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Märchen aus Finnland und dem Baltikum


Illustrationen von Ingeborg Ullrich

Märchen europäischer Völker


Der Dumme und das Feuerzeug

Ein Vater hatte drei Söhne, von denen waren zwei klug, der dritte dumm. Der Vater hatte ein großes Kartoffelfeld, das er selbst mit seinen Söhnen bestellt hatte, ich denke mir, um etwas recht Weiches und Süßes zwischen seine alten Zähne zu bekommen. Eines Morgens ging der Alte aus, um seine Kartoffeln zu betrachten; aber er erschrak. Da hatten offenbar die Buben des Nachbarn in der Nacht stibitzt, denn die Kartoffeln waren abgeschnitten, so daß nur noch das Kraut und die Schalen übrig waren, mit dem Weichen hatten die Taugenichtse, die Langfinger, offenbar ihre Kehlen geschmiert. Ganz erbost kam der Alte nach Hause und sagte zu dem einen klugen Sohne: »Hör mal, das geht nicht an! Wir haben Kartoffeln gesteckt und sollen jetzt davon nicht einmal zu riechen bekommen; die Spitzbuben, unsere Nachbarsleute, stehlen sie uns. Deshalb mußt du, Sohn, in der nächsten Nacht Wache halten.«

Der Kluge sagte: »Gib acht, Väterchen, ich will schon sehen, daß ich die Galgenstricke in Zucht nehme.«

Am Abend ging er hin und wartete, im Graben versteckt, was sich ereignen würde.

Schön. Um die Stunde des Hahnenkrähens kam ein Alter mit einem langen grauen Bart. Der Kluge sprang sofort aus dem Graben heraus und dem Alten entgegen. Der Alte bat: »Söhnchen, schenke mir auch ein Kartöffelchen!« Der Kluge antwortete: »Wart einmal, alter Lausemichel, ich will dir ein Kartöffelchen geben!« und wollte den Alten an der Brust packen. Aber klitsch, klatsch! brannte der Alte dem Klugen



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ein paar um die Ohren und verklopfte ihn so gehörig, daß er krumm und lahm nach Hause kroch. Der Vater und die anderen Brüder waren darüber so erschrocken, daß sie nicht wußten, was nun anfangen. Da auf einmal -hast du nicht gesehen! —kommt der dumme Sohn und sagt zum Vater: »Väterchen, nächste Nacht will ich wachen!« Der Vater erwiderte zornig: »Was fällt denn dir ein? Siehst du nicht, wie dein Bruder zugerichtet ist. Dich, dumm wie du bist, wird man ja zu Mehl verpulvern. Dann laß schon lieber den anderen Bruder gehen.«

Der zweite Bruder ging, aber er bekam mit derselben Münze bezahlt, nur noch besser gezählt. Auf allen vieren soll er sich heimgeschleppt haben.

Jetzt war der Vater so erschrocken, daß er nicht mehr ein noch aus wußte; und obgleich er überzeugt war, daß der Dumme glatt totgeschlagen werde, ließ er ihn doch in der dritten Nacht wachen.

Der Dumme geht hin, setzt sich an den Grabenrand, zupft sich ein paar Kartoffeln aus und knabbert an ihnen. Da kommt derselbe Alte und bittet: »Söhnchen, gibst du mir auch ein Kartöffelchen?« Der antwortet: »Ja, Taufväterchen, die allergrößte.«

Nachdem sie die allergrößte ausgesucht hatten, sagte der Alte zum Dummen: »Weil du mir ein so gutes Söhnchen bist und ein so gutes Herz hast, will ich deine Gutherzigkeit nun auch belohnen: geh auf diesem Pfad, bis du an einen Kreuzweg kommst; dann wende dich rechts, so kommst du an ein kleines Häuschen. Dort wird ein altes Mütterchen sein; die Alte ist zwar etwas brummig, aber gehe trotzdem getrost hinein und bitte sie um Taufväterchens Feuerzeug. Sie wird es dir zeigen, dann nimm es und komm wieder her.«

Warum nicht? Der Dumme geht, findet wirklich das Häuschen und das Mütterchen mit einer Unterlippe, die bis auf die Brust hinunterhängt. Die Alte schreit ihn wütend an: »Was suchst du hier?« Er aber antwortet: »Taufväterchen schickt mich nach dem Feuerzeug, das er hier vergessen hat.« Sie zeigt auf den Ofen, wo es liege.

