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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


32. Die Quelle, die Diamanten sprudelt'

Es war einmal ein armer Mann, dessen Frau war guter Hoffnung. Doch als sie das Kind geboren hatte - es war ein Mädchen -, verschwand es auf ganz unaufgeklärte Weise. Weder die Eltern noch irgend jemand auf der weiten Erde wußten, wohin das Kind verschwunden war. Es war von Gott verzaubert, es sollte zu einer Quelle werden, die Diamanten sprudelte, in einem weit entfernten Lande. Nach einiger Zeit gebar die Frau des armen Mannes noch ein Kind, wieder ein Mädchen. Und dieses Mädchen blieb am Leben. Aus heißer Liebe zu dem Neugeborenen vergaß die Mutter aber ganz ihre von Gott verzauberte Tochter.

Das zweite Mädchen wurde groß, die Mutter starb, so daß nun der Vater mit der Tochter ganz allein war. Das Mädchen wuchs zur Jungfrau heran. Es kam die Zeit zu heiraten. Der Vater des Mädchens war arm, er war Tagelöhner bei einem Bauern. Nun starb gar noch der Primar, der Dorfschulze, der ein Freund des armen Mannes war. Was sollte er tun? Seine Tochter hatte immer mit der Tochter des Primären gespielt. Sie ging im Hause des Primären ein und aus. Da sagte eines Tages die Frau des Primären zum Mädchen: »Warum sagst du denn nicht deinem Vater, Mädchen, daß ich keinen Mann habe, und daß er mich doch heiraten soll. Du lebst bei uns wie zu Hause und verträgst dich mit meiner Tochter gut.« Als das arme Mädchen nach Hause kam, sagte es zu seinem Vater: »Vater, ich will dir mal was sagen.« — »Was willst du sagen?« — »Ich will es dir gleich sagen.« — »Du sagst gar nichts!« — »Nein, ich sage lieber gar nichts. Und doch... Wäre es nicht gut, wenn du die Frau des Primären zur Frau nähmest?« Der Vater sagte: »0 Gott! Gut, meine Tochter, ich würde sie nehmen, aber sie nimmt mich ja nicht; denn ich bin ein armer Mann, und sie ist reich. Heute, morgen oder übermorgen würde sie mir die Augen auskratzen und mich aus dem Hause



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werfen. Sie bedeutet etwas, sie hat Geld. Wäre es für mich nicht eine Schande, wenn sie mich wie einen Hund aus dem Hause jagte? Ich muß mir eine Arme suchen, die ebensowenig hat wie ich. Besser, ich bin arm und wir haben gerade so viel zum Essen, wie wir bedürfen, als daß ich mich von einer Reichen schlecht behandeln lasse.« Doch im stillen fragte sich der Vater: Was soll ich machen? Das Mädchen sagte seinem Vater: »Ich habe schon mit der Frau des Primären gesprochen. Nun sprich du noch mit ihr!« — »Gut, ich will es dir zu Gefallen tun, aber du wirst es später einsehen, wie unrecht ich gehandelt habe, wenn du dich mit der Tochter zanken wirst. Es wird für dich schlecht auslaufen, weniger für mich. Ihr werdet euch nicht mehr vertragen.«

Der arme Zigeuner nahm die reiche Primarsfrau, feierte mit ihr Hochzeit und zog mit seiner Tochter in das Haus der Primarin. Aber die beiden Mädchen vertrugen sich von Stund an tatsächlich nicht mehr. Wie ihr Vater vorausgesagt hatte, so war es eingetroffen. Immer gab es Streit, bis schließlich seine Frau verlangte, daß er sofort seine Tochter verstoße und sich von ihr trenne, damit das Mädchen des einen nicht mehr mit dem der anderen zusammensitze. Er sagte zu seiner Tochter: »Siehst du, was sagte ich dir? Du kommst noch dahin, daß du mir recht gibst, die ganze Welt wird über uns lachen. Wäre es nicht besser gewesen, ich lebte mit einer Armen zusammen? Siehst du, daß du nicht gut mit ihrer Tochter leben kannst, du wirst schon noch dahinter kommen! Sie sagt, ich soll dich verstoßen.« Das Mädchen erwiderte: »So verstoße mich nur, denn ich habe die Schuld, ich habe dir nicht gehorcht. Wie du gesagt, so ist es gekommen.« Seine Frau drang darauf und stellte ihn vor das Entweder - oder. So sprach sie eines Tages: »Verstößt du um meinetwillen deine Tochter oder nicht?« Bei diesen Worten fing der Alte an zu weinen; er erhob sich und richtete zu Gott ein Gebet. Dann sagte er zu seiner Tochter: »Los, mach dich fertig, wir wollen gehen!« Das Mädchen fragte: »Wohin, Vater?« — »Wir wollen



