft erspähten; und dann in jenem nächtlichen Stimmungsbilde (Str. 14. 15), das mit wenigen Strichen Gunnars Angst vor den Folgen seines Frevels in bewegte Anschauung umsetzt.

Die beklagenswerte Lücke der eddischen Hauptbandschrift hat mehr als die erste Hälfte unsres Liedes verschlungen. Eine prosaische Umschrift des verlorenen Teiles bietet die altisländische Wölsungasaga; hier sind auch die beiden ersten Strophen gerettet. Aber die Saga hat den Inhalt unseres Gedichtes mit dem eines anderen, jüngeren so verwoben, daß man ihr die fehlende Hälfte des Alten Liedes nicht einfach nacherzählen kann. Wir begnügen uns daher mit einer trockenen Inhaltsangabe für die verlorenen Stücke.

Sigurd, der ruhmreiche Drachentöter, hat Schwurbruderschaft geschlossen mit den königlichen Brüdern Gunnar und



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Högni, den Söhnen Gjukts, und hat ihre Schwester Gudrun sum Weibe bekommen. In Glück und Ehren lebt er am Hofe seiner Schwäger. Da beschließt Gunnar, um Brynhild zu werben, die männerspröde Jungfrau, die geschworen hat, sich nur dem Besieger ihrer Waberlohe zu ergeben. Sigurd verspricht ihm seine Hilfe und zieht mit vor Brynhildens flammenumloderte Burg. Umsonst versucht Gunnar den Ritt durch das zauberische Feuer; auch Grani, den Hengst Sigurds, bringt Gunnar, der schwächere Held, nicht vom Flecke. Da tauscht Sigurd mit Gunnar die Gestalt und rettet; sein Schwert Gram an der Seite, auf Granis Rücken gegen den Flammenwall am



***
1
Der Brand raste,
Der Boden wankte,
Hohe Lohe
Zum Himmel stieg;
Keiner wagte
von des Königs Recken
Hindurch zu reiten,
Drüber zu setzen.


***
2
Sigurd Grani
Mit Gram spornte;
Die Rüstung blinkte,
Die Regin schlug:
Das Feuer erlosch
Dem Fürstensohn;
Die Lohe wich
Dem Wagefohen.

Sigurd tritt bei Brynhild ein und nennt sich Gunnar, Gjukis Sohn. Getreu ihrem Schwure, willigt sie in die Ehe mit ihm ein und teilt drei Nächte das Lager mit ihm: er legt sein blankes Schwert zwischen sich und des Schwurbruders Weib. Dann reitet er zu den Gefährten zurück und tauscht abermals mit Gunnar die Gestalt. Mit Brynhild ziehen sie an den Königshof und feiern Gunnars Hochzeit. Den Ring, den Sigurd der Jungfrau von der Hand gezogen hatte, gibt er seinem Weibe.

Über Jahr und Tag, beim Baden im Flusse, zanken die Schwägerinnen Gudrun und Brynhild über den Vorrang ihrer Männer. Gudrun enthüllt der Gegnerin, daß Sigurd es war, der ihre Lohe durchritt und ihr Lager teilte, und überführt sie mit dem Ringe. Brynhild erbleicht und redet



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an dem Abend kein Wort. Als Gunnar sie nach ihrem Leide fragt, sagt sie ihm, jetzt wisse sie alles; Sigurd aber habe sie und ihn betrogen, als er ihr Lager teilte; sie wolle nicht zwei Männer haben in einer Halle; "Sigurd muß sterben oder du oder ich." Gunnar beschließt, den Schwager und Schwurbruder zu verderben. Als er seinem Bruder Högni davon redet, spricht dieser:



***
3
"Wofür ist Sigurd
Dir Sühne schuldig,
Daß du den Tod
Des tapfern willst?"


***
4 Gunnar:
"Der Held schwur mir
Heilige Eide,
Heilige Eide,
Und hielt keinen;
Aller Eide
Ewiger Hort
Sollte er sein
Und sann auf Trug!"


