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Das bunte Heidi-Buch


Es geschieht, was keiner erwartet hat

In aller Frühe trat der Öhi am anderen Morgen aus der Hütte und blickte ringsum, wie der Tag werden wolle. Eine Weile stand der Alte und schaute andächtig zu, wie nach den hohen Berggipfeln die grünen Hügel golden zu schimmern begannen, wie dann aus dem Tal leise die dunklen Schatten wichen und nun Höhen und Tiefen im Morgengold erglänzten. Die Sonne war gekommen!

Der Öhi holte den Rollstuhl aus dem Schuppen heraus, stellte ihn, zur Reise gerüstet, vor die Hütte und ging dann hinein, um die Kinder zu holen.

Gerade kam Peter herangestiegen. Er war auf dem höchsten Punkt des Zorns und der Erbitterung angelangt. Seit Wochen hatte er nie mehr Heidi für sich gehabt, wie er's gewohnt war. Kam er am Morgen von unten herauf, so wurde schon immer das fremde Kind in seinem Stuhl herausgetragen, und Heidi gab sich nur mit ihm ab. Kam er am Abend von oben herunter, so stand der Rollstuhl unter den Tannen, und Heidi hatte kaum Zeit für ihn.

Noch nie war es den ganzen Sommer zur Weide heraufgekommen, heute nun wollte es endlich kommen, aber mitsamt dem Stuhl und der Fremden darin, und da würde es sich die ganze Zeit nur mit der abgeben. Das sah Peter voraus, und das hatte seinen inneren Grimm auf den Höhepunkt gebracht. Jetzt sah er den Stuhl, der da so stolz auf seinen Rollen stand, und schaute ihn wie einen Feind an, der ihm alles zuleide getan hatte und heute noch viel mehr tun wollte. Peter schaute sich um - alles war still, kein Mensch war zu sehen. Wie ein Wilder stürzte er jetzt auf den Stuhl, packte ihn und stieß ihn mit sol-



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cher Kraft dem Berghang zu, daß der Stuhl förmlich davonflog und sofort verschwunden war.

Jetzt stürzte Peter die Alm hinauf, als hätte er selber Flügel bekommen, und er hielt nicht ein einziges Mal an, bis er oben zu einem großen Brombeerstrauch kam, hinter dem er verschwand, denn er wollte nicht, daß der Öhi ihn erblickte.

Peter konnte, halb verborgen, die Alm hinabschauen und, kam der Öhi zum Vorschein, sich schnell verstecken. So machte er es, und was sahen seine Augen? Weit unten schon stürzte sein Feind dahin, von immer größerer Gewalt getrieben. Jetzt überschlug er sich wieder und wieder und rollte seinem Verderben zu. Schon flogen da und dort die Stücke von ihm weg. Füße, Lehnen, Polsterfetzen, alles wirbelte hoch in die Luft. Peter empfand eine unbändige Freude an dem Anblick.

Jetzt mußte die Fremde abreisen, denn sie hatte keine Möglichkeit mehr, sich zu bewegen. Heidi war wieder allein und



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kam mit ihm auf die Weide und war am Abend und Morgen für ihn da, wenn er kam, und alles war wieder in der alten Ordnung. Aber Peter ahnte nicht, wie es ist, wenn man eine böse Tat begangen hat, und was dann danach folgt.

Heidi kam aus der Hütte gesprungen und rannte dem Schuppen zu. Hinter ihm her kam der Großvater mit Klara auf dem Arm. Heidi guckte hin und her, lief um die Ecke, lief wieder zurück, mit der größten Verwunderung auf dem Gesicht. Nun kam der Großvater heran.

"Was ist das? Hast du den Stuhl weggerollt, Heidi?" fragte er.

"Ich suche ihn ja überall, Großvater", sagte das Kind, immer noch nach allen Seiten mit den Augen herumsuchend. Der Wind war inzwischen stärker geworden. Gerade klapperte er an der Schuppentür herum und warf sie auf einmal krachend gegen die Wand zurück.

"Großvater, der Wind hat's gemacht", rief Heidi, und seine Augen blitzten bei der Entdeckung auf. "Oh, wenn er den Stuhl bis ins Dörfli hinabgejagt hätte, dann bekämen wir ihn erst viel zu spät wieder, und wir könnten gar nicht gehen."

