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Musäus Deutsche Volksmärchen

Märchen europäischer Völker


Fünfte Legende

Seitdem Mutter Ilse von dem Gnomen so herrlich war dotiert worden, ließ er lange Zeit nichts wieder von sich hören. Zwar trug sich das Volk mit allerlei Wundergeschichten, welche die Phantasie der Hausmütter in geselligen Winterabenden so lang und fein ausspann als den Faden am Rocken; es war aber eitel Fabelei, zur Kurzweil ausgedacht. Wie's immer hundert Narren und Tollhäusler gegen einen Besessenen, hundert Fanatiker gegen einen Inspirierten, hundert Träumer gegen einen Geisterseher geben soll, so gab's auch im Riesengebirge von jeher hundert lügenhafte Volkssagen von Rübezahl gegen eine authentische Geschichte. Der Gräfin Cecilie, Voltairens Zeitgenossin und Schülerin, war noch in unsern Tagen die letzte Entrevue mit dem Gnomen aufbehalten, bevor er seine jüngste Hinabfahrt in die Unterwelt antrat.



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Diese Dame, mit all den Gichtern und vornehmen Gebrechen beladen, welche die gallische Küche und Sitte den verzärtelten Töchtern Teuts zur Ausbeute gibt, machte nebst zwei gesunden blühenden Töchtern die Reise ins Karlsbad. Die Mutter verlangte so sehr nach der Badekur und die Fräuleins nach der Badegesellschaft, nach den Bällen, Serenaden und den übrigen Lustbarkeiten des Bades, daß sie sonder Rast Tag und Nacht reisten. Es traf sich, daß sie gerade mit Sonnenuntergang in das Riesengebirge gelangten. Es war ein schöner warmer Sommerabend, kein Lüftchen regte sich. Der nächtliche Himmel war mit funkelnden Sternen besäet; die goldne Mondsichel, deren milchfarbenes Licht die schwarzen Waldschatten der hohen Fichten milderte, und die beweglichen Funken unzähliger leuchtender Insekten, die in den Gebüschen scherzten, gaben die Beleuchtung zu einer der schönsten Naturszenen, wiewohl die Reisegesellschaft wenig davon wahrnahm; denn Mama war, da es gemachsam bergan ging, von der schaukelnden Bewegung des Wagens in sanften Schlummer gewiegt worden, und die Töchter nebst der Zofe hatten sich in ein Eckchen gedrückt und schlummerten gleichfalls.

Nur dem wachsamen Johann kam auf der hohen Warte des Kutschbocks kein Schlaf in die Augen; alle Geschichten von Rübezahl, die er vorzeiten so inbrünstig angehört hatte, kamen ihm jetzt auf dem Tummelplatz dieser Abenteuer wieder in den Sinn, und er hätte wohl gewünscht, nie etwas davon gehört zu haben. Ach, wie sehnte er sich nach dem sicheren Breslau zurück, wohin sich nicht leicht ein Gespenst wagt! Er sah schüchtern nach allen Seiten umher und durchlief mit den Augen oft alle zweiunddreißig Regionen der Windrose in weniger als einer Minute, und wenn er etwas ansichtig wurde, das ihm bedenklich schien, lief ihm ein kalter Schauer den Rücken herunter, und die Haare stiegen ihm zu Berge. Zuweilen ließ er seine Besorgnisse den Schwager Postillon merken und forschte von ihm, ob's auch geheuer sei im Gebirge. Wiewohl ihm dieser nun die heile Haut durch einen kräftigen Fuhrmannsschwur verassekurierte, bangte ihm doch das Herz unablässig.

Nach einer langen Pause der Unterredung hielt der Postkutscher die Pferde an, murmelte etwas zwischen den Zähnen und fuhr weiter, hielt nochmals an und wechselte so verschiedentlich. Johann, der seine Augen fest geschlossen hatte, ahndete aus diesem Kutschermanöver



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nichts Gutes, blickte schüchtern auf und sah mit Entsetzen in der Weite eines Steinwurfs vor dem Wagen eine pechrabenschwarze Gestalt daherwandeln, von übermenschlicher Größe, mit einem weißen spanischen Halskragen angetan, und das Bedenklichste bei der Sache war, daß der Schwarzmantel keinen Kopf hatte. Hielt der Wagen, so stund der Wandrer, und regte Wipprecht die Pferde an, so ging er auch förder. »Schwager, siehst du was?«rief der zaghafte Tropf vom hohen Kutschbock herab mit berganstehendem Haar. »Freilich seh ich was«, antwortete dieser ganz kleinlaut; »aber schweig nur, daß wir's nicht irren.« Johann waffnete sich mit allen Stoßgebetlein, die er wußte, das Benedicite und Gratias mit eingeschlossen, schwitzte dabei vor Angst kalten Todesschweiß. Und wie ein Blitzscheuer, wenn es in der Nacht wetterleuchtet und der Donner noch in der Ferne rollt, schon das ganze Haus rege macht, ohne sich durch die Geselligkeit für der gefürchteten Gefahr zu sichern, so suchte aus dem nämlichen Instinkt der verzagte Diener Trost und Schutz bei seiner schlummernden Herrschaft und klopfte hastig ans Fensterglas. Die erwachende Gräfin, unwillig, daß sie aus ihrem sanften Schlummer gestöret wurde, frug: »Was gibt's?« — »Ihr Gnaden, schaun Sie einmal aus«, rief Johann mit zagender Stimme, »dort geht ein Mann ohne Kopf.« —»Dummkopf, der du bist«, antwortete die Gräfin, »was träumt deine Pöbelphantasie für Fratzen! Und wenn dem so wär«, fuhr sie scherzhaft fort, »so ist ja ein Mann ohne Kopf keine Seltenheit, es gibt deren in Breslau und außerhalb genug.« Die Fräuleins konnten indessen den Witz der gnädigen Mama diesmal nicht schmecken, ihr Herz war beklommen vor Schrecken, sie schmiegten sich schüchtern an die Mutter an, bebten und jammerten: »Ach, das ist Rübezahl, der Bergmönch!«

Die Dame aber, die von der Geisterwelt eine ganz andre Theorie hatte als die Töchter und an keine Geister glaubte als Schöngeister und starke Geister, strafte die Fräuleins dieser pfahlbürgerischen Vorurteile halber, bewies, daß alle Gespenster und Spukgeschichten Ausgeburten einer kranken Einbildungskraft wären, und erklärte mit Weisheit die Geistererscheinungen samt und sonders aus natürlichen Ursachen. Ihre Suada war eben in vollem Gange, als der Schwarzmantel, der auf einige Augenblicke dem Gespensterspäher aus den Augen geschwunden war, wieder aus dem Busch hervor an den Weg trat. Da war nun deutlich wahrzunehmen, daß Johann falsch gesehen hatte: der Wandersmann



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hatte allerdings einen Kopf, nur, daß er ihn nicht wie gewöhnlich zwischen den Schultern, sondern wie einen Schoßhund im Arme trug. Dieses Schreckbild in der Weite von drei Schritten erregte innerhalb und außerhalb des Wagens großes Entsetzen. Die holden Fräuleins und die Zofe, welche sonst nicht gewohnt war miteinzureden, wenn ihre junge Herrschaft das Wort führte, taten aus einem Munde einen lauten Schrei, ließen den seidenen Vorhang herabrollen, um nichts zu sehen, und verbargen ihr Angesicht wie der Vogel Strauß, wenn er dem Jäger nicht mehr entrinnen kann. Mama schlug mit stummem Schrecken die Hände zusammen, und ihre unphilosophische Gebärdung ließ vermuten, daß sie insgeheim die Palinodie ihrer zuversichtlichen Behauptungen gegen die Gespenster anstimmte.

