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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

UBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 2

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DES BEDUINEN HAMMÂD

Wisset, vor kurzer Zeit war ich eines Nachts von arger Schlaflosigkeit gequält, und ich glaubte schon gar nicht mehr, daß es noch Morgen werden könne. Als es aber wirklich Morgen ward, stand ich im selben Augenblick auf, gürtete mich mit meinem Schwerte, bestieg meinen Renner, legte die Lanze ein und zog aus zu Jagd und Hatz. Unterwegs begegnete mir eine Schar von Leuten; die fragten mich nach meinem Ziele. Nachdem ich es ihnen gesagt hatte, sprachen sie: ,Wir wollen deine Gesellen sein.' So zogen wir denn alle zusammen weiter, und während wir unseres Weges dahineilten, siehe, da tauchte plötzlich ein Strauß vor uns auf. Wir jagten ihm nach, aber er entkam uns, indem er seine Flügel ausbreitete. Immerfort flüchtete er dahin, während wir ihm nachsetzten bis zum Mittag; da führte er uns in eine Wüste, in der kein Strauch und kein Wasser war und in der wir nichts hörten als das Zischen der Schlangen, das Klagen der Dschinnen und das Schreien der Ghulinnen'. Als wir dort angekommen waren, entschwand der Strauß unseren Blicken, und wir wußten nicht, ob er gen Himmel geflogen oder ob die Erde ihn eingesogen. Nun lenkten wir unsere Pferde um und wollten von dort wegreiten; aber wir sahen, daß es nicht gut noch ratsam war, zu jener Zeit der drückenden Hitze umzukehren. Denn die heiße Tageszeit



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lastete schwer auf uns, wir wurden von brennendem Durste gequält, und unsere Pferde blieben stehen, so daß wir schon des Todes gewiß waren. In dieser Not erblickten wir plötzlich in der Ferne eine Wiese, die weit ausgedehnt war, mit einer fröhlich springenden Gazellenschar. Dort war auch ein Zelt aufgeschlagen; und neben dem Zelte befanden sich ein Pferd, das angebunden war, und eine Lanze mit schimmernder Spitze, die aufrecht in der Erde stand. Da schöpften wir neuen Lebensmut, nachdem wir schon fast alle Hoffnung aufgegeben hatten; und so lenkten wir unsere Pferde nach jenem Zelte, indem wir auf Wiese und Wasser losritten. Alle meine Gefährten, ich an ihrer Spitze, eilten dorthin, und wir machten nicht eher halt, als bis wir die Wiese erreicht hatten; bei einer Quelle hielten wir an, tranken und tränkten unsere Pferde. Mich aber ergriff eine heidnische Neugier, und so begab ich mich zur Tür jenes Zeltes. In ihm erblickte ich einen Jüngling, auf dessen Wangen noch kein Bart sproßte, und er war schön wie der junge Mond; zu seiner Rechten stand eine Maid, schlank wie ein Weidenzweig. Kaum hatte ich sie erblickt, so ward mein Herz von Liebe zu ihr erfüllt. Ich begrüßte jenen Jüngling, er erwiderte meinen Gruß, und dann fragte ich ihn: ,Araberbruder, sag, wer bist du, und was ist dir jene Maid, die bei dir steht?' Der Jüngling senkte sein Haupt zu Boden; doch nach einer Weile hob er es wieder auf und sprach: ,Sag du mir, wer du bist, und was jene Reiter bedeuten, die bei dir sind!' Da antwortete ich: ,Ich bin Hammâd ihn el-Fazâri, der hochberühmte Ritter, der unter den Arabern so viel gilt wie fünfhundert Reiters mannen. Wir zogen aus unserem Lande fort zu Jagd und Hatz; doch da überkam uns der Durst, und deshalb bin ich an die Tür dieses Zeltes herangeritten, ob ich wohl bei euch einen Trunk Wasser fände.' Wie er diese Worte von mir vernahm, wandte



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er sich an die schöne Maid und sprach: ,Bring diesem Manne Wasser und was an Speise vorhanden ist!' Da erhob sich die Maid; ihre Kleider rauschten über den Boden, die goldenen Spangen klirrten an ihren Füßen, und ihre Glieder verwirrten sich in ihrem langen Haare. Eine Weile blieb sie fort; dann kehrte sie zurück, in der rechten Hand eine silberne Schale voll kühlen Wassers, in der linken eine Schüssel mit Datteln. Milch und dem, was an Wildbret vorhanden war. Aber ich konnte weder Speise noch Trank von ihr hinnehmen in meiner glühenden Liebe zu ihr; so kleidete ich meine Gedanken in diese beiden Verse, die ich sprach:

Es ist, als sei die dunkle Schminke ihrer Hände
Ein Rabe, der auf einem beschneiten Felde steht.
Du siehst, wie neben ihrem Angesicht die Sonne
Den Glanz verliert und wie der Mond in Furcht vergeht.

