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Die Kormorane von Ut-Röst


Norwegische Märchen


Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Zottelhaube

Es waren einmal ein König und eine Königin, die kein Kind bekam, und darüber wurde die Königin so traurig, daß sie keine frohe Stunde mehr hatte. Immer wieder klagte sie, denn es war so öde und still am Königshof. »Hätten wir nur Kinder, so würde genug Leben hier sein«, sagte sie. Wohin sie auch reiste in ihrem ganzen Königreich, so fand sie doch überall eine gottgesegnete Kinderschar, selbst in den ärmsten Hütten. Schließlich nahmen König und Königin ein fremdes kleines Mädchen zu sich, die wollten sie am Königshof aufziehen, wie ihr eigenes Kind.

Eines Tages sprang das kleine Jungfräulein, welches sie zu sich genommen hatten, hinunter in den Hof vorm Schloß und spielte mit einem Goldapfel. Da wanderte ein armes Weib vorbei, die hatte auch



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ein kleines Mädchen bei sich, und es dauerte nicht lange, so waren die beiden Mädchen gute Freunde. Sie spielten zusammen und warfen sich den Goldapfel zu.

Das sah die Königin vom Fenster des Schlosses aus. Sie klopfte an die Scheibe, daß die Pflegetochter heraufkommen sollte. Sie kam auch, aber das arme Mädchen kam mit ihr. Und als sie in den Saal zur Königin traten, hielten sie sich an den Händen. Sie schalt das kleine Jungfräulein: »Das paßt sich nicht für dich, zu springen und zu spielen mit einem zerlumpten Bettelkind«, sagte sie und wollte das Mädchen fortjagen.

»Wenn die Königin wüßte, was meine Mutter kann, so würde sie mich nicht wegjagen«, sagte das arme Mädchen. Und als die Königin sie weiter ausfragte, erzählte sie, daß ihre Mutter wüßte, wie die Königin ein Kind bekommen könnte. Das wollte die Königin zuerst nicht glauben, aber das Mädchen blieb dabei, jedes Wort sei wahr, sie solle nur die Mutter kommen lassen. Die Königin schickte das arme Mädchen, um ihre Mutter herauf zu holen.

»Weißt du, was deine Tochter von dir erzählt?«fragte die Königin. Nein, das wußte das Bettelweib nicht.

»Sie sagte, du wüßtest, wie ich ein Kind bekommen könnte«, sagte die Königin.

»Es paßt sich nicht für eine Königin, darauf zu hören, was ein Bettelkind sagt«, erwiderte das alte Weib und schlich wieder hinaus. Die Königin wurde böse und wollte das arme Mädchen wieder wegjagen, aber sie blieb dabei, alles sei wahr, was sie gesagt habe.

»Die Königin soll ihr nur so lang etwas einschenken, bis sie lustig wird, so wird sie ihr schon einen Rat geben«, sagte das kleine Mädchen. Das wollte die Königin versuchen. Das Bettelweib wurde noch einmal heraufgeholt, es wurde ihr Wein und Met eingeschenkt, so viel sie wollte, und es dauerte nicht lange, so löste sich ihre Zunge. Da kam die Königin wieder mit ihrer Frage.

»Einen Rat könnte ich dir geben«, sagte das Bettelweib. »Die Königin soll am Abend, ehe sie sich zur Ruhe legt, zwei Wannen mit Wasser sich herauftragen lassen. Darin soll sie sich waschen und dann die Wannen unters Bett schieben. Wenn sie dann am Morgen hineinschaut, werden zwei Blumen darin gewachsen sein, die eine schön, die andere häßlich. Die schöne soll sie essen, die häßliche soll sie stehen lassen. Aber vergiß das letzte nicht«, sagte das Bettelweib.

Ja, die Königin tat, was ihr das Weib geraten hatte. Sie ließ Wasser herauftragen in zwei Wannen, wusch sich im Wasser und schob sie unters



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Bett, und als sie am Morgen nachsah, standen zwei Blumen dort. Die eine war häßlich und garstig und hatte schwarze Blätter. Die andere war so licht und schön, wie sie bisher nie ihresgleichen gesehen hatte. Und die verspeiste sie sofort. Aber die schöne Blume schmeckte so gut, daß sie sich nicht beherrschen konnte, sie verspeiste die andere auch. »Das wird wohl nichts zu bedeuten haben«, dachte sie.

Nach einiger Zeit kam die Königin ins Kindbett. Zuerst gebar sie ein Mädchen, das hatte einen Kochlöffel in der Hand und ritt auf einem Geißbock. Häßlich und garstig war sie, und sowie sie zur Welt kam, rief sie: »Mutter!«

»Bin ich deine Mutter, so soll Gott mich trösten«, sagte die Königin. »Mach dir keine Sorgen, gleich nach mir kommt eine, die schöner ist«, sagte sie, die auf dem Bock ritt.