Johann, auf den der furchtbare Schwarzmantel ein besonderes Absehen gerichtet zu haben schien, erhob in der Angst seines Herzens das gewöhnliche Feldgeschrei, womit die Gespenster begrüßt zu werden pflegen: »Alle guten Geister -«; doch eh er ausgeredet hatte, schleuderte ihm das Ungetüm den abgehauenen Kopf gegen die Stirn, daß er überzwerch von der Zinne des Polsters über dem Ringnagel herabstürzte; in dem nämlichen Augenblicke lag auch der Postkutscher durch einen kräftigen Keulenschlag zu Boden gestreckt, und das Phantom keuchte aus hohler Brust in dumpfem Ton diese Worte aus: »Nimm das von Rübezahl, dem Bannwart des Gebirges, daß du ihm ins Gehege fuhrst; verfallen ist mir Schiff, Geschirr und Ladung.«Hierauf schwang sich das Gespenst auf den Sattel, trieb die Pferde an und fuhr über Stock und Stein, daß vor dem Rasseln der Räder und dem Schnauben der Rosse von dem Angstgeschrei der Damen nichts hörbar war.

Urplötzlich vermehrte sich die Gesellschaft um eine Person; ein Reiter trabte ganz unbefangen neben dem Fuhrmann vorbei und schien es gar nicht zu bemerken, daß diesem der Kopf fehlte; ritt vor dem Wagen her, als wenn er dazu gedungen wäre. Dem Schwarzmantel schien diese Gesellschaft eben nicht zu behagen, er lenkte nach einer andern Direktion um, der Reiter tat dasselbe, und so oft auch jener aus dem Wege bog, so konnte er den lästigen Geleitsmann nicht los werden, der wie zum Wagen gebannt war. Das nahm den Fuhrmann groß wunder, absonderlich, da er deutlich wahrnahm, daß der Schimmel des Reisigen einen Fuß zu wenig hatte, obgleich der dreibeinige Rosinant übrigens ganz schulgerecht traversierte. Dabei wurde dem schwarzen Kondukteur



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auf dem Sattelgaule nicht wohl zumute, und er fürchtete, seine Rübezahisrolle dürfte bald ausgespielt sein, da der wahre Rübezahl sich ins Spiel zu mischen schien.

Nach Verlauf einiger Zeit drehte sich der Reiter, daß er dicht neben den Fuhrmann kam, und frug ihn ganz traulich: »Landsmann ohne Kopf, wo geht die Reise hin?« — »Wo wird's hingehen«, antwortete das Kutschergespenst mit furchtsamem Trutz, »wie Ihr seht, der Nase nach.« —»Wohl!«sprach der Reiter, »laß sehn, Gesell, wo du die Nase hast!« Drauf fiel er den Pferden in die Zügel, packte den Schwarzmantel beim Leibe und warf ihn so kräftig zur Erde, daß ihm alle Glieder dröhnten; denn das Gespenst hatte Fleisch und Bein, wie sie ordentlicherweise zu haben pflegen. Behend war der Tavarro demaskiert, da kam ein wohlproportionierter Krauskopf zum Vorschein, der gestaltet war wie ein gewöhnlicher Mensch. Weil sich nun der Schalk entdeckt sah und die schwere Hand seines Gegners fürchtete, auch nicht zweifelte, der Reisige sei der leibhafte Rübezahl, den er nachzuäffen sich unterfangen hatte, ergab er sich auf Diskretion und bat flehentlich um sein Leben. »Gestrenger Gebirgsherr«, sprach er, »habt Erbarmen mit einem Unglücklichen, der die Fußtritte des Schicksals von Jugend auf erfahren hat; der nie sein durfte, was er wollte; der jederzeit aus dem Charakter mit Gewalt herausgestoßen wurde, in den er sich mit Mühe hineinstudiert hatte, und nachdem seine Existenz unter den Menschen vernichtet ist, auch nicht einmal Gespenste sein darf.«

Diese Anrede war ein Wort geredt zu seiner Zeit. Der Gnome war gegen seinen Rivalen so ergrimmt als damals König Philipp gegen den Pseudosebastian; oder der Zar Boris gegen den Mönch Griska, der den falschen Demetrius spielte, und würde nach Maßgabe der oftbelobten Hirschberger Justizpflege augenblicklich mit sträcklicher Exekution gegen den Wicht verfahren sein und ihn erdrosselt haben, wenn nicht seine Neugierde wäre rege gemacht worden, die Schicksale des Abenteuers zu vernehmen. »Sitz auf, Gesell«, sprach er, »und tu, was du geheißen wirst.« Drauf zog er vorerst dem Schimmel den vierten Fuß zwischen den Rippen hervor, trat an den Schlag, öffnete solchen und wollte die Reisegesellschaft freundlich salutieren.

Aber drinnen war's still wie in einer Totengruft; der übermäßige Schrecken hatte das weibliche Nervensystem so gewaltsam erschüttert, daß alle Lebensgeister aus den äußern Werkzeugen der Empfindung



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hinter das Schutzgitter der Herzkammern sich geflüchtet hatten. Alles was innerhalb des Wagens Leben und Odem hatte, von der gnädigen Frau bis auf die Zofe, lag in ohnmächtigem Hinbrüten. Der Reisige wußte indessen bald Rat zu schaffen, er schöpfte aus dem vorüberrieselnden Bächlein einer frischen Bergquelle seinen Hut voll Wasser, sprengte den erstorbenen Damen davon ins Gesicht, hielt ihnen das Riechgias vor, rieb ihnen von der flüchtigen Essenz in die Schläfe und brachte sie wieder ins Leben. Sie schlugen eine nach der andern die Augen auf und erblickten einen wohlgestalten Mann von unverdächtigern Ansehen, der durch seine Dienstbeflissenheit sich bald Zutrauen erwarb. »Es tut mir leid, meine Damen«, redete er sie an, »daß Sie in meinem Gerichtsbezirk von einem verlarvten Bösewicht sind belästigt worden, der ohne Zweifel die Absicht hatte, Sie zu bestehlen; aber Sie sind in Sicherheit, ich bin der Oberste von Riesental. Erlauben Sie, daß ich Sie zu meiner Wohnung geleite, die nicht fern ist.« Diese Einladung kam der Gräfin sehr gelegen, sie nahm solche mit Freuden an; der Krauskopf bekam Befehl fortzufahren und gehorchte mit zagender Bereitwilligkeit. Um den Damen Zeit zu lassen, sich von ihrem Schrecken zu erholen, gesellete sich der Kavalier wieder zum Fuhrmann, hieß ihn bald rechts, bald links wenden, und dieser bemerkte deutlich, daß der Ritter zuweilen eine von den herumschwirrenden Fledermäusen zu sich berief und ihr geheime Ordre erteilte, welches sein Grausen noch vermehrte.