Als ich nun dennoch gegessen und getrunken hatte, sprach ich zu dem Jüngling: ,Höre, o Araberfürst, ich habe dir wahrheitsgetreu von mir berichtet; nun möchte ich, daß du mir von dir selbst erzählest und mir wahrheitsgemäß von dir berichtest!' Der Jüngling erwiderte: ,Was diese Maid betrifft, so ist sie meine Schwester.' Da fuhr ich fort: ,Ich wünsche, daß du sie mir gutwillig vermählest; wo nicht, so schlage ich dich tot und nehme sie mit Gewalt.' Wieder senkte der Jüngling sein Haupt zu Boden; doch nach einer Weile hob er seinen Blick zu mir auf und sprach: ,Du sprichst die Wahrheit, wenn du sagst, du seiest ein Ritter, bekannt in der Welt. und ein weitberühmter Held; denn fürwahr, du bist der Löwe der Wüste. Allein, wenn ihr alle hinterrücks über mich herfällt und mich tötet mit Gewalt. und dann meine Schwester raubt, so wird das ein Schandfleck auf eurer Ehre sein. Ist es aber, wie ihr sagt, daß ihr Ritter. die man zu den Helden rechnet, seid, und fürchtet ihr euch



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nicht vor Kampf und Waffenstreit, so lasset mir ein wenig Zeit: inzwischen lege ich meine Rüstung an, gürte mich mit meinem Schwert, ergreife die Lanze und besteige mein Pferd. Dann wollen wir, ich und ihr, auf das Schlachtfeld reiten; gewinne ich den Sieg über euch, so töte ich euch alle bis auf den letzten Mann; doch wenn ihr mich besiegt und mich erschlagt, so gehört diese Maid, meine Schwester, euch.' Als ich diese Worte von ihm vernahm, sprach ich zu ihm: ,Fürwahr, das ist nur billig und recht; dem zu widersprechen stände uns schlecht!' Darauf lenkte ich mein Pferd wieder um; doch die rasende Glut meiner Liebe zu der Maid ward immer stärker in mir entfacht. Wie ich dann zu meinen Gefährten zurückgekehrt war, beschrieb ich ihnen ihre Schönheit und Anmut, auch die Schönheit des Jünglings, der bei ihr war, seine Tapferkeit und seine Seelenstärke. und wie er sich rühme, es mit tausend Rittern aufnehmen zu können. Ferner berichtete ich meinen Genossen von all den Schätzen und Kostbarkeiten. die sich in dem Zelt befanden, und fügte hinzu: ,Wisset, der Jüngling dort lebte nicht so einsam in diesem Lande. wäre er nicht ein Mann von großer Tapferkeit. Nun schlage ich euch vor, wer immer den Jüngling tötet, der soll seine Schwester erhalten!' Sie antworteten: ,Wir sind es zufrieden.' Darauf legten also meine Gefährten ihre Kriegsrüstungen an, bestiegen ihre Rosse und ritten dem Jüngling entgegen; und sie trafen ihn, wie auch er sich gewappnet hatte und im Sattel saß. Seine Schwester aber war auf ihn zugeeilt und hatte sich an seinen Steigbügel gehängt. Ihr Schleier war von ihren Tränen benetzt, und in ihrer Angst um ihren Bruder rief sie: ,Wehe!' und ,O Herzeleid!' und sie klagte ihre Not in diesen Versen:

Vor Allah klage ich von Leiden und von Kummer,
Auf daß der Gott des Thrones sie mit Schrecken schlägt,



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Sie, die mit Fleiß dich töten wollen, liebster Bruder,
Wo doch kein Grund zum Streit noch Blutschuld sie erregt.
Es wissen's alle Helden. du bist ein edler Ritter.
Der tapferste von allen in Ost und Westen fern.
Du hütest treu die Schwester, die wenig Kraft besitzet,
Du bist ihr Bruder ja; sie fleht für dich zum Herrn.
So lasse denn die Feinde nicht meine Seele knechten,
Mich rauben mit Gewalt, noch fesseln hart und wild.
Nie werde ich, bei Gott. an einer Stätte weilen.
Wenn du nicht auch dort bist, sei sie auch freuderfüllt.
Ich will in Lieb zu dir gern mich dem Tode weihn
Und in den Staub mich betten und dann im Grabe sein.