"Wenn er dort hinuntergerollt ist, so kommt er gar nicht mehr zurück, dann ist er in hundert Stücke zerbrochen", sagte der Großvater und schaute den Berg hinab. "Aber komisch ist's doch zugegangen", setzte er hinzu, indem er auf den Weg zurücksah, den der Stuhl erst um die Ecke der Hütte herum zu machen hatte.

"0 wie schade! Jetzt können wir gar nicht gehen und vielleicht nie mehr", jammerte Klara. "Nun muß ich sicher heimkehren, wenn ich keinen Stuhl mehr habe."

Aber Heidi schaute sehr vertrauensvoll zu seinem Großvater auf und sagte: "Gelt, Großvater, du kannst schon etwas erfinden, daß sie nicht auf einmal heim muß?"

"Jetzt gehen wir erst mal auf die Weide, wie wir es uns vorgenommen haben. Dann wollen wir sehen, was weiter kommt", sagte der Großvater. Die Kinder jubelten.



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Er ging nun wieder in die Hütte zurück, holte einige Tücher heraus, legte sie auf den sonnigen Platz an der Hütte und setzte Klara darauf. Dann holte er den Kindern ihre Morgenmilch und führte Schwänli und Bärli zum Stall hinaus.

"Warum der nur so lange nicht von unten heraufkommt", sagte der Öhi vor sich hin, denn Peters Morgen pfiff war ja noch gar nicht ertönt. Dann nahm der Großvater Klara auf den einen Arm, die Tücher auf den anderen. "So, nun vorwärts!" sagte er vorausgehend. "Die Geißen kommen mit uns."

Das war Heidi eben recht. Einen Arm um Schwänlis und einen um Bärlis Hals gelegt, wanderte Heidi hinter dem Großvater her. Oben auf dem Weideplatz angelangt, sahen sie mit einmal da und dort an den Abhängen die friedlich grasenden Geißen und mittendrin Peter.

"Ein andermal will ich dir das Vorbeigehen austreiben, Schlafmütze! Was soll das?"rief ihm der Öhi zu.

Peter war bei dem Ton der bekannten Stimme aufgesprungen. "War noch niemand auf", gab er zurück.

"Hast du etwas von dem Stuhl gesehen?"fragte der Öhi.

"Von welchem Stuhl?"rief Peter störrisch zurück. Der Öhi sagte nichts mehr. Er breitete seine Tücher auf dem sonnigen Abhang aus, setzte Klara darauf und wollte wissen, ob's bequem sei.

"So bequem wie im Stuhl", sagte sie dankend, "und auf dem schönsten Platz bin ich hier. Da ist's so schön, Heidi, so schön!"

Der Großvater schickte sich zur Rückkehr an. Er sagte, sie sollten sieh's nun wohl sein lassen miteinander, und wenn die Zeit da sei, sollte Heidi das Mittagsmahl herbeiholen, das er, in den Sack verpackt, drüben in den Schatten gelegt hatte. Dann sollte Peter ihnen Milch dazugeben, soviel sie trinken wollten, aber Heidi sollte gut aufpassen, daß er sie vom Schwänli nehme. Gegen Abend wollte der Großvater wiederkommen.

So waren schon einige Stunden vergangen. Plötzlich kam es Heidi in den Sinn, ob es nicht doch einmal an den Platz hinübergehen könnte, wo die vielen Blumen waren. Erst am



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Abend, wenn der Großvater wiederkam, konnte man auch mit Klara hinübergehen, und dann machten die Blumen vielleicht schon wieder die Augen zu.

Ein wenig zaghaft fragte es: "Bist du auch nicht böse, Klara, wenn ich geschwind von dir fortlaufe und du allein sein mußt? Ich möchte so gern sehen, wie die Blumen sind; aber warte -"

Heidi war ein Gedanke gekommen. Es sprang zur Seite und riß ein paar schöne Büschel von den grünen Kräutern aus. Jetzt nahm es das Schneehöppli um den Hals, das ihm gleich zugelaufen war, und führte es Klara zu.

"So, jetzt brauchst du doch nicht allein zu sein", sagte Heidi, indem es das Schneehöppli auf seinen Platz neben Klara ein wenig hindrückte. Dann warf Heidi seine Blätter Klara in den Schoß.

