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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


42. Der Kaiser der Blumen 1

Es war einmal ein armer Mann, der hatte 99 Kinder. Und der Kaiser sandte Boten im Lande aus, die 99 junge Burschen suchen und sie unverzüglich in seinen Palast schicken sollten. Die Boten kamen zum Primären, dem Bürgermeister eines Dorfes. Der jammerte, wo sollte er 99 Männer hernehmen, so viele junge Burschen gäbe es ja im ganzen Dorfe nicht einmal. Der Primar schickte die kaiserlichen Boten zu seinem Onkel, dem armen Manne: er soll doch seine 99 Kinder zum Kaiser schicken, der sie für das Heer brauche. So arm der Mann auch war, so hatte er doch eine Wiese und ein Stück Feld, das er jedes Jahr mit Korn bestellte; doch seit 20 Jahren hatte der Acker ihm auch nicht ein einziges Weizenkorn mehr getragen. Er wunderte sich sehr darüber und sagte zu seinen Kindern: »Liebe Söhne, ich bin jetzt ein Mann von 90 Jahren und habe nicht ein einziges Korn geerntet. Jedesmal, wenn es reif war, wurde es gestohlen, aber keiner konnte den Dieb sehen.« Da trat ein Sohn vor und sagte: »Ich will hingehen und aufpassen; wehe dem, der sich erdreistet, das Korn zu nehmen, ich will doch dahinterkommen, wer der Dieb ist.« Dann ging er zu dem Kornfeld und stieg auf einen Baum, der in der Nähe stand. Gegen Mitternacht kam eine Wolke her-Die



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nieder, und der Sohn dachte gleich, als er die Wolke sah, diese sei der Dieb. Doch da kam eine Koppel Pferde vom Himmel. Vorneweg sah der junge Mann einen stolzen Hengst laufen und die anderen hinterdrein. Kurz entschlossen sprang er dem Hengst auf den Rücken und hielt sich an seiner Mähne fest. Das Pferd, das wohl an 100 Jahre alt war, eilte mit ihm davon und sagte zu ihm: »Bravo, Herr, du hast dich gut gehalten.« — »Jawohl, ich habe mich gut gehalten; so viele Jahre man Korn gesät hat, so viele Jahre hat man nichts geerntet.« Das Pferd antwortete ihm: »Nimm drei Haare aus meiner Mähne und gehe nach Hause.« — »Doch friß nie wieder Korn!« — »Wenn du mich brauchen wirst und an mich denkst, dann schüttle die drei Pferdehaare und im selben Augenblick werde ich bei dir sein.« Da nahm der junge Held die Pferdehaare und fragte das Pferd: »Wie soll ich nun nach Hause kommen, der Weg ist lang, wohl an die 100 Jahre muß ich reiten.« — »Besteige mich wieder!« Da fragte das Pferd den jungen Helden: »Soll ich fliegen wie der Gedanke oder wie der Wind?« Der junge Held antwortete: »Wie der Gedanke, denn der Wind macht mich zuschanden.« Kaum hatte der junge Held den Gedanken gefaßt, da war er auch schon zu Hause. Doch seinem Vater erzählte er nicht, was er erlebt hatte, sondern sagte nur: »Vater, wir wollen Korn mähen, es ist reif.« Der Vater sagte: »Gut, mein Junge, doch wir haben kein Geld, daß wir uns Mäher dingen können.« Der junge Held antwortete darauf: »Ich gehe zum Großbauern ins Dorf und sage ihm, wenn er Männer brauche, wollen wir 99 Brüder ihm helfen und ihm das Korn mähen. Er solle jedem von uns einen Franken geben.« Und er ging zum Bauern, und der dingte ihn zum Mähen. Er arbeitete zunächst einen Tag zur Probe. Darauf nahm der Bauer alle 99 Brüder, und ihr Vater mußte auf den Markt gehen und 99 Sicheln kaufen. Für jedes Kind hatte der Bauer ihm einen Franken gegeben. Er ging auch auf den Markt, aber er kaufte nur 98 Sicheln, den einen Franken vertrank er. Als er wieder nach Hause kam,