In Zeit von einer Stunde blinkte in der Ferne ein Lichtlein, daraus wurden zwei und endlich vier; es kamen vier Jäger herangesprengt mit brennenden Windlichtern, die ihren Herrn, wie sie sagten, ängstlich gesucht hatten und erfreut schienen, ihn zu finden. Die Gräfin war nun wieder in vollem Gleichgewichte, und da sie sich außer Gefahr sah, dachte sie an den ehrlichen Johann und war um sein Schicksal bekümmert. Sie eröffnete ihrem Schutzpatron dieses Anliegen, der alsbald zwei von den Jägern fortschickte, die beiden Unglückskameraden aufzusuchen und ihnen benötigten Beistand zu leisten. Bald darauf rollte der Wagen durchs düstre Burgtor in einen geraumen Vorhof hinein und hielt vor einem herrlichen Palast, der völlig erleuchtet war, der Kavalier bot der Gräfin den Arm und führte sie in die Prachtgemächer seines Hauses in eine große Gesellschaft ein, die daselbst versammelt war. Die Fräuleins befanden sich in keiner geringen Verlegenheit, daß sie in Reisekleidern



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in einen so illustern Zirkel traten, ohne vorher ihre Toilette gemacht zu haben.

Nach den ersten Höflichkeitsbezeugungen gruppierte sich die Gesellschaft wieder in verschiedene kleine Zirkel, einige setzten sich zum Spiel, andre unterhielten sich durch Gespräche.

Das Abenteuer wurde viel beredet, und wie es bei Erzählung überstandener Gefahren gewöhnlich der Fall ist, zu einer kleinen Epopée ausgebildet, in welcher Mama sich gern die Rolle der Heldin zugeteilt hätte, wenn sich das Riechfläschchen des hilfreichen Ritters hätte wegräsonieren lassen. Bald darauf führte der aufmerksame Wirt einen Mann ein, der recht wie gerufen kam; es war ein Arzt, der nach dem Gesundheitszustande der Gräfin und ihrer schönen Töchter forschte, den Puls prüfte und mit bedeutender Miene mancherlei bedenkliche Symptome ahndete. Ob sich die Dame nach Beschaffenheit ihrer Umstände gleich so wohl befand wie jemals, so machte ihr doch die angedrohte Gefahr für das Leben bange, denn aller Leibesbeschwerden ungeachtet, war ihr der gebrechliche Körper noch so lieb wie ein langgewohntes Kleid, das man nicht gern entbehrt, ob es gleich abgetragen ist. Auf Verordnung des Arztes verschluckte sie starke Dosen temperierender Pulver und Tropfen, und die gesunden Töchter mußten wider Willen und Dank dem Beispiel der besorgten Mutter gleichfalls folgen.

Allzu nachgiebige Patienten machen strenge Ärzte; der blutsüchtige Theophrast bestund nun sogar auf einer Aderlässe, zog in Ermangelung seines Handlangers, des Wundarztes, die rote Binde hervor, und die Gräfin bequemte sich zu dem angerühmten Präservativ gegen alle schädlichen Wirkungen des Schreckens unweigerlich, sie würde nicht widersprochen haben, wenn seine Forderungen für die Gesundheitspflege bis zum Klystier gestiegen wären. Zum Glück kam er nicht auf den Einfall, dieses heroische Mittel zu verordnen, welches die schamhaften Fräuleins zur Verzweiflung würde gebracht haben; denn nur mit Mühe vermochte es die Überredungskunst des Arztes und die mütterliche Autorität über sie, daß sie die Furcht für den stählernen Zahn des Schneppers überwanden und den Fuß ins Wasser setzten. Die verschleimte Lymphe der Mutter und der purpurfarbene Balsam der Gesundheit aus den Adern der Töchter rieselte nun ohne Verzug in das silberne Becken. Zuletzt kam auch die Kammerjungfer noch an den Reihen; ob sie gleich hoch beteuerte, sie sei so blutscheu, daß die kleinste



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Verwundung von einer Nähnadel ihr Schwindel und Ohnmachten zu erregen pflege, so kehrte sich der unerbittliche Arzt an kein Protestieren, entstrumpfte den Fuß des niedlichen Mädchens ohne Barmherzigkeit und bediente sie kunstmäßig und sorgfältig wie ihre Herrschaft.

Diese chirurgische Operation war kaum vollendet, so begab man sich zur Tafel in den Speisessal, wo ein königliches Mahl aufgetischt wurde, die Schenktische waren bis an den Karnies des Deckengewölbes mit Silberwerk aufgeputzt, es prangten da goldene und übergüldete Pokale und giganteske Willkommen nebst den dazugehörigen Kredenzschalen von getriebener Arbeit. Eine herrliche Symphonie tönte aus den Nebenzimmern und flötete den leckerhaften Schmaus und die feinen Weine den Gästen lieblich hinunter. Nach dem Abhub der Schüsseln ordnete der Speisemeister das bunte Dessert, das aus Bergen und Felsen von gefärbtem Zucker und Gummi Tragant bestund. Der tändelhafte Zuckerbäckerwitz, der den Gaumen und das Auge immer leichter zu befriedigen weiß als den Verstand, hatte das ganze Abenteuer der Gräfin in kindischen Wachsfiguren, wie sie oft auf den Tafeln der Großen zu paradieren pflegen, darauf abgebildet. Die Gräfin unterließ nicht, das alles in der Stille bei sich bewundernd zu beherzigen. Sie wandte sich an ihren bebänderten Stuhinachbar, seiner Angabe nach einen böhmischen Grafen, frug neugierig, was für ein Galatag hier gefeiert werde, und erhielt zur Antwort, daß nichts Außerordentliches vorgehe, es sei nur eine freundschaftliche Kollation guter Bekannten, die hier zufälligerweise zusammenträfen. Es nahm sie wunder, von dem wohlhabenden gastfreien Obersten von Riesental weder in noch außerhalb Breslau nie ein Wort gehört zu haben, und so emsig sie auch die genealogischen Geschlechtstafeln durchlief, davon ihr Gedächtnis einen reichen Vorrat aufbewahrte, konnte sie doch diesen Namen darunter nicht ausfindig machen. Sie gedachte das von dem Wirte selbst zu erforschen, wovon sie Aufschluß und Belehrung begehrte; aber dieser wußte ihr so geschickt auszuweichen, daß sie nie mit ihm zum Zwecke kam. Geflissentlich riß er den genealogischen Faden ab und zog die Unterredung in die luftigen Regionen des Geisterreichs hinüber; und in einer Gesellschaft, die sich auf den Ton der Vademekumsgeschichtchen und Geisterseherei stimmt, wird's selten bald Feierabend, wenigstens gebricht's in diesen Fächern nie an Worthaltern und horchsamen Zuhörern.



