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Die deutschen Volks-Bücher


wiedererzählt von Gustav Schwab


Die vier Haimonskinder



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In den alten Geschichten finden wir beschrieben, wie Kaiser Karolus mit großer Feierlichkeit als König von Frankreich gekrönet wurde; es kamen dazu die vornehmsten Fürsten der ganzen Welt, sowohl geistliche als weltliche, die päpstliche Heiligkeit, der Patriarch von Jerusalem: alle Kardinäle, Bischöfe und andere Prälaten, dazu zwölf gekrönte Könige, einundzwanzig Herzoge, viele Grafen, tausend Ritter und fünftausend Edelleute, samt vielen Frauen und Jungfrauen hohen und niedern Standes, Adel und Unadel, auf das allerstattlichste, und waren in allerlei Farben gekleidet. Nachdem dieses Königsfest viele Tage angehalten, so entfernten sich die hohen Herrschaften nach und nach wieder in ihr Heimwesen.

Weil nun also Kaiser Karl im Brauch hatte, daß er alle Jahr auf das Fest der Pfingsten ein stattliches Bankett hielt, hat er es auch nach seiner Krönung nicht unterlassen wollen, sondern ein gleiches in der Stadt Paris aufgestellt, auf welchem allerdings, was man nur erdenken konnte und was dazu gehörig, in Fülle zu finden war. Nun befand sich zu dieser Zeit daselbst ein hochgeborner Fürst, von dem Geschlechte Bourbon, mit Namen Haimon von Dordone, der dem Könige viel treue Dienste gegen die Heiden geleistet. Dieser war sehr reich an Ländern, Schlössern und Städten, dazu ein strenger Mann, wohl erfahren im Krieg und andern ritterlichen Taten, also daß fast seinesgleichen nicht gefunden wurde. Darum wurde er nicht allein von seinen Untertanen gefürchtet, sondern auch der Kaiser und die Herren von Frankreich scheueten ihn wegen seines Ernstes und seiner Ritterlichkeit. Kaiser Karl der Große, der nun König von Frankreich war, saß mit seiner Krone in aller Majestät und Herrlichkeit zu Tische, die Königin an seiner Seite; an einem andern Tische saßen viele vornehme Fürsten und Herren, samt dem ganzen Adel und



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der Ritterschaft von Frankreich, und zwischen zweien Herren allemal eine schöne Dame, alles herrlich und fein anzusehen. Auch waren daselbst viele junge Edelleute, welche aufwarten mußten, und ein jeglicher befleißigte sich, damit an Essen und Trinken nichts mangelte. An einem der Tische befand sich Haimon von Dordone mit seinen Freunden und Rittern, desgleichen Haimerin von Bourbon und Hugo von Bourbon, welcher Haimons Schwestersohn und ein außerordentlich schöner Jüngling war; er hatte ein goldgelbes Haar und war gar wohl beredt und in allerlei fremden Sprachen erfahren. Hugo nun stand von seinem Tisch auf, ging zu dem König und sprach mit freundlichen Worten und mit gebührender Ehrerbietung: "Allergnädigster Herr und König, es ist ohne Zweifel Euer Majestät wohl bewußt, daß allhier meine lieben Vettern, Haimon von Dordone und Haimerin von Bourbon, erschienen sind, welche alle beide Eurer Majestät ritterlich und getreulich gedient haben gegen die Heiden, haben beinahe ganz Hispanien bezwungen und viel Gefahren ihres Lebens ausgestanden, welches sie Eurer Majestät gerne getan, und wofür sie noch keine Belobung empfangen haben. Deswegen begehren sie, es wolle sie Eure Majestät doch einer Gnade würdigen oder aufs wenigste mit ihren eigenen Gütern belehnen, damit sie ihre Standeswürde desto besser wahren mögen." Als König Karl diese Rede des Jünglings angehört, sprach er mit zornigem Gemüte zu Hugo von Bourbon: "Deine Forderung ist vergebens; sie hatten solches oftmals von mir begehrt, aber ich habe ihnen nichts geben wollen, wie ich ihnen auch nichts geben will, sie mögen anfangen, was sie wollen." Als der König ausgeredet hatte, sprach Hugo von Bourbon gar ernsthaft zu dem König: "Gnädigster Herr König, so Eure Majestät meine Vettern für ihre treue Dienste unbelohnt lässet, wird solches Eurer Majestät eine geringe Ehre und Gunst bei andern Herren und Fürsten zuwege bringen!" Als König Karl solche Rede vernahm, ward er im Zorn ergrimmet , ergriff sein Schwert und schlug den Hugo so, daß er zur Erde fiel und alsbald starb; und der Saal ward mit Blut erfüllet, worüber ein groß Geschrei unter den Edeln und Herren entstand, daß alle Tische über den Haufen geworfen wurden mit allem, was darauf war. Und daraus entspann sich eine große Fehde.



***
Denn als Hugo von Bourbon von König Karl so jämmerlich entleibt worden, so veränderte sich alle Freud in große Traurigkeit, sonderlich bei Graf Haimon und Haimerin, welche schwuren, sie wollten den Tod ihres Vetters rächen, und sollte kein Stein auf dem andern in ganz Frankreich bleiben,



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und man sollte davon zu sagen wissen, solang die Welt stehe. Darauf rüstete sich Haimon alsbald und brachte dreihundert auserlesene Ritter, die er in seinem Lande aufbringen konnte; desgleichen tat König Karl mit allen seinen Freunden, versammelte sein Volk in der Eil und ließ sein Fähnlein fliegen, darunter hatte er tausend Mann, wohl gerüstet und gewappnet. Noch bekam er Hilfe von Mailand; denn das war unter seiner Herrschaft; zudem hatte er etliche Flaminger, Brabanter, Deutsche und Friesen, brachte also manchen tapfern Mann zu Felde. Mit solchem Volk zog nun König Karl aus, den Haimon mit seinen Freunden und seinem Kriegsheer zu erschlagen, ihr Land zu verbrennen und zu verwüsten. Haimon aber hatte nur jene dreihundert Mann, und diese waren meistenteils große Herren, Herzoge, Grafen, Ritter und Edelleute, mit denen ritt er mit aufgestecktem Fähnlein zum Tor hinaus. Sie bliesen dermaßen ihre Trompeten, daß man vermeinte, es hätte gedonnert; dann rief er mit voller Stimme: "Bourbon, Bourbon!" Als Haimon mit seinem Volk bei König Karls Lager ankam, wo dieser sein Heer in Schlachtordnung gestellt hatte, fiel er ihn mit Gewalt an, schlug tapfer drein, daß den Rittern zu beiden Seiten ihre Speere zersprangen; und von des Königs Volk stürzten viel von den Pferden und blieben tot. Da Haimon solches merkte; rief er sein Volk an, machte ihnen Herz und sprach: "Ihr Herrn Herzoge, Grafen, Barone und Edelleute, wehret euch ritterlich, wir haben den Streit schier gewonnen; helfet mir den Tod meines Vetters Hugo rächen, ich frage nicht darnach, ob ich auch auf der Walstatt bleiben" Und Haimerin von Bourbon sagte: "Das will ich auch tun; Leib, Gut und Leben will ich wagen und aufs Spiel setzen!"

Da versammelte sich Haimons Volk wiederum und wehreten sich so ritterlich, daß die Speere samt ihren Wehren meist alle zersprangen, und schlugen König Karls Leute zur Erden, also daß man da viel Volk erschlagen sah, von Grafen und Herren, und die Pferde bei zwanzig oder dreißig auf dem Felde ledig liefen.

Die von Bourbon stritten so tapfer, als wenn Haimon ihr Vater gewesen wäre, und der Kampf währte in die Nacht hinein, bis sie nicht mehr konnten. König Karl verlor von den Seinigen tausend Mann, der Graf Haimon nur etwa dreißig. Also kostete Hugos Tod manchen Herren und Edelmann, und manches schöne Schloß war deshalb verheert und eingerissen und alles verbrannt. Da sprach König Karl mit zornigem Mut: "Ich gelobe Gott und seiner Macht, ich will sie allhie nicht länger bleiben lassen; ich will sie aus dem Lande vertreiben und sie verbannen



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samt ihren Freunden!" Und also nahm er ihnen ihre Güter. Darauf ließ er alle Obersten, Herzoge, Grafen, Barone und Ratsherren zusammenfordern und zu Rat sitzen wider Haimon und seine Freunde. Diese wurden für Räuber erklärt durch das ganze Land. Als solches ruchbar ward, mußte Haimon samt seinen Freunden und Mithelfern das Land räumen und solches in höchster Eile. Da nahm er mit sich achthundert Ritter, die allerbesten und auserlesensten Männer: die packten soviel Gut auf, als sie fortbringen konnten; denn sie wußten wohl, daß sie König Karls Macht nicht widerstreben könnten. Als nun Haimon mit den Seinigen aus dem Lande war, nahm der König alle ihre Güter und gab sie, wem er wollte. Solches verdroß Haimons Volk sehr, daß sie als vertriebene Leute sich mußten in den Wäldern aufhalten; sie fielen deswegen des Nachts heraus, raubten, plünderten und verbrannten alles, was sie außerhalb verschlossener Mauern fanden, und verschonten nichts, die Klöster so wenig als andere Häuser, schlugen Mönche und Nonnen bis gen Paris zu Tode. Haimon hatte einen Vetter bei sich, genannt Malegys, einen stolzen Ritter, wohl erfahren als Schwarzkünstler, der großen Schaden tat. Was sie von Gold und Silber erbeuteten, damit ließen sie ihre Pferde beschlagen, und der Krieg währte sieben Jahre.



***
Diese langwierige Fehde war den Franzosen verdrießlich; sie wurden daher einig und gingen zu Rate, daß sie bei dem König anhalten wollten, damit er Frieden mit Haimon und seinem Volke machte. Als sie solches beschlossen hatten, zogen sie zu König Karl, grüßten ihn mit höchster Ehrerbietung und sprachen: "Großmächtigster König! Euer Majestät wissen ohne Zweifel wohl, wie lange der Krieg gewähret, wir bitten, Euer Majestät wolle doch Frieden mit Haimon machen; denn das ganze Land wird von ihm verheert und zugrunde gerichtet." Als König Karl solche Rede von seinen Landesherren vernommen, war er ganz unwillig; jedoch bedachte er sich, ließ sich das Bitten zu Herzen gehen und bewilligte ihnen ihre Wünsche. Die Stände des Königreichs beschlossen sofort mit dem Könige, daß er an Haimon und seine Freunde einen gütigen Brief schreiben sollte, des Inhalts, daß er ihm die Übeltat, die er bisher an ihm und seinen Freunden bewiesen, verzeihen wollte, welches auch zur Stunde geschah; denn es ward ein Gesandter an Haimon, welcher zu Pierlamont lag, abgefertigt mit dem Vorschlag, Karl wolle seinen Vetter Hugo neunmal mit Gold auswägen; damit begehrte er Frieden mit ihm. Als Haimon den Inhalt des Briefes eingesehen, dünkte ihn solches, spöttisch und



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seltsam zu sein, und er sprach zu dem Gesandten mit zornigem Gemüt: "Saget eurem König, ich begehre, durchaus keinen Frieden mit ihm einzugehen, sondern will den Krieg mit ihm führen, solang es mir möglich ist; denn ich kann Hugos, meines Vetters, Tod nicht also leicht vergessen !"

Wie die Gesandten diese Antwort von Haimon erhalten, kamen sie wieder zu König Karl und meldeten ihm solches; worauf er sie alsbald wieder mit einem andern Schreiben zu Haimon abfertigte mit dem Erbieten, wenn Haimon mit ihm einen Frieden eingehen würde, so wollte er ihm seine Schwester Aja zur Gemahlin geben mit allen den Gütern, die er ihm und seinen Freunden genommen hätte, und solches los und frei, als ein Erbgut ohne einiges Lehen denn allein von Gott.

Da nun Haimon diese Meinung des Königs hörte, hieß er die Gesandten abtreten: er wolle sich mit seinen Freunden beratschlagen und ihnen gute Antwort geben. Er ließ darauf alsbald seine Verwandte rufen, nämlich Haimerin von Bourbon, Wilhelm von Orleans und alle andere Barone und Edelleute seines Landes, verkündigte ihnen, was ihm König Karl vorgeschlagen hätte, und begehrte, daß sie ihm hierin raten sollten, was ihnen gut dünkte und dem Lande nützlich wäre. Sie antworteten, wenn König Karl das alles halten wollte, was er ihm in dem Schreiben versprochen hätte, so wären sie des also zufrieden. Darauf sandte Haimon den Adelhart und Malegys, seinen Vetter, an König Karl, und ließ ihn fragen, ob er dasjenige alles halten wolle, was er ihm geschrieben hätte, nämlich, daß er ihm seine Schwester Ata zur Gemahlin geben wolle, und was sonst in dem Briefe gemeldet war. So wollte er einen Frieden mit ihm eingehen. Wie Adelhart und Malegys nun zu Paris anlangten, erschienen sie sofort vor dem König und erwiesen ihm gebührende Ehrfurcht; dann richteten sie ihren Auftrag aus, der Tod Hugos könnte nicht vergessen noch der Friede geschlossen werden, der König bewillige denn, was in dem Schreiben gemeldet sei.

Als der König Karl den Brief empfangen, ließ er denselben öffentlich vor seinen Räten lesen; sobald diese den Inhalt vernommen, waren sie dessen wohl zufrieden und begehrten, der König solle darin willfahren, wie er denn auch gerne tat: er ließ Adelhart und Malegys vor sich kommen und sprach zu ihnen, sie sollten wieder nach Hause gehen und Haimon verkündigen, er möge zu Senlis erscheinen, da wolle er mit ihm Frieden schließen; denn er begehre keinen Krieg mehr gegen ihn zu führen.

Mit diesem Bescheide zogen sie wieder nach Pierlamont und zeigten dem



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Haimon des Königs Meinung an. Da rüstete und bekleidete sich alsbald Haimon mit seinen Freunden auf das zierlichste und zogen nach Senlis. Als er nun bei dieser Stadt angelangt war, kam zu ihm König Karl mit seinen Verwandten, samt fünfhundert Rittern. "Mein Freund Haimon", sprach er, "ich habe übel daran getan, daß ich deinen Vetter Hugo er schlagen habe; ich bitte, du wollest mir solches um Gottes und seines lieben Sohnes willen verzeihen; ich will dir ihn neunmal mit Gold auswägen , meine Schwester Aja will ich dir zur Gemahlin geben, samt allen den Gütern, die ich dir genommen, und alles, was du von den Heiden erobern wirst." Als Haimon die Verheißung angehört, ward er mit dem König einig, und sie wurden Freunde.



***
So war der Friede zwischen dem König Karl und Haimon durch die Heirat mit des Königs Schwester geschlossen, und die Hochzeit sollte zu Senlis gehalten werden. Dort führte Haimon die Braut nach christlichem Gebrauch in die Kirche, ließ sich mit ihr einsegnen und ging neben ihr, an der einen Seite den Bischof und an der andern den Grafen Roland. Als das Mahl fertig war, daß man zu Tische sitzen sollte, begehrte Graf Haimon vom König, er möge bei ihm bleiben und dem hochzeitlichen Schmause samt andern Herren und Fürsten, so dazu berufen waren, beiwohnen. Als er aber eine abschlägige Antwort bekam und der König nicht bleiben wollte, sondern sich alsbald nach Paris



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begab, .ward Haimon ganz zornig, nahm sein Gemahl und zog nach Pierlamont; dort hielt er das Hochzeitmahl so überaus herrlich und stattlich und mit solcher Festlichkeit, daß es wohl vierzig Tage und Nächte währte. Als aber der erste Tag vorüber war und die Nacht kam, daß man zu Bette gehen sollte, gedachte Haimon an die Weigerung des Königs, ergriff sein Schwert und schwur bei demselben, er wolle seines Vetters Hugo Tod doch noch rächen und alles erschlagen, was von des Königs Geschlecht wäre. Vor solcher Rede erschrak Frau Aja gar heftig und durfte gleichwohl nichts sagen; denn er war ein ernsthafter und strenger Mann. Sie zeigte sich ganz demütig und lebte in Liebe und Einigkeit mit ihm. Haimon aber blieb darnach nicht lange zu Hause, sondern zog nach seiner Gewohnheit wieder in Krieg gegen die Heiden und wußte nicht; daß seine Gemahlin guter Hoffnung war; denn sie hatte das niemand offenbaret als nur einer Jungfrau. Wie nun die Zeit der Geburt herankam, riet ihr diese, sie sollte sich in ein Jungfrauenkloster begeben und sich darin heimlich halten, bis sie des Kindes erlöst wäre, auch vorgeben, sie wäre eine Pilgerfahrt schuldig, die wollte sie verrichten. Als sie nun im Kloster war, kam die Stunde der Geburt herbei, und Gott gab ihr einen jungen Sohn; den ließ sie stattlich taufen, und er ward Rittsart genannt. Seine Paten waren der Bischof Turpin und Graf Wilhelm: diese bestellten dem Kind heimlich eine Säugmutter und gaben ihm Schreiben mit, daß es ehrlicher Eltern eheliches Kind sei und von hohem Stande. Aber man hielt es geheim, so daß niemand nichts erfahren konnte, wem es zugehörte; denn die Mutter fürchtete sich sehr vor dem Haimon, ihrem Herrn; er war ein strenger Mann und konnte das Kind leicht nach seinem Eid, den er zuvor getan hatte, als von König Karls Geschlechte töten lassen. Mittlerweile kehrte Haimon wieder nach Haus und hatte lange gegen die Heiden gestritten mit seinem eigenen Geld.

Auf denselben Tag, als Haimon wieder zu Hause kam, war Frau Aja auch heimgekommen und hatte sich in der Kirche (nach altem Herkommen) dem Priester gezeigt, und wieder lebten sie in Liebe zusammen. Und Aja ward abermal mit einem jungen Sohne schwanger und hielt es auch gar heimlich wie zuvor und genas des Kindes wieder im Kloster, so daß es niemand erfuhr. Das Kind ward auch in der Stille erzogen und Writsart geheißen. Darnach empfing sie den dritten Sohn, und mit demselben ward eben getan wie mit dem andern, und dieser Adelhart genannt.

Wie nun dieses alles geschehen war, zog Haimon wieder in den Krieg und blieb wohl sieben ganzer Jahre aus; dies machte Frau Aja sehr



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traurig; denn ihr war Botschaft gekommen, daß ihr Gemahl tot wäre. Indem sie nun so traurig war; kam Haimon wieder zu Hause und hatte sieben große Wunden im Krieg empfangen, saß gleichwohl auf seinem Pferd mit Harnisch und Schild am Hals; denn er hatte viel Land und Leute gewonnen , dazu die Dornenkrone unsers lieben Herrn und die Nägel, damit Christus ans Kreuz geheftet war.

Sobald nun Frau Aja vernahm, daß Haimon unterwegs sei, ging sie ihm entgegen, empfing ihn ganz freundlich, umhalsete und küssete ihn und hieß ihn also willkommen sein. Auch er war von Herzen froh, stieg von seinem Pferd und ging mit ihr in seine Burg. Darauf bekam Aja den vierten Sohn, welchen sie Reinold nennen und ihn, wie die vorigen, auch heimlich auferziehen ließ.

Also hatte Haimon vier Söhne, von welchen allen er nichts wußte. Der vierte Sohn war ein schöner junger Held, groß und stark über die andern, gleichwie ein Falk über einen Sperber. Zu dieser Zeit hatte König Karl auch einen Sohn, der hieß Ludwig; dieser Reinold und Ludwig waren gleichen Alters und in einer Größe; als er aber fünfundzwanzig Jahr alt war, überwuchs Reinold den Ludwig schier um einen Fuß, und Ludwig ward nach Hause berufen.



***
Zu derselbigen Zeit nämlich wollte König Karl seinen Sohn Ludwig krönen lassen als König von Frankreich; denn er selbst war nunmehr zu seinem höchsten Alter gekommen. Er ließ deshalb durch seiner Schwester Sohn, welche Berta hieß, die zwölf Genossen von Frankreich berufen, ingleichen die Päpstliche Heiligkeit, die Patriarchen, Bischöfe, Könige, Herzoge und Grafen. Als sie nun beieinander versammelt waren, gebot er Stille, stand auf und sprach: "Ihr Herren allesamt, wie euch Gott alle miteinander hier versammelt: ihr habt den Augenschein jetzt vor euch, wie ich nunmehr zu meinem höchsten Alter gelangt bin und mir das Regiment der Krone Frankreich viel zu schwer wird, also daß ich dem Königreich nicht mehr vorstehen kann, wie ich bisher getan. Es ergeht an euch derohalben meine freundliche Bitte, ihr wollet meinen Sohn Ludwig zu einem König annehmen und denselben dafür halten und krönen; denn er ist ein schöner junger Held und kann das Königreich wohl versehen." Als die Herren des Königs Meinung vernommen, erhub sich Bischof Turpin im Namen der andern Herren allen, begehrte Urlaub zu reden und sprach: "Allergnädigster Herr König, solches kann für diesmal noch nicht geschehen; denn Euer Hof ist noch nicht vollkommen." Da fragte der König:



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"Wer mangelt denn noch allhier? Ich meinte, ich hätte die Edelgesteine vom ganzen Lande, dazu die größten Herren, sowohl geistliche als weltliche, der ganzen Christenheit!"Darauf antwortete der Bischof: "Allhier mangelt der allertapferste und kühneste Held der Welt, von hohem Geschlecht und Herkommen, welcher unbezwungen und frei ist und seine Güter von keinem Menschen zu Lehen hat denn allein von Gott."

Da sprach der König: "Das ist Haimon von Dordone, derselbe hat mir große Bedrängnis angetan in meinem Königreich mit Rauben und Brennen , er schlug alles tot, was ihm vorkam und mir zugehörig war, geistliches wie weltliches, er nahm das Gold aus den Kirchen und beschlug damit sein Pferd. Gleichwohl bekenne ich, daß ich keinen tapferern Helden weiß als ihn; hat er doch die Krone und die Nägel unsers Herrn Jesu Christi, womit er gekrönet und an das Kreuz geheftet worden, von den Heiden und Juden erobert. Ich weiß, daß er mir auch den Tod geschworen hat; wenn es aber euch ratsam dünket, daß ich ihn wieder hieher berufen lasse, so will ich nach ihm schicken!" Darauf antwortete Turpin: "Gnädigster Herr König, ich samt diesen Herren allen sehen für gut an, daß Ihr solche Krönung noch vierzig Tage wollt ausstellen und mittlerweile nach Haimon schicken, daß er allhie erscheinen möge; dafür müsset Ihr ihm gut Geleite zusagen auf St. Dionysii Leichnam, und wenn er aus Furcht nicht wollte kommen, so stellet ihm zu Geiseln oder Bürgen die einundzwanzig besten Herren Eures Königreichs." Diesen Rat fand der König gut und fragte den Bischof, wen er am besten zu Haimon schicken möchte, daß er ihm solches ausrichtete. Da hieß der Bischof die Grafen Roland, Wilhelm von Orleans, Bertram und Bernhart vor den König kommen. Die fragte der König, ob sie nach Pierlamont reisen wollten, dem Haimon anzuzeigen, daß er gen Hof käme nach Paris und seinen Sohn Ludwig zum König helfe krönen. Sie bedachten sich und willigten darein; zum Zeichen, daß sie es tun sollten, beschenkte sie der König alle vier je mit einem schönen Pferd, mit allem Zeug von Gold und köstlicher Seide, dazu schenkte er einem jeden auch einen schönen Hut, mit herrlichen Edelsteinen geziert. Wie sie nun alle aufs schönste geschmückt und zu reisen fertig waren, saßen sie auf ihre Pferde; da kam der König, hängte ihnen einen köstlichen Mantel um und gab jedem einen Ölzweig in die Hand. So ritten sie hinweg nach Pierlamont und säumten sich auf dem Wege nicht lange.

Als sie nun nahe zu der Burg kamen, stand Frau Ata von ungefähr an einem Fenster, blickte hinaus ins Feld und sah da die vier Ritter nahen



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und gewahrte bald, wer sie wären. Sie dachte bei sich selbst: "Was mögen die vier Herren hier wollen, ich fürchte, sie eilen in ihren Tod!" Alsobald rief sie dem Torhüter, gab ihm vier schöne Hutschnüre und sagte: "Gehe hin und bringe sie den vier Herren, die da geritten kommen, und gib meinem Vetter Grafen Roland die beste; sage zu ihm: ,Die hat Euch Frau Aja, Eure Base, überschickt."' Als nun diese vier Ritter vor Haimon kamen, hatte er damals bei dreihundert Ritter an seinem Hof und ungefähr hundertunddreißig Mann Fußvolk. Wohlgewaffnet fielen ihm nun die Grafen zu Fuß und bewiesen ihm Ehre, und Graf Roland sprach mit freundlichen Worten: "Gnädigster Herr Haimon, wir kommen als Gesandte von König Karl dem Großen von Frankreich, der begehrt freundlich, es wollen Euer Gnaden nach Paris kommen und seinen Sohn Ludwig zum Könige von Frankreich helfen krönen. Er will allzeit willig sein, Euch diesen Dienst zu vergelten; denn er hat die Krönung wohl gegen vierzig Tage um Euretwillen aufgeschoben."

Haimon, als er diese Botschaft empfangen, veränderte die Farbe und ward zornig, schwieg aber still und sprach kein Wort. Wie er nun keine Antwort von sich gab, redeten sie ihn zum andernmal an, er möge sich erklären, ob er Ludwig wollte helfen krönen oder nicht. Er antwortete abermal nichts. Da sahen die vier Gesandten einander traurig an. Frau Aja wurde auch sehr betrübt, nahm einen silbernen Becher voll Weines und sprach: "Lieber Vetter Roland, nehmet diesen und tut einen Trunk, ich will jetzt Euer Schenk sein." Da nahm Roland den Becher und trank, gab ihn darnach den andern dreien, daß sie auch trinken sollten. Also hieß sie Frau Aja willkommen sein. Darnach sprach sie zu ihrem Gemahl Haimon: "Gnädiger Herr, ich bitte Euch freundlich, wollet diesen vier Herren Antwort geben; denn es sind Eure eigene Verwandte und die Vornehmsten des Königreichs."

Sobald Haimon dieses von seiner Hausfrau hörte, schlug er sie ins Angesicht daß sie darniederfiel. Dies sahen die Herren mit zornigem Gemüt an und halfen der Frau auf. Als sie nun wieder zu sich selbst kam, wischte sie sich den Staub ab, trat wieder zu ihrem Gemahl Haimon, küßte ihn freundlich und sprach: "Gnädiger Herr, ich bitte Euch noch einmal, wollet diesen meinen Vettern Antwort geben."

Haimons Zorn ward etwas gelinder, und er sprach zu seiner Hausfrau: "Herzliebste Hausfrau, wenn ich ja Antwort geben soll, so mag ich wohl sagen, daß ich der unseligste Mann bin auf Erden und Ihr das unseligste Weib, so jemals geboren ist." Da fragte sie: "Warum saget Ihr das, lieber



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Herr?" — "Darum", sagte er, "daß uns Gott nicht so wohl gewollt hat, daß er uns in zwanzig Jahren, die wir beieinander gewesen sind, Leibeserben gegeben hätte, die unser Land und unsre Güter nach unserem Tode besitzen, damit dieselben nicht in unserer Feinde Hände kommen; nun weiß ich gewiß, daß Ludwig nach meinem Tode meine Güter einnehmen wird, und denselben soll ich helfen krönen? Nein, ich begehre nicht, es zu tun; denn ich bin ihm mehr Feind als dem Vater. Ich weiß, und jedermann ist es kundig, wenn sie mich hätten bekommen können, sie ließen mich nicht lange leben!" Da sprach Frau Aja: "Gnädiger Herr, wenn Ihr nun Kinder hättet, wenig oder viele, wolltet Ihr dieselben umbringen?" Darauf sprach Haimon: "Geliebte Hausfrau, ich sage Euch, wenn ich Kinder hätte, ich wollte sie nicht töten, sondern wollte mehr an ihnen tun, als ein Vater schuldig ist, seinen Kindern zu tun." Alsbald sprach Aja: "Fürwahr, gnädiger Herr, dann sind die Worte vergeblich, so Ihr geredet, als Ihr erstmals das Beilager bei mir gehalten: daß Ihr alles töten wollet, was von mir käme! Da antwortete Haimon: "Liebe Hausfrau, böse gezwungene Eide kann man wohl lassen; hätte ich Kinder, so wollte ich fröhlicher sein, als ich jetzo hint" Darauf sprach Frau Aja: "Wollt Ihr mich versichern, gnädiger Herr, daß Ihr ihnen nichts tun werdet , so möchte ich ihrer etliche finden und Euch geben!"

Als Haimon diese Worte gehört kam ihm solches fremd vor, und er sprach: "Ich will dasselbe gern tun, wenn mir Gott die Gnade verleihen wollte; aber ich kann's nicht wohl glauben, daß ich jemals Kinder mit Euch gehabt habe." Da nahm Frau Aja den Grafen bei der Hand und sagte: "Gehet mit mir, ich will sie Euch sehen lassen!" Darüber war Haimon sehr erfreut, und ehe er ging, sprach er zu den vier Rittern und hieß sie willkommen sein; gab ihnen die Hand und begehrte, sie sollten etwas verziehen, er wollte ihnen gute Antwort geben; er müßte erstlich mit seiner Hausfrau hingehen, seine Kinder zu besehen. Er nahm nun Abschied von den vier Grafen und ging mit seiner Gemahlin vor ein schön herrlich Zimmer, da die Söhne beieinander waren. Als Haimon vor das Gemach kam, blieb er ein wenig vor der Türe stehen, ehe er hinzuging; da hörte er, daß Reinold aus verzagtem Mut zu seinem Bruder sagte: "Ich sage dem Hofmeister keinen Dank, der uns allhie zu essen und zu trinken bringt; denn alle Gerichte, die er uns schafft, sind auf eines andern Herrn Tisch übriggeblieben als Brosamen; dazu gibt er uns auch keinen guten Wein; hätte ich den Speisemeister hie, ich wollte ihn so zurichten, er sollte vor meinen Füßen liegenbleiben." Da antwortete Adelhart



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seinem Bruder und sprach: "Bruder, ich bitte, laß ab von solcher Rede, wir können wohl reden untereinander, was wir wollen, aber du weißt, wie unsre Mutter uns befohlen hat, daß wir still sollten sein und nicht viel Wesens machen; denn wir wissen wohl, wer unsere Mutter ist, aber unsern Vater kennen wir nicht; und ich sage Euch, schlüget Ihr des Haimons Speisemeister: er ist so frech und mutig, er ließe Euch in aller Eile umbringen; denn er hat allezeit gewaffnet Volk bei sich; darum laßt solche Worte bleiben; denn Ihr habt unrecht." Da sprach Reinold mit zornigem Mute zu seinem Bruder: "Soll mich Haimon, der graue Hund, töten lassen, das soll ihm der Teufel danken; ich sehe ihn mit seinen gewaffneten Leuten nicht an, ich wollt' ihn mit Fäusten schlagen, daß er sollte liegenbleiben!"

Haimon hörte diese Worte und war dessen froh; er sprach zu seiner Hausfrau: "Das ist gewiß mein Sohn, da zweifle ich gar nicht, aber von den andern weiß ich nichts; will sie einmal probieren, ob sie auch so beherzt sind, als sie scheinen!" und stieß mit einem Fuß an die Tür, daß sie zersprang. Da sprang Reinold auf; ergriff den Haimon, warf ihn über eine Bank zur Erde und sprach: "Was hast du hier zu schaffen, du alter Grauert Ich sage dir; wir haben jetzt Mahlzeit gehalten; wärest du hier gewesen, so hättest du es so gut gehabt als wir."

Da kamen die andern Brüder herzugelaufen, worüber Haimon sehr erschrak und sprach: "Oh, ihr jungen Helden, schlaget mich nicht; ich bin Haimon, euer lieber Vater, und will euch auf den Abend zu Rittern schlagen!" Als das Reinold hörte, sprach er: "O Gott! seid Ihr mein Vater, so wäre es mir von Herzen leid, wenn ich Euch geschlagen hätte", und ließ ihn alsobald aufstehen. Als Haimon auf war, tat er sich höflich bedanken gegen seine Kinder und küßte erstlich den Writsart, darnach den Adelhart und Nittsart. Und als er Reinold küßte, drückte er denselben so freundlich an seine Brust und Wangen, daß dem die Nase blutete; worüber Reinold sehr ergrimmte und sprach: "So wahr mir Gott helfe, wenn Ihr mein Vater nicht wäret, ich wollte Euch dermaßen schlagen, daß Ihr müßtet liegenbleiben!" Darauf redete Haimon: "Mein Sohn, ich erfreue mich jetzt höchlich in meinem Alter, daß dir Gott die Gnade gegeben und dich so lange erhalten hat, daß du magst ein Ritter werden!" Da sprach Frau Aja: "Gnädiger Herr, was unsere Söhne zum ritterlichen Stande bedürfen, als Kleider, Wehr und Waffen, hab ' ich alles machen lassen; darum möget Ihr frei zu meinem Bruder zu Hofe reiten, denn er hat Euch Fried ' und Freiheit zugesagt und geschworen; dessen zum Zeugnis hat



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er die Besten seines Reichs zu Geiseln gesetzt und verbürgt." Aber Haimon antwortete nichts darauf, sondern befahl, man solle den Saal stattlich zurichten, er wolle seine Söhne zu Rittern schlagen.



***
Als nun der Saal zugerüstet und geziert war, kam Haimon herein und ließ eine große sammetne Decke auf die Erde breiten. Dann hieß er seine vier Söhne zu ihm kommen, nahm zuerst den Rittsart vor, kleidete ihn gar statt lich, zog ihm zwei übergoldete Sporen an und gürtete ihm ein Schwert an seine Seite; dann hieß er ihn ins Knie sitzen, schlug ihn zum Ritter und sprach: "Stehe auf, mein Sohn Rittsart, jetzt schlug ich dich zum Ritter, des sollt und mußt du helfen rächen das Blut Christi, so er am Stamm des Kreuzes für uns vergossen hat; von nun an sollt du gegen die Heiden und Türken streiten mit allen ritterlichen Taten, wo du kannst; ich reiche dir allhie solches Schwert, das mein Vater mir gegeben hat, damit hab ' ich alles gewonnen von den Heiden und Türken; desgleichen sollt du auch tun, aber du mußt erst mit mir nach Hofe reiten." Darnach ließ er den Adelhart vor sich kommen, der hatte seine Sporen schon angezogen und brachte das Schwert in seiner Hand, welches ihm Haimon an die Seite gürtete. Dann schlug er ihn auch zum Ritter und sprach: "Gedenke an Gott, wie man den auf seine Backen schlug und ihm das so lieblich war zu ertragen um unserer Erlösung willen. sage dir, zu der Ritterschaft gehört viel; ich gebe dir weder Haus noch Burg, du mußt sie mit deiner Hand von den Heiden und Türken gewinnen, wie ich auch getan habe; aber du mußt mit mir nach hofe reiten." Darnach nahm er den Writsart und tat, wie er mit den andern zwei getan hatte. suni vierten ließ er auch Reinold vor sich kommen; der war gar stolz und hochmütig und hatte seine Sporen schon umgeschnallt: dem hing er auch das Schwert an wie den andern; aber Reinold war so lang, daß Haimon auf ein Bänklein steigen mußte, als er ihn zum Ritter schlug. Darauf



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sprach Haimon zu seinem Sohn: "Stehe auf, Reinold, als ein frommer Ritter, und sei mutig als ein Ritter; ich gebe dir allein Pierlamont, Montagne und Montfaucon, du sollt nicht unterlassen, auf die Türken zu streifen !" Jetzt brachte man vier schöne wohlverzierte Rosse; das beste gab er dem Reinold, daß er darauf nach Hofe reiten sollte; denn es war ein Gutes stärker und einen Fuß höher als die andern.

