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Kapitel 

Die schönsten Sagen des Berner Oberlandes


Erzählt für Jung und Alt von


Otto Eberhard

Mit 54 Zeichnungen von Fritz Buchser

Hans Feuz-Verlag Bern /Leipzig


Das Zwerglein auf der Seebergalp


1.

Hoch über dem Dorfe Zweisimmen breitet sich eine schöne Alp aus. Sie heißt der Seeberg und wird also genannt, weil mitten drin ;n einer Talmulde ein Seelein liegt.

Nahe bei diesem See stand vor langen Jahren eine stattliche Sennhütte. Die gehörte einem reichen Mann, der hier jeden Sommer seine stolze Herde weidete. Oben am steilen Hang aber gewahrte man ein halbzerfallenes Hüttlein, das von der Familie eines armen Bäuerleins bewohnt war. Der hatte nichts als ein Kühleren und ein paar Ziegen, die auf den Fluhbändern das würzige Gras weiden durften. Indessen sollte dem Armen auch dieses Recht genommen werden, sobald er nicht mehr imstande sein würde, eine eigene Kuh zu halten.

Dem reichen Sennen war das unansehnliche Stäfelchen *) schon lang ein Dorn im Auge. Er wäre nämlich ums Leben gern der einzige Besitzer der schönen Seebergalp gewesen und mochte daher die Seit nicht erwarten, wo der Arme seine Kuh verkaufen und an einen andern Ort gsehen mußte.

Das Bäuerlein, ein wackeres Männchen, dem das Wohl der Seinen am Herzen lag, hatte auch wirklich feine liebe Not. War der Sommer gut, dann ging es freilich noch an. Dann konnte e nitt der reichlichen Milch der Kuh und der Ziegen die Familie ernähren, konnte eine Menge Wildheu sammeln und sich gar ein Käsletn aufspeichern für den Winter. Die reine Luft der Berge tat ein übriges und färbte die blassen Wangen seiner Kinder rot wie die Alpenrosen, die rings um das Seeleben in Menge erblühten. In einem stürmtschen Sommer dagegen gedieh das Futter nicht, die Tiere gaben nur wenig Milch, und mit bangem Herzen schaute dann der Mann der Zukunft entgegen.

In einem strengen Winter endlich, der gar jesu Ende nehmen wollte, sah sich das Bäuerlein zum erstenmal gezwungen, den Neis



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chen um Hilfe anzusprechen. Dieser gewährte sie auch gerne, wohl wissend, daß sich der Arme damit in feine Hände verkaufe. Dem strengen Winter folgte ein nasser Sommer. Jetzt ward die Not des Bäuerleins noch größer, und um seine Familie nicht darben zu lassen, beschloß er, wenn auch schweren Herzens, den Reichen zum zweitenmal um Hilfe zu bitten.

Es war an einem schönen Samstagabend, als er zu seinem Nachbar niederstieg. Dieser saß gerade vor seiner Hütte und schaute mit Behagen seinen Kühen zu, du grafend am Ufer des Sees dahinzogen. Lieblich hallte das Glockengeläute von den Bergwänden zurück, und der Seegrund, der du Ufer widerspiegelte, schien die Zahl der Tiere noch zu verdoppeln.

Schüchtern nahte sich das Bäuerlein dem reichen Manne, entbot ihm einen freundlichen guten Abend und setzte sich neben ihn auf die Bank.

Kommst wohl, mir mein Geld zurückzubringen', hub der Seebergsenn zu reden an. Das ist mir recht angenehm. Denn auch bei mir, ich gestehe es offen, wird das Geld so selten wie das neue Holz an deinem Stäfelein. Es ist wirklich eine böse Zeit.

"Ja, es ist eine böse Zeit', wiederholte das Bäuerlein kleinlaut. "Doch drückt sie einen reichen Mann wie dich sicher nicht also wie mich, das arme Geißenmännchen mit seiner großen Familie, die Setzt kaum mehr zu essen hat. Drum wirst auch begreifen, daß ich nicht gekommen, dir das Geld zurückzubringen. bin vielmehr gekommen, dich zu bitten, mir eine weitere kleine Summe vorzustrecken, mit dem Zurückzahlen aber auf bessre Zeiten zu warten.

