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Märchen aus England Schottland und Irland


Illustrationen


von Antje Schönau

Märchen europäischer Völker


»Hier ist der wahrhaft tapfere Cornwall-Mann, denn er schlug den Riesen Cormoran.«

Die Nachricht von Jacks Sieg verbreitete sich mit Windeseile in ganz Westengland, so daß ein anderer Riese namens Blunderbore davon hörte und schwor, sich an Jack zu rächen, wenn er je auf ihn stoßen sollte. Dieser Riese war Herr eines verzauberten Schlosses, das inmitten eines einsamen Waldes lag.

Nun kam aber Jack vier Monate später auf seiner Reise nach Wales in die Nähe dieses Waldes, und da er müde war, setzte er sich bei einer freundlichen Quelle nieder und schlief sogleich ein. Während er schlief, kam der Riese, um Wasser zu holen, entdeckte ihn und erkannte ihn als den weitberühmten Jack den Riesentöter durch die im Gürtel eingegrabenen Worte. Lautlos legte er sich Jack auf die Schulter und trug ihn zu seinem Schloß. Doch als sie durch ein Dickicht kamen, wachte Jack vom Rascheln der Zweige auf und erschrak sehr, in die Klauen des Giganten geraten zu sein. Sein Erschrecken wuchs noch, als er im Schloß den Boden mit Menschenknochen bedeckt sah und der Riese ihm ankündigte, die seinen würden auch bald dazwischenliegen. Dann schloß der Riese den armen Jack in einem ungeheuer großen Raum ein und ging, um einen anderen Riesen, seinen Bruder, der in demselben Walde lebte, zu holen, damit er sich mit ihm in die Mahlzeit von Jack teilen könne.

Nachdem Jack einige Zeit gewartet hatte, ging er ans Fenster, durch das er die beiden Riesen von fern auf das Schloß zukommen sah. >Jetzt<, dachte Jack bei sich, >ist mir entweder Tod oder Befreiung nahe.<

In einer Ecke des Raumes, in dem Jack gefangen war, lagen dicke Seile. Von ihnen nahm er zwei, machte eine kräftige Schlinge an deren Ende, und als die Riesen das eiserne Tor des Schlosses öffneten, warf er jedem von ihnen einen Strick über den Kopf. Dann zog er schnell die anderen Enden über einen Balken und zog, sosehr er nur konnte, bis er die beiden erdrosselt hatte. Dann, als er erkennen konnte, daß sie schon schwarz im Gesicht waren, glitt er an dem Seil hinunter, zog sein Schwert und hieb beide Köpfe ab.



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Nachdem er die Schlüssel des Riesen an sich genommen hatte, fand er drei wunderschöne Jungfrauen, die an ihren Haaren aufgehängt und schon nahe dem Tode waren. »Edle Frauen«, sprach Jack, »ich habe dieses Ungeheuer und seinen viehischen Bruder getötet und Euch dadurch die Freiheit wiedergegeben.« Nach diesen Worten überreichte er ihnen die Schlüssel des Schlosses, er selbst aber setzte seine Reise nach Wales fort.

Jack bemühte sich, so schnell wie möglich vorwärts zu kommen, doch er verirrte sich, wurde von der Nacht überrascht und konnte keine Unterkunft finden, bis er in einem engen Talkessel ein großes Haus erblickte, in der Hoffnung auf ein Obdach Mut faßte und anklopfte. Doch wie groß war sein Erschrecken, als ein grausiger Riese mit zwei Köpfen herauskam. Der schien nicht so böse zu sein, wie die anderen es waren, denn er gehörte zu den waliser Riesen, und was er an privater und geheimer Bosheit in sich trug, verbarg er unter einem Schein von Freundschaft. Nachdem Jack seine Lage geschildert hatte, wurde er in eine Schlaf kammer geführt, wo er mitten in der Nacht seinen Wirt im Nebenraum murmeln hörte:

»Wohnst du auch bei mir diese Nacht:
eh' noch das Morgenlicht erwacht,
hab' ich dich schon zu Brei gemacht.«


***
>Meinst du es so<, dachte Jack, >dann ist das also einer deiner waliser Tricks, und ich hoffe, ich werde schon mit dir fertig werden.< Dann stand er aus dem Bett auf, legte statt seiner ein Holzscheit hinein und versteckte sich in einer Ecke des Raumes. Um Mitternacht kam der waliser Riese herein und ließ ein paar gewaltige Keulenschläge auf das Bett herabsausen in der Annahme, er habe nun Jack alle Knochen im Leibe zerschlagen. Jack, der sich eins ins Fäustchen lachte, bedankte sich am nächsten Morgen herzlich für das Nachtquartier.