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Holz holen.« — »Schön, Vater, laß uns Holz aus dem Walde herbeischaffen!« So brachen sie beide auf. Sie wanderte mit ihrem Vater tief in den Wald hinein, da kamen sie an eine ganz öde Stelle, wo kein Gras und auch sonst nichts wuchs. Von da gelangten sie in einen noch größeren Wald. Jetzt trennten sie sich, sie suchten alle beide Holz an verschiedenen Orten. Die Tochter achtete nicht darauf, daß sie sich immer mehr von ihrem Vater entfernte. Plötzlich wurde sie gewahr, daß sie ganz allein war. Ihr Vater war nicht zu erblicken, so sehr sie auch rief, es antwortete ihr keine Stimme, nur das leere Echo gab ihren Ruf zurück. Ihr Vater hatte sich heimlich von seiner Tochter entfernt, er hatte ihr noch gesagt: »Suche fleißig Holz, wir haben keine Zeit, wir müssen noch vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein, die Nacht kommt schnell.«

Nichts ahnend hatte sie vertrocknetes Krüppelholz gesammelt und war so eifrig dabei gewesen, daß sie gar nicht auf ihren Vater geachtet hatte. Er ließ das Mädchen im Walde allein zurück. Es rief und rief nach seinem Vater, bis es sich die Kehle ganz heiser geschrieen hatte. Da merkte das Mädchen, daß sein Vater es verlassen hatte. »Sei du, lieber Gott, mit mir, ich bin von meinem Vater im Stich gelassen, aber ich kann ihm keine Schuld geben; denn er hatte mir gesagt, daß er sich nicht wieder verheiraten wollte. Ach wie schlimm ist es jetzt mit mir, daß ich nun hier bin und mit den Tieren zusammen essen muß!« Drei Tage und drei Nächte saß sie im Walde und weinte. »Lieber Gott, warum schickst du nicht ein wildes Tier, das mich frißt, ich kann hier nicht mehr leben.« Und was für ein schönes Mädchen war es! Wie leuchtete ihm die Schönheit auf dem Angesicht, es trug den Mond auf der Brust und die Sonne auf dem Rücken, so schön war es.

Ober Nacht kam ein Gewitter. Der Sturm riß die Aste und Zweige unter großem Krachen herunter. Ganz unheimlich war es dem Mädchen zumute. Es sagte: »Nun ist es vorbei mit mir, ich werde wohl sterben müssen«, und jammerte. Das



