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Märchen

aus Polen Ungarn und der Slowakei

Märchen europäischer Völker


Der Wolf und der alte Hund

Ein Schafhirt hatte einen alten Hund, der auf den Namen Bodrik hörte. Er war in den Diensten des Hirten sehr alt und gebrechlich geworden, er hinkte, hatte keinen Zahn mehr im Maule, und sein Körper war voll Narben, die von zahllosen Kämpfen mit den Wölfen erzählten. Bodrik war ein treuer Freund seines Herrn und ein furchtloser Hüter seiner Herde! Doch er war alt .

»Ein alter Hund gehört auf den Dunghaufen!« sagte eines Morgens der undankbare Schafhirte, »warum soll ich denn ein so altes Tier halten, da doch ein junger Hund die Schafe sicherlich besser hüten wird?«

Gesagt -getan. . . der arme alte Bodrik wurde auf den Dunghaufen gejagt und dem Hungertode preisgegeben. Ein junger Hund nahm seine Stelle an, er nistete sich in Bodriks warmer Hütte gemütlich ein, bekam reichlich zu fressen und wurde dann ins Freie gelassen, um seine Pflicht, die Herde zu hüten, zu erfüllen.

Dem armen, alten Bodrik wollte das Herz im Leibe vor Kummer brechen, als er das ihm widerfahrene Unrecht wahrnahm. Er legte sich auf den Dunghaufen nieder und schluchzte jämmerlich.

Die Nacht brach an. Der junge Hund kroch in seine warme Hütte und war bald eingeschlafen. Der alte Hund aber, der einen leichten Schlaf hatte und auch noch im Schlafe auf jedes Geräusch aufpaßte,



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konnte auf seinem harten Lager keine Ruhe finden. Da plötzlich, um die Mitternachtsstunde, hörte er, wie sich ein Wolf dem Staue näherte. Er erhob sich und schlich zum Zaune, um das Raubtier zu verjagen. Doch als er über den Zaun springen wollte, versagten ihm, da er vor Hunger ganz schwach geworden war, seine Beine den Dienst. Traurig kehrte er auf den Dunghaufen zurück, streckte sich wiederum aus und sprach zu sich:

>Wenn der Hirte mir nicht einmal die wenigen Bissen gönnt und mich hinausgejagt hat, dann soll sich nur der Wolf sein Schäfchen holen!<

Er blieb ruhig liegen und stieß nicht einmal ein warnendes Bellen aus. Der junge Hund schlief tief und fest, witterte die Ankunft des Feindes nicht, und so schlich das Raubtier ungehindert in den Stall und trug seine Beute davon.

In aller Herrgottsfrühe, als der Hirte in den Stall kam, um die Schafe zu melken, bemerkte er, daß eines fehlte, und er sah auch, daß ein Wolf dagewesen und das Tierchen geholt hatte. Da wurde ihm klar, wie schlecht der junge Hund gehütet hatte und welch böses Unrecht er dem alten Hunde hatte zuteil werden lassen.

Er sprach zu sich: »Wenn Bodrik gehütet hätte, wäre es dem Wolfe nicht gelungen, ein Schaf zu rauben!«

Er rief den alten Hund zu sich, streichelte sein struppiges Fell und setzte einen Teller voll der besten Leckerbissen vor ihn hin. Bodrik war vor Freude außer sich, er preßte seinen Kopf gegen die Beine seines Herrn und bellte freudig.

Als es Abend wurde, lag er nicht wieder auf dem Dunghaufen, doch kroch er auch nicht in seine Hütte - er schlich vorsichtig um den Stall herum, als ob er wüßte, daß der gefräßige Wolf wiederkommen würde. Und siehe da! der Wolf kam wieder! Doch diesmal mußte er unverrichteter Dinge das Weite suchen.

»Was begehrst du hier?« fuhr ihn Bodrik an, als er sich dem Stalle näherte.

»Was anderes sollte ich denn wünschen als ein Schaf?« antwortete der Wolf.



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»Schere dich hinweg, du Nichtsnutz! —Ich werde dir sicherlich kein Schäfchen geben!« sagte Bodrik.

»Lasse dich erweichen!« bat der Wolf. »Und gib mir ein einziges - wir können es ja gemeinsam verzehren!«

»Ich will keine Gemeinschaft mit dir haben! Gestern, als mir der Hirte keine Nahrung gab, war ich schwach und hungrig und mußte dich gewähren lassen -doch heute hat mich mein Herr reichlich gefüttert, und ich fühle mich stark -, du wirst daher ohne Beute abziehen müssen!«

»Wenn du mir freiwillig kein Schaf geben willst, werden wir darum kämpfen!« warnte der Wolf zornig.

»Wie es dir beliebt!« sagte Bodrik, »warte nur, bis ich mit meiner Wache hier fertig bin, dann will ich zu dir in den Wald kommen, und wir werden dort den Kampf austragen!«

Als der Wolf sah, daß er im guten sein Schaf nicht bekommen könne, kehrte er um -doch er beschloß, sich an Bodrik zu rächen. Er eilte in den Wald und bat den Bären und den Fuchs, ihm zu helfen.

Aber der alte Hund war klug, und da er die Schliche des Wolfes kannte, ging auch er nicht allein in den Wald, sondern nahm seine beiden Freunde, einen alten Kater und ein Schwein mit sich. Als der Bär und der Fuchs den hinkenden Hund, den alten Kater und das Schwein von ferne kommen sahen, erschraken sie über alle Maßen. »Sieh doch, Bruder«, rief der Bär, »wie der erste sich ständig bückt, um Steine zu sammeln, mit denen er uns zu töten gedenkt!«

Bodrik kam hinkend daher, und der dumme Bär dachte, daß er sich bücke, um Steine aufzuheben.

»Sieh doch nur den zweiten!« rief der Fuchs, »wie er mit seinem scharfen Säbel um sich schlägt!«

Der alte Kater wedelte mit seinem buschigen Schweife, und der einfältige Fuchs dachte, daß er einen Säbel durch die Luft schwinge. Als sie aber zu guter Letzt noch das Grunzen des Schweines vernahmen, da war es um ihren Mut geschehen! Der Bär kroch, so schnell er nur konnte, bis zum Gipfel des höchsten Baums, und der Fuchs sprang, ohne zu überlegen, mitten in eine Brennesselstaude.



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Als die Haustiere näherkamen, hörte man den Kater schnurren: Brrbrrbrrbrrbrrbrr

Dem vor Furcht zitternden Fuchs schien es, als ob der Kater Brrennessel, Brr-ennessel, Brr-ennessel sagte. Er sprang aus seinem Versteck und lief eilends davon.

Das Schwein blieb vor dem Baum, in dessen Spitze sich der dumme Bär versteckt hatte, stehen und grunzte Chch, Chch, Chch, Chch. . . Der Bär in seiner Angst dachte, daß das fremde Tier hoch, hoch, hoch sage und beabsichtige, ihm hinauf zu folgen. Zitternd kroch er vom Baume herunter und rannte dem Fuchse nach.

Als der verlassene Wolf seine Helfer laufen sah, nahm auch er Reißaus.

Der alte Bodrik blieb Sieger und kehrte lustig und vergnügt mit seinen beiden treuen Freunden nach Hause zurück.


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