Wenig später bekam die Königin noch ein Mädchen, das war so schön und freundlich, niemand hatte je ein schöneres Kind gesehen. Und man kann sich denken, in das war die Königin ganz verliebt.

Die älteste nannte sie Zottelhaube, denn sie war häßlich und armselig und hatte eine Haube, die ihr in Fetzen und Zotteln ums Haupt hing. Die wollte die Königin nur ungern sehen, und die Kinderfrau versuchte, sie in ein anderes Zimmer zu sperren, aber das half nichts. Die Jüngste wollte immer bei ihr sein und niemand konnte die beiden voneinander trennen.

Als die beiden Mädchen halberwachsen waren, da tobte an einem Weihnachtsabend ein fürchterlicher Lärm und ein Getöse in der Galerie vor dem Zimmer der Königin. Zottelhaube fragte, was das sei, das so trampelte und rumpelte draußen in der Galerie. »Ach, das ist gar nicht wert, daß man danach fragt«, antwortete die Königin. Aber Zottelhaube gab sich nicht damit zufrieden. Sie wolle endlich Klarheit darüber haben. Und so erzählte die Königin, das seien die alten Trollweiber, die ihren Jultanz hätten da draußen. Zottelhaube sagte, sie wolle hinaus und sie wegjagen, und obgleich alle baten, sie solle das sein lassen, so half das doch nichts: sie wolle und müsse hinaus und die Trollweiber wegjagen. Aber sie bat die Königin, sie solle alle Türen verschlossen halten, daß ja niemand hinausschauen könne.

Also gut, sie sprang mit dem Kochlöffel hinaus, die Trollweiber zu verjagen und wegzufegen. Da gab es draußen auf der Galerie einen Krach, wie sie noch niemals einen gehört hatten. Es krachte und brach in allen Balken. Niemand weiß, wie es geschehen konnte, aber die eine Tür war nur angelehnt, und da wollte die Schwester hinauslugen und sehen, was mit Zottelhaube geschah, und sie steckte den Kopf heraus



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aus der Türspalte. Hui, da kam ein Trollweib, nahm ihren Kopf weg und stülpte ihr statt dessen einen Kalbskopf auf. Sofort neigte sich die Prinzessin zum Erdboden und muhte. Als Zottelhaube wieder hereinkam und die Schwester so sah, schimpfte sie und war böse, daß sie nicht besser auf sie acht gegeben hätten, und fragte, ob das nun vielleicht besser sei, daß die Schwester ein halbes Kalb sei.

»Aber ich werde sie erlösen«, sagte sie.

Sie erbat sich vom König ein gut ausgerüstetes Schiff, aber weder Steuermann noch Mannschaft wolle sie mithaben, sie wolle allein mit der Schwester davonsegeln. Und schließlich mußten sie ihr den Wunsch erfüllen.

Zottelhaube segelte fort und steuerte das Land an, wo die Trollweiber wohnten. Und als sie zur Landungsbrücke kamen, sagte sie zur Schwester, sie solle im Schiff bleiben und sich dort ganz still verhalten. Aber sie selbst, Zottelhaube, ritt auf dem Bock hinauf zum Trollschloß. Als sie hinaufkam, fand sie das eine Saalfenster offen, und da sah sie das Haupt der Schwester in der Fensterbank stehen. So ritt sie in vollem Galopp in die Galerie, riß das Haupt an sich und galoppierte mit ihm davon. Die Trollweiber kamen hinter ihr her und wollten ihr das Haupt wieder entreißen. Sie waren ihr so dicht auf den Fersen, daß sie sprühten und bissen, aber der Bock stieß und puffte sie mit den Hörnern, und Zottelhaube schlug und klapste sie mit dem Kochlöffel. Da mußte die Trollweiberschar es aufgeben.

Zottelhaube kam wieder hinunter zum Schiff, nahm der Schwester den Kalbskopf ab und setzte ihr das eigene Haupt wieder an die Stelle. So wurde die Schwester wieder zum Menschen wie zuvor und sie segelten weit weit weg zu einem fremden Königreiche.

Der König dieses Reiches war Witwer und hatte nur einen einzigen Sohn. Als er das fremde Schiff erblickte, sandte er Boten zum Strand nieder, um zu erfahren, woher es kam und wem es gehöre. Aber als die Leute des Königs hinabkamen, sahen sie auf dem Schiff keine lebende Seele sonst außer Zottelhaube. Sie ritt auf ihrem Bock auf Deck herum, vor und zurück, sodaß die Haarzotteln ihr ums Gesicht flogen. Die Königsleute waren ganz verstört durch diesen Anblick und fragten, ob nicht noch einige andere mit an Bord seien. »Oho, ich habe eine Schwester mit mir«, sagte Zottelhaube. Die Diener des Königs wollten sie sehen, aber Zottelhaube sagte: »Nein, die bekommt niemand zu sehen, nur der König, wenn er selbst kommt«, und ritt auf Deck herum, daß es nur so donnerte unter den Hufen des Bockes.