Als Reinold das Pferd ansah, deuchte es ihm schwach, er schlug es mit der Faust vor den Kopf und sprach: "Das Pferd ist viel zu gering, mich zu tragen!"

Frau Aja, seine Mutter, die das mitansah, verwunderte sich dessen und sagte: "Auf diese Weise wirst du wohl alle Pferde totschlagen, die man für dich brächte!" Darnach holte man ihm ein anderes aus der Stadt; das höher und stärker war als das vorige; das schlug er auch vor den Kopf, daß es niederfiel. Zum dritten brachte man ihm noch ein anderes, das war noch stärker und höher als die vorigen; da sprang er darauf, daß ihm Lenden und Rücken zu Stücken brachen und es bald darnach starb.

Als Haimon, sein Väter, dieses sah, erfreute er sich dessen, daß sein Sohn eine solche Kraft und Stärke hatte, und sprach: "Sohn Reinold, sei nicht traurig, sondern wohlgemut, ich weiß noch ein Pferd, heißt Beyart, hat Pferdsstärke von zehn und ist verwahrt in einem starken Turm; es darf niemand dazu gehen wegen seines Zorns, das hat ein Kamelführer gewonnen; es ist so geschwind im Laufen wie ein Pfeil vom Bogen, schwarz wie ein Rabe, hat Augen wie ein Leopard, keine Mähnen."

Als Reinold seinen Vater das Pferd so sehr preisen hörte, sprach er lachend zu ihm: "Vater, das wäre wohl ein Pferd für mich: ich wollte, es wäre mein." Da sprach Haimon: "Ziehe deine Rüstung an, das rate ich dir, und versuche, ob du es zwingen kannst; aber siehe dich wohl für, denn es ist über die Maßen böse und läßt niemand zu sich kommen: es zerbeißt Steine gleichwie andere Pferde Heu." Als Reinold das hörte, sprach er: "Soll ich mich gegen ein Pferd waffnend Das wäre mir eine große Schande"; doch folgte er seinem Vater und waffnete sich, als ob er in den Krieg oder Streit ziehen wollte, nahm einen Stock in seine Hand und ging zum Stalle hin, wo das Roß stand; und außer Vater und Mutter folgten ihm viel edle Ritter und Frauen, zu sehen, was für Wunder Reinold mit dem Rosse treiben würde.

Als er nun in den Stall kam, sah er das Tier an; alsbald schlug ihn aber das Pferd vor seinen Kopf, daß er ohnmächtig zur Erde fiel. Sobald Frau Aja dies gesehen, rief sie zu Gott und schrie: "O Gott im Himmel,



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mein Sohn Reinold ist tot!" Dagegen rief Haimon den Reinold an und sasse: "Mein Sohn Reinold, stehe auf und zwinge das Roß; ich schenke es dir, denn ich gönne es niemand besser als dir!" Da rief die Mutter wiederum: "Ach, lieber Gott, wie soll er das Roß zwingen, er ist tot!" Haimon aber sprach: "Hausfrau, schweiget still, er ist meines Geblüts ; darum zweifelt nicht, er wird wohl wieder aufstehen."

Indessen kam Reinold wieder zu sich, stand auf und nahm seinen Stock wieder zur Hand in der Absicht, das Roß damit zu zwingen; aber Beyart faßte ihn beim Hals und warf ihn vor sich in die Krippe; da wehrte sich Reinold aufs möglichste, nahm Beyart bei dem Hals und hielt sich männlich daran, schlug mit seinem Bengel gewaltig darauf und wehrte sich so tapfer, daß er ihm das Gebiß in das Maul brachte; so zäumte er das Roß, sprang in aller Eil darauf und ritt aus dem Stall; da floh ein jeder und fürchtete sich vor dem großen Roß Beyart. Als Reinold und Beyart auf den Plan kamen, gab er ihm die Sporen und ließ ihm den Zaum schießen; denn er saß so fest; als wenn er darauf gewachsen oder gemauert gewesen wäre, und sprengte ihn über zween weite Gräben, deren jeglicher über vierzig Fuß breit war. So bezwang er das Roß, bis es ganz müde worden; da ritt er es wieder in den Stall, stieg ab, putzte und wischte es. Als er es nun wohl gereinigt hatte, sprach er: "Dies Roß wollte ich jetzund um kein Geld noch Gut verkaufen!" Denn er zwang es, daß es vor ihm stand und zitterte; es neigte und beugte sich gegen ihn, wann er aufsitzen wollte, und er hatte es dermaßen gezähmt, daß ein Kind darauf sitzen konnte. Da es nun also abgerichtet war, ließ er gar köstliches Gezeug dazu machen, Sattel und Zaum und alles, was hieher gehört. Und nun machte er sich fertig, mit seinem Vater nach des Königs Hofe zu reiten.



***
So reisete Graf Haimon mit seinen vier Söhnen in voller Rüstung, als wenn sie zum Streite wollten, nach Paris, in Begleitung des Grafen Roland, Grafen Wilhelm, Grafen Bernhart und Grafen Bertram, ein jeglicher aufs allerschönste geziert. Als sie nun nahe bei Paris waren und König Karl vernahm, daß Graf Haimon mit vier Söhnen so stark gewaffnet ankomme, sandte er alsbald einen Herrn zu ihm, begehrte, er sollte sich entwaffnen und die Rüstung von sich legen, welches auch Graf Haimon auf des Königs Begehren tat. Darauf machte sich König Karl samt allem Volk auf, den Grafen Haimon mit den Seinigen freundlich zu empfangen und einzuholen, und zog ihm feierlich entgegen.

Als Ludwig, der junge König, solches gehört, sprach er zu seinem Vater:



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"Ei, Vater, wollt Ihr dem entgegen gehen und ihn empfangen, der Eurer Majestät und den Eurigen so todfeind ist und dieselbe verfolget hat; wo er konnte und mochte?" Da sprach König Karl: "Mein Sohn, ich will, man soll den Zank und Streit ruhen lassen und fortan guten Frieden halten, es hat lang genug gewähret: darum mache dich fertig, du mußt mit mir ziehen und deine Vettern helfen freundlich empfangen." Zu solchem Ende ließ König Karl seine ganze Ritterschaft ausrüsten, dazu alle Frauen und Jungfrauen, so schön als ihm möglich. Als sie nun zusammentrafen, empfing König Karl den Haimon samt den Seinigen ganz liebreich und in aller Herrlichkeit, wie sich's geziemte; denn das war das erstemal in dreißig Jahren, daß er den Haimon gewaffnet gesehen. Aber Ludwig, der junge König, nahm sich Haimons nicht an, sondern schmieg ganz still. Als Graf Roland solches gesehen, trat er zu ihm und begehrte von ihm, er sollte den Haimon samt seinen vier Söhnen auch freundlich begrüßem Ludwig jedoch antwortete ihm, er habe mit dem Haimon und seinen vier Söhnen nichts zu schaffen.

Ritter und Frauen, welche den Reinold samt seinem Roß Beyart gesehen , verwunderten sich und sprachen eines nach dem andern: "Ist dieses der Ritter Reinold, des Haimons Sohn? Er ist fürwahr der trefflichste und schönste Fürst von ganz Frankreich!" Das hörte der junge König Ludwig, er zürnte heftig über diese Rede; denn er ließ sich dünken, es wäre keiner schöner an Leib und Gliedern, keiner trefflicher in ritterlichen Taten und keiner so beredt als er. Deswegen antwortete er auf jene Rede: "Wo hat man wohl gehört, daß Haimon Kinder mit Frau Aja gehabt hat? Es können seine Söhne nicht sein, sondern er muß sie für seine Kinder angenommen und dazu erkauft haben! Ich will in kurzer Zeit erfahren, ob der Reinold mein Vetter ist oder nicht!" Darauf ging er Reinold, bot ihm die Hand und hieß ihn willkommen sein. Dieser dankte ihm höchlich; alsbald sprach König Ludwig zu Reinold: "Vetter, Ihr habt ein schön Pferd; wäre es nicht ratsam, daß Ihr mir das Pferd verehrtet? Ich wollte Euch viel dagegen geben!" Darauf antwortete Reinold: "Fürwahr , mein lieber Vetter, wenn ich es jemand gebe, so sollt Ihr der nächste sein: ich will Euch wohl gerne mit Leib und Gut dienen, wo ich kann und mag, aber das Pferd Euch geben — das kann ich jetzt nicht tun, weil kein anderes Tier mich tragen kann als dies, und ich kann mit keinem andern dasselbe ausrichten, was dies vermag." Da König Ludwig das vernahm, sprach er mit zornigem Mut: "Jetzt sehe ich, er ist von keinem geringen Geschlecht! Wenn ich aber gekrönet bin und in meiner Majestät



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sitze und die Lehen austeile, so will ich ihm auch nichts geben!" Als dies vor Reinold kam, ward er auch zornig, ging zu König Ludwig und sprach: "Ich habe vernommen, daß Eure Majestät mir keine Lehen geben will. Darnach frag ' ich gar nichts, ich bedarf es gottlob auch nicht; mein Vater hat mir so viel gelassen, daß ich von Eurer Majestät zu leben nicht benötigt bin, weiß derohalb Eurer Majestät keinen Dankt"

Nach diesem gingen sie miteinander in einen lustigen Garten, wo der König Karl gern verweilte; hier ward allerhand Kurzweil getrieben mit Musik und Turnierspiel im Beisein vieler Frauen. Als nun Zeit war, daß man Tafel halten sollte, befahl der König Ludwig, daß man den vier Haimonskindern kein Essen und Trinken vorsetzen sollte, viel weniger ihren Rossen. Da gab man Wasser, die Hände zu waschen, erstlich dem Papst, darnach den Patriarchen, sodann dem König und der Königin, und so fort allen Edeln und Rittern, die da zugegen waren, und man setzte einen jeglichen nach seinem Stand zu Tische; aber der vier Haimonskinder war



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nicht gedacht. Und ward also vortrefflich Tafel gehalten. Als Reinold sah, daß man ihnen nichts geben wollte, gedachte er, er müßte zu essen haben, es wäre dem König lieb oder leid; deswegen erhub er sich, stieß die Küchentür mit einem Fußtritt auf, daß sie in viel Stücke sprang, und lief zur Küche hinein, nahm daselbst etliche Schüsseln mit Essen und trug sie seinen Brüdern zu. Da der Koch solches sah, wollt' er dem Reinold die Schüsseln nicht verabfolgen lassen und sprach: "Laß die Schüsseln stehen, du loser Vogel, oder ich muß etwas anders vornehmen!" Darüber ergrimmte Reinold, schlug den Koch mit der Faust, daß er zur Erde fiel, und ging mit den Speisen fort zu seinen Brüdern.

Wie solches vor den König kam, daß der Koch totgeschlagen wäre, da fragte er, wer es getan hätte. Sie sprachen: "Reinold, des Haimons Sohn, hat es getan, weil ihm der Koch nicht wollte zu essen geben." Da sprach der König: "Ihm ist recht geschehen, wenn er meinem Vetter solches weigerte, da doch so mancher Fremdling hier gespeiset wird!" Von Stund an bekam Reinold alles, was sein Herz begehrte, worüber König Ludwig gar heftig erzürnt war. Nun kam der Marschall zu Reinold und sprach: "Junger Herr, Ihr habt dem Koch groß unrecht getan, daß Ihr ihn totgeschlagen; wenn er mir verwandt wäre, ich wollte seinen Tod an Euch rächen!" Da antwortete Reinold: "Ihr seid nicht kühn genug, solches zu rächen." Da ward der Marschall zornig und schlug nach Reinold, der aber erwiderte den Streich und schlug den Marschall zur Erden und stieß ihn mit dem Fuß, daß er weit in den Saal rollte und es König Karl sah. Da sagte König Ludwig zu seinem Vater: "Gnädigster Herr Vater! Wenn Ihr solchen Mutwillen an Eurem Hofe ungestraft laßt, so wird es Eurer Majestät schlechte Ehren bringen!"

Bald hernach ließ Karl gebieten, obgleich der Marschall an dem Streiche gestorben war, daß niemand so verwegen sein sollte, sich dem Reinold zu widersetzen. Als es nun wieder still geworden, ließ man alle Musiken klingen, und die Kurzweil nahm ihren Fortgang, bis es Nacht war. Da ließ König Ludwig wieder gebieten, man solle des Haimons vier Söhnen kein Bett anweisen, daß sie nicht mit Ruhe schlafen könnten. Als Reinold dies gesehen, ward er abermal zornig und sprach zu seinen Brüdern: "Was soll es gelten, wir bekommen über Nacht noch das beste Lager?" Als nun jedermann zu Bett und im ersten Schlafe war, da nahm Reinold seine Wehr in die Hand und machte einen großen Tumult unter Freunden und Verwandten, Edeln und Unedeln: welcher zuerst davonkam, war der beste; er trieb sie alle aus den Betten, daß er ihrer an dreißig ledig fand. Dann



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legte er sich samt seinen Brüdern in die besten, die er am Hofe traf, und schlief im guten Frieden bis an den hellen Tag.

Frühmorgens liefen die Vertriebenen zum König Karl und klagten ihm, wie es ihnen ergangen wäre, und wer solches getan hätte: begehrten zugleich , er solle über solche Gewalt Gericht halten und den Reinold strafen . Da schalt sie der König, daß sie alle über einen Mann klagten, und sprach: "Wie, lasset ihr euch alle vertreiben von einem einzigen? Darüber kann ich keine Strafe erkennen; denn er hat eine ritterliche Tat getan Als Reinold samt seinen Brüdern sich angezogen, gingen sie nach des Königs Hof; da begegnete ihnen der König mit den Bischöfen und Herzogen. Diese wollten nach des jungen Königs Ludwig Wohnung gehen, da gingen auch die Haimonskinder mit. Als sie nun vor Ludwigs Zimmer kamen, sprach König Karl: "Sohn, stehe auf, denn heut ist der Tag, da du zu hohen Ehren kommen wirst; ich will dir heute meine Krone von Frankreich samt allen zugehörigen Ländern übergeben und dich zum Könige krönen!"

König Ludwig dankte seinem Vater samt allen Herren, so zugegen waren , höchlich und mit Ehrerbietung, bot ihnen allen die Hände und empfing sie gar freundlich. Dann befahl der König Karl, Haimon sollte seinen vier Söhnen sagen: was sie für Ämter an seinem Hofe versehen wollten, die wollte er ihnen geben; machte also den Reinold zum Haushofmeister , Adelhart ward Schultheiß, Rittsart mußte dem König aufwarten , und Writsart den Bischöfen. Als nun der König Ludwig gänzlich zu der Krönung fertig war, führte man ihn zur Kirche, da gingen Adelhart und Writsart vor ihm her und neben ihm Reinold, hinter ihm folgte Rittsart und Haimon, der Vater. Diese Gebrüder trugen einen Thronhimmel über dem neuen Herrscher, daß es auf ihn nicht regnen konnte. Wie nun König Ludwig in die Kirche kam, führte man ihn auf das Chor, welches gar herrlich gezieret war; da stand König Karl neben seinem Sohne, die andern Herrn ein jeder nach seiner Ordnung. Haimon aber mit seinen Söhnen begab sich dahin, wo er am besten Platz fand.

So ward König Ludwig in die Kirche geführt vor St. Mariens Altar: da sang der Bischof Turpin das Amt der Messe, und der Patriarch von Jerusalem diente ihm dazu, und alles geschah mit großem Triumph und Frohlocken. Als es nun dazu kam, daß man zum Opfer gehen sollte, da opferte König Ludwig einen goldenen Byzantiner, darnach kam Reinold und opferte deren zwei. Als solches der junge König sah, meinte er, sein Opfer wäre zu ring gegen Reinolds, und opferte auch noch zwei Goldstücke.



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Da nun der Reinold merkte, daß König Ludwig noch mehr geopfert habe als er, opferte er noch drei Byzantiner. Als Haimon dieses sah, sagte er: "Zu guter Zeit und glücklicher Stunde bist du geboren; ich wollte, daß ich alle meine Güter verkauft hätte um lauter Byzantiner und hätte sie hier: du solltest sie opfern."

Auf dem Altar fehlten aber noch Öl und Kerzen. Darum winkte Ludwig seinem Vater, König Karl. Da bat der König Gott, den Allmächtigen , daß er seinem Sohn wollte zukommen lassen, was zu solchen Ehren gehöre. Alsbald kamen zwo Tauben und brachten Ölkerzen und Feuer. Als das da war, erzeigte man Ludwig große Ehre und opferte dies heilige Sakrament. Wie nun die Messe so weit gekommen war, daß man das Paternoster singen sollte, brachte man eine schöne königliche Krone; mit vielen köstlichen Edelsteinen geziert und sonderlich mit drei gelben Rubinen, die setzte man ihm auf sein Haupt; dann wünschten ihm alle Ritter und Edelleute, die zugegen waren, Glück, und solches zum Zeichen, daß sie ihm untertänig und gehorsam sein wollten als einem Könige von Frankreich. Auch war herrliche Musik von vielerlei Instrumenten zugerichtet, wie man vormals nie bei einer Krönung gehört hatte. Und als König Ludwig also gekrönt war, gürtete man ihm ein bloßes Schwert an seine Seite zum Zeichen, daß er die Gerechtigkeit erkennen, dieselbige verteidigen und das Königreich beschützen und beschirmen solle. Sobald dies geschehen, führte man ihn zum Palaste; der Papst ging an der rechten, der Patriarch an der linken Seite, darnach König Karl mit den zwölf Genossen von Frankreich, dann viel Bischöfe und Kardinäle; zuletzt kam Graf Haimon mit seinen vier Söhnen und den Edeln. Als sie nun zum Palaste gelangten, waren die Tafeln alle bereit, und sollte sich ein jeder nach seinem Stand und Herkommen setzen und Mahlzeit halten. Da nahm Reinold samt seinen Brüdern ihrer auferlegten Ämter wahr, Rittsart diente mit zwei Bischöfen an des Königs Karl Tafel, wo auch sein Vater Graf Haimon saß. Adelhart wartete im Saal gar höflich auf, Writsart diente zweien Fürsten und andern Grafen; Reinold tat auch, was ihm befohlen war: kurz, ein jeglicher war sorgfältig für sein Amt.

Als die Mahlzeit vollbracht und alles überflüssig satt war; da fing man an zu tanzen und zu springen mit schönen Frauen, und war große Freude daselbst mit Musik und Saitenspielen; ein jeglicher zeigte seine Kunst auf das allerzierlichste. Dann legte sich König Karl zur Ruhe, und König Ludwig ließ öffentlich mit Trompeten ausrufen, wer das Lehen von ihm empfangen wolle, der solle ihm folgen, und also ging er in einen schönen,



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Baumgarten, darin ein Lusthaus aufgerichtet war, ließ daselbst alle Edle vor sich kommen, einen jeden nach seinem Stand und Herkommen, und teilte Lehen und große Geschenke aus, je nachdem ein jeglicher würdig war. Nur Haimons Kindern, denen wollte er nichts geben. Als diese innewurden, daß die Lehen alle ausgeteilt waren und ihnen nichts zuteil worden, liefen sie hin und klagten es ihrem Vater. Der eilte mit zornigem Gemüte zu König Karl mit diesen Worten: "Allergnädigster Herr König! Es hat Eurer Majestät Sohn, König Ludwig, Lehen samt allen Geschenken unter die Edelleute, die am königlichen Hofe sind, ausgeteilt, ausgenommen meine Kinder; dieselben hat er nicht begabt, obwohl sie Euch und ihm allezeit und mehr Gehorsam geleistet als alle andere, und ich wüßte nicht; daß sie sich je ungebührlich gegen Seine Majestät verhalten hätten."

König Karl, als er solches von Haimon vernommen, sprach zu ihm: "Lasset Eure Kinder, meine Vettern, zu mir kommen, ich will sie durchaus nicht verworfen haben, ich will sie mit stattlichen und herrlichen Lehen belehnen wie wenige Herren an meinem Hofe!" Graf Haimon, dies hörend, lief eilends hin, rief seinen Kindern und brachte sie vor den König Karl. Als sie nun vor ihn kamen, fielen sie auf ihre Knie und grüßten ihn mit gebührender Ehrfurcht. Da hieß sie der König aufstehen, bot ihnen die Hand und sprach: "Dieweil ich vernehme, daß mein Sohn Ludwig, jetziger König von Frankreich, euch nicht begabt hat, so sollet ihr wissen , daß ich euch um eurer treuen Dienste willen, die ihr mir und meinem Sohn erwiesen, mit Ämtern belehnen will wie keinen in meinem Reich. Dich, Rittsart, setze ich zu einem Markgrafen in Spanien ein, weil du der älteste unter deinen Brüdern hifi; dies Amt sollst du mit Fleiß und Ruhe besitzen und verwalten. Dich, Adelhart mache ich zu einem Markgrafen in Polen, das Amt sollst du zu verwalten haben; und, Writsart, dir gebe ich eine Landschaft zwischen Paris und Löwen, da kannst du ehrlich hofhalten und leben. Du aber, Reinold, ich muß deiner auch eingedenk sein, ich gebe dir ganz Artois, Hennegau, Angers und Valois."

Die Brüder fielen auf ihre Knie und dankten dem Könige höchlich, ein jeder empfing seine Lehen mit Freuden; darnach gingen sie in den Baumgarten zu den andern Herren, die bei König Ludwig waren. Als dieser vernahm, daß Haimons Kinder also beehrt worden, ward er zornig und mißgönnte ihnen das. Da ging Haimon mit seinen Kindern zu König Ludwig und sprach: "Gnädiger Herr König, ich sage Eurer Majestät höchlichen Dank für die Ehre, die Ihr meinen Söhnen angetan habt; wenn



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ich's heut oder morgen mit meinem geringen Dienst wiederersetzen kann, werde ich allezeit mich willig finden lassen." Darauf antwortete König Ludwig: "Ich habe wohl vernommen, daß mein Vater, König Karl, Eure Kinder stattlich begabt hat; aber ich bin damit nicht zufrieden, denn es ist wohl der halbe Teil meines Reichs; das will ich nicht lassen, sondern will es zu gelegener Zeit wieder zu mir nehmen." Damit verließ er den Grafen Haimon und sprach: "Ich muß einmal sehen, ob meine Edelleute auch stark und mächtig genug sind, die Waffen zu führen, und will's an einem Steinwürfe probieren; ich vermesse mich, daß ich der stärkste und edelste bin im ganzen Königreich."

Da schwiegen alle Herren und Edelleute stille und antworteten ihm nichts. Darauf redete er die Worte noch einmal. Nun wurde Haimon zornig, konnte die Vermessenheit Ludwigs nicht länger dulden und sprach: "Herr Königl Seid Ihr so stark und hochgeboren, so danket Gott darum: das kann sich mit der Tat offenbaren, was darf Euer Majestät sich des viel rühmen? Ich weiß einen Jüngling von zwanzig Jahren, wenn der seine Stärke wollte gebrauchen, er würfe den Stein weiter als Ihr, und gebrauchtet Ihr Eure ganze Kraft dazu!" Da ward König Ludwig sehr zornig und sprach zu Haimon: "Du alter Grieshart! Gott strafe dich, ich sage dir fürwahr, wenn ich nicht die Gewalt Gottes scheute, ich wollte dich so zurichten, daß du es nicht leicht vergessen würdest! Laß deine Kinder herkommen und ihre Macht an diesem Stein versuchen!" Da tat König Ludwig seinen Mantel von sich, nahm den Stein und warf ihn dreißig Fuß Wegs weit im Angesicht vieler Edelleute; darnach warfen die Edelleute einer nach dem andern, und zwar die vornehmsten und stärksten von Frankreich; aber es war keiner so mächtig im Werfen als König Ludwig, der behielt den Preis über die andern alle. Als er nun sah, daß er vor andern Edelleuten Meister war, sprach er zu Haimon mit stolzen Worten: "Was saget Ihr nun, Alter? Wo ist Euer Sohn Reinold ? Warum kommt er nicht und wirft gegen mich und berechtigt Euch, solche Worte zu reden, wie Ihr vor dieser Zeit geredet habt: es wäre keiner so mächtig als Euer Sohn Reinold? Wo bleibt er? Eure eignen Worte sollen Euch jetzt schamrot machen." Als Haimon diese schimpfliche Rede hörte, sprach er: "König Ludwig! Für so stolz halte ich Eure Majestät nicht, daß sie eine Hand an mich legen dürfte; und ob solches geschehe, wurde es Euch nicht wohl bekommen!" Da anwortete ihm König Ludwig und sprach: "O Alter! Laufe nun hin und rufe deinen Sohn Reinold, daß er gegen mich werfe!"



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Solche Rede verdroß den Haimon so sehr, daß ihm die Augen über liefen; gleichwohl ging er hin und rief seinem Sohn, der im Garten war samt seinen Brüdern, wo sie sich lustig machten mit Springen und anderer Kurzweil mehr mit schönen Frauen und Jungfrauen. Als nun Reinold seinen Vater also zornig sah und ihm die Tränen über die Wangen liefen, verließ er seine Gesellschaft, wiewohl ungern, kam seinem Vater und sprach: "Allerliebster Vater! Was ist Euch widerfahren, daß Ihr so bitterlich weinet und so traurig seid ? Ich will's rächen, und sollt ' es mich mein Leben kosten!" Graf Haimon mit zornigem Gemüt antwortete seinem Sohn, was König Ludwig zu ihm gesprochen, und daß er ihn einen alten Grieshart gescholten. "Nun aber, mein Sohn, wirst du des Königs Übermut nicht rächen, so muß ich sterben; ich bitte dich, nimm den Stein und wirf mit ihm in die Wette, damit er sieht, daß andere auch etwas gelernt haben und als Männer bestehen können, damit ich nicht als Lügner erscheine!" Reinold sprach: "Vater, es geziemt sich nicht, daß ich solches tue; denn Ludwig ist nun einmal unser König; seine Reden entspringen nur aus seiner Jugend, darum seid zufrieden, ich will gar keine Gemeinschaft mit ihm halten." Als Haimon diese Worte von Reinold hörte, ward er zornig und sprach: "Mein Sohn, wenn du mich in dieser Schande stecken lässest und wirs nicht gegen König Ludwig, so muß ich sterben." Da sprach Reinold: "Ja, Vater, ich will ihn überwinden mit Werfen, wenn er gleich der Teufel wäre!" Stand alsobald auf und ging mit seinem Vater in den Garten, wo König Ludwig mit seiner Gesellschaft war; seine Brüder samt andern Edelleuten folgten ihm nach, dazu viel schöne Frauen, die wollten das Werfen mit dem Stein auch sehen. Als sie nun an den Ort kamen, wo König Ludwig den Stein geworfen , nahm Reinold denselben auf und warf ihn um einen Fuß Wegs weiter als König Ludwig. Darüber erzürnte der König heftig, weil ihn vorhin keiner hatte überwinden können. Er hieß sich den Stein bringen, warf seinen Mantel von sich, setzte die Krone vom Haupt, nahm den Stein und warf ihn noch weiter, als Reinold getan hatte. Wie Reinold sah, daß der König ihn überwunden, nahm auch er den Stein wieder und warf denselben noch viel weiter als König Ludwig, also daß er vermeinte, der König sollte ihn nicht weiter werfen können; wie auch geschah. Da nahm der König den Stein und warf ihn noch einmal mit solcher Kraft, daß ihm das Blut zu Mund und Nase auslief; aber Reinold blieb Überwinder im Werfen, und jedermann gab ihm das Lob und mußte erkennen, daß er gewonnen hatte.



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Als Haimon dieses sah, daß sein Sohn den Preis erhalten, sprang er vor Freuden auf und dankte Gott für solche Wohltat.

König Ludwig mußte nun hören, daß Reinold von allen Edlen und Frauen also gepriesen wurde; da ward er sehr zornig und sprach zum Volk: "Es ist doch ein Wunderding, daß Ihr diesen so lobet um seines Werfens halber; wer weiß, ob es Haimons Sohn ist; vielleicht ist er dazu erkauft und ist etwa ein Bauernknecht; deren findet man noch mehr, die so stark sind wie der Beste von Adel; darum ist er desto weniger lobenswürdig."

Da sprach Haimon zu Reinold: "Nun wohlan, mein Sohn! Weil du dich so ritterlich gegen König Ludwig gehalten, darum ist dir jetzt mein Roß Beyart zum Eigentum geschenket: mich nimmt groß wunder daß du deine Macht bis hierher hast können verhalten; hättest du gewollt, du hättest den Stein noch weiter geworfen!" Reinold fing an zu lachen, dankte seinem Vater für das Geschenk und war wohl zufrieden. Als nun König Ludwig diese Worte hörte, ging er von dannen und schämte sich. Da begegneten ihm Guillon, Herr von Rades, und Makarius, Foukon; diese waren alle drei Verräter und König Ludwigs nächste Räte. Sie grüßten den König und fragten ihn, wer das Spiel gewonnen hätte mit dem Steinwerfen. Aber der König schwieg still und gab ihnen keine Antwort; da sprach Makarius: "Ich sehe wohl, gnädiger Herr König, daß Reinold Euch überwunden; aber ich weiß Rat damit Euer Majestät bei Ehren bleibe und ein jeglicher Euch lobe. Ihr sollt wieder in den Garten gehen und Haimon in die Arme nehmen, daß es jedermann sieht, und sprechen (jedoch aus einem falschen Herzen): ,Haimon! Ihr möget Gott im hohen Himmel danken, daß er Euch solchen schönen und starken Sohn gegeben hat; der aller Edelleute Meister sowohl in der Schönheit als in der Stärke und Geschwindigkeit ist, wie der, welcher öffentlich über mich gesiegt hat.' Darnach sollet Ihr zu Adelhart seinem andern Sohne, sagen, daß er mit Euch in die Kammer gehe und spiele das Schachspiel; und so er sich des weigert, so saget zu ihm, er habe sich vermessen, er könne das Spiel besser als Ihr. Wenn er das nicht gestehen will, so saget zu ihm, daß wir drei es gehört haben; dann wollen wir ihn überweisen, und wenn es nötig sein wird, ihrer noch mehr zu uns nehmen, die solches auch sagen sollen. Wenn er alsdann mit Euch zu spielen einwilligt, so sagt zu ihm und bekräftigt das mit einem Eide, wer fünf Spiele nacheinander gewinne , der soll des andern Haupt gewinnen und solches mit keinem Geld oder Gut bezahlen. Sobald Ihr nun die Spiele alle gewonnen habt sollt ,



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Ihr dem Adelhart den Kopf herunterschlagen; solchergestalt kann Eure Majestät des Reinold Übermut an seinem Bruder Adelhart rächen."

Als König Ludwig diesen Rat von Makarius angehört, gefiel er ihm auch wohl; denn er ließ sich dünken, es sei keiner im ganzen Königreiche, der über ihn wäre im Schachspiel; deshalb ließ er den Adelhart zu sich kommen; Adelhart aber, als Schenk, vermeinte, der König wollte trinken, lief hin zum Keller, holte ein goldenes Trinkgeschirr voll Weins und brachte es dem König Ludwig. Aber dieser schüttelte den Kopf und sprach mit zornigem Gemüt: "Ich begehre nicht zu trinken." Da fragte Adelhart den König, was ihm wäre, ob ihm irgend jemand Leids getan hätte; das wollte er an demselbigen rächen. Da schlug der König alsbald nach dem Adelhart, daß ihm das Geschirr mit dem Wein aus der Hand fiel, und sprach: "Ich habe vermeint, ich hätte Blutsverwandte zu Freunden an meinem Hof, die mich verteidigen sollten; so hab ' ich meine größten Feinde bei mir! Es war nicht genug, daß mich Reinold mit dem Steinwurf überwunden hat, sondern du, Adelhart, hast dich vermessen, du wollest mein Meister sein im Schachspiel. Solches stehet mir nicht an zu leiden; denn ihr suchet mich zu erniedrigen!"

Als der König ausgeredet hatte, antwortete ihm Adelhart und sprach: "Herr König, das wird sich nicht so befinden: von solcher Vermessenheit weiß ich nichts; dieser Worte hab ' ich keines gesprochen; so jemand mir solches nachredet, der tut mir unrecht, und ich will mich, das Schwert in der Hand, verteidigen!" Da sprach der König wiederum: "Das hilft dir nicht, du mußt mit mir spielen, ich will es nicht also beruhen lassen!" Da nahm Makarius den Adelbert bei der Hand, und sie gingen mit dem König in ein Zimmer, darin war Guillon, der Herr von Rodes, mit sechs oder sieben Herren, die sprachen alle, daß sich der Adelhart vermessen hätte, er könnte besser Schachbrett spielen als der König. Als Adelhart dieses angehöret; sprach er ganz sanftmütig: "Wenn es denn nicht anders sein kann, so muß ich es geschehen lassen."

Da brachte man zur Stund ein schönes Spielbrett, und König Ludwig sprach zu Adelhart: "Ich will mit dir spielen, und wer fünf Spiele hintereinander gewinnt, der soll dem andern das Haupt abschlagen." Darauf sprach Adelhart: "Gnädigster Herr König, ich spiele nicht um ein so großes Kleinod; auch wäre es eine Schande, daß Eure Majestät ihr Haupt gegen das meine setzen sollte: aber um Städte und Schlösser will ich mit Euch spielen." Da schwur der König einen Eid bei seiner Krone, er wolle um nichts anders spielen als um ihre beiden Häupter. Darauf sprach



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Adelhart: "Wohl, in Gottes Namen, wenn es nicht anders sein kann, so muß ich zufrieden sein." Da gedachte Guillon bei sich selbst: "Dies wird gut werden: der Spaß wird angenehm; wäre der König tot, so wollt ' ich noch die Krone in Paris tragen."

Als sie nun zusammen spielten, ließ Adelhart dem König Ludwig den Vorzug: da gewann dieser drei Spiele nacheinander, worüber er gar vermessen ward und sagte zu dem Adelhart: "Wenn ich gleich gegen deinen Bruder im Steinwerfen verloren habe, so will ich doch dir den Kopf abschlagen !" Als Adelhart diese vermessenen Worte angehört, sprach er zu dem König: "Gnädigster Herr König, ob es Sache wäre, daß ich das Spiel gegen Eure Majestät verlöre: wollt Ihr mir nicht dasselbige mit Geld oder Gut lassen bezahlen?" Da sprach der König: "Nein, Adelhart! Ich nehme nicht all dein Geld und Gut für deinen Kopf." Da gedachte dieser in seinem Herzen, seufzete zu Gott und sprach: "Oh, du mein Gott und Herr! Ich bitte dich bei dem bittern Leiden und Sterben deines lieben Sohnes Jesu Christi, du wollest mir die Gnade geben, daß ich mit Ehren komme aus diesem Spiel." Unterdessen spielten sie immerfort: ein jeder tat sein Bestes, um zu gewinnen. Als sie nun lange gespielt hatten, da erhörete Gott, der den Gerechten niemals verlassen hat, des Adelharts Gebet und ließ zu, daß er im Spiele gewann; darüber erzürnte der König gar heftig; bald darnach gewann Adelhart das andere, das dritte, das vierte und das fünfte. Als er nun alle fünf Spiele gewonnen hatte, war er gar fröhlich, dankte Gott und sprach zum König: "Mein lieber Vetter und gnädigster Herr König! Nun ist Eurer Majestät bewußt, daß ich Euer Haupt gewonnen habe, Eurem Begehren nach; aber ich will solches nicht: jedoch bitte ich, Ihr wollet ein andermal um solch köstlich Pfand nicht mehr spielen; der Euch den Rat gegeben, den hat Euer Leben gedauert!"

