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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


44. Es kommt doch an den Tag

Es war ein Mann, der hatte so viele Kinder, als Ameisen im Ameisenhaufen leben. Eines Tages gingen drei seiner Mädchen aufs Feld, um Weizen zu schneiden. Da kam der junge Kaiser des Wegs. Die Älteste sprach da: »Wenn der Kaiser mich nehmen möchte, wollte ich mit dem Zwirn aus einer Spindel sein ganzes Heer kleiden.« Die Mittlere aber sagte: »Ich würde mit einem Brot sein Heer ernähren.« Die Jüngste aber meinte: »Wenn er mich nähme, wollte ich ihm zwei gute und kluge Söhne schenken mit Haaren von Gold und Zähnen aus Perlen.«

Das hörte der Bediente des Kaisers und sprach: »Kaiser, das älteste Mädchen sprach, wenn du sie nähmest, würde sie dein Heer kleiden mit dem Zwirn aus einer Spindel; die mittlere aber sagte, wenn du sie nähmest, würde sie mit einem einzigen Brot dein Heer speisen; die jüngste aber erklärte, wenn du sie nähmest, wollte sie dir zwei gute und kluge Söhne schenken mit Haaren von Gold.« Da befahl der Kaiser: »Wende um und laß das jüngste Mädchen in den Wagen steigen!« So brachte er sie nach Hause. Als er ein halbes Jahr mit ihr zusammengelebt hatte, rief man ihn zum Heere, daß er kämpfe. Ein Jahr weilte er im Kriege. Unterdessen gebar ihm die Kaiserin zwei Söhne. Die Dienerin aber nahm sie und trug sie in den Schweinestall und legte an ihrer Stelle zwei kleine Hunde zu der jungen Mutter.

Als am Abend die Schweine kamen, rief das Mutterschwein aus: »Ach, hier sind die Söhne unseres Herrn, gebt ihnen doch sogleich die Brust, daß sie trinken, und wärmt sie.« Nachdem die Schweine wieder aufs Feld gegangen waren, kam die Dienerin und sah, daß die Knäblein nicht gestorben, sondern wohlauf waren. Da brachte sie sie in den Pferdestall. Als die Pferde am Abend kamen, rief die alte Stute aus: »Ach, da sind die Söhne unseres Herrn, laßt sie sogleich trinken.« Sobald am nächsten Morgen die Pferde aufs Feld gegangen



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waren, kam die Dienerin, nahm die beiden Kinder und begrub sie im Misthaufen. Da wuchsen an der Stelle zwei goldene Tannen aus dem Mist.

Als dann der Kaiser aus dem Kriege heimkehrte, ging die Dienerin ihm entgegen und sprach: »Kaiser, deine Gemahlin hat zwei junge Hunde zur Welt gebracht.« Da begrub der Kaiser seine Frau hinter der Tür bis zu ihrem Gürtel und setzte ihr die beiden jungen Hunde an die Brust, daß sie trinken sollten. Nun nahm er die Dienerin zur Frau. Eines Tages sprach diese zu ihrem Gemahl: »Fälle diese Tannen und mach mir ein Bett.« — »Ich werde sie nicht umhauen, eine solche Pracht zerstöre ich nicht.« — »Wenn du sie nicht fällst, sterbe ich.« Der Kaiser bestellte Leute und ließ die Tannen fällen. Die Späne aber ließ er alle sammeln und verbrennen. Dann machte er aus zwei Brettern ein Bett und schlief mit seiner neuen Gattin in diesem Bette. Da sprach das ältere der beiden Knäblein: »Bruder, drückt dich deine Last?« — »Sie drückt mich nicht, denn es ist ja mein Vater, der über mir schläft. Aber drückt sie dich, mein Bruder?« —»Ja, sehr, denn die Stiefmutter schläft über mir.« Diese aber hatte die Unterhaltung gehört. Am Morgen, als sie aufgestanden war, sprach sie: »Kaiser, schlag dieses Bett wieder zusammen und stecke es ins Feuer, daß es verbrennt.« — »Ich werde es nicht verbrennen.« — »Du mußt es verbrennen, sonst werde ich sterben.« Da befahl der Kaiser, es zu verbrennen. Seine Frau aber ließ den Rauchfang verstopfen, damit keine Funken hinausflögen. Zwei Funken aber flogen doch hinaus und fielen auf zwei Lämmer. Da wurde ihre Wolle zu Gold. Des Kaisers Frau sah das und befahl ihren Knechten, die Lämmer zu schlachten. Dann gab sie die Wolle den Dienerinnen zum Waschen, nachdem sie Faden für Faden genau gezählt hatte. Diese wuschen die Wolle im Wasser, zwei Fäden aber entkamen. Da schnitten die Dienerinnen zwei der Fäden entzwei, so daß die Zahl wieder stimmte, und gingen dann nach Hause. Die beiden auf dem Wasser entwichenen Fäden aber



