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Die Kormorane von Ut-Röst


Norwegische Märchen


Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Drei Zitronen

Es waren einmal drei Brüder, die hatten ihre Eltern verloren, und da sie ihnen nichts hinterlassen hatten, wovon sie leben konnten, so blieb ihnen nichts anderes übrig, als in die weite Welt zu ziehen und ihr Glück zu versuchen. Die zwei ältesten rüsteten sich so gut sie konnten, aber den jüngsten, den sie Kienspanhans nannten, weil er allzeit bei der Feuerstelle saß und einen Kienspan nach dem anderen aufflammen ließ, den wollten sie nicht mit sich haben. Sie brachen heimlich vor Morgengrauen auf, aber wie das auch zugegangen sein mag, Kienspanhans war genau so zeitig am Königshof wie die anderen. Sobald sie angekommen waren, baten sie um Dienste, aber der König sagte, er hätte keine Arbeit für sie, doch wenn sie durchaus arbeiten wollten, könne er ihnen wohl welche beschaffen. Kleine Arbeiten gäbe es immer auf so einem großen Hof. Sie könnten Nägel in die Wand schlagen, und wenn sie damit fertig wären, so könnten sie dieselben wieder herausziehen. Sie könnten Holz und Wasser zum Kochen in die Küche tragen. Kienspanhans war der tüchtigste im Nägel in die Wand schlagen und wieder herausziehen, und er war auch der geschickteste im Holz- und Wassertragen. Darum wurden die Brüder neidisch auf ihn und erzählten, er hätte gesagt, er könne gut dem König die schönste Prinzessin verschaffen, die sich in zwölf Königreichen finden ließe. Denn der König hatte seine Königin verloren und war Witwer geblieben. Sowie der König das hörte, sagte er zu Kienspanhans, daß er dies nun auch tun müsse, was er gesagt habe. Wenn er es nicht fertig brächte, solle man ihn auf den Hackklotz legen und ihm den Kopf abschlagen.



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Kienspanhans sagte, daß er das weder gesagt noch gedacht hätte, da aber der König so streng sei, wolle er es versuchen. So bekam er eine Tasche mit Wegzehrung um den Hals gehängt und verließ den Hof.

Kaum war er in den Wald gekommen, so wurde er hungrig und wollte von dem kosten, was er vom Königshof mitbekommen hatte. Als er sich unter eine Tanne am Wege gesetzt hatte, kam eine alte hinkende Frau und fragte, was er in seiner Tasche hätte. »Speck und Fleisch«, sagte der Junge, »bist du hungrig, so iß einen Bissen mit, Mütterchen.« Sie dankte und aß und sagte, er solle nur noch ein Stück auf demselben Wege weiter gehen. . . und so hinkte sie davon in den Wald hinein.

Als Kienspanhans satt war, hing er sich die Tasche um den Hals und ging weiter. Lang war er nicht gegangen, als er eine Pfeife fand. Da schien es ihm, es wäre wohl lustig, einmal etwas darauf zu blasen unterwegs, und er brachte auch bald einige Töne heraus. Sogleich purzelten kleine Trolle hervor und fragten alle durcheinander: »Was hat mein Herr zu befehlen?« »Was hat mein Herr zu befehlen?«Kienspanhans sagte, er wisse nicht, ob er ein Herr über sie sei, aber wenn er etwas befehlen dürfe, so sollten sie ihm die schönste Prinzessin verschaffen, die man in zwölf Königreichen finden könne. Das sei eine Kleinigkeit, meinten die Trolle, sie wüßten sehr gut, wo sie zu finden sei und den Weg könnten sie ihm zeigen, er müsse sie sich nur selbst nehmen, denn sie hätten nicht die Macht, sie zu berühren.

