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Sagen aus dem Berner Oberland


Ausgewählt und herausgegeben von


Walter Menzi

1. bis 5. Tausend

Verlag Landschäftler A-G., Liestal


Schloss Weissenau

Im Bödeli vor Interlaken, wo noch vor fünfhundert Jahren der längst verschwundene Marktflecken Wyden lag, erhob sich auf einer nun verlandeten Aareinsel das feste Schloss Weissenau. Es hatte mächtige Mauern und Türme, deren Ruinen noch heute über das Erlen- und Holundergebüsch emporragen. Dort befand



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fand sich, der Ueberlieferung nach, schon zur Zeit der Römer und Burgunder ein fester Turm zum Schutze der Landstrasse und des Landungsplatzes am Thunersee.

Als die Herren von Weissenburg die Feste erbauten, geschah dies in der Absicht, die anlegenden Schiffe und vorbeiziehenden Landfrachten einer willkürlichen Abgabe zu unterwerfen; doch war die Macht des Berner Bären bereits so gross geworden, dass die ritterlichen Wegelagerer ihr Vorhaben nicht mehr zu verwirklichen wagten. Es blieb den Freiherren nichts anderes übrig, als sich ruhig zu



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verhalten und die gewaltigen Kosten des Burgbaues ihren Untertanen aufzubürden, den armen Bauern zwischen dem Thuner- und Brienzersee. Gedacht, getan! Bald liefen die Büttel von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus, die Leute zu plagen. Einige Zeit trug das geknechtete Volk sein Schicksal geduldig, bis der Freiherr zu Weissenau Unzufriedene und Murrende auf die Insel bringen liess und einzusperren begann. Das war das Zeichen zum Aufstand.

Dem Führer der Bauern, einem vorsichtig entschlossenen Greise, war nicht entgangen, dass im Kampf mit den Reisigen nur List zum Ziel führen konnte. Der Freiherr hatte die Gepflogenheit, jeden Sonntag in der Kirche von Unterseen die Messe zu hören; er sowohl als seine Lehensmänner und Knappen ritten dabei auf schönen Schimmeln prächtig geharnischt zum Städtchen. Darauf bauten die Talleute ihren Plan. Mit vieler Mühe, indem Arme und Reiche ihr letztes Geld dem gemeinsamen Streben darbrachten, gelang ihnen der Kauf weisser Rosse und zahlreicher Rüstungen, wie die Weissenauer sie trugen.



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Als der Freiherr am nächsten Sonntag nach seiner Uebung Messe und Predigt hörte, stürmte plötzlich ein stolzer Ritterzug gegen die Burg, verfolgt von bäuerlichem Landsturm mit Spiessen, Morgensternen und ähnlichen Waffen. Da der Burgwart einen Aufruhr lange befürchtet hatte und ausserdem die Ritter für seinen Herrn und dessen Gefolge hielt, stand er vorsorglich bereit, die Brücke herabzulassen und den Verfolgten das Wasserschloss aufzutun. Die vermeintlichen Reisigen waren kaum eingeritten, als sie den getäuschten Pförtner und seine Knechte niederhieben, die nachstürmenden Landleute einliessen und der Feste den roten Hahn aufsetzten.

Die Kunde von dem gelungenen Ueberfall ward dem Weissenauer in der Kirche. Sofort flüchtete er mit den Seinen ins Habkerntal und von dort über den Grünenberg ins Entlebuch. Später verkaufte er seine Besitzungen und Rechte den Klosterherren von Interlaken, die den Bauern eine milde Obrigkeit waren. Den Mönchen war an der Erhaltung des Tyrannenschlosses sowenig gelegen wie dem Volke, weshalb sie die Weissenau vollends zusammensinken



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liessen. Um die Ruine zeigte sich seither von Zeit zu Zeit eine weisse Frau, der sich nur nähern darf, wer entschlossen ist und auch das Mittel kennt, sie zu erlösen. Ein unermesslicher, von zwei Geisterhunden bewachter Schatz harrt des Glücklichen, dem das Wagnis gelingt.


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