Über solche Worte ergrimmete der König sehr, ergriff das Spielbrett und schlug damit den Adelhart ins Angesicht, daß das Blut lief; Adelhart war traurig, durfte sich nicht wehren und lief nach dem Stall, da das Roß Beyart stand. Da kam sein Bruder Reinold und sah, daß er blutete; fragte, wer ihn geschlagen hätte. Adelhart durfte nicht sagen, daß es der König Ludwig getan, sondern antwortete: "Niemand." Da sprach Reinold: "Mich dünkt, du lügest; du sollst mir sagen, wer es getan hat, so lieb ich dir bin." Da sprach Adelhart: "Ich habe mich gestoßen." Reinold glaubte es nicht, zog seine Wehr und bedrohte den Adelhart , daß er's ihm sagen mußte. Da begehrte er seines Leibes Gnade und



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sprach: "Bruder, sei ruhig, ich will dir alles sagen!" und nun erzählte er ihm den ganzen Verlauf der Sache. Da sprach Reinold zu dem Adelhart: "Ein solch gewonnenes teures Pfand will ich nicht dahintenlassen, insonderheit eines Königs Haupt!"



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Reinold und Adelhart gingen nun zu ihrem Vater und klagten ihm, wie es Adelhart mit König Ludwig ergangen war. Dies erschreckte den Vater sehr, und er ward traurig. Er befahl, man solle sich rüsten und zu den Wehren greifen, auch die Pferde samt dem Roß Beyart heimlich hinwegführen, daß es bei Hof nicht kundwürde. So zog er aus der Stadt. Als nun alles fertig war, sprach Reinold: "Ich will des Königs Haupt haben, es koste, was es wolle", zog deshalb mit seinem Bruder Adelhart die Waffen an, nahm ein bloß Schwert unter den Mantel in die Hand und ging also an den Hof.

Als sie dort ankamen, stand König Ludwig da und teilte Lehen aus, und sein Vater, König Karl, war bei ihm; Reinold und Adelhart grüßten König Karl, den Ludwig aber nicht. Und jetzt ergriff Reinold den jungen König bei dem Haar, schlug ihm das Haupt ab und nahm den Kopf und warf ihn gegen die Mauer, daß das Blut dem König Karl ins Angesicht spritzte; darnach nahm er den Kopf wieder, gab ihn Adelhart und sprach: "Siehe, da hast du, was du im Schachspiel gewonnen bast!"

Da König Karl den Leichnam seines Sohnes vor seinen Augen sah, ward er ergrimmt und sprach zu seinen Räten: "Oh, ihr edlen Herren und Grafen, die ihr mich liebhabt, helfet mir den Tod meines Sohnes rächen, der so jämmerlich durch Reinold umgekommen ist!" Von Stund an bewehrten sich bei zweihundert Ritter, so gut sie konnten, und verfolgten Reinold, der sogleich mit seinem Bruder die Flucht ergriff und zu ihrem Vater eilte, welcher draußen auf dem Feld mit dreihundert Mann wohlgerüstet lag. Als Reinold bei seinem Vater ankam, rief er: "Vater, lasset uns fliehen und gebt mir Beyart; denn ich habe dem König Ludwig sein Haupt abgeschlagen und es meinem Bruder Adelhart gegeben. König Karl ist jetzt unser Feind." Da sprach Haimon: "Das will ich durchaus nicht tun; die von Bourbon haben es niemals getan, sondern allezeit ihren Feind erwartet: also will ich auch tun und den König Karl erwarten, und wenn jemand von den Meinigen flieht, den will ich zur Stunde aufhenken lassen." Da Reinold das von seinem Vater hörte, ward er gar fröhlich und wohlgemut und sprang auf sein Roß Beyart; auf welches er sich verlassen konnte; die andern Brüder saßen auf ihren Pferden ganz wohl bewaffnet:



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so zogen sie mit Freuden dem König unter die Augen. Als Reinold nun den König in eigener Person ins Gesicht bekam, ritt er stracks auf ihn zu, gab seinem Pferde Beyart die Sporen und stieß ihn mit Gewalt durch Schild und Halsband, so daß er von seinem Pferde fiel. Reinolds Brüder aber ritten unter den größten Haufen und taten großen
Schaden mit Fechten, daß Wunder davon zu schreiben wären; darnach kam Haimon, ihr Vater, der entsetzte sie mit seinem Volk, sonst wäre es ihnen übel gegangen. Da befahl König Karl seinen Leuten, daß sie den Haimon mit den Seinigen umringen und alles niederhauen sollten, was sie bekämen. Als Haimon das merkte, sprach er zu seinem Gefolge: "Oh, ihr Herren und Freunde, es ist hie kein anderes Mittel; wir müssen uns wehren , solang wir können."

Haimons Volk wehrte sich darauf so lange, bis sie fast alle erschlagen



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und ihre Pferde unter ihnen erstochen waren; aber Reinold und seine Brüder taten ihr Bestes, und zuletzt blieben der Brüder Pferde auch tot. Doch Reinold tat mit seinem Roß gar großen Schaden. Als er sah, daß seine Brüder ihrer Pferde ledig waren, hieß er sie hinter ihn auf den Beyart springen, und also rannten sie davon. Als König Karl sah, daß Reinold und seine Brüder also mit dem Roß Beyart davonkamen und ihr Vater Haimon sich noch tapfer zu Fuß wehrte, ward er traurig, fürchtete sich vor dem Reinold, er möchte sich einen Anhang machen und ihn noch mehr überfallen. Als nun der Bischof Turpin merkte, daß Haimon dastand, sich so tapfer zu Fuß wehrte und sich nicht gefangengeben wollte, rief er ihm zu und sprach: "Haimon, gib dich gefangen!" Da antwortete ihm Haimon und sprach: "Ja, Herr Bischof, in Euer Geleit und in Eure Hand will ich mich gefangengeben!"

Der Bischof ritt sogleich zum König und fragte ihn, ob er den Haimon gefangennehmen sollte. Da sprach der König: "Hätte ich ihn gefangen, ich ließ ' ihn zur Stunde aufhenken." Da nahm der Bischof den Haimon zum Gefangenen an; der König aber verbannte seine vier Söhne aus dem Land und schwur bei seiner Krone, er wollte Haimon henken und seine Schwester, Frau Aja, des Haimons Hausfrau, verbrennen lassen, weil sie solche Kinder geboren, die seinen Sohn Ludwig ums Leben gebracht hätten.

Darum befahl der König dem Erzbischof Turpin, er solle den Haimon hinrichten lassen; dieser aber sprach: "Gnädigster Herr König, das wäre eine große Schande; da ich ihn gefangennahm, hab ' ich ihm verheißen; ihn unter meinen Schutz zu nehmen; und ehe ich solches zuließe, will ich ihm lieber beifallen und ihm helfen mit meiner Macht!" Ebenso sprach der stolze Roland und andere mehr: "Herr König, es wäre nicht recht, daß man ihn hinrichten ließe, dieweil man ihm sicher Geleit zugesagt hat; zudem hat er sich auch ritterlich gewehrt, daß Wunder davon zu sagen wären." Karl aber sagte zu ihnen allen: "Ich will gleichwohl, daß er sterben soll, und Frau Aja, seine Hausfrau, will ich verbrennen lassen, es koste, was es wolle!"

Hierauf antwortete ihm Graf Roland und sprach: "Allergnädigster Herr König, das wäre die größte Schande, und ich weiß, es wird niemand von Euren Genossen und Herren solches zugeben." Der König aber fragte Roland: "Stellest du dich gegen mich, Roland?" — "Nein", sprach Roland, "aber ich sage, es wird von Euren Edelleuten nicht zugelassen werden, daß man den Haimon umbringe und Eure Schwester, Frau Aja, verbrenne;



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sie würden viel lieber alle darum sterben oder gegen Eure Majestät streiten und sich auflehnen." Als der Ritter Foukon dieses hörte, sprach er zum König: "Gnädiger Herr, allhie ist Bertram, mein Sohn, denselben hab ' ich auch sehr lieb, und ob er etwas wels täte gegen Eure Majestät, so soll ich das entgelten müssen! Darum, ob Reinold mit seinen Brüdern etwas gegen Euch gehandelt habe, was können die Eltern dafür?" Da sprach der König zu Foukon: "Sofern mir Haimon angeloben will, daß er mir seine Kinder in meine Hand liefere, will ich ihn und seine Hausfrau ledig lassen." Dieses hörte Bischof Turpig und gab Haimon den Rat, er sollte solches dem König verheißen. Da schwur Haimon und Frau Aja einen Eid bei St. Dionysii Haupt im Beisein vieler Herren von Adel, daß sie, sofern es ihnen möglich wäre, dem König ihre Kinder liefern wollten, nach seinem Gefallen mit ihnen zu handeln.



***
Reinold und seine Brüder kamen inzwischen in aller Eile zu dem Schloß Pierlamont; da erzählten sie, was sich begeben hätte, wie sie ihren Vater zu Fuß verlassen und tapfer gegen seine Feinde gestritten; über welches alle ganz traurig waren. Darum kam Haimons Bruderstochter, welche eine schöne Jungfrau war, die fragte den Reinold, was er Gutes zu Hofe vernommen hätte. Da antwortete Reinold: "Ich hab ' da nichts Gutes vernommen; denn ich hab ' Ludwig, des Königs Sohn, erschlagen!" Als die Jungfrau das hörte, erschrak sie und sprach: "Nun werden meine Vettern aus dem Land vertrieben, und ich sehe meinen Oheim nimmermehr!" Wie das Gespräch sich nun also geendet hatte, hieß man die vier Brüder zum Essen gehen; und als sie gegessen hatten, begehrten sie, daß man sie mit allem, was ihnen nötig wäre, versehen sollte und dasselbige auf ein Kamel laden mit allen Kleinodien ihres Vaters; denn sie müßten verreisen . Da befahl die Jungfrau, daß man tue, was ihre Vettern begehrten.

Sobald nun alles fertig war, ratschlagten sie, wo sie ihren Weg hinausnehmen wollten; endlich wurden sie des Mats, daß sie nach Spanien reisen wollten und den König Saforet besuchen; denn sie wußten wohl, daß sie bei ihm angenehm sein würden, weil ihr Vater vorzeiten bei jenem König sieben Jahre gewesen. Als dieser nun die vier Brüder von weitem kommen sah, kannte er sie an ihren Waffen und sprach zu den Seinigen: "Die da kommen, das sind des Haimons von Dordone Kinder, das sehe ich wohl, und so die bei mir bleiben wollten, will ich sie bei mir behalten; denn sie scheinen tapfer und männlich zu sein, und wenn sie die Art von .



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ihrem Vater haben, so dürfen sie ihrem Feind unter die Augen ziehen!" Indes ließ der König die Brücken nieder, um die Herren willkommen zu heißen, die ihm mit großer Ehrerbietung entgegengingen und ihn Grin . Und er grüsste sie wiederum und fragte, wo sie hinwollten und was sie begehrten. Da sprach Reinold: "Gnädigster König, ich und meine
Brüder begehren bei Euch Dienst und Unterhalt." Der König antwortete: "Wenn ihr wollet an unser Gesetz und an unsern Gott glauben, so will ich euch Unterhalt geben." Da sprach Reinold: "Mein Herr König, soll ich Euren Abgott glauben und von meinem wahrhaftigen Gott abfallen, der Himmel und Erde gemacht und uns erlöset hat mit seinem teuren Blut am Stamm des Kreuzes? Dafür behüte mich Gott!"

Hierauf sprach der König Saforet: "Ich schwöre bei meinem Gott Mahomet,



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ich will euch Unterhalt geben, und ihr sollt keinen Mangel haben, wenn ihr mir treulich dienen wollt! Gehet hin in das Kastell und behaltet das zu eurer Wohnung und gebet mir euren Schatz aufzubewahren! Wann es euch gefällt und ihr euch weiterbegeben wollet, so will ich ihn euch wiedergeben; wollet ihr aber euer Leben lang bei mir bleiben, so sollet Ihr alles genug haben, und ich will euch reichlich besolden!" Als Reinold dies hörte, ward er froh, gab dem König seinen Schatz zu bewahren und ritt mit seinen Brüdern auf das Kastell, auf welchem sie alle Notdurft fanden. Dasselbige war stark und schön, und sie blieben bei dem König Saforet mehrere Jahre in Hispanien und dienten ihm getreulich in drei Kriegen, die er führte. Als sie nun viel ritterliche Taten vor dem Könige getan hatten, fing der Mangel bei ihnen an, und sie wurden von dem ganzen Volk wenig geachtet. Da begehrte Reinold vom König, er sollte ihm sein Gut wiedergeben, er müßte sich rüsten mit seinen Brüdern . Darauf sagte Saforet, ja, er wollte es tun; aber es folgte nichts darauf. Als Reinold sah, daß nichts erfolgte, ward er sehr zornig und sprach zu seinen Brüdern: "Ich gelobe Gott, so uns der König unser Gut nicht wiedergibt, so will ich ihm tun, wie ich König Ludwig getan habe." Darauf sagte Adelhart: "Brüder, wenn ihr diesen König schlaget, so wüßten wir nicht; wo wir bleiben sollten." Da sprach Reinold wieder: "Was ist's, daß wir länger bleiben! Hätten wir viel Goldes, es würde hie zu Kupfer werden; man gibt uns ja nichts zum Lohne!" und rief einen Diener, genannt Wendel, und befahl ihm, er sollte zum König gehen und ihn fragen, ob er ihnen Unterhalt und Kleider geben wollte oder den Schatz, den sie ihm aufzuheben gegeben hätten: "Und Ihr sollt", sprach er; "fleißig achtgeben auf die Worte, die er antworten wird; und so er sich weigert, so sollt Ihr sagen, es würde ihn über kurz oder lang gereuen!"

Als der Diener zum Könige kam. begrüßte er denselben nach alter Gewohnheit und sprach: "Gnädigster König, meine Herren lassen Euch bitten , es wollen Eure Majestät sie mit Kleidern und anderm Unterhalt versehen oder ihnen ihren eigenen Schatz wiedergeben, den sie Euch anvertraut haben; denn sie sind dessen benötigt." Der König gab ihm harte Antwort und sprach: "Gehe aus meinen Augen und sage deinen Herren: wo sie mir viel Wesens machen, so will ich sie henken lassen!" Da sprach der Diener: "Gnädigster Herr t Das wäre nicht recht, daß Ihr sie solltet henken für die treuen Dienste, die sie Euch geleistet haben."Alsbald befahl der König, den Jüngling zu fassen und zu strafen um der Worte willen, die er geredet hatte. Da schlug man ihn tapfer, und er wurde zum Palast



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hinausgestoßen und entrann. Als er nun so übel zugerichtet zu Reinold kam, 'fragte dieser den Knaben, wer ihm wels getan hätte. Da sprach dieser: "Das hat mir des Königs Marschall auf Befehl seines Herrn getan." Reinold fragte: "Warum hat er dich geschlagene" Da antwortete der Knabe: "Weil ich dem König sagte, was Ihr mir befohlen habt! Der König sprach, ihr wäret Fremdlinge und hättet euren Vater ermordet, er gedenke euch nicht eines Hellers Wert wiederzugeben!" Als Reinold dies hörte, ward er zornig, rief seinen Brüdern Rittsart und Writsart und sprach: "Ich befehle euch, daß ihr nun das Toß Beyart aus der Stadt führet und euch heimlich waffnet, und du, Adelhart, sollst mit mir gehen; wir wollen uns auch waffnen und unser Gewehr mit uns nehmen und unsern Harnisch unter dem Mantel anlegen, dann zum König gehen und ihn selbst fragen, ob er uns das wiedergeben will, was wir ihm aufzuheben gegeben haben. So er das verweigert; so verspreche ich dir, daß ich sein Haupt nehme für unsern Schatz und das mit über Land führe!"Adelhart sprach: "Das ist ein bös Pfand, ich nähme wohl etwas Besseres!" Da entgegnete Reinold: "ES ist nicht viel wert; aber ich kühle doch meinen Mut damit!"

Darnach gingen Reinold und Adelhart miteinander nach Hof, mittlerweile Rittsart und Writsart das Roß Beyart und sich selbst auch rüsteten. Als jene zu Hofe kamen, saß der König mit allen seinen Edeln über der Tafel. Vor den Herren angekommen, fielen beide auf ihre Knie und segneten ihnen die Mahlzeit mit einem freundlichen Gruß. Der König sah sie an, aber er redete nicht mit ihnen. Wie Reinold das merkte, sprach er mit trotzigem Gemüte: "Gnädigster König, es ist ungefähr drei Jahr, daß ich und meine Brüder Eurer Majestät getreulich gedienet haben und unsern Leib und Leben für Euch dargestreckt; für welches alles wir von Eurer Majestät nicht einen einzigen Sporn an unsere Füße bekommen haben, geschweige unsere Belohnung; bitte derohalben, Ihr wollet Mitleiden mit uns haben und helfen, daß wir Unterhalt bekommen; es ist uns nicht möglich, länger so zu leben!" Aber der König schlug sein Angesicht nieder und wollte sie nicht ansehen. Als nun Reinold merkte, daß der König sich an nichts kehren wollte, liefen ihm die Augen über; er seufzete heftig und sprach abermal: "Herr König, so Ihr uns keinen Unterhalt reichen wollet, so gebet uns zum wenigsten unsern Schatz wieder, den wir Euch aufzubewahren gegeben haben, und lasset uns unsern Weg hinziehen! Zudem sollt Ihr wissen, Herr, daß ich noch nicht zufrieden bin, daß man mir meinen Knecht also jämmerlich geschlagen; und der das getan hat, denselben



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wird es noch gereuen!" Jetzt rief der König mit zornigem Mut und schwur bei Mahomet: "Es ist genug, und stündet ihr mit diesen Worten allhier bis in alle Ewigkeit: ich gebe euch nicht eines Pfennigs Wert; denn ihr seid Fremdlinge allhie!" Da fiel ein Markgraf dem König in die Rede und sprach: "Warum soll man euch etwas geben? Es ist noch nicht lang, daß du deines Vetters Sohn, welcher euer Herr und König war, totgeschlagen; darum, so gehet hin: ich gebe euch nichts!" Reinold aber ward zornig und sagte: "Ich will es gleichwohl wiederhaben, es koste, was es wolle!" zog seine Wehr und sprach: "Nun sollet Ihr mit dem Leibe zahlen!"Da bat der König um Gnade und rief: "Ich will euch Unterhalt samt eurem Schatz, den ihr geliefert, wiedergeben; verschont nur meiner." Aber Reinold sprach: "Nein, Ihr habt mir es schon verweigert , als ich Euch darum gebeten habe: es hilft nichts; dazu heißet Ihr mich und meine Brüder Fremdlinge; ich will dasselbe nun rächen, oder es muß mir an meiner Macht und Wehr mangeln!" Dann holte er aus und hieb dem König den Kopf ab, gab den seinem Bruder Adelhart und sprach: "Binde denselben an unser Pferd, denn wir müssen leider ihn für unsern Schatz annehmen!"

Alsbald ward großer Aufruhr in der Stadt Aquitania: ein jeder waffnete sich, um den Tod des Königs zu rächen. Unterdessen floh Reinold mit seinem Bruder Adelhart nach dem Rosse Beyart, und alle v er sprangen darauf. Da kam des Königs Bruder Aunt mit einem Haufen Volks und wollte den Reinold samt seinen Brüdern bestreiten; er stieß mit Gewalt auf Reinold, und dieser wieder auf ihn dergestalt, daß Riant getroffen ward, vom Pferde fiel und starb. Alsbald gab jener dem Roß Beyart die Sporen und sagte zu dem Tier: Du mußt uns heute aus der Not helfen!" Die Worte verstund Beyart, tat nicht anders, als ob es unsinnig wäre, schlug und zerriß alles, was es erreichen konnte, und brachte viel Volk um. Darnach kam noch ein heidnischer Ritter mit vielem Volk und hoffte, Reinold zu erschlagen. Der ward aber auf seinen Schild getroffen, daß ein Stück davonsprang. Unterdessen kam der Ritter neben den Adelhart hergeritten, doch dieser schlug ihm den Kopf in zwei Stücke, daß er tot von seinem Pferd fiel. Und nun begaben sich die Brüder mit ihrem Roß Beyart unter das Volk, zerschlugen alles, was da war, und kamen also durch des Feindes Heer. Als sie zuletzt an einen Ort gelangten, wo sie vor ihrem Feinde sicher waren, verband einer dem andern seine Wunden.

Indem versammelte sich das Heer wiederum und folgte dem Reinold .



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nach. Adelhart sprach: "Ich weiß nicht, Bruder, wo wir hinaus sollen, daß wir unsers Lebens gesichert sind." Desgleichen sagte Reinold auch. Da ließ sich Writsart vernehmen: "Es müßte ein wunderliches Ding sein; soll uns denn die ganze Welt zu klein sein, daß wir nirgends bleiben können?"Rittsart verwunderte sich über diese Reden und sprach: "Wenn ihr denn nicht wisset; wo wir bleiben können, so weiß ich uns einen Aufenthalt " — "Was ist das, Bruder?"fragte Reinold. Rittsart sprach: "Lasset uns ziehen nach Tarragona zu dem König Yvo; der ist dem Könige
Saforet todfeind; denn er erschlug Yvos Vater und auch seiner Brüder zween und verheerte ihm sein ganzes Land!" — "Ja", sprach Reinold, "es ist dem so; lasset uns dahin gehen; wir werden daselbst gar willkommen sein und Unterhalt bekommen, und wißt ihr, was tun? Wir wollen dem König Saforets Haupt überreichen, das wird ihm gar angenehm sein!" Dessen wurden die Brüder bald einig und ritten mit ihrem Roß Beyart nach Tarragona. Als sie nun nahe an des Königs Kastell waren, erfuhren sie, daß Yvo mit seinem ganzen Hofgesinde über der Tafel war. Da sprach Writsart: "Lieben Brüder! Nun sind wir außer Gefahr unsers Leibs, Gott sei Lob und Dankt Ihr wisset; daß wir nicht geschlafen



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haben, sind auch gar müde; lasset uns ein wenig niedersitzen und ruhen!" "Wohlan", sprach Adelhart, "lasset uns dies tun!" So legten sie ihren Harnisch unter ihre Häupter und schliefen, bis der König seine Mahlzeit geendigt hatte. —

Als die vier Ritter nun ausgeschlafen hatten, saßen sie wieder auf ihr Roß Beyart und eilten auf das Kastell zu, wo der König hofhielt, nahmen Saforets Haupt mitsamt der Krone, steckten es auf Reinolds Speer und ritten also nach dem königlichen Hof. Der König stand in eigener Person auf der Zinne und sah sie hereinkommen; er sagte zu denen, die bei ihm waren: "Stehet auf, meine Freunde, da kommen vier vornehme Leute auf einem Roß; was mögen die uns Gutes bringen wollen? Es ist das größte Roß, das ich in meinem ganzen Leben gesehen habe!" Alsbald eilte er mit seinem ganzen Adel hinunter, um zu vernehmen, wo sie herkamen, und was ihr Anliegen oder Vorhaben wäre. Als Reinold samt seinen Brüdern den König sahen, stiegen sie von ihrem Roß Beyart, fielen ihm zu Fuß und bewiesen ihm große Ehrfurcht; sie reichten ihm das Haupt Saforets dar und sprachen zu ihm: "Gnädigster Herr und König, dies ist das Haupt Eures abgesagten, größten Feindes Saforet, das wollen wir Eurer Majestät als ein geringes Geschenk verehrt haben; wo wir Euch in irgend etwas dienen können, wollen wir jederzeit dazu bereit und willig sein!"

Der König Yvo nahm das Haupt mit höchstem Dank an, hieß sie willkommen und versprach ihnen guten Unterhalt; er befahl, in aller Eile ein köstliches Mahl zuzurichten, das Reinold und seine Brüder mit ihm verzehren sollten. Als sie nun zur Tafel saßen, fragte der König, wer sie wären, und wo sie den König Saforet erschlagen hätten. Da antwortete Reinold und sprach: "Gnädiger Herr, unser Vater heißt Graf Haimon von Dordone, von dem Geschlecht Bourbon; mein ältester Bruder ist Rittsart genannt, der andere Adelhart, der dritte Writsart; ich bin der jüngste und heiße Reinold." Als der König dieses hörte, empfing er sie, als wenn sic seine Kinder gewesen, und ließ sie herrlich kleiden und wehrhaft machen. Bald darnach rüstete er sich zum Krieg. Er wollte sich nämlich an Saforets Landschaft rächen und versammelte ein groß Volk. Reinold befahl, das Roß Bei) art zu satteln, und so setzten sie sich wieder alle vier darauf und fielen mit aller Gewalt in Saforets Land ein und erschlugen jegliches, das ihnen vorkam, was männlich war. Dieser Krieg dauerte fast drei Jahre. Unterdessen ließ der König Yvo starke Festen und Kastelle bauen, das Land damit im Zwang zu halten. Alles, was sie anfingen,



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das schlug zum Glück aus, und die vier Gebrüder taten ihr möglichstes. Also dienten sie dem König Yvo vier ganzer Jahre und erhielten große Ehren, Geschenke und Kleinodien.

Wie nun der König von Frankreich vernommen, daß Reinold mit seinen Brüdern in Tarragona bei dem Könige war, so schickte er einen Gesandten zu ihm mit freundlichen Worten und dem Begehren, er möchte ihm die vier Brüder gefänglich abliefern; denn sie hätten ihm seinen Sohn Ludwig erschlagen. Sobald dieses der König vernommen, versammelte er heimlich seinen Rat und legte ihnen des Gesandten Auftrag vor: wie daß König Karl von Frankreich begehre, er solle ihm die vier Brüder gefänglich zuschicken, wenn er sein Freund bleiben wolle. "Was dünket euch aber, ihr Herrn? Scheint euch solches ratsam zu sein? Ratet mir hierin das Beste, damit ich in meiner Ehre bleibe; denn durch die vier Brüder habe ich meine Feinde überwunden!" Da sprach der Herzog von Ripemont zu dem Könige: "Gnädigster Herr König, ich habe vor dieser Zeit wohl vernommen, daß jene dem Könige von Frankreich großen Trutz und Übermut getan haben und ihm seinen Sohn Ludwig erschlagen. Damit nun Eure Majestät nicht in des Königs von Frankreich Ungnade komme, so rate ich, daß man sie ihm gefänglich zuschicke." Eben so sprach auch Herr Andell. Als ein anderer Edler; Herr Hugo von Averna, diesen Vorschlag hörte, ward er zornig und sprach: "Vermaledeit sei dieser Rat: so Euer Majestät das tut und überliefert sie dem König von Frankreich, so wird man Euch über tausend Jahr einen Verräter schelten. Es wäre nicht weislich gehandelt ; denn sie haben manchen Heiden erlegt und Euch in dem ganzen Heidenlande berühmt gemacht." Darauf sprach der König zu einem Edelmann , genannt Israel, und fragte ihn, was er dazu sage: "Gnädiger Herr und König", antwortete dieser, "es wäre Eurer Ehre zuwider, daß Ihr die vier Ritter solltet nach Frankreich schicken, daß sie ums Leben kämen. Wenn Ihr des Königs Ungnade fürchtet, lasset sie in ein ander Land ziehen, wo sie sich vor ihm nicht fürchten."

Dem Könige gefiel dieser Gedanke am besten; er hatte ein groß Mitleid mit Reinold und seinen Brüdern, daß er sie verlassen müsse, wegen der treuen Dienste, die sie ihm geleistet hatten, aber auf Begehren wollte er diesem Rat nachkommen. Darauf sprach Herr Hugo zum König: "Es ist nicht ratsam, daß man Andells und des Herzogs von Ripemont Vorschlag befolge; denn sie sind beide von einem Geschlechte, das keinem wohl rät. Dieweil nun Eure Majestät den Reinold samt seinen Brüdern so ungern verliert, und sie Euch allezeit gar getreu und hold gewesen sind, so tatet



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Ihr uns auch einen großen Gefallen, und es wäre dem Lande nützlich, wenn Ihr dem Reinold Eure Tochter Klarissa zur Gemahlin gäbet, hernach die Steinklippen in den Grund risset und ließet ihm darauf ein ansehnliches und festes Schloß aufbauen; und wenn es Gott gefiele, daß er junge Erben mit ihr bekäme, so würde er seine Sache gegen König Karl wohl selbst verantworten; denn er ist von einem so gewaltigen Herkommen , daß er dessen Gewalt nicht fürchten darf; darum mag Eure Majestät in guter Ruhe leben." Sobald König Yvo diesen Rat angehört, war er wohl zufrieden und gedachte: "Möchte es nur so weit geraten, daß Reinold und seine Brüder bei mir blieben, so wollte ich keinen König noch Fürsten fürchten." Darauf ließ er alle vier zu sich fordern.

Als sie nun vor ihn kamen, fielen sie auf die Knie nieder und erzeigten dem König alle gebührende Ehre. Reinold fragte Yvo, was sein Begehren wäre. Darauf antwortete ihm dieser: "Allhier habe ich ein Schreiben vom König Karl aus Frankreich, dessen Inhalt ist, daß ich Euch und Eure Brüder ihm ausliefern solle, damit er nach Gefallen über euch verfügen könne; aber das will ich durchaus nicht tun, ich will kein Verräter sein. So ihr wollt nach Polen oder nach Kalabrien oder anderswohin in der Welt ziehen, so will ich euch mit einem schönen Geschenke begaben und verspreche auch, euch nimmer in der Not zu lassen." Da antwortete ihm Reinold und sprach: "Allergnädigster Herr und König, gegen die Gewalt König Karls können wir allein nicht bestehen; aber Eure Majestät hat dort noch eine starke und hohe Steinklippe, die wollet mir schenken: so will ich darauf eine große Festung bauen, daß ich des Königs Karl Gewalt nicht fürchten darf." König Yvo antwortete: "Reinold, wenn ich dir die Steinklippe gebe, und du bauest eine Festung darauf: du zwingst mein ganzes Königreich, zudem auch die Landschaft Gaskognel" Da sagte Reinold: "Ach nein, gnädiger Herr und König, das begehre ich nicht zu tun; vielmehr will ich angeloben, wenn jemand Euch würde mit Krieg angreifen , so will ich Euch verteidigen, als wenn Ihr unser Vater wäret." Darauf sagte der König: "Ich will mich bedenken und beraten und dir eine gute Antwort geben."

Sogleich ließ Yvo seinen Rat zusammenfordern und trug ihnen Reinolds Begehren vor; darauf sollten sie sich entschließen und Antwort geben. Da sagte Herr Israel zuerst seine Meinung und sprach: "Ich rate; Herr König, daß Ihr ihm die Tochter samt der Steinklippe gebet unb lasset ihn darauf bauen, was er begehret, das wird Euer Majestät große Ehre bringen, und man wird Euch allenthalben desto mehr fürchten."



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Andell aber sagte: "Was ist das? Wollt Ihr denn König Karl beleidigend Wenn er solches vernähme, so fiele er mit Gewalt ins Land und nähme unsern König, Reinold und seine Brüder gefangen und ließe sie alle henken und verheerte das ganze Land; das wäre für immer eine Schande."

Diese Worte verdrossen den Herrn Andernell, er schlug den Andell in das Gesicht, daß er tot zur Erde fiel, und sagte: "Da hast du den Lohn für deinen guten Rat." Als der König das sah, sprach er: "Lasset das bleiben, meine lieben Herren; denn ich will Reinold meine Tochter geben und die Steinklippe; dafür soll er samt seinen Brüdern zu jeder seit mir beistehen, wo ich sie vonnöten haben werde, als wenn ich ihr Vater wäre." Da ließ der König den Reinold vor sich kommen und sagte: "Reinold, mein lieber Sohn, ich weiß, du bist von gräflichem Stamm; so du und deine Brüder mir wollen getreu sein, so will ich dir meine liebste Tochter zur Gemahlin geben, dazu die Steinklippe und den halben Teil meiner Güter, und magst du darauf ein Kastell bauen lassen, so stark und fest du immer willst, damit du sicher seiest vor dem König Karl in Frankreich; er kann dir darauf kein Leid tun, und läg ' er hundert Jahre davor." Dafür dankte Reinold dem König Yvo sehr höflich und ließ sich alsbald nach christlichem Gebrauch einsegnen, die Hochzeit aber ward auf eine andere Zeit gehalten. Als nun das Hochzeitmahl vorüber und alle Kurzweil vollbracht war, ließ Reinold Zimmerleute, Steinmetzen und andere Meister zusammen berufen und da ein schönes und festes Kastell bauen, von lauterm Marmorstein, gar hoch und mit vier Mauern umfangen; das nannte er Montalban. Darnach ließ er allenthalben ausrufen, wer daselbsthin wollte kommen zu wohnen, den wolle er beschützen und beschirmen und jeglichen freilassen von allen Beschwernissen. Als dies Gerücht unter das Volk kam, sammelten sich an fünfzehnhundert Mann, welche da zu wohnen begehrten. Hierauf verlangte er vom König Yvo, er sollte auch einmal dahin kommen und ihn besuchen. Als der König nun zu ihm kam, besah er das Kastell und sprach: "Sohn, du hast allhier ein schön und mächtig Stück Werks gemacht. Gott gebe dir Glück und Heil damit, wie ist sein Name?"Da antwortete Reinold: "Weil es auf einer weißen Marmorklippe steht; so habe ich es Montalban oder Weißenstein genannt."So schieden sie voneinander.



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Nun geschah es, daß König Karl mit seinem Neffen Roland und andern Rittern sich rüstete und wollte nach St. Jakob in Galicien reisen; und als sie in König Yvos Land kamen, sah Karl das schöne und gewaltige Kastell an und merkte, daß es fast unüberwindlich war. Sie fuhren eben übers Wasser in das Land, das König Yvo dem Reinold mit seiner Tochter gegeben hatte. Da fragte er, wer das Schloß erbaut hätte, und wessen es sei. Roland ging zu einem Ackersmann und sprach denselben an, wem das Kastell zugehöre. Da sagte der Mann: "Ein Graf hat es bauen lassen, um sich zu wehren gegen seine Feinde." Nun fragte Roland, wie er heiße. "Reinold", antwortete jener, "er hat auch drei herrliche Brüder , und die Stadt ist sein." Als Roland diesen Bescheid eingenommen, eilte er wieder zum König und sagte ihm, wie er vernommen, daß Reinold es gebaut hätte. Darüber ward der König zornig und gebot Roland, er sollte hingehen und Reinold sagen, daß er ihm das Kastell, die Stadt und auch seine Brüder ausliefern solle; dann werde er ihnen alle ihre Missetat verzeihen; wenn er sich dessen weigerte, so werde es ihm übel gehen. "Dann will ich", sprach er, "mit meiner ganzen Macht kommen, das Land verderben und ihn samt seinen Brüdern aufhenken lassen."

Roland merkte sich des Königs Meinung, ritt nach Montawan, grüßte Reinold samt seinen Brüdern und seinem ganzen Hausgesinde freundlich und sprach: "ES ist des Königs Wille und Meinung, und hat derselbe mich zu dem Ende hergeschickt, daß Ihr ihm das Kastell Montalban samt der Stadt überantworten und kommen sollet mit allen Euern Edelleuten, ihm zu Fuß fallen und um Verzeihung Eurer Missetat bitten: so will er euch alle zu Gnaden annehmen." Da antwortete Reinold und sprach:



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"Ich gebe nicht eine Kirsche um den König Karl, er liegt mir lieber sieben Jahre in meinem Lande." Als Roland dies hörte, sprach er: "Vetter, wieso? Wollet Ihr Euch gegen König Karl aufweckend Ihr habt seinen Sohn Ludwig erschlagen!" Da sprach Reinold: "Ich frage nichts darnach , es gehe mir darüber, wie Gott willt" Roland zog wieder zum König Karl und meldete ihm Reinolds Antwort. Als der König diese vernommen, ward er zornig und schickte dem Yvo einen scharfen Brief mit dem Inhalte, daß er sein Todfeind wäre darum, daß er seine Feinde in seinem Lande beherberge. Als aber König Karl wieder nach Frankreich kam, versammelte er viel Volks, zog dem Reinold in sein Land und belagerte Montalban. Da Reinold das sah, versammelte er auch sein Volk, um es zu entsetzen. Und König Karl blieb ein ganz Jahr im Land und verderbte es mit Brennen und Sengen, verlor aber viel Volk, so daß er zuletzt wieder abziehen mußte.



***
Jetzt hatten die Brüder wieder Frieden. Da geschah es auf eine Zeit; daß Reinold seine Brüder zu sich berief und zu Writsart sagte: "Lieber Bruder, du bist mein Trost und meine einzige Hoffnung; es ist nun sieben ganzer Jahre, daß wir unsere Mutter nicht gesehen haben, darum ist mein Herz also traurig, und wenn ich sie nicht bald sehe, so muß ich sterben." Da sprach Adelhart: "Bruder, was soll dies werden? Du weißt wohl, daß unsere Eltern haben schwören müssen, daß sie uns alle vier dem König Karl ausliefern wollen!" Da sprach Reinold: "Den Eid achte ich gering; denn es ist natürlich, daß sie die Kinder lieben. Es gehe, wie es wolle, ich muß meine Eltern sehen; auch weiß ich uns guten Rat: wir wollen hingehen in den Wald bei Bordeaux, daselbst der Pilgrime warten und sie bitten, daß sie mit uns die Kleider vertauschen; dann gehen wir als Pilger durch das Land zu unsern Eltern." Dieser Rat gefiel den Brüdern gar wohl, und sie begaben sich auf die Reise nach dem Wald.

Wie sie nun daselbst waren, kamen nach einer Weile vier Pilgrime von dem Heiligen Lande und hatten Palmzweige in ihren Händen. Als sie mit diesen zusammenkamen, hieß Reinold sie willkommen und begehrte, daß sie mit ihnen die Kleider tauschen sollten. Da die Pilger das hörten, waren sie erschrocken, verstanden Reinolds Meinung nicht, und einer aus ihnen sprach zu ihm: "Wie, Reinold, bist du nun ein Räuber worden? Wie geht dies zu, wie lang hast du dies getrieben? Gewiß, wenn ich lebendig wieder nach Frankreich komme, so will ich bei dem König über dich klagen!" Als der Pilger dies sagte, zog Reinold sein Schwert aus



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und wollte den Pilger schlagen; da fiel ein anderer dazwischen und sprach: "Gnädiger Herr, wir begehren Gnade von Euch; wir sind arme Pilgrime und kommen von Jerusalem, nehmet unsere Kleider und tut damit nach Eurem Gefallen." Da sagte Reinold: "Freund, du tust wohl daran, und wenn du das nicht getan hättest, so wäre dein Mitbruder tot." Da zogen sie ihre Kleider aus und gaben sie Reinold und seinen Brüdern; darnach ließ jener die Pilgrime ihre Straße gehen. Nachdem sie die Kleider angelegt , machten sie sich zu Fuß auf den Weg nach Pierlamont, und als sie dahin kamen, fanden sie, daß das Tor verschlossen war. Da klopften sie an; der Torhüter kam und fragte, wer da wäre, und was sie begehrten. Da antwortete Reinold: "Mein lieber Freund, lasset uns arme Pilgrime durch, wir kommen von Rom und andern Städten mehr; nun haben wir Hunger und Durst, deshalb bitten wir; Ihr wollet uns zu essen geben und uns hernach ruhen lassen um Gottes willen!" Der Torhüter sagte zu ihnen: "Und bittet Ihr noch so sehr, so darf ich Euch doch nicht einlassen ." "Warum?" fragte Reinold. "Das will ich Euch sagen", sprach jener, "weil unsere vier Söhne gefangen sein sollen, nämlich Rittsart, Writsart, Adelhart und Reinold. Aber ich sage Euch, Freund, Ihr sehet dem Reinold so gar ähnlich, und wenn Euer Bart nicht so lang wäre, so sagte ich für gewiß, Ihr wäret der stolze Reinold!" Da sprach dieser wiederum: "Freund, ich bitte Euch um Gottes willen, lasset uns ein; der liebe Gott wolle die Brüder erretten von der Hand König Karls, so er sie gefangen hat; oder, sind sie anderswo, so wolle sie Gott bewahren!"

Als Reinold diese Worte geredet, gefiel das dem Pförtner so wohl, daß er sprach: "Ich will euch einlassen zu unserer Frau, die euch ersättigen wird um unserer vier Herren willen." Da öffnete der Pförtner das Tor, und sie gingen ein und fanden ihre Mutter im Saal sitzen; sie grüßten sie nach Schuldigkeit, das dankte ihnen ihre Frau Mutter. Da sagte Reinold: "Frau, wir kommen von Rom und von St. Jakob in Galicien und von andern Städten mehr; wir haben noch niemals solchen Hunger gehabt wie jetzt, darum gebet uns etwas zu essen, auf daß Ihr des Segens unserer Pilgerfahrt auch teilhaftig werdet!" Da sagte die Frau: "Seid zufrieden und wohlgemut, ich will euch gewiß geben", setzte sie dann an eine Tafel und brachte ihnen zu essen und zu trinken genugsam. Als sie sich satt getrunken hatten, sprach Reinold: "Frau, gebet mir des Weins noch einen Trunk, so will ich König Karl, meinen Vetter, nicht mehr fürchten ." Als Adelhart das hörte, erschrak er von Herzen sehr und stieß den Reinold mit der Hand auf die Brust, daß er darniederfiel; denn er war



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ganz trunken. Als Frau Aja das von Reinold hörte und sah, wie Adelhart in um der Worte willen strafe, und sehr erschrocken war, fiel sie dem Reinold um den Hals mit großen Freuden und konnte von ihm nicht ablassen, bis sie Adelhart aufnahm. Dieses alles sah einer der Edlen an ihrem Hofe, der König Karl gar günstig war; der sprach zu der Fürstin: "Frau, ich sehe wohl, daß es Reinold, Euer Sohn, und seine Brüder sind, die den König Ludwig erschlagen haben. Nun sage ich Euch, kommt Eurem Eide nach, den Ihr geschworen, lasset sie gefangennehmen und schicket sie dem König Karl von Frankreich. So Ihr das nicht tut, so will
ich zum König reiten und ihm anzeigen, wie Ihr Eure Kinder und insonderheit Reinold, den Mörder, wider Euer Versprechen heimlich an Eurem Hofe behalten; und wenn er solches von Euch hören wird, so wird er nicht säumen, sie allhier holen zu lassen, sie vor Gericht stellen wegen des Totschlags und sie darnach mit ihrem Vater Haimon hinrichten und Euch selbst verbrennen lassen!"

Über diese Rede ward die Frau Aja voll Zorns und sprach: "Pfui, du Treuloser, willt du mein Verräter sein und hast mein Brot so lang gegessen? Und wenn mein Bruder noch tausendmal mehr über mich zürnte; und ich müßte ihm noch einen Eid schwören: so begehre ich ihm meine Kinder doch nicht zu schicken, daß er sie ums Leben bringen sollte !" Als der



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Treulose sah, daß er bei der Frau nichts ausrichtete, lief er eilends zu Haimon, redete ebenso mit ihm und stieß noch mehr andere Drohworte aus, als er zuvor gegen die Frau gebraucht. Da ward Haimon zornig, ergriff in aller Eile einen Prügel, schlug den Verräter, daß er starb, und sprach: "Nun weiß ich gewiß, du wirst dem König nichts sagen!" Dann rief er seinen Edelleuten und befahl, sie sollten sich waffnen und ihm seinen Sohn Reinold samt den Brüdern helfen fangen, auf daß er sie dem König Karl mit seinem Eid zuschicken möchte. Da zogen sie ihre Waffen an und gingen mit Haimon vor den Saal in der Meinung, er wolle sie ergreifen. Als Adelhart das inneward, seufzte er zu Gott und sprach: "Nun wolle uns der Herr und seine liebe Mutter beistehen; denn wir sind in großen Sorgen: ich sehe meinen Vater kommen mit einer Menge Volks, um uns zu fangen!" Und nun lief er zur Mutter und sagte: "Mutter, wißt Ihr uns keinen Rat zu geben, daß wir unserm Vater möchten entrinnens Reinold liegt fast tot in Ohnmacht!" Da sagte die Mutter: "Ich weiß keinen Rat, sondern traget Reinold hinein und verwahret die Tür, daß niemand zu Euch kann; denn es ist das beste Gemach im Kastell." Sie folgten ihrem Rat und trugen Reinold in das Gemach; die drei Brüder blieben mit ihrer Wehr vor der Tür stehen und verwahrten dieselbe sehr wohl; unterdessen kam Haimon mit seinem Volk heran, um die vier jungen Helden zu fangen. Da sagte Adelhart: "Ihr Herren, weichet und kommet mir nicht zu nah, oder ich wehre mich, so gut ich kann", und schlug dermaßen mit seinen Brüdern auf sie zu, daß alles tot darniederfiel, was sie nur erreichen konnten. Dieser Streit währte wohl zwei Tage lang, so daß Haimon nichts ausrichtete. Als es nun an den dritten Tag kam, ward Reinold wieder wohlauf und erwachte von seinem Schlaf. Da fand er seine Brüder gegen ihren Vater streiten, als ob sie unsinnig wären.

Jetzt nahm Reinold sein Schwert; sah, daß seine Brüder müde waren, hieß sie hinter ihn springen und sprach: "Nun soll mich Gott strafen, wo ich jemand verschonen will, und wenn es gleich mein Vater selbst wäre!" sprang mit den Worten in das Volk hinein, da es am dicksten stand, und schlug so tapfer unter sie, daß sie es alle fühlen mußten, wie stark sie auch waren.

Als Haimon dies sah, sprach er: "Ich sehe wohl, meine Kinder bleiben diesmal ungefangen; denn Reinold beweist jetzt mehr Tapferkeit als all mein Volk; er hat das beste Schwert, das zu finden ist, und was er trifft, das muß fallen; deswegen laßt uns weichen." Reinold aber folgte seinem



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Vater mit großer Gewalt durch das Heer, worüber seine Brüder sehr traurig wurden und ihm deswegen nachgingen.

Er kam auch wirklich bis zu seinem Vater nahm sein Schwert und wollte ihn erschlagen; da sprang Adelhart herbei und rief: "Bruder, was willt du tun? Willst du unsern Vater totschlagen? Das wäre uns vor Gott und der Welt eine Schande; wir dürften auch unsere Augen an keines Fürsten Hof mehr emporheben; darum bitte ich dich, laß es bleiben sonst erlangen wir unser Leben lang keinen Frieden mit König Karl, und wir können es vor Gott nimmermehr verantworten." Reinold aber sprach: "Bruder, ich sage dir für gewiß, ich will ihm seine Kinder lehren fangen!" nahm den Vater und band ihn auf sein Pferd, verschaffte sich einen Knappen und befahl ihm, er solle das Roß mit dem Gefangenen zum König Karl führen. Der Junge schlug ihm solches ab und sagte: "Warum soll ich das tun? Er ist mein rechter Herr. Wenn Ihr wollt, so tut es selber!" Als Reinold das hörte, ward er zornig und wollte den Knaben totschlagen; der bat aber um Gnade, er wolle sein Begehren gerne tun. Da sagte Reinold, er solle das Pferd mit dem gefangenen Haimon nehmen, es König Karl bringen und sprechen, das Geschenk habe ihm Reinold geschickt; er solle nun mit dem Manne handeln, wie er mit ihm handeln wollte, wenn er ihn gefangen hätte.

Der Knabe kam vor des Königs Palast: aber da war das Tor noch verschlossen; da klopfte er an, bis es der Torhüter hörte; der kam und fragte, von wannen er mit dem Gefangenen käme. Der Knabe sprach: "ES ist Graf Haimon." Als der Torhüter das hörte, sprach er zu Haimon: "Wie geht das zu, gnädiger Herr, wer ist so kühn, der Euch also hieher an unsern königlichen Hof schicken darf?" Haimon antwortete: "Das haben meine Kinder getan; eröffne das Tor und laß mich durchreiten zu dem Könige, auf daß ich ihm kann klagen, wie es mir ergangen ist!" Als er nun zum König kam, wurde er von dem Pferde abgebunden und Hand und Füße ihm aufgelöst. Da fragte ihn Karl: "Haimon, wer hat Euch das getane" Haimon aber antwortete: "Gnädigster Herr und König, das haben mir meine Kinder getan; denn als ich vernahm, daß sie wieder ins Land gekommen waren, machte ich mich samt meinem Volk auf, dieweil ich solches Euer Majestät verheißen, und wollte sie gefangennehmen und sie Euch schicken, daß sie ihren Verbrechen nach sollten gestraft werden; aber sie wollten sich nicht gefangengeben und wehrten sich so ritterlich, daß ich an fünfhundert Mann dadurch verloren."

Als der König das hörte, ward er traurig und befahl, daß sein Volk



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sich rüsten sollte, Adel und Unadel, und sollten mit ihm nach Dordone gehen; er wolle Reinold samt seinen Brüdern gefangennehmen.

Wie sie nun daselbst anlangten, stand Reinold oben auf den Zinnen, sah, daß der König das Kastell belagern wollte und allbereits seine Sturmleitern anlegte; da lief er eilends zu seiner Mutter und sprach: "Ach hört, liebe Mutter, jetzt steht es übel; denn König Karl hat uns belagert , und wofern wir unter seine Hand kommen, so müssen wir alle sterben! Was Mats wisset Ihr uns?"

Da sprach Frau Aja zu Reinold: "Ziehe deine Pilgrimskleider wieder an, so will ich dich gern zum Tor hinauslassen; also magst du davonkommen !"

Reinold folgte seiner Mutter, nahm Urlaub von seinen Brüdern und machte sich wieder auf, nach Montalban zu ziehen, wo er das Roß Beyart gelassen hatte. Aber da ward eine große Traurigkeit zwischen der Mutter und den vier Söhnen. Reinold war voll Leids, daß er seine Mutter und seine Brüder also verlassen mußte, desgleichen die Mutter und seine Brüder wiederum, und einer bat Gott für den andern.

Wie nun Reinold aus dem Kastell und aus der Hand des Königs war, weinte die Mutter bitterlich und sprach zu Adelhart: "Ach! Wie ist mir jetzt so leid, meine Söhne, daß ihr in meinem Hause belagert seidl Ich weiß keinen bessern Rat als daß ihr euch demütiget und gehet willig und barfüßig zu dem König, fallet ihm zu Fuß und bittet ihn um Schonung eures Lebens; ich glaube, er wird euch auf Fürbitte eurer Verwandten zu Gnaden annehmen!" Die drei Brüder folgten der Mutter Rat und gingen zu König Karl willig und barfuß, fielen ihm zu Fuß und baten ihn, er solle ihnen ihre Missetat, so sie wider ihn getan hätten, um Gottes willen vergeben; sie wollten ihm ihr Leben lang mit Leib und Gut dienen. Da fragte der König nach Reinold, wo sie den gelassen hätten. Sie antworteten ihm, sie wüßten nicht, wo er wäre. Da befahl er, man solle ihnen Hände und Füße binden und sie gefangenlegen, er wolle sie so lang behalten, bis er den Reinold dabei hätte: alsdann sollten sie sterben. Als Frau Aja dies hörte, fiel sie in Ohnmacht vor dem König nieder und begehrte , er solle ihre Söhne losgeben. König Karl aber sprach: "Wenn ich Reinold dabeihabe, will ich sie zu Paris an den höchsten Galgen henken lassen." Und so zog er nach Paris und hielt sie gefangen.

Sobald Reinold zu Montalban ankam, erzählte er sein Unglück, daß seine Brüder gefangen seien und der König wolle sie henken lassen; worüber alles zu Montalban traurig war. Reinold aber rüstete sich mit seinein



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Roß Beyart und ritt nach Paris. Er dachte, man würde seine Brüder herausführen, um sie zu henken; dann würde er Leib und Leben für sie eingesetzt haben. Indem kam ein Jüngling dahergelaufen, den fragte Reinold, ob er seinethalben also liefe, um ihn zu verraten; wenn es so wäre, das möchte er ihm sagen, so wolle er ihm sein Roß dazu leihen. Der Jüngling sprach: "Gnädigster Herr l Sollte ich Euch in einer bösen Absicht nachfolgen, der Ihr doch meines Vaterlandes Herr seid, und der ich Euer Hintersaß bin und empfange alle Jahre von Eurer Frau Mutter meinen Unterhalt?" Da fragte Reinold, wie sein Name wäre. Der Jüngling antwortete: "Ich bin Rigant von Napels genannt." Da sprach Reinold: "Mein Freund, wollet Ihr mir eine Botschaft ausrichten an König Karl von Frankreich? Ich will Euch gut dafür belohnen; aber Ihr müsset von ihm sicher Geleit Eures Leibs begehren, daß Ihr hingehen könnt, wohin Ihr wollet!"

Da antwortete ihm der Jüngling: "Ich will die Botschaft gern besorgen; denn ich bin doch Euer Diener; und im Fall mir jemand etwas wird sagen, so will ich ihn mit meinem Stock schlagen, daß er niederfallen soll!" Da sprach Reinold: "Du sollt dem König öffentlich sagen im Beisein des Adels, ich lasse ihn bitten, daß er meiner Brüder Leben verschone, ich will ihm auch willig und barfüßig zu Füßen fallen und ihn um Verzeihung bitten; dazu will ich ihm seinen Sohn Ludwig neunmal mit Gold bezahlen und ein goldenes Standbild machen lassen, so groß, als Ludwig gewesen ist, und will eine Kirche bauen lassen zu Ehren Marias , der Mutter unsers Herrn, und stiften, daß man alle Tag darin soll singen die sieben Worte; zudem will ich ihm mein Roß Beyart samt meinem Kastell Montalban frei und eigen geben, daß ich es als ein Lehen von ihm habe, wenn er nur mich und meine Brüder zu Gnaden annehmen will. Und wenn er mich in seinem Königreich nicht leiden mag, so will ich mit meinen Brüdern über See fahren, damit ich ihm aus den Augen komme; wo er aber mich und meine Brüder in irgend etwas gebrauchen kann, so wollen wir ihm allezeit willig sein und das dergestalt, daß an seinem Hof unsersgleichen nicht sein soll. Wenn sie dagegen der König mit Gewalt wollte hinrichten lassen, so will ich meine ganze Macht darauf verwenden und sie losmachen und alles zerschlagen, was ich daselbst finde!"

Mit diesen Aufträgen nahm der Diener seinen Abschied von Reinold und eilte auf Paris zu. Und als er dahinkam, sah er den König aus seiner Kammer treten; da schämte er sich, daß er den König sollte anreden, und



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hatte seinen Stab in der Hand; jedoch faßte er sich ein Herz und fiel vor Karl nieder auf seine Knie und bewies ihm höchste Ehrfurcht; stand dann wieder auf und sprach: "Gnädigster Herr und König, ich bringe Eurer Majestät gute Botschaft." Da sagte der König: "Gute Botschaft ist mir lieb, was bringest du für Botschaft?" "Ehe daß ich meinen Auftrag vollbringe" , sprach er, "bitte ich, Eure Majestät wollen mir sicher Geleit zusagen, damit ich ungehindert mag von einem Ort zu dem andern gehen und reisen ohne Gefahr meines Lebens. Sollte man dem Boten Leid tun, so würde manche Botschaft unausgerichtet bleiben." Als der König diese Worte von dem Diener hörte, sprach er: "ES ist wahr, ich sage dir sicher Geleit zu, daß dir kein Leid widerfahren soll."

Hierauf brachte der Diener seine Botschaft vor und sprach: "Gnädigster Herr! Es läßt Eure Majestät mit höchster Demut grüßen der allertraurigste Mann auf Erden und der beste Ritter, den die Sonne bescheint." Da fragte der König, wer das wäre. Und der Bote sprach: "Eurer Majestät Schwestersohn, Reinold, bittet Euch demütig um Gnade für ihn und seine drei Brüder; was sie Euch Mißfälliges getan haben, wollen sie wiedererstatten. Erstlich will Reinold Euern Sohn Ludwig neunmal mit Gold bezahlen; dann will er eine Kirche zu Ehren Marias, der Mutter Gottes, bauen lassen und ein Bild von Gold machen, das so groß, als Ludwig gewesen, und die Priester mit Unterhalt begaben, die alle Tage in der Kirche das Amt der heiligen Messe verrichten und die Tagzeiten singen lassen sollen; in allen Klöstern und Kirchen will er Messe singen lassen für die Seele Ludwigs; sein Roß Beyart will er Euch auch verehren, und so Ihr ihn nicht dulden wollt in seinem Königreich, so will er samt seinen Brüdern daraus weichen, oder wo er und seine Brüder Eurer Majestät dienen können, da wollen sie jederzeit geneigt sein, es zu tun; und somit bitten sie, Eure Majestät wolle ihnen hierin willfahren und sie zu Gnaden annehmen." Da sagte der König: "Was weiter?" Da sprach der Bote: "Gnädigster Herr, Reinold sagte: so Ihr nicht wollet Gnade erzeigen, so will er Eurer Majestät ins Land fallen, brennen und rauben, alle Kirchen und Klöster zerstören, und alles Gold und Silber, das er darin findet, will er nehmen und sein Volk damit bezahlen." Da fragte der König noch einmal: "Entbeut mir mein Vetter Reinold nichts weiter?" Der Bote antwortete: ''Ja, gnädigster Herr! Er sagte: Wenn Eure Majestät durchaus nicht will den Zorn fallen lassen, so wird er Euch allenthalben nachtrachten, daß er Euch in seine Hand bekomme und Euch tue, wie er dem Ludwig getan hat."



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Als der König diese Worte von dem Boten hörte, entfiel ihm der Mut; er ward traurig und sprach: "Wahrlich, diese Botschaft ist mir nicht anständig; ich hätte viel lieber etwas anderes gehöret. Aber du bist klug, daß du erst sicher Geleit begehret hast und das von mir selbst; denn wenn ich solches nicht versprochen hätte, so müßtest du jetzt gleich sterben."

Da fragte der König zum drittenmal den Boten, ob er nichts mehr ihm anzuzeigen hätte. Der antwortete: "Nein! Er lässet aber die zwölf Genossen von Frankreich grüßen und empfiehlt dem Bischof Turpin, er wolle seine Brüder in seinen Schutz nehmen, und bittet neben dem auch seine Verwandten und Freunde, daß keiner Rat noch Tat dazu geben wollte; daß man seine Brüder hinrichte. und gnädiger Herr und König, wenn sie mit Gewalt hingerichtet werden, so will er seine ganze Macht daran- strecken und sie erretten, und wenn er schon wissen sollte, daß er sein Leben dabei verlieren würde." Als König Karl dieses auch von dem Boten gehört hatte, sagte er: "Entbeut mir mein Vetter Reinold das, so will ich sehen, wer so kühn sein wird, der sich seiner anzunehmen wagte: denselben will ich in drei Tagen henken lassen." Wie der Diener diese Worte vom König hörte, ward er traurig und nahm seinen Stab, ging zu Roland , fragte den, ob er mit Reinold verwandt wäre oder nicht. Da antwortete Roland dem Diener: "Ja, ich will um keines Dings willen ihn verleugnen; denn er ist mein Vetter!" Da sagte der Jüngling: "Das ist recht, und wenn Ihr den jungen Helden verleugnet hättet, solltet Ihr von meiner Hand gestorben sein." Desgleichen fragte er auch Bischof Turpin, ob Reinold ihm verwandt wäre, das sollte er ihm sagen. Der Bischof antwortete auch: "Ja, ich will sein Freund immer bleiben." Wie der König dieses merkte, fragte er: "Wer hat diesen Boten hieher gebracht, der seine Botschaft so wohl ausrichten kann? Er ist ein verständiger Mensch, stolz und mutig, und handelt in seinem Geschäft, wie sich's gebühret!" sagte darneben: "Wann habt Ihr den Reinold zum letztenmal gesehen?" Der Diener antwortete dem König: "Herr und König, wenn ich die Wahrheit bekenne, so bin ich gestern bei ihm gewesen." Da fragte Karl: "War er dann zu Fuß oder zu Pferde" Der Jüngling sagte: "Ich habe ihn auf seinem Roß Beyart gesehen." Der König sagte zu dem Jüngling: "Willst du mir weisen, wo Reinold, dein Vetter, ist: ich will dir tausend Gulden in Gold schenken, und dich freihalten vor aller Gefahr und vor seinen Verwandten." Da sprach der Bote wieder zu Karl: "Herr und König, das wollte ich nicht tun, und wenn Eure Majestät mir noch achthundertmal mehr geben wollte. Soll ich meinen eigenen Herrn verraten? Und dies



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solltet Ihr wissen: wenn ich bei Reinold wäre, und Eure Majestät wollte ihn gefangennehmen, ich würde ihm mit Gut und Blut beistehen, und ihn aufs beste verteidigen!" Der König antwortete wieder dem Boten: "Auf dein Wort noch viel weniger denn auf Reinolds Stolz achte ich, und wenn ich dir nicht so fest Geleit zugesagt hätte, wollte ich dich um solcher vermessenen Worte willen henken lassen."



***
Dieser Bote nun, den Reinold zu König Karl abgefertiget hatte, um Verzeihung für seine und seiner Brüder Missetat zu erlangen, blieb länger aus, als er sollte; da ward Reinold gar zornig, vermeinte, der König hätte ihn henken lassen, und der Arger machte ihn so müde, daß ihn der Schlaf überfiel und er sich dessen nicht erwehren konnte; da ritt er gen Vordel in den Wald, stieg von seinem Pferd ab und band es an eine Staude; dann legte er sich nieder mit seinem Haupt auf den Schild und schlief ein. Mittlerweile bekam das Roß Hunger und war begierig auf das Gras, schüttelte sich so lange, bis es losward, und ging ein wenig zum Wald hinaus zu weiden.

Über das kamen an fünfundzwanzig Bauernknechte, wollten auch Fütterung haben für ihr Vieh und sahen das Roß weiden gehen; die sagten untereinander: "Siehe, ist das nicht das große Roß Beyart, auf welchem Reinold geritten, der unsern König Ludwig erschlagen hat? Lasset uns das auffangen und unserem König Karl bringen, der wird uns unsere Mühe wohl belohnen; denn ich weiß, daß wir ihm einen angenehmen Dienst tun, und wo wir das vollbringen, so werden wir alle reich genug." Darauf machten sie alsbald ein Netz von Weiden und andern Zweigen, umringten das Roß damit und brachten es dem König nach Paris. Da gab's zur Stunde ein solch Geschrei in der Stadt, daß das Roß Beyart gefangen wäre, daß jedermann zulief und wollte es sehen. Zu selbiger Zeit war der König auf seinem Schloß und Roland bei ihm; die sahen zum Fenster heraus und erblickten sehr viel Volks und vermeinten, sie



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hätten sich geschlagen; deswegen ging Karl mit seinem Vetter Roland herunter, zugleich aber kamen die Bauernknechte, brachten das Roß Beyart und verehrten es dem König. Der nahm es freundlich an und befahl, man sollte den Knechten Essen und Trinken geben und dazu ein Geschenk, dadurch sie ihr Leben lang glücklich würden; denn er schätzte das Roß so hoch, daß es mit keinem Gold zu bezahlen wäre. Darnach nahm er das Roß und schenkte es seinem Vetter Roland; dieser dankte gar höflich dafür, gedachte jedoch bei sich: "Ich wollte, daß es mein Vetter, Graf Reinold , wiederhatte, und daß die Diebe alle gehangen wären, die es ihm gestohlen haben; auch will ich dazu raten, daß es geschehen solle!"

Wie die Knechte gegessen hatten, ließ sie der König wieder zu sich kommen und fragte sie, wo sie das Pferd bekommen hätten. Da antworteten sie dem König: "Gnädigster Herr, wir haben es bei Vordel in dem Walde gefunden, da ging es im Gras weiden." Da fragte Karl, ob sie den Reinold nicht gesehen hätten. Sie sprachen, nein, sie hätten von ihm nichts gehöret.

Als nun der König das Roß dem Roland geschenkt hatte, daß er damit tun möchte, was ihm gelüste, da begehrte dieser vom König, er sollte den Knechten, die es gefangen hätten, befehlen, daß sie es wohl in der Fütterung hielten und fleißig acht darauf hätten, damit es nicht verloren würde, und wenn sie es versäumten, daß sie alle dafür sterben sollten. Der König tat nach Rolands Begehren und übergab das Roß den Knechten, daß sie es wohl halten und ihm gut Futter geben sollten: denn er wolle lieber viel Geld verlieren als das Pferd. Indem der König mit den Knechten redete, ward es an dem ganzen Hofe kund, daß dem Roland das Roß geschenkt war; da kamen die Frauen zu Roland und begehrten, er sollte das Tier reiten, auf daß sie sähen, wie geschwind es im Laufen und Springen wäre; denn sie hätten Wunder von demselben gehört. Roland sagte, er müßte erst Erlaubnis von dem König haben; kehrte deshalb um, ging zum König und fragte, ob er den Frauen zu Gefallen das Roß reiten solle; denn sie begehrten das von ihm. Da antwortete Karl: "Ich hab ' Euch das Roß freieigen gegeben, Ihr möget Eurem Gutdünken nach damit leben!" Dafür dankte Roland dem König und sagte: "Ich will das Pferd satteln und damit aus der Stadt reiten an den Ort, wo man die Pferde zu schulen pflegt, und die Frauen sehen lassen, was Beyart kann." Der König sagte: "Das tut, Roland; denn von ihnen erlangt Ihr alle Ehr' und Tugend; was Wunders, daß man ihnen etwas zu Gefallen tut!" Roland ging alsbald in den Saal, wo die Frauen beieinander waren, und



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sagte mit gebührender Ehrerbietung, er wolle am nächsten Sonntag das Roß reiten, sie sollten da an dem Ort erscheinen.

Wie inzwischen Reinold wieder erwachte, sah er nach seinem Roß Beyart; und als er das nicht gewahr wurde, sprang er auf, gebärdete sich, als wenn er sinnlos wäre, und sagte: "Oh, unglückliche Stunde, in der ich geboren bin, wie ist mir das Glück zuwider ! O Tod, warum verschonest du meiner so lang und nimmst mir nicht das Leben, da du siehest, daß kein so kläglicher Mann unter der Sonne ist, wie ich bins Ich sehe nun, daß das Sprichwort wahr ist: ein Unglück kommt nicht allein; denn meine Brüder sind gefangen, und ich habe jetzt auch mein Roß verloren; ich, der ich mich so stolz vermessen, ich wollte meine Brüder aus König Karls Hand erretten ; aber ich weiß jetzt, daß es Gottes Wille nicht ist; denn er liebt den König mehr als mich; darum kann ihm niemand schädlich sein!"

So ward sein Leid immer größer, erzog seinen Harnisch und seine Sporen ab und sprach: "Was soll mir dies nun, weil ich mein Roß Beyart verloren habe?" Indem er also stand und seine Not wehklagte, kam ein Mann aus einer Hecke, der konnte sich in eine andere Gestalt verwandeln durch die Macht der Schwarzkunst: jetzt jung, jetzt alt; bald krumm, bald wohlgestalt. Der war Malegys genannt und verließ sich auf seine Kunst, brauchte dazu Kräuter und Steine, die er allezeit bei sich in den Kleidern trug. Wenn er wollte, war er ungestalt, daß sich einer vor ihm fürchtete, hatte einen langen Bart bis auf die Brust, Augbrauen, daß sie ihm in die Augen hingen und er also durch die Haare sehen mußte, schien auch über zweihundert Jahr alt zu sein und ging an einem Stock. Derselbige kam zu Reinold, grüßte ihn und bot ihm einen guten Tag. Reinold dankte ihm und sprach: "Ich habe keinen guten Tag gehabt dieweil ich lebe oder geboren bin!" Da sagte Malegys: "Herr Reinold, Ihr müßt nicht verzweifeln, Gott wird alle Dinge zum besten kehren; denn wenn ein Mensch in höchster Not, so ist Gott am nächsten und hilft ihm aus dem Elend." Reinold antwortete: "Freund, ich glaube nicht, daß mir jemand aus meinem Elend helfen kann; denn es ist viel zu groß: ich habe erstlich meine Brüder verloren, die hat König Karl von Frankreich gefangen und will sie henken lassen. Dann vermeinte ich, dieselben mit meinem Roß Beyart zu erretten; während ich nun ein wenig geschlafen habe, ist mir das auch gestohlen worden. Nun weiß ich keinen Trost mehr, bin deshalb in einem so großen Elend, daß mir kein Mensch daraus helfen kann!" Malegys sprach: "Junger Herr, seid nicht traurig, sondern fasset ein Herz und bittet Gott um Gnade, er wird sich erbarmen und Euch aus Euren Nöten



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helfen und Eure Brüder von dem Tod erretten! Glaubt mir, ich bin meiner Lebtage so weit in fremden Ländern gewesen als ein Pilgrim zu Rom, zu St. Jakob und zu Jerusalem, aber ich hab ' Euresgleichen noch nirgends gefunden in solcher Traurigkeit." Da sprach Reinold: "Ja, Freund l Mein Leid ist unaussprechlich, ich wollte lieber tot sein denn länger in solchem Elend bleiben." Darauf sagte Malegys: "Herr; ich bin ein armer Mann; so Ihr mir etwas zu geben habt, so will ich Euer und Eurer Brüder eingedenk sein in meinem Gebet zu Gott dem Allmächtigen, daß der sie wolle erretten aus der Hand des Königs Karl." Reinold aber erwiderte: "Ich habe Euch nichts zu geben": da fielen ihm seine Sporen ein, welche von gutem Gold gemacht waren; die gab er dem Pilgrim und sagte: "Sehet; da habt Ihr die Sporen, das ist das erste Geschenk, das mir meine Frau Mutter Aja gab, als mich mein Vater, Graf Haimon, zum Ritter schlug. Gott schenk ' ihr langes Leben! Auf die Sporen erhaltet Ihr wohl zehn Pfund!"

Malegys nahm die Sporen, dankte ihm, steckte sie in einen Sack und sprach: "Herr, ich bitte, habt Ihr einige Gabe mehr, die Ihr mir geben



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könnet; sollt Ihr des Gebets desto mehr teilhaftig werden!" Da fragte Reinold den Pilgrim: "Treibet Ihr Spott mit mir? Ich sage Euch in der Wahrheit, wär' es mir keine Schande, ich wollte Euch lehren betteln, Ihr solltet noch eine Weile daran denken!" Darauf sagte Malegys: "Fürwahr , Herr, wenn Ihr das tatet, so tatet Ihr Sünde. Wenn mich alle die geschlagen hätten, von denen ich Almosen begehrt habe, ich wäre vor hundert Jahren tot gewesen; denn ich bitte um Almosen in Kirchen und Klöstern , wo ich kann." — "Das ist wahr", sagte Reinold, "wenn Ihr nicht bittet, wer wird Euch was gebens In der Not muß man beten!" Malegys aber sprach: "Herr, jetzt saget Ihr recht, gebt mir noch etwas, so will ich Gott bitten, daß er Eure Brüder aus dem Gefängnis und Euch von Eurem Leid erretten soll." Als Reinold das hörte, gab er ihm seinen Nachtrock und sprach: "Siehe, Pilgrim, da könnet Ihr lang davon zehren ; den gebe ich Euch um Gottes und seiner lieben Mutter willen, daß Gott meine Brüder behüten wolle vor dem schmählichen Henkerstod, und daß mir auch kein Leid widerfahre und ich der Gewalt König Karls mög ' entfliehen!"