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übergab er dem Jüngsten alle Sicheln. Dieser brachte die Sicheln den anderen Brüdern, die sich schon auf dem Felde befanden, wo das Korn gemäht werden sollte, und gab einem jeden eine Sichel. Und als er sie alle weggegeben hatte, sah er, daß für ihn selbst keine mehr übrig geblieben war. »Aber Vater«, sagte er, »wo ist denn meine Sichel?« — »Mein Junge, deine Sichel habe ich vertrunken, als Aufseher stand mir doch ein Frank zu.« — »Das schadet nichts, Vater, dann bereite ich eben das Essen.« Da nahm der kleine Bruder ein Messer und schnitt ein wenig Korn, um damit Feuer zu machen. Als das Feuer angefacht war, war die Hälfte des Kornes schon gemäht. Er setzte Bohnen aufs Feuer, daß sie kochen sollten, außerdem bereitete er für seine Brüder ein Gericht Maisbrei. Und als das Essen gar war, rief er seine Brüder zur Mahlzeit. Sie hatten noch nicht ihre Mamaliga 1 gegessen, als das ganze Korn, ehe sie sich es versahen, umgehauen war. Da verwunderten sie sich gar sehr und glaubten, daß es ein großer Held gewesen sein müßte, der diese Tat vollbracht hatte, und sie fürchteten sich. Da kam Befehl, daß sie wieder fort sollten, und als sie zu Hause anlangten, da kam auch schon der Primar und sagte zu ihnen: »Morgen müßt ihr zum Kaiser aufbrechen.« Doch der Jüngste unter ihnen fragte den Primären: »Wo sollen wir denn die Pferde hernehmen, auf denen wir zum Kaiser gelangen?« — »Ja, woher soll ich sie denn nehmen, findet sich doch in meinem Dorfe nicht ein einziges Pferd, und wie soll ich denn erst 99 aufbringen?« Doch der Knabe wußte, was er zu tun hatte, er besann sich auf das Pferd, das ihm drei Haare gegeben hatte. Er ging hinter das Haus, holte die drei Haare hervor und schüttelte sie in der



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Luft, und siehe da, das Pferd war bei ihm und fragte ihn: »Was befiehlst du, Herr?« — »Ach, es ist Befehl gekommen, daß wir ins Heer eintreten sollen, und wir haben doch keine Pferde.« Kaum hatte er den Wunsch ausgesprochen, als auch schon 99 stattliche Pferde, mit den besten Sätteln und Zügeln versehen, angelaufen kamen. Alle waren zum Reiten fertiggemacht und warteten nur noch darauf, bestiegen zu werden. Als alles bereit war, kam das Pferd, das zuerst erschienen war, zum Knaben und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich stehe neben dir, du brauchst mich nur zu besteigen.« Das Pferd brach mit dem Knaben auf, und es lief schon nahezu eine Stunde, die anderen 98 Pferde trabten immer hinterdrein. Da sagte der Knabe zu seinem Pferde: »Ach, wir haben gar keine Kleider, um uns fürs Heer anzukleiden.« Da sagte das Pferd leise zu ihm: »Stecke deinen Finger in mein Ohr und hole dir 98 fertige Kleider heraus.« Da zogen alle 98 Brüder sich diese Kleider an und konnten nun als Soldaten vor das Angesicht des Kaisers treten. Dann bestiegen sie wieder ihre Pferde und ritten wieder weiter. Unterwegs kamen sie in das Gebiet der Greifenmutter, einer gefürchteten Heldin, die eine größere Heldin war als der Held selbst. Er rief daher seinen Brüdern zu: »Jetzt nehmt euch in acht, denn dieses Weib hat eine große Macht und vernichtet, wen sie nur in ihre Klauen bekommen kann. Aber wenn ihr auf mich horcht, so wird euch nichts geschehen.« Da riefen sie alle einmütig: »Was du uns befiehlst, lieber Bruder, das tun wir.« Nun kamen sie bei der Greifenmutter an: »Guten Tag, Greifenmutter!« — »Guten Tag, ihr weltlichen Wesen! Welcher Wind hat denn euch zu mir geweht?« —»Ach, wir sind hierher gekommen, denn der Kaiser hat nach uns geschickt, daß wir seine Soldaten werden und ihm zu Dienste seien. Beherberge uns bis morgen, und gib uns zu essen und zu trinken!« Da gab die Greifenmutter einem jeden ein Zimmer und ließ jedem eine große Portion Essen reichen, und außerdem gab sie einem jeden der 99 Brüder ein Mädchen für die Nacht. Der Jüngste aber, Peter mit



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Namen, sagte seinen Brüdern, ohne daß die Greifenmutter es hörte: »Seid um Himmels willen auf der Hut, paßt ja gut auf. Nehmt die Mädchen und scherzt mit ihnen und habt sie lieb und spielt mit ihnen, bis sie müde werden. Und wenn sie völlig ermattet sind, dann legt auf jedes Mädchen eins von euren Kopfkissen. Denn um 12 Uhr müssen wir alle auf und davon sein, denn sonst sind wir alle verloren. Die Greifenmutter wird um diese Zeit noch schlafen. In fünf Minuten kommen wir zu einem Kaiser. Gelingt es uns, dorthin zu fliehen, dann sind wir gerettet.« Als die zwölfte Stunde herannahte, fiel die Greifenmutter vor Müdigkeit auf ihre Füße, und der Schlaf überkam sie. Die 99 jungen Burschen erhoben sich und machten sich auf und davon. Kaum fünf Minuten waren sie weg, da erhob sich die Greifenmutter, nahm einen großen Säbel in die Hand, trat in die Zimmer, denn sie glaubte, die Soldaten wären noch darin. Und anstatt daß sie die jungen Burschen tötete, erschlug sie die 99 Mädchen mit ihrem Säbel. Doch als sie am Morgen sah, was sie angerichtet hatte, da packte sie die Wut, sie setzte sich auf den Mörser und ritt auf ihm den jungen Burschen in Windeseile nach. Sie flog, doch alles vergebens. Sie waren schon an den Grenzen des Gebietes der Greifenmutter. Da schrie sie dem Helden nach: »Ein großer Gauner bist du, ich bin schon einer, aber ein größerer bist du!« Da antwortete ihr der Held: »Greifenmutter, wenn ich ein Gauner wäre, würdest du mich nicht im Schlafe getötet haben, mich, der ich doch ein noch größerer Gauner bin als du?« So verhöhnte er sie. »Das schadet nichts«, sagte sie, »du wirst doch eines Tages noch in meine Gewalt kommen.« Bevor sie den Hof des Kaisers erreichten, gab der Held seinen Brüdern einige weise Ratschläge. Er selbst trat in den Palast des Kaisers ein und war ihr Sprecher. »Wie ich euch vorsagen werde, so sagt ihr mir es nach«, hatte er seinen Brüdern befohlen. »Hoch lebe Euer Gnaden, wir sind auf Euren Befehl gekommen, den Ihr gegeben habt.« — »Das freut mich, ihr jungen Burschen, ihr werdet Dienst tun bei