»Wie hast du denn geschlafen?« wollte der Riese wissen. »Hast du heute nacht gar nichts gespürt?« — »Nein«, antwortete Jack, »nur eine Ratte, die mich mit ihrem Schwanz zwei- oder dreimal gekitzelt



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hat.«Darüber recht verwundert, lud der Riese Jack zum Frühstück ein und setzte ihm eine Schüssel mit sechzehn Litern Mehispeise vor. Da der Riese nicht merken durfte, daß es viel zuviel für ihn sei, hängte Jack heimlich einen großen ledernen Sack derart unter seinen Rock, daß er das Essen unbemerkt hineinschütten konnte. Dann erklärte er dem Riesen, er wolle ihm einen Kniff zeigen, nahm sein Messer, schnitt den Sack längelang auf, und heraus stürzte die noch heiße Mehlspeise. Darauf grölte der Riesenkerl: »Das kann ich auch!«, griff nach dem Messer, schlitzte sich, ritsch-ratsch, den Bauch auf und fiel tot um.

Zu dieser Zeit geschah es aber, daß der einzige Sohn König Arthurs seinen Vater bat, ihm eine große Summe Geldes zu geben, weil er in das Fürstentum Wales reisen und sein Glück bei einer wunderschönen Jungfrau versuchen wolle, die dort lebte, aber von sieben schrecklichen Geistern bewacht wurde. Der König versuchte alles, ihn davon abzubringen, doch vergebens, und so ließ er ihn zuletzt ziehen.

Nun machte sich der Prinz mit zwei Pferden auf den Weg, von denen er das eine selbst ritt, das andere mit dem Geld beladen hatte. Nach mehreren Tagereisen kam er zu einem Marktflecken in Wales, wo er eine große Menschenmenge versammelt fand. Der Prinz fragte nach der Ursache, und man erzählte ihm, man habe einen Toten beschlagnahmt, weil der Verstorbene mehrere hohe Summen vielen Bürgern schuldig geblieben war. Der Prinz sagte, es wäre beschämend, wenn Gläubiger sich so grausam verhielten, und er verlangte: »Laßt den Toten begraben und schickt mir seine Schuldner in die Herberge! Alle ihre Schuldansprüche sollen beglichen werden.« Da kamen so viele, daß er, als die Nacht anbrach, nur noch zwei Pfennige besaß.

Jack, der Riesentöter, kam gerade des Wegs, und als er von dem Edelmut des Prinzen hörte, war er davon so angetan, daß er in des Prinzen Dienste treten wollte. So geschah es auch, und am nächsten Morgen brachen sie beide gemeinsam auf. Als sie aus der Stadt ritten, rief eine alte Frau hinter dem Prinzen her: »Mir war er sieben Jahre lang zwei Pfennige schuldig. Bitte, bitte, gib sie mir, und wenn es



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auch deine letzten sind!« Der Prinz griff in die Tasche und gab ihr alles, was er hatte, so daß sie, nachdem sie sich an diesem Tage noch von Jacks kleinem Essensvorrat ernährt hatten, keinen blanken Pfennig mehr besaßen.