Als ihr Bruder ihre Verse vernahm, weinte er heftig, lenkte den Kopf seines Pferdes nach seiner Schwester um und antwortete auf ihr Lied, indem er sprach:

Bleib hier und sieh von mir heut wunderbare Taten.
Wenn wir zusammentreffen und ich sie niederstrecke!
Tritt auch der Löwen Fürst hervor aus ihren Reihen.
Der allertapferste und allerkühnste Recke -
Ich lasse einen Hieb von Väterart ihn kosten
Und bohre bis zum Ende den Speer in seine Seite.
Wenn ich fur dich nicht kämpfe, o Schwester, läg ich lieber
Erschlagen da und wäre den Geiern Fraß und Beute!
Doch nein, solang ich kann, kämpf ich um deinetwillen -
Und das ist eine Mär, die wird einst Büch erfüllen.

Nach diesen Versen fuhr er fort: ,Liebe Schwester, höre auf das, was ich dir sage und was ich dir ans Herz lege!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte sie. Dann sprach er weiter: ,Wenn ich falle, so laß niemanden dich besitzen!' Da schlug sie sich ins Antlitz und rief: ,Das verhüte Gott, lieber Bruder, daß ich, wenn ich dich dahingestreckt sehe, die Feinde mich besitzen lasse!' Da streckte der Jüngling seine Hand zu ihr hin und hob den Schleier von ihrem Antlitz: und uns leuchtete ihr Bild entgegen wie die Sonne aus dem Gewölk. Dann küßte er sie auf



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die Stirn und nahm Abschied von ihr. Darauf wandte er sich uns zu und rief: ,Ihr Rittersleut, seid ihr Gäste heut, oder wünscht ihr Schwertkampf und Lanzenstreit? Kommt ihr als Gäste, so freut euch des gastlichen Mahles; wenn ihr aber den leuchtenden Mond begehret, so tretet Ritter für Ritter wider mich auf das Blachgefild, die Stätte, da Schwerthieb und Lanzenstich gilt!' Nun ritt ein tapferer Ritter wider ihn vor; dem rief der Jüngling zu: ,Wie heißest du, und wie heißt dein Vater? Denn wisse, ich habe einen Eid geschworen, niemanden zu töten, der denselben Namen hat wie ich, und dessen Vatersname dem Namen meines Vaters gleich ist. Sollte das bei dir also sein, so will ich dir die Maid übergeben.' Der Ritter rief: ,Ich heiße Bilâl;"da antwortete ihm der jüngling, indem er sprach:

Du lügst, wenn du von Wohltat sprichst
Und kommst mit List und Tücke an!
Bist du ein Held. so hör mein Wort:
Ich strecke Helden auf den Plan;
Scharf wie der Neumond ist mein Stahl,
Mein Stoß erschüttert Berg und Tal.

Nun stürmten beide aufeinander los, und der Jüngling durchbohrte die Brust seines Gegners, daß die Lanzenspitze ihm zum Rücken herausfuhr. Dann trat ein zweiter vor: dem rief der Jüngling zu:

O Hund, du Mißgeburt von Dreck,
Wie kann man hoch und niedrig gleichen?
Der Löwe nur aus edlem Blut
Braucht nicht vor mir im Feld zu weichen.

Und der Jüngling zauderte nicht lange mit ihm, sondern ertränkte ihn alsbald in seinem eigenen Blut; dann rief er weiter: ,Will noch einer vortreten?' Da kam ein anderer Ritter hervor und sprengte auf den Jüngling ein, indem er rief:



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Dir nahe ich, das Herz voll Zornesglut;
Die ruft die Freunde mein zu Kampfeswut.
Den Herrn der Araber erschlugst du heut;
Drum wirst du heut vom Unheil nicht befreit.