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Ein wohigenährter Domherr wußte viel wundersame Geschichten vom Rübezahl zu erzählen, man stritt für und wider die Wahrheit derselben; die Gräfin, die recht in ihrem Elemente war, wenn sie den Lehrton anstimmen und gegen Vorurteile zu Felde ziehen konnte, setzte sich an die Spitze der philosophischen Partei und trieb einen gelähmten Finanzrat, an dem nichts Gelenkes war als die Zunge, und der sich zu Rübezahls rechtlichem Anwalt aufwarf, durch ihre Starkgeisterei sehr in die Enge. »Meine eigene Geschichte«, fügte sie zum Beschlusse noch hinzu, »ist ein augenscheinlicher Beweis, daß alles, was man von dem berufenen Berggeiste sagt, leere Träume sind. Wenn er hier im Gebirge sein Wesen hätte und die edlen Eigenschaften besäß, die ihm Fabler und müßige Köpfe zueignen: so würde er einem Schurken nicht gestattet haben, solchen Unfug auf seine Rechnung mit uns zu treiben. Aber das armselige Unding von Geiste konnte seine Ehre nicht retten, und ohne den edelmütigen Beistand des Herrn von Riesental hätte der freche Bube sein Spiel mit uns so weit treiben können, wie er Lust hatte.«

Der Herr vom Hause hatte an diesen philosophischen Debatten bisher wenig Anteil genommen, jetzt mischte er sich mit ins Gespräch und nahm das Wort: »Sie haben die Geisterwelt völlig entvölkert, gnädige Frau, die ganze Schöpfung der Einbildungskraft ist durch Ihre Belehrung wie ein leichter Nebel vor unsern Augen dahingeschwunden. Sie haben auch das Nichtsein des alten Bewohners dieser Gegenden mit guten Gründen allgenugsam bewährt, und sein rechtlicher Beistand, unser Finanzrat, ist verstummt. Dennoch dünkt mich, ließen sich gegen ihren letzten Beweis noch einige Einwürfe machen. Wie, wenn der fabelhafte Gebirgsgeist bei Ihrer Befreiung aus der Hand des verlarvten Räubers dennoch mit im Spiel gewesen wär? Wie, wenn dem Freund Nachbar beliebt hätte, meine Gestalt anzunehmen, um Sie unter dieser unverdächtigen Maske in Sicherheit zu bringen? und wenn ich Ihnen sagte, daß ich von dieser Gesellschaft, als Wirt vom Hause, mich nicht einen Fußbreit entfernt habe? Daß sie durch einen Unbekannten in meine Wohnung sind eingeführt worden, der nicht mehr vorhanden ist? Sonach wär's doch möglich, daß der Nachbar Berggeist seine Ehre gerettet hätte, und daraus würde folgen, daß er nicht ganz das Unding wär, dafür Sie ihn halten.«

Diese Rede brachte die Gräfin einigermaßen aus der Fassung, und die schönen Fräuleins legten vor Erstaunen die Gabel aus der Hand, sahen



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dem Tischwirt starr ins Angesicht, um ihm aus den Augen zu lesen, ob das im Scherz gesagt oder geernstet sei. Die nähere Erörterung dieses Problems unterbrach die Ankunft des wieder aufgefundenen Bedienten und des Postkutschers. Der letztere fühlte eben die Wonne bei Erblickung seiner vier Rappen im Staue, die der erstere empfand, als er frohlockend ins Tafelgemach eintrat und daselbst seine Herrschaft vergnügt und wohlbehalten antraf. Triumphierend trug er das corpus delicti, das ungeheure Riesenhaupt des Schwarzmantels, einher, durch welches er wie von einer Bombe zu Boden geschmettert worden war. Das Haupt wurde dem Arzte übergeben, um es als Landphysikus legal zu zerlegen und sein visum repertum darüber auszustellen. Doch ohne sein anatomisches Messer anzusetzen, erkannte er es alsbald für einen ausgehöhlten Kürbis, der mit Sand und Steinen angefüllt und durch den Zusatz einer hölzernen Nase und eines langen Flachbartes zu einem grotesken Menschenantlitz auf gestutzt war.

Nach aufgehobener Tafel schied die Gesellschaft auseinander, da der Morgen bereits herandämmerte. Die Damen fanden ein köstlich zubereitetes Nachtlager in seidenen Prunkbetten, wo sie der Schlaf so geschwind überraschte, daß die Phantasie nicht Zeit hatte, ihnen die Schreckbilder der Gespenstergeschichte wieder vorzugaukeln und durch ihr gewöhnliches Schattenspiel ängstliche Träume anzuspinnen. Es war hoch am Tage, da Mama erwachte, der Zofe klingelte und die Fräuleins weckte, die gern noch einen Versuch gemacht hätten, in den weichen Daunen auch auf dem andern Ohr zu schlafen. Allein die Gräfin verlangte so sehr, die Heilkräfte des Bades aufs baldeste zu versuchen, daß sie durch keine Einladung des gastfreien Hauswirtes zu bewegen war, einen Tag zu verweilen, so gern auch die Fräuleins dem Balle beigewohnt hätten, den er ihnen zu geben verhieß. Sobald das Frühstück eingenommen war, schickten sich die Damen zur Abreise an. Gerührt durch die freundschaftliche Aufnahme, die sie in dem Schlosse des Herrn von Riesental genossen hatten, der auf die höflichste Art bis an die Grenzen seines Gebietes ihnen das Geleite gab, beurlaubten sie sich mit der Verheißung, auf der Rückreise wieder vorzusprechen.

Kaum war der Gnome in seiner Burg angelangt, so wurde der Krauskopf ins Verhör geführt, der unter Furcht und Erwartung der Dinge, die da kommen würden, die Nacht in einem unterirdischen Kerker zugebracht hatte. »Elender Erdenwurm«, redete ihn der Geist an, »was



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hält mich ab, daß ich dich nicht zertrete für die in meinem Eigentum mir zu Spott und Hohn verübte Gaukelei? Büßen sollst du mir mit Haut und Haar für diese Frechheit.« »Großguter Regent des Riesengebirges«, fiel der Schlaukopf ihm ein, »so allprätendierend Eure Gerechtsame über diesen Grund und Boden sein mögen, die ich Euch auch nicht streitig mache, so sagt mir erst, wo Eure Gesetze angeschlagen sind, die ich übertreten habe, und dann verurteilt mich.« Diese Virtuosensprache und die dreiste Ausflucht, die der Gefangene seinem strengen Richter im Wege Rechtens entgegenstellte, ließen ein sonderbares Original und keinen gewöhnlichen Menschen vermuten, darum mäßigte der Geist seinen Unwillen einigermaßen und sprach: »Meine Gesetze hat dir die Natur ins Herz geschrieben; aber damit du nicht sagen kannst, daß ich dich unverhörter Sache verurteilt habe, so rede und bekenne mir frei: Wer bist du? und was trieb dich, hier im Gebirge als Gespenst zu tosen? damit ich dich richte, wie ich dich finde.« Das war dem Verhafteten lieb zu hören, daß er zum Worte kommen sollte, hoffte durch die getreue Erzählung seiner Schicksale sich von der verwirkten Rache des Geistes loszuschwatzen oder die Strafe doch wenigstens zu mindern.