Als die Sonne unterging, sagte der Königssohn: »Ach, Jack, nun haben wir überhaupt kein Geld mehr. Wo sollen wir nur heute nacht bleiben?«

Doch Jack antwortete: »Herr, das wird schon werden, denn ein Onkel von mir wohnt nur zwei Meilen entfernt. Er ist ein ungeheuer großer gräßlicher Riese mit drei Köpfen. Er kann fünfhundert bewaffnete Männer bezwingen und in die Flucht schlagen.«

»O weh!« rief der Prinz aus. »Was sollten wir denn dort? Er würde uns sicher als kleinen Happen verspeisen. Vielmehr, wir würden kaum ausreichen, einen seiner hohlen Zähne zu füllen.«

»Das kommt gar nicht in Frage«, lachte Jack, »ich werde vorausgehen und alles für Euch in Ordnung bringen. Deshalb bleibt bitte hier und wartet, bis ich zurückkomme!« Danach ritt Jack im Galopp davon, und als er das Schloßtor erreicht hatte, klopfte er so laut an, daß es auf den benachbarten Hügeln widerhallte. Donnernd brüllte der Riese: »Wer ist da?«

Jack antwortete: »Nur dein armer Neffe Jack.«

Da fragte der andere: »Welche Nachricht bringt der arme Neffe Jack?«

Der antwortete: »Lieber Onkel, bei Gott, schlimme Kunde!«

»Na hör mal«, grölte der Riese, »welche Nachrichten könnten für mich wohl schlimm sein? Ich bin ein Riese mit drei Köpfen, und du weißt nebenbei auch, wie ich mit fünfhundert bewaffneten Leuten fertig werde, so daß sie wie der Wind davonstieben.«

»O gewiß«, sagte Jack, »aber jetzt kommt der Sohn des Königs mit tausend Bewaffneten, um dich zu töten und deinen ganzen Besitz niederzumachen.«

»Oh, Neffe Jack«, rief der Riese, »das ist wirklich eine böse Nachricht! Ich will gleich davonlaufen und mich sicher verstecken, du aber mußt abschließen, verriegeln, die Balken vorlegen und alles beschützen, bis der Prinz wieder abgezogen ist.«



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Nachdem er so den Riesen scheinbar gerettet hatte, holte Jack seinen Herrn, und sie ließen es sich gut sein, während der arme Riese zitternd drunten in einer entfernten Erdhöhle saß.

Früh am Morgen stattete Jack seinen Herrn mit einer neuen Menge an Gold und Silber aus, schickte ihn gut drei Meilen voraus, denn dann war der Prinz aus der Reichweite des Riesen, und holte seinen Onkel aus dem Erdversteck. Der fragte ihn gerührt, was er ihm wohl schenken könne, weil er sein Schloß vor der Zerstörung bewahrt habe. »Ach«, antwortete Jack, »ich bin zufrieden, wenn ich den alten Mantel und die Mütze da bekomme und dazu das alte rostige Schwert und die Pantoffeln, die am Kopfende deines Bettes sind.« Der Riese darauf: »Du weißt gar nicht, was du verlangst; sie sind das Kostbarste, was ich habe. Der Mantel macht unsichtbar, die Mütze läßt dich alles wissen, was du willst, das Schwert zerschneidet, was auch immer du damit triffst, und die Schuhe tragen dich fort in Windeseile. Doch du hast mir so treulich geholfen, darum will ich sie dir von Herzen gern geben.«

Jack dankte seinem Onkel vielmals, nahm die erbetenen Dinge und schied. Er holte seinen Herrn schnell ein, und sie kamen bald zu dem Schloß der Lady, zu der es den Prinzen zog und die, als ihr der prinzliche Freier gemeldet wurde, ein festliches Mahl herrichten ließ. Nachher aber erklärte sie, daß sie ihm eine Aufgabe stellen musse.

Sie wischte seinen Mund mit einem Taschentuch ab und sagte: »Dieses Taschentuch mußt du mir morgen früh vorzeigen, oder du wirst geköpft.« Und damit steckte sie es in ihren Halsausschnitt. Voller Sorge ging der Prinz zu Bett, aber Jacks alles verratende Mütze gab eine Möglichkeit, die Aufgabe zu lösen. Um Mitternacht rief die Lady ihr Hausgespenst und ließ sich zu Luzifer tragen. Aber Jack zog den unsichtbar machenden Mantel und seine Siebenmeilenstiefel an und war genauso schnell da wie sie. Sie gab dem Teufel das Taschentuch, und der legte es auf ein Regal, von dem Jack es schnell wegnahm und seinem Herrn brachte, der es am nächsten Morgen der Lady vorwies und dadurch sein Leben rettete.