Heidi rannte fort, und Klara fing nun an, Blatt für Blatt dem Schneehöppli hinzuhalten, und das wurde so zutraulich, daß es sich dicht an seine neue Freundin schmiegte und ihr die Blätter langsam aus den Fingern fraß. Klara kam es köstlich vor, so ganz allein auf einem Berg zu sitzen, nur mit einem zutraulichen Geißlein, das recht hilfsbedürftig zu ihr aufsah. Ein großer Wunsch stieg in ihr auf, auch einmal einem anderen helfen zu können und sich nicht nur immer helfen zu lassen.

Heidi war inzwischen bei den Blumen angekommen. Es stieß einen Freudenschrei aus. Von leuchtendem Gold bedeckt lag die ganze Halde da. Heidi stand und schaute und zog den süßen Duft in langen Zügen ein. Auf einmal kehrte es um und kam außer Atem zu Klara zurück.

"Oh, du mußt auch kommen!" rief es ihr schon von weitem zu. "Sie sind so schön, und alles ist so schön, und am Abend ist es vielleicht schon nicht mehr so. Ich kann dich vielleicht tragen, meinst du nicht?"

Klara schüttelte den Kopf. "Nein, nein, was denkst du, Heidi, du bist ja viel kleiner als ich. Oh, wenn ich nur gehen könnte!"

Heidi schaute sich suchend um, es schien etwas Neues im Sinn zu haben. Dort oben, wo Peter vorher auf dem Boden gelegen



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hatte, saß er jetzt und starrte auf die Kinder herunter. So hatte er schon seit Stunden gesessen und immerzu herab gestarrt.

"Komm hier herunter, Peter!" rief Heidi sehr bestimmt.

"Komme nicht!" rief er zurück.

"Doch, du mußt. Komm, ich kann es nicht allein machen, du mußt mir helfen. Komm schnell!"drängte Heidi.

"Komme nicht!" ertönte es wieder.

Jetzt sprang Heidi die kleine Strecke den Berg hinan. Da stand es mit flammenden Augen und rief hinauf: "Peter, wenn du nicht auf der Stelle kommst, so will ich etwas machen, was du gewiß nicht gern hast. Das kannst du glauben!"

Diese Worte gaben Peter einen Stich, und eine große Angst überkam ihn. Er hatte etwas Böses getan, das kein Mensch wissen sollte. Bis jetzt hatte es ihn gefreut. Nun aber redete Heidi, als ob es alles wüßte, und wenn es etwas wußte, dann sagte es alles seinem Großvater. Vor dem fürchtete Peter sich ja wie vor keinem andern. Er stand auf und kam Heidi entgegen.

"Ich komme, aber dann mußt du das nicht machen", sagte er.

"Nein, nein, das tu' ich nun schon nicht", versicherte es. "Komm jetzt nur mit mir, es ist nichts zum Fürchten, was du tun mußt."

Bei Klara angelangt, faßten Heidi und Peter Klara fest unter den Arm und hoben sie auf. Das ging nun ziemlich gut, aber Klara konnte ja nicht stehen, wie sollte man sie nun festhalten und vorwärts bringen?

"Du mußt mich jetzt um den Hals nehmen, recht fest - so. Und Peter mußt du am Arm nehmen und ganz fest daraufdrücken, dann können wir dich tragen", sagte Heidi.

Aber Peter hatte noch nie jemandem den Arm gegeben. Klara umfaßte diesen wohl; doch Peter hielt ihn steif am Leib herunter wie einen langen Stecken.

"So macht man es nicht, Peter", sagte Heidi sehr bestimmt. "Du mußt mit dem Arm einen Ring machen. Du darfst nicht nachgeben, dann kommen wir schon vorwärts."



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Das wurde nun so gemacht. Klara probierte es abwechselnd ein wenig mit den eigenen Füßen, zog aber einen nach dem anderen immer bald wieder zurück.

"Stampf einmal recht herunter", schlug Heidi vor, "dann tut es dir gewiß nachher weniger weh."

Klara gehorchte und wagte einen festen Schritt und dann einen weiteren mit dem zweiten Fuß. Doch sie schrie dabei ein wenig auf. Dann hob sie den einen wieder und setzte ihn sanfter hin.