Sie zeigten ihm also den Weg und er kam gut und schnell voran, da war niemand, der ihm einen Stein in den Weg legte, und so kam er zu einem Trollschloß, worin drei wunderschöne Prinzessinnen saßen. Aber als Kienspanhans eintrat, wurden sie ganz närrisch und liefen umeinander wie erschrockene, verschüchterte Lämmer und wurden zu drei Zitronen, die im Fenster lagen. -Kienspanhans war schlimm zumute und er war ganz unglücklich darüber, daß er keinen Rat wußte. Aber als er ein wenig darüber nachgedacht hatte, nahm er die Zitronen und steckte sie in seine Tasche. Er glaubte, es wäre gut, sie bei sich zu haben, wenn er Durst bekäme auf seiner Wanderung, denn er hatte gehört, Zitronen seien sauer.

Als er ein Stück gewandert war, wurde er so heiß und durstig, Wasser war nirgends zu finden, und er wußte nicht, was er tun sollte, um seinen Durst zu stillen. Da fielen ihm die Zitronen wieder ein. Er nahm eine heraus und biß ein Loch hinein. Aber darin saß eine Prinzessin, hob die Arme und rief: »Wasser, Wasser! Wenn ich kein Wasser bekomme, so muß ich sterben.«



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Ja, der Junge lief im Kreis und suchte nach Wasser, ganz außer sich, aber Wasser war nicht da und nirgends zu finden, und auf einmal - da war sie tot.

Als er ein Stück weiter gegangen war, wurde er noch heißer und noch durstiger, und da er nichts fand, womit er seinen Durst löschen konnte, nahm er die andere Zitrone und biß ein Loch hinein. Darin saß auch eine Prinzessin, die war noch niedlicher als die erste. Sie rief nach Wasser und wenn sie keines bekommen könne, müsse sie sogleich sterben. Kienspanhans suchte rings nach Wasser, unter Steinen und Moos, aber er fand es nicht, und so starb diese Prinzessin auch.

Kienspanhans schien es schlimmer und schlimmer zu werden, und so wurde es auch, denn je weiter er vorwärts kam, desto heißer wurde ihm. Die Felder waren so dürr und versengt, daß er keinen Tropfen Wasser fand und es dauerte nicht mehr lang, so war er halb tot vor Durst. Er quälte sich lange und verbot sich selbst, ein Loch in die Zitrone zu beißen, die er noch hatte, aber schließlich wußte er sich keinen anderen Rat mehr. Und als er nun ein Loch hineingebissen hatte, saß auch darin wieder eine Prinzessin. Sie war die Schönste in zwölf Königreichen und sie rief, wenn sie kein Wasser bekäme, würde sie sofort sterben.

Kienspanhans lief sogleich und wollte Wasser holen, und diesmal traf er den Müller des Königs, der zeigte ihm den Weg zum Mühlenteich. Als er nun mit ihm zum Mühlenteich kam und ihr Wasser gab, kam sie ganz aus der Zitrone heraus und war nackend. Kienspanhans warf ihr seinen Mantel über. Inzwischen versteckte sie sich in einem Baum am Ufer des Teiches, während er zum Königsschloß hinauf ging, um ihr Kleider zu besorgen und dem König zu erzählen, daß er sie gefunden hätte und wie alles zugegangen sei.

Während der Zeit kam die Köchin herunter zum Mühlenteich, um Wasser zu holen. Als sie das schöne Antlitz sah, das sich im Teich spiegelte, glaubte sie, es sei ihr eigenes und wurde so froh und begann zu trällern und zu tanzen, daß sie so schön geworden sei: »Der Teufel trage Wasser, aber nicht du, die so schön ist«, sagte sie und warf die Wasserbottiche weg. Aber bald begriff sie, daß dies schöne Antlitz im Teich der Prinzessin gehörte, die im Baum saß. Da wurde sie so zornig und sie jagte jene aus dem Baum heraus und warf sie in den Teich hinein. Sie selbst hüllte sich in den Mantel von Kienspanhans und kroch in den Baum.