An diesem Tage gab sie dem Prinzen einen Kuß und erklärte, am



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nächsten Morgen müsse er ihr die Lippen vorweisen, die sie in der Nacht küssen würde, sonst müsse er sterben.

»Ach«, rief er, »wie gern möchte ich das, wenn du keine anderen als die meinen küßt!«

»Das kommt gar nicht in Frage«, antwortete sie. »Wenn du es nicht kannst, bist du des Todes!«

Um Mitternacht ging sie wiederum den gleichen Weg und schalt den Teufel, weil er das Taschentuch hergegeben habe. »Aber heute«, rief sie, »werde ich die Aufgabe für den Königssohn unlösbar machen, denn dich werde ich küssen, und deine Lippen soll er mir dann vorzeigen.« Sie tat es. Als sie gegangen war, schnitt Jack Luzifers Kopf ab und brachte ihn unter dem unsichtbar machenden Mantel seinem Herrn, der ihn am nächsten Morgen an den Hörnern vor die Lady zerrte.

Da wurde der Zauber gebrochen, der böse Geist fuhr aus ihr heraus, und sie stand nun in all ihrer Schönheit vor dem Prinzen. Schon am nächsten Morgen fand die Hochzeit statt, und gleich danach ging es an König Arthurs Hof zurück, wo Jack um seiner Heldentaten willen zum Ritter der Tafelrunde geschlagen wurde.

Jack zog nun von neuem aus, um Riesen zu vernichten, und war noch nicht weit geritten, als er eine Höhle sah, in deren Nähe ein Riese auf einem Baumstamm saß. Der Riese hatte eine gewaltige eiserne Keule neben sich. Seine hervorquellenden Augen waren wie feurige Flammen, sein Aussehen grimmig und wild, seine Backen wie ein paar schweinerne Speckseiten, und eine Art Locken, die bis auf seine muskelbepackten Schultern fielen, sahen wie sich ringelnde Schlangen oder zischende Nattern aus.

Jack sprang von seinem Pferd, und im Schutze seines unsichtbaren Mantels ganz nahe herangehend, sagte er leise: »Ach, da bist du ja. Warte nur, gleich werde ich dich fest am Bart zausen!« Der Riese konnte ihn aber wegen des unsichtbar machenden Mantels nicht sehen, so daß Jack, noch näher an das Ungeheuer herantretend, einen Streich mit seinem Schwert gegen den glotzenden Kopf führte, sein Ziel verfehlte und nur die Nase abschnitt. Da brüllte der Riese auf, als ob Donner rollte, und schlug mit seiner eisernen Keule wie irre



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um sich. Jack aber, zurückspringend, stieß sein Schwert bis zum Heft in den Rücken des Riesen, so daß dieser tot umfiel. Jetzt schnitt Jack ihm den Kopf ab und sandte ihn zugleich mit dem seines Riesenbruders durch einen Fuhrmann zu König Arthur.

Jack wollte nun in der Höhle des Riesen nach Schätzen suchen. Nachdem er viele Windungen und Wendungen hinter sich gelassen hatte, kam er zuletzt in einen großen, mit Sandstein gepflasterten Raum, an dessen oberem Ende ein kochender Kessel stand und daneben, rechter Hand, ein mächtiger Tisch, an dem der Riese zu essen pflegte. Dann trat Jack an ein vergittertes Fenster, und als er hindurchschaute, sah er eine Unmenge elende Gefangene, die, als sie ihn erblickten, aufschrien: »Ach, junger Mann, kommst auch du zu uns in diese schreckliche Höhle?«

»Ja«, sagte Jack, »doch sagt mir bitte, weshalb ihr hier gefangen seid?«

»Wir werden hier festgehalten«, antwortete einer, »um den Riesen als Fraß zu dienen, wenn sie ein Festmahl halten wollen. Dann wird immer der Dickste von uns geschlachtet. Und dauernd fressen sie Menschen, die sie umbringen.«

»So ist das?« rief Jack entsetzt, riß mit einem gewaltigen Ruck das Tor auf und schenkte ihnen die Freiheit wieder. Und sie alle konnten sich kaum vor Freude fassen. Sie waren wie Verdammte, denen in letzter Stunde Gnade geschenkt wird. Dann holte Jack die Kisten und Kästen des Riesen herbei, die von Gold und Silber überquollen, teilte alles unter ihnen auf und nahm sie mit auf ein benachbartes Schloß, wo sie alle zusammen ihre glückliche Befreiung feierten.