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mir wie ein jeder Soldat. Doch erst müßt ihr ausgebildet werden.« Der Kaiser bestimmte daher sofort einen Hauptmann, der ihnen Instruktionen gab. Dieser bildete die 99 Brüder zu Soldaten des Kaisers aus. Er schlug sie, wenn sie es nicht begriffen; zu schwerfällig waren sie auch. Der arme Hauptmann hatte seine große Mühe mit ihnen. Eines Tages ging der Kaiser auf die Jagd. Vorher ließ er den Hauptmann zu sich kommen und drohte ihm: »Ich werde jetzt auf die Jagd gehen, wehe dir, wenn ich bei meiner Rückkehr nicht ausgebildete Leute vorfinde; ich sage dir es gleich, ich werde dich töten.« Der junge Held, der jüngste der Brüder, begriff sehr leicht; was seine anderen Brüder in drei Jahren lernten, lernte er in drei Tagen. Das ärgerte die anderen, denn sie mußten darunter leiden. Sie gingen daher zum Kaiser und sagten zu ihm: »Erlauchter Kaiser, gestern abend prahlte Peter in unserer Gegenwart, daß er die Geige von der Greifenmutter herbeischaffen könne. Diese Geige spiele ganz von selbst. Das kannst du doch nur, erlauchter Kaiser, was bildet sich denn Peter nur ein!« Da ließ der Kaiser den Peter zu sich rufen. »Was befehlt Ihr, erlauchter Kaiser?« — »Ich befehle, daß du das vollführen sollst, dessen du gestern abend dich in der Trunkenheit gerühmt hast. Und zwar hast du das in drei Tagen auszuführen.« — »Wessen habe ich mich denn gerühmt?« — »Du hast dich gerühmt, die Geige, die aus dem Hintern von ganz allein spielt, der Greifenmutter zu entreißen.« Da fing er an zu weinen. Er ging in seiner Not zu seinem guten Pferd. »Sagte ich dir nicht, daß du wiederkommst?« Und als das Pferd ihn weinen sah, fragte es: »Warum weinst du denn?« — »0, mein gutes, liebes Pferd, warum sollte ich denn nicht weinen, meine Brüder haben mich beim Kaiser verleumdet und haben gesagt, ich wäre imstande, von der Greifenmutter die Geige zu holen.« Das Pferd beruhigte ihn und sagte: »Wenn du vernünftig bist und dich einigermaßen geschickt anstellst, werden wir beide die Geige herbeischaffen. Besteige mich, wir machen uns gleich auf den Weg.«



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Endlich kamen sie auf dem großen Gute der Greifenmutter an. «Paß jetzt gut auf, was wir machen«, sagte das Pferd, »ich verwandle mich in einen Pferdeschädel, der am Wege liegt, und du überschläge dich einmal, so verwandelst du dich in eine Fliege, dann setze dich auf den Schlüssel, der in dem Schlüsselloch steckt, und halte dich an der Wand fest, aber komme um Himmels willen nicht mit deinen Flügeln der Wand zu nahe, denn sonst klebst du gleich fest. Und daß du um Himmels willen nicht mit dem Flügel an die Geige kommst, sonst wird sie laut schreien, daß man sie über neun Länder und neun Meere hört. Wenn das einträte, würde dich die Greifenmutter töten. Um zwölf Uhr wird sie vor Mattigkeit niederfallen. Diesen Augenblick mußt du wahrnehmen, schnell nach der Geige greifen und so schnell, wie du nur kannst, davoneilen.« So wie das Pferd gesagt hatte, so tat auch der Knabe. Zuerst hatte er sich als Fliege am Schlüssel versteckt, dann schlich er sich immer mehr an die Geige heran. Dort blieb er sitzen.