Der Seebergsenn blickte ein Weilchen nachdenklich zu Boden. Dann hob er den Kopf und sagte, derweil ein verschmitztes Lächeln über sein feistes Gesicht glitt:

"Ich will tun, Nachbar, was mkr möglich ist, und gebe dir noch eine Summe Geldes in der gleichen Höhe, wie ich sie dir das erste Mal geliehen. Mit dem Zurückzahlen aber ist das so eine Sache. müßte ich wohl noch an die hundert Jahr Seebergfenne sein, eh ich



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mein Geld wiedersähe. wess dir einen bessern Rat: Gib du mir statt des Geldes dein Stäfelein, bevor es ganz baufälltg geworden ist, und wir sind im reinen.

Bei diesen Worten war s dem Bäuerlein, als schnürte ihm jemand das Herz zusammen. Eine Träne rann über seine verhärmten Wangen Zu antworten vermochte es nicht.

Da stand auf einmal, wie aus dem Boden gewachsen, ein Zwerglein vor ihnen. Das war gekleidet wie ein Senn, trug eine Zipfelmütze , hielt einen Hirtenstab in seinem Händchen und schaute recht keck und munter in die Welt.

Gehört hatten die beiden schon manches von diesen Leutchen, und daß sie besonders dem Hirtenvolke sehr gewogen wären, gesehen aber noch keins, und so war es nicht zu verwundern, wenn ihnen bei dem plötzlichen Anblick ein gelinder Schrecken durch die Glieder fuhr. Endlich ermannte sich der Seebergsenn und fragte das Männchen, ob er ihm etwa einen Trunk Milch anbieten dürfe. Dieses aber wehrte ab und, scharf nach den Kühen spähend, als ob es sich unter ihnen eine besonders schöne auswählen möchte, sagte es in lebhaftem Tone:

Wenn du willst, kauf ich dir eine Kuh ab.

Oer Senn, im Glauben, ein gutes Geschäft machen zu können, war auch gleich einverstanden. Er bot aber dem Kleinen eine Kuh an von nur geringem Wert und forderte dafür einen recht hohen Preis.

Ohne ein Wort zu sagen, zog das Zwerglein ein Goldstück aus der Tasche, legte es in die Hand des Reichen und eilte fort, die bezeichnete Kuh am Glockenbande wegzuführen.

Entrüstet lief ihm der Senne nach.

"Ja ist denn das alles, was du mir geben willst?" rief er. "Für solch ein mageres Goldstücklein ist mir meine Kuh nicht feil. Da kauf dir lieber das Brüneli meines Nachbars dort am Hange droben und geh deiner Wege.

Der Knirps blieb stehen und warf einen flüchtigen Blick nach dem Kühleren am Berghänge, dessen Schelle traurig herniedertönte.



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Dann ließ er schnell entschlossen die Kuh des Sennen fahren, nahm das Goldstück wieder zurück und trat zum Bäuerlein, das, wieder in sein Leid versunken, dem Handel fast teilnahmlos zugeschaut hatte.

"So nimm halt du das Goldstück und gib mir deine Kuh", sprach das Zwerglein. Gilt der Handel ?

Setzt ward dem armen Manne das Herz noch schwerer als zuvor. Vie Hütte mußte er wohl oder übel dem reichen Nachbar überlassen. Nun sollte er auch noch sein liebes Brüneli für ein einziges Goldstück hergeben! Doch — wer konnte wissen, ob nicht der Reiche am Ende auch die Kuh forderte? Da gab er denn lieber dem freundlichen Zwerglein.



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"So nimm sie halt in Gottes Namen stöhnte er. "Aber pfleg es gut, mein Brüneli. Hat mir manches Jahr treu gedient.

Das laß nur meine Sache sein, erwiderte der Zwerg. "Du aber hab acht auf das Goldstück und gib es nicht in fremde Hände. soll dir nicht zum Schaden gereichen.

