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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 5

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON ARDASCHIR UND HAJÂT EN-NUFÛS 1

Einst lebte, o glücklicher König, in der Stadt Schiras ein mächtiger Herrscher; der hieß es-Saif el-A'zam' Schâh, und er war schon hochbetagt geworden, ohne daß ihm ein Sohn beschieden wäre. Deshalb versammelte er die Weisen und die Ärzte bei sich und sprach zu ihnen: ,Seht, ich bin jetzt hochbetagt! Ihr wisset, wie es um mich und um das Reich und seine Leitung steht. Ich aber bin besorgt, was aus den Untertanen werden soll, wenn ich nicht mehr bin; denn bis jetzt ist mir noch kein Sohn beschert.' Da erwiderten sie: ,Wir wollen dir einen Trank aus Heilkräutern bereiten, der dir helfen wird, so Allah der Erhabene will.' Nun bereiteten sie ihm einen solchen Trank. und er nahm ilm zu sich. Darauf ruhte er bei seiner Gemahlin. und sie empfing nach dem Willen Allahs des Erhabenen, der da spricht zu einem Dinge Werde! und es wird. Als ihre Monde erfüllet waren, brachte sie einen Knaben zur Welt, der war so schön wie der Mond; und sein Vater nannte ihn Ardaschir.' Der wuchs auf und gedieh und ward in den Dingen des Wissens und der feinen Bildung unterrichtet, bis er fünfzehn Jahre alt war. Ferner lebte damals im Irak ein König des Namens 'Abd el-Kâdir 4; und der hatte eine Tochter, so schön wie der aufgehende Vollmond, die Hajât en-Nufûs geheißen' war. Doch sie haßte die Männer, und man wagte es kaum, in ihrer



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Gegenwart von den Männern zu sprechen. Selbst Perserkönige hatten um sie bei ihrem Vater gefreit; allein sooft er zu ihr davon redete, antwortete sie: ,Das werde ich niemals tun! Wenn du mich aber dazu zwingst, so nehme ich mir das Leben.' Auch Prinz Ardaschir vernahm von ihrem Ruhm, und er sprach zu seinem Vater davