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Märchen aus Frankreich den Niederlanden und der Schweiz

Märchen europäischer Völker


Die Zauberdinge und die wunderbaren Früchte

Es waren einmal drei Brüder, die hatten sich sehr lieb. Als der erste erwachsen war, zog er fort, um Soldat zu werden; später ging der zweite in das gleiche Regiment, und auch der dritte Bruder schloß sich ihnen an, als seine Zeit gekommen war.

Nun war aber die Dienstzeit des ältesten beendet; da sagte er zum mittleren: »Ich werde noch Soldat bleiben, um auf dich zu warten.«

Als auch der zweite Bruder mit seinem Dienst fertig war, sagten die beiden ältesten: »Wir werden noch länger bei den Soldaten bleiben und mit dir zusammen unseren Abschied nehmen.«

So wurden sie denn zur gleichen Zeit entlassen und zogen zusammen wieder in ihr Dorf zurück. Sie waren lange gegangen, ohne auf eine menschliche Behausung zu stoßen; es war schon spät, und sie hatten Hunger. Endlich kamen sie an eine Mühle und baten um Aufnahme. »Ich kann euch wohl etwas zum Essen geben«, sagte der Müller, »aber ich habe keinen Platz, um euch für die Nacht unterzubringen. Ich habe



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hier wohl in der Nähe ein altes verfallenes Schloß, aber die, die darin schlafen wollten, sind nie zurückgekehrt. Um das Schloß zu erlösen, muß jemand drei Nächte hintereinander dort zubringen.«

»Wir werden dort schlafen«, antworteten die Brüder. Sie speisten bei dem Müller gut zur Nacht; dann begaben sie sich zum Schloß. Dort fanden sie ein gutes Bett, und sie beschlossen, daß immer einer wachen sollte, während die beiden anderen schliefen. Der älteste sagte: »Da ich am ältesten bin, werde ich heute abend wachen.«

Gegen Mitternacht hörte er draußen einen großen Sturm heulen, der immer näher kam und dann plötzlich aufhörte. Darauf klopfte es dreimal an die Tür. »Wer ist draußen?«fragte der Soldat.

»Der Schloßherr! Laß mich hinein!«

»Nein, ich lasse niemanden herein!«

»Bitte, laß mich hinein, ich werde dir einen Zaubermantel geben!«

»Laß sehen!«Der Soldat öffnete die Tür, der Teufel trat ein und reichte ihm den Mantel.

»Man muß sich nur daraufsetzen, sich irgendwohin wünschen, und schon ist man dort!«

»Gut, Ihr könnt hereinkommen, aber leise, damit meine Brüder nicht aufwachen. Aber bleibt nicht länger als zehn Minuten!«

Der Teufel trat näher, machte schnell eine Runde im Schloß, und nach kaum zehn Minuten verschwand er wieder.

Als es Tag wurde, legte sich der älteste zu den beiden Brüdern, ohne vom Besuch des Teufels zu erzählen. Dann gingen alle drei in die Mühle, um dort zu essen. Der Müller fragte: »Habt ihr nichts gesehen?«

»Nein, nichts, wir haben gut geschlafen.«

Der Müller war sehr zufrieden, brachte ihnen die besten Speisen und wollte sie noch eine Nacht dabehalten. Diesmal übernahm der zweite Bruder die Wache. Gegen Mitternacht hörte er Sturm- und Donnergetöse, das schnell näher kam und dann plötzlich aufhörte. Dann ließen drei laute Schläge das Schloßtor erzittern.

»Wer ist da?«fragte der Jüngling.

»Der Schloßherr! Laß mich hinein!«

»Nein, ich lasse niemanden herein!«

»Bitte, laß mich hinein, ich gebe dir dafür einen Zauberbeutel.«

»Laß sehen!«

Der Jüngling öffnete die Tür, der Teufel trat herein und gab ihm den Beutel. »Du kannst so viel Gold und Silber daraus nehmen, wie du willst, er wird immer voll bleiben.«



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»Gut, Ihr könnt hereinkommen, aber seid leise, damit meine Brüder nicht aufwachen. Ihr habt fünf Minuten Zeit.«

Der Teufel murmelte vor sich hin: »Die drei Brüder verteidigen sich gut, es sieht so aus, als wollten sie hierbleiben. Morgen werde ich mit ihnen abrechnen!« Er trat ein, machte schnell seine Runde, und als die fünf Minuten um waren, verschwand er wieder.

Am nächsten Morgen legte sich der Jüngling zu seinen beiden Brüdern; diese hatten nichts gehört. Dann begaben sich die drei zur Mühle; der Müller war noch fröhlicher als am Vortag, gab ihnen gut zu essen und zu trinken und wollte sie noch eine Nacht bei sich behalten.

Diesmal war die Reihe am jüngsten, die Wache zu übernehmen. Gegen Mitternacht hörte er, wie sich unter lautem Sturm- und Donnergetöse eine Karosse näherte; dann wurde es plötzlich still, und drei gewaltige Schläge erschütterten das Schloß.

»Wer ist draußen?«

»Der Schloßherr! Laß mich hinein!«

»Nein, ich laß niemanden herein!«

»Bitte, laß mich hinein! Ich werde dir ein Zaubertuch geben!«

»Laß sehen!« Der Jüngling öffnete, der Teufel kam herein und zeigte ihm das Tuch.

»Wenn man es ausbreitet, steht es gleich voller bester Speisen und Weine, die für alle reichen, die essen wollen.«

»Gebt es mir und kommt herein; aber hütet Euch, meine beiden Brüder zu wecken! Ihr habt zwei Minuten Zeit!«

Der Soldat wartete, sein Gewehr im Anschlag; der Teufel hatte gerade die Zeit, seine Teufelsbücher zusammenzuraffen, dann fuhr er schnell fort in der Karosse, in der er eigentlich die drei Brüder entführen wollte. Er war wütend, weil er keine Macht mehr über das Schloß hatte.

Am nächsten Morgen beglückwünschte der Müller die drei Soldaten, die sich wieder auf den Weg machten. Bald bekamen sie Hunger; die zwei älteren stellten bekümmert fest, daß keine Herberge in der Nähe sei. »Macht euch keine Gedanken um einen Ort zum Essen«, sagte der jüngste; »ich habe hier in meinem Bündel genug, um euch alle beide satt zu machen.« Er hieß sie, sich am Feldrain niedersetzen, zog sein Tuch heraus und breitete es auf dem Boden aus. Und im gleichen Augenblick war es beladen mit allem, was man für drei Personen braucht.

»Das hat mir der Teufel gegeben, weil ich ihn ins Schloß hereingelassen habe«, sagte er.



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Alle drei speisten, dann faltete der jüngste sein Tuch zusammen, steckte es in sein Bündel, und sie machten sich wieder auf den Weg. Bald kamen sie in eine Stadt, und sie schämten sich ihrer abgenutzten Kleider; man hatte sie ihnen bei ihrer Entlassung gegeben, aber jetzt waren es nur noch Lumpen.

»Wir wollen diese alten Fetzen nicht länger behalten«, sagte der mittlere; »ich habe genug, um uns neue Kleider zu kaufen.« Und er zog den unerschöpflichen Beutel aus seiner Tasche. »Den habe ich vom Teufel bekommen, weil ich ihn einen Augenblick in das Schloß hereingelassen habe«, sagte er; und er führte seine Brüder in den schönsten Laden, den sie wenig später wie Prinzen angetan verließen. Sie machten sich wieder auf den Weg, aber sie waren noch weit von ihrem Dorf entfernt und sie murrten über den langen ermüdenden Weg.

Da sagte der älteste: »Wir werden nicht mehr lange weiterlaufen; ich werde euch im Handumdrehen zu uns nach Hause bringen!« Er zog den Mantel aus seinem Bündel und breitete ihn aus.

»Den habe ich vom Teufel bekommen, weil ich ihn einen Augenblick ins Schloß hereingelassen habe. Setzt euch darauf, an meine Seite!« Als alle drei Platz genommen hatten, wünschte sich der älteste in seine Heimat, und schon waren sie dort. Ihre Eltern waren sehr erstaunt, als sie die schönen Herren ankommen sahen, und als sie in ihnen ihre Söhne erkannten, war die Freude groß. Dank des Zaubertuches und des Zauberbeutels lebten die drei Brüder und ihre Eltern von nun an im Überfluß und im Reichtum.

Einige Zeit später ließ der König überall bekanntmachen, daß der, der in einem Tag für seinen ganzen Hofstaat ein prächtiges Mahl bereiten könne, seine Tochter zur Frau haben solle.

Der älteste der drei Brüder sagte: »Mit meinem Zaubermantel könnte ich die besten Köche holen.« Und der mittlere sagte: »Mit meinem Zauberbeutel könnte ich die teuersten und seltensten Dinge kaufen!« Der jüngste aber sagte: »Mit meinem Zaubertuch kann ich im Handumdrehen die prächtigste Mahlzeit servieren!«

»Das ist wahr!« sprachen die anderen.

»Leiht mir eure Wunderdinge, und ich werde die Prinzessin leicht gewinnen. «

Ersetzte sich auf den Mantel und befand sich sofort am Königshof, wo er seine Dienste anbot. Mit seinem unerschöpflichen Beutel konnte er das schönste goldene Geschirr kaufen, die feinste Tischwäsche und die schönsten Blumen der ganzen Stadt. Dann breitete er sein Tischtuch aus, das sofort mit den besten Speisen und Weinen beladen war. Der



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König war es zufrieden, und der Jüngling erhielt die Erlaubnis, der Prinzessin den Hof zu machen, bevor er sie heiratete.

Aber eines Tages fragte die Prinzessin:

»Wie konntest du nur so schnell ein so prächtiges Mahl herrichten?«

»Ich habe ein Zaubertuch, das ich nur ausbreiten muß, damit es mit den besten Dingen beladen ist.«

»Laß sehen!« sagte die Prinzessin.

Der Jüngling zog das Tuch heraus, breitete es über einen Tisch, der sofort all das trug, was man für zwei Personen zum Speisen braucht.

»Schenke mir das Tüchlein als Beweis deiner Liebe!«bat die Prinzessin. Er gab es ihr, und die Königstochter brachte es in ihr Zimmer.

Als der Jüngling am nächsten Tag wieder vor ihr stand, erklärte die Prinzessin: »Ich habe nachgedacht, ich will mich nicht mehr verheiraten, es sei denn, du hättest noch ein anderes Geschenk, das meiner würdig ist.«

»Ich habe auch noch eine Zauberbörse, die niemals leer wird.« »Laß sehen!«

Er zeigte sie ihr und bewies ihr, daß man so viel Geld daraus holen könne, wie man wolle, ohne sie jemals leeren zu können.

»Gib sie mir, dann kann ich dich heiraten!« sagte die Prinzessin. Der Jüngling gab ihr den kostbaren Beutel, und die Prinzessin legte ihn zu dem Zaubertuch.

Aber am anderen Morgen, als er wieder vor ihr stand, sagte die Königstochter zu ihm: »Ich habe aufs neue nachgedacht; wirklich, ich kann nicht deine Frau werden, wenn du mir nicht noch ein letztes Geschenk machen kannst, das meiner würdig ist.«

»Ich habe noch einen Zaubermantel, der einen dahin bringt, wohin man will. Aber ich kann ihn dir erst nach der Hochzeit geben.«

»Meinetwegen, aber zeige mir, wie man damit umgeht.«

Der Jüngling breitete den Mantel aus, setzte sich darauf und bat die Prinzessin, an seiner Seite Platz zu nehmen. Dann wünschte er sich ans Ufer des Roten Meeres; und schon flogen sie weit, weit weg, in ein unbekanntes Land.

»Geh, hol mir diese Blume dort, ehe du mich wieder nach Hause bringst«, bat die Prinzessin. Der Jüngling wandte sich zu der Blume, und die Prinzessin, die allein auf dem Mantel zurückgeblieben war, wünschte sich wieder in das Schloß ihres Vaters, wo sie auch alsbald ankam. Sehr zufrieden tat sie den Zaubermantel zu den beiden anderen Dingen.

So war nun der arme Jüngling ganz allein, in einem fremden, weitentfernten



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Land. Einige Zeit irrte er umher, und schon bald hatte er sehr viel Hunger und Durst.

Er kam an einem sehr schönen, verlassenen Garten vorbei, dessen Bäume prächtige Früchte trugen. Aber auf einmal merkte er, als er von den Äpfeln aß, daß jeder der Äpfel ihm ein Horn wachsen ließ. Erschrocken hielt er inne, aber er hatte immer noch Hunger.

»Vielleicht habe ich bei den Birnen mehr Glück«, sagte er sich. Und er begann, von den kleinen goldgelben Birnen zu essen, und jede Birne, die er aß, ließ ein Horn verschwinden. Da flocht er sich zwei Körbe aus Waidreben, füllte den einen mit den dicken Äpfeln, die Hörner hervorzaubern konnten, und den anderen mit den kleinen Birnen, die die Hörner wieder verschwinden ließen. Dann machte er sich auf den Heimweg; um nicht Hungers zu sterben, bettelte er auf dem ganzen Weg. Eines schönen Tages endlich fand er sich wieder in der Stadt der schönen Prinzessin, die ihn so sehr betrogen hatte. Er verkleidete sich als Bauer, hängte seinen Korb mit Äpfeln an den Arm, marschierte vor dem Palast auf und nieder und rief: »Äpfel! Schöne Äpfel zu verkaufen!«

Die Prinzessin hörte ihn und steckte den Kopf aus dem Fenster; die dicken roten Äpfel ließen ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen, und sie schickte eine Dienerin hinunter, den ganzen Korb zu kaufen. Bei der Mahlzeit wurden die Äpfel als Nachtisch aufgetragen. Der König, die Königin und die Prinzessin versuchten, und sie fanden die Äpfel so herrlich, daß sie drei oder vier davon auf einmal aßen. Aber als sie die Köpfe hoben, schrien sie vor Entsetzen auf, als sie bemerkten, daß ihnen allen ganz ansehnliche Hörner gewachsen waren.

Voller Scham versteckten sich der König, die Königin und die Königstochter in ihren Gemächern. Man rief den Hofarzt, aber der erklärte, eine solche Krankheit sei ihm noch nie untergekommen und er könne sie nicht heilen. Da ließ der König im ganzen Lande bekanntmachen, daß derjenige, der sie alle drei heilen könnte, seine Tochter zur Frau bekommen werde.

Von überall her kamen Ärzte, aber keiner wußte ein Mittel, das die Hörner verschwinden ließ. Es kam sogar ein Chirurg, aber jedesmal, wenn er ein Horn abgesägt hatte, wuchs ein neues, das noch viel länger war. Endlich verkleidete sich der geprellte Jüngling als Arzt und bot seinerseits seine Hilfe an. Er hatte seine goldgelben Birnen mitgebracht, und er gab zuerst dem König und der Königin davon zu essen. Die Hörner fielen sofort ab; aber die Prinzessin, die am gefräßigsten gewesen war und deren Haupt zwei Paar schöne Hörner trug, wollte er noch



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ein wenig zappeln lassen. So gab er ihr zunächst statt der Wunderbirnen eine gewöhnliche Birne zu essen, und er tat sehr erstaunt, als er kein Horn verschwinden sah.

»Prinzessin, wenn mein Mittel nicht wirkt, dann nur deswegen, weil Ihr eine große Lüge oder einen Diebstahl auf dem Gewissen habt, vielleicht sogar beides.«

»Ja, tatsächlich; ich sollte einen jungen Mann heiraten, der ein Zaubertuch besaß, aber als er mir das Tuch gegeben hatte, wollte ich ihn nicht mehr.«

»Gebt mir das Tuch, damit ich es seinem Besitzer wiedergeben kann, dann werde ich Euch helfen.«

Sie gab ihm das Tuch, und er ließ sie eine kleine goldgelbe Birne essen, und ein Horn verschwand. Dann gab er ihr wieder eine gewöhnliche Birne, die keine Wirkung hatte.

»Ihr müßt noch einen anderen Betrug auf dem Gewissen haben.«

»Ja, ich habe dem Jüngling versprochen, ihn zu heiraten, wenn er mir einen Zauberbeutel geben wolle, aber als ich ihn hatte, wollte ich ihn nicht mehr heiraten.«

»Gebt mir den Beutel zurück, damit ich ihn seinem Besitzer wiedergeben kann, dann werde ich Euch helfen.«

Sie gab ihm den Beutel, und er ließ sie eine goldgelbe Birne essen, und das zweite Horn fiel ab. Dann gab er ihr wieder eine gewöhnliche Birne, ließ sie gestehen, auch den Zaubermantel gestohlen zu haben, und ließ sich diesen zurückgeben; da verschwand auch das dritte Horn.

»Bevor ich Euch nun von dem vierten Horn befreie, muß ich die Zauberdinge wieder ihren Besitzern zurückbringen.«

Er zog fort, gab seinen beiden Brüdern den Mantel und die Börse zurück und ging wieder zur Prinzessin. Er entdeckte sich ihr, warf ihr die Betrügereien vor und erklärte, daß er ihr das vierte Horn erst nach der Hochzeit wegnehmen wolle, da er kein Vertrauen mehr zu ihr haben könne.

Sie hielten Hochzeit, und danach ließ der Jüngling auch das vierte Horn mit Hilfe der goldgelben Birnen verschwinden. Um ihren Betrug wiedergutzumachen, liebte ihn die Prinzessin sehr und schenkte ihm viele Kinder, und alle lebten glücklich bis an das Ende ihrer Tage.


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