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Kapitel 

Walter Keller


Tessiner


Sagen und Volksmärchen

Mit Illustrationen von


Aldo Patocchi

1981

EDITION OLMS ZÜRICH


DIE HEIDEN VON OLIVONE

Am Abhang des schönen Gebirges Toira, das sich nordöstlich von Olivone erhebt, ist eine Höhle im Felsen, «La Cetta» genannt. Das war eine Art Katakombe mit unterirdischen Gängen. Sie war von Heiden bewohnt, einer Sippe, die man im Volksmund als «Croix» bezeichnete. Sie waren als Hexenmeister und Zauberer gefürchtet.

Eines Tages geschah es, daß einer dieser Höhlenbewohner erkrankte und einer seiner Gefährten sich nach Sommascona begeben mußte, dem höchst gelegenen Weiler der Gemeinde Olivone. Dort sollte er eine Frau herbeirufen, damit sie den Kranken heile. Die Frau getraute sich nicht, die Bitte abzulehnen, denn sie wußte, daß die Heiden rachsüchtige Leute waren, die einem leichthin einen bösen Streich spielen konnten. Sie folgte also dem «Croix», der sie zu der sonderbaren Felswohnung emporführte. Dort hielt sie sich als Krankenpflegerin einige Tage auf, bis der seltsame Patient sich wieder besser fühlte. Danach wollte sie sich verabschieden. Die Heiden suchten sich ihr aber erkenntlich zu zeigen und schenkten ihr Kohlen, die sie jedoch aus Angst nicht zurückweisen mochte. Sie füllte sich damit die Zipfel ihrer Schürze.

Als sie dann nicht mehr weit von ihrem Dorf Sommascona entfernt war, warf sie die Kohlen, mit denen sie nichts anzufangen wußte, weg. Daheim angelangt, suchte sie in ihrer Handtasche den Hausschlüssel und



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zog gleichzeitig damit ein Stücklein Kohle hervor, das aus Versehen in diese Tasche gefallen war und das sich in gediegenes, glänzendes Gold verwandelt hatte. Ganz entzückt über diesen Fund, kehrte sie schleunigst an den Ort zurück, wo sie die Kohlen weggeworfen hatte, fand sie jedoch nicht mehr. Einer der Heiden war ihr nämlich aus der Ferne nachgefolgt, um zu beobachten, was sie mit ihrem Geschenk anfange, und als er bemerkte, wie sie die Kohlen wegwarf, brachte er sie in seine Felsenwohnung zurück.

So mußte sie wieder nach Hause zurückkehren und sich mit dem kleinen Stück zufrieden geben, das ihr gegen ihren Willen geblieben war, und das aber gleichwohl eine schöne Belohnung darstellte.


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