»Weiland«, fing er an, »hieß ich der arme Kunz, und lebte in der Sechsstadt Lauban als ein ehrlicher Beutler meiner Profession kümmerlich von meiner Hände Arbeit; denn es gibt kein Gewerbe, das kärglicher nährt als die Ehrlichkeit. Obgleich meine Beutel guten Vertrieb fanden, weil die Rede ging, das Geld ruhe darinnen wohl, indem ich als der siebente Sohn meines Vaters eine glückliche Hand hätte, so widerlegte sich doch dieser Glaube durch mich selbst; mein eigner Beutel blieb immer leer und ledig wie ein gewissenhafter Magen am Fasttage. Daß aber bei meinen Kunden sich das Geld in den von mir erhandelten Beuteln so wohl konservierte, lag meinem Bedünken nach weder an der glücklichen Hand des Meisters noch an der Güte der Arbeit, sondern an der Materie meiner Beutel: sie waren von Leder. Ihr sollt wissen, Herr, daß ein lederner Beutel das Geld allzeit fester hält als ein netzförmiger durchlöcherter von Seide. Wem an einem ledernen Beutel genügt, der ist nicht leicht ein Verschwender, sondern ein Mann, der, wie das Sprichwort sagt, den Knopf auf den Beutel hält; die durchsichtigen aber von Seide und Goldzwirn befinden sich in den Händen vornehmer Prasser, und da ist's kein Wunder, wenn sie an allen Orten ausrinnen



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wie ein durchlöchert Faß, und so viel man auch hineinschüttet, dennoch immer leer und ledig bleiben.

Mein Vater prägte seinen sieben Buben fleißig die goldne Lehre ein: >Kinder, was ihr tut, das treibt mit Ernst<, darum trieb ich mein Gewerbe unverdrossen, ohne daß mein Nahrungsstand dadurch gefördert wurde. Es kam Teurung, Krieg und bös Geld ins Land; meine Mitmeister dachten: leicht Geld, leichte Ware, ich aber dachte: ehrlich währt am längsten, gab gute Ware für schlecht Geld, arbeitete mich an den Bettelstab, ward in den Schuldturm geworfen, aus der Innung gestoßen, und als mich meine Gläubiger nicht länger ernähren wollten, ehrlich des Landes verwiesen.

Auf dieser Wanderschaft ins Elend begegnete mir einer meiner alten Kunden, ritt auf einem stolzen Roß stattlich einher, rief mich an und höhnte mich: >Du Pfuscher, du Lump, bist, seh ich wohl, deiner Kunst nicht Meister, verstehst sie gar schlecht, weißt den Darm aufzublasen und ihn nicht zufüllen; machst den Topf und kannst nicht drin kochen; hast Leder und keinen Leisten dazu; machst so herrliche Beutel und hast kein Geld.< —>Hör, Gesell<, antwortete ich dem Spötter, >du bist ein elender Schütze, triffst mit deinen Pfeilen nicht ans Ziel. Es sind mehr Dinge in der Welt, die zusammengehören und die man nicht beieinander findet; hat mancher einen Stall und kein Pferd hineinzuziehen; oder eine Scheuer und keine Garben auszudreschen; einen Brotschrank und kein Brot; oder einen Keller und keinen Haustrunk, und so sagt auch das Sprichwort: Einer hat den Beutel, der andre das Geld.< —>Besser ist doch beides zusammen<, versetzte er; >bist du gesonnen, bei mir in die Lehre zu treten, so will ich einen vollkommenen Meister aus dir machen, und weil du das Beutelmachen so wohl verstehst, will ich dich auch lehren, den Beutel zu füllen; denn ich bin ein Geldmacher meines Handwerks. Da nun beide Professionen einander in die Hände arbeiten, ist's billig, daß die Kunstverwandten gemeine Sache machen.< —>Wohl<, sprach ich, >seid Ihr ein zünftiger Meister in irgendeiner Münzstadt, so mag's darum sein; aber münzt Ihr auf Eure eigne Rechnung, so ist's halsbrecherische Arbeit, die mit dem Galgen lohnt, dann scheid ich davon.< —>Wer nicht wagt, der nicht gewinnt<, sprach er, >und wer bei der Schüssel sitzt und nicht zulangt, der mag darben. Am Ende lauft's auf eins hinaus, ob du erstickst oder verhungerst, einmal muß es doch gestorben sein.< —>Nur mit Unterschied<, fiel ich ihm ein, >ob



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einer als ein ehrlicher Mann stirbt oder als ein Übeltäter.< —>Vorurteil<, rief er, >was kann das für eine Übeltat sein, wenn einer ein Stück Metall rundet? Der Jud Ephraim hat dessen von dem nämlichen Schrot und Korn als das unsre gnug gerundet; was dem einen recht ist, das ist dem andern billig.<

Kurz, der Mann hatte eine Gabe zu überreden, daß ich mir seinen Vorschlag gefallen ließ, ich fand mich bald ins Metier, war eingedenk der väterlichen Lehre, mein Geschäfte mit Ernst zu treiben, und erfuhr, daß die Geldmacherkunst besser und gemächlicher nähre als die Beutlerprofession. Aber im besten Fortgange unsrer Fabrik wachte der Handwerksneid auf; der Jud Ephraim erregte eine schwere Verfolgung gegen seinen Aftergenossen; der Verräter schlief nicht, wir wurden entdeckt, und der kleine Umstand, daß wir nicht zünftig waren wie Meister Ephraim, brachte uns auf den Festungsbau, laut Urteil und Recht auf Lebenszeit. Hier lebt ich einige Jahre nach der Regel der büßenden Brüder, bis ein guter Engel, der damals im Lande herumzog, alle Gefangenen los und ledig zu machen, die knochenfest und rüstig waren, mir die Tür des Gefängnisses auftat. Es war ein Werbeoffizier, der mir, anstatt für den König zu karren, den edlem Beruf gab, für ihn zu fechten, und mich unter die Freipartie enrollierte. Mit diesem Tausch war ich wohl zufrieden, ich nahm mir nun vor, ganz Soldat zu sein, zeichnete mich bei jeder Gelegenheit aus, war immer der erste beim Angriff, und wenn wir retirierten, war ich so gewandt, daß mich der Feind nie einholen konnte. Das Glück wollte mir wohl, schon führte ich eine Rotte Reuter an und hoffte bald höher zu steigen. Da wurd ich einstmals auf Furagierung ausgeschickt und befolgte meine Ordre so streng und pünktlich, daß ich nicht nur Speicher und Scheuern, sondern auch Kisten und Kasten, in Häusern und Kirchen, rein ausfuragierte. Zum Unglück war es in Freundes Land, das gab großen Lärm; gehässige Leute nennten die Expedition eine Plünderung, man machte mir als Marodeur den Prozeß, ich wurde degradiert und durch eine Gasse von fünfhundert Mann eilends aus dem ehrsamen Stande herausgestäupt, in welchem ich gedachte Fortune zu machen.