"Oh, das hat schon viel weniger weh getan", sagte sie voller Freude.

"Mach's noch einmal!"drängte Heidi eifrig.

Klara tat es, und dann noch einmal, und plötzlich schrie sie auf: "Ich kann, Heidi! Oh, ich kann! Sieh! Ich kann Schritte machen, einen nach dem anderen."

Jetzt jauchzte Heidi noch viel mehr. "Oh! Kannst du bestimmt selbst Schritte machen? Kannst du jetzt gehen? Oh, wenn nur der Großvater käme! Klara, jetzt kannst du gehen!" rief es ein ums andere Mal aus.

Klara hielt sich wohlauf beiden Seiten fest, aber mit jedem Schritt wurde sie ein wenig sicherer. Heidi kam vor Freude ganz außer sich.

"Nun können wir alle Tage miteinander auf die Weide gehen und auf der Alp herum, wohin wir wollen!" rief es aus. "Und du, kannst gehen wie ich und mußt nie mehr im Stuhl gefahren werden und wirst gesund! Oh, das ist die größte Freude, die wir haben können!"

Es war nicht weit zu der Blumenhalde hinüber. Dort sah man schon das Glitzern der Gold röschen in der Sonne. Jetzt waren sie bei den Büschen der blauen Glockenblumen angekommen, wo zwischendurch der sonnige Boden so einladend aussah.

"Können wir hier nicht niedersitzen?"fragte Klara.

Das war natürlich Heidis Wunsch, und die Kinder setzten sich mitten in die Blumen hinein. Heidi meinte, so schön sei es hier oben noch nie gewesen. Aber dann kam ihm auf einmal



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wieder in den Sinn, daß Klara gesund geworden war! Das war zu allem Schönen ringsum noch die allergrößte Freude. Klara wurde ganz still vor Wonne und Entzücken, das große Glück hatte fast nicht Platz in ihrem Herzen.

Peter lag still und regungslos mitten in dem Blumenfeld, denn er war fest eingeschlafen. So vergingen die Stunden. Die Sonne war längst über den Mittag hinaus, als einige Geißen ganz ernsthaft auf die Blumenhalde zugeschritten kamen. Es war nicht ihr Weideplatz, sie wurden nie dahin geführt, denn es gefiel ihnen nicht, in den Blumen zu grasen. Sie sahen aus wie Abgesandte, voran der Distelfink. Die Geißen waren losgegangen, ihre Gesellschaft zu suchen, die sie so lange im Stich gelassen hatte.

Als alle drei nun wieder auf dem Weideplatz angekommen waren, holte Heidi schnell den vollen Speisesack herbei und wollte sein Versprechen einlösen. Die Drohung hatte sich nämlich auf den Inhalt des Sackes bezogen. Es hatte wohl am Morgen gemerkt, wie viele gute Sachen der Großvater da hineingepackt hatte, und hatte vorausgesehen, daß Peter davon ein guter Teil zufallen werde. -Heidi-holte Stück für Stück aus dem Sack heraus und machte drei Häufchen davon. Die wurden so hoch, daß es voller Befriedigung zu sich selbst sagte: "Dann bekommt er noch alles, was wir zuviel haben."

Die Kinder ließen sieh's nach der großen Anstrengung schmecken. Es ging jedoch, wie Heidi vorausgesehen hatte. Als sie beide völlig satt waren, blieb noch so viel übrig, daß Peter noch einmal ein Häufchen, so groß wie das erste, zugeschoben werden konnte. Er aß still und beharrlich alles auf, aber er vollbrachte sein Werk nicht mit der gewohnten Befriedigung.

Die Kinder waren so spät zu ihrer Mahlzeit gekommen, daß der Großvater schon kurz danach die Alm hinaufstieg, um sie abzuholen. Heidi stürzte ihm entgegen. Es wollte ihm zuerst sagen, was sich ereignet hatte. Er beschleunigte seinen Schritt, und bei Klara angekommen, sagte er fröhlich lächelnd: "So, haben wir's gewagt? Nun haben wir's auch gewonnen!"