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Gewitter kam immer näher und näher, jeden Augenblick dachte es: Jetzt werde ich erschlagen. Aber siehe da! Es kam ein Sturm und nahm das Mädchen mit hinweg und hob es empor und trug es in einen wunderschönen Garten, der einem Kaisersohn gehörte. Dieser Kaisersohn suchte gerade eine Braut. Er hatte schon lange gesucht, aber alle Mädchen, die er gesehen hatte, gefielen ihm nicht. In seinem ganzen Reiche war kein einziges schönes Mädchen. Da hatte ihm der Gewittersturm über Nacht eines zugeführt, das so schön war wie keines auf der weiten Welt. Nachdem der Sturm es in dem Garten niedergesetzt und das Mädchen sich ein wenig von dem Schrecken erholt hatte, schaute es sich im Garten um. Es konnte aber nichts erblicken; denn es war noch Nacht. Ganz in der Ferne sah es ein Licht. Das schöne Mädchen wunderte sich, wie dieses Licht in einen Garten käme. Was für ein Garten mag das sein! Es wird doch nicht gar Feuer ausgebrochen sein! Wie das Mädchen so nachdachte, da erblickte der Kaisersohn diese wunderbare Schönheit, die mitten in der Nacht Strahlen der Sonne und des Mondes aussandte. Er war darob ganz erschrocken, er bekreuzigte sich schnell und rief: »Lieber Gott, welches Wunder! Es wird doch nicht ein Heiliger sein, der sich in meinen Garten verirrt hat!« Und er lief, so schnell er nur laufen konnte, zu seiner Mutter und erzählte ihr, was er im Garten gesehen hatte: »Mutter, Mutter, was ist bloß in eurem Garten? Ich habe etwas ganz Furchtbares gesehen!« Da sagte die Mutter: »Komm mit mir und zeig es mir, ich will es sehen!« — »Nein, Mutter, das ist nichts für dich, wenn du es sähest, du würdest dich zu Tode erschrecken, laß mich noch einmal hingehen; ich werde eine Waffe mitnehmen und rufen: >Wer bist du, der du dich in meinen Garten verirrt hast, antworte mir! Wenn du mir nicht antwortest, werde ich auf dich schießen, wenn du nicht beim dritten Male geantwortet hast, wirst du erschossen sein.« Und er ging in den Garten. Er rief dreimal. Und beim dritten Male antwortete das Mädchen. Darauf öffnete der Kaisersohn die kleine



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Gartenpforte. Als er es an sich vorbeiließ, konnte er sich gar nicht satt sehen an der Schönheit des Mädchens.

Da sagte der Kaisersohn zu dem schönen Mädchen: »Ach, schönes Mädchen, komm doch ein wenig näher!« — »Ich kann nicht kommen.« — »Warum nicht?« fragte sie der junge Held. »Ich habe keine Kleider an, ich hülle mich nur in mein eigenes Haar ein.« Als der Kaisersohn dies hörte, ging er sogleich und holte Kleider und einen Mantel, kehrte damit zu dem Mädchen zurück und hüllte es in die Kleider. Er trug es sodann behutsam in das Haus. Es war von ihm schwanger geworden.

Des Morgens holte er allerlei schöne Frauengewänder herbei und schmückte es damit, dann rief er seine Mutter, daß sie das schöne Mädchen sehe. »Ei Mutter, siehst du, wer sie ist, wie schön sie ausschaut! Mir ist ganz von selbst eine Gemahlin ins Haus gekommen, wie von Gott ist sie mir geschickt.« Die Mutter aber sagte: »Bist du ein Narr, was für eine Wilde aus dem Walde hast du da!« Das Mädchen setzte sich mit dem jungen Helden in die Stube, wo es ihm alles erzählte, wie es sich zugetragen hatte. Dem Kaisersohn war das Mädchen zugetan, aber für seine Mutter konnte sie keine Liebe empfinden, und auch die Kaiserin nicht zu dem Mädchen; am liebsten hätte die Kaiserin dem Mädchen die Augen ausgekratzt, so wütend war sie. Aber der Knabe sagte zu seiner Mutter: »Wie es auch sei, ich habe eine Gemahlin gefunden, die mir gefällt.« — »Das ist deine Sache, das mußt du mit dir selbst abmachen.« Wieder war sie schwanger geworden, und nach der bestimmten Zeit gebar sie. Als ihr Gemahl nicht zu Hause war und nur die Mutter allein da war, kam ihre Stunde. Die Schwiegermutter, die Kaiserin, bekümmerte sich selbst um sie und half bei der Geburt. Und siehe, zweien Kinderchen schenkte sie auf einmal das Leben, einem Jungen und einem Mädchen. Aber was tat die Kaiserin? Sie ließ schnell zwei kleine Kästchen machen, legte die Neugeborenen hinein und warf sie lebendig ins fließende Wasser. Anstelle der Kinderchen legte sie heimlich zwei junge