Doch als der Jüngling seine Verse hörte, erwiderte er mit diesen Worten:

Du lügst, gemeiner Satan, du!
Du kamst mit Lug und Trug zu mir.
Heut trifft die rasche Spitze dich
Bei Schwerterkampf und Speerwurf hier.

Darauf durchbohrte er ihn mit der Lanze, sodaß die Spitze ihm zum Rücken herausfuhr. Und weiter rief er: ,Will noch einer vortreten?' Da ritt ein vierter hervor; den fragte der Jüngling nach seinem Namen. Und als der Ritter erwiderte: ,Ich heiße

Hilâl!"sprach der Jüngling diese Verse:

Du irrest, wenn du meinst in meinem Blut zu waten.
Du kamest ja mit Lug und allem Falsch ins Land.
Ich hier, aus dessen Mund du diese Verse hörest.
Ich raube dir das Leben, wiewohl dir unbekannt.

Dann stürmten die beiden aufeinander los und führten jeder einen Hieb gegen den anderen. Aber der Hieb des Jünglings kam dem des Ritters zuvor und streckte ihn zu Boden. Und

nun tötete er alle, die gegen ihn heraussprengten. Wie ich aber meine Gefährten erschlagen daliegen sah, sprach ich bei mir selbst: ,Wenn ich wider ihn in den Kampf ziehe, so werde ich ihn nicht überwinden; und wenn ich fliehe, so werde ich zu einem Schandfleck unter den Arabern.' Doch der Jüngling ließ mir keine Zeit, sondern sauste auf mich nieder, packte mich bei der Hand und riß mich aus dem Sattel. Ich fiel ohnmächtig zu Boden; schon hob er sein Schwert, um mir den



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Kopf abzuschlagen, da klammerte ich mich an den Saum seines Gewandes, und er hob mich mit seiner Hand auf, wie wenn ich im Vergleiche zu ihm ein Sperling wäre. Als die Jungfrau das sah, freute sie sich über die Heldentaten ihres Bruders, trat auf ihn zu und küßte ihn auf die Stirn. Dann übergab er mich seiner Schwester mit den Worten: ,Da hast du ihn! Sorge gut für ihn, denn er hat sich unter unseren Schutz begeben.' Nun faßte die Maid mich am Kragen meines Panzerhemdes und führte mich fort wie einen Hund. Ihrem Bruder aber nahm sie die Kriegsrüstung ab, legte ihm ein Gewand an und stellte einen Stuhl aus Elfenbein hin. Auf den setzte er sich, und sie sprach: ,Allah lasse deine Ehre hell erstrahlen und schütze dich vor den Wechselfällen des Schicksals!' Da antwortete er ihr mit diesen Versen:

Es sprach zu mir die Schwester, als sie im Kampfe sah,
Wie meines Ruhmes Strahlen dem Sonnenlichte gleichen:
,Fürwahr, du bist der kühnste und wunderbarste Held.
Vor dessen Schwert die Löwen im Talesdickicht weichen.'
Drauf sagt ich: ,Frage du die Recken nur nach mir,
Wenn sie, die Schlachtenkämpfer, besiegt den Rücken wenden.
Ich bin durch Glück und Sieg auf Erden weitberühmt;
Hoch fliegen meine Pläne bis zu des Welt raums Enden.
Ja du, Hammâd, du lagest mit einem Leu im Streit,
Der einer Viper gleich dich rasch dem Tode weiht.'

Als ich seine Verse hörte, war ich ratlos, was ich tun sollte: ich überdachte meine Lage und wie ich nun in Gefangenschaft geraten war, und ich kam mir selbst verächtlich vor. Dann aber blickte ich auf die Maid, die Schwester des Jünglings, und auf ihre Schönheit, und ich sprach zu mir selber: ,Sie ist die Ursache des Unheils.' Und voll Bewunderung ob ihrer Lieblichkeit begann ich in Tränen auszubrechen und hub an, diese Verse zu sprechen:



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Mein Freund, laß ab vom Tadel und vorn Schelten;
Denn sieh, auf Tadel achte ich nicht mehr.
Ich liebe eine Zarte, deren Anblick
Mein Herz erfüllt mit Liebesnöten schwer.
Und in der Liebe ward mir zum Gefährten
Ihr Bruder, jener Held so hoch und hehr.