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Dann hob er Klara vom Boden auf, umfaßte sie mit dem linken Arm und hielt ihr seine Rechte als starke Stütze für ihre Hand hin, und Klara marschierte, mit der festen Hand im Rücken, noch viel sicherer und unerschrockener dahin, als sie es vorher getan hatte. Heidi hüpfte und jauchzte nebenher, und der Großvater sah aus, als sei ihm ein großes Glück widerfahren. Jetzt nahm er Klara auf seinen Arm und sagte: "Wir wollen's nicht übertreiben, es ist auch Zeit zur Heimkehr."



***
Als Peter spät am Abend mit seinen Geißen zum Dörfli herunterkam, standen viele Leute in einem Knäuel zusammen, und einer stieß den anderen weg, um besser sehen zu können, was mittendrin am Boden lag. Das mußte Peter auch sehen. Er drückte und drängte rechts und links und bohrte sich hinein. Da, jetzt sah er's!

Auf dem Gras lag das Mittelstück vom Rollstuhl, und nur noch ein Teil des Rückens hing daran.

"Ich war dabei, als sie ihn hinauftrugen", sagte der Bäcker, der neben Peter stand. "Wenigstens fünfhundert Franken war der wert, das wett' ich mit jedem. Es wundert mich nur, wie das geschehen ist."

"Der Wind kann ihn heruntergejagt haben, das hat der Öhi selbst gesagt", meinte die Barbel.

"Es ist gut, daß es kein anderer war", sagte der Bäcker wieder; "dem ging's schön! Wenn das der Herr in Frankfurt hört, wird er schon untersuchen lassen, wie's zugegangen ist. Ich für mich bin froh, daß ich seit zwei Jahren nie mehr auf der Alm war. Der Verdacht kann auf jeden fallen, der um die Zeit dort oben gesehen wurde."

Noch viele Meinungen wurden ausgesprochen, aber Peter hatte genug gehört. Er kroch sehr zahm und sachte aus dem Knäuel heraus und lief mit allen Kräften den Berg hinauf, als wäre einer hinter ihm her, der ihn packen wollte. Die Worte des Bäckers hatten ihm eine furchtbare Angst eingejagt. Ganz verstört kam er daheim an. Er gab keine Antwort, auf gar



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nichts, und wollte nicht einmal seine Kartoffeln essen. Schnell kroch er in sein Bett und stöhnte.

Als die Kinder abends von ihren Betten in den Sternenhimmel schauten, sagte Heidi: "Hast du nicht heute den ganzen Tag denken müssen, wie gut es doch ist, daß der liebe Gott nicht nachgibt, wenn wir auch noch so sehr um etwas bitten und er etwas viel Besseres weiß? Aber ich denke", fuhr Heidi fort, indem es sich aufsetzte, "heute müssen wir gewiß dem lieben Gott noch recht danken, daß du jetzt gehen kannst."

"Ja, gewiß, Heidi, du hast recht. Vor lauter Freude hätte ich es fast vergessen."

Am andern Morgen meinte der Großvater, nun könnte man einmal an die Frau Großmama schreiben, ob sie nicht zur Alp kommen wolle, es wäre etwas Neues zu sehen. Aber die Kinder hatten einen anderen Plan gemacht. Sie wollten der Großmama eine große Überraschung bereiten. Erst sollte Klara das Gehen noch besser lernen, so daß sie, allein auf Heidi gestützt, einen kleinen Gang machen könnte. Die Großmama aber sollte von allem keine Ahnung haben.

Nun wurde mit dem Großvater beraten, wie lange das noch dauern könnte. Da er meinte, kaum acht Tage, so wurde die Großmama im nächsten Brief dringend eingeladen, um diese Zeit auf die Alp zu kommen. Von etwas Neuem wurde ihr aber kein Wort berichtet.

Die Tage, die nun folgten, waren die allerschönsten, die Klara auf der Alp verlebte. Jeden Morgen erwachte sie mit der lauten Freude in ihrem Herzen. Ich bin gesund! Ich muß nicht mehr im Rollstuhl sitzen, ich kann selbst umhergehen wie die anderen auch!

Dann folgte das Gehen, und jeden Tag ging es leichter und besser, und immer längere Gänge konnten gewagt werden. Die Bewegung brachte dann einen solchen Appetit mit sich, daß der Großvater seine Butterschnitten täglich ein wenig größer machte und mit Wohlgefallen sah, wie sie verschwanden.


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