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Hunde neben ihre Schwiegertochter, die sich noch unter den fürchterlichsten Schmerzen wand wie ein Wurm und nicht bemerkte, was um sie her vorging. Die Kaiserin, die ihr nur Böses zufügen wollte, zeigte sie der jungen Mutter: »Hier sieh mal, was du geboren hast! Wilde haarige Tiere hast du geboren; ich werde deinem Gatten Kunde davon geben, was du ihm geschenkt hast.« Sie sandte sogleich einen Boten mit einem Briefe aus. Der Kaisersohn las die Nachricht. In dem Briefe stand: »Siehst du wohl, was dir deine Wilde geboren hat: zwei Hunde!« Er ließ der Kaiserin zurückberichten: Was auch immer geschehen sei, seine Mutter solle seine Gemahlin im Hause lassen, bis er zurück sei. Doch die Kinderchen, die die Kaiserin auf dem Wasser ausgesetzt hatte, waren nicht ertrunken, sondern lebten.

Auf ihrer Reise auf dem Wasser waren die Kästchen an einer Mühle hängengeblieben. Ein Müller, der zufällig Mais mahlte, hielt die Kästchen auf und zog sie aus dem Wasser. Als er sie öffnete, hörte er aus den Kästchen »Papa, Papa« rufen, und die Kinder streckten dem Müller ihre kleinen Händchen entgegen. Er nahm sie an seine Brust und brachte sie mit nach Hause. Als seine Frau ihn mit den zwei Kindern sah, schrie sie ihn an: »Ist es nicht genug, haben wir nicht schon eine Hetze Kinder? Warum hast du denn die noch mitgebracht?« — »Ach Frau, laß sie doch bei uns, wo zehn Kinder essen, da wird auch noch etwas für die zwei übrig sein, ich will sie schon noch mit durchfüttern.« Aber seine Frau wollte sie nicht aufnehmen, sie sagte: »Sie werden tüchtig essen, du wirst es sehen. Gib du ihnen nur zu essen, du wirst schon sehen, wo du hinkommst; du hast noch nicht einmal für deine eigenen Kinder etwas zu essen, und gar für diese hier!« — »Ach Frau, laß sie nur, ich will es schon schaffen.« Der Müller hatte ein gutes Herz. Er und die Seinen mußten mit zwei Pfund Mehl am Tag auskommen, die er als Entgelt für das Ausmahlen des Getreides von den Bauern erhielt. Aber zwei Pfund Mehl für eine so große Familie, das ist herzlich wenig!



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Es war ein Wunder, daß alle zwölf Kinder bei dieser Nahrung am Leben blieben. Sie wurden groß, der Müller schickte sie in die Schule, sie lernten lesen und schreiben. Und siehe da, was seine eigenen Kinder in einem Jahre lernten, das schafften die zwei in zwei Monaten. Die Kinder vertrugen sich mit den anderen nicht, immer gab es Zank und Streit. Schließlich weigerten sich seine eigenen Kinder, mit den angenommenen zusammen zu gehen. Trotzdem der Müller sie tüchtig prügelte, es half nicht. »Wie sind nur diese Kinder geraten?« Er konnte sie nicht mehr beieinander lassen, sie prügelten sich jeden Tag. Um ein Unglück zu verhüten, nahm der Müller sie mit in die Mühle und baute ihnen ein Bordeiu. 1

Jetzt machten sich diese beiden Kinder einen Bogen aus dem Haar des Mädchens und waren den ganzen lieben Tag auf der Jagd. Was sie über ihren Bedarf erjagten, gaben sie dem Müller, ihrem Pflegevater, ab. So brachten sie ihrem Vater und einer Schwester zwei Hühner mit; die anderen Geschwister und auch ihre Pflegemutter gingen leer aus.

