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ARNOLD BUCHLI

Schweizer Legenden

GUTE SCHRIFTEN ZÜRICH 1967


BEATUS, DER SCHWEIZER APOSTEL

Beatus, in seiner heidnischen Jugend zuvor Suetonius geheißen, war aus England gebürtig, von edeln Eltern erzogen und mit zeitlichen Gütern wohl versehen, auch schön von Gestalt, ein ansehnlicher Jüngling. Was seine reichen Blutsfreunde, Nachbarn und Weltweise auch dawider sprachen und rieten, er wollte sich dennoch von den abgöttischen und öffentlichen Feinden der Christenheit absondern, der armen Apostel Predigt hören und das aufgehende Licht des Evangeliums in seinem Herzen leuchten lassen. Darum machte er sich auf und kam zu dem berühmten Apostel Barnaba, welcher nicht allein zu Antiochia und Cypern, sondern auch in Italia, vornehmlich zu Rom und Mailand, nachmals zu Chur in Raetia das Evangelium verkündigte. Von ihm ward er in christlicher Lehre unterwiesen und getauft auf den holden Namen Beatus, welcher heißt «der Selige».

Er mochte sich aber nicht damit begnügen, daß er an Christus unsern Erlöser glaubte und auf ihn getauft war, sondern er wollte nach Ablegung des alten Menschen mit seinen Werken und Worten ein neugeboren Geschöpf Gottes werden. In dieser Meinung legte er allen Schmuck der prächtigen, kostbaren Kleider ab und zog ein bären Hemd an seinen Leib allein zur Notdurft. Geld und Gold achtete er wie nichts. All das Seinige teilte er unter die Armen und sorgte nicht mehr für den Morgen. Damit er aber in der Erkenntnis Christi zunehme, begab er sich zu dem heiligen Apostel Petrus gen Antiochia, wo derselbe sieben Jahr im bischöflichen Stuhl gesessen. Nachdem er darauf Evodius zum Bischof eingesetzt, ist St. Petrus im zweiten Jahr des Kaisers Claudius nach Rom gekommen und hat allda bei fünfundzwanzig Jahren der Kirche Regiment versehen. Mit ihm war Beatus als sein Jünger und Gefährte nach der Römer Hauptstadt gezogen und wurde dort von ihm zum Priester geweiht. Dem ersten römischen Bischof hat es also gefallen, viele



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Arbeiter in die weite Welt zu senden. Nun wurde zu Rom, wo sich allerlei ausländische Völker zu versammeln pflegten, zur selben Zeit viel von Helvetia geredet, so man jetzt das Schweizerland heißt, wegen vieler Kriege und großer Schlachten, welche die Bewohner kurz zuvor mit Julius Cäsar gehabt. Man sagte, daß sie unter allen gallischen Völkern den Preis hätten in mannlichen Taten und Kräften, wider die Feinde zu streiten. Ist darum kein Wunder, daß in der Römer Hauptstadt von den Helvetiern viel ist gehört worden und auch vor St. Petrus gekommen, worauf er sich dann entschlossen, einen von seinen Jüngern abzufertigen, der diesen wunderlichen Leuten die christliche Gnade verkünden und beweisen sollte.

Aber zu so wichtigem Werk Gottes war es eines nicht geringen, wohlerfahrenen Hauptmanns vonnöten, welcher mit rauhen Menschen, wie gemeiniglich die heidnischen Kriegsleut sind, wohl umgehen konnte. Dazu ist unser Beatus von dem Apostel Petrus als der Tauglichste erkannt worden, in Helvetien nicht allein die einfachen Bürger und Landleute, sondern auch die wilden Kriegsgesellen den Glauben Christi zu lehren, und zu solchem Zwecke gab der Bischof dem heiligen Beatus Achates zum Gefährten mit.

Nachdem der Jünger die Meinung seines Vorstehers vernommen, zog er gerne hin, verrichtete die schwere Reise über das unwegsame Gebirge an den schweizerischen Grenzen, kam als eine rufende Stimme in der Wüste und lehrte öffentlich des Landes Einwohner. Diese verwunderten sich auch nicht wenig über die neue, unerhörte Predigt des ausländischen Pilgrims, den sie zuvor nie gesehen und der so unverzagt daherkam, auch ohne Unterschied der Personen den Armen so eifrig als den Reichen dienend weder Gunst, Geld, Gaben noch Gut, sondern Gottes Ehre allein suchte und das Heil der Seelen förderte. Daneben merkten sie wohl auf dessen Einfachheit, Demut und unsträflichen Wandel und daß er sich vor keiner Bedrohung, Widerwärtigkeit und Verfolgung entsetzte.