Dann brachte die Jungfrau Speise für ihren Bruder, und er lud mich ein, mit ihm zu essen. Darüber war ich froh, denn nun war ich sicher, daß er mich nicht töten würde. Als er mit dem Essen fertig war, brachte sie ihm einen Krug Wein. Dem sprach er zu, und er trank, bis ihm der Rausch zu Kopfe stieg und sein Antlitz sich rötete. Da wandte er sich zu mir und rief: ,Du da. Hammâd, weißt du, wer ich bin, oder nichte' Ich erwiderte: ,Bei deinem Leben, ich weiß es immer weniger.' Er fuhr fort: ,O Hammâd, ich bin 'Abbâd ibn Tamîm ibn Tha'laba. Siehe, Allah hat dir dein Leben geschenkt und dich für deine künftige Hochzeit aufgespart.' Dann reichte er mir einen Becher auf mein Wohl, und ich trank ihn aus; auch einen zweiten, einen dritten und einen vierten reichte er mir, und ich leerte sie alle. So machte er mich zu seinem Zechgenossen, und er ließ mich schwören, daß ich nie treulos an ihm handeln wolle. Ich schwor ihm tausendundfünfhundert Eide, daß ich niemals Verrat an ihm begehen, sondern ihm stets ein treuer Freund sein wolle. Darauf befahl er seiner Schwester, mir zehn seidene Ehrenkleider zu bringen; sie tat es und legte sie mir über -dies Kleid, das ich jetzt am Leibe trage, ist eins von ihnen. Und weiter befahl er ihr, mir eine der schönsten Kamel innen zu bringen; da brachte sie mir eine Kamelstute, beladen mit Kostbarkeiten und Wegzehrung. Schließlich befahl er ihr noch, mir einen Fuchshengst herbeizuholen; auch das tat sie. Und das alles machte er mir zum Geschenk. Damals blieb ich drei Tage lang bei ihnen, bewirtet mit Essen und Trinken; und was er mir



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schenkte, ist noch heute in meinem Besitz. Am vierten Tage aber sprach er zu mir: ,Bruder Hammâd, ich will jetzt etwas schlafen und mich ausruhen: dir vertraue ich mein Leben an. Wenn du aber Reiter heranstürmen siehst, so fürchte dich nicht vor ihnen; denn wisse, die sind vom Stamme Tha'laba und suchen nur mit mir Händel.' Dann legte er sein Schwert als Kopfkissen unter sein Haupt und schlief ein. Doch wie er ganz fest schlief, flüsterte der Teufel mir den Plan ein, ihn zu ermorden. Rasch zog ich ihm das Schwert unter dem Kopfe weg und versetzte ihm einen Hieb, der ihm das Haupt vom Rumpfe rollen ließ. Als seine Schwester sah, was ich getan hatte, stürzte sie von der anderen Seite des Zeltes herbei, warf sich über ihren Bruder, zerriß ihre Kleider und klagte in diesen Versen ihr Leid:

Verkünde nun dem Stamm die schlimmste Trauermäre -
Dem Ratschluß des Allweisen kann doch kein Mensch entfliehn -
Da liegst du hingestreckt, o Bruder mein, am Boden:
Noch gleicht dem vollen Mond dein Antlitz schön und kühn.
Das war der Tag des Unheils, der Tag, da du sie trafest
Und da dein Speer zerbrach nach mancher harten Schlacht.
Seit du gefallen ,freut kein Reiter sich der Rosse,
Vom Weib wird nie ein Knabe dir gleich zur Welt gebracht.
Denn heute ist Hammâd an dir zum Mörder worden:
Er machte Treu zum Wahn, zur Lüge, was er schwor.
Wohl will er sein Begehren durch diese Tat erreichen -
Doch was der Satan riet, log er ihm alles vor.

Und nach diesen Versen schrie sie mir zu: ,O du Sohn verfluchter Ahnen, warum hast du meinen Bruder so tückisch ermordet? Er wollte dich doch in deine Heimat zurücksenden mit Wegzehrung und Geschenken, ja, er wollte mich auch mit dir vermählen am Ersten des Monats !'Dann zog sie ein Schwert hervor, das sie bei sich hatte, pflanzte es aufrecht in die Erde,



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mit der Spitze gegen ihre Brust, und stürzte sich hinein, so daß es ihr zum Rücken wieder herausfuhr und sie tot zu Boden sank. Trauer um sie erfüllte mich, und ich bereute, als die Reue nichts mehr fruchtete, und ich begann zu weinen. Dann aber trat ich eilig ins Zelt, nahm alles, was nicht beschwert und doch von hohem Wert, und ging meiner Wege; in meiner Angst und meiner Hast dachte ich gar nichtmehr an meine Gefährten, ja, ich begrub nicht einmal die Jungfrau noch den Jüngling. Dies Erlebnis ist noch seltsamer als das erste mit der jungfräulichen Sklavin, die ich aus Jerusalem entführte.'