Jener steckt das Feuerzeug in die Tasche und kehrt zum Alten zurück. Der hatte inzwischen das Feld bewacht, so daß keine Kartoffel verzehrt war. Dann sagte der Alte zum Dummen: »Das Feuerzeug schenke ich dir. Alles was du irgend wünschst, wirst du bekommen, wenn du mit



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ihm Feuer schlägst.« Da ging der Dumme frisch und froh, daß er auf einem Fingerhut hätte tanzen mögen, heim. Der Vater aber freute sich sehr, daß sein Kartoffelfeld einmal unversehrt geblieben und den Dieben das Handwerk gelegt war. Der Dumme dachte: >Beim Vater bleibe ich nicht, lieber gehe ich in die Welt hinaus.<

Er zog fort zum Schloß eines Königs, der jenseits des Meeres wohnte. Dieser König hatte Krieg mit einem anderen König, und er hatte versprochen, seine Tochter dem zur Frau zu geben, der den anderen König überwinden würde. Aber noch hatte sich niemand gefunden, der das auf sich genommen hätte. Da dachte der Dumme: »Ei, du Tausendsassa, du hast ja dein Feuerzeug, und was du dir wünschst, das ist dein; melde dich bloß beim König, und wenn es dir glückt, so darfst du die Königstochter nach Herzenslust lieben!«

Gesagt, getan, er geht hin. Der König freute sich sehr, daß sich doch einer finden wollte, der seinem Gegner die Spitze zu bieten wage. Der Dumme nahm sich etwa zehn Mann und schritt der feindlichen Streitmacht entgegen. Die Feinde dachten: >Sieh an, die wollen wir aber gleich in die Binsen jagen!< Aber oho! Der Dumme fing an, Feuer zu schlagen, daß die Funken stoben, und wünschte sich, die Reihen der Feinde möchten in eitel Schwefel verbrennen. Das geschah auch sofort: die Streitscharen der Gegner verbrannten in eitel Schwefel, Pulver und Pech, daß es nur so stank.

Nachdem er den Feind überwunden hatte, ging er zum König, sich das Mädchen zu holen. Das Mädchen aber mochte ihn, solch einen Dummerjan, nicht sehen, denn sie hatte sich in den Sohn des feindlichen Königs verliebt. Der Dumme dachte: >Kommt es nicht aus, so kommt es nicht aus! Hat denn der König bloß eine Tochter? Ich habe da im Schlosse eine hübsche Kammerzofe gesehen, die hat mir freundliche Augen gemacht; wenn ich die bekomme, so mag sich der König seine Tochter um den Hals hängen.<

Unterdessen hatte sich aber der fremde Königssohn mit dem guten König ausgesprochen, und sie waren übereingekommen, Frieden zu schließen, und jener sollte die Prinzessin heiraten dürfen. Als der Dumme das erfuhr, dachte er: >Das Herrchen muß man ein wenig zwicken. Was ist denn das für einer? Eine Königstochter sollte so



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wohlfeil zu haben sein?«Und er erklärte dem fremden Königssohn den Krieg. Jener, der wohl wußte, was für eine Suppe ihm eingebrockt werden würde, besprach sich mit seiner Liebsten, auf welche Weise man dem Dummen sein Feuerzeug rauben könnte. Die Prinzessin sagte: »Wart, wart, mein Herzchen, ich weiß schon, wie ich das Feuerzeug kriege: ich stelle mich ihm zärtlich, verspreche, ihn zu nehmen, und fordere ihn auf, für die Nacht hier ins Königsschloß schlafen zu kommen; das Feuerzeug hat er in der Hosentasche, dann will ich sehen, wie ich es ihm wegstibitze.«