Es hat sich aber unser schweizerischer Apostel Beatus meistenteils im Aargau aufgehalten. Das begriff dazumal in sich



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Lucern, Unterwalden, Solothurn, Windisch, Baden und andere umliegende Orte mehr. Es läßt sich annehmen, er habe dieses Land sonderlich ausgewählt, weil es volkreich war und deswegen eine große geistliche Ernte verhieß. Auch war ihm gar wohl bekannt, daß seine Bewohner arbeitsam, treu und gegen Fremde freundlich sind.

Und Beatus war also mächtig an Worten und Taten, daß viele der Heiden ihre Abgötter Mars und Hercules, auch des Lands Kriegshändel weniger achteten als vordem, in sich gingen, Christus Jesus als ihren Seligmacher erkannten und sich willig zur heiligen Taufe bequemten. Nicht wenig trug zu ihrer Bekehrung das unsträfliche und erbauliche Leben unseres Beatus bei. Denn ob er schon bei ihnen in großes Ansehen gekommen, wich er doch von seiner freiwilligen Armut nicht ab und nahm sich des Zeitlichen wenig an. In seinem härenen Kleide legte er sich auch schlafen und sättigte sich mit Brot und Wasser. Daneben ist höchlich zu verwundern, daß er, mit sich selber so streng, für seinen Jünger Achat aber sehr besorgt war. Diesem durfte an der Nahrung nichts abgehen. Ihm pflegte er auch aus christlicher Demut zu dienen und ihm sogar die Schuhe auszuziehen. Neben dem Predigtamte arbeitete er mit seinen Händen, indem er Fischreusen und Körblein von Weiden und Binsen focht. Denn es war seine löbliche Gewohnheit, damit nicht allein sich selber und seinen Jünger, sondern auch Pilger, Dürftige und Hausarme zu ernähren nach seinem geringen Vermögen.

Wie nun Beatus sein ihm bestimmtes Land Helvetia hin und her durchwandelte, ging er in dessen obern Grenzen auch durch das hohe Gebirg, das im ganzen Jahr selten ohne Schnee war. Es wird diese Gegend das untere Seetal genannt. Obwohl damals wenige Einwohner dort waren, wollte der heilige schweizerische Apostel sie doch heimsuchen. Die schlichten Landleute empfingen ihn freundlich, hörten seine heilsame Lehre gar gerne und verehrten ihn als einen Gesandten von Gott. In der Umgebung des Fleckens Underseen, zu Latein Interlacus genannt, hat Beatus viele zu Christus bekehrt.



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Allda aber kam ihn das Bedenken an, ob es nicht gut und ratsam, das Predigen einzustellen und dieses etlichen andern anzubefehlen, damit er von allen Menschen abgesondert Gott allein an einem ruhigen Orte dienen könnte. Zu solchem eingezogenen Leben war sein Herz lange Zeit begierig gewesen. Während er das Volk unterwies, fragte er sonderlich bei den Schiffern, wo in dieser Gegend eine einsame Stätte zu finden, weit entfernt von den Leuten. Da erzählten sie ihm von einer großen Einöde, an dem andern See des Tales gelegen. Dort befinde sich eine gähe Fluh mit einem hoch in die Lüfte steigenden Kopf. Aber es liege in einem langen Riß des Felsens ein grausamer, großer Drache verborgen, der den Landleuten viel Angst und Schrecken bereite wegen täglichen Schadens, so er ihnen täte.

Auf daß er dahin gelangen möchte, verfügte er sich zu einem Schiffsmann, begehrte von ihm unten an jenen Berg geführt zu werden. Der Ferge forderte nach altem Brauch den Lohn. Aber Beatus konnte wegen äußerster Armut den weder geben noch versprechen. Denn er hatte nichts anderes als ein schlechtes Kleid, das er trug, und ein Meßbuch. Dieses wollte er dem Fergen darreichen, welcher sich jedoch alsbald des Heiligen erbarmte, wollte auch nichts von ihm nehmen, sondern fuhr ihn ohne Lohn an das andere Ufer. Als sie vom Lande abgestoßen, erkannte er bald, wen er da führte. Denn der See, der meist gar ungestüm ist und große Wellen wirft, zeigte sich damalen ruhig und glatt. Darum sprachen die Schiffsleute unter einander: «Wahrhaftig, dieser muß ein rechter Diener Gottes sein, da auch die Wasser und des Winds Gewalt ihm sich fügen. Auf dem See haben wir solche Stille nie erfahren. » Also gelangte der heilige Mann mit seinem getreuen Diener Achat an das jenseitige Gestade, guter Hoffnung, er werde seine ersehnte letzte Wohnstätte finden.