Auf diese Worte nahm Malegys den Nachtrock, schlug ihn zusammen und steckte ihn in einen Sack; dann bat er den Reinold noch einmal und sprach: "Herr, habt Ihr noch etwas zu geben, ich bitte um Gottes willen, so gebt es mir, ich will es in meinem Gebet wiedererstatten." Als Reinold dies hörte, ward er sehr zornig und sprach: "Du Unflat, spottest du meiner? Hab ' ich dir nicht genug gegeben?" zog sein Schwert aus und schlug nach ihm. Malegys aber entsprang dem Schlag, hielt ihn ab mit seinem Stab und sprach: "Schlagt Ihr mich mehr; so wird es Euch reuen; ich werde mich wehren!" —"Wolltest du dich wehren?"sprach Reinold, "ich sage dir, fürwahr, wenn deiner so viel als Bäume im Wald wären, so solltest du mir nicht entgehen!" Da fing Malegys an: "Reinold! Ich sage Euch für gewiß, Ihr wisset wenig, was ich kann, und wenn Ihr mich mehr schlaget; so werdet Ihr Wunder sehen!" Darüber wurde Reinold sehr zornig und schlug wieder nach dem Malegys; aber der wehrte den Streich abermals ab, brauchte seine Kunst und verwandelte sich in einen Jüngling von zwanzig Jahren. Darüber verwunderte sich Reinold über die Maßen und erschrak heftig. Er gedachte bei sich selbst: "Was will das werden, wie wird mir das Glück jetzt so widerwärtig; denn ein Unglück kommt mir über das andere: meine Brüder sind gefangen, mein Roß ist dahin — König Karl will mich hängen; jetzt kommt der Teufel gar und will mich zu necken anfangen!" Indem zog er sein Schwert;



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schlug wieder nach dem Malegys und vermeinte, ihn totzuschlagen; Malegys aber entwich dem Streich und rief mit heller Stimme: "Vetter Reinold! Was tut Ihr? Kennet Ihr mich nicht?" Reinold sprach: "Nein, wer seid Ihr denn?" Da sagte Malegys: "Ich bin Euer Vetter Malegys ." Als Reinold das hörte, fiel er ihm zu Fuß und sprach: "Lieber Vetter! Nächst Gott stehet all mein Vertrauen auf Euch: ich bitte, Ihr wollet mir das nicht für übel halten; ich habe Euch nicht gekannt; bitte; Ihr wollet doch meinen Brüdern behilflich sein, daß sie von ihrem Gefängnis erlöst werden mögen. Ich habe mein Roß verloren und kann ihnen nicht mehr beistehen t" Malegys erwiderte: "Höret, Vetter Reinold, was ich tun will: ich will mit meiner Kunst Euch das Roß herbeibringen. Indessen müsset Ihr tun, was ich Euch sage."

Reinold, wie er das hörte, ward sehr erfreut und sprach: "Vetter, was Ihr gebieten werdet, das will ich tun, sollt' ich darum sterben." Malegys nahm nun einen Frauenmantel, gab ihn dem Reinold, denselben über den Harnisch zu ziehen, dazu einen Hut; der voll Löcher war und ein altes Paar Hosen, die sollt' er antun. Er selbst hing auch einen Frauenmantel um, setzte einen Hut auf sein Haupt und brauchte seine Kunst. Er veränderte Reinold in die Gestalt eines Mannes von hundert Jahren, sehr krank, ungestalt von Leib, mit langem Haar. Darnach gingen sie fort; wer sie sah, der meinte, es wären die zwei ärmsten Pilgrime, die man jemals gesehen: aber wann sie unter sich allein waren und niemand bei ihnen, so waren sie in voriger Gestalt und zwei tapfere Ritter. So gingen sie bis an den Wald Bordole und errichteten nahe an demselben eine Hütte, unter welche sie sich setzten. Über eim kleine Weile sah Malegys vier Mönche reitend kommen, da sagte er zu Reinold: "Bleibet hier und wartet meiner, ich will den Mönchen entgegengehen; denn ich will beichten."

Als Reinold dies hörte; sagte er: "Vetter; macht, daß es uns möge besser gehen!" Hiermit schieden sie voneinander. Als nun Malegys zu den Geistlichen kam, grüßte er sie; die dankten ihm und sprachen: "O Gottl Pilgrim, wieviel Leute habt Ihr überlebt; bis Ihr seid so alt worden? " Er sagte: "Ich bitte Gott, daß er mich so lang leben lasse, bis ich meine Sünde gebeichtet hab '; ich bitte, Ihr Herren, es woll' einer unter euch meine Beichte hören!" Da sagte einer von ihnen: "Freund, geht hin zu einem Pfarrherrn; denn wir haben nicht Zeit, sondern müssen unsere Reise beschleunigen." Der Pilgrim aber sprach: "Herr, Ihr sehet wohl, daß ich ein armer, kranker Mann bin: soll ich denn in meinen Sünden



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sterben, so muß ich ewig verloren sein! Aber ich hoffe, Ihr werdet mir das nicht abschlagen!"Dann fing er an: "Herr, ich muß Euch klagen, wie es mir ergangen ist; ich hatte wohl in die zwanzig Pfund gesammelt, und als ich in den Wald kam, begegnete mir Reinold, nahm mir mein Geld und schlug mich schier tot; aber ich habe noch vier Byzantiner von Gold in meine Kleider versteckt, die konnte er nicht finden, die blieben bei mir, sonst wär ' ich derselben auch quitt l Nun weiß ich nicht, was ich tun soll: ich bitt' Euch aber, Herr l hört meine Beichte und sprecht mir die Absolution ." Da sagte der Mönch zu den andern auf Latein: "Ihr Herren, lasset uns die Byzantiner von dem Pilgrime nehmen, wir wollen seine Beichte hören; die sind hernach gut auf dem Weg zu verzehren!"

Der Rat gefiel den andern Mönchen auch wohl, sie riefen den Pilgrim zu sich, hörten seine Beichte und absolvierten ihn. Darnach fragte sie der Pilger, was sie Neues wüßten; ob nicht bald der Adel zusammenkommen würde. Die Klosterbruder sagten: "Ja, sie hätten gehört, daß am nächsten Sonntag zu Paris viel unter den Edelleuten sollte zu tun sein; denn Roland würde den Frauenzimmern zu Gefallen das Roß Beyart reiten, damit die Frauen sähen, was das Pferd vermöge mit Laufen und Springen ; denn sie hätten viel davon gehört, als es Reinold noch gehabt." Der Pilgrim fragte: "Soll das wahr sein, ist Beyart da?" — "Ja", sagte ein Mönch, "der König hat Roland das Roß geschenkt, und wann Roland das Pferd geritten hat, so will der König Gericht halten über Haimons Kinder und sie zu Paris an den Galgen henken!" Da sprach der Pilgrim: "Herr! Ich sage Euch, sie sind noch nicht gehangen; noch möchten sie mit dem Leben davonkommen und errettet werden!" Der Mönch aber sagte: "Sie leben noch, aber sie sind in großer Gefahr; auch will Karl noch Gericht halten über Reinold und hat uns befohlen, wir sollen ihn in den Bann tun: niemand soll ihn beherbergen noch ihm Essen und Trinken zukommen lassen; und so sich jemand unterstehen würde, solches zu tun, den sollen wir auch in den Bann tun."

Der Pilgrim, dies von den Mönchen hörend, wurde zornig und gedachte bei sich selbst: "Du hättest gute Lust und schlugest diese vier Schwarze tot!" Dann sprach er mit falschem Herzen zu ihnen: "Oh, ihr Herren, ich bitte euch um Gottes willen, fallet mit mir auf die Knie und bittet für mich, daß meine Beichte mir selig sei, daß ich vollkommene Neu und Leid über meine begangenen Sünden habe und standhaft in meiner Buße bleibe, damit ihr der guten Werke, die ich getan und noch tun werde, mit teilhaftig werdet!" Als die Mönche des Pilgrims Reden hörten, sieken



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sie aus Mitleiden auf ihre Knie und baten Gott, er wolle dem Pilger Standhaftigkeit zu seinem Vorsatz und Besserung seines Lebens geben, weil er lang in Sünden gesteckt.

Unterdessen übte Malegys seine schwarze Kunst und wurde wieder jung und stark, nahm seinen Pilgrimsstab, der wohl mit Eisen beschlagen war, und schlug einen Pfaffen, daß er zur Erde fiel. Als die andern dies sahen, wurden sie sehr bestürzt und wollten entrinnen, aber wegen der langen Kleidung konnten sie nicht fortkommen; also schlug er sie alle tot. Als Reinold dies sah, sagte er zu Malegys: "Ach, Vetter! Was habt Ihr getan? Ihr habt die Mönche alle totgeschlagen, die Euch absolvieren sollten von Euern Sünden!" Malegys antwortete: "Vetter Reinold, die Pönitenz, die sie mir auferlegt haben, war zu schwer, darum hab ' ich sie totgeschlagen." Reinold sprach wiederum zu seinem Vetter: "Sollte ich alle die getötet haben, die mir schwere Buße auferlegt, ich hätte müssen in einem Kloster über hundert Geistliche von diesem Orden erschlagen!" Da antwortete Malegys: "Vetter Reinold, lasset diese Worte bleiben und kommt mir zu Hilfe, daß wir sie ausziehen, ihre Kleider auf die Pferde binden und diese ins Kloster führen!" Reinold ward zornig, daß die Mönche tot waren, und sagte: "Vetter, ich will das nicht tun; wenn Ihr wollt, so tut es selber!"

Da Malegys sah, daß Reinold ihm nicht helfen wollte, zog er die Mönche aus, band ihre Kleider zusammen, machte sie fest auf die Pferde und ließ die Körper am Wege liegen; dann ging er nach dem Kloster, das vor Paris lag, und fragte nach dem Abt. Der Pförtner meldete ihn. Als Malegys zu dem Abt kam, neigte er sich und sagte: "Würdiger Herr t Graf Reinold läßt Euch freundlich grüßen und schickt Euch diese Pferde und Kleider, er begehrt, Ihr möchtet für ihn und seine Brüder bitten, daß sie bei König Karl zu Gnaden möchten kommen!" Der Abt fragte: "Wie kommt Ihr zu den Pferden und Kleidern ?"Malegys sprach: "Würdiger Herr! Reinold hat vier Geistliche erschlagen im Walde Bordole und zwang uns, daß wir die Rosse hieher bringen sollten!"

Sowie Malegys seine Rede vollendet hatte, sagte Reinold gar heimlich zu ihm: "Vetter, Ihr habt sie erschlagen!" Malegys stieß den Reinold an, der merkte gar bald, daß er das täte um seines Besten willen. Der Abt aber fragte den Zauberer: "Freund, hat Reinold alle vier erschlagen, das wird Gott an ihm wohl rächen; ich will das Geschenk von ihm nicht annehmen ; denn er ist im ganzen Königreich in die Acht getan, dergestalt, daß man ihm kein Essen und Trinken geben soll, vielweniger etwas verkaufen;



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und wir werden ihn auch in unserer Kirche in die Acht erklären!" Da sprach Malegys zum Abt: "Wenn Ihr denn das Geschenk nicht annehmen möget, so wollen wir wieder zu Reinold ziehen und ihm solches anzeigen. Wenn er es erfährt; so weiß ich gewiß, daß er kommt und brennt Euer Kloster auf den Grund abl" Als der Abt das von Malegys hörte, entsetzte er sich und sprach: "Freund, ich habe mich anders bedacht; ich will das Geschenk behalten, und wir wollen Reinolds und auch seiner Brüder eingedenk sein in unserm Gebet, auf daß Gott ihnen allen wolle Gnade verleihen, daß sie von ihrem schweren Gefängnis erlöset werden und einen guten Frieden mit König Karl schließen. Wir bitten zugleich, Ihr wollet uns bei Reinold kein böses Spiel machen!" Malegys anwortete: "Nun wohlan, würdiger Herr, auf Eure vorgebrachten Worte wollen wir alles hier lassen, was wir hergebracht haben t"Also schieden Reinold und Malegys von dem Abt und beide zogen nach Paris.

Sonntag morgens, als der Gottesdienst verrichtet war, ging ein jeder zu Tisch; indem kam Reinold und Malegys nach Paris vor die Brücke und sahen da eine Scheuer stehen, in der viel Stroh war; davon nahm Malegys einen großen Armvoll, trug es auf die Brücke, und sagte: "Reinold , ach, lieber Gesell! Wie kommst du auf dies Stroh? Ich weiß, daß dir das Stehen schwer ankommt; denn du bist weit gegangen, so gut als ich!" Mittlerweil kam ein Mann daher aus der Kirche, den beschwor Malegys , daß er seinem Gesellen helfen wolle, daß er auf das Stroh käme, damit er sich nicht wehe täte und ausruhete. Der gute Mann tat es gar gerne und half ihm, daß er zu sitzen kam; denn er sah ihn für den Ärmsten an, den er jemals getroffen hätte, gab ihm auch einen Pfennig; denn es dünkte ihm, daß er wohl bedürftig wäre; den gab er dem Malegys aufzubewahren.

Darnach sagte der gute Mann zu Malegys: "Freund, habt Ihr keine Herberge, so gehet mit mir!" Da antwortete ihm Malegys: "Ja, Herr, dessen weiß ich Euch Dank; wo soll ich Euch finden?" Der Mann sagte: "Allernächst unter dem Baum findet Ihr ein Wirtshaus, da gehet ein, die Wirtin wird Euch freundlich aufnehmen!" Malegys dankte dem Mann für seine Güte und sagte: "Freund, wir wollen Gott wieder für Euch bitten." Als darauf Malegys sich mit seinem Gesellen auf der Brücke setzte, hatte er auf einmal eine goldene Schüssel mit Edelgesteinen, hell wie die Sonne. In diese zauberte Malegys einen köstlichen Trank, von dem allerköstlichsten Wein und allerlei Kräutern und Spezereien, daß wer des Tranks genoß, in allen Sachen dem Malegys untertänig



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und gehorsam sein mußte. Darauf gab er dem Reinold seine goldenen Sporen wieder und sprach zu ihm: "Vetter, bindet Eure Sporen wiederum an Eure Füße." Da sagte Reinold: "Was sollen mir die Sporen an meinen Füßen, da ich meines Rosses Beyart quitt bin!" Da entgegnete Malegys: "Vetter Reinold ! Ziehet sie an und Eure Hosen darüber; ich will das Roß mit meiner Kunst Euch wieder zur Stelle bringen und werde Euch auch zweimal wieder daraufheben, aber Ihr werdet allemal wieder auf der andern Seite hinabfallen; doch das drittemal, wenn sie Euch wieder daraufhelfen, so bleibet fest daraufsitzen!"

Als Malegys den Reinold so unterrichtet hatte, wie er sich verhalten sollte, kamen die Herren von Hof mit einer großen Menge von Adel und Unadel, groß und klein, samt vielen Frauen; darnach die Ritter, einer nach dem andern, gar herrlich geziert auf ihren Pferden, auch standen da viele ehrbare Leute und besahen die Ritterschaft. Da sagte einer zu dem andern: "Saget mir doch, welcher ist der schönste und trefflichste unter den Rittern, die Ihr jetzt habt sehen über die Brücke reiten, oder der noch darüber reiten wird?" — "Das ist Roland, der den Ferragu erschlagen hat!" Da sagte eine der Frauen: "Nein, der schönste ist Olivier!" — "Ach nein", sagte eine dritte, "es ist der Herzog von Bayerland." Diese Worte hörte eine andere, die neben stand und nicht von der Gesellschaft war, die sprach: sage Euch in der Wahrheit, ich weiß noch einen andern, wenn der hier wäre! Der übertrifft die übrigen alle an Schönheit und ritterlichen Taten!" Da fragten die andern Damen, wer das wäre. Darauf antwortete jene: "Ach! Den kennet Ihr nicht, er ist Reinold genannt; der darf nicht ins Königreich kommen, und wenn er auch hieher kommen dürfte, ich sage Euch gewiß, er wäre der schönste und vortrefflichste; der heut über die Brücke geritten ist und noch reiten wird."

Dies ganze Gespräch der Frauen hörte Reinold an und mußte lachen. Das erzürnte Malegys, er stieß den Reinold und sagte: "Vetter, Ihr müßt nicht lachen." Da sagte Reinold: "Ach, Vetter, verzeihet mir, das Frauenzimmer macht mich lachen!"Als nun die Ritter alle über die Brücke waren, kam der König auch; neben dem Roland ward das Roß Beyart geführt von den Knechten, denen es bei hoher Strafe anbefohlen war, darüber zu wachen. Als König Karl nun auf die Brücke kam, sah er den Malegys und Reinold und zwischen ihnen eine schöne goldene Schüssel, da sagte er zu Roland: "Sehet, Vetter, da zwischen den zween Pilgrimen steht eine goldene Schüssel, die über die Maßen wohl gefertigt ist, eine solche ließe ich nicht für tausend Dukaten machen!" — "Das ist wahr",



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sagte Roland, "wir wollen fragen, wo sie die Schüssel her haben"; ritten also zu dem Pilgrim, und Beyart ward vor ihnen hergeführt, das Roß schnoberte den Pilgrim an und erkannte den Reinold, daß er sein Herr war, stellte sich auch gar freundlich gegen ihn. Da fragte der König den Malegys: "Freund, woher kommt Euch die schöne Schüssel, das möchte ich wissen!" Da antwortete Malegys: "Gnädiger Herr! Fürwahr, man findet überall Gutes genug. Wenn ich gewußt hätte, daß ich meine Schüssel unter diesem Volke sollte verlieren, ich würde sie nicht vorgesetzt haben ; ich hoffe, in Euer Majestät Lande wird der Arme beschützet wie der Reiche mit seinem großen Gut." Der König fragte abermal, wie er zu der Schüssel käme; denn er wolle es wissen. Da antwortete alsobald Malegys: "Gnädiger Herr, das Geld, welches ich darum gegeben habe, das ist vor eilf Jahren in Kirchen und Klöstern von mir zusammengebettelt worden; dann hab ' ich sie weihen lassen; sie heißt der Heilige Gral und ist dazu gebraucht worden an dem Grünen Donnerstag, als der Herr das Abendmahl mit seinen Jüngern genossen; der Papst zu Rom hat die Messe darüber gelesen und gab ihr die Macht, wer aus derselben ein Süpplein isset, der wird aller seiner Sünden los, und wenn er schon bis über die Ohren darin steckte wie Maria Magdalena, als sie die Füße unsers Herrn mit ihren Zähren benetzte und mit ihrem Haar trocknete." Darauf sagte der König zu Roland: "Vetter Roland, dies sind gewiß zween Engel, von Gott gesandt; denn das stumme unverständige Tier erzeigt ihnen Ehre!" Malegys verstand diese Worte, nahm einen Bengel und schlug auf das Roß Beyart, daß es aufsprang.

Da fragte der König den Pilgrim: "Warum schlaget Ihr das Roß?" Malegys antwortete: "Es kam uns zu nah, und wenn ich's nicht geschlagen hätte, es hätte meinem Gesellen Leid getan; ich bitte deshalb, wollt es ein wenig hinter sich führen; denn wir fürchten uns davor." Da ließ der König das Roß Beyart auf die Seite führen und begehrte, daß Malegys ihm selbst ein Schnittlein aus der Schüssel gebe, auf daß er seiner Sünden entledigt würde. Er bot ihm dafür einen güldenen Pfennig. Da sagte Malegys: "Das stehet nicht in meiner Macht, es sei denn, daß Ihr mir den König weiset." Der König antwortete: "Man sagt, daß ich's bin." Da sagte Malegys: "Gnädigster Herr, so bitt ' ich um Verzeihung, daß ich so ungeschickt gegen Eure Majestät geredet habe; denn ich habe Euch nicht gekannt." Der König sprach: "Mein Freund, warum sollt' ich Euch das übel deuten, ich begehre allein von Euch ein Schnittlein aus der Schüssel, ich will Euch das mit einem güldenen Pfennig vergüten." Darauf



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antwortete Malegys: "Gnädiger Herr und Königl Das darf ich nicht tun, sei denn, daß Ihr denen allen verzeihet, die Euch jemals erzürnt oder Leids getan haben. Ihr wisset wohl, daß Christus allen denen vergeben hat, die ihm den Tod angetan haben am Stamm des Kreuzes!" Der König sprach: "Freund, das ist wahr, aber Reinold hat mir so viel übels getan, daß ich's ihm nicht vergeben kann; und sonst noch ein einiger Mann, Malegys genannt welcher als Schwarzkünstler umhergeht, denselben kann ich noch viel weniger in meinem Königreich leiden; ich wollte, daß ich sie alle beide gefangen hätte, ich ließe sie henken. Nun saget mir Pilgrim: was ist das für einer, der da bei Euch isi?"Malegys antwortete: "Er ist taub, stumm und blind." Da sagte der König: "Gib mir ein Süpplein aus der Schüssel zur Vergebung meiner Sünden!" Jener sprach aber zu Karl: "Herr König, hier liegt mein armer Bruder, der in fünfzig Tagen nicht gesehen, gehört noch geredet hat; solch Unglück bekam er in einer Nacht in einem Hause, darin wir zur Herberge lagen, und vorgestern kamen wir zu einer Wahrsagerin, die sagte zu ihm, sie wüßte keinen bessern Nat, der ihm helfen könnte, denn allein, wann er an den Ort käme, wo man das Roß Beyart reiten sollte, daß er dasselbige auch reiten möchte; das sollte ihm helfen von allem seinem Elend." Da sagte der König: "Freund, da wäret Ihr zur rechten Stunde hieher gekommen; denn Beyart wird hier geritten werden: aber ich sage Euch noch einmal, gebt mir ein Süpplein aus der Schüssel, so will ich Euern Gesellen das Roß Beyart reiten lassen."

Malegys, diese Worte hörend, sprach: "Herr König, es soll geschehen. Eure Majestät weiß wohl, daß Christus zu Bethlehem geboren ist in armer Gestalt und in schlechte Leinwand gebunden ward; solches tat seine Demut; denn Gott wollte haben, daß der Mensch allen Hochmut und alle Pracht meiden und demütig sein solle." Der König antwortete: "Freund, das ist wahr"; da sagte Malegys wiederum zum König: "Gnädigster Herr ! Lasset auch die Knechte, die dahinten stehen, einen Löffelvoll nehmen, das will ich Euch zu Gefallen tun." Der König sagte: "Pilgrim, ich bin's zufrieden", und befahl gleich, daß die Knechte vor ihm nehmen sollten ; das taten sie auch, sie kamen alle zu Malegys mit gefalteten Händen und begehrten, daß er ihnen solches reichte, aber sie wußten nicht; was sie taten. Darnach kam der König selbst in großer Andacht und empfing ein Süpplein in der Meinung, daß ihm seine Sünden dadurch sollten vergeben sein.

Als dies geschehen war, ließ der König das Roß Beyart vor Paris hinaus



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an den Ort bringen, wo man es reiten sollte, und da kamen auch die Pilger mit großer Müh und Arbeit hin. Während sie nun auf dem Wege waren, sagte der König zu Roland: "Lieber Vetter, ich bitte, Ihr wollet diesen kranken Pilgrim auf Euer Roß sitzen lassen, daß er das reite, so wird er durch Gottes Hilfe gesund werden; Ihr verdient Gottes Lohn daran!" Roland sprach: "Ja, gnädiger Herr König, das will ich gerne tun", nahm zur Stunde den Pilger in seinen Ann und hob ihn auf das Roß, aber der fiel von der andern Seite wieder ab; das war Roland von Herzen leid, er half ihm wieder darauf; aber er fiel an der andern Seite wieder ab. Als Malegys dies sah, sagte er: "Ach Herr! Ihr tut große Sünde, daß Ihr den armen Mann so hart fallen lasset und mit ihm Kurzweil treibet, das Roß ist hoch, fällt er noch einmal davon, so ist er tot!" Als der König hörte, daß er so oft von dem Pferd gefallen sei, sprach er zu Roland: "Ich bitte Euch, Vetter Roland, haltet den Pilgrim doch fest; daß er nicht mehr falle; er möchte sonst sterben!" Da nahm ihn Roland auf und setzte ihn wieder auf das Roß, da blieb er darauf sitzen.

Sowie Reinold auf dem Beyart war, setzte er seine Füße in die Stegreife, damit er fest sitzen konnte, und sprach zu den Knechten, welchen das Roß befohlen war: "Ich wollte gern einmal allein reiten." Da befahl der König, man sollte den Pilgrim allein reiten lassen. Als Malegys hörte, daß sein Gesell wieder reden konnte, dankte er Gott, und fragte ihn, ob er auch sehen und hören könnte. "Ja", sagte er "ich bin von aller meiner Krankheit gesund worden!" Als der König das hörte, sagte er zu dem Bischof Turpin: "Herr Bischof, laßt uns Gott zu Lob eine Prozession mit Kreuz und Fahnen halten, daß Gott der Herr diesen elenden Menschen durch Reitung des Pferdes hat lassen gesund werden; denn es ist ein groß Wunderwerk."

Nun brauchte Malegys seine Kunst daß Reinold wieder zu seinen vorigen Kräften kam. Reinold merkte, daß man nicht besonders Achtung auf ihn gab, und stieß das Roß mit den Sporen; wie dieses merkte, daß sein Herr wieder auf ihm saß, schickte es sich zum Laufen an und sprang eine gute Strecke weit. Als das die Knechte sahen, denen das Roß befohlen war, erschraken sie sehr und fürchteten, sie müßten es mit dem Hals bezahlen . Malegys aber, der dies mitansah, stellte sich gar übel, schlug sich mit Fäusten, raufte sich die Haare aus und rief: "O gnädiger Herr und König! Mein Gesell ist auf Euer Roß gesessen, ich fürchte, er möchte den Hals brechen; denn es stellt sich so wunderlich mit ihm an!"

Wie der König sah, daß Malegys sich so übel gebärdete, befahl er in



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der Eile den zwölf Genossen, sie sollten das Roß mit dem Pilgrim einholen und ihm davon helfen. Da ritten sie alle dem Pilger nach, Roland und Ogier waren die ersten, darnach der Herzog von Bayerland mit Samson, und so fort die andern Herren; sie vermeinten alle, den Pilgrim zu erlangen, wußten aber nicht, daß es Reinold war. Reinold, dies merkend, sah sich öfter um, ob sie ihm folgten, und redete bei sich selbst: "Ach, daß ich wüßte, ob meine Verwandten mir in guter oder böser Absicht folgten; ich tue wohl besser, mich entgegenzusetzen wie gegen Fremde!" Daher zog
er sein Schwert aus und hielt das Roß so lange an, bis sie in seine Nähe kamen. Da rief er ihnen zu, und fragte: "Saget, ihr Herren, habt ihr mir den Tod geschworen, daß ihr mir so nachjaget? Das offenbaret mir alsobald."

Da erkannten sie ihn nicht und sagten: "Nein!"Endlich gingen Roland die Augen auf: "Vetter Reinold", sprach er, "wir haben nicht gedacht, daß wir Euch allhier finden sollten!" Der Bischof Turpin verwunderte sich auch und sagte: "Seid mir willkommen, lieber Reinold, wie kommt Ihr hieher?" Reinold dankte ihm und sprach: "Dies ist Gott gefällig gewesen." M kam auch Olivier, verwunderte sich und sagte: "Vetter Reinold , ich bin wohl zufrieden und danke Gott, daß ich Euch noch gesund



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findet" Letztlich kam Ogier und sprach: "Lieber Vetter, nun saget mir doch, wer ist der andere Pilgrim, der bei dem König geblieben ist?" Reinold antwortete ihm, und sagte: "Es ist mein Vetter Malegys; es ist eben der rechte, der es sollte sein; denn er treibt nur seinen Spott mit dem Könige!" Da rief Reinold die Herren zusammen und bat vor allem Roland, daß er den Malegys bei dem Könige nicht verraten sollte; darnach begehrte er von Bischof Turpin und den andern Herren, daß sie wollten seine Brüder, die noch in des Königs Hand seien, in ihren Schutz nehmen und nicht zulassen, daß sie umkamen oder nach dem Galgen geführt würden. Als Folcos Sohn dies hörte, sagte er: "Reinold, ich will dich jetzt unserm König gefangen liefern, der soll dich und deine Brüder morgen henken lassen!" Reinold rief: "Dafür behüte mich Gott!" zog sein Schwert aus und schlug ihm seinen Kopf ab; darüber lachte Roland und sagte: "Habt Dank, Vetter; Ihr habt ihm recht getan, er hat seinen rechten Lohn bekommen!"

Nach diesem nahm Reinold Urlaub von den Herren, befahl sie dem lieben Gott, stellte seine Brüder in Gottes und ihre Gewalt: "Meinen Vetter Malegys", sprach er, "befehle ich Maria, des Herrn Mutter; denn ich darf hier nicht länger bleiben!" Also schied er von ihnen und ritt nach Montalban.



***
Als die Herren von Reinold geschieden waren, ritten sie wieder zum Könige und beschlossen auf dem Weg, was sie diesem für einen Bescheid bringen wollten, wie es ihnen ergangen wäre. Als sie nun zum Könige kamen, war dieser wohl zufrieden, da er sie sah, und fragte, ob sie das Roß Beyart mitbrächten. "Nein, gnädiger Herr und König!"Indem sah er den Schildknecht, der tot auf einem Pferde dahergebracht wurde, und fragte: "Wer ist der, den ihr tot daher bringet? Ist's der kranke Pilgrim, der auf dem Roß Beyart geritten ist?" Roland sagte: "Nein, Herr König, es ist Folcos Sohn von Morlin." Da fragte der König: "Wer hat ihn getötet?" Roland sprach: "Herr König, das habe ich getan." Der König antwortete: "Lieber Vetter, das ist nicht recht." Roland sagte wieder zum König: "Gnädiger Herr und König, Euer Majestät ist das Roß Beyart wohlbekannt, und wenn es anfängt zornig zu werden, so ist's so böse, daß man's nicht bezwingen kann. Wir waren ihm so nah, daß wir meinten, wir hätten es gewiß in unsern Händen gehabt; da kam der Schildknecht und wollte allein die Ehre haben, zog sein Schwert aus und griff nach Beyart. Als Beyart das bloße Schwert sah, floh es und lief



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hinweg, als wenn es unsinnig wäre; also verloren wir es zwischen zweien Wäldern und einem Ackerland; darum erzürnete ich und schlug ihn tot." Als der König das hörte, sagte er: "Vetter Roland, Ihr habt nicht unrecht daran getan; es war gar eine Vermessenheit, daß er vor euch allen das Pferd allein fangen wollte; doch wäre es mir lieber, es wäre nicht geschehen!" Als der König ausgeredet hatte, sagte Roland zu ihm: "Herr König, ich begehre, Euer Majestät wolle die Knechte alle, denen das Roß anbefohlen ward, aufhenken lassen; denn sie sind Ursache, daß es uns entkommen Da ließ der König die Knechte zur Stund aufhenken. Darnach ging Malegys zum König und sprach: "Ach, wie ist mir geschehen, mein Gesell ist auf das Roß gesessen; ich fürchte, er wird davon gefallen sein und sterben; dieses bekümmert mich gar sehr, ich will eine Wallfahrt über See tun und für seine Seele bitten, daß Gott der Herr der wolle gnädig sein", und stellte sich gar traurig. Als der König des Malegys Elend und Jammer ansah, tröstete er ihn und sprach: "Freund, seid zufrieden, ich will Euch in ein Kloster tun, wo Ihr Euer Leben lang sollt unterhalten werden, und so ich vernehme, daß Euer Genosse tot geblieben ist, so will ich alle Tage zu Ehren der Mutter Gottes eine Messe für seine Seele lesen lassen." Malegys dankte dem König und sagte: "Ich kann nicht länger bleiben", und nahm also Urlaub vom Könige. Dann befahl Karl seinem Schaffner, er sollte dem Malegys hundert Dukaten in Gold geben; die nahm Malegys und zog also von Paris. Als nun dies sich so zugetragen hatte, ließ der König seine Edelleute und alle seine Räte zusammenkommen und sprach: "Ihr Herren, ich schwöre bei meiner Krone, ich will Gericht halten über die, welche meinen Sohn so mörderischerweise erschlagen haben!" Und alsobald ließ er des Neinolds Brüder aus dem Gefängnis bringen, und hieß ihnen ihr Angesicht bedecken und ihre Hände binden, als ob es Diebe gewesen wären, und wollte sie hinrichten lassen.

Wie nun der Bischof Turpin dies sah, erbarmete er sich über sie und sagte: "Herr König, ich bitte, wollet unsere Vettern erstlich vor Gericht und vor die Schöffen kommen lassen; denn es ist ja Euer eigen Fleisch und Blut." Da antwortete der König: "Herr Bischof, durchaus nicht; ich will, daß sie heute sterben sollen; denn sie haben mir meinen Sohn erschlagen und müssen nach ihren Werken den Lohn empfangen." Der Bischof sagte: "Herr König, dieser Herren hier ist schier keiner, der nicht mit ihnen verwandt wäre; darum zweifle ich nicht, sie werden es ungerne sehen, daß man sie henkt, und wo Ihr solches zulasset, werdet Ihr wenig



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Dank davon haben." Da fragte der König: "Herr Bischof, wollet Ihr Euch gegen mich aufwerfend" — "Nein", sagte der Bischof, "aber wir wollen nicht verwilligen, daß sie sollen gehangen werden." Der König entgegnete: "Ich will sie doch hängen lassen und gern sehen, wer mir's wehren wird." Der Bischof sprach wieder: "Ich glaube nicht; daß es die Herren werden zulassen; denn sie sind ihnen schier alle verwandt." Da rief der König den Folco von Paris zu sich und sagte: "Was ratet Ihr, soll ich meine Vettern hängen, oder soll ich sie leben lassen?"Folco sagte zu dem König: "Großmütigster König, da ist Eure Majestät selbst klug und verständig genug dazu; wenn aber Bischof Turpin sich Eurer Majestät widersetzt und Ihr sie nicht hängen laßt, so wird man sagen: der König hat es nicht tun dürfen."