Gegen zehn Uhr kam die Greifenmutter und befahl, die Musikanten sollten ihr aufspielen. Die Musikanten war aber die Geige selbst. Als sie anhub zu tönen, kamen Kinderchen angesprungen und tanzten Reigen. Ihre Seele hüpfte aus ihren Körpern vor den wunderbaren Weisen der Lieder, die die Geige so ganz allein sang. Als die zwölfte Stunde herankam, fiel die Greifenmutter zu Boden und schlief ein. In diesem Augenblick legte der Held Hand an die Geige und eilte, so schnell er nur konnte, davon. Als sie so laut schrie, da ertönte es über neun Länder und neun Meere, so weit hörte man sie. Doch die Greifenmutter wachte davon nicht auf. Die Fliege und der Pferdeschädel hatten sich wieder verwandelt und flogen nun durch die Luft wie der Wind. Als die Greifenmutter erwachte, fand sie ihre Geige nicht mehr vor und beeilte sich nun, den beiden nachzufliegen und die Geige wieder abzunehmen. Sie erreichte ihre Grenze und konnte gerade noch den Schwanz des fliehenden Pferdes erwischen. Als sie



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nach dem Knaben greifen wollte, blieb der Pferdeschwanz in ihrer Hand. Da rief sie ihm bittend nach: »Peter, du hast mir mein Liebstes entführt. Gib es mir wieder zurück!« Peter erwiderte ihr: »Greifenmutter, es ist nicht meine Schuld, ich habe einen Befehl ausführen müssen, und das ist meine Pflicht.« Er begab sich wieder zum Kaiser und sagte ihm: »Ich habe deinen Befehl, den du mir aufgegeben hast, ausgeführt, hier ist die Geige!« Da versprach der Kaiser vor lauter Freude Peter alles, was er nur haben wollte, und schenkte ihm neun große Beutel voll Geld und sagte ihm, er solle wieder zu den Soldaten gehen, sie seien ganz außer Rand und Band gekommen, seit er weg sei. Sie seien völlig verdummt. Er solle ihr Hauptmann sein. So ging er wieder zu seinen Brüdern, unterrichtete sie und prügelte sie gehörig durch, weil sie sich allzu dumm anstellten. Er schlug sie beinahe zu Tode, aber er mußte ja so strenge sein, denn der Kaiser verlangte von ihm, daß sie tüchtige Soldaten werden sollten. Doch was taten die Brüder, als die Instruktion zu Ende war? Sie gingen alle zum Kaiser und verleumdeten ihren Bruder, indem sie sagten: »Erlauchter Kaiser, gestern abend hat Peter geprahlt, er könne die Glucke mit den neun Küchlein aus Gold herbeischaffen, die sich bei der Greifenmutter befinden.« Der Kaiser rief Peter zu sich und sagte: »Peter, was du gestern abend in der Trunkenheit gesagt hast, mußt du in drei Tagen ausführen.« — »Wessen soll ich mich gerühmt haben?« fragte erstaunt Peter den Kaiser. »Schon gut, du holst mir die neun Küchlein von Gold mitsamt der Glucke!« Da ging er weinend zu seinem Pferde. Das Pferd fragte ihn: »Warum weinst du denn? Anstatt daß du lachend zu mir kommst, kommst du mit Tränen in den Augen. Sei nur ruhig, Herr, das wollen wir schon schaffen, wir holen auch die Glucke herbei.«

Der Kaiser wußte gar nicht, was er vor Freude machen sollte. Er war ganz begeistert von der Geige. Alle Kaiser der Welt hörten es, wenn die Geige spielte, so weit ertönte sie.



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Als die Kaiser nun gar erst die Geige sahen, die es nur einmal auf der ganzen weiten Erde gab, da lobten sie alle den, der die Geige der Greifenmutter entrissen hatte, und beglückwünschten den Kaiser zu einem solch tüchtigen Soldaten. »Bravo, Kaiser«, sagten sie, »du hast einen Soldaten, der verdient, im Range gleich nach dir zu kommen.« Alle konnten sich nicht satt hören an der schönen Musik. Sie übertraf jegliche Musik, die von Musikanten gespielt wurde. Währenddessen war der junge Held zur Greifenmutter aufgebrochen und hatte wirklich die Glucke mit den Küchlein gestohlen. Er kehrte zum Kaiser zurück und sagte: »Erlauchter Kaiser, ich verneige mich vor dir mit dem Dienste, den du mir aufgegeben hattest.« — »Bravo, Peter, hier hast du einen Beute! voll Geld!« sagte der Kaiser. Wieder ging er zu seinen Brüdern und mußte sie unterrichten, denn sie hatten in der Abwesenheit alles wieder vergessen, was er ihnen vorher beigebracht hatte. Er schlug sie und zog sie an den Haaren. Da gingen sie wieder zum Kaiser und verleumdeten ihren Bruder, denn sie wollten Rache an ihm nehmen, und erzählten, ihr Bruder habe gesagt, er könne die Greifenmutter lebendig zum Kaiser bringen. »Peter, was hast du gestern abend wieder geprahlt, du könntest die Greifenmutter mit Haut und Haaren heil herbeischaffen?« Als der Kaiser dies von seinen Soldaten gehört hatte, hatte er sich bekreuzigt. Als er es jetzt selbst aussprach, bekreuzigte er sich wieder, denn er konnte nicht fassen, wie einer seiner Untertanen Scherz und Spott mit der Greifenmutter treiben könnte. »Wie kannst du nur so dummes Zeug reden, bist du toll? Wie kann einer die Heldin aller Helden herbeischaffen wollen! Zur Strafe, weil du dich dessen gerühmt hast, sollst du dies in drei Tagen ausführen.« Da fing der junge Held vor dem Kaiser an zu weinen. »Erlauchter Kaiser, glaubt Ihr, daß ich mich dessen gerühmt habe? Bedenkt selbst, wie kann ich, ein Mensch von Fleisch und Blut, die größte aller Unholdinnen besiegen, ist das möglich? Wo der Kopf ist, steht auch der Fuß. Wir können