Er mußte aber einen sehr hohen Berg, der vor ihm lag, hinansteigen, hatte auch niemand, der ihm den Weg wies. Endlich kam er zu einer seltsamen, großen Höhle, dahin von den Menschen niemand gehen durfte, weil sich allda ein greulicher und



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gar erschrecklicher Bewohner aufhielt, nämlich ein ungeheurer Drache. Als Beatus desselben ansichtig ward, entsetzte er sich anfänglich aus menschlicher Blödigkeit vor ihm nicht wenig. Doch stärkte er sich mit göttlichem Beistand alsobald und redete seinem Jünger zu, keinen Schrecken vor dem Ungeheuer zu haben. Sie verbannten darum alle Schwäche und Furcht aus ihrem Herzen, achteten der Gefahr nicht, was Übles ihnen auch zustoßen möchte, und gingen der Höhle zu.

Der Drache aber will seinen alten Sitz nicht verlassen, versucht alles, ehe er sich von dannen treiben läßt, gibt feurigen Atem von sich, stellt sich grimmig gegen sie auf die Hinterbeine, speit sein tödlich Gift auf sie hernieder. Das war freilich kein Kinderspiel, sondern ein schwerer und ernsthafter Kampf, bei welchem es um Leib und Leben ging. Da halfen aber dem Untier nicht seine großen, scharfen Zähne, krummen, starken Klauen, sein langer und mächtiger Schwanz und seine giftgeblähte Zunge. Steif und fest widerstand ihm mit starkem Glauben der kühne Ritter Christi, Beatus, sprechend: «Du Drache dräust mir in deinem Grimme. Ich aber widersetze mich dir im Namen des Herrn. Auf seinen Beistand verlasse ich mich, dich von dieser Höhle zu verjagen, auf daß sie hinfort mir als Christi Diener eine sichere Wohnstatt sei.»

Darauf machte Beatus wider den Lindwurm das Zeichen des heiligen Kreuzes mit solchem Nachdruck, daß er alsobald sich von der Erde erhob und mit gräßlichem Geschrei die jähe Felswand entlang durch die Lüfte von dannen fuhr. In seinem greulichen Zorn schlug er mit seinem zackigen Rückgrat und Schweif also stark gegen die Fluh, daß des Drachen Bild daran zurückgeblieben zu ewigem Angedenken. Darnach hat man ihn nicht wieder erblickt. Er ist in eine andere, weit abgelegene Einöde geflohen, wo er weder Menschen noch Tieren mehr schädlich sein konnte.

So kostete es den heiligen Beatus viel Mühe, das Untier zu vertreiben und seine Höhle unter der grausam hohen Fluh ohne Schaden für sich zu räumen und zu seiner eigenen Wohnung zu machen.



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In seinem abgesonderten Leben, das er hinfort in dieser Kluft geführt, übte er sich in tiefer Demut und Andacht. Schlechte Kräuter und unschmackhafte Wurzeln waren seine Speise. Das liebe, trockne Brot hielt er für eine sondere, lustvolle Nahrung. Sein Nachtlager war der harte Felsen, den er gar oft mit heißen Tränen benetzt in seinem eifrigen Gebet nicht nur für sich selbst und seinen Jünger Achates, sondern auch für die neubekehrten Christen in der Umgebung. Sie alle befahl er in väterlicher Sorge Gottes Schutz und Schirm.

Dermaßen erlangte Beatus mit Strenge des Lebens und bußfertigen Werken seines Alters 90 Jahr. Da er wahrnahm, daß seine Pilgerfahrt ihrem Ende nahe, dankte er Gott, der ihn aus dem Heidentum so wunderbarlich berufen zu einem Jünger des Apostels Petrus und seine Mühe und Arbeit in diesem Schweizerland so gnädig gefördert. Und er begehrte von Achat, daß derselbe etliche von der Nachbarschaft versammle und zu ihm in die Höhle bringe. Und als sie gekommen, nahm er von ihnen Abschied und ermahnte sie, beharrlich beim angetretenen christlichen Glauben zu bleiben.

Nachdem die frommen Leute geschieden, wurde Achat von Herzen betrübt, daß er sich des Weinens nicht enthalten konnte. Denn es fiel ihm schwer, zu denken, daß er hinfort den Freund und Vater, den er von Rom her begleitet und von dem er so viele Jahre Gutes gelernt und empfangen, nicht mehr haben sollte. Ihn zu trösten, nahm ihn der heilige Greis in seine Arme, küßte ihn und sprach: «Mein Achat, was grämst du dich, weil ich jetzt von Gott zum seligen Leben berufen werde? Lasse es geschehen und bekümmere dich nicht über meinen Tod! Du wirst mir auf diesem Wege in kurzem folgen. Soviel meinen elenden Leib belangt, bestatte ihn, wenn meine Seele von ihm abgeschieden, neben dieser Höhle! Sie aber sei dir und keinem andern als Wohnstatt übergeben!»

Darauf entschlief St. Beatus sänftiglich am 9. Mai des hundert und zwölften Jahres nach der gnadenreichen Geburt Christi, an welchem Tag nach dieser Zeit alljährlich des Beatus Fest gehalten wird.


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