Inzwischen hatte ihre alte Großmutter, die Kaiserin, erfahren, daß die Kinder noch am Leben seien. Sie ließ eine alte Frau zu sich kommen und schickte sie jeden Tag zum Müller. Jeden Tag kam sie in das Bordeiu, das den beiden Geschwistern als Wohnung diente, und fragte die Schwester: »Wo ist dein Bruder?« — »Er ist nicht hier, er ist auf der Jagd.« — »Wenn er jeden Tag jagt, dann muß er aber ein tüchtiger Jäger werden; sag ihm nur, er kann gar noch ein Wunder vollbringender Held werden, wenn er die Diamantenquelle herbeischaffen kann.« Nun brach die Alte von dort wieder auf. Endlich kam der Bruder. Die Schwester machte alles zurecht, daß sie essen konnten. Nach vielen anderen Fragen, was sich in seiner Abwesenheit zugetragen hätte, fragte auch ihr Bruder sie: »Wer ist noch hier gewesen, während ich fort war?« — »Nur eine alte Frau - eine reiche Frau - ist noch gekommen.« — »Was hat sie dir gesagt?« — »Sie hat mir 1 eine halb unterirdische, auf dem Balkan landesübliche Behausung.



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gesagt, daß du ein großer Held bist, und du würdest ein noch viel größerer Held, wenn es dir gelänge, die Diamantenquelle herbeizuschaffen.« Der Knabe machte sich gleich auf den Weg und ging in den Wald, wo die Diamantenquelle sein sollte. Auf dem Wege durch den dunklen Wald kam ihm ein Hase entgegengelaufen. Er setzte sich nieder und wollte essen, da setzte sich auch der Hase zu ihm. »Los, mein lieber Hase, wir wollen alle beide speisen!« Da aßen und tranken sie zusammen. Der Hase fing an zu sprechen: »Wohin willst du denn, junger Mann?« — »Ich will zu einer Quelle, die Diamanten aussprudeln soll.« — »Zu welchem Zwecke willst du denn dorthin?« — »Ich will sie von dort wegnehmen und zu einer Kaiserin bringen.« Da bot ihm der Hase seine Hilfe an und sagte: »Ich werde dir dabei behilflich sein, aber ich glaube nicht, daß du sie holen kannst. Sie wird dich gleich in Stein verwandeln, damit du niemals wiederkommen kannst. Ich werde dir mein Pferd geben.« Dieser Hase war nämlich der zukünftige Gemahl der Quelle. Seitdem das Mädchen verzaubert war, war es in eine Quelle verwandelt, damit niemand es erkennen sollte. Den Hasen hatte das gleiche Schicksal wie die Quelle getroffen. Auch er war verzaubert; im gleichen Augenblick, wie er das Mädchen zu seiner Frau machen wollte, wurde er ein Hase und hielt sich nun im Walde in der Nähe der Quelle auf. Er sollte der Gemahl des Mädchens werden, wenn der Zauber gelöst wäre. Da begann nun der junge Held zu weinen. Der Hase erkannte, daß es ein Verwandter war, der das in eine Quelle verwandelte Mädchen, die Tochter des armen Mannes, holen wollte. Sie gingen zu der alten Mutter des Waldes. Sie solle Mitleid mit ihm haben und ihn nicht in einen Felsen verwandeln. Er tat ihr um seiner Mutter willen leid. Die Mutter des Waldes war gerade die Mutter jenes anderen Mädchens des armen Mannes. »Nimm mein Pferd und auch diesen Brief von mir. Wenn du ganz dicht mit dem Pferde an die Quelle herangekommen bist, dann hole den Brief hervor und lies ihn,



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während du auf sie zureitest.« So sagte die Mutter des Waldes. Der Knabe nahm den Brief und brach auf. Er gelangte zur Quelle. Als er in Sehweite war, fing er an zu lesen. Je weiter er aber las, desto mehr verwandelte er und das Pferd sich zu Stein. Da erblickte ihn die Quelle. »0 weh, es kommt mein Verwandter zu mir«, dachte sie, weil er auch zu Stein wurde. »Da werde ich wohl gleich erlöst, aber wie soll ich nur mit ihm mitgehen?« Während sie das dachte, hatte sie ihn schon zu Stein verwandelt und ebenso das Pferd. Da kam zufällig ein Mädchen an die Quelle und wollte Wasser schöpfen und besprengte den Stein mit Wasser.