Jetzt wußte ich keinen andern Rat, als wieder zu meiner ersten Profession zu greifen, aber es fehlte mir an Barschaft, Leder einzukaufen, und an Lust, zu arbeiten. Weil ich nun wegen des allzu wohlfeilen Verkaufs ein unstreitiges Recht auf meine ehemalige Ware zu haben vermeinte,



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so faßte ich den Anschlag, mich derselben mit guter Art wieder zu bemächtigen, und ob sie schon durch langen Gebrauch abgenutzt wär, mich dennoch meines Schadens in etwas dadurch zu erholen. Darum fing ich an die Taschen zu sondieren und hielt jeden Beutel, den ich witterte, für einen von meiner Arbeit, machte Jagd darauf, und alle, deren ich mich bemächtigen konnte, kondemniert ich alsbald als gute Prisen. Bei dieser Gelegenheit hatte ich die Freude, einen guten Teil meiner eigenen Münze wieder einzukassieren; denn ob sie gleich verrufen war, so kursierte sie nach wie vor in Handel und Wandel. Dies Gewerbe ging eine Zeitlang wohl vonstatten, ich besuchte unter mancherlei Gestalten, bald als Kavalier, bald als Handelsmann oder Jude, Messen und Märkte, hatte mich so gut in mein Fach einstudiert, meine Hand war so geübt und behend, daß sie nie einen Fehlgriff tat und mich reichlich nährte. Diese Lebensart behagte mir trefflich, daß ich beschloß, dabei zu verharren; doch der Eigensinn meines Geschickes gestattete mir nie, das zu sein, was ich wollte. Ich bezog den Jahrmarkt zu Liegnitz und hatte da den Beutel eines reichen Pächters aufs Korn genommen, der von Gelde strotzte wie der Bauch seines Besitzers von Schmer. Durch die Unbehilflichkeit des schweren Säckels mißriet der Kunstgriff meiner Hand, ich wurde auf der Tat ergriffen und unter der gehässigen Anklage als ein Beutelschneider vor Gericht gestellt, ob ich schon diesen Namen nicht in einer unehrlichen Bedeutung verdiente. Ich hatte zwar ehedem Beutel genug zugeschnitten; aber nie hatte ich einem Menschen den Geldbeutel abgeschniten, wie man mich doch beschuldigte, sondern alle, die ich erbeutet hatte, waren mir gleichsam freiwillig in die Hand gelaufen, als wenn sie zu ihrem ersten Eigentümer zurückkehren wollten. Diese Ausreden halfen zu nichts, ich wurde in den Stock gelegt, und mein Unstern wollte, daß ich abermals nach Urteil und Recht aus meinem Nahrungsstande herausgestäupt werden sollte. Diesem lästigen Zeremoniell kam ich zuvor, ersah meine Gelegenheit und strich mich in der Stille aus dem Gefängnis.

Ich war unentschlossen, was ich nun anheben und treiben sollte, um nicht zu hungern; auch der Versuch, ein Bettler zu werden, mißriet. Die Polizei in Großglogau nahm mich in Anspruch, wollte mich wider Willen und Dank verpflegen und mit Gewalt in einen Beruf hineinzwängen, der mir widerstund. Mit Müh und Not entkam ich dieser strengen Gerichtsbarkeit, die sich herausnimmt, die ganze Welt zu bevormunden;



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denn mein Grundsatz ist von jeher gewesen: mit der Polizei unbeworren. Ich mied darum die Städte und trieb mich als ein peregrinierender Weltbürger auf dem Lande herum. Hier traf sich's, daß die Gräfin gerade durch den Flecken reiste, wo ich meinen Aufenthalt hatte, es war etwas an ihrem Wagen zerbrochen, das wieder ausgebessert werden mußte, und unter mehrern müßigen Leuten, welche die Neugierde trieb, nach der fremden Herrschaft zu gaffen, trat ich auch mit unter den Haufen und machte Bekanntschaft mit dem schäfernen Bedienten, der mir in der Einfalt seines Herzens anvertraute, daß ihm vor Euch, Herr Rübezahl, gewaltig bange sei, weil wegen des Verzugs die Reise nun in der Nacht durch das Gebirge gehen würde. Das brachte mich auf den Einfall, die Zaghaftigkeit der Reisegesellschaft zu nutzen und in der Geisterwelt meine Talente zu versuchen. Ich schlich mich seitab in die Wohnung meines Patrons und Pflegers, des Dorf küsters, der eben abwesend war, bemächtigte mich seiner Amtskleidung, eines schwarzen Mantels, zugleich fiel mir ein Kürbis ins Gesicht, der zum Aufputz des Kleiderschrankes diente. Mit dieser Zurüstung und einem handfesten Bläuel versehen, begab ich mich in den Wald und staffierte da meine Maske aus. Welchen Gebrauch ich davon gemacht habe, ist Euch gnugsam bekannt, und daß ich ohne Eure Dazwischenkunft meinen Meisterstreich glücklich ausgeführt hätte, ist außer Zweifel, mein Spiel war bereits gewonnen. Nachdem ich mich der beiden feigen Kerle entlediget hatte, war meine Absicht, den Wagen tief in den Wald hineinzuführen und, ohne den Damen auch nur das geringste zuleide zu tun, nur einen kleinen Trödelmarkt zu eröffnen und den schwarzen Mantel, der in Absicht seiner mir geleisteten Dienste von keinem geringen Wert war, gegen ihre Barschaft und Geschmeide zu vertauschen, ihnen eine glückliche Reise zu wünschen und mich hernach bestens zu empfehlen.

Aufrichtig gesprochen, Herr, von Euch fürchtete ich am wenigsten, daß Ihr mir den Markt verderben würdet. Die Welt ist so ungläubig, daß man nicht einmal die Kinder mit Euch mehr zu fürchten machen kann, und wenn nicht etwan noch hier und da ein Tropf wie der Bediente der Gräfin oder ein Weib hinter dem Rocken Eurer zuweilen erwähnte, so hätte Euch die Welt längst vergessen. Ich dachte, wer Rübezahl sein wolle, der dürft es; bin nun freilich eines andern belehrt und befinde mich in Eurer Gewalt, hab mich auf Gnad und Ungnad ergeben und



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hoffe, daß meine offenherzige Erzählung Euren Unwillen mildern werde. Euch wär's ein kleines, einen ehrlichen Kerl aus mir zu machen. Wenn Ihr mich, mit einem guten Zehrpfennig aus Eurer Braupfanne begabt, entließet; oder mir, so wie jenem hungrigen Passagier, ein Schock Heckenschlehen von Eurem Zaune pflücktet, der sich auf Eurem Obst zwar einen Zahn ausbiß, aber die Schlehen hernach in eitel goldne Knöpfe verwandelt fand; oder wenn Ihr von den acht goldnen Kegeln, die Euch noch übrig sind, mir einen verehrtet, davon ihr den neunten weiland einem Prager Studenten schenktet, der mit Euch boseite; oder den Milchkrug, dessen geronnene Milch sich in Goldkäse verwandelte; oder wenn ich straffällig bin, mich sowie jenen wandernden Schuster schulmeisterhaft mit der goldenen Rute strichet und mir solche hernach zum Andenken verehrtet, wie die Handwerker auf ihren Gelagen und Herbergen von Euch zu erzählen wissen: so wär mein Glück mit einemmal gemacht. Wahrlich, Herr! Wenn Ihr die Bedürfnisse der Menschen fühltet, so würdet Ihr ermessen, daß es schwer hält, ein Biedermann zu sein, wenn man an allem Mangel leidet; denn wenn man zum Exempel Hunger fühlt und keinen Scherf im Beutel hat, so ist es eine Heldentugend, eine Semmel nicht zu stehlen von dem Brotvorrat, den ein reicher Bäcker-Krösus auf seinem Laden zur Schau ausgestellt hat. Das Sprichwort sagt: Not hat kein Gebot.«