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verwandelten sich in zwei Tauben, diese überschlugen sich und wurden wieder zu Knaben. Sie gingen nun zu einer Frau. Diese Frau war eine Witwe und nahm die Knaben auf und erzog sie sieben Jahre. Auch bekamen sie von ihr ihre Kleider. Eines Tages erließ der Kaiser einen Befehl im Lande, seine Untertanen sollten zum Balle zu ihm kommen. Da versammelte sich die ganze Bukowina, man aß und trank. Beim Festmahl sprach der Kaiser: »Erratet, was ich erlitten habe.« Doch niemand konnte es erraten. Auch jene beiden Knaben waren gekommen und setzten sich bei der Türe nieder. Als der Kaiser sie erblickte, sprach er: »Ruft auch jene zwei Knaben herbei.« Da rief man sie vor den Kaiser. Der fragte sie: »Warum seid ihr gekommen, meine Knaben?« — »Wir sind zum Erraten gekommen.« — »Nun, so ratet!«

Da erzählte der eine von ihnen also: »Es war ein Mann, der hatte soviel Kinder, als Ameisen im Ameisenhaufen wohnen. Drei seiner Töchter gingen eines Tages zum Weizenmähen. Da kam der junge Kaiser des Weges gefahren. Als die drei Mädchen ihn erblickten, verliebten sie sich sogleich in ihn. Die Älteste meinte: >Ach, wenn dieser Jüngling mich zur Frau nehmen wollte, so würde ich mit dem Zwirn aus einer einzigen Spindel ihm die Uniformen für sein ganzes Heer schaffen.< Die Mittlere aber sprach: >Wählte er mich zur Gattin, ich wollte mit einem einzigen Brot sein ganzes Heer speisen, so daß alle satt würden.< — >Wenn er mich zu seinem Weibe nähme<, meinte schließlich die Jüngste, >so würde ich ihm zwei gute und kluge Söhne schenken mit Haaren von Gold und Zähnen aus Perlen.< Der Bediente des Kaisers aber hatte diese Worte der Mädchen im Vorüberfahren von seinem Kutschbock aus mitangehört und erzählte nun seinem Herrn: 'Kaiser, das älteste Mädchen sprach, wenn du sie zur Gattin wähltest, würde sie mit dem Zwirn aus einer Spindel dein Heer bekleiden; die Mittlere behauptete, sie würde, wenn du sie nähmest, mit einem einzigen Brot dein Heer verpflegen, die Jüngste aber sagte, wenn du sie zur Gemahlin machtest,