***
5 Högni:
"Brynhild hat dir
Zu böser Tat
Haß entzündet,
Harm zu wecken;
Gudrun gönnt sie
Den Gatten nicht,
Nicht will sie dir
Als Weib gehören."


***
6
Sie schnitten den Wurm,
Sie schmorten den Wolf,
Sie gaben vom Wolf
Guttorm zu essen,
Eh sie vermochten,
Meintatlüstern,
An den klugen Helden
Hand zu legen.


***
7
Erschlagen war Sigurd
Südlich vom Rhein;
vom Baume rief
Der Rabe laut:
"An euch wird Ati
Eisen röten,
Der Meineid muß
Die Mörder fällen!"


***
8
Draußen stand Gudrun,
Gjukis Tochter,



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Und also war Ihr erstes Wort "Wo habt ihr Sigurd, Den Heldenfürsten, Da Gjukis Erben Als erste reiten?"


***
9
Einzig Högni
Antwort da gab:
"Nieder hieben
Den Helden wir;
Der Hengst neigt das Haupt
Auf des Herrn Leiche."


***
10
Da lachte Brynhild
Zum letzten Male —
Das Haus hallte —
Aus Herensgrund:
"Lange waltet
Der Lande und Degen,
Da ihr den Fürsten
Fallen ließet!"


***
11
Da sprach Gudrun,
Gjukis Tochter:
"Furchtbar sprichst du,
Frevelworte;
Geistern verfalle
Gunnar, der Mörder!
Rache werde
Ruchloser Tat!"


***
12
Da sprach Brynhild,
Budlis Tochter:
"Wohl nun waltet
Der Waffen und Lande!
Sigurds Eigen
War alles bald,
Ließt ihr länger
Am Leben ihn.


***
13
Schande wär es,
Schaltete er
Über Gjukis Gut
Und der Goten Schar,
Hätte fünf Söhne
Zu Siegestaten,
Kampfgierige,
Der König gezeugt!"


***
14
Finstre Nacht wars,
Viel war getrunken,
Frohe Reden
Geführt waren;
Alle schliefen
Auf ihrem Lager —
Einzig Gunnar
von allen wachte.


***
15
Er regte den Fuß,
Er redete viel,
Denken mußte
Der Degen immer,



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Was Rabe und Aar Gerufen hatten Hoch vom Baume, Als heim sie ritten.


***
16
Wach ward Brynhild,
Budlis Tochter,
Die Fürstenmaid,
Früh vor Tage:
"Reizt oder wehrt —
Weh ist geschen —
Leid zu sagen
Oder so es zu lassen!"


***
17
Alle schwiegen
Bei ihren Worten,
Wenge verstanden
Solch weibisches Tun,
Als weinend sie
Das Werk erzählte;
Zu dem sie lachend
Die Degen verlockt.


***
18 Brynhild:
"Schrecken schaut ich
Im Schlaf, Gunnar:
Kalt war der Saal,
Klamm mein Lager;
Du, Fürst, rittest,
Des Frohsinns bar,
Die Fessel am Fuß,
Ins Feindesheer.


***
19
So wird vernichtet
Der Niblunge
Mächtiger Stamm:
Meineid schwurt ihr!


***
20
Gunnar, so ganz
Vergaßest du,
Daß Blut in die Spur
Ihr beide träuftet!
Übel hast du
Ihm alles gelohnt,
Der Gunnar als ersten
Doch gelten ließ.


***
21
Als kühn der Recke
Geritten kam,
Um mich u werben,
Da ward es kund,
Wie heilig den Eid
Der Heervernichter
Gehalten hatte
Dem jungen Herrscher.



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***
22
Der Glänzende legte
Den goldgezierten
Zweig der Wunden
Zwischen uns beide;
Im Feuer geschärft
Die Schneiden waren,
Bunt war mit Gift
Das Blatt geäst."


Copyright: arpa, 2015.

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