Der Dumme mußte also im Königsschloß schlafen. Eines Abends, als er vom Felde durchnäßt nach Hause kam, warf er seine Hosen ab, hängte sie im Schloß an einen Pflock und dachte gar nicht daran, daß das Feuerzeug in der Hosentasche war. Die Prinzessin wartete ab, bis er eingeschlafen war, nahm die Hosen mitsamt dem Feuerzeug und machte sich auf und davon zu ihrem Liebsten. Am anderen Morgen stand der Dumme auf und suchte seine Hosen, aber er fand und fand sie nicht, mochte er auch mit der Laterne nach ihnen suchen. Da wußte der Dumme genau, daß es ihm jetzt schiefgehen werde. Gern wäre er zu seinem Vater zurückgekehrt, denn er hatte ihm seinen einzigen Schatz übergeben, ein altes graues Pferd und ein kleines weißes Hündchen, und hatte ihm eingeschärft, wenn ihm irgend etwas fehlen sollte, sei es Geld, sei es sonst etwas, auf den Rücken des Grauen zu steigen und dorthin zu reiten, wohin das Hündchen laufen werde. Aber soweit zu denken, war jetzt keine Zeit, denn er mußte bald wieder ins Feuer.

Wohl zog der Dumme mit einer großen Streitmacht ins Feld, aber schon von weitem sah er, wie der fremde König sein Feuerzeug in der Luft schwenkte und Feuer schlug - und schon brannte der Dumme mit seiner Streitmacht, daß es ein Elend anzusehen war. Während er schon brannte, schaute der Dumme noch einmal zurück und sah zum Glück, daß sein weißes Hündchen gelaufen kam und sein Vater auf dem Grauen heransprengte; aber während er noch hinschaute, war er schon zu Fetzen verbrannt.

Als der Graue an die Stelle kam, fing er an mit den Füßen zu scharren und scharrte und kratzte so lange, bis er aus der Asche einen großen Goldhaufen zusammengescharrt hatte, aus dem später ein goldenes



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Pferd entstand. Der fremde Königssohn freute sich über das goldene Pferd, befahl, es in seinen Stall zu führen, und heiratete die Tochter des guten Königs. Dabei erzählte er seinen Hochzeitsgästen, was für ein schönes Pferd er im Stall habe. Die Gäste wollten es sehen, gingen in den Stall, streichelten das schmucke Tier und lobten seine Schönheit. Aber das Pferd fing an auszuschlagen und sagte: »Ich bin nur für mich selbst schön, nicht für einen anderen.« Alle Gäste und der König erschraken und nahmen Reißaus, wohin ihre Füße sie trugen, der eine ins Gebüsch, der andere hierhin, der dahin. Am Abend aber sagte der König zu seiner jungen Frau: »Wir müssen morgen das Pferd totschlagen lassen, was sollen wir sonst mit solch einem sprechenden Tiere anfangen?« Die Königin war es zufrieden. Aber als die Kammerzofe, dieselbe, die dem Dummkopf freundliche Augen gemacht hatte, das hörte, war sie sehr betrübt; und kaum war es dunkel geworden, da ging sie in den Stall und erzählte weinend dem goldenen Pferde von der Absicht des Königs. Das goldene Pferd aber sagte: »Gut, daß ich es weiß. Morgen, wenn sie kommen, mich zu töten, dann komm du auch, liebes Mädchen, und nimm die goldene Pflanze, die, wenn sie mir den Schädel spalten, aus meinem Gehirn herausspringen wird; die pflanze unter des Königs Fenster ein.« Das Mädchen versprach es und ging davon.

Am nächsten Morgen kamen die Henkersknechte und viele Leute, die das goldene Pferd sehen wollten. Dann spalteten die Henkersknechte dem Pferde den Kopf, und eine kleine goldene Pflanze sprang aus dem Gehirn, gerade in die Schürze der Kammerjungfer. Sie verbarg die Pflanze, wartete die Nacht ab und pflanzte sie in der Dunkelheit unter des Königs Fenster ein.