Da fiel das steinerne Gewand von dem Knaben, und er wurde wieder in einen Menschen verwandelt. Nachdem er wieder ins Leben gerufen war, fragte die Quelle ihn: »Was suchst du hier?« — »Und du, wer bist du?« — »Was fragst du mich?« — »Warum soll ich dich nicht fragen?« — »Ich bin die Quelle, rede nicht weiter mit mir.« — »Dieses Mädchen hat mich wieder zu einem menschlichen Wesen gemacht, damit ich mit dir sprechen kann.« — »Zu welchem Zwecke bist du denn eigentlich gekommen?« Da sagte der Knabe: »Um die Quelle zu holen.« — »Ich bin die Quelle! Was willst du denn von mir?« — »Ich will dich zu meiner Gemahlin machen.« Da fing sie an zu lachen. »Du! Und ich deine Frau! Haidi, ich gehe mit dir!« Sie brachen gemeinsam auf und gelangten wieder in den Wald, und siehe da, da kam vor ihnen ein Hase heraus. »Hei Hase, komm ein bißchen her, wir wollen zusammen essen!« Wieder setzte sich der Hase mit ihm zum Mahle nieder. Als der Hase die Quelle sah, sagte er zum jungen Held: »Bin ich dir nicht wohlgesinnt gewesen, habe ich dir nicht Gutes getan? Jetzt mußt du mir etwas Gutes tun.« Bei diesen Worten blickte die Quelle auf den Hasen und fragte den jungen Helden ganz verwundert: »Was sagte der Hase zu dir?« — »Ach, sagt der Hase, habe ich dir nicht Gutes getan, was tust du mir jetzt Gutes?« Da wandte sich der junge Held zum Hasen und fragte ihn: »Was willst du,



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daß ich dir tue?« — »Haue mir den Kopf ab.« — »Ich soll dir den Kopf abhauen? Das ist doch wohl nicht möglich. Wie kann ich dir Gutes tun, wenn ich dir den Kopf abhaue?« Der Hase antwortete: »Das bedeutet, daß du mir nicht Gutes tun willst.« Er erhob sich und ging. Da fiel ihm die Quelle ins Wort und fragte den Helden: »Warum willst du ihm denn nicht den Kopf abhauen, vielleicht ruht auf ihm auch so ein Fluch wie auf mir, hau ihm den Kopf ab.« Der Knabe hörte die Quelle an, und ohne ein Wort zu sagen, zog er seinen Säbel und hieb mit einem Schlage dem Hasen den Kopf ab. Im gleichen Augenblick wurde aus dem Hasen ein Kaisersohn, der, als er die Quelle erblickte, sie herzlich küßte. So hatte sich der Zauberbann gelöst. Der Knabe sah dies und sagte sich, es sei ja nur aus Freundschaft geschehen. »Laßt mich mit Euch zum Schlosse gehen!« Als sie zum Bordeiu der Schwester des Helden kamen, gaben sich die Quelle, der Hase und der junge Held die Hand und wollten Abschied nehmen. »Bleibt bei uns!« Sie blieben. Sie gingen weiter und gelangten in eine Stadt, gerade an den Hof des Kaisers. Die Mutter der Kinder war bestraft worden. An dem Tor stand geschrieben: »Wer hier vorbeigeht, soll seinen ganzen Speichel auf die Schuldige ausspeien, denn die Wilde, die ihr hier seht, hat zwei Hunde geboren.« Sie gingen alle durch das Tor. Als der junge Held sie an der Türe sah, war er im Begriff, seine leibliche Mutter, die er nicht kannte, anzuspucken. Doch die Quelle hielt ihn zurück. »Warum?« fragte er sie. »Ein Mann braucht nicht auf die arme Frau zu speien.« Der Wachtposten, der an dem Tore stand, sah, daß alle vier Personen nicht gespien hatten. Er forderte sie auf, dem Befehle nachzukommen und zu speien. »Ihr seid verhaftet!« — »Warum?« — »Habt ihr nicht an der Tür gelesen, daß jedermann, der vorübergeht, diese Frau anspeien soll?« — »Jawohl, wir haben's gelesen.« — »Nun, dann müßt ihr mit in Haft.« Man sperrte sie ein. Der Kaiser sah es gerade, wie sie abgeführt wurden. Trotzdem ließ er sie drei Tage und vier Nächte hinter Schloß