Als der König kam und den häßlichen, schwarzen Küchentrampel sah, wurde er blaß und rot. Aber weil er gehört hatte, das sei die Schönste in zwölf Königreichen, da schien es ihm, er müsse es schon



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glauben, daß etwas Wahres daran sei. Und er fand es auch schade für Kienspanhans, der so viel unternommen hatte, bis er sie bekam. Sie würde vielleicht mit der Zeit schöner werden, dachte er, wenn sie sich Mühe gibt und schöne Kleider bekommt, und so nahm er sie mit sich nach Hause. Es wurden Perückenmacher und Näherinnen herbeigeholt, sie wurde geschmückt und wie eine Prinzessin gekleidet, aber obgleich man sie wusch und schmückte, schwarz und häßlich war sie und blieb sie auch.

Nach einer Weile mußte die Unterköchin zum Teich hinunter um Wasser zu holen, und da bekam sie einen großen Silberfisch in ihren Wasserkübel. Sie trug ihn hinauf und zeigte ihn dem König, und dem erschien er gut und prächtig zu sein, aber die häßliche Prinzessin sagte, das sei Zauberwerk, und sie sollten ihn verbrennen, denn sie ahnte sofort, wer das war. Also wurde der Fisch verbrannt und am anderen Morgen fand man einen Silberklumpen in der Asche. Da kam der kleine Küchenjunge hinauf zum König und erzählte es ihm, und diesem erschien das seltsam. Aber die häßliche Prinzessin sagte, das sei nur Zauberwerk und befahl, ihn im Misthaufen einzugraben. Der König wollte eigentlich nicht die Erlaubnis dazu geben, aber sie ließ ihm keine Ruhe, und so sagte er schließlich, sie sollten es tun. - Aber am nächsten Tage stand da eine schöne große Linde, wo sie den Silberklumpen eingegraben hatten, und die Linde hatte Blätter, die wie Silber schimmerten. Als man das dem König erzählte, erschien es ihm sonderbar, aber die Prinzessin sagte, das sei nichts als Zauberwerk, und die Linde sollten sie sofort umhauen. Der König wollte nicht, aber die häßliche Prinzessin plagte ihn so lange, daß er zum Schluß ihr nachgeben mußte, auch diesmal. Als die Mägde hinausgingen und die Späne von der Linde sammeln wollten, um sie im Herd zu verbrennen, wurden die Späne zu purem Silber. »Es hat keinen Wert, etwas davon dem König oder der Prinzessin zu erzählen«, sagten sie sich, »denn die wird sie wieder verbrennen oder schmelzen lassen. Da ist es besser, wir verbergen sie in unserer Truhe. Das wird gut sein, sie zu haben, wenn eines Tages uns ein Mann begegnet, der eine von uns heiraten will.«Ja, sie wurden sich einig darüber. Aber als sie die Truhe ein Weilchen getragen hatten, wurde sie so unsagbar schwer. Als sie nachsahen, woher das kam, waren die Silberspäne in ein Kind verwandelt, und sie brauchten nicht lang zu warten, da wurde daraus die schönste Prinzessin, die je ein Mensch gesehen. Die Mädchen verstanden bald, daß es hier nicht mit rechten Dingen zuging. Sie besorgten ihr Kleider und gingen eilig fort, um den Knaben zu suchen, der die schönste Prinzessin



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aus zwölf Königreichen holen sollte, und erzählten ihm das alles. Und als Kienspanhans zu ihr kam, sagte sie ihm, was ihr geschehen war, daß die häßliche Köchin sie in den Mühlenteich gestoßen hätte, und daß sie dann der Silberfisch gewesen sei und der Silberklumpen und die Linde und die Silberspäne - und daß sie die rechte sei.

Es war gar nicht so leicht, das dem König beizubringen, denn die häßliche schwarze Köchin war früh und spät um ihn. Aber schließlich griffen sie zu einer List. Sie meldeten ihm, es sei eine Kriegsbotschaft vom Nachbarkönig gekommen, und so lockten sie ihn aus dem Schloß. Als er aber die schönste Prinzessin erblickte, war er so verliebt in sie, daß er sogleich Hochzeit mit ihr machen wollte. Und als er zu hören bekam, wie bös die häßliche schwarze Köchin mit ihr verfahren war, befahl er, daß sie in eine Nageltonne gesperrt und den Berg hinabgerollt würde. Die Kunde aber von der prächtigsten Hochzeit ging über zwölf Königreiche.


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