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doch nur Heldentaten für diese Welt vollbringen.« Doch der Kaiser blieb dabei, weinend ging der Knabe von dannen. Er eilte zu seinem Berater, dem Pferde, und klagte ihm sein großes Leid. »Ja, Herr, dies wird sehr schwer halten, dieser großen Gefahr werden wir wohl nicht entrinnen, ohne unser Leben dabei einzubüßen. Doch wir wollen es versuchen. Geh zum Kaiser und erbitte dir eine Axt, ein Zimmermannsbeil, eine Säge, drei eiserne Reifen und dreißig Nägel.« Der Jünging trug dem Kaiser seine Bitte vor, und der Kaiser gab ihm sogar einen Wagen mit eisernen Achsen. So zog denn der junge Held in den Wald, in dem die Greifenmutter wohnte. Das Pferd machte halt und sagte zu seinem Herrn: »Mach einen Sprung, überschläge dich einmal und verwandle dich in einen alten Mann von 80 Jahren. Haue diesen Apfelbaum um und fertige einen Sarg. Und wenn dann die Greifenmutter kommt und dich fragt, wer dir die Erlaubnis gegeben habe, Holz in ihrem Walde zu schlagen, so sage ihr: >0 weh, liebe Greifenmutter, Peter, der Soldat, ist gestorben.< Paß auf, wie sie sich da freuen wird, wie sie dir dabei sogar noch helfen wird.« Und siehe da, wirklich kam sie an und fragte den alten Mann: »Wer hat dir denn Erlaubnis gegeben, daß du in meinem Walde Holz schlägst?« — »0 weh, Königin aller Helden, o Greifenmutter, Peter, der Soldat, den Ihr doch wohl kennt, ist gestorben, und ich bin hierher gekommen, daß ich ihm aus diesem Holze einen Sarg mache.« Da freute sie sich in ihrem Herzen und ließ den alten Mann in ihrem Walde gewähren. Dieser schnitt nun in aller Ruhe die Bretter und zimmerte sich den Sarg zurecht. Da sagte er plötzlich zur Greifenmutter: »Wie, zum Teufel, machen wir es nur weiter? Ich habe die Maße vergessen. Steige du doch einmal hinein, damit ich sehe, wo der Sarg zu breit, und wo er zu schmal ist, damit ich an dir sehe, ob er paßt.« Die Greifenmutter stieg in den Sarg. Da sah nun der alte Mann, wo der Sarg zu eng war. Die Greifenmutter sagte: »Nur an der linken Schulter drückt er mich ein wenig.« Und an dieser Stelle schnitt der



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alte Mann noch etwas heraus. Als er damit fertig war, stieg die Greifenmutter noch einmal in den Sarg, um zu sehen, ob er ja passe. Sie sagte: »0, er paßt ausgezeichnet.« — »Da müssen wir doch einmal zusehen, ob auch der Deckel paßt«, erwiderte da der alte Mann und nahm den Deckel und legte ihn auf den Sarg und fragte sie: »Ist der Deckel recht?« — »Ausgezeichnet hast du das getroffen, besser konntest du es gar nicht machen.« — »Nun wollen wir einmal die Reifen darum legen, ob die passen.« Er legte alle drei Reifen herum und schlug noch zu guter Letzt alle dreißig Nägel ein. Als er damit fertig war, schrie die Greifenmutter von drinnen: »Nun, Alterchen, laß mich wieder heraus!« — »Das fällt mir gar nicht ein, hier drinnen sollen deine Knochen vermodern. Ich bin Peter, der Soldat, der doch ein größerer Gauner ist als du.« Sie wollte mit aller Gewalt wieder aus dem Sarge und schlug heftig an die Wände, aber die Bretter gaben nicht nach. Sie war eingeschlossen. Als Peter den Sarg auf den Wagen hob, hielt der Wagen die Last nicht aus und zerbrach. Da rief sie: »Peter, Peter, du tust mir Schaden an meiner Gesundheit, ich habe dir doch nicht ein einziges Übel zugefügt, noch habe ich irgendwie Hand an dich gelegt.« Peter aber sagte: »Was machen wir nur, der Karren ist entzweigegangen? Ach, ich werde den Sarg mit auf mein Pferd nehmen.« Er nahm den Sarg mit der Greifenmutter und hob ihn auf sein Pferd. So kam er zum Kaiser. Als dieser ihn sah mit solch einem Riesensarg, da erschrak er. Vor lauter Furcht und Angst richtete er ein großes Zimmer ein, das nur allein für die Greifenmutter bestimmt war. Und als Peter den Kaiser aufforderte, den Sarg zu öffnen, sagte der Kaiser: »Offne du!« Da machte der junge Held den Sarg auf, in dem der Kaiser sie nun liegen sah, und dieser verwunderte sich sehr, daß es ihm geglückt war, diese Unholdin unschädlich zu machen. Peter aber trat vor den Kaiser und sagte: »Erlauchter Kaiser, ich habe nun drei volle Jahre Militärdienst getan. Ich bin doch wohl nun frei, daß ich wieder nach Hause gehen



