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Schweizer Märchen Sagen und Fenggengeschichten


Neu mitgeteilt von Curt Englert-Faye

1984

ZBINDEN VERLAG BASEL


Tann huser

Es war einmal ein kühner Rittersmann, Tannhuser geheißen. Des Sinn stand allstund nach Gefahr und Abenteuern. wie es einem rechten Ritter geziemt, und viele Länder hatte er befahren mit Schwertschlag und mit Harfenklang. Oftmals ritt er auch in den wilden Wald hinaus, nicht auf Waidwerk bloß, den stolzen Hirsch zu pirschen und die grimme Wildsau zu hetzen, sondern der Wunder gewärtig, die allda zu schauen wären. Eines Tages nun, als er auch wieder ausgeritten war, da begab es sich, daß er mitten im finstern Forst aufs Malin tiefes Sinnen versank, und als wäre er vom Schlaf benommen, ließ er seinem Roß die Zügel, so daß es ohne Weisung pfadlos durch den dichten Tann drang. Und so kam er von ungefähr an einen hohen Berg. Das aber war der Berg der Frau Vrene, der schönsten Huldin, die vieler Wunder mächtig und mancher Zauberwerke kundig war. Auf dem blumigen Bühl schwangen und drehten sich drei wunderholde Mädchen in Ring und Reigen, Blütenkränze im lichten Haar, in bunten, goldbehangenen Gewändern. Das waren der Frau Vrene liebliche Töchter, die sie allemal aussandte. um Menschenkinder, die sich auf ihren Berg verirrten, mit Gaukelspiel und Blendwerk zu betören. Und so leicht traten sie auf leisen Sohlen den Tanz, daß ihr Fuß kein Hälmlein im Grase brach und kein Blümlein knickte. Tannhuser stand still und staunte, und staunte, und konnte sich nicht satt sehen an dem zierlichen Spiel. Und als die Jungfrauen ihn nach sich winkend entschwebten,



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da meinte Tannhuser, eine Stunde wäre vorüber, aber da war ein ganzes Jahr vergangen. Und ehe er wußte, wie ihm geschah, war er ihnen nachgeeilt an die Stelle, wo sie verschwunden waren. Da war ein Törlein im Gefels mit einem Guckfensterlein drin. Er schaute hinein, und siehe, da strahlte und funkelte innen alles von gleißendem Golde und schimmerdem Edelgestein wie Sonnenglanz und Sternenschein, so daß er schier die Augen abwenden mußte, so hell war der Glanz. Und voller Drang und Sehnsucht pochte er mit dem Knauf seines Schwertes an die Pforte und sprach:

«Frau Vrene, tüend mir uf die Tür!
Ein Ritter guet stoht derfür:
Tannhuser heißt der edel Mann.
Will halte-n-Eue Bott und Bann.»

Frau Vrene antwortete mit viellieblicher Stimme und sprach:

«Tannhuser, lieber Tannhuser myn,
Witt du by üs verblybe,
Ich will dir die jüngsti Tochter gä
Zue eime ehliche Wybe.»

Tannhuser schwur ihr's zu mit einem Eid. Und alsbald tat das Tor sich auf und der Ritter schritt geschwind hinein, sein Roß am Zügel führend. Frau Vrene aber stand auf der Schwelle, ein wunderherrliches Weib. und lachte ihn an mit ihrem roten Mund, nahm ihn lind bei der Hand und geleitete ihn in ihr weites Reich unter der Erde, tief, tief innen im Berge. Und fortan wohnte Tannhuser auf Frau Vrenes Zauberschloß und lebte in Herrlichkeit und Freuden mit der Herrin und ihren schönen Töchtern, deren jüngste ihm, wie versprochen, zur Gattin gegeben ward.