»Geh, Schurke«, sprach der Gnome, nachdem der Krauskopf ausgeredet hatte, »so weit dich deine Füße tragen und ersteige den Gipfel deines Glückes am Galgen!« Hierauf verabschiedete er den Arrestanten mit einem kräftigen Fußtritt, und dieser war froh, daß er mit so gelinder Strafe abkam, und pries seine Suada, die, seiner Meinung nach, ihn diesmal aus seiner sehr kritischen Lage gezogen hatte. Er sputete sich fleißigst, dem gestrengen Gebirgsherrn aus den Augen zu kommen, und ließ aus Eilfertigkeit den schwarzen Mantel zurück. So sehr er aber eilte, so schien es doch nicht, als wenn er von der Stelle käm, er sah immer die nämlichen Gegenden und Berge vor sich, ob er gleich die Burg, in welcher er ein Gefangener gewesen war, aus dem Gesichte verloren hatte. Abgemattet von diesem endlosen Kreislauf, streckte er sich unter einen Baum im Schatten, ein wenig auszuruhen und auf irgendeinen Wanderer zu lauern, der ihm zum Wegweiser dienen könnte. Darüber fiel er in einen festen Schlaf, und als er erwachte, war um ihn her dicke Finsternis, er wußte gar wohl, daß er unter einem Baume eingeschlafen



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war, gleichwohl hörte er kein Säuseln des Windes in den Ästen, sah auch keinen Stern durch das Laub schimmern, noch die geringste Nachthellung. Im ersten Schrecken wollte er aufspringen, da hielt ihn eine unbekannte Kraft zurück, und die Bewegung, die er machte, gab ein lautes widerhallendes Geräusch als das Geklirr von Ketten; nun wurd er gewahr, daß er in Fesseln lag, und vermeinte, viel hundert Lachter unter der Erde wieder in Rübezahls Gewahrsam zu sein, worüber ihm große Furcht und Entsetzen ankam.

Nach einigen Stunden begann es um ihn her zu tagen, doch fiel das Licht nur kärglich durch das eiserne Gitter eines kleinen Fensters zwischen den Mauern herein. Ohne zu wissen, wo er sich eigentlich befand, kam ihm der Kerker doch nicht ganz fremd vor; er hoffte auf den Gefangenenwärter, wiewohl vergebens. Es verlief eine lange Stunde nach der andern, Hunger und Durst peinigten den Verhafteten, er fing an Lärm zu machen, rasselte mit den Ketten, pochte an die Wand, rief ängstlich um Hilfe und vernahm Menschenstimmen in der Nähe; aber niemand wollte die Tür des Gefängnisses auftun. Endlich waffnete sich der Kerkermeister mit einem Gespenstersegen, öffnete die Tür, schlug ein großes Kreuz vor sich und fing an den Teufel zu exorzisieren, der seiner Einbildung nach in dem ledigen Kerker tobte. Doch da er die Spukerei näher betrachtete, erkannte er seinen entwichenen Gefangenen, den Beutelschneider, und Kunz den Kerkermeister in Liegnitz. Jetzt wurde er inne, daß ihn Rübezahl wieder ad locum unde zurückspediert hatte. »Sieh da, Krauskopf!« redete ihn der Gerichtsfron an, »bist du wieder in deinen Käfig gehüpft? Woher des Landes?« — »Immer da zum Tor hinein«, antwortete Kunz, »bin des Herumlaufens müde, hab mich, wie Ihr seht, in Ruhe gesetzt und mein altes Quartier wieder aufgesucht, so Ihr mich beherbergen wollt.«Obgleich niemand begreifen konnte, wie der Gefangene wieder in den Turm gekommen sei und wer ihm die Fesseln angelegt habe, so behauptete Kunz, der sein Abenteuer nicht wollte kund werden lassen, dennoch dreiste, er habe sich freiwillig wieder eingefunden, ihm sei die Gabe verliehen, nach Gefallen durch verschloßne Türen aus und ein zu gehen, die Fesseln anzulegen und sich derselben, wenn er wolle, wieder zu entledigen; denn ihm sei kein Schloß zu feste. Durch diesen scheinbaren Gehorsam bewogen, verschonten ihn die Richter mit der verwirkten Strafe und legten ihm nur auf, so lange für den König zu karren, bis er sich nach



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Gefallen der Fesseln entledigen würde. Man hat aber nicht vernommen, daß er von dieser Verwilligung jemals Gebrauch gemacht hätte.

Die Gräfin Cecilie war indessen mit ihrer Begleitung glücklich und wohlbehalten im Karlsbad angelangt. Das erste, was sie tat, war, den Badearzt zu sich zu berufen und ihn wie gewöhnlich über ihren Gesundheitszustand und die Einrichtung der Kur zu konsultieren. Trat herein der weiland hochberühmte Arzt, Doktor Springsfeld aus Merseburg, der die güldene Quelle des Karlsbades nicht mit dem paradiesischen Fluß Pison würde vertauscht haben. »Sein Sie uns willkommen, lieber Doktor«, riefen Mama und die holden Fräuleins ihm traulich und freudig entgegen. »Sie sind uns zuvorgekommen«, fügte erstere hinzu, »wir vermuteten Sie noch bei dem Herrn von Riesental; aber, loser Mann, warum haben Sie uns dort verschwiegen, daß Sie der Badearzt sind?« —»Ach, Herr Doktor«, fiel Fräulein Hedwig ein, »Sie haben mir die Ader durchgeschlagen, der Fuß schmerzt mich, ich werde hier nun hinken und nicht walzen können.«Der Arzt stutzte, sann lange hin und her und erinnerte sich nicht, die Damen irgendwo gesehen zu haben. »Ihr Gnaden verwechseln ohne Zweifel mich mit einem andern«, sprach er, »ich habe vordem nicht die Ehre gehabt, Ihnen persönlich bekannt zu sein; der Herr von Riesental gehört auch nicht zu meiner Bekanntschaft, und während der Kurzeit pfleg ich mich nie von hier zu entfernen.« Die Gräfin konnte keinen andern Grund von diesem strengen Inkognito, das der Arzt so ernsthaft behauptete, sich angeben, als daß er ganz gegen die Denkungsart seiner Kollegen für seine geleisteten Dienste nicht wollte belohnt sein. Sie erwiderte lächelnd: »Ich verstehe Sie, lieber Doktor; Ihre Delikatesse geht aber zu weit, sie soll mich nicht abhalten, mich für Ihre Schuldnerin zu bekennen und für Ihren guten Beistand dankbar zu sein.« Sie nötigte ihm darauf eine goldne Dose mit Gewalt auf, die der Arzt jedoch nur als Vorausbezahlung annahm und, um die Dame als eine gute Kundin nicht unwillig zu machen, ihr nicht weiter widersprach.

Er erklärte sich übrigens das Rätsel ganz leicht durch die medizinische Hypothese, daß die ganze gräfliche Familie von einer Art Kribbelkrankheit befallen sei, wobei seltsame und unbegreifliche Wirkungen der Imagination nichts Ungewöhnliches sind, und verordnete viel gelinde Abführungen.