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kann?« Der Kaiser ließ ihn aber nicht gehen, sondern sagte: »Nein, mein Sohn Peter, du mußt noch bleiben, ich kann dich nicht freilassen, ehe du nicht die Greifenmutter bezähmt hast. Geh wieder hinunter zu den Soldaten, denn diese sind ganz außer Rand und Band gekommen.« Was sollte er da tun, er mußte gehorchen, ob er wollte oder nicht. Er ging also wieder zu seinen Brüdern und schlug sie halbtot, da sie alle seine Instruktionen vergessen hatten. Da sagten die Brüder unter sich: »Liebe Brüder, wir gehen hier noch elendig zugrunde, wir können ihn nicht umbringen; sooft wir ihn beim Kaiser schlechtgemacht haben und glaubten, nun seien wir den strengen Herrn los, hat er es immer wieder fertiggebracht, die Befehle, die der Kaiser ihm zur Strafe gegeben hatte, auszuführen. Seiner Gewalt können wir nicht entrinnen.« Da versuchten sie es noch einmal und gingen zum Kaiser und sagten: »Erlauchter Kaiser, Peter ist völlig von Sinnen geworden. Er meinte, wir sollten mit ihm den Mann aus lauter Blumen aus den Bergen der Sehnsucht holen.« Als das der Kaiser aus dem Munde seiner Soldaten vernahm, gab er jedem eine kräftige Ohrfeige und schrie sie an, sie seien wohl verrückt geworden, einen Heiligen herbeischaffen zu wollen. Wieder rief er Peter zu sich und fragte ihn: »Was hast du von den Soldaten verlangt? Daß sie mit dir den Mann der Blumen vom Felde der Sehnsucht holen sollen?« Da fing Peter an bitterlich zu weinen; denn das war schier unmöglich. Doch der Kaiser setzte seine Rede fort und meinte: »Peter, wenn du mir den Heiligen der Blumen herbeischaffen kannst, sollst du mein Schwager werden, ich will dir meine Schwester zur Frau geben, und mit einem Schlage sollst du General werden.« Wie immer begab sich der junge Held zu seinem Pferd, das in solchen schweren Lagen ihm immer beigestanden hatte. Weinend erzählte er dem Pferde, was der Kaiser ihm gesagt hatte: »Höre doch nur einmal, ich soll dem Kaiser den Blumenheiligen bringen.« Da wurde das Pferd nachdenklich und sagte: »Herr, was wir bisher vollbracht haben, war eine reine



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Spielerei gegen das, was wir nun vollbringen sollen, aber dieses letzte wird uns den Kopf kosten, jetzt verderben wir. Doch laß mir drei Tage Zeit, daß ich einmal darüber nachdenke, das will bedacht sein.« Lange hatte das Pferd nachgedacht, endlich fand es drei Lösungen. Zuerst hatte es ausfindig gemacht, wohin, in welche Richtung es sich zu wenden hätte, um den Heiligen der Blumen aufzufinden. Das Pferd brach zunächst allein auf, um zu erkunden, auf welchem Wege der Blumenheilige zu gehen pflegte. Nach langem Suchen fand es denn auch die Wege, die zum See mit süßer Milch führten. Es kam sogleich wieder zurück, und beide begaben sich wieder zum Kaiser. »Geh zum Kaiser und bitte dir drei Fässer von dem allerbesten und köstlichsten Weine aus«, sagte das Pferd zum jungen Helden. Darauf gingen sie an den Süßmilchsee. Als sie dort waren, machten sie eine große Grube in die Erde und versteckten sich beide darin, damit der Heilige sie nicht sähe. Sie schütteten Erde über sich, soviel, daß sie ganz verdeckt waren und nur die Augen heraussahen. Und siehe, es dauerte nicht lange, da kam der Heilige der Blumen an den See. Er kleidete sich aus und nahm ein Bad in dem See der süßen Milch. Nach einer Weile stieg er wieder heraus, zog sich wieder an und trank einen Becher eiskalten Wassers. Darauf überkam ihn der Schlaf. Nachdem er eine Stunde geschlafen hatte, da erwachte er, stand auf und ging weg. Da kamen die beiden aus ihrer Grube hervor und schüttelten die Erde ab, die an ihren Kleidern haften geblieben war. Sie leerten den Brunnen, aus dem der Heilige getrunken hatte, schöpften alles Wasser heraus und gossen den Wein, den sie vom Kaiser mitgenommen hatten, hinein. Ebenso schöpften sie die süße Milch aus dem See und gossen ihren Wein hinein. Als nun am zweiten Tage der Blumenheilige kam, sich wieder auszog, ein Bad nahm und wieder dem See entstieg, da war er ganz betrunken. Und dann ging er an den Brunnen und trank wie gewöhnlich einen Becher kalten Wassers, doch er wußte nicht, daß inzwischen jemand Wein hin-