So gingen sieben lange Jahre hin wie im Fluge. Aber



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allemal am Samstag abend schlossen die Jungfrauen sich in eine geheime Kammer ein und hielten sich den ganzen Sonntag über verborgen und waren nicht zu sehen. Das deuchte Tannhuser ein seltsames Gebaren, und es nahm ihn je länger, je mehr Wunder, was seine Gemahlin und ihre Schwestern den Tag allemal täten oder ließen. Und wieder einmal eines Samstagabends da hielt er sich wach bis Mitternacht und dann ging er sachte zu jenem Gemach, worein Frau Vrenes Töchter sich einzuschließen pflegten und zog sein Schwert aus der Scheide und suchte, wo er ein Löchlein finden könnte, um hineinzusehen. Also bohrte er ein Loch und blickte dadurch. Aber oh Graus! — da gewahrte er im Scheine einer taghellen Ampel die Jungfrauen über dem Gürtel schön und lieblich wie sonst zu schauen, aber unterwärts hatte ihr Leib Schlangengestalt, ein blauschuppiget silberschillernder Schwanz schleifte am Boden.

Dem Ritter verschlug der Schreck schier den Atem und vor Angst rann ihm der Schweiß über Stirn und Nacken, und er entwich unverweilt in den Zaubergarten, der das hochgebaute Schloß der Frau Vrene umgab, daß er von dem gräßlichen Anblick sich verweile und heile. Unter einem alten Feigenbaum saß er ins Gras, und wie er da saß und in Sorgen sann, entschlummerte er sanft. Da träumte ihm, daß er große Sünde vor Gott begangen habe, dieweil er Frau Vrenes Berg betreten, und er solle Beicht und Buße tun, solange noch Zeit sei, sonst sei seine Seele auf ewig verloren.

Am andern Morgen, wie es Tag geworden war, trat Tannhuser vor Frau Vrene und sprach:

«Dyner Gspilinne darf ich nüt.
Gott het's mir hoch verbotte.
Sie sind obam Gürtel Milch und Bluet
Und drunter wie Schlange-n-und Chrotte.»

Frau Vrene antwortete:



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«Tannhuser, Tannhuser, was hesch du gseit?
Daran sölist du gedenke:
Du hesch mir gschwore-n-einen Eid,
Du wellisch nit vommer wenke.»

Tannhuser sprach:

«Dy jüngsti Tochter, die will ich nit,
Si treit der Tüfel in ire.
Ich gseh's an ire bruun Auge-n-a,
Wie-n-er in ire tuet brinne.»

Da ward Frau Vrene zornig, daß ihre Augen wie von Feuer erglühten, und sie rief!

«Tannhuser, Tannhuser, das ischt arg!
Du sollist üs nit schelte.
Und bischt du cho in diesen Berg,
So muescht du es etgelte!»

Tannhuser aber kehrte sich nicht an ihre Worte. «Gib mir Urlaub, Fraue, und Gott wird mir zum Rechten helfen!» sagte er, und da mußte sie ihn scheiden lassen. Er legte seine Rüstung an, gürtete sein Schwert um und sattelte sein rasches Roß. Dann verließ er den Zauberberg auf demselben Wege, auf dem er einst hereingekommen war, und ritt weinend durch den Wald. Bald kam er zu einem einsamen Wildkirchlein. Das war an eine hohe Fluh gebaut und beschattet von einem alten Lindenbaum. Dort trat Tannhuser in Jammer und Reue ein und begehrte den Priester. Er kniete nieder und beichtete zerknirschten Sinnes seine Sünden und bis aufs Kinn tropften ihm die Tränen aus den Augen. «Herr», sagte er, «es sind sieben Jahre, daß ich in Frau Vrenes Berg war, und Gott nicht liebte noch an ihn glaubte und völlig der Macht der Frau Vrene erlag.» Der Priester



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aber schüttelte ernst das Haupt und strengen Mundes sprach er:

«Die Sünde. die nimm ich dir nit ab.
Zum Papst muescht du go wandre.
Gang und kehr dynen Pilgerstab
Nach Rom wie viii andre!»

Betrübten Herzens stand Tannhuser auf, legte Schwert und Schild und alle andere Ritterzierde ab. und in eines Büßers rauhem Kleide wallte er barfuß als armer Pilgersmann romwärts. Als er nach vielen Wochen mühseliger Wanderschaft nach Rom kam und durch das höchste Tor schritt, fragte er nach dem obersten Priester der Christenheit. Man wies ihm den Weg, und als er in die Kirche trat, da warf er sich vor dem Papst auf die Knie und sprach:

«Gott grüeß ech Eure heilige Papst!
Vor Euch tue-n-Ich mich gneige,
Myni Sünde will ich Euch azeige.»