Als der König am nächsten Tag erwacht war, trat er ans Fenster und sah: unterm Schloßfenster stand ein schlanker, goldener Apfelbaum mit goldenen Äpfeln. Verwundert stieg er mit der Königin hinunter und fragte die Diener, wie der goldene Apfelbaum dort entstanden sei. Niemand wußte etwas. Nun gingen sie zum Apfelbaum und wollten einen goldenen Apfel pflücken; aber die Äpfel entglitten ihren Händen und sprachen: »Wir sind nur für uns selbst da und gehören keinem andern.«

Da geriet der König in Zorn und sprach mit der Königin, man müsse



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den Apfelbaum ganz abhacken und verbrennen. Aber die Kammerzofe ging wieder zum Apfelbaum und erzählte ihm, welches Unheil ihm drohe. Der Apfelbaum sagte: »Dann pflücke ein Äpfelchen ab und wirf es in der nächsten Nacht um die Zeit des Hahnenschreis in des Königs Schlafgemach.«

Sie pflückte einen Apfel, der Apfelbaum aber wurde abgehackt und zu Asche verbrannt.

In der nächsten Nacht tat sie, wie ihr befohlen war: sie warf den Apfel in die Stube, und der goldene Apfel verwandelte sich in eine goldene Ente. Neben dem Königsschloß war ein großer See, auf dem schwamm die Ente.

Der König freute sich sehr und wollte die Ente erhaschen, aber die schwamm ein Stückchen vom Ufer fort und sprach: »Wenn du so weit waten kannst, so will ich mich selbst in deine Hand geben.«Der König zog seine Hosen aus, legte sie aufs Ufer und watete ins Wasser. Nachdem er ein Stück gewatet war, erhob sich die Ente -schwirr! — in die Luft und ergriff -wuppdich -die Hosen, in denen sich das alte Feuerzeug befand. Die Ente flog mitsamt den Hosen zu der guten Kammerzofe ins Schloß und sagte: »Jetzt nimm, liebes Mädchen, das Feuerzeug aus der Hosentasche, schlag über meinem Kopfe Feuer und sprich: >Der Dumme soll leben<!«Gut . . . Kaum aber hatte das Mädchen das getan, als sich die Ente in den dummen Sohn verwandelte. Der nahm das Feuerzeug an sich und hieß der Kammerzofe mit ihm das Schloß verlassen. Als sie draußen waren, trat ihnen der König auf der Schwelle ohne Hosen entgegen. Nun schlug der Dumme Feuer, und das ganze Schloß samt König und Königin verbrannte in blauer Flamme. Der Dumme aber wurde nun selber Beherrscher des Königreichs über dem Meere und führte auch seinen Vater und seine Brüder dorthin. Und dann machte er Hochzeit mit der gutherzigen Kammerzofe.

Das war einmal eine Hochzeit! Ich war auch dabei. Ich trug ein zuckernes Kamisol, aus Zucker waren meine Hosen und meine Weste, aus Glas meine Stiefel, aus Bernstein meine Mütze. Ich ging hinaus, ein feiner Regen tropfte, da schmolzen meine Kleider, und ich war kahl. Da stieg ich die Treppe hinauf und zerschlug mir an einer Stufe meine gläsernen Stiefel; bei den Gästen konnte ich mich nun nicht mehr sehen



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lassen, ich ging also in die Küche. Im Ofen wurde gerade ein Braten gebraten. Da schlich ich hin, machte mich an den Braten und aß so lange, bis ich ihn völlig verspeist hatte, da war ich ebenso dick als lang.

Der Koch kam, nach dem Braten zu sehen, er fand ihn nicht. Da packte er mich in seinem Zorn, lud mich als Propfen in eine Kanone und schoß mich hierher. Und wenn ihr's nicht glauben wollt, dann schaut nur her, ich habe noch eben in jedem Hosenschaft ein Loch.


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