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eingegossen hatte. In seinem Leben hatte er noch keinen Wein getrunken. Ein solches Getränk kannte er nicht. »Ah«, schmeckte er, »wie ist das Wasser süß! Solange ich doch schon Wasser trinke, hat es mir noch nie so gut gemundet. Ich trinke noch einen Becher voll . . « Und als er ihn ausgetrunken hatte, war das Wasser ihm noch süßer erschienen als vorher. Er holte daraufhin einen ganzen Eimer voll aus dem Brunnen und trank in einem Zuge den ganzen Eimer voll aus. Davon war er nun völlig betrunken. Als er wieder aufstehen wollte, konnte er es nicht, die Beine versagten. Er fiel immer wieder zu Boden. Er gab bald seine Bemühungen auf, sich wieder zu erheben, und schlief ein. Als das Pferd und der junge Held das sahen - denn ihre Augen schauten ja aus der Erde heraus -, da sagte das Pferd: »Schnell, springe auf, setze ihn auf mich und laß uns fliehen.« So kam Peter mit dem Blumenheiligen wirklich am Hofe des Kaisers an. Der Heilige schlief noch immer. Drei Tage und drei Nächte hatte er schon geschlafen, als er endlich wieder zu sich kam und aufwachte. Und als er um sich blickte und sah, daß er im Palaste des Kaisers war, da fing er an zu weinen.

Peter aber trat vor den Kaiser hin und sprach: »Erlauchter Kaiser, meine Dienstzeit ist nun um. Laß mich nach Hause!« Da wurde der Kaiser traurig, es tat ihm sehr leid, einen so tüchtigen Helden zu verlieren, und bat ihn, noch drei Tage zu bleiben: »Iß und trink, drei Tage lang.« Doch Peter wollte sich an den Soldaten, seinen Brüdern, rächen und trat vor den Kaiser und sagte ihm, was die Soldaten behaupteten, tun zu können. »Erlauchter Kaiser, sie könnten ihre Übungen auf brennenden Heuhaufen machen, ohne daß sie verbrennten. Laß mich den Versuch machen.« Daraufhin rief der Kaiser seine Soldaten zu sich und fragte sie: »Was habt ihr gestern in der Trunkenheit behauptet, ihr könntet auf brennenden Heuhaufen eure Übungen machen, ohne zu verbrennen? Drei Tage will ich euch Zeit geben, wehe euch, wenn ihr dies in der Zeit nicht fertiggebracht habt.« — »Erlauchter Kaiser,



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wir haben uns dessen nicht gerühmt«, jammerten sie. Aber der Kaiser hörte nicht auf sie. »Ihr sollt eure Übungen auf brennenden Heuhaufen machen, ihr habt doch gesagt, ihr würdet nicht verbrennen.« So geschah es auch. Man stellte die Soldaten auf die brennenden Heuhaufen, nachdem man ihnen vorher ihre Kleider abgenommen hatte. Und siehe da, sie verbrannten und blieben verkohlt auf dem Platze liegen. Das war ihre Strafe, weil sie ihren Bruder so oft verleumdet hatten. Auf diese Weise war er ihnen entronnen.

Währenddessen hatte sich der Blumenheilige erhoben, noch halb im Schlafe fragte er: »Wer war der Held, der mich entführt hat?« Peter wurde herbeigeholt und vor ihn geführt. »Bravo, Peter, du bist der Held und bist so klug und listig, daß du dich sogar in andere Welten wagst«, sagte der Kaiser zu ihm. Da fragte der Heilige den Kaiser: »Was willst du mit mir tun? Ich bin doch von einem anderen Reiche. Ich bin der Kaiser der Blumen. Laß mich wieder fort von dir in mein Reich. Aller Tribut, den ich dir als Gefangener schulde, wird dir bezahlt werden.« Da erwiderte der Kaiser ihm: »Ich habe nicht den Ehrgeiz, dich dem Volke zu zeigen und mich zu rühmen, was für einen Kaiser ich hier als Gefangenen bei mir beherberge. Denn ich habe noch einen wie dich. Ich habe ja noch die Greifenmutter, die auch von Peter herbeigeführt worden ist, lebendig und unversehrt. So hohe Persönlichkeiten habe ich als Gefangene bei mir, wie sie kein anderer Kaiser hat.« Da bat ihn der Kaiser der Blumen: »Laß mich doch denjenigen noch einmal sehen, der mich zu dir geführt hat, Peter den Soldaten.« Als Peter kam, schaute der Kaiser der Blumen ihn an. »Laß mich nun einen einzigen Augenblick mit ihm allein, daß ich drei Worte mit ihm rede.« Der Kaiser schlug in die Hand des Blumenkaisers ein, der über die Hand blies und den Kaiser in eine wunderschöne Blume verwandelte. So blieb nun Peter mit dem Kaiser der Blumen allein in einem Zimmer. »Wie hast du es nur fertiggebracht, Peter, daß du mich entführt hast?« fragte er ihn. »0 Alterchen, ich