Als Nuzhat ez-Zamân diese Rede des Beduinen gehörte hatte, wurde das helle Tageslicht finster vor ihrem Angesicht. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 145. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, als Nuzhat ez-Zamân diese Rede des Beduinen gehört hatte, sei das helle Tageslicht finster geworden vor ihrem Angesicht; und sie sprang auf, zückte das Schwert und holte damit gegen den Beduinen Hammâd aus, stieß es in seine Schulter und trieb es wieder zur Brust hinaus. Als aber die, so zugegen waren, sie fragten: ,Warum hast du ihn so eilig getötete' antwortete sie: ,Allah sei gepriesen, der mich so lange leben ließ, bis ich mit eigener Hand Rache nehmen konnte!' Darauf befahl sie den Sklaven, die Leiche an den Füßen hinauszuschleifen und sie den Hunden vorzuwerfen.

Nun wandten sie sich den beiden anderen der drei Räuberhauptleute zu. Einer von ihnen war ein schwarzer Sklave, und zudem sprachen sie: ,Wie heißt du da? Sag uns die Wahrheit!' ,Ich heiße el-Ghadbân', antwortete er, und dann berichtete er ihnen sein Erlebnis mit der Prinzessin Abriza, der Tochter des



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Königs Hardûb, des Herrschers von Kleinasien, wie er sie getötet habe und dann geflohen sei. Kaum aber hatte der Neger seine Worte beendet, so hieb ihm König Rumzân mit dem Schwerte die Kehle durch und rief: ,Allah sei gepriesen, der mich am Leben ließ, daß ich mit eigener Hand meine Mutter rächen konnte!' Dann erzählte er ihnen, was seine Amme Mardschâna ihm von eben diesem Sklaven, der da el-Ghadbân hieß, berichtet hatte.

Schließlich wandten sie sich dem dritten zu, und das war der Kameltreiber, den die Leute von Jerusalem gemietet hatten, um Dau el-Makân auf seinem Tiere nach dem Krankenhause in Damaskus zu bringen; er war aber damals hingegangen, hatte ilm bei dem Warmbade niedergeworfen und war dann seiner Wege gezogen. Zu ihm also sprachen sie: ,Berichte du uns jetzt von deinem Leben und sag uns die Wahrheit!' Da erzählte der Mann alles, was er mit dem Sultan Dau el-Makân erlebt hatte; wie er in jerusalem den kranken Jüngling auf sein Tier geladen hatte, um ihn nach Damaskus ins Krankenhaus zubringen; wie die Leute von Jerusalem ihm Geld gegeben hatten, wie er es genommen hatte und dann, nachdem er den Jüngling auf den Misthaufen bei dem Ofen des Badehauses geworfen hatte, weggelaufen sei. Und kaum hatte der seine Rede beendet, so ergriff der Sultan Kân-mâ-kân das Schwert, holte aus und hieb ihm den Kopf ab mit den Worten: ,Allah sei gepriesen, der mich am Leben ließ, bis ich diesem Schurken vergelten konnte, was er an meinem Vater getan hat! Denn ich habe diese selbe Geschichte von meinem Vater, dem Sultan Dau el-Makân. gehört.'

Nunmehr sprachen die Könige zueinander: ,Jetzt bleibt uns nur noch die alte Schawâhi, genannt Dhât ed-Dawâhi. Die Ursache all dieser Not war sie allein; denn sie brachte uns in