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würde sie dir zwei gute und kluge Söhne schenken mit Haaren von Gold und Zähnen aus Perlen.< — >Komm herbei, du Perle!< rief da der Kaiser und nahm die Jüngste in seinem Wagen mit. Er lebte nun ein halbes Jahr mit ihr zusammen, dann mußte er in den Krieg ziehen. Ein Jahr lang blieb er im Felde. Unterdessen aber brachte seine Gemahlin zwei Knäblein zur Welt. Ihre Dienerin aber nahm sie und trug sie in den Schweinestall. Zu der Kaiserin aber legte sie zwei junge Hunde. Als die Schweine am Abend in den Stall kamen, rief das älteste Schwein: >Ach, da sind ja die Söhne unseres Herrn, ihr müßt ihnen die Brust geben.< Am Morgen, als die Schweine wieder aufs Feld gingen, kam die Dienerin, sah, daß die beiden Kinder wohlauf waren, und warf sie in den Pferdestall. Am Abend kamen die Pferde in ihren Stall. Sogleich aber rief das älteste Pferd: >Ach, da sind ja die Kinderchen unseres Herrn, ihr müßt ihnen die Brust geben.< Nachdem am Morgen die Pferde ins Feld gegangen waren, kam die Dienerin. Als sie aber sah, daß die beiden Knaben frisch und munter waren, begrub sie sie im Pferdemist. Da wuchsen an der Stelle, wo sie begraben lagen, zwei goldene Tannen. Als der Kaiser vom Feldzug heimkehrte, ging ihm die Dienerin entgegen und meldete ihm: >Kaiser, die Kaiserin hat zwei Hündchen zur Welt gebracht.< Da begrub der Kaiser seine Gemahlin hinter der Türe und setzte die Hündchen an ihre Brust, daß sie sie trinken ließe. Dann nahm er die Dienerin zur Frau. Alsbald bat sie ihn: >Fälle die Tannen und mache ein Bett daraus.< — >Ich fälle sie nicht, sie sind so schön.< — >Wenn du sie nicht fällst, werde ich sterben.< Da ließ sie der Kaiser umhauen. Die Späne aber sammelte er alle und warf sie ins Feuer. Und als er das Bett gezimmert hatte, schlief er mit der Dienerin darin. In der Nacht fragte der Erstgeborene der beiden Knaben: >Drückt dich die Last, mein Bruder?< — >Sie drückt mich nicht, denn mein eigener Vater schläft ja auf mir. Aber drückt sie dich, Bruder?< —>Ja, auf mir lastet ein schweres Gewicht, denn auf mir schläft die



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Stiefmutter.<Jene hörte diese Unterhaltung, und am Morgen sprach sie: >Kaiser, haue doch dieses Bett zusammen und stecke es ins Feuer.< —>Ich zerstöre es nicht, es ist ja so schön.< — >Wenn du es nicht zerstörst, muß ich sterben.< Da ließ es der Kaiser in Stücke schlagen und ins Feuer stecken. Aber obwohl seine Gattin den Schornstein zustopfen ließ, flogen doch zwei Funken hinaus und fielen auf zwei Lämmer. Da wurde ihre Wolle zu Gold. Als das die Frau sah, ließ sie die Lämmer von ihren Knechten schlachten. Die Wolle aber gab sie zwei Dienerinnen zum Waschen. Dabei entwichen jedoch zwei Fäden, und die Dienerinnen schnitten, um die Anzahl wieder voll zu machen, dafür zwei andere Fäden entzwei. Die beiden entkommenen Fäden aber wurden zu zwei Tauben. Diese aber überschlugen sich und verwandelten sich in zwei Knaben. Nun gingen die beiden Knaben zu einer Witwe, die sie aufnahm und sieben Jahre lang erzog. Der Kaiser aber ließ in der Bukowina eine Einladung zum Balle ergehen. Man aß und trank. Der Kaiser aber sagte, man solle erraten, was er erduldet habe. Keinem gelang es, nur ich erriet es. Du magst es glauben oder nicht: wir sind deine Söhne, und unsere Mutter liegt hinter der Tür begraben.«

Da trat ihre Mutter auch schon in den Saal und rief: »Guten Tag, meine Söhne!« — »Guten Tag, Mutter!« Jene Dienerin wurde nun ergriffen und auf ein ungezähmtes Pferd gebunden. Das jagte man hinaus aufs Feld, wo es die Böse in lauter Stücke zertrat.


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