Doch mitten in ihre Fröhlichkeit stürzte ein Bote mit der Nachricht herein, Thunderdell, ein Riese mit zwei Köpfen, der vom Tode seiner Verwandten gehört hatte, sei aus den Tälern des Nordens aufgebrochen, um an Jack Rache zu üben. Er sei nur noch eine Meile von dem Schloß entfernt, so daß die umwohnenden Landleute wie Spreu vor ihm davonstoben.

Jack war kein bißchen erschrocken, sondern sagte: »Laßt ihn nur kommen! Ich hab' schon das richtige Werkzeug, um ihm den Zahn zu ziehen. Und ihr, Damen und Herren, geht hinaus in den Garten.



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Ihr sollt Zeugen von Tod und Untergang des Riesen Thunderdell sein.«

Die Burg lag mitten auf einer kleinen Insel, die von einem dreißig Fuß tiefen und zwanzig Fuß breiten Graben umschlossen war, über den eine Zugbrücke führte. Jack ließ nun die Brücke ungefähr in der Mitte nach beiden Seiten zu ansägen. Dann ging er in dem unsichtbar machenden Mantel und mit seinem scharfen Schwert dem Riesen entgegen. Zwar konnte der Riese Jack nicht sehen, doch roch er ihn beim Näherkommen und brach in die Drohung aus:

»Fe, fi, fo, fann,
ich rieche das Blut eines Englisch Manns!
Sei er noch lebend, sei er schon tot,
ich zermahle seine Knochen und fresse sie statt Brot.«


***
»Meinst du?« rief Jack. »Dann bist du ein grausiger Müller fürwahr.

Darauf schrie der Riese: »Bist du der Kerl, der meine Verwandten umgebracht hat? Dann will ich dich mit meinen Zähnen zerreißen, dein Blut trinken und deine Knochen zu Pulver zerstäuben.«

»Erst mußt du mich haben«, gab Jack zurück, warf seinen unsichtbar machenden Mantel ab, damit der Riese ihn sehen konnte, zog sich schnell die Siebenmeilenstiefel an und lief vor dem Riesen auf und ab, der wie eine wandernde Burg hinter ihm hertrabte, so daß die Erde bei jedem seiner Schritte bebte. Jack ließ ihn lange so herumjagen, damit die Damen und Herren es wohl sehen könnten. Zuletzt aber eilte er, dem Schauspiel ein Ende machend, leichtfüßig über die Zugbrücke, und der Riese stampfte wutschnaubend und seine Keule schwingend hinterher. Als er in die Mitte der Brücke kam, brach diese unter dem gewaltigen Gewicht des Riesen durch, und dieser stürzte kopfüber ins Wasser, wo er sich wie ein Wal wälzte und wendete. Jack, am Ende des Burggrabens stehend, lachte ihn eine ganze Zeit lang aus, während der Riese vor Wut tobte, sich so verspottet zu sehen, nur in dem Wassergraben hin und her torkelte und doch nicht heraus konnte, um sich zu rächen. Schließlich nahm Jack



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ein dickes Zugseil, warf es über die zwei Köpfe des Riesen und zog sie durch ein starkes Pferdegespann ans Ufer, schnitt beide Köpfe dann mit seinem scharfen Schwert ab und sandte sie an König Arthur.