Damit legte er das gelbe Bögelchen in des Armen Hand und ellie den Hang hinan. Nicht lange danach sah man das Kühleren, vom kleinen Männchen am Stricke geführt, im verdämmernden Abend über die Gratlücke schreiten und hinter dem Berge verschwinden.


2.

Was der Seebergsenn schon fett Jahren gewünscht, hatte endlich erfüllt: sein Nachbar besaß weder Kuh noch Stäfelein mehr und mußte fortziehen. Jetzt war er alleiniger Herr und Besitzer der schönen Seebergalp.

Der Mann rieb sich die Hände. wie klug er doch alles eingefädelt und gelenkt hatte!

An jenem Abend saß das Bäuerlein noch bis tief in die Nacht vor feiner Hütte, um ihn herum Frau und Kinder, die vor Jammer bald laut aufschluchzten, bald leise vor sich hin weinten. Die guten Menschen konnten es nacht fassen, daß sie nun kein Heim mehr hatten und sich unter dem hellen Glockengeläute der grasenden Kühe du dumpfe Schelle ihres lieben Brüneli nicht vernehmen ließ. Auch war sa die kleine Summe Geldes, die der Vater vom reichen Sennen erhalten , bald verbraucht. Dann besaßen sie nichts mehr als das Goldstück des Zwergleins, das jedoch, also hatte das Männchen gesagt, nicht in fremde Hände übergehen durfte. Wovon aber sollte man dann leben ;

In später Stunde traten die armen Leute endlich in die Hütte. Unwillig warf der Mann das Goldstück auf den Tisch und begab sich zur Ruhe.

Schlafen aber konnte er nicht. Ihm war zumute wie einem Schiff



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brüchigen auf dem Meere, der dem Versinken nahe ist. Keine Planke, kein Ufer weit und breit.

Endlich fiel der Mann in einen kurzen Schlummer. Allein auch dieser ward ihm vergällt durch einen bösen Traum.

Er stand, also schien es ihm, am Ufer des Sees. Ein frischer Morgenwind strich über die grüne Fläche, und die Sonnenstrahlen spielten mit den Wellen. Ringsherum weideten die stattlichen Kühe seines Nachbars, von Bergeshöhe hernieder ertönten die frohen Lieder glücklicher Menschen. Aengstlich horchte er hin nach dem Glockengeläute der Kühe, vermißte aber den dumpfen Schellenton seines eigenen Kühleins. suchte es der Arme mit den Augen. Vergeblich . Auch seine Ziegen waren verschwunden, und an der Stelle, wo bisher sein Stäfelein gestanden, erhob sich jetzt eine stattliche Sennhütte.

Dem Manne traten die Tränen in die Augen. Er sah sich um nach Frau und Kindern. Ach, auch sie waren nicht da, waren wohl fortgezogen, die Hutte am Rücken, um von Hütte zu Hütte betteln zu gehen. Setzt musterte er sich selber: in Fetzen hingen ihm die Kleider am Leibe, die Schuhe starrten im Schmutz. Und an all dem Unglück, deuchte ihn, war einzig das kleine Männchen schuld. Er hatte gehört, es gebe nicht bloß gute, es gebe auch böse Zwerge, die dem Menschen übelgesinnt seien. Da war er, der sa seiner Lebtag immer ein Pechvogel gewesen, sicher einem solchen in die Hände gefallen.

Und wie sich der Schlummernde also elend und verlassen sah und schon daran dachte, seinem Leben ein Ende zu machen, fühlte er sich plötzlich von einer Hand ergriffen. Er schlug die Augen auf: neben ihm stand seine Frau und schaute lächelnd auf ihn nieder.

"Hast wohl einen bösen Traum gehabt, daß so unruhig gewesen bist ", sprach sie. "Inzwischen ist aber das Zwerglein gekommen und hat uns etwas Schönes gebracht.

Der Sonntagmorgen war angebrochen. Draußen lachte die Sonne und überflutete Berg und Tal mit neuem Leben. Sie vergaß selbst das Stäfelein des Bäuerleins nicht und guckte setzt neugierig durch



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die runden Scheibchen in die niedrige Stube, zu erfahren, warum denn die armen Leute darinnen heute morgen also vergnügte Gesichter machten, derweil sie doch am vorigen Abend solchermaßen betrübt gewesen.

