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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


2. Der Küfer von Luzern in der Drachenhöhle.


A thanasii Kirchen e Soc. Jesu, Mundi subterranei. Tom. il. Lib. VIII. pag. c. Amsterdam 1678.


Cysat, Beschreibung des Luzerner oder Vierwaldstetter See's ec. Gedruckt zu Luzern im Jahr MDCLXI. S. 174.

In der Stadt Luzern lebte einst ein Küfer, der oftmals in ven dichten Wäldern und Klüften des Pilatusberges herumirrte, um sich Hol; zur Verfertigung der Weinfässer zu suchen. Eines Tages kam er aber von seinem gewöhnlichen Wege in den letztern so weit ab, daß er nicht mehr wußte, von wo er in dieses Labyrinth von Schluchten hineingerathen und wie er sich aus demselben wieder herausfinden sollte. Nachdem er so den ganzen Tag und einen Theil der Nacht mit Wiederaufsuchen des verlornen Pfades zugebracht, er auch ein wenig ausgeruhet hatte, wollte er mit Anbruch des Tages seinen Weg wieder aufnehmen. Das ungewisse Zwielicht aber, das, da der Tag noch nicht gänzlich angebrochen, in der Schlucht herrschte, ließ ihn eine in dem Weg liegende tiefe Grube nicht bemerken. Er stürzte in dieselbe hinab, nahm jedoch, da er auf weichen Lett fiel, der den Boden

Trägt er einen Degen,
So gibt es Regen.



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des Abgrundes bedeckte, von dem Falle keinen Nachtheil noch sonstigen leiblichen Schaden, außer solchen, der aus der Furcht vor dem möglichen Untergange zu entstehen pflegt. Als er aber die Höhe des Schlundes gemessen und zu der Ueberzeugung gekommen war, daß er an menschlicher Hülfe verzweifeln müsse, wandte er sich mit brünstigem Gebet zu der Mutter Gottes, daß dieselbe ihn aus seinen Nöthen befreien möge.

In den Seitenwänden der Grube waren aber noch tiefe Gänge und Höhlen. In diese schritt jetzt der Küfer hinein, um sich einen Ort zu suchen, der ihm zum Aufenthalt dienen könnte. Kaum aber hatte er einige Schritte nach vorwärts gethan, da kamen ihm zwei schreckliche Drachen entgegen, bei deren Anblick er bis auf den Tod erschrack und die heilige Mutter Gottes wiederum um Hülfe anflehte. Und siehe! o Wunder! die Drachen thaten ihm nicht nur keinen Schaden oder sonstige Gewalt an, sondern streichelten sogar seinen erschrockenen Körper mit Kopf und Schweif, so daß er neuen Muth faßte und sich an diese schreckliche und unerhörte Gesellschaft zu gewöhnen anfing. In dieser Gesellschaft brachte aber der Unglückliche nicht einen oder sieben Tage zu, sondern sechs volle Monate, von dem 6. Tag des Wintermonats an bis ;u dem 10. des Aprils. Während dieser langen Zeit stillte er seines Lebens Nothdurft auf folgende wunderbare Weise. Er hatte nämlich bemerkt, daß die Drachen während der ganzen Winterzeit keine andere Nahrung ;u sich nahmen, als einen salzichten Saft, der aus den Ritzen der Felsenwände bervorträufelte und welchen diese Thiere aufleckten. Da ihm nun alle andere Nahrung abging, folgte er ihrem Beispiele und fing gleich ihnen an, diesen Saft von den Wänden abzulecken.

Als jedoch die Sonne die Aequinoktiallinie überschritten hatte und die Wärme dieses Gestirns fühlbarer zu werden begann, da mochte sich auch in den Ungeheuern der Gedanke



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regen, daß die Zeit da sei, ihre unterirdische Wohnung zu verlassen und sich eine bessere Kost zu suchen. Und flog denn zuerst der eine der Drachen, nachdem er zuvor seine Flügel wie zum Versuch ein paarmal geschwungen, aus der Höhle von dannen. Als aber der noch Zurückgebliebene sich ebenfalls zum Davonfliegen bereit machte, da meinte der arme Küfer, dies möchte die beste Gelegenheit zu seiner Befreiung sein, und hängte sich mit seinen Händen fest an den Schweif des Unthiers, das ihn also auch mit davon nahm und ihn unter göttlicher Leitung alsbald zur Erde in der Richtung nach Luzern zu niedersetzte, worauf er, nachdem ihn der Drache verlassen, nach Haus zu den Seinigen geeilt ist, die ihn längst verloren gehalten und denen er nun diese seine so wunderbare Geschichte erzählte.

Damit aber seine Befreiung, welche ihm nur durch die Vermittlung der heiligen Mutter Maria- u- geworden war, im ewigen Gedächtnisse zur Verwunderung der Nachkommen bleibe, ließ er ein Meßgewand anfertigen, auf dem der ganze Verlauf dieser Geschichte gesticket und das noch heutigen Tages in der Kirche des heiligen Leodegarius zu schen ist. Der also Gerettete aber entschlief in Gott wei Monate nach seiner Befreiung aus der Drachenhöhle, da er menschliche Nahrung nicht mehr vertragen konnte.

Ein Pater Richeom erzählt in dem "Lorettanischen Pilgrim" (im Jahr 1526 von dem Bischof zu Rochester, Joh. Fischers, gegen Accolampadius herausgegeben) Cap, 138 auf ähnliche sagenhafte Weise von einem Priester, welcher sich auf einer Reise nach Italien auf den Alpen anfangs eines Winters verirrt und unter einem überhangenden ausgehöhlten Felsen den ganzen Winter in Gesellschaft von Schlangen zugebracht und sich mit ihnen, gleich jenem Küfer mit den Drachen, mit einem aus der Erde heworquellenden Safte das Leben erhalten habe.Was das Zeitalter obiger Sage betrifft, so ist dasselbe unbestimmt. Die Urkunden der erwähnten Kirche versetzen sie jedoch in das I, 1420,
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