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und Riegel sitzen. Am dritten Tage ließ er sich die drei Personen vorführen, um sie zu richten. Man stellte sie der Reihe nach auf, dann fragte er sie: »Könnt ihr lesen?« —»Jawohl!« antworteten sie. »Ihr seid vorübergegangen und habt gelesen, was am Tore geschrieben stand.« Da trat die Quelle vor und sagte: »Jawohl!« — »Nun, warum habt ihr dann auf die Schuldige nicht euren Speichel gespieen?« — »Warum?« sagte die Quelle, »sie ist ja unschuldig!« — »Woher willst du denn das wissen?« — »Ich weiß das allzugut! Geziemt es sich für ein Kind, seine eigene Mutter anzuspucken? Wie darf die Schwester die Schwester, der Sohn die Mutter, die Tochter die Mutter und ein Schwager seine Schwägerin so behandeln?« Der Kaiser konnte nicht fassen, was die Quelle zu ihm sagte. Ganz entsetzt fragte er sie: »Was, wie, warum? Sag es mir noch einmal, was du eben gesagt hast.« Und die Quelle wiederholte mit denselben Worten, was sie eben gesagt hatte. »Das ist die Wahrheit, sie hat nichts verbrochen!« — »Wie, warum nichts verbrochen?« — »Rufe die Frau sofort hierher, wir wollen sie ausforschen, was sich bei der Geburt zugetragen hat.« Man holte die Verurteilte von dem Tore. Der Kaiser fragte sie: »Wie ist es gekommen, daß du zwei Hunde geboren hast, Verurteilte, ist es die Wahrheit?« Da antwortete sie ihm aus Furcht: »Ja!« — »Da siehst du nun«, sagte der Kaiser zur Quelle, »da hast du nun den Beweis. Hat sie nicht Hunde geboren?« — »Und doch hat sie Kinder geboren und nicht Hunde!« Da schickte die Quelle nach dem Müller, der die Kinder gerettet hatte. Er kam, und an Ort und Stelle wurde der Müller gefragt: »Was hast du damals bei deiner Mühle gefunden?« — »Zwei Kinder, die auf dem Wasser ausgesetzt waren.« — »Habt Ihr vernommen, Majestät, daß er zwei Kinder gefunden hat?« — »Jawohl, zwei Kinder, die in zwei Kästchen gelegt waren.« — »Hört, hört, Majestät, was der Müller sagt!« sprach triumphierend die Quelle, »und dieses sind die Kinder, so wie ihre Mutter es auch sagt. Hat eine Mutter nicht Augen für ihre Kinder? Ich bin hergekommen,



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um Euch ihre Unschuld zu beweisen.« Da befahl der Kaiser, daß man die Verurteilte freilasse, und er sprach sie vor versammelter Menge von ihrer Schuld frei. Er ließ sie schmücken und erhob sie zum zweiten Male zu seiner Gattin. Dann rief er seine Mutter und erklärte ihr den ganzen Sachverhalt. »Sieh her, dieses sind die Kinder, die du ausgesetzt hast, und jener Müller dort hat sie aufgenommen, und bei ihm sind sie groß geworden.« Vor Schreck erblaßte die Kaiserin, seine Mutter. Ihr Sohn aber könnte sich nicht mäßigen und tötete vor Wut seine eigene Mutter. »Warum hast du mich betrogen und hast gesagt, daß meine Gemahlin Hunde geboren habe? Dich mag nun die Schmach und die Schande treffen, die meine unschuldige Gemahlin bis jetzt getroffen hat, indem alle Welt sie anspie!« Geschmückt führte er die Freigesprochene, seine wiedergewonnene Frau, als Kaiserin vor der Menge zum Throne. Der Kaiser veranstaltete ein großes Fest, sie aßen und tranken. Zum Zeichen, daß ich auch dabei war, habe ich euch diesen Knochen vom Mahle mitgebracht. Woher ich gekommen bin, habe ich euch erzählt.


Copyright: arpa, 2015.

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