Und der Papst saß auf seinem Hochsitz, den Hirtenstab mit dem Doppelkreuz in der Hand, und hörte Tannhusers Beichte an. Dann stieß er den Stab gegen die Erde und sprach:

«Lueg da, dä Stab in myner Hand,
Vor Dürri tuet er spalte.
So wenig das Stäbli noch Läubli treit,
So wenig channst Gnad du erhalte!»

Da kniete Tannhuser weinend vor den Kreuzaltar und breitete die Arme aus und rief:

«Ich bitte dich, Herr Jesus Christ,
Der du der Herr im Himmel bist.



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Du wellist dich myner erbarme
Mir Ellende-n-und Arme!»

Dann hob er sich auf und ging zur Kirche hinaus ganz verzagt und betrübt in seinem Herzen, und sprach zu sich selber:

«Gott ist mir allzyt gnädig gsi,
Ich mueß en große Sünder si,
Daß ich von ihm söll lasse
Und fahre frömdi Straße.»

Aber wie er vor das Portal hinauskam. da stand aufs Mal ein wundersames Frauenbild vor ihm, in einem Mantel angetan, so blau wie der Himmel, und auf dem Haupte trug sie eine Sternenkrone. Das war die Muttergottes. Tannhuser senkte sein Haupt zur Erde und sprach:

«Bhüet dich Gott, du reini Magd,
Maria Mueter. üsi lieb Fraue.
Dich darf ich nümme-n-anschaue.»

Dann schritt er davon und nahm den weiten Weg nach der Heimat wieder unter die Füße.

Aber oh Wunder! — drei Tage nachdem Tannhuser von Rom geschieden war, da hub aufs Mal der Stab zu grünen an, trieb Sprossen, Blätter und Knospen, und als der Papst zur Vesper ging, siehe, da waren an dem dürren Holz drei wundersame rote Rosen erblüht. Der Papst erschrak in seinem Herzen und schickte gleich seine Boten aus über Berg und Tal in alle Länder. Aber sie konnten Tannhuser nirgends mehr finden, und niemand wußte zu sagen, was aus ihm geworden war. Er hatte derweilen sein Schicksal erkoren und war in den Berg der Frau Vrene zurückgekehrt. Ehe er eintrat, wandte er sich um und sprach: «Gott segne Euch,



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Sonne und Mond und ahi lieben Freunde.» Frau Vrene aber stand freudvoll auf der Schwelle und sprach:

«Wihlkumme, Tannhuser, by Eid und Ehr!
Ich han dich lang entbore.
Willkumme, Tannhuser, my liebe Her,
Dich han ich userkore.»



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Nach langer Zeit aber kamen des Papstes Boten auch an der Frau Vrenes Berg und klopften mit ihren Stecken an die verschlossene Pforte und riefen:
«Tannhuser söll do uße cho!
Syni Sünde syge-n-ihm erloh.»
Tannhuser aber antwortete und sprach:
«Zue-n-ech uße cho, das chann ich nit.
Do mueß ich blybe-n-inne.
Mueß blybe bis an jüngste Tag,
Und mir der Himmel gwinne.»

Und seit jenem Tage sitzt er tief, tief innen im Bergesschacht an einem steinernen Tisch, und der wallende Bart wächst ihm lang und länger, und wenn er dreimal rund um den Tisch herumgewachsen ist, dann wird der jüngste Tag bald kommen, und damit die Stunde seiner Erlösung, da Gott ihn anderswo hinweisen wird. Und alle Freitag abend spät in der Nacht nickt er als wie im Traume und blinzt mit halboffenen Augen und fragt Frau Vrene, ob der Bart jetzt dreimal um den Tisch reiche und der jüngste Tag bald komme.

Der Papst aber, der Tannhuser trotz Beichte und Buße dazumal Vergebung und Gnade geweigert, der ist nach einem halben Jahr gestorben und muß nun selber verdorben und verdammt sein auf immer und ewig.

«Drum söll kein Papst, kein Kardinal
Kein arme Sünder verdamme.
Der Sünder mag sin, so groß er will,
Kann Gottes Gnad erlange.


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