Doktor Springsfeld war keiner der unbehilflichen Ärzte, die außer der



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Gabe, ihre Pillen und Latwergen anzupreisen, keine andere besitzen, sich ihren Patienten lieb und angenehm zu machen; er wußte seine Kunden mit artigen Geschichtchen, Stadtneuigkeiten und kleinen Anekdoten wohl zu unterhalten und ihre Lebensgeister dadurch aufzumuntern. Da er vom Besuch der Gräfin seine medizinische Ronde ging, gab er die sonderbare Entrevüe mit der neuen Kundschaft in jedem Besuchzimmer zum besten, ließ bei der oftmaligen Wiederholung die Sache unvermerkt wachsen und kündigte die Dame bald als eine Kranke, bald als Schweberin oder Seherin an. Man war begierig, eine so außerordentliche Bekanntschaft zu machen, und die Gräfin Cecilie wurde im Karlsbad das Märchen des Tages. Alles drängte sich in der Gesellschaft zu ihr, da sie mit ihren schönen Töchtern zum erstenmal erschien.

Es war ihr und den Fräuleins ein höchst überraschender Anblick, die ganze Gesellschaft hier anzutreffen, in welche sie vor einigen Tagen in dem Schlosse des Herrn von Riesental waren eingeführt worden. Der bebänderte Graf, der wohlbebauchte Domherr, der gelähmte Finanzrat fielen ihnen gleich zuerst in die Augen. Sie waren des steifen Zeremoniells überhoben, gegen Unbekannte sich zu beknicksen; es war für sie kein fremdes Gesicht im Saale. Mit freimütiger Unbefangenheit wendete sich die gesprächige Dame bald zu dem, bald zu jenem von der Gesellschaft, nannte jeden bei seinem Namen und Charakter, sprach viel vom Herrn von Riesental, bezog sich auf die bei diesem gastfreien Manne mit ihnen allerseits gepflogenen Unterredungen und wußte sich nicht zu erklären, wohin das fremde und kalte Benehmen aller der Herren und Damen deuten sollte, die vor kurzem so viel Freundschaft und Vertraulichkeit gegen sie geäußert hatten. Natürlich geriet sie auf den Wahn, das sei eine abgeredete Sache und der Herr von Riesental würde der Schäkerei dadurch ein Ende machen, daß er unvermutet selbst zum Vorschein käme. Sie wollte ihm gleichwohl nicht den Triumph gönnen, über ihren Scharfsinn gesiegt zu haben, und gab dem bekrückten Finanzrat scherzweise den Auftrag, seine vier Füße in Bewegung zu setzen und den Obersten aus dem verborgenen Hinterhalt hervorzurufen und zu introduzieren.

Alle diese Reden bewiesen nach der Meinung der Badegesellschaft so sehr eine überspannte Phantasie, daß sie samt und sonders die Gräfin bemitleideten, die nach dem Urteil aller Anwesenden eine sehr vernünftige



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Frau schien und in ihren Reden und dem Gange der Gedanken nichts Ausschweifendes verriet, wenn ihre Phantasie nicht den Weg über das Riesengebirge nahm. Die Gräfin ihrerseits erriet aus den bedeutsamen Gesichtszügen, Winken und Blicken der um sie her versammelten Herrschaften, daß man sie schief beurteile und daß man wähne, ihre Krankheit habe sich aus den Gliedern ins Gehirn versetzt. Sie glaubte, die beste Widerlegung dieses kränkenden Vorurteils sei die aufrichtige Erzählung ihres Abenteuers auf der schlesischen Grenze. Man hörte sie mit der Aufmerksamkeit, mit der man ein Märchen anhört, das auf einige Augenblicke angenehm unterhält, davon man aber kein Wort glaubt. Sie hatte das Schicksal der Seherin Cassandra, welcher Apoll die Gabe der Wahrsagung verliehen, aber den Aussprüchen seiner spröden Priesterin, aus Verdruß über ihre wenige Gefälligkeit, die Glaubwürdigkeit entzogen hatte. »Wunderbar!« riefen alle Zuhörer aus einem Munde, und sahen bedeutsam den Doktor Springsfeld an, der verstohlen die Achsel zuckte und sich gelobte, die Patientin nicht eher seiner Pflege zu entlassen, bis das mineralische Wasser das abenteuerliche Riesengebirge aus ihrer Phantasie rein würde weggespült haben. Das Bad leistete indessen alles, was der Arzt und die Kranke davon erwartet hatten. Da die Gräfin sahe, daß ihre Geschichte bei den Karlsbadern wenig Glauben fand und sogar ihren gesunden Menschenverstand verdächtig machte, redete sie nicht mehr davon, und Doktor Springsfeld unterließ nicht, dieses Schweigen den Heilkräften des Bades zuzuschreiben, das doch auf eine ganz andere Art gewirkt und die Gräfin aller Gichter und Gliederschmerzen entledigt hatte. Nachdem die Badekur geendigt war, die schönen Fräuleins sich genug hatten begaffen und bewundern lassen, den lieblichen Weihrauch der Schmeichelei von den süßen Herren reichlich eingeatmet, und sich satt und müde gewalzet hatten, kehrten Mutter und Töchter nach Breslau zurück. Sie nahmen mit gutem Vorbedacht den Weg wieder durchs Riesengebirge, um dem gastfreien Obersten Wort zu halten, bei der Rückreise bei ihm vorzusprechen, denn von ihm hoffte die Gräfin Auflösung des ihr unbegreiflichen Rätsels, wie sie zur Bekanntschaft der Badegeselischaft gelangt sei, die sich so wildfremd gegen sie gebärdete, und wodurch das seltsame Alibi wäre veranlaßt worden, das sich nicht bunter träumen ließ. Aber niemand wußte den Weg nach dem Schlosse des Herrn von Riesental nachzuweisen, noch war der Besitzer zu erfragen,



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dessen Name sogar weder diesseit noch jenseit des Gebirges bekannt war. Dadurch wurde die verwunderte Dame endlich überzeugt, daß der Unbekannte, der sie in Schutz genommen und beherbergt hatte, kein anderer gewesen sei als Rübezahl, der Berggeist. Sie gestund, daß er das Gastrecht auf eine edelmütige Art an ihr ausgeübt hätte, verzieh ihm seine Neckerei mit der Badegeseilschaft und glaubte nun von ganzem Herzen an die Existenz der Geister, ob sie gleich um der Spötter willen Bedenken trug, ihren Glauben vor der Welt offenbar werden zu lassen.

Seit der Vision der Gräfin Cecilie hat Rübezahl nichts mehr von sich hören lassen. Er kehrte in seine unterirdischen Staaten zurück, und da bald nach dieser Begebenheit der große Erdbrand ausbrach, der Lissabon und nachher Quatimala zerstörte, seitdem immer weiter fortgewütet und sich neuerlich bis an die Grundveste des deutschen Vaterlandes verbreitet hat: so fanden die Erdgeister so viel Arbeit in der Tiefe, den Fortgang der Feuerströme zu hemmen, daß sich seitdem keiner mehr auf der Oberfläche der Erde hat blicken lassen. Denn daß die Weissagung des Buchs Chevila nicht in Erfüllung gegangen und der berüchtigte Seher in Zellerfeld ein Lügenprophet worden ist; daß die Länder am Rhein und Neckarstrom auf ihrer alten Erdscholle noch so grund- und bodenfeste stehn wie der Brocken und das Riesengebirge, und daß die Herren von Hirschberg noch keine Flotte in See stechen lassen und an dem amerikanischen Seekrieg Anteil genommen haben: das ist das Werk der wachsamen Gnomen und ihrer unermüdlichen Arbeit.


Copyright: arpa, 2015.

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