Nach einer in Frieden und Freuden verbrachten Ruhezeit am Hofe nahm Jack wiederum Abschied von den Rittern und Edeifrauen, um zu neuen Abenteuern auszuziehen. Er kam durch viele dichte Wälder und langte endlich am Fuß eines hohen Gebirges an. Hier fand er zu nächtlicher Stunde ein einsames Haus und klopfte an die Tür, die von einem alten Mann mit schneeweißem Haar geöffnet wurde. »Ehrwürdiger Vater«, fragte Jack, »würdet Ihr wohl einem Wanderer, der von der Nacht überfallen wurde und sich verirrte, Unterkunft gewähren?« —»Ja«, sagte der Greis, »sei willkommen in meiner einfachen Hütte.«Daraufhin trat Jack ein. Sie setzten sich, und der Alte begann zu erzählen: »Mein Sohn, an deinem Gürtel ersehe ich, daß du der große Riesentöter bist. Nun sieh, mein Sohn, auf dem Gipfel jenes Berges da steht ein verzaubertes Schloß, das von einem Riesen namens Galligantua bewacht wird. Er lockte mit Hilfe eines alten Zauberers viele Ritter und edle Frauen in sein Schloß, wo sie durch Zauberkünste in verschiedene Gestalten und Wesen verwandelt wurden. Vor allem trauere ich um die Tochter eines Herzogs, die sie aus dem väterlichen Garten raubten und in einem flammenden, von feuerspeienden Drachen gezogenen Wagen durch die Luft entführten, um sie hier im Schloß in eine weiße Hirschkuh zu verwandeln. Viele, viele Ritter haben schon versucht, den Zauber zu brechen und sie zu befreien, doch keiner vermochte es, weil zwei gewaltige Greife das Schloßtor bewachen und jeden umbringen, der sich nähert. Du aber, mein Sohn, kannst ungesehen an ihnen vorüber. Ober dem Schloßtor steht zu lesen, in Stein gemeißelt, wie der Bann zu lösen ist.«Jack gab dem alten Mann die Hand darauf: Er würde am nächsten Tag aufbrechen und sein Leben für die Befreiung der Herzogstochter wagen.

Am Morgen zog er auch davon, nahm seinen unsichtbar machenden Mantel, seine Zauberkappe und die Wunderschuhe und bereitete sich auf den Kampf vor. Als er den Gipfel des Berges erreicht hatte,



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entdeckte er sofort die beiden Greife, ging aber dank seines unsichtbar machenden Mantels furchtlos zwischen ihnen hindurch. Nachdem diese Gefahr überwunden war, fand er am Schloßtor eine goldene, an silberner Kette hängende Trompete. Darunter befanden sich die Worte:

»Wer die Trompete läßt erklingen,
wird schnellen Tod dem Riesen bringen,
der schwarze Zauber ist vorbei,
und jeder wieder glücklich sei.«


***
Kaum hatte Jack das gelesen, als er auch schon gewaltig in die Trompete stieß, worauf die Burg in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Riese und Zauberer packte das Entsetzen. Sie zerbissen sich die Finger und rauften sich die Haare, wohl wissend, daß ihre schlimme Herrschaft jetzt zu Ende ging. Als sich der Riese bückte, um nach seiner Keule zu greifen, schlug Jack ihm mit einem einzigen Schlag den Kopf ab. Da wirbelte sich der Zauberer schleunigst in die Luft hinauf und ließ sich von einer Windwolke davontragen. Nun war die Verzauberung gebrochen, und alle Damen und Herren, die so lange Zeit in Vögel und anderes Getier verwandelt gewesen waren, erhielten ihre eigene Gestalt wieder. Die ganze Burg aber versank in einer gewaltigen Rauchwolke.

Nachdem dies alles geschehen war, verfuhr Jack mit dem Kopf Galligantuas wie mit den anderen Riesenköpfen: Er sandte ihn an König Arthurs Hof, wohin auch er am nächsten Tage zog, zusammen mit den Rittern und Edelfrauen, die er befreit hatte. Der König erhob ihn aus Dankbarkeit für seine getreuen Dienste zum Herzog und gab dem tapferen Helden seine Tochter zur Frau. Also heirateten sie, und das ganze Königreich war über diese Hochzeit hoch erfreut. Später ließ der König für Jack ein prächtiges Schloß bauen und schenkte ihm alle Ländereien ringsum. Und Jack und seine schöne Frau lebten von nun an glücklich und in Frieden bis ans Ende ihrer


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