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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


10. Der Dreifingerstein.


Reithard, Schweizerischer Merkur. Jahrgang 1835, S. 51.

Zwischen den Kantonen Zürich, Schwyz und Zug steht, als erhabener Grenzstock, die hohe e Rohne, ein Berg, der, um seiner ausgedehnten Fernsicht willen, zur Frühling- Sommer- und Herbstzeit von zahlreichen Wallern besucht wird. kühler Föhrenwald umzieht des Berges Mitte und läuft gegen den sogenannten Roßberg hinunter in spärlichem Wuchse aus. Dieser Roßberg ist eine fruchtbare Alp, auf welcher mehrere Sennenwohnungen zerstreut herumliegen. Steigt man von diesen Hütten den steilen Bergpfad hinan, so muß man hei einem gewaltigen Granitblöcke vorbei. Dieser Block ist in der umliegenden Gegend unter dem Namen Dreifingerstein bekannt. Bei näherer Betrachtung rechtfertigt sich diese sonderbare Benennung dadurch, daß man oben auf der platten Höhe drei Vertiefungen wahrnimmt, die gerade der



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Art sind, als ob sie durch das Hineinstecken des Daumen Zeig- und Mittelfingers entstanden wären. Von dem Ursprung dieser Löcher erzählt die Volkssage Folgendes.

Ein reicher und habsüchtiger Senn machte nach dem Absterben des Besitzers auf Alp und Wald ungerechten Anspruch . Seine Forderung geschah auf Unkosten der Kinder des Verstorbenen, die durch den Verlust dieser Grundstücke arme Waisen geworden wären. Falsche Dokumente und Verschreibungen unterstützten die Ansprüche des Betrügers; die armen Kinder hatten nichts als ihr inneres, gutes Recht. Es kam zum richterlichen Augenschein und zum Eidschwur. Der Bösewicht leistete ihn mit aufgehobenen Schwörfingern auf der Höhe des Felsens laut und frech.

Weh dir, rief ihm der Richter zu, so du einen falschen gethan!

Da that der Mann auf dem Felsen die gräßlichsten Betheuerungen, wie der Teufel holen solle, wenn er Unwahrheit geschworen: "So wenig," rief er, "als ich meine Schwörfinger in diesen harten Stein tauchen mag, als in Wasser — so wenig hab ' ich einen falschen gethan ."

Und damit setzte er in grauser Vermessenheit die Finger auf den Stein, als ob er dieselben hineindrücken wollte. Und siehe, der Felsen gab nach wie weicher Schnee und die drei Schwörfinger begruben sich drin bis an's hinterste Gelenke.

Entsetzt wollt' er sie alsbald zurückziehen; sie waren aber festgewachsen, also, daß all sein Mühen und die Arbeit Anderer nichts fruchtete. Gott hatte gerichtet; der Fälscher bekannte sein Verbrechen vor allein versammelten Volke.

Und nach dem er gebeichtet, erbebte die Erde; die Föhrenzweige rauschten schauerlich, und giig dem Walde fuhr



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unter Blitz und Donner eine kohlschwarze Wolke. Und die Wolke umhüllte ihn und ein lautes Geheul erhob sich in derselben; dann zertheilte sie sich und erfloß in der Luft.

Der Verbrecher aber lag entseelt und das Antlitz im Nacken.

Obige Sage spricht für das tiefe Gefühl des Volkes, das in sittlicher Entrüstung Meineid mit Recht als eines der größten Verbrechen bezeichnet: daher die so häufigen Wiederholungen mythischer Ueberlieferungen ganz ähnlicher Art, welche zur Erkennung und gerechten Bestrafung des Verbrechers selbst die Natur von dem ihr für ewig vorgeschriebenen Gseh in solchem Falle abweichen lassen. (Vgl. S. 82.)
Copyright: arpa, 2015.

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