Da sah denn Frau Sonne, wie von der Mitte des Tisches, den Vater, Mutter und Kinder mit leuchtenden Augen umstanden, ein rötlicher Schimmer ausging, und als sie nun flugs ein Strählchen nach der Stelle hin lenkte, ward ihr alles klar. ;:

Rings um das Goldstück, das der Mann am Abend zuvor mißmutig auf den Tisch geworfen, prangten heute morgen noch sieben andre, die setzt im Sonnenlicht wie ein siebenzackiger Stern aufblitzten und Glück und Freude um sich her verbreiteten . . .


3.

Viele Jahre nach diesem Sonntagmorgen auf dem Seeberg stand im Tale drunten ein stattliches Haus. Vor dem Hause dehnte sich eine große Wiese aus, und auf dieser weideten etwa zwanzig Kühe das saftige Gras. Die Kühe waren alle rotschäckig und von stattlicher Art bis auf eine. Die war braun und ziemlich klein gewachsen, und der



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dumpfe Ton ihrer Schelle mischte sich fast wehmütig in den stolzen, weithin tönenden Klang der Kuhglocken.

Wer mochte wohl der Besitzer dieses Heimwesens sein, das so viel Wohlstand verriet ? Es war niemand anders als das frühere Bäuerlein auf der Seebergalp, das sein Brüneli dem Zwerglein um ein Goldstück hingegeben hatte. Aus diesem Goldstück floß ein Segen, der gar kein Ende zu nehmen schien. Jeden Sonntagmorgen nämlich, wenn es der Mann am Abend zuvor auf den Tisch legte, lagen drum herum sieben weitere Goldstücke. Ihre Zahl blieb sich immer gleich. Auch vollzog sich das Wunder stets nur an einem Sonntag, dem Tage des Herrn, nie an einem Wochentage — dem Bäuerlein ein Fingerzeig dafür, daß es Gott gewesen, der ihm durch das Zwerglein geholfen hatte.

Trotz seinem immer noch wachsenden Reichtum ward aber der Mann nicht hochmütig. Er dankte jeden Morgen und Abend feinem Gott für das Glück, das ihm zuteil geworden, und auf daß er sich stets auch des Zwergleins erinnere, durfte unter seiner Herde nie ein Brüneli mit dumpfer Glocke fehlen. Er tat auch viel Gutes an andern, besonders an solchen, die ohne ihre Schuld arm geworden — hatte das Bäuerlein doch am eignen Leibe erfahren, wie wehe das tat.

Als aber der Mann starb, verschwand auch das geheimnisvolle Goldstück aus seinem Hause, und kein Mensch hätte zu sagen vermocht, wohin es gekommen. Einige Zeit freilich versuchte man es mit einem andern. Vergeblich. Das am Sonnabend hingelegte Stück lag am Sonntagmorgen auf dem Tische, ohne daß sich der gewohnte Stern darum gebildet hätte. Indessen war der Segen all die Jahre hindurch reichlich genug geflossen, also daß Kind und auch Kindeskinder noch davon zehren konnten.

Anders gestaltete sich das Schicksal des Reichen. Als der sah, welch ein Segen dem Armen aus dem Goldstück erwuchs, wie ihm dieser in kurzer Sett die Schuld zurückzahlte, wie er sein Stäfelein neu aufbaute, seine Herde sich mehrte und er sich endlich im Tale drunten einen freundlichen Wohnsitz schuf — da packte ihn der Reid,



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fraß sich in sein Herz hinein und ließ ihm keine ruhige Stunde mehr bei Tag und bei Nacht. Und da er auch weiterhin niemand etwas gönnte und stets nur auf seinen eignen Nutzen bedacht war, ging es nach und nach mit ihm bergab — mit ihm und seinen Söhnen, die gleichgeartet waren wie ihr Vater. Endlich kam es gar so weit, daß die schöne Seebergalp in die Hände eines andern wanderte, und der ehemals so stolze Bergsenn soll, nach der Sage, als armer Mann gestorben fein.


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