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das Unglück hinein. Wer kann sie uns bringen, auf daß wir an ihr die Rache vollstrecken und die Schmach zudecken?' Da sprach selbst der König Rumzân zu seinem Neffen König Kânmâ-kân: ,Das ist gewiß, sie muß hierher geschafft werden.' Zur selbigen Stunde schrieb König Rumzân einen Brief und sandte ihn an seine Großmutter, die alte Schawâhi, genannt Dhât ed-Dawâhi; darin tat er ihr kund, er habe die Reiche von Damaskus und Mosul und Irak erobert, die Macht der muslimischen Heere gebrochen und ihre Könige gefangen genommen, und dann fügte er hinzu: ,Es ist mein Wille, daß du zu mir kommst, zusammen mit der Königin Sophia, der Tochter des Königs Afridûn, des Herrschers von Konstantinopel, und solchen Vornehmen der Christenheit, die du bei dir zu haben wünschest; bring aber kein Heer, denn das Land ist ruhig, da es in unserer Gewalt ist!' Als das Schreiben bei der Alten eingetroffen war, und als sie es gelesen und die Handschrift des Königs Rumzân erkannt hatte, da war sie hocherfreut und rüstete sich alsbald zur Reise, zusammen mit der Königin Sophia, der Mutter Nuzhat ez-Zamâns, und mit ihren übrigen Begleitern. Sie zogen immer weiter dahin, bis sie vor Baghdad ankamen. Da eilte ein Bote vorauf und meldete ihr Nahen. Nun sprach Rumzân: ,Die Klugheit erfordert, daß wir uns in fränkische Gewänder kleiden und dann der Alten entgegengehen, damit wir vor ihren Ränken und Listen sicher sind.' Die anderen sprachen: ,Wir hören und gehorchen!' Dann legten sie fränkische Gewänder an, und als Kudija-Fakân das sah, rief sie: ,Bei dem Herrn, den wir anbeten, wenn ich euch nicht kennte, so hätte ich gesagt, ihr wäret Franken!' Nun zogen sie aus, König Rumzân an der Spitze, mit tausend Reitern, um die Alte zu empfangen. Als er sie von Auge zu Auge erblickte, sprang er von seinem Rosse herunter und eilte auf sie zu. Und



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wie sie ihn sah und erkannte, ging auch sie ihm zu Fuße entgegen und umarmte ihn. Doch er drückte mit dem Arme so fest auf ihre Rippen, daß er sie fast zerbrach. Da rief sie: ,Was soll das bedeuten, mein Sohn 'Kaum aber hatte sie diese Worte ausgesprochen, da nahten schon Kân-mâ-kân und der Wesir Dandân, und die Ritter eilten mit Kriegsgeschrei gegen ihre Mägde und Knappen herbei, nahmen sie alle gefangen und kehrten mit ihnen nach Baghdad zurück. Rumzân gab Befehl, die Stadt zu schmücken, und das tat das Volk drei Tage lang. Dann aber führte man die alte Schawâhi, genannt Dhât ed-Dawâhi, umher, angetan mit einer roten Zipfelmütze aus Palmblättern, die mit Esels mist gekrönt war, und vor ihr rief ein Herold aus: ,Dies ist der Lohn derer, die sich an Königen und Königs kindern zu vergreifen wagen!' Dann ward sie beim Stadttore von Baghdad ans Kreuz geschlagen. Als ihre Begleiter sahen, was mit ihr geschah, da traten sie allesamt zum Islam über. Kân-mâ-kân aber und sein Oheim Rumzân und Nuzhat ez-Zamân und der Wesir Dandân waren von Staunen ergriffen über diese wunderbaren Erlebnisse, und sie befahlen den Schriftgelehrten, sie in den Büchern aufzuzeichnen, damit auch spätere Geschlechter sie lesen könnten. Dann verlebten sie den Rest ihrer Tage im schönsten Lebensglück, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und der die Freundesbande zerreißt.

Hier endet die Überlieferung von den wechselvollen Schicksalen des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân und seiner Söhne Scharkân und Dau el-Makân und seines Enkels Kân-mâ-kân und seiner Tochter Nuzhat ez-Zamân und deren Tochter Kudija-Fakân. «

Da sprach der König Schehrijâr zu Schehrezâd: »Ich wünsche, daß du mir eine Geschichte aus dem Leben der Vögel erzählst.«



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Ihre Schwester aber sagte zu ihr: »Noch nie in all dieser Zeit habe ich den König so fröhlichen Sinnes gesehen wie in dieser Nacht. Und so hoffe ich denn, daß dein Geschick bei ihm zu einem glücklichen Ende führen möge. «Nun kam die Müdigkeit über den König, und er schlief ein. — —Da bemerkte auch Schehrezâd, daß der Morgen begann, und so hielt sie in der verstatteten Rede an. Doch als die 146. Nacht anbrach, fuhr sie fort und erzählte


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