Da der König dieses hörte, ergrimmte er noch mehr, schwur noch einmal bei seiner Krone, und sagte: "Nun sollen sie sterben, es koste auch, was es wolle", aber der Schwur war ihm hernach von Herzen leid. Der Bischof, diese Worte des Königs hörend, ward zornig und sprach: "Nun, wohlan, gnädiger Herr und König, es ist unser Wille und Meinung sämtlich, daß Ihr sollt den drei Gebrüdern, unsern Vettern, das Leben lassen; es sei Euer Majestät lieb oder leid!" Der König versetzte dem Bischof: "Wie, wollet Ihr Euch gegen mich auflehnen?" und schlug nach dem Bischof. Der Bischof, dies ersehend, nahm den König bei dem Hals und hätte ihn fast erwürgt, aber die andern fielen dazwischen und brachten sie wieder voneinander. Der König ward gar zornig und sagte: "Nun will ich sehen, wer diejenigen sind, die mich absetzen und auf Eurer Seite leben und sterben wollen!" Als der Bischof das hörte, sprang er auf die Seite und rief: "Oh, ihr Herren und Freunde, die mich mit Treue meinen und nicht von mir weichen wollen, stehet mir in meiner Not bei; denn in der Zeit der Not kennet man einen Freund!" Als der Bischof diese Worte geredet, trat von dem König zu ihm Graf Aymerich, Arnolds Sohn von Mailand, nach ihm Herr Arnold, ein stolzer und gewaltiger Ritter, nach diesem der Herzog von Burgund, der sagte: "Herr Bischof, wir wollen Euch helfen und beistehen mit Leib und Gut gegen alle, die Euch anfechten werden, seid darum nicht traurig!"Auf ihn folgte Richard von der Normandie, Ogier, auch ein gewaltiger Ritter, der Herzog von Balmon und seine zween Söhne, Bertram und Richard, Graf Olivier von Genua und der stolze Roland, darnach noch etliche andere mehr. Als die Herren nun an des Bischofs Seite standen, sagten sie alle mit lauter Stimme: "Seid nicht traurig, Herr Bischof, wer Euch jetzt Leid tut, der



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soll es uns tun, und sollt' es unser Leben kosten." Als der König das sah, sprach er zu Roland: "Vetter Roland, was tut Ihr? Ich meinte, wer auch von mir abgefallen, so wäret Ihr doch bei mir blieben? Ich sehe wohl, ich habe Euch vergebens so lang an meinem Hof behalten, habe Euch umsonst allen andern Herren vorgezogen und mein Vertrauen auf Euch gesetzt; Ihr lasset mich in der Not stecken; das hätte ich Euch nicht zugetraut !" Da sagte Graf Roland: "Gnädigster Herr! Ich achte dies nicht; Eure Majestät sollte sich schämen vor der ganzen Welt, daß Ihr diese drei Herren hinrichten wollet, die doch von königlichem Geblüt und Eure Verwandten sind." Da rief der König abermals den Folco von Paris und sprach: "Folco, was saget Ihr hierzu, soll ich meine Vettern losgeben oder nicht?" — "Eure Majestät ist klug und verständig genug", sprach dieser, "sehet Ihr nicht, daß Eure besten Freunde sich gegen Euch waffnen , und dem Bischof zufallend Wenn Ihr die drei Herren losgeht, so wird man sagen, Ihr habt sie nicht richten dürfen nach dem Willen Eurer Räte und habt sie also müssen laufen lassen!" — "Das ist wahr", sagte der König.

Als Ogier dies Wort von Folco hörte, ward er zornig, sprang hervor und schlug demselben ins Gesicht, daß er vor des Königs Füße fiel, als ob er tot wäre, und sprach: "Ei, du falscher Ratgeber und böser Tyrann, willst du das Blut dieser drei Herren und siehest, daß wir's nicht begehren? Du sollst des Tages Ende nicht erleben!" Dann ging er zu den drei Brüdern, lösete ihnen ihre Hände, entblößte ihnen das Gesicht und wollte sie nicht also länger gebunden sehen. Da fragte der Bischof: "Wer will nun diese drei Herren hängen? glaube, es wird niemand so kühn sein!" Der König sprach: "Herr Bischof, Ihr seid sehr trutzig gegen inicht" Der Bischof antwortete: "Herr König, ich hab ' Eurer Majestät zuvor gesagt und sag ' es noch: wenn ich mich gegen Euch sperren wollte, so wollt ' ich durch die Gunst, die ich genieße, Euch Land und Leute und die Krone abzwingen!" Als der König das hörte, ward er zornig und beklagte sich vor seinem ganzen Rat.

Der Bischof, welcher sah, daß sich der König so sehr grämte, ließ die Herren wieder binden, wie sie zuvor gebunden waren, lieferte sie in des Königs Hand und sagte: "Gnädiger Herr und König, da habt Ihr Eure Gefangene wiederum, tut nach Eurem Gefallen, aber ich rate Eurer Majestät; laßt sie los um das Entgelt, welches Reinold für sie geboten hatt" Da sagte der König: "Ach, die Allerliebsten, auf welche ich mich verlassen, weichen nun von mir, wie ist mir also geschehen?" Da sprach Roland:



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"Fürwahr, Herr König, ich tue das nicht, daß ich von Euch abwiche. Wollet Ihr gegen die Türken und Heiden streiten, so will ich Euch nicht verlassen, werd ' auch noch getreuer sein als vorhin; ich will allezeit vorn und nie der Hinterste sein und Euch allweg dienen t"

Hierauf bedachte sich der König und sagte: "Habt Ihr's gehört, Herr Bischof, heute sollen meiner Schwester Kinder sterben; denn ich will meinen Sohn rächen, ich kann solche Schmach nicht vergessen! Ach, ihr Herren, wie tut ihr so übel; ich verwundre mich, daß ihr euch wider mich also betraget Soll ich den Eid, so ich geschworen habe, nicht vollführen können, daß ich meiner Schwester Söhne töte und mich also räche an Blut meines Sohnes, den sie so jämmerlich erschlagen haben?"

Über diese Rede war er selbst ein wenig bestürzt, doch sagte er weiter: "Ich hätte wahrlich gemeint, ihr solltet mir in solchem Fall beigestanden haben!" Hierauf sprach der Bischof: "Gnädiger Herr und Königl Eure Majestät erzürne sich nicht über uns, daß der Eid, den Sie geschworen, nicht erfüllt wird; es ist schon zweimal geschehen, daß Sie einen Eid gebrochen hat, darum achten wir es nicht hoch, ob er für diesmal auch gebrochen wirdt" Da sprach der König: "Habt Ihr das getan, so ist's mir leid, da weiß ich nichts davon." Der Bischof sagte: "Ich will es Euch wohl sagen: denkt Ihr nicht mehr daran, daß Ihr im zornigen Mut bei Eurer königlichen Krone schwuret Ihr wollet Amalis von Olinde hängen lassen, weil er Eure Tochter entführt hat; und nun ist er Euer allerliebster Sohn, Ihr habt ihm Eure Tochter zum Gemahl gegeben und dazu noch Land und Leute!" Als der König dies hörte, sagte er zu dem Bischof: "Herr Bischof, ich verbiete Euch bei meiner Krone, lasset die Worte sein und streitet nicht länger gegen meine Person; denn ich sehe wohl, Ihr gewinnet mir Land und Leute abl" Da sagte Roland: "Herr König, ich rate Eurer Majestät als ein Freund, haltet die Herren alle drei noch ein wenig gefangen. Ihr werdet Euch dann etwas bedenken, so daß sich alles zum besten wenden kann!" — "Das will ich tun, Roland", sprach der König.

Darauf wurden die Brüder, welche in großer Gefahr gestanden, wieder ins Gefängnis geführt und also schied der Nat voneinander; der König ging in seine Kammer, und alle Dinge wurden für diesmal beigelegt. Als dies sich also zugetragen hatte, kam Malegys wieder gen Paris, um des Reinolds Brüder auch zu erretten; denn sie meinten alle Stund, sie müßten sterben. Er ging deshalb nach dem Palast in das Gefängnis und erwies daselbst seine Kunst, daß die Fallbrücke niederfiel und das Tor sich



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öffnete; also begab er sich zu den Gefangenen und brauchte seine Kunst abermals, daß die Schlösser des Turms zersprangen, die Tür entzweiging und er zu ihnen hineinkam. Da nahm er Adelhart Rittsart und Writsart bei der Hand und schüttelte ihnen ihre Schlösser ab, mit welchen sie geschlossen waren: aber die Brüder wußten nicht, daß es Malegys, ihr Vetter, war, sondern sie meinten, daß es des Königs Diener wäre und wollte sie heimlich umbringen. Sie waren deswegen sehr traurig und fingen an, bitterlich zu weinen. "Acht"riefen sie, "es ist nun um unser Leben getan Malegys hörte dies jämmerliche Grämen, erbarmte sich ihrer und sagte: "Liebe Herren, seid zufrieden und erschrecket nicht, es hat keine Not: ich bin Malegys, euer Vetter, ich will euch aus dem Gefängnis führen."

Wie die Brüder dieses hörten, waren sie von Herzen froh. Hierauf sagte Adelhart: "Lieber Vetter, ohne Eure Hilfe stehet unser Leben in der Hand des Herrn und König Karls: wir bitten, Ihr wollet uns helfen." Darauf nahm sie Malegys bei der Hand, führte sie aus dem Gefängnis bis an die Brücke der Stadt Paris, sagte aber dabei: "Ich hab ' übel getan, daß ich euch aus dem Gefängnis geführet habe ohne Wissen des Königs; ich will hingehen und es ihm anzeigen und Erlaubnis von ihm begehren." Da sprach Adelhart: "Vetter, ich bitte Euch, lasset uns gehen; denn ich weiß, er wird Euch keine Erlaubnis geben." Malegys aber ließ die Herren allein daselbst stehen, ging zum König bis vor sein Bett und sagte: "Herr König, Gott gebe Euch einen guten Tag, und Gott wolle Eurer Seele Geleitsmann sein, wenn sie aus diesem Jammertal scheiden wird. Ich kann nicht unterlassen, Herr König, Euch kundzutun, daß ich meine Vettern aus dem Gefängnis geholet habe und hinweggeführt bis an die Brücke vor Paris, es gehe wohl oder übel. Nun bitte ich, gnädigster Herr und König, Ihr wollet mir erlauben, daß ich sie wieder möge hinwegführen nach Montalban; daselbst werden sie Euch keinen Schaden mehr zufügen, viel weniger Eure Majestät daselbst fürchten!" Als der König dies im Schlaf hörte, antwortete er: "Nehmet Eure Vettern und tut mit ihnen, was Euch gefällt!" wußte aber selbst nicht, was er geredet hatte.

Als Malegys solche Worte von dem Könige gehört; war er wohlzufrieden, sah sich um nach des Königs Krone und nahm sie samt Karls Schwert mit sich, ließ diesen zusehen und brachte die drei Herren samt der Krone nach Montalban. Wie Reinold seine Brüder sah, sprang er vor Freuden auf und dankte seinem Vetter herzlich. Sie blieben nun samt Malegys zu Montalban beieinander. Nachdem Malegys fort von dem König war,



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schlief dieser wieder ein, und als er erwachte, wußte er nicht, ob er dieses alles gesehen und gehört hätte, oder ob es ihm in einem Traum so vorgekommen; er ging deswegen, sobald er sich gekleidet hatte, nach dem Gefängnis, um zu sehen, ob solches wahr oder ob es ein Traum gewesen wäre. Als er dahinkam, fand er das Gefängnis offen, und die Gefangenen waren heraus; da ward er sehr zornig und ging wieder nach seinem Gemach. Unterwegs kam ihm Roland entgegen und begrüßte ihn. "Herr und Königl"sprach er, "zu guter Stunde seid Ihr also früh aufgestanden!" Da sagte der König zu Roland: "Liebster Vetter Roland, gehet mit mir; ich muß Euch mein Unglück klagen, das mir diese Nacht widerfahren. Vergangene Nacht, als ich im Schlaf war, kam der Betrüger Malegys zu mir, so mir recht ist, und sagte mir, er hätte Reinolds Brüder aus dem Gefängnis genommen, und bat mich um Urlaub, daß er sie nach Montalban führen möchte, damit sie mich nicht fürchten sollten; ich meinte, er stünde vor mir, und ich gab ihm Urlaub, sie hinwegzuführen, sah auch, daß er meine königliche Krone samt dem Schwerte zu sich nahm; ich fürchte, ich werde es nimmer bekommen!" Roland antwortete dem König und sagte: "Herr König, habt Ihr Malegys Urlaub gegeben und nehmt es ihm nun für übel: was ist das?" Der König aber sprach: "Roland, treibet Ihr Euern Scherz mit mir? Das muß mich verdrießen!" So gingen sie miteinander in des Königs Kammer; Karl aber war sehr übel zufrieden wegen seiner Gefangenen, seiner geraubten Krone und seines entführten Schwertes.



***
Weil nun der König nicht wußte, wie er wieder zu seiner Krone kommen sollte, so ließ er eine neue viel schönere und kostbarere machen; auch hätte er gern wieder ein Roß gehabt, das dem Roß Beyart an Größe, Stärke und Geschwindigkeit gleich wäre. Daher wurde ihm von dem Ritter Dunay geraten, er solle seine Krone als Kleinod aussetzen und in seinem ganzen Lande ausschreiben, welcher Lust und Belieben trage, mit seinem Pferd um die Krone zu rennen, der solle sich nach Paris verfügen; da wolle der König dieselbe aussetzen, und welcher der erste mit seinem Pferd an dem Ziele wäre und die Krone erreichte, dem wolle er sie viermal mit rotem Gold abkaufen samt dem Roß, mit welchem er sie erlangte.

Dieser Rat gefiel dem König wohl; er gedachte, auf diesem Weg dürfte er das beste Pferd bekommen, das im ganzen Königreich wäre, und mit welchem Roland der Gewalt, die Reinold üben möchte widerstehen und ihn fern von Frankreich halten könnte. Er setzte daher die Krone; die er



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erst hatte machen lassen, als Kleinod aus, daneben befahl er, es solle sich ein jeder mit den besten Pferden versehen, die er bekommen könnte.

Solches erfuhr Reinold von einem guten Freunde, den erin Frankreich hatte, der kam in aller Eile zu ihm nach Montalban und sagte: "Herr Reinold, ich tue Euch zu wissen, daß der König seine Krone zum Kleinod zwischen Montalban und der Seine aufgesetzet dazu alle Ritter berufen, mit den edelsten Pferden zu Paris zu erscheinen und ihr Bestes tun mit Rennen, um die Krone zu gewinnen, in der Hoffnung, daß er auf diesem Wege das beste Pferd bekäme, um Euch damit zu bezwingen und fern vom Lande zu halten." Reinold erwiderte: "Freund, schweige davon still; wenn es meinem Vetter Malegys ratsam zu sein dünket, so will ich nach Paris reiten und das Kleinod gewinnen; denn ich weiß, er findet kein Roß, das meinem gleich ist im Laufen und Springen." Dieweil er mit diesem redete, kam Malegys dazu, und Reinold erzählte ihm, was er gehört. Da sprach Malegys: "Wo meint der König ein solch Roß finden, das dem Beyart gleichkommt mit Laufen und Springen? Das ist ihm nicht möglich; derhalben rate ich Euch, Vetter Reinold, daß Ihr dahin ziehet und nehmet Eure Brüder samt Eurem Volk mit Euch, damit Ihr desto besser verwahrt seid, und sehet, daß Ihr die Krone davonbringet: ich selber will auch mitreiten."

Da ließ Reinold das Roß Beyart satteln, rüstete sich in aller Eile, und sie zogen aus. Als sie gen Orleans kamen, fragte Malegys nach der besten Herberge; sie stiegen von ihren Pferden und gingen hinein. Als es nun Zeit war zu essen, wuschen sie ihre Hände, setzten sich zu Tisch und befahlen , daß man den Pferden ihre Gebühr auch geben sollte, saßen also und waren fröhlich; denn es war allda kein Mangel.

Als die Mahlzeit ein Ende hatte, ging ein jeglicher lustwandeln, wie es ihm wohlgefiel; aber Malegys und Reinold begaben sich in einen Garten, darin allerlei Kräuter und Blumen standen; da suchte Malegys etliche davon, die ihm nötig waren, und stieß sie zusammen in einem Mörser; den Saft nahm er und bestrich Reinolds ganzen Körper damit.

Dadurch veränderte Reinold die Farbe und sah viel jünger aus, als er war, also daß man ihn nicht erkennen konnte. Als Adelhart, des Reinolds Bruder dies sah, lachte er und sagte zu den andern Brüdern: "Sehet, Brüder! Was hat unser Vetter getan durch seine Zauberkunst!" Darauf ging Malegys in den Stall und veränderte dem Roß Beyart auch seine Farbe; es war vorhin schwarz, darnach wurde es so weiß wie Schnee, daß man es nicht erkennen konnte.



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Wie dieses die Brüder sahen, mußten sie lachen und sagten wieder zueinander: "Wenn ich nicht wüßte, daß es Beyart wäre, so könnte ich es jetzt nicht erkennen, so sehr ist es nun entstellt; und ich weiß gewiß, daß niemand unter der Sonne ist, der es erkennen kann." Als dies geschehen, fing Malegys an: "Nun lasset uns fort gen Paris reiten; denn niemand kennet jetzt Reinold, noch das Roß Beyart, wie genau man es besieht!"

Reinold, der tapfere Held, ließ sein Pferd satteln und rüstete sich samt seinen Brüdern, und sein Vetter Malegys desgleichen, doch keiner war so herrlich als Reinold. Aber die Worte, die Reinold und Malegys mit den Brüdern gewechselt hatten, hörte ein Verräter; derselbe lief eilends nach Paris, meldete alles dem König und sagte, daß Reinold sich gerüstet hätte und nach Paris reiten wolle, um die Krone zu gewinnen; denn er habe es von ihm sagen hören. Als der König dieses vernahm, entfiel ihm der Mut, und er sprach: "Freund, was sagt Ihrs Ich weiß, daß Reinold nicht hieher kommen darf, und wenn er die Stadt Paris damit gewinnen könnte!" Da antwortete der Verräter: "Herr, ich sage Euch, fürwahr, es geschieht, denn ich habe ihn samt seinen Brüdern und Malegys zu Orleans gesehen ." Als der König das hörte, ward er zornig, rief Folco von Morlin und sagte zu ihm: "Ich will dir dreißigtausend Mann geben, darüber sollt du Obrister sein und mit ihnen nach Orleans ziehen, daß du meinen Vetter Reinold bekommest und bringst ihn gefangen hieher. Wenn er sich gegen dich zur Wehr stellt, so haue ihn samt seinen Brüdern und Malegys in Stücke und bringe mir ihre Häupter, dafür will ich dir schwer Gold geben." Folco willigte ein, zog hinweg mit seinem Volk, besetzte alle Pässe und Straßen und sprach: "Nun ist Reinold samt seinen Brüdern mein Gefangener , Gott wollte es denn anders; ich will nun fleißig Achtung geben, daß er mir nicht entkomme."

Unterdessen kam Reinold auf vier Meilen Wegs nahe bei Paris auf ein schönes Feld, wo er einen guten Brunnen fand. Da verließen Reinold und Malegys das Volk, das sie bei sich hatten, und befahlen es dem Adelhart, daß er darüber gebieten solle als ihr Oberster; so ritten sie gen Paris und sprachen zu Adelhart: "Wenn man uns mit Gewalt überfallen würde, so wollen wir eine Trompete blasen: alsdann komme du uns mit dem Volk ohne langen Verzug zu Hilfe." Als sie nun zu Paris angekommen waren, sagte Malegys zu Reinold: "Wenn man Euch etwas fragen wird, so antwortet sanftmütig auf Bretagnisch und lasset Euch nicht merken, daß Ihr Französisch reden könnet."

Jetzt nahte Folco mit seiner Schar und sah Reinold herankommen. Da



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sagte Reinold zu dem Malegys: "Vetter, was sollen wir tun? Lasset uns wieder umkehren zu unserm Volk; denn sehet, da kommt Folco von Morlin." Darauf antwortete Malegys: "O Reinold, ich merke wohl, Ihr habt kein Herz mehr; reitet fort und fürchtet Euch nicht; denn niemand kennt Euch und das Roß!" Inzwischen ritt Folco tapfer auf Reinold zu und hatte ein Schwert in seiner Hand; als er bei ihm ankam, vermeinte er, das wäre ein junger Knabe, und sah, daß er nicht gewaffnet war; dessen schämte er sich, senkte sein Schwert, nahm den Reinold bei der Hand und fragte ihn: "Jüngling, wo kommst du her, und wo bist du geborene"Da antwortete Reinold ihm auf Bretagnisch mit gelinden Worten. Folco aber sprach: "Rede Französisch; denn ich verstehe dich sonst nicht. Fürwahr, Jüngling", sagte er, "ein solch groß Pferd habe ich noch niemalen gesehen ; es ist schier dem Roß Beyart gleich, das der Reinold hatte, und wenn es schwarz wäre, so spräche ich, es wäre das Roß Beyart."Und also ließ er den Reinold seine Straße reiten. Darnach kam der Ritter Dunay zu Folco, fragte ihn: "Wie, Folco, habt Ihr den Reinold nicht erschlagen? " — "Nein", sagte dieser, "es ist Reinold nicht 'gewesen, es ist ein junger Held von vierzehn oder fünfzehn Jahren er kommt aus Bretagne!" Als Dunay dies hörte, steckte er sein Schwert ein und ritt ihm in aller Eile nach; und als er zu Reinold kam, nahm er seinen saum in die Hand und fragte ihn auch, wo er geboren wäre. Reinold antwortete ihm gar demütig: "In Bretagne, in Brevie bin ich geboren." Dunay sagte: "Sprecht Französisch, ich verstehe Euch sonst nicht." Als Dunay aber hörte, daß er sonst keine Sprache reden konnte, sagte er: "Nun, so reitet hin in Gottes Namen!"

Darnach nahm Dunay Malegys Pferd bei dem Zaum und fragte ihn auch, wo der junge Held geboren wäre. Malegys antwortete auf Französisch und sagte: "In Bretagne; er ist eines Grafen Sohn, aber sein Land und Leut' hat er versetzt." Da fragte Dunay: "Wie ist er denn zu dem Pferd gekommen? Das ist ein schön, groß und geschwindes Roß, desgleichen hab ' ich niemals gesehen. Es ist fast dem Roß Beyart gleich, und wenn es von Haaren wäre, wie jenes ist, so sagte ich, es wäre Beyart selbst; denn es hat eben seinen Gang und Gestalt, nur nicht die Haare!" — "Das ist kein Wunder", sagte Malegys, "daß es groß ist, es hat niemals nichts anders gefressen als Kom und Brot, und das allein darum, weil der König hat verkündigen lassen, er wollte seine Krone zum Kleinod aussetzen auf das beste Pferd, welches am geschwindesten und am mächtigsten wäre im Turnieren und Rennen; dasselbe wollte er kaufen, der



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Meinung, daß man den Reinold bezwingen und gus dem Lande halten sollte; derhalben hat der Jüngling sein !Pferd allein mit Korn und Brot füttern lassen; denn er hofft, die Krone zu gewinnen und den Preis davonzutragen Da sprach Dunay zu Malegys: "Habt Ihr nichts von Reinold vernommene" Malegys erwiderte: "Ich glaube, er ist noch dahinten und trachtet sehr nach des Königs Unglück." Dann nahm er Urlaub von dem Ritter Dunay und ritt Reinold nach. Dunay aber ritt zu Folco von Morlin und sagte zu ihm: "Mich dünkt, daß wir vergeblich auf Reinold warten; denn ich weiß, daß er nicht nach Paris kommt, und wenn er schon die Stadt Senlis, Orleans und Amiens damit verdienen könnte!" Folco antwortete dem Ritter Dunay und sprach: "Fürwahr, Hem, das dünkt mich auch; und wenn es der Ritter Reinold erfährt, daß wir sein allhier warten, so wird er lachen, seinen Spott mit uns haben und sagen: Jetzt sehe ich, daß man mich sehr fürchtet, da sie mit solcher Gewalt auf mich warten! ' Mit diesen Worten kehrten sie wieder nach Paris zu dem König.

Als Folco vor den König kam, fragte ihn dieser, ob er Reinold bekommen hätte. Er antwortete seinem Herrn: "Nein, Herr König." Der Ritter Dunay aber sagte zu Karl: "Gnädigster Herr König, es wäre gar unweislich getan, wenn wir den stolzen Ritter Reinold daselbst sollten erwarten; denn er wird sich wohl besser besinnen, denn daß er gen Paris kommt; und ich weiß, wenn er schon Senlis, Orleans und Amiens damit gewinnen könnte, so kommt er doch nicht hieher." Der König antwortete: "Das ist wohl wahr, was Ihr saget, Herr Dunay, aber er ist von Eurer Verwandtschaft; darum habt Ihr dem Folco davon abgeraten; aber fürwahr, ich sage Euch, wenn mir der Reinold entkommt, so will ich Euch an seiner Statt henken lassen!" Darauf erwiderte Dunay: "Gnädiger Herr, nicht also, ich will Eurer Majestät einen andern Rat geben; Ihr sollet alle Tore der Stadt zusperren lassen und an jegliches Tor ungefähr drei oder vier gewaffnete Mann stellen und alle die fremden Ritter und Herren draußen lassen; und wenn nun Reinold mit einigen Pferden käme und gern herein sein wollte, so könnte man ihn alsobald ergreifen und Eurer Majestät gefangen ausliefern!"

Der König hielt den Rat für annehmlich und befahl, ihn ins Werk zu setzen; er ließ die Stadt Paris bewachen, auf daß er den Ritter Reinold möchte bekommen. Reinold und Malegys kamen. Aber niemand war da, der ihnen aufmachte. Als Malegys dies sah, steckte er sein Haupt durch ein Loch des Tors und sah einen gewaffneten Mann dasitzen; denselben



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sprach er mit guten Worten an und sagte: "Freund, warum läßt der König die Tore alle verschließen? Dessen verwundere ich mich sehr, daß alle diese Ritter und Herren hieraußen bleiben müssen. Oder meinte der König , daß er alle gute Pferde darin hat? Ach, nein! Es ist noch eines hieraußen, das ist das beste, des wird er wohl innewerden!"

Der gute Mann sagte zu ihnen: "Meine Freunde, es ist nicht darum geschehen; es ist nur um den Ritter Reinold zu tun." —"Ist's sonst anders nichts als um Reinold ?"sprach Malegys, "ich hab ' gehört; er ist noch dahinten, aber er trachtet gewaltig nach des Königs Schad ' und Unehr!" Indem nun Malegys also redete mit dem Wächter, stand da ein Verräter neben Reinold, der sagte: "Hab ' ich Reinold jemals gesehen, so ist es der, welcher auf dem großen Roß sitzt, und das Pferd ist Beyart!" Malegys, dies hörend, veränderte den Reinold noch mehr, und Beyart verstand die Worte auch, die der Verräter redete: er schlug mit seinen Füßen hinten aus und traf jenen vor die Brust; daß er zurückfiel und starb.

Hierauf sagte Malegys zu den Herren, die dabeiwaren: "Das Pferd hat den Knecht totgeschlagen." Die Herren aber sprachen: "Das Pferd hat recht getan, warum hat er gelogen? Wie sollte das Beyart sein können; denn Beyart ist kohlschwarz, und dies Roß ist weiß wie der Schnee; auch kennen wir Reinold wohl, der hat eine Gestalt von zweiundzwanzig Jahren, dieser Jüngling scheinet nicht über fünfzehn Jahre alt zu sein!" Als diese Rede ein Ende genommen, tat man das Tor auf und ließ die Reiter alle hineinziehen.

Als sie nun darin waren, fragte Malegys nach der besten Herberge; die zeigte man ihm, da stiegen sie von ihren Pferden, welche in den Stall geführt wurden, und die Ritter gingen zum Morgenessen. Wie nun die Zeit herannahte, daß man um die Krone reiten sollte, ging Malegys mit Reinold in den Stall, und Malegys machte durch seine Zauberei, daß Beyart ganz mager und unansehnlich ward.

Reinold und Malegys sattelten darauf ihre Pferde, ritten wieder zu der Stadt hinaus auf einen grünen Platz und erwarteten daselbst den König. Als nun die Mahlzeit vorbei war, ritt dieser mit seinem Adel hinaus, und es folgten ihm alle Ritter, die um das Kleinod werben wollten. Sie kamen an den Ort, wo die Krone aufgehängt war; da begab sich Reinold und Malegys mit ihren Pferden unter die andern Ritter und Herren; als die Reinold sahen, trieben sie ihren Spott mit ihm und sagten untereinander: "Dieser wird das Kleinod gewinnen, und das Roß wird ihm der König abkaufen!" und dergleichen Spottreden mehr. Darauf sprach



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Reinold mit ganz demütigen Worten: "Scherzet nicht zu sehr, Freunde! Wer weiß, was Gott mir jungen Helden auf diesen Tag noch für Glück bescheren wird? Er möchte mir vielleicht soviel Gnade erzeigen, daß ich die Krone mit meinem unansehnlichen Roß gewänne!" Dies hörte ein Bürger, welcher dabeistand, lachte dessen und sagte: "Freund, Ihr redet die Wahrheit, aber ich rate Euch, daß Ihr wieder zurück in die Stadt reitet und entlehnet einen Esel und brauchet den statt dieses Pferds; oder eine Kuh, die kann fein weit schreiten, so kommet Ihr bald zu der Krone!" Und also ward der gute Reinold mit seinem Pferd verspottet.

Indes befahl der König, man solle das Nennen anfangen, und ein jeglicher rüstete sich und verhoffte, die Krone zu gewinnen. Da sprach Malegys zu Reinold: "Nun, Vetter, tut Euer Bestes, daß Ihr das Kleinod mit Ehren erlangen möget, ich will wieder durch Paris reiten und an der andern Seite der Seine warten." Während Malegys und Reinold also zusammen redeten, waren die andern Ritter ein gut Stück Wegs voran geritten. Reinold, der dies sah, sagte zu seinem Roß: "Wie nun, Beyart, willst du so träg sein? Sollte ein anderer die Krone gewinnen? Das wäre mir und dir eine große Schande!" Beyart verstand diese Worte und fing an zu laufen, daß sich jedermann verwundern mußte, ja, so geschwind , als wäre es ein Pfeil gewesen, der von einem Bogen geschossen worden. Als die Herren, die dabeiwaren, dies ansahen, sagten sie wieder zueinander: "Wir hatten unsern Schimpf und Spott an diesem Jüngling, aber mich dünkt, er könnte die Wahrheit gesagt haben!"

Indem ward der König Beyart auch gewahr, rief dem Roland und sagte: "Vetter, sehet das Roß an, auf dem der Jüngling sitzt; das läuft so geschwind und ist so groß und stark, daß es dem Beyart fast gleich ist; wenn es schwarz und nicht weiß wäre, so würde ich sagen, es sei Beyart selbst; das will ich Euch kaufen, auf daß Ihr Reinold damit bezwinget und ihn uns fernehaltet!" Roland sagte: "Herr König, das ist wahr, wenn es schwarz wäre, es wäre Beyart selbst!" Unterdessen kam Reinold den andern Pferden weit zuvor, also daß er der erste bei der Krone war; die nahm er von dem Ziele ab, da sie aufgesetzt war, jagte durch die Seine und brachte so die Krone hinweg. Als der König sah, daß Reinold mit der Krone hinwegreite, ward er traurig, rief ihm und sagte: "Freund, hierher mit der Kronen Gebt sie mir wieder, ich will sie Euch viermal mit Gold bezahlen; will Euch das Roß, mit dem Ihr die Krone gewonnen, abkaufen und Euch dafür geben, was Ihr von mir begehret!" Als Reinold dies vom König hörte, rief er: "Herr König, dies Roß ist mein, ich



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will es auch behalten; wollet Ihr ein schön Pferd haben, so sehet, wo Ihr's bekommet: denn ich weiß, Ihr findet keines, wenn Ihr schon die ganze Welt durchsuchen ließet, das dem Beyart gleich wäre; ich sage Euch fürwahr, Herr König, habt Ihr Reinold je gesehen oder erkannt, so bin ich es selbst mit meinem Roß Beyart. Was die Krone betrifft, Herr König, die hab ' ich durch Gott und das Glück gewonnen; die will ich behalten und die Edelsteine davon nehmen und sie zu Montalban zu einem Gedächtnis meines Sieges aufbewahren; denn Kaufleute dürfen keine Kronen tragen; es ist besser, daß mein Roß sie trägt! Mich dünkt nämlich, Ihr wollet ein Roßtäuscher werden!" Hierüber wurde der König betrübt und rief: "Ei, lieber Vetter; lasset mir die Krone wieder zukommen, ich will Euch zum Rentmeister machen über alle meine Güter. Adelhart soll Marschall, Rittsart soll Speisemeister und Writsart soll mein Schultheiß sein!" Reinold aber sprach zum König: "Herr Königl Gott weiß, wenn wir Euch dienten, sollten wir für unser Wohl übel gesorgt haben; heut; als Ihr die Krone aussetztet, meintet Ihr, ein Pferd zu finden, das Beyart gleich oder über dasselbe wäre, das ist aber weit gefehlt. Es isi in der Welt kein besseres; ich bin weit herumgezogen, doch seinesgleichen ist mir nicht vorgekommen, geschweige daß Ihr eines finden solltet, so über das meine wäre; ich will es auch nicht lassen, und wenn Ihr mir soviel Gold dafür geben wolltet; als es groß und schwer ist; denn es ist die Blume von allen Pferden!"

Als Reinold mit dem König also redete, kam Malegys mit seinem Pferde gerannt, was er rennen konnte, und fragte Reinold: "Vetter, wie ist es mit der Krone, wer hat sie gewonnen, habt Ihr sie oder nicht?" Reinold sagte: "Ja, ich hab ' sie bekommen, ich danke es Gott und Euch, Vetter Malegys!" Da sprang Malegys vom Pferd und küßte Reinold samt Beyart. Als der König dieses sah, fragte er den Zauberer und fing an: "Seid Ihr es, Vetter Malegys, oder täusche ich mich? Ich bitte, wollet meinen Vetter Reinold bereden, daß er mir die Krone wiederzukommen lasse, ich will sie ihm vierfach bezahlen; dazu will ich ihm vier Monat lang Frieden geben, um nach Dordone zu reisen und seine Mutter zu besuchen; denn ich weiß, daß sie ihn liebhat und nach ihm sehr verlanget." Als Malegys dies hörte, sagte er zu dem König: "Herr König, kommet über die Seine; wir wollen Euch die Krone geben!" Der König aber wurde zornig und sprach zu den Rittern, die bei ihm waren, vornehmlich zu Roland und Olivier: "Ich bitte euch, ihr Herren, folget mir nach und trauet Malegys nicht wegen seiner Zauberkunst!" Da sagte dieser:



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"Ich rate der Herren keinem, daß sie sich auf die Seine begeben! Kommen sie darauf, so kommt keiner mit dem Leben davon: ich mache, daß sie alle ertrinken." Indem sprang Reinold auf Beyart und Malegys auf sein Pferd; so schieden sie vom König und eileten zu Reinolds Brüdern, welche ein groß Verlangen nach seiner Wiederkunft hatten wie auch nach der Krone. Reinold und seine Brüder blieben nun mit ihrem Vetter Malegys zu Montalban beieinander.



***
Eines Tages wollte Olivier in einen Wald außerhalb Paris auf die Jagd reiten und kam auf einen hohen Berg; da sah er von oben herab unten an dessen Fuß einen Mann; er zweifelte, ob es Malegys wäre oder nicht; zuletzt erkannte er ihn; denn er wußte wohl, daß sich Malegys durch seine Kunst in eine andere Gestalt verändern konnte, als er sonst hatte. Olivier verwunderte sich, wie er dahingekommen wäre, setzte sich auf sein Pferd, ritt zu ihm, ergriff ihn bei seinem Mantel und sprach: "Stehe still, du loser Zauberer, und gib dich gefangen, ich muß dich zum König Karl führen!" Als Malegys solches sah und hörte, sprang er hinter sich, zog sein Schwert aus und stellte sich zur Wehr. Olivier aber schlug nach Malegys, daß ihm sein Schwert aus der Hand fiel. Da nun Malegys sah, daß er wehrlos war, wurde er



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zornig und sprach zu Olivier: "Ich will mich gefangengeben." Dieser nahm ihn gefangen und führte ihn nach Paris.

Wie der König den Olivier sah, empfing er ihn freundlich und fragte: "Wie? Olivier, bringet Ihr mir Malegys gefangen?" Er antwortete: "Ja, Herr König! Eure Majestät mag nun mit ihm handeln, wie Ihr beliebt." Da fing der König an: "Malegys, du falscher Dieb, weißt du wohl, daß du mir letztmals, als Rittsart hier gefangen war, fast meinen Daumen abgebissen hast?" Da antwortete ihm Malegys und sagte: "Herr König, das wird das letztemal sein, daß ich Euch schaden werde." Der König aber sprach: "Du sollst heute noch hangen." Malegys erwiderte: "Herr König, ich bitte, lasset mich leben bis morgen."—"Nein", sagte der König, "du möchtest mir entlaufen." Malegys redete wieder: "Herr König, ich will Euch dafür Bürgen stellen." Der König sprach: "Wer will denn dein Bürge sein?" Malegys sagte: "Ich versehe mich dessen zu Olivier." Da fragte Karl den Olivier: "Wollet Ihr Bürge sein für Malegys, daß er mir zwischen heut und morgen nicht entläuft?" Olivier sprach: "Ja, Herr König!" Da sagte Karl zu Malegys: "Er kann nicht allein Bürge sein; es müssen ihrer noch mehr sein!" Und nun fragte Malegys den Roland, ob er auch Bürge wollte sein. Roland sprach: "Gnädiger Herr Königl Eure Majestät darf nicht sorgen, Olivier und ich wollen uns verbürgen, daß er nicht entweichen soll." Unterdessen wurde es Essenszeit; da ließ der König zur Tafel blasen, und je zwei und zwei von den Herren und Genossen setzten sich zusammen; aber der König saß allein, und sie aßen und waren fröhlich.

Als Malegys dies sah, sagte er zum König: "Gnädiger Herr König, alle Eure Herren sind gesessen, aber ich bin vergessen worden; ich denke, ich komme und setze mich zu Eurer Majestät." Als der König diese Schimpfrede von Malegys hörte, wurde er zornig und sprach: "Du ehrloser Schelm, wie darfst du noch reden und sollst doch morgen hangen? Wenn ich an deiner Statt wäre, das Essen und das Lachen sollte mir wohl vergehen!" — "Je nun", sagte Malegys, "Herr König, ich bin heute abend noch frei; was morgen geschieht, das weiß ich nicht." Als Roland das hörte, sagte er: "Malegys, schweiget still, kommet und esset mit mir!" — "Das will ich tun", antwortete Malegys, "ich muß heute noch fröhlich sein und ein schönes Liedlein singen"; ging also und setzte sich zu Roland.

Sobald nun das erste Gericht auf die Tafel kam, fing er an zu singen; da sagte der König: "Wie, Malegys, gelüstet Euch noch zu singen, und sollt morgen hangen?" Malegys sprach: "Herr Königl Ihr habt keinen



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lustigern Menschen gesehen, als ich bin, dieweil ich noch Zeit habe, bis morgen zu leben!" Der König sagte: "Du gedenkest vielleicht, mit deinem Gesange dich vom Galgen zu erlösen; aber deine Hoffnung ist umsonst!" Dann ließ er ihn alsbald in das Gefängnis führen und ihm fünf Zentner Eisen anlegen. Als Malegys sah, daß es dem König Ernst war, sprach er: "Herr König, wo Ihr mich nicht losgebet und bestellet mir eine Herberge , so will ich Euch mit Gewalt entlaufen." Der König erwiderte: "Wenn du mir entlaufen kannst, will ich dir es freistellen." Da sagte Malegys: "Herr König, erlasset meine Bürgen der Bürgschaft; ich will versuchen, was ich kann." Der König aber sprach: "Ich begehre die Bürgschaft nicht." Als Roland das hörte, sagte er: "Herr König, mir ist es auch recht; erlasset mich und Olivier der Bürgschaft, weil Malegys in den Kerker geworfen liegen muß." Der König antwortete: "Ihr Herren, ich entlasse euch der Bürgschaft: er wird mir nicht entlaufen; ich befehle euch Gott, ich will mich zu Bette legen." Als Malegys dies hörte, sagte er: "Ich will mich losmachen, ehe es Mitternacht ist!" — ''Ei, du loser Schelm", sprach der König, "wie wolltest du das zuwege bringen? Du bist ja fest genug geschlossen, hast auch Eisen genug am Leibe; auch will ich dir das Gefängnis noch dazu verwahren lassen durch einen Diener." Aber um Mitternacht brauchte Malegys seine Kunst, daß alle Schlösser abfielen und das Tor des Gefängnisses sich öffnete; die Herren, welche Wache hielten, sanken in Schlaf; so daß er sie alle aufeinander legte und ihnen ihre Wehren nahm; dann ging er in des Königs Schlafkammer, schleppte Silbergeschirr mit sich, soviel als er tragen konnte, und ging damit nach Montalban.

Reinold lag ruhig in selbiger Nacht und schlief; er wußte nicht, was sich mit seinem Vetter Malegys zugetragen hatte. Da kam ihm im Traum vor, daß Malegys an einem Baum gehangen wäre; über diesem Traum erwachte er, zog seine Kleider an, waffnete sich und sprach: "O gütiger Gott; ich bitte dich, du wollest meinen Vetter vor einem solchen schändlichen Tode behüten!" Dann setzte er sich auf Beyart, ritt nach des Malegys Kastell und klopfte allda an. Der Pförtner fragte ihn, was er begehrte . Da sprach Reinold: "Wo ist der Herr?" Der Pförtner erwiderte: "Herr, das weiß ich nicht." Reinold wurde traurig und ritt nach Paris; als er nach Montfalcon kam, fand er, daß niemand da gehenkt war, und er freute sich dessen. Darnach schaute er sich etwas um und sah einen Mann daherkommen, beladen mit einer schweren Last; der härmte sich, als ob er augenblicklich sterben wollte.



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Reinold erschrak heftig, meinte, es wäre der Teufel selbst, und sprach: "Bist du von Gott, so sag mir's, wer du bist!" Der Fremde sprach: "Ich bin Malegys, kennet Ihr mich nicht?" Da sagte Reinold: "Jetzt kenne ich Euch wohl, Vetter! Ich bitte, saget mir, was traget Ihr so schwer?" "Das will ich Euch sagen", erwiderte Malegys und erzählte nun Reinold den ganzen Vorfall. Da fragte dieser: "Vetter; habt Ihr Oliviers Schwert auch genommene""Ja", antwortete Malegys, "hätte ich es ihm gelassen, so wäre er bei dem König in Verdacht gewesen, als ob er etwas davon gewußt hätte, daß ich entkommen wäre." Da ließ Reinold Malegys auf Beyart sitzen, und sie ritten vergnüglich nach Montalban. König Karl, der den Kerker zu bewahren befohlen hatte, auf daß Malegys nicht entkäme, ging des Morgens, als er sich angekleidet hatte, nach dem Gefängnis und wollte den Malegys in aller Früh henken lassen. Als er vor das Gefängnis kam, fand er's offen, die Genossen auf einem Haufen liegen und die Stätte leer; er wurde deshalb sehr traurig und rief mit lauter Stimme: "Roland, stehe auf, wir haben Malegys verloren." Als der König ein solch Geschrei machte, wurden die Genossen alle wachend: da fing Roland an: "O Gott; wer mag uns alle so auf einen Haufen gelegt haben?" wollte alsbald nach seinem Schwert greifen, ingleichen auch die andern Herren, da waren aber alle Waffen hinweg. Als König Karl dies hörte, ward er gar zornig über die Genossen, daß sie nicht besser Wacht gehalten hatten. Ogier aber antwortete dem König und sagte: "Herr König , wann Ihr ihn schon bei dem Galgen hättet, so entkäme er doch und nähme mit sich, was er begehrte." Da schwur Karl, er sollte ihm nicht mehr entgehen, wann er schon zu Montalban wäre, er wollte ihn henken lassen und die Schwerter der Genossen in eigner Person wiederholen.



***
Der König Karl ließ nun in seinem ganzen Lande eine große Menge Volks versammeln und zog damit nach Montalban, die Stadt zu belagern, tat auch großen Schaden mit Rauben und Brennen. Roland schickte einen Boten an Reinold und begehrte, er sollte ihm helfen, daß er sein Schwert Durendal wiederbekäme. Da entbot ihm Reinold, er wolle nicht allein ihm, sondern allen Genossen helfen, daß sie ihre Schwerter wieder erhielten: Roland sollte nur ihm wieder beistehen, daß er und seine Brüder bei dem König zu Gnaden möchten aufgenommen werden.

Roland aber zeigte den Genossen Reinolds Begehren an, welche solches alsbald bewilligten. Ogier sagte: "Möchten wir ihre Gnade bei dem Könige erlangen, ich wollte kein Gut daran sparen." Es ward aber verabredet,



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der Bischof Turpin sollte es dem Könige vortragen; so gingen sie sämtlich zu Karl, und der Bischof fing an und sprach: "Gnädiger Herr König! Ihr wisset wohl, wie Montalban so fest ist, daß die, so darinnen sind, sich nicht zu fürchten haben. Derhalb bitten wir, Eure Majestät wolle Reinold und seine Brüder zu Gnaden aufnehmen und Frieden mit ihnen machen; was hilft es Euch, daß das ganze Land mitsamt der Stadt und Burg verdorben wird? Es wäre besser, Eure Majestät nähme sie wieder an und ließe sie mit uns gegen die Heiden ziehen und die Feinde Gottes helfen vertilgen!" König Karl aber sprach mit zornigem Gemüt: "Solches soll nicht geschehen; ich will sie einmal fragen lassen, ob sie das Kastell Montalban übergeben und sich gebunden in meine Hände liefern wollen!" Da fragte der Bischof: "Herr König, wer soll der Bote sein, der das ausrichten soll?" Roland sagte darauf: "ES ist niemand so stolz oder keck allhier, der den Mut dazu hätte."

Als der König dies hörte, sagte er: "Roland, ich weiß keinen Bessern oder Bequemern dazu als eben Euch. Deshalb sollt Ihr zu Reinold gehen und ihm sagen, wo er mir das Kastell zu Montawan nicht übergeben will, und was ich sonst noch mehr von ihm begehren werde, so will ich in seinem Lande keinen Stein auf dem andern lassen, sondern alles verheeren und verderben, was ich finde!"

Roland bedachte sich bald und sagte: "Gnädiger Herr und König, ich will es gerne tun!"rüstete sich und zog nach Montalban. Als er zu Reinold kam, grüßte er ihn samt seiner Gesellschaft ganz freundlich und begann: "Vetter Reinold, ich bin hieher zu Euch geschickt vom König Karl und soll Euch anzeigen, daß Ihr ihm das Kastell Montalban übergeben sollt und mit allen denen kommen, die in Montalban sind, einen Strick um den Hals, willig und barfuß, und ihm zu Fuß fallen; so Ihr solches nicht tun wollet, so will er Euer ganzes Land verheeren und verbrennen; und wo er Euch samt Euren Brüdern kann bekommen, so will er Euch henken lassen." Reinold hörte diese Botschaft an. Als Roland ausgeredet hatte, sagte er zu ihm: "Derselbe, der mir als einem Landesherrn so darf drohen und verlangt, ich sollte ihm Land und Leut', Leib und Gut übergeben, der ist selbst des Todes würdig; aber, Freund Roland t ich begehre von Euch, daß Ihr dem König wieder sollet anzeigen: Ich erbiete mich und meine Brüder in seine Gnade und will ihm geben Land und Leute, Dörfer und Städte zu einem Eigentum, ich will ihm auch lassen das Kastell Montalban, daß er es mir als ein Lehen gebe; verspreche auch für mich und meine Brüder, ihm allenthalben zu dienen mit Leib und Blut, wo er unserer



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nötig hat, sobald er uns will zu Gnaden annehmen, daß wir mögen bei Eltern, Weib und Kind bleiben: jedoch, wenn er uns in seinem Land und Königreich nicht leiden will, so wollen wir uns in andere Länder begeben, das Kreuz mit Geduld ertragen und daselbst sieben Jahre lang bleiben. Wenn er aber diese Vorschläge nicht eingehen will, so sagt ihm frei, daß er sich hüte, wo er kann: denn ich will ihm allen Schaden tun, der mir möglich ist, und will so lang Krieg gegen ihn führen, als ich Volk aufbringen kann." Roland erwiderte: "Freund, das soll also geschehen ; ich will es dem Könige so hinterbringen und hören, was er dazu sagen wird." So ging er wieder zu Karl und machte demselben kund, was ihm Reinold aufgetragen hatte.

Nachdem der König durch Roland die Meinung Reinolds vernommen, ward er zornig, ließ überall die Wachen verstärken, auch alles wohl mit Volk versehen und brachte eine große Menge zu Roß und zu Fuß zusammen. Als aber Reinold das hörte, ließ er all sein Volk ebenfalls waffnen und die Pferde rüsten und begab sich also ins Feld.

Reinold zog mit Beyart voraus, seine Brüder folgten ihm nach, und sie erschlugen eine große Menge Volks. Reinold stieß auf einen französischen Edelmann so hart, daß er von seinem Pferde tot auf die Erde fiel. Als der König sah, daß Reinold unter seinem Volk so großen Schaden tat, rief er zu seinen Genossen: "Ihr Herren, stellet Euch zur Wehr; denn Reinold tut samt seinen Brüdern großen Schaden." Da die Franzosen das hörten, daß der König so ernstlich war, gingen wohl tausend Mann auf Reinolds Volk los; die wehrten sich aber ritterlich.

Endlich sagte der König zu Roland und Olivier und zu den Genossen: "Folget mir alle nach, so ihr euer Leben behalten wollt", und so ritt er auf Reinold und sein Volk zu. Als dieser sah, daß der König so stracks auf ihn zukam, floh er vor ihm, der König aber rief ihm und sagte: "Reinold , hierher und stich auf mich!" Reinold antwortete dem König und sprach: "Herr König, das soll unverzüglich geschehen", gab seinem Pferde die Sporen und ritt so stark auf ihn ein, daß er vom Pferde fallen mußte: er wäre wohl geblieben, wenn Roland nicht Hilfe geleistet hätte; alsbald rief Reinold seinem Volk und schrie: "O ihr Gaskogner, jetzt brauchet euch und setzet tapfer unter die Franzosen; denn wir sind jetzt Meistert" Als der König dies hörte, rief er: "Reinold, ich hoffe, du wirst daran lügen", und sprang alsbald auf Malegys: der wehrte sich tapfer, also daß ihm das Pferd unter dem Leibe totblieb; zur Stund schwang er sich wieder auf ein ander Roß und focht mit dem Schwert und fällte damit



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manchen Franzosen, dessen sich Reinold sehr erfreute. Dann zogen sie wieder ab und begaben sich nach Montalban.

Als der König sah, daß seines Volks soviel tot geblieben und Reinold ihm entronnen war, wurde er sehr betrübt und sagte zu seinen Genossen: "Nun hat mir Reinold soviel Schaden getan, daß ich es ihm nimmer vergeben kann."

Dieser Streit zwischen dem König Karl und Reinold währte wohl sieben Jahre. Die Genossen kamen immer wieder mit der Bitte vor den König, daß er ein Parlament halten sollte, um dem Krieg ein Ende zu machen. Und endlich willigte Karl darein.

Reinold aber, als er hörte, daß ein Parlament ausgeschrieben war, erschien er daselbst, kam in eigner Person vor den König, grüßte ihn und sagte: "Gnädigster Herr König, der große König des Himmels und der Erde müsse Euer Majestät Beschützer sein." Karl erwiderte: "Was grüßest du mich noch, und hast mir so großen Schaden getan?" Reinold sagte: "Herr König, den Schaden will ich wiedergutmachen und für meine Missetat begehre ich Strafe zu leiden und mich nach Vermögen zu bessern. Und so es Euer Majestät gefällig ist, so wollen wir uns ergeben mit Leib und Gut." Auf solches hieß der König sie abtreten, er wolle sich mit seinen Herren und Freunden beraten. Dies waren Griffon, Alloret und Forcier; denn die andern Genossen waren zu Montalban geblieben. Forcier



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sagte zu dem König: "Gnädiger Herr t Reinold ist nun allhier erschienen, und gedenkt Euer Majestät nicht, daß er Ludwig, unsern jungen König, erschlagen hat? Und den solltet Ihr zu Gnaden annehmen?" Als Ogier das hörte, fürchtete er sich, Forcier würde etwas mehr gegen Reinold sagen, lief eilend dazu und sprach: "Schweiget still, Forcier, lasset mich reden; Ihr solltet billig auf kein Parlament kommen!"

Da sagte der Bischof Turpin: "Das ist wahr, Ogier, sie raten dem Könige, daß er allezeit zu streiten hat, also daß Land und Untertanen verdorben werden. Ich aber, Herr König, rate, Eure Majestät wolle Reinold mit seinen Brüdern zu Gnaden aufnehmen und sich mit ihnen versöhnen ; dann mögen sie gegen die Heiden ziehen und uns das Land helfen gewinnen: denn sie sind die besten Kriegshelden, die ich im ganzen Reiche weiß." Da sprach der König: "Nein, ich will das nicht tun; soll ich mich mit dem versöhnen, der mir meinen Sohn und soviel andere, Ritter und Volk, erschlagen hat?" Als das Parlament sah, daß sie nichts erhalten konnten, schieden sie voneinander, und der König schwur, er wolle Reinold henken lassen. Da sagte Reinold: "Herr König, weil ich denn sehe, daß ich von Euch keine Gnade erlangen kann, so wisset, daß ich mit meinen Brüdern mein Äußerstes tun werde; und wenn wir Eure Person bekommen können, ob es über kurz oder lang sei, so wollen wir Euch das Haupt abschlagen ! Darum möget Ihr Euch vorsehen!" Als der König das hörte, daß Reinold noch so mutig war, sprach er: "Pfui, du loser Lecker, willst du dich mit Gewalt gegen mich auflehnen und bedrohest mich?" Reinold aber erwiderte: "Ja, Herr König, das will ich tun; warum wollet Ihr Euch mit uns nicht versöhnen?" Also schieden sie im Unfrieden voneinander.



***
Reinold ritt hierauf nach Montalban und rüstete sich zum Streit. König Karl ließ auch alles herbeibringen, was zum Sturm des Kastelle nötig war. Etlichemal aber fiel Reinold aus mit seinem Volk und tat großen Schaden. Die Herren gingen aufeinander mit solcher Kraft; daß ihnen die Speere zersprangen, die Pferde niederfielen und starben. Malegys ritt auf den König und hätte ihn beinahe erschlagen; aber er ward befreit von Roland, Olivier und Ogier. Roland tat einen Streich auf Malegys, daß der von seinem Pferde herab und in Ohnmacht fiel. Augenblicks sprang Roland von seinem Roß, band dem Malegys Hände und Füsse und führte ihn in des Königs Lager. Des Morgens stieß er auf Rittsart, daß sie alle beide von den Pferden fielen; Rittsart war jedoch,



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getrost, er sah, wie er am besten wieder auf sein Tier käme, und wehrte sich tapfer. Salomon von Bretagne ritt auf den Adelhart, der wehrte sich männlich, daß ihnen beiden ihre Speere zersprangen, und schlug den Salomon auch von seinem Pferd mit der Wehre. Forcier ersah dieses bald, schwang sich auf sein Roß und ritt auf Writsart. Der wehrte sich aber tapfer und durchstach den Forcier. Darüber zürnte der König und rief Monoy zu sich, und die Herren ritten alle in der Ordnung hinter dem König. Dieses sah Reinold und gedachte: "Was soll das werden?" Indem ritt der König wieder auf Writsart; der aber, es merkend, ging auf ihn mit solcher Stärke los, daß er vom Pferde fiel. Reinold kam auch in den Streit, rief sein Volk an und sagte: "Ihr Herren von Montalban, nun wehret euch ritterlich; denn fürwahr, wir werden den König erschlagen und obsiegen!" Karl hörte dies und rief: "Reinold, ich hoffe, du wirst gelogen haben", saß alsbald wieder zu Pferd und ging auf Reinold los. Der aber sah sich wohl vor und eilte von dannen. Indem kamen die Genossen und setzten mit Gewalt unter Reinolds Volk, so daß sie in kurzer Zeit an die dreihundert Mann erschlugen. Als Reinold das sah, rief er all sein Volk zusammen und sagte: "Ihr Herren von Montalban, folget mir nach und laßt uns fliehen; denn der König ist uns zu mächtig!"

Nun zog Reinolds Volk wieder in das Kastell, und ihr Gebieter ritt hinter ihnen und beschützte sie, aber Malegys blieb gefangen. Als Reinold auf die Burg kam, sah er seinen Freund nicht; erfragte nach ihm; da ward ihm gesagt, wie er gegen den König gefochten und alle beide von den Pferden gefallen wären: aber die Genossen hätten dem König wieder auf sein Roß geholfen, Roland hingegen den Malegys gefangen. Da ward Reinold traurig, seufzte gen Himmel und sprach: "O allmächtiger Gott, sollte ich denn meinen Vetter so jämmerlich verlieren? O widerwärtiges Schicksal, wie drehest du dich!" Inzwischen gingen ihnen die Lebensmittel aus. Adelhart, der es zuerst inneward, sagte: "Bruder, ich bitte, sei nicht hartnäckig; denn du siehest, daß wir keine Speise mehr haben; darum lasset uns das Kastell aufgeben!" Mittlerweile besuchte König Karl mit seinem Gefolge das Lager und hörte daselbst jedermann klagen, daß sie soviel Volks auf dem Platze gelassen hätten und sonderlich viel von seinen Freunden erschlagen wären. Da sprach König Karl: "Das will ich euch rächen an dem Reinold über kurz oder lang, so wahr ich König bin!" Malegys, der dies hörte, fing an und sagte: "Herr König, ich bitte, Ihr wollet Euch mit dem Reinold versöhnen; er soll Euch beistehen bei Tag und Nacht und verteidigen helfen, wo er kann und mag!"



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Da schnur der König und erwiderte: "Hätte ich ihn hie, ich wollte ihn neben dich henken lassen"; rief dem Griffon und Alloret und befahl ihnen, sie sollten an dem Berg einen Galgen aufrichten; denn er wolle Malegys noch henken lassen, ehe es zum Essen gehe. Da dieser aber hörte, daß er heute noch gehenkt werden sollte, bat er den König und sagte: "Herr König, lasset mich noch leben bis morgen, daß ich meine Sünden überlegen und dieselben bereuen kann; ich will Eurer Majestät Bürgen stellen, daß ich nicht entfliehen soll." Der König aber sprach: "Nein, Malegys, so ging es zu Paris auch, da du den Genossen ihre Schwerter mitnahmest." Malegys antwortete: "Fürwahr, Herr König, so wahr ich Malegys heiße, ich will nicht entlaufen, es sei denn, daß Eure Majestät mit mir gehe." — "Was?"sagte der König, "du falscher Bube, ich soll mit dir gehen?" — "Ja", erwiderte Malegys, "ich will Eure Majestät nach Montalban führen zu Reinold, und daselbst sollet Ihr freundlich und wohl empfangen werden, und ich bitte Euch, gnädiger Herr König, Ihr wollet Euch daselbst mit dem kühnen Helden versöhnen und ihn zu Gnaden annehmen; wo aber nicht, so wollen alle Eure Herren und Freunde von Euch weichen und dem Reinold zufallen." — "Was?"sagte der König, "willst du nun vom Frieden reden, weil du siehst, daß du hangen mußt?" Malegys sprach: "Herr König, ich will Euch meinen Vetter Roland zum Geisel setzen, daß ich Euch nicht entweichen werde!" Der König fragte Roland, ob er das tun wollte. Roland sagte: "Ja, Herr König!" Der König wußte aber nicht, was Malegys im Sinn hatte.

Ungefähr um die halbe Nacht brauchte Malegys seine Kunst daß er vom Gefängnis erledigt ward, ging vor des Königs Bett und fing an: "Herr Königl Reinold hat entboten, wir sollen nach Montalban kommen, er will das Kastell aufgeben."Der König erwachte aus dem Schlaf, sah den Malegys vor seinem Bette stehen und wußte nicht was er antworten sollte; denn Malegys hatte ihn bezaubert; jedoch sagte er: "Ich wollte, daß wir schon auf dem Wege wären." Malegys fuhr fort: "Herr König, stehet denn auf, und lasset uns gehen!" — "Nein", sagte der König, "ich muß noch schlafen"; da nahm Malegys Karl um seinen Hals und trug ihn also schlafend nach Montalban; daselbst legte er ihn in ein schönes Bett, ging zu Reinold und sagte zu ihm: "Vetter Reinold, ich bringe den König in Euer Kastell und gebe ihn Euch gefangen."

Reinold verwunderte sich sehr und sagte: "Vetter, wie geht das zu, daß Ihr den König gefangen bringet? Seid Ihr doch sein Gefangener gewesen." — "Ja", antwortete Malegys, "es ist jetzt nicht anders: er ist



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Euer Gefangener." Reinold stand auf und fand es so, wie ihm Malegys gesagt hatte.

Inmittelst ging der Zauberer zu Reinolds Brüdern und zeigte ihnen auch an, was sich mit dem König zugetragen hatte. Bald darauf erwachte dieser, blickte um sich und sah Reinold samt seinen Brüdern vor sich stehen. Da wurde er sehr traurig und sagte: "Dies hat Malegys mit Hilfe seiner Kunst getan; Gott wird ihn auch darum strafen!" Reinold fiel auf die Knie und bat den König um Gnade: der schlug sie ihm aber ab und wollte nicht. Rittsart, als er dies hörte, ward zornig und sprach: "Herr König, wo Ihr uns nicht zu Gnaden aufnehmen wollet, so müsset Ihr allhier sterben." —"Wie", sagte der König, "willst du, loser Schalk, dich gegen mich aufwerfen und Gewalt an mir üben?" Da ging Rittsart zu dem König und zog sein Schwert wider ihn aus. Reinold aber sagte sanftmütig: "Was willst du tun, Bruder, willst du den König erschlagen? Er ist unser Herr und soll es sein Lebtag bleiben!" Da sprach der König zu Reinold: "Wollt Ihr mich ziehen lassen in mein Lager?" Reinold antwortete: "Wollet Ihr Euch mit uns versöhnen und uns zu Gnaden aufnehmens" —"Nein!"sprach der König. Da antwortete Reinold: "Tut Ihr's nicht; Herr König, so müsset Ihr allhier sterben." Als Malegys hörte, daß der König so hart war, da sprach er: "Herr König, versöhnet Euch mit Eurem Vetter, das rate ich!" Der König aber erwiderte: "Ich will's aber nicht tun, und sollt ' ich gleich sterben: und verflucht mußt du sein, du loser Schelm, mit deiner teuflischen Kunst hast du mich hierhergebracht!" Malegys fuhr fort: "Herr König, bedenkt Euch wohl und machet mit Euren Vettern Frieden, oder es wird übel ablaufen." Adelhart aber sprach: "Vetter, ich sage Euch fürwahr, er muß Frieden mit uns machen, oder er kommt nicht mehr nach Frankreich."

Als nun Malegys sah, daß der König so hartnäckig war, sprach er: "Ich sehe, es ist vergebens; ich befehl ' euch Gott, nun will ich keine Hand mehr gegen die Krone von Frankreich aufheben!" Und alsobald ging er fort, wurde Eremit und blieb es wohl vier Jahre. Der König aber hub wieder an: "Reinold, lasset mich in mein Lager gehen, ich will Euch gute Antwort geben!" Reinold sagte: "Das ist uns lieb, Herr König, gehet hin, wenn's Euch gefällt. Wir haben Euch nicht gefangen!" Mit diesen Worten nahm Karl Abschied von Reinold und seinen Brüdern und kam in sein Lager.

Als die Herren den König wiedersahen, waren sie froh und empfingen ihn freundlich; denn sie waren der Meinung, Malegys hätte ihn umgebracht.



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Der König aber erzählte ihnen, wie ihn Malegys dem Reinold zu Montalban ausgeliefert, wie ihn Rittsart bald erschlagen hätte, wenn ihn Reinold nicht beschützt und ihm das Geleite gegeben. Alsbald ließ er den Herzog von Bayerland zu sich fordern und befahl ihm, er solle nach Montalban reiten und Reinold sagen, daß er käme und gebe sich in die Hand des Königs. Der Herzog tat solches und ritt nach Montalban. Reinold stand eben auf den Zinnen, sah den Herzog kommen, ging ihm entgegen und empfing ihn sehr freundlich. Der Herzog legte seine Botschaft ab, wie sie ihm der König befohlen hatte. "Das will ich nicht tun", antwortete Reinold, "will er aber uns das Leben schenken, so wollen wir in Gehorsam und Freundschaft zu ihm kommen und alles bessern, was wir gegen Seine Majestät verübt haben." Darauf sagte der Herzog: "Reinold , wenn Euch der König auf gut Geleit ließe zu sich kommen, wollet Ihr ihm die Schlüssel von dem Kastell überantworten?" Reinold erwiderte: "Ja, sofern er uns kein Leid will tun und sich mit uns versöhnen So schied der Herzog von Reinold, ritt zu dem König und zeigte ihm an, was Reinold geantwortet hatte. König Karl wurde zornig, als er dies hörte, und sprach: "Wollen sie nicht gern, so will ich sie mit Gewalt zwingen; denn ich weiß, sie haben keine Zufuhr mehr." Und nun ließ er zur Stunde das Kastell von allen Seiten bestürmen.

Als Reinold dies sah, wurde er betrübt und sprach zu Klarissa, seiner Hausfrau: "Beyart muß nun sterben; denn wir haben sonst nichts zu essen", ging also in den Stall, wollte Beyart umbringen, um das Pferd zu essen; denn sie hatten alle andern Pferde schon aufgezehrt. Rittsart aber sagte: "Bruder, lasset Beyart beim Leben und tut ihm nichts; wer weiß, was uns Gott geben wird!"

Diese Worte hörte das Roß, verstand sie wie ein Mensch und fiel auf seine Knie, als wenn es wollte um Gnade bitten. Als Reinold die Demut des Pferdes ansah, jammerte ihn desselben, und er ließ es leben. Adelhart aber sprach: "Brüder, ich hab ' einen andern Rat gefunden, daß wir uns noch eine Zeitlang erhalten können: wir wollen Beyart alle Tage, solange er das vertragen kann, zur Ader lassen und von seinem Blute leben, bis es besser wird!"

Dunay, Herzog von Bayerland, hatte erfahren, daß Reinold mit seiner Mannschaft nichts mehr zu essen hatte, indem ihre Pferde schon alle bis auf Beyart aufgezehrt waren. Er sprach daher zu seinen Genossen: "Ihr Herren, Reinold muß gewiß noch Hungers sterben; denn sie haben ihre Pferde schon alle gegessen bis auf Beyart." Roland und Turpin aber



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waren mitleidig, und dieser sagte: "Wahrlich, es ist eine Schande vor der Welt und eine Sünde vor Gott, daß wir unsere Verwandten vor Hunger vergehen lassen; wir wollen den König bitten, weil er will, daß man das Kastell bestürmen soll, er möge Roland mit seinem Volk den Vorzug lassen, alsdann soll dieser die Burg ohne des Königs Wissen mit Zufuhr versehen." Die Herren sahen den Rat für gut an, gingen zum König und begehrten, er solle Roland den Vorzug beim Sturme gönnen. Der König bewilligte es gerne, und die Herren rüsteten sich und kamen vor Montalban.

Als Reinold dies merkte, faßte er ein Herz zu streiten; denn er hatte immer noch eintausendfünfhundert Söldner bei sich: König Yvo und ein anderer Herr schickten ihm auch jeder eintausendfünfhundert Mann; gleichwohl ward er traurig und sagte zu seinen Brüdern: "Jetzt stehen wir in großer Gefahr; denn Roland, Dunay, Ogier, Olivier und der Bischof Turpin kommen und wollen uns besuchen; und wenn sie Ernst gebrauchen, können wir ihnen nicht lange widerstehen." Als sie aber alles fertig hatten und ihr Lager befestiget war, brachte ihnen der Bischof Turpin allerlei Proviant zu, also daß Reinold mit seiner Mannschaft schier wieder auf ein Jahr genug zu essen hatte; sie waren auch mehr dem Reinold als dem König zugetan. Darnach zog Turpin heim zum König und zeigte ihm an, daß sie nichts hätten ausrichten können.

Reinold und seine Mannschaft erfreuten sich, daß sie soviel Zufuhr bekommen hatten: dem Roß Beyart gab er nun so viel zu essen, daß es innerhalb vierzehn Tagen wieder so stark ward, als es jemals gewesen. Nach diesem versammelte er seine Brüder und sprach: "Lieben Brüder, was sollen wir jetzt tun? Bleiben wir länger hier, so möchte die Speise wieder aufgehen; ich rate, daß wir nach dem Kastell Ardane ziehen, da können wir uns besser erhalten als hier." Als Frau Klarissa das hörte, wurde sie betrübt und sagte: "Allerliebsten Freunde, warum wollet Ihr in solcher Gefahr von mir ziehen?" Reinold antwortete: "ES ist allein um unser Leben zu tun, darum wollen wir uns nach Ardane begeben, da möchten wir sicherer sein als hier; und zudem tun wir's darum, daß Ihr Euch desto besser erhalten könnet mit dem, was Ihr noch habt!"So nahm er Urlaub von seiner Frau und ritt mit seinen Brüdern auf Roß Beyart zu einer Wasserpforte hinaus, auf daß sie nicht verraten würden.

Als sie ein wenig von dem Kastell entfernt waren, wurde es dem König Karl zu wissen getan, daß Reinold mit seinen Brüdern auf dem Roß Beyart entweichen und sich nach Ardane begeben wollten; zur Stunde



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ließ er sein Volk waffnen und ritt ihnen nach. Alloret war am besten beritten, der war der Vorderste und sprengte in aller Eile auf Reinold zu; er stieß denselben mit seinem Speer durch den Schild, daß der Speer vorn absprang und in dem Schild steckenblieb; Reinold fehlte seiner auch nicht; rannte wieder auf ihn zu, stieß ihn mit dem Speer durch seinen Schild
und ihn selbst mit durch und durch, so daß er vom Pferde fiel. Als der König sah, daß Alloret tot war, ritt er auch auf Reinold zu und gedachte, ihm desgleichen zu tun. Aber Reinold war aufs beste beritten und nahm die Flucht nach dem Schloß Ardane; und als er nahe an demselben war, sahen sie von der Burg, daß es Reinold war, und öffneten geschwind das Tor, daß er hineinkam. Als er darin war, sah er nach dem Mundvorrat; mittlerweile schlug der König sein Lager vor Ardane auf und belagerte



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solches. Darnach sprach der König: "Roland, mich dünkt, daß Reinold und seine Brüder mich, je länger, je mehr, erzürnen und meinen, mir noch mit Beyart zu entkommen, welcher sie so oftmals aus der Gefahr errettet hat; aber ich versichere Euch, wofern ich das Roß einmal in meine Gewalt bekomme, so will ich es auf der Stelle umbringen lassen!"bekräftigte auch mit Eides Pflicht, daß er von der Burg nicht weichen wollte, er hätte sie denn in seiner Hand und Reinold samt seinen Brüdern gefangen. Reinold und seine Mannschaft aber waren auf dem Schlosse in großen Sorgen, weil sic fürchteten, sie müßten es überliefern und sich selbst gefangen- geben; denn sie konnten es gegen die Gewalt des Königs nicht wohl behaupten. Karl kam selbst so nahe an die Burg, daß er den Reinold fragte, ob er sich ergeben wollte. Der aber antwortete dem König: "Ja, ich begehre es Eurer Majestät nicht zu weigern", und sprach weiter: "Gnädigster Herr König, gedenkt, daß Ihr unser Vetter seid, und daß ich Euch gefangen gehabt und hab ' Euch freiwillig wieder losgelassen."

Bald nach diesem bekam der König Zeitung, daß seine Schwester, Frau Aja, im Lager mit noch dreien Königinnen und dreien Grafen und anderen Herren mehr angekommen wäre. Da verließ der König den Reinold und begab sich zu seiner Schwester, um zu vernehmen, was ihr Begehr wäre.

Sowie nun Frau Aja zum Könige kam, fiel sie ihm mit den andern Königinnen zu Fuß und bat ihn freundlich, daß er Reinold samt seinen Brüdern wolle zu Gnaden annehmen; denn der Krieg hätte nun in die sieben Jahre gewähret. Desgleichen taten die Genossen von Frankreich und andere Herren mehr. Als der König die Demut seiner Schwester sah, wie sie ihm zu Füßen lag, wurde er durch ihr bitterlich Weinen bewegt und sagte: "Liebe Schwester, du tust jetzt wie eine fromme Mutter: darum will ich dein demütiges Herz und freundliches Bitten ansehen: so mir Reinold sein Roß Beyart geben will, meines Gefallens damit zu leben, so will ich ihn und seine Gesellen gnädig annehmen." Als Frau Aja diese Worte von dem König, ihrem Bruder, hörte, wurde sie höchlich erfreut, lobte und dankte Gott heimlich in ihrem Herzen und sprach: "Gnädiger Herr Bruder, ich bitte, so es Eurer Majestät beliebt, so will ich zu meinen Kindern auf die Burg gehen und ihnen Eure Meinung anzeigen und sie fragen, ob sie das Schloß aufgeben und sich Eurer Majestät Gnade überlassen wollen." Der König erwiderte: "Ja, Schwester, gehet hin und verkündet ihnen, was ich Euch gesagt habe, denn es ist kein ander Mittel, mich zu versöhnen." Frau Aja war hiermit wohl zufrieden, ging in das Schloß zu ihren Kindern: die empfingen sie sehr freundlich, und sie erzählte



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ihnen des Königs Begehren. Als Reinold und seine Brüder dies durch ihre liebe Mutter vernommen, sprach Adelhart: "Bruder, ich wollte lieber tausendmal Feindschaft gegen den König haben, als daß ich das bewilligen sollte, was ich jetzt höre!" Das gleiche sagten die andern Brüder auch. Als Reinold ihre Meinung angehört, sprach er: "Lieben Brüder, können wir unsere Versöhnung durch das Roß erwerben, das lasset uns tun; so kommen wir aus der Gefahr; denn wir können des Königs Gewalt nicht widerstehen!" Damit ging er zu seiner Mutter und sagte ihr, sie wollten dem König das Roß gerne geben und noch viel mehr, wenn sich der König mit ihnen wollte versöhnen, sie zu Gnaden annehmen und alles verzeihen und vergeben, was sie gegen Seine Majestät gehandelt hätten. Frau Aja, als eine getreue Mutter, ging wieder zu Karl hin und zeigte ihm die Antwort an, die sie von ihren Kindern erhalten hatte.



***
Als nun der Friede zwischen dem König und des Haimons Kindern durch die Fürbitte ihrer Frau Mutter Aja geschlossen war, kamen sie zusammen vor der Burg Ardane, ließen das Roß Beyart vor sich herfuhren und kamen vor den König, fielen ihm zu Fuß und baten ihn um Gnade. Der König hieß sie aufstehen und empfing sie in Gnaden im Beisein aller Edelleute und des ganzen Rats, und solches geschah nicht ohne große Freude, sonderlich der Frau Aja, ihrer Mutter. Darnach nahm Reinold das Roß Beyart; gab es dem König und sagte: "Herr König, das Roß sei Eurer Majestät verehrt; tut damit, was Euch beliebet!" Der König nahm es an und vollbrachte seine Verheißung; er ließ ihm zween Mühlsteine an den Hals binden und es von der Brücke in das Wasser werfen; das Roß ging anfangs zu Grunde, kam aber bald wieder herauf und fing an zu schwimmen, sah alsbald seinen Herrn, eilte ihm nach, schlug die Steine ab, kam an das Land, lief auf Reinold zu und stellte sich so freundlich gegen ihn, als wenn es Verstand gehabt und hätte wollen sagen: "Warum tust du mir das?" Als der König das sah, sprach er: "Reinold, gib mir das Roß wiederum, es muß sterben." Reinold aber sagte: "Herr König, es ist Eurer Majestät ungeweigert", und gab es ihm; der König ließ ihm hernach an einen jeden Fuß einen Mühlstein binden und an den Hals zween und hieß es wieder in das Wasser werfen; Beyart gelangte aber wieder empor, sah seinen Herrn, schlug die Mühlsteine zu Stücken und kam bis zu Reinold.

Als Adelhart dies sah, lief er zu Beyart und liebkoste es; der König und die andern Herren verwunderten sich über des Rosses Stärke und



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begehrten von Reinold zum drittenmal seinen Tod. Da sagte Adelhart: "Verflucht mußt du sein, Bruder, so du das Roß wieder von dir gibst." Reinold aber sprach: "Bruder, schweig still, soll ich um des Rosses willen des Königs Zorn wieder erregen? Da sagte Adelhart: "Ach, Beyart, wie wird dir jetzt für deine treuen Dienste gelohnt, die du meinem Bruder und uns allen erzeiget hast!" Reinold aber gab dem König das Roß wider seiner Brüder Willen und sagte: "Herr König, so das Roß nun abermals herauskommt, fange ich es nicht wieder: denn es tut meinem Herzen zu wehe!" Da ließ der König ihm an den Hals zwei Mühlsteine binden und
an jeden Fuß zwei und ließ es wieder in das Wasser werfen und verbot dem Reinold, daß er nicht nach dem Roß umsehen sollte, sonst könnte es nicht zu Grunde gehen. Aber dennoch kam das Tier wieder über aas Wasser und streckte den Kopf heraus und sah nach seinem Herrn, als wäre es ein Mensch gewesen, der nach seinem Freund geblickt hätte, daß er ihm helfen sollte; aber es war vergebens. Zuletzt ging es zu Grunde, weil es Reinold nicht durfte ansehen.

Reinold, da er an den Jammer des Rosses gedachte, verschwur sich, sein Lebtag kein Pferd mehr zu reiten noch Sporen an seine Füße zu bringen, noch ein Schwert an seine Seite zu gürten, und gelobte Gott, er



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wollte ein Einsiedler werden. Er beschloß, sich in einen wilden Wald zu begeben: doch gedachte er, vorher nach Hause zu ziehen, seine Kinder zu sehen und zu bestimmen, wenn sie aufgewachsen, was ein jedes haben sollte.

Also nahm er Urlaub vom König und seinen Brüdern und ging nach Montalban, und seine Brüder blieben bei Karl. Als er dahinkam, ward er freundlich von seiner Hausfrau und seinen Kindern empfangen. Die Frau fragte ihn: "Wo sind Eure Brüder, Herr? Und wo habt Ihr Beyart?" Reinold antwortete: "Liebe Frau, meine Brüder sind bei dem König blieben, und Beyart ist ins Wasser geworfen und ertränkt worden." Als die gute Frau das hörte, wurde sie traurig und fiel in Ohnmacht. Reinold hub sie auf, half ihr ins Bett und küßte sie freundlich. Die Frau kam wieder zu sich selbst und weinte bitterlich; Reinold tröstete sie und sprach: "Liebe Frau, seid zufrieden, ich will es Euch erzählen, wie es uns ergangen ist. Als wir von hinnen geflohen, wurden wir ausgekundschaftet, und der König verfolgte uns bis gen Ardane, belagerte dasselbe und fragte, ob ich den Ort aufgeben wollte. Ich begehrte, er sollte mich und meine Brüder zu Gnaden annehmen. Unterdessen kam meine Mutter mit noch drei Königinnen und etlichen Herren, die fielen dem König zu Fuß und begehrten, daß er uns zu Gnaden annehmen sollte: sie brachten es auch so weit, daß ich ihm meinen Beyart gehen mußte, und er ließ ihn ins Wasser werfen und ertränken." Da antwortete die Frau: "Das ist mir leid, daß Ihr das gute Roß habt verlassen müssen; jedoch ist mir des Königs Huld noch viel lieber; denn wir können seiner Macht doch nicht länger widerstehen." Als diese Rede ein Ende hatte, ließ Reinold seine Kinder zu sich fordern und schlug seinen ältesten Sohn Aymerich zum Ritter; er machte ihn auch zum Herrn über das gange Land und gab ihm das Kastell Montalban; den andern schenkte er soviel Städte und Schlösser, daß sie sich darauf erhalten konnten, ließ seiner Frau auch genug, küßte sie alle, befahl sie dem lieben Gott und zog in der Nacht heimlich fort mit betrübtem Herzen.



***
Nachdem nun Reinold hinweg war, ließen sie ihn allenthalben suchen, fanden ihn aber nirgends. Da waren sie sehr bekümmert; und riefen Gott fleißig an, daß er ihn bewahren wollte. Als aber Reinold auf der Reise war, kam er in eine Wildnis; da begegnete ihm ein Einsiedler, der hatte in fünfzehn Jahren keinen Menschen gesehen. Denselben grüßte er; der Eremit dankte ihm und fragte, wie er hieher gekommen, wer er



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wäre, und was er begehre. Reinold antwortete ihm und sagte: "Herr, ich bin jetzt der traurigste Mensch, der jemals unter der Sonne gewesen ist; denn ich bin in zwanzig Jahren nicht fröhlich gewesen, dieweil ich den Ludwig, des Königs Sohn aus Frankreich, erschlagen habe; nun wollte ich meine Sünden gerne beichten und Buße dafür tun; denn sie reuen mich von Herzen." Der Eremit sprach zu ihm: "Freund, ich höre wohl, Ihr seid in grobe Laster gefallen und habt wider die Gebote Gottes gehandelt; das ist nicht gut. Nun wohlan, weil Euch Eure Sünden leid sind und Euch von Herzen reuen, so sollt Ihr auf Eure Knie fallen und Gott, den Allmächtigen, bitten, daß er's Euch wolle verzeihen; denn seine Barmherzigkeit erstreckt sich viel weiter als Eure Sünden." Wie Reinold also getröstet ward, war er etwas besser zufrieden und sprach: "Herr, ich will bei Euch bleiben, und was Ihr mir gebietet, will ich gerne tun." Da sagte der Eremit: "Wurzel und Kräuter soll Eure Speise sein, ohne Hemd und Schuh müßt Ihr gehen und also Armut und Elend leiden!" Reinold erwiderte: "Ja, Herr, das will ich alles gern tun, und wenn es noch mehr wäret" und blieb also drei ganzer Jahre bei dem Eremiten in der Wüste; lernte manches schöne Gebet von ihm, tat wahre Buße und kasteite seinen Leib mit Fasten, Frost und Kälte dermaßen, daß er endlich krank davon wurde.

Wie sich Reinold also übel befand, klagte er's dem Eremiten und sagte: "Herr, ich bin sehr schwach, meine Kleider werden zu Lumpen; ich leide große Kälte; ich fürchte, ich werde es nicht länger aushalten können." Der Eremit tröstete ihn und sprach: "Bruder, seid zufrieden und vertrauet auf Gott, der wird Euch nicht verlassen." Da Reinold anders keinen Trost bekam, seufzete er zu Gott und sprach: "Ach, Gott vom Himmel , sieh herab und sei mir gnädig in meiner Strafe, ich muß vor Kälte und Hunger jetzo sterben"; der Eremit schickte auch sein Gebet zu Gott, weil er ein großes Mitleiden mit Reinold hatte. Indem hörte ereine Stimme vom Himmel, die sprach, daß er seinem Mitgesellen sagen sollte, er müsse ohne Verzug in das Heilige Land ziehen und wider die Heiden streiten.

Der Einsiedler, als er dies hörte, ward froh, rief Reinold und sprach: "Freund, es ist mir von Gott durch einen Engel befohlen, daß ich Euch sagen soll, Ihr müsset ohne Verzug in das Heilige Land nach Jerusalem ziehen und unsern Mitchristen helfen, daß sie das Land unter den christlichen Glauben bringen." Da sagte Reinold: "Ach, Herr, wie sollte ich das tun, es ist über fünf Jahr, daß ich mich verschworen habe, kein Pferd



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mehr zu reiten, auch keine Wehr oder Waffen in meine Hand zu nehmen; und wenn ich den Eid brechen würde, so möchte mich Gott darum strafen." Da sprach der Eremit: "Lieber Freund, seid Gott gehorsam und tut, was mir der Engel befohlen hat, ziehet in seinem Namen!" — "So begehr ' ich", antwortete Reinold, "freundlich von Euch, Herr, Ihr wollet Gott für mich bitten, daß er mich beschützer" Darauf schied er mit weinenden Augen von ihm und begab sich auf den Weg: er kam nach Gratz, wo St. Georg begraben liegt, daselbst fand er Schiffe, da fuhr er mit bis nach Slawonien und kam fort bis an den Hafen vor Tripoli in Syrien.



***
Zu Tripoli angelangt; blieb er daselbst acht Tage, und ruhete aus; mittlerweile kam Zeitung, daß die Stadt Tiberias belagert werde und Akers in großer Not stehe, und daß viel Christen daselbst tot geblieben. Da versammelten die Herren viertausend Mann, um die Stadt zu entsetzen , zu Pferd und zu Fuße: die Besten, die sie haben konnten. Als Reinold vernahm, daß die Christen auszogen, lief er zu Fuß mit, als wenn er ein Pilgrim gewesen wäre. Wie die Türken dies erfuhren, daß das Volk aus Tripoli gezogen war, die Stadt zu entsetzen, eilten sie ihnen entgegen und wollten sie wieder zurücktreiben. Die Christin aber fielen auf die Knie und riefen Gott um Hilfe an; denn ihr Haufen war gering gegen die Türken. Als sie nun nahe aneinander kamen, entsetzten sich die Christen noch mehr über der Heiden Macht und wollten fliehen. Da Reinold dies sah, rief er mit lauter Stimme: "Nicht, Ihr Herren, nicht also, stellet Euch tapfer zur Wehr und zweifelt nicht, Gott ist der beste Kriegsmann, der wird uns aus der Not helfen und den Feind schlagen." Unterdessen sah Reinold einen Pflaumenbaum, den zog er aus der Erde und wehrte sich damit. Als die Christen das sahen, schrien sie überlaut: "O heilige Maria! Was will doch dieser Pilger tun, hat weder Hosen noch Schuhe und keine Waffen und will sich hier zur Wehr stellen, lasset ihm Waffen geben, damit er sich wehren kann." Alsbald ward ihm ein Harnisch angetan; aus dem Baum machte er einen Pilgerstab und erschlug an diesem Tage viel Sarazenen. Unterdessen drangen die Ungläubigen auf die Christen ein, so daß sie sich fürchteten. Aber Reinold, der kühne Held, zog allein vorneher und schlug ihrer wohl dreißig bis vierzig tot, ehe die andern herbeikamen. Als die Tripolitaner das sahen, schöpften sie neuen Mut und riefen zu Gott, daß er den Pilger behüten wolle; griffen darauf mit Lust die Sarazenen an, trieben sie in die Flucht und zertrennten das



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ganze Heer. Wie Reinold sah, daß der Feind floh, eilte er ihnen nach und erschlug alles, was ihm unter die Hände kam. Darnach kehrte er wieder zu seinem Haufen zurück und sah, wieviel ihrer geblieben waren: da fand er nicht mehr als zwanzig Mann tot und fünfzehn verwundet; darauf führte er sie alle nach Akers.

Um dieselbe Zeit war Malegys auch viele Jahre in der Wüste gewesen. Darnach, als er hörte, daß die Sarazenen den Christen so große Drangsale antaten, fiel er auf seine Knie und schickte sein Gebet zu Gott, daß er das Christentum beschützen wolle. Da vernahm er eine Stimme vom Himmel, die ihm befahl, daß er ohne Verzug nach Akers hingehen sollte und daselbst der Christen Unfällen wehren helfen: da werde er seinen Vetter Reinold finden, der Gott getreulich diene und dem Christentum mit Gewalt beistehe. Als Malegys das hörte, erfreute er sich dessen und eilte desto mehr, bis er nach Akers kam. Mittlerzeit war der Feind in der Christenheit eingefallen und hatte sein Lager daselbst aufgeschlagen.

Als Malegys nun bis gen Akers gekommen war; fand er seinen Vetter daselbst, welcher ihn gar freundlich empfing; sie grüßten einander und bewiesen sich gegenseitig große Ehre. Als Reinolds Mitgesellen das sahen, fragten sie, was das für einer wäre. Reinold antwortete: "Ich sage euch, wäre Gott und dieser Mann nicht gewesen, ich wäre schon lange tot; denn er hat mich und meine Brüder mit seiner Kunst oftmals aus großer Gefahr errettet; er ist Malegys genannt und ist mein Vetter." Unterdessen rüsteten sich die Sarazenen zum Streit und wollten die Christen überfallen . Dessen wurden diese inne und teilten sich in drei Teile. Malegys und Reinold stellten sich in den Vorderzug und gingen also dem Feind entgegen. Damals erschlug Malegys viel Türken samt ihren Pferden. Als Reinold sah, daß sich Malegys so ritterlich hielt, schlug er mit seinem Pilgrimstab tapfer auf die Heiden und zertrennte ihre Ordnung. Wie die Christen merkten, daß Reinold und Malegys so wacker auf den Feind eim hieben, da verwunderten sie sich und fielen die Heiden so heftig an, daß die Christenschar beinahe allein auf dem Platze blieb. dem Treffen sah Malegys den Sultan, ritt mit seinem Speer auf ihn zu, tat ihm aber keinen Schaden; der Sultan stach vielmehr mit Gewalt auf den Malegys, so daß er von seinem Pferd fallen mußte. Reinold, wie er sah, daß sein Vetter unten war, überfiel den Sultan und schlug ihn mit seinem Pilgerstab , daß er vom Pferde fiel und starb; da nahm Reinold das Pferd beim Zaum und gab es dem Malegys, welcher sich sogleich wieder darauf setzte, sich unter die Feinde warf und ihnen großen Schaden tat.



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Wie Reinold und Malegys wieder nach Akers zurückgekehrt; kam ihnen Zeitung, daß die Türken die Stadt Jerusalem eingenommen hätten, worüber sich die Christen in der Stadt sehr betrübten. Diese hielten deswegen Rat mit jenen beiden Rittern, wie sie dem Feind widerstehen möchten . Da sagte Malegys und bekräftigte es mit einem Eid, er wollte dahinziehen und die Stadt wieder belagern und nicht davon abweichen, bis der Feind daraus getrieben und vertilgt wäre, oder er selbst wolle davor sterben. Dann sammelten die zwei tapfern Ritter all ihr Volk, zogen vor die Stadt Jerusalem und belagerten sie ringsum, daß nichts aus- oder einkommen konnte. Als die Türken sahen, daß sie also eingeschlossen waren, fielen sie mit ganzer Macht heraus und wollten die Christen hinwegtreiben ; aber die wurden solches gewahr, stellten sich in eine gute Ordnung und erwarteten den Feind. Malegys zog mit Reinold voran; sie fielen in der Heiden Lager und erschlugen derselben soviel, daß sich jedermann darüber verwunderte. Nach diesem kam das ganze Heer der Christen und trieb die Türken nach der Stadt, und sie blieben da bei sechs Monate liegen; mittlerweile lieferten sie manches Scharmützel, die Christen schossen täglich auf die Stadt, so daß schier kein Stein auf dem andern blieb; desgleichen schossen auch die aus der Stadt und beschädigten viel Christen.

In einem solchen Gefechte wurde der fromme und mannhafte Ritter Malegys mit einem Pfeil geschossen, daß er totblieb. Als nun unter den Christen kundbar wurde, daß Jerusalem von den Ihrigen belagert sei, kam ihnen eine Anzahl von dreißigtausend Mann von Ungarn, Armenien und Syrien zu Hilfe. Sobald dies Volk angekommen war, begab sich Reinold zur Wehr und begann zu stürmen. Er wollte den Tod seines Vetters Malegys rächen; die Feinde fielen heraus mit ganzer Gewalt, aber Reinold, der keine andere Wehr als seinen Pilgerstab hatte, erschlug deren soviel, daß wenig zurück zur Stadt kamen. Darauf gingen alle Hauptleute zu dem Sultan und sagten: "Wir wollen lieber im Streit als vor Hunger sterben, darum lasset uns ausfallen und versuchen, ob wir davonkommen mögen; lasset uns Widerstand tun, solang wir können, zu Ehren unsers Mahomets." Als der Sultan seines Volks Begehren gehört bewilligte er ihnen das und befahl ihnen, sie sollten sich dazu rüsten; darnach merkten sie sich, vor welchen Pforten Reinold lag, und taten diese nicht auf, sondern öffneten ein anderes Tor und fielen zu diesem heraus. Als die Christen, die stets in guter Ordnung waren und fleißig Wache hielten, dies innewurden, taten sie tapfern Widerstand und



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hausten dermaßen unter den Feinden, daß ihrer eine große Zahl totblieb und eine Menge sich gefangengab.

Reinold, wie er vernahm, daß der Feind an jenem Orte ausgefallen war, schickte das Volk, das er bei sich hatte, auch dahin, blieb allein mit seinem Stab vor der Pforte liegen und wollte nicht von dannen weichen. Als der Sultan sah, daß Reinold allein daselbst und das Volk nach den andern Pforten geschickt war, waffnete er sich, setzte sich zu Pferd und wollte sich hinausbegeben. Da griff Reinold das Pferd bei dem Zaum, hieß ihn stillhalten und fragte ihn, ob er ein Christ oder Türke wäre. Der Sultan schwieg und wollte nicht stillehalten, sondern stieß das Pferd mit dem Sporn, daß es sollte fortlaufen. Reinold aber schlug das Tier mit seinem Stab, daß es zur Erde fiel. Als die Sarazenen dieses sahen, riefen sie überlaut: "Unser Sultan ist tot!" Wie Reinold hörte, daß es der Sultan war, sprach er zu ihm: "Sultan, gib dich gefangen, wo nicht, so mußt du sterben." Der Sultan erwiderte: "Ja, Herr, ich begehre nicht wider Euch zu streiten, ich gebe mich gefangen!" Und befahl auch dem Volk, das er bei sich hatte, daß sie sich dem Reinold ergeben sollten. Darnach ging dieser mit dem Sultan auf die andere Seite der Stadt, wo die Christen noch heftig gegen die Türken stritten, und der Sultan befahl seinem Volk, daß sie sollten innehalten und nicht mehr streiten und Reinold die Stadt übergeben. Darauf ließ dieser seine Kriegsobersten versammeln und überlieferte ihnen den Sultan samt den andern Gefangenen; dieselbigen führten sie alle in die Stadt.

Als sie nun den Sultan in die Stadt gebracht hatten, begehrte er von den Christen, sie sollten die Gefangenen alle wieder losgeben und sein Volk nach Hause ziehen lassen, er wolle für sie gefangenbleiben und allen Schaden wiederum ersetzen. Diese Bedingung trugen die Obersten dem Reinold vor und fragten ihn, was ihn davon dünke. Reinold war ganz mitleidig und gab ihnen zur Antwort, sie sollten tun, was ihnen gut dünke; er stelle es ihnen frei. Als die Obersten diese Antwort von Reinold hörten, ließen sie alle Gefangene los und einen jeden wieder nach Hause ziehen und behielten den Sultan allein in Haft.

So war der Friede zwischen den Christen und Türken gemacht. Die Christen, welche die Stadt Jerusalem, nachdem sie ein Jahr davor gelegen, wieder in ihrer Gewalt hatten, wollten den Reinold daselbst krönen . Aber dieser weigerte sich dessen sehr und bedankte sich gar höflich. Er dachte daran, wie ihm der Eremit befohlen hatte, daß er, sobald sie die Stadt gewonnen hätten, wieder zurückkommen sollte, ging deshalb zum



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Patriarchen von Jerusalem, fiel ihm zu Fuß und begehrte Absolution für seine Sünden, dazu einen freundlichen Abschied, der ihm auch sogleich mit großer Feierlichkeit gegeben wurde. Dann nahm er Urlaub und ging zu Schiffe.

Die Patriarchen samt den andern Herren begleiteten ihn bis an das Schiff und reichten ihm große Geschenke und Kleinodien; aber Reinold wollte sie nicht annehmen, sondern sagte, er hätte versprochen, die Tage seines Lebens in Armut zu bleiben, begehrte also mehr nicht, als ihm nötig wäre, nach Marseille zu kommen. Darnach fuhr er in Gottes Namen vom Lande und war vierzig Tage und Nächte auf dem Wasser, ehe er nach Marseille kam. Als er nun daselbst war, hörte er, daß der König zu Paris einen Streit bekommen hätte zwischen Guillon und des Reinolds Sohn Aymerich, und solches aus der Ursache, weil Reinold mit dem Könige versöhnet und das Roß Beyart ertränkt wäre. Da nämlich Reinold geschworen, er wolle sein Lebtag kein Roß mehr besteigen und keine Wehr noch Waffen an seinem Leib tragen, und heimlich hinweggezogen war, betrübte sich der König damals sehr darüber, ließ deswegen Reinolds ältesten Sohn Aymerich zu sich kommen und belehnte ihn mit allen Gütern, die sein Vater vorher gehabt, wiewohl er dieselben vor dessen Abschied schon von ihm erhalten hatte; dann führte er ihn mit sich nach Frankreich, behielt ihn an seinem Hof, und zog ihn allen andern Herren vor. Das verdroß die Räte sehr; weil er noch tung und nicht über sechzehn Jahre alt war; sonderlich verdroß es die, welche Fuchsschwänzer waren und dem König Ludwig geraten hatten, daß er mit dem Adelhart um seinen Kopf spielen sollte, aus welchem Spiel so groß Elend und Jammer entstanden war. Darum versuchten sie, dem König den Aymerich verhaßt zu machen, erfanden einen lügenhaften Anschlag und sagten zu Karl, Aymerich hätte geschworen, er wollte den Schimpf und die Gewalt; welche man seinem Vater samt dessen Brüdern angetan hatte, ingleichen auch den Tod des Rosses Beyart noch rächen; daran doch Aymerich niemals gedacht hatte. Und dies war die Ursache, warum der Kampf angefangen ward.

Als Reinold dies vernahm, zog er nach Paris und kam zu dem König wie ein armer Pilgrim. Dieser aber fragte ihn, ob er nichts Neues gehöret hätte von jenseits des Meeres und von der Stadt Jerusalem. Reinold sprach: "Gnädiger Herr Königl Ich komme jetzt davon her; die Christen haben die Stadt Jerusalem erobert, dazu das ganze Land, und solches ist vornehmlich geschehen durch Hilfe zweier Männer, die früher hier gewesen sind." Der König fragte, wer sie gewesen wären. Da sagte



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er: "ES ist Malegys und Reinold gewesen, die haben den Türken solchen tapfern Widerstand getan und der Feinde so viel erschlagen, daß es unmöglich zu erzählen ist: zuletzt wurde Malegys erschossen." Da fragte ihn der König wieder, ob er nicht wüßte, wo Reinold wäre. Da antwortete er: "Gnädiger Herr und Königl Er stehet jetzt vor Eurer Majestät als ein armer Mann."

Da der König das hörte, empfing er ihn gar freundlich, und Federmann freute sich über Reinolds Wiederkunft, sonderlich die Genossen von Frankreich , und vor allen erfreute sich sein Sohn über die Maßen, aber die Verräter betrübten sich. Der König ließ Reinold zur Stunde köstlich kleiden und erzeigte ihm große Ehre.

Nach diesem ging Reinold mit seinem Sohne Aymerich lustwandeln und fragte ihn, wo Haimon, sein Vater, und seine Brüder samt seiner Mutter wären. Da antwortete der: "Vater, sie ziehen herum und suchen Euch und haben geschworen, sie begehrten nicht wiederzukommen, sie hätten Euch denn gefunden." Als Reinold das hörte, weinte er bitterlich und war betrübt, daß er seinen Vater, seine Mutter und auch seine Brüder nicht fand. Aymerich aber tröstete ihn und erzählte ihm, warum er den Kampf gegen Guillon nicht abgewiesen hatte. Da sprach Reinold wieder zu Aymerich: "Mein lieber Sohn, fürchte dich nicht; denn Gott, der die Gerechten niemals verlassen hat, der wird dich in der Not auch nicht verlassen." Also stärkte Reinold seinen Sohn und blieb so lange bei ihm, bis die Zeit herankam, daß sie kämpfen sollten. Da waffnete sich der junge Ritter Aymerich zum Streite und setzte sich zu Pferd. Indem kam Guillon auch gewaffnet daher und rannte dem Aymerich mit seinem Speer durch den Schild. Aymerich aber, als ein junger, unverzagter und herzhafter Held, setzte wieder auf ihn zu, daß sie alle beide von den Pferden fielen. Da machte sich Aymerich in aller Eile wieder auf und fiel mit seiner Wehr auf Guillon. Guillon war auch nicht faul, wehrte sich tapfer, zuletzt aber gab Gott dem Aymerich Gnade und Sieg, daß er den Guillon überwand und ihn totschlug.

Wie Reinold sah, daß Guillon tot war, fiel er auf seine Knie, lobte und pries Gott für die erlangte Siegesehre.

Darnach ließ der König den toten Körper auf den Galgen schleifen und jagte die Verräter vom Hofe fort mit ihrem ganzen Geschlecht, aber Aymerich blieb bei ihm in hohen Ehren und wurde allen Herren und Edelleuten vorgezogen: der König gab ihm Land und Leute, Städte und Schlösser zu regieren und machte ihn zum Herm darüber.



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Nachdem also Aymerich im Kampfe den Sieg erhalten und Reinold Gott um solche Wohltaten gedankt hatte, gedachte er, hinfüro sein Leben in freiwilliger Armut und Einsamkeit zu endigen, und begehrte, sein Brot im Schweiß seines Angesichts zu genießen. Er zog seine köstlichen Gewänder aus und legte gar schlechte Bauernkleider an, begab sich heimlich aus des Königs Palast und ging auf das Land zum Ackervolk, wo er unbekannt war, tat da allerhand Bauernarbeit und nährte sich von Milch und Brot, trank Wasser und war damit wohlzufrieden. Inmittelst hörte er, daß die Stadt Köln die heiligste und vortrefflichste Stadt in ganz Deutschland wäre wegen der Reliquien und der heiligen Leiber, die da ihr Blut um des christlichen Glaubens willen vergossen hätten. Dies bewog ihn, dahinzuziehen . Als der fromme und gottesfürchtige Mann nun nach Köln kam, begab er sich in das St. Peters-Kloster, allda lebte er heilig und war Tag und Nacht emsig in seinem Gebet. Gott, der Allmächtige, erhörte auch sein Flehen und gab ihm Macht, daß er die Lahmen und Krüppel konnte gerade, die Tauben hörend und die Blinden sehend machen. In dem nächsten Fürstentum wie auch dem Stift Köln selbst herrschte damals die abscheuliche Pest sehr heftig. Da kamen zu Reinold mancherlei Personen und begehrten von ihm, er sollte Gott für sie bitten, daß er die greuliche Krankheit wolle von ihnen nehmen und seinen Zorn lindern. Reinold, der fromme und heilige Mann, fiel auf Eingebung des Geistes auf seine Knie, rief Gott getreulich an und bat ihn mit großer Andacht für das Volk. Gott der Herr erhörte auch dieses sein Gebet und bewies seine Barmherzigkeit an dem Volk; er nahm die Strafe der Pestilenz von ihnen, und sie dankten, lobten und priesen Gott.



***
Zu dieser Zeit war ein heiliger Mann zu Köln, ein Bischof, genannt Agilolphus, der war ein kluger und verständiger Mann, führte ein eingezogenes, reines Leben und gab andern gutes Eggel. Dieser Bischof regierte durch seine Weisheit alle Sachen, die das ganze Frankenreich angingen, und fing an, die St. Peterskirche zu bauen, ließ deswegen überall in allen umliegenden Ländern und Fürstentümern Zimmerleute, Steinmetzen und andere Arbeiter mehr aufrufen: wer Geld verdienen wolle, der solle nach Köln kommen, da würde er Arbeit genug finden. Also kam eine große Menge Volks dahin. Unter andern bot sich Reinold auch an; der wurde sofort zum Oberhaupt aller Werkleute gesetzt, dieselbigen zur Arbeit anzutreiben, begab sich auch selber mit an das Werk und tat mehr als vier oder fünf andere. Wenn die andern zum Essen gingen, so



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trug er noch soviel Steine und Kalk zu, daß sie schier einen ganzen Tag genug hatten. Er schleppte ihnen Steine herbei, daß ihrer fünf an einem genug zu tragen gehabt. Wenn andere zu Bette gingen, so blieb er auf den Steinen liegen; er ass des Tages nur ein Gerstenbrot und trank Wasser; begehrte auch für den Tag nur einen Weißpfennig zum Lohne. Der Werkmeister fragte ihn, wie er heiße, und wo er zu Hause wäre; das wollte er ihnen nicht sagen, blieb also verschwiegen und tat allein seine Arbeit. Da nannten sie ihn St. Peters Werkmann, weil er so gar fleißig in seinem Vorhaben war.

Als die Meister den Fleiß dieses heiligen Mannes sahen, warfen sie den andern Knechten ihre Trägheit vor und sagten, sie nähmen viel mehr Lohn als dieser fromme Mann und täten nicht den vierten Teil seiner Arbeit. Um solcher Ursache willen wurden die andern Handwerksleute ihm feind, mochten ihn nicht länger dulden und machten einen heimlichen Anschlag, ihn zu töten. Nun wußten sie, daß der heilige Reinold eine Gewohnheit hatte, die Kirchen zu Köln zu besuchen, und schickte da sein Gebet zu Gott in allen Kirchen und gab Almosen aus. Sie wurden daher einig, daß sie an dem Ort; wo jetzt St. Reinolds Kapelle oder Kloster steht auf ihn warten wollten und ihn umbringen; und also geschah es auch.

Dieses wurde dem heiligen Mann geoffenbart durch ein Gesicht. Er aber eilte desto mehr zu der bestellten Marter, als wenn er zu einer Hochzeit hätte gehen sollen, befahl sich Gott dem Herrn und Christo, seinem lieben Sohn, und gab sich den Mördern in ihre Hände, auf daß er ein Märtyrer würde und seine Seele in Gottes Reich käme. Als die Mörder ihn sahen, zerschlugen sie ihm sein Haupt, daß ihm das Hirn davonfloß. Darnach steckten sie Reinolds Leichnam in einen Sack, füllten denselben vollends mit Steinen an und warfen ihn in den Rhein in der Hoffnung, der Sack sollte unter dem Wasser bleiben, daß es verschwiegen bliebe. Aber Gott ließ es nicht zu, sondern gab Gnade, daß der Sack wieder emporkam und blieb auf dem Ufer liegen, obgleich der Rhein so stark ging. Da ward die Seele des heiligen Märtyrers Reinold mit großem Lobgesang von den Engeln vor Gottes Thron geführet.



***
Um diese Zeit ward die Stadt Dortmund auch zum christlichen Glauben bekehrt, und die Bürger schickten Boten nach Köln zu dem Erzbischof und begehrten demütig, er wolle ihnen etwas von den Heiligtümern mitteilen, die sich in dieser frommen Stadt befänden. Der Bischof aber rief die ganze Klerisei zusammen und beriet sich mit ihnen, was er denen von



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Dortmund für einen Heiligen geben sollte, der ihnen am nützlichsten wäre. Da sie also Rat hielten, zeigte Gott ihnen an, daß der heilige Reinold ihnen am bequemsten sei.

Wie nun sein Leib mit dem Kasten auf dem Wagen stand, fing dieser an zu laufen bis nach Dortmund, ohne Pferde, ohne menschliche Hilfe, und blieb an dem Orte stehen, wo die Kirche von St. Reinold hingebauet steht, wie noch heutzutag allda zu sehen ist. Als der Bischof samt seinen Geistlichen dieses sah, folgten sie dem heiligen Manne zu Ehren mit einer Prozession und unter Lobgesängen nach und begleiteten den Kasten wohl drei Meilen Weges.

Also ist der heilige Reinold ein Beschützer der Stadt Dortmund, und man hat öffentlich gesehen, wie er dort auf der Stadtmauer gestanden und den Feind, der den Ort belagert hatte, abgetrieben; und dergleichen Wunderwerke hat Gott mehr durch ihn gewirket, wie in den Legenden zu lesen ist.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
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