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bin nicht schuld daran, ich bin nur ein armseliger Soldat, der die Befehle seines Herrn ausführen muß, ich stehe unter dem Befehle des Kaisers. Mit der geheimnisvollen Kraft eines Pferdes habe ich diese Tat vollbracht. Doch ich will dir behilflich sein, daß du wieder von hier fortkommst.« Da fing der Blumenkaiser an zu weinen, denn er hatte zwei kleine Kinderchen, die nun mutterseelenallein zu Hause saßen und sich um ihren Vater grämten. Er versprach dem Peter: »Wenn du einst zu mir kommen wirst, werde ich dir eine meiner Töchter geben, und du wirst mein eigen Kind werden.« Peter ging hinaus aus dem Zimmer und begab sich zur Tochter des Kaisers. Der Kaisersohn spielte gerade Geige draußen im Vorsaale. Wieder und wieder war das Spiel zu vernehmen. Als es der Blumenkaiser hörte, rief er den Kaisersohn zu sich und bat ihn: »Gib mir doch nur einen Augenblick den Bogen, daß ich auch so Schönes hervorzaubere wie du.« Und er nahm den Bogen, blies über ihn hin und verwandelte ihn in eine wunderschöne Rose. Als das der Knabe sah, wie schön sein Bogen geworden war, bat er den Blumenkaiser, er solle ihm die Geige doch auch so schön machen. Der Kaiser nahm die Geige in die Hand und blies ein wenig über sie hinweg und verwandelte sie ebenso wie den Bogen in eine wunderbare Rose. Wie er sie dann in die Hand nahm, flog der Blumenkaiser davon, und keine Spur war mehr von ihm zu sehen. Aus Furcht, daß der Vater ihn totschlagen würde, versteckte sich der Knabe. Als der Kaiser wieder nach Hause kam, entdeckte er zu seinem großen Schrecken, daß der Blumenkaiser verschwunden war, und als er nach seinem Kinde rief, kam es hervor und erzählte, wie sich alles zugetragen hatte: »Ich habe nicht gewußt, Vater, daß ich ihm die Geige nicht geben durfte.« Da jagte der Vater vor Wut sein Kind aus dem Hause, und es mußte nun in der weiten Welt seinen Weg selber suchen. Als Peter von der Jagd nach Hause kam, fand er den Blumenkaiser und das Kind nicht mehr vor. Er ging zum Kaiser und sagte: »Kaiser, mein Dienst ist nun zu



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Ende, ich gehe.« — »Wo willst du hin, Peter?« — »Ich will das Kind suchen, wenn ich es gefunden habe, werde ich wieder zu dir zurückkehren.« Mit Tränen im Auge sagte der Kaiser beim Abschied: »Geh mit Gott, Peter!« Der Jüngling brach auf und fand nach langem Suchen das Kind in einem Walde und nahm es auf sein Pferd. »Wo willst du hin?« fragte es. »Ich will zum Kaiser der Blumen.« Das Pferd wußte den Pfad, der zu diesem Kaiser führte, und fragte: »Willst du, daß ich wie der Wind dorthin fliege oder wie der Gedanke?« — »Wie der Gedanke«, erwiderte Peter. Kaum hatte er es gedacht, da war er auch schon auf dem Gebiet, auf dem der Blumenkaiser wohnte, auf dem Felde der Blumen. Der Blumenkaiser rief: »Wer ist auf meinem Gute?« — »Ich bin es, Vater, dein Kind mit Peter«, erwiderte der Knabe. »Was für ein Peter?« — »Nun, Peter, der Soldat.« Als der Blumenkaiser das hörte, war er ganz außer sich vor Freude und rief ihnen zu: »Geht den Nelkenweg und begebt euch zu meinen Töchtern und laßt euch Essen geben.« Als die beiden anlangten, freuten sich die Mädchen. Da kam auch schon der Blumenkaiser. Er veranstaltete ein großes Fest. Drei Tage und drei Nächte lang feierten sie. Am Schlusse des Festes fragte der Kaiser den Peter: »Peter, welche von meinen Töchtern gefällt dir?« — »Ich möchte gern die ältere haben.« Die jüngere bekam der Kaisersohn. Die Mädchen waren überglücklich, und die Hochzeit wurde gleich gefeiert.

Nach einigen Tagen sagte Peter: »Los, wir wollen mal zu unserem Vater, daß er uns sehe.« Sie stiegen in einen Wagen, der bestand nur aus Blumen. Als sie zum Kaiser kamen, war er außer sich vor Freude und bat Peter, er solle doch Kaiser an seiner Statt werden. Sein Sohn solle Kaiser im Reiche der Blumen werden. Doch Peter sagte: »Nein, ich gehe wieder zum Kaiser der Blumen zurück.« Als der Blumenkaiser das hörte, blies er vor lauter Freude über den Palast und verwandelte den ganzen Palast in einen großen Garten voller duftender Blumen.

Woher ich gekommen bin, habe ich euch soeben erzählt.


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