Als die Diener zurück zum Königshof kamen und erzählten, was sie



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gesehen und gehört hatten, machte sich der König sofort selbst auf den Weg, um die zu sehen, die auf dem Bock ritt.

Da er wirklich selbst kam, führte Zottelhaube die Schwester heraus, und sie war so schön und freundlich, daß der König sogleich ganz verliebt in sie war. Er nahm sie beide mit sich aufs Schloß und wollte die Schwester als Königin haben. Aber Zottelhaube antwortete nein. Der König könne sie nur unter einer Bedingung bekommen, wenn der Königssohn Zottelhaube heiraten wolle. Das kann man sich denken, daß der Königssohn sie nicht haben wollte, so häßlich und zottig wie sie war. Aber der König sprach so lange auf ihn ein, und alle im Königsschlosse baten ihn, daß er sich endlich drein fügte und versprach, Zottelhaube als Königin zu nehmen. Aber er war sehr traurig.

Die Hochzeit wurde vorbereitet, es wurde gebacken und gebraut, und als alles fertig war, sollten sie zur Kirche. Aber dem Prinzen schien es der schwerste Kirchweg zu sein, den er in seinem ganzen Leben gemacht hatte. Voran fuhr der König mit seiner Braut. Sie war so schön und so prächtig, daß alle Leute stehen blieben und ihr nachschauten, so lang sie konnten. Dann kam der Prinz, er ritt zur Seite von Zottelhaube, sie trabte dahin auf dem Geißbock und hielt den Kochlöffel in der Faust. Der Prinz sah leichenblaß aus, als ob er zu einem Begräbnis ritte und nicht zu seinem eigenen Brautzug. Er sprach kein einziges Wort und sah sehr traurig aus.

»Warum sprichst du nichts«, sagte Zottelhaube, als sie ein Stück geritten waren.

»Worüber soll ich sprechen«, antwortete der Königssohn.

»Du kannst ja fragen, warum ich auf diesem häßlichen Bock reite«, sagte Zottelhaube.

»Warum reitest du auf dem häßlichen Bock«, fragte der Königssohn.

»Ist das ein häßlicher Bock? Das ist das prächtigste Pferd, auf dem je eine Braut geritten ist«, antwortete Zottelhaube. Und dabei verwandelte sich der Bock in ein Pferd, und zwar in das stattlichste und schönste, das der Königssohn je gesehen hatte.

So ritten sie wieder ein Stück, aber der Prinz war bedrückt und konnte kein Wort hervorbringen. Da fragte Zottelhaube wieder, warum er nichts sage. Aber der Prinz sagte wieder, daß er nicht wüßte, wovon er sprechen solle. Zottelhaube sagte: »Du kannst ja fragen, warum ich mit dem häßlichen Kochlöffel in der Faust reite.«

»Warum reitest du mit dem häßlichen Kochlöffel in der Faust?« fragte der Königssohn.

»Ist das ein häßlicher Löffel? Das ist der feinste Silberfächer, den



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je eine Braut in der Hand gehabt hat«, sagte Zottelhaube, und damit wurde der Löffel zu einem Silberfächer, so blank wie ein Spiegel. So ritten sie wieder ein Stück, der Königssohn war traurig und sagte kein Wort.

Wenig später fragte Zottelhaube wieder, warum er nicht spräche, und diesmal sagte sie, er solle fragen, warum sie diese greuliche Zottelhaube am Kopf hätte.

»Warum hast du die häßliche, greuliche Zottelhaube am Kopfe?« fragte der Königssohn.

»Ist das eine häßliche Zottelhaube? Das ist ja die blankeste Goldkrone, die je eine Braut tragen wird«, antwortete sie und im selben Augenblick war es auch so.

Nun ritten sie wieder ein langes Stück und der Prinz war traurig und saß ohne Sprache und Stimme wie vorher. Da fragte seine Braut wieder, warum er nicht spreche, und bat ihn zu fragen, warum sie ein so graues und häßliches Gesicht hätte.

»Ja, warum hast du ein so graues und häßliches Gesicht?« fragte der Königssohn.

»Bin ich häßlich? Dir erscheint meine Schwester schön, aber ich bin ja zehnmal schöner«, sagte die Braut, und als der Königssohn zu ihr hinüber schaute, da war sie so schön, daß es ihm schien, in der ganzen Welt gäbe es keine schönere Jungfrau. Da kannst du dir wohl denken, daß dem Prinzen der Mund auftaute und er nicht länger mehr mit hängendem Kopf neben ihr her ritt.

Sie feierten Hochzeit, gut und lange, und dann reisten sie beide, der König und der Prinz, jeder mit seiner Frau zum Vater der Königstöchter. Und dort wurde noch einmal Hochzeit gefeiert, so daß es kein Ende nehmen wollte. Wenn du dich beeilst, zum Königshof zu kommen, so ist vielleicht noch ein Tropfen Hochzeitsbier für dich übrig geblieben.


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