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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


14. Gespenst fast ein Erdbeben an.


Scheuchzer, Beschreibung der Naturgeschichte der Schweiz. B. 3. S. 20.

Es war in den Jahren 1701 oder 1702, in welchen das glarner Land wohl durch 30 oder 40 Erdbidem erschüttert wurde, als einstmals um Mitternacht ein ehrlicher Mann und Burger im Linththal eine unbekannte Stimme hörte, die seinen Namen rief. Als er darüber aus dem Schlafe erwacht war und um Fenster hinaus gesehen hatte, sah er einen Geist mit einem Lichte in die seinem Hause nah gelegene Kirche gehen, welche, nachdem das Gespenst hinter sich die Thüre zugeschlossen hatte, in vollen Flammen stand,



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obwohl man hernach nicht das geringste Merkmal eines Feuers wahrnahm. Kurz darauf aber ward die dortige Gegend wieder von einem heftigen Erdbidem heimgesucht.

Die Vision obiger Sage gehört in das Bereich der Weissagungen, Ahnungen und Vorzeichen — ein Glaube, der sich, da er in der zu allen Zeiten den Völkern sich aufdringenden Wahrheit, daß nicht der Zufall, sondern eine ewige Ursache künftiger Wirkungen Regierer und Lenker dieses Weltalls ist, wurzelt, von jeher Anhänger und Vertheidiger fand; die Erkenntniß jener Wirkungen aber hielt man nur während des Schlafes für möglich oder man schrieb sie einzelnen besonders bevorzugten Sterblichen zu, deren Organismus dem Zustand der Extase unterlag. Die Orakel der Alten, ihr Glaube an die Schutzgeister, welche ihnen vermittelst der Träume den Willen der Götter offenbarten, sind bekannt, nicht minder der Glaube an das zweite Gesicht *), welcher, noch heute in Schottland und am



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Niederrhein daheim, sich ebenfalls hierauf basirt und an das sogenannte "Kirchgangschauen" der Glarner lebhaft erinnert. Die Gabe des Kirchgangschauens, welche darin besteht, daß man alle Diejenigen, welche im Laufe des Jahres sterben werden, Nachts zur Kirche gehen sieht, ist der im Kanton Glarus herrschenden Vorstellung nach nur alten Weibern und Frohnfastenkindern eigen; letzteren jedoch nur in der Nacht, von welcher sie ihren Namen haben. Noch vor Kurzem lebte zu Matt ein altes Weib,



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welches man oft des Nachts auf der Straße stehen sah und das behauptete , alle die im Laufe des Jahres Sterbenden, den Tod an ihrer Spitze, im geisterhaften Zuge an sich vorüberwallen zu sehen. Die Angaben solcher Kirchgangschauerinnen, durch einen innern Drang zum Anschauen dieser Züge gezwungen zu sein, und während demselben Niemand grüßen, noch den Namen Gottes anrufen zu dürfen, gehen offenbar in das Hexenartige über, was, wie wir sahen, ganz ähnliche Eigenheiten aufzuweisen hat.
Copyright: arpa, 2015.

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