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ALPENSAGEN


UND SENNENGESCHICHTEN AUS DER SCHWEIZ


NACHERZÄHLT VON C. ENGLERT-FAYE

BUCHCLUB EX LIBRIS ZURICH


DER SCHLANGENBANNER

Auf der Saaser Alp im Prättigau, einer der schönsten im Bündnerland, wimmelte es einst an den sonnigen Halden von zahllosen Schlangen. Zu ganzen Knäueln vernestelt deckten sie, die giftgeschwollenen Bäuche blähend, große Strecken der melchigsten Weideflächen. Wo man ging und stand, kroch und ringelte es sich zischend. Sie bissen Menschen und Vieh, drangen in den Staffel, soffen Nidel und Milch im Gaden, stahlen Brot, Käs und Zieger. Sie wanden sich den brüllenden Kühen um Hals und Horn, so daß die Milch, die sie gaben, blutfarben ward. Die Bauern wußten keinen Rat gegen den Greuel, und als die schönste Kuh des Senntums, die Heerkuh, von dem Gewürm getötet wurde, beschloß die Genossame die Alp zu räumen.

Da kam eines Tages ein fremder Landfahrer ins Dorf, ein kleines spinnendürres Männlein, das aus grauen Äuglein unter borstigen Brauen in die Welt guckte; man sah's auf den ersten Blick, der konnte mehr als nur auf fünfe zählen. Wie der wunderliche Gast von der Not der Bauern hörte, anerbot er sich, die Schlangen zu bannen, wenn sie heilig versprächen, dabei alles zu tun, was er anordne und vor allem ihm kräftig beizustehen, wenn eine weiße Schlange, größer als alle andern, sich zeigen sollte.

Schon am anderen Morgen zogen die Dorfgenossen mit dem Banner nach der Alp, mit Sensen, Äxten, Schoßgabeln und Hackmessern bewaffnet. Hier schichteten sie nach seinen Angaben aus Steinen drei kreisförmige Wälle auf, immer einen Ring im andern. In der Mitte des innersten machte das Männchen aus Reisig und Heidekraut einen hohen Haufen, legte einige Handvoll Kräuter und Wurzeln zu oberst, schlug Feuer und setzte alles in Brand, indem er dazu in einer unverständlichen Sprache ein Sprüchlein murmelte. Dann zog er sein



Alpensagen-097 Flip arpa

Käpplein ab, nahm ein silbernes Pfeiflein aus dem Sack und fing an ein Gesätzlein fremdartiger Töne zu blasen, indem er feierlichen Schrittes mit seltsamen Gebärden das Feuer umging. Im selben Augenblick kamen, noch ehe die Leute sich besonnen hatten, überall aus allen Löchern und Ritzen haufenweise die Schlangen krümmelnd und wimmelnd hervorgeschloffen, schauerlich pfeifend und zischend. In ganzen Klumpen und Krungeln wälzten sie sich über die Steinwälle empor und stürzten in die Flammen, wo sie zuckend und zischend verbrannten. Mit Staunen und Grausen sah das Volk dem Schauspiel zu und freute sich schon des guten Gelingens. Aber da plötzlich schnellten gräßlich fräsend drei mächtig große armdicke Schlangen herzu, eine milchweiße, goldgebänderte Viper mit einer Goldkrone auf dem Kopfe gefolgt von zwei kupferfarbenen, blutrot gesprenkelten Ottern. Laut aufschreiend vor Entsetzen stoben die Leute auseinander. Der Banner aber schrie mit schriller Stimme gellend: «Das ist die Königin! Schlagt sie tot!» und setzte behend wie ein Eichhörnchen auf die nächste Tanne. Die weiße Schlange schoß ihm nach und wand sich fauchend am Stamme hinauf. Da aber ermannte sich ein beherzter Küher und spießte den Wurm mit seiner Mistgabel am Baume fest und hieb ihm den Kopf ab, indeß andere mit ihren Knüppeln die beiden roten Schlangen totschlugen. «Schonet der Krone!» rief das Männlein, das sich geschwinde an den Ästen herunterließ. Dann löste es behutsam die Krone vom Kopfe der Schlangenkönigin, schob sie zu seiner Pfeife in den Sack und sprach: «So, ihr guten Leute, das ist mein Lohn, und ihr habt auf eurer Alp fortan Frieden vor dem Gewürm.» Und seitdem hat man alida auch nie mehr von Schlangen sagen hören. Auf dem Fleck aber, wo das Feuer gebrannt hatte, ist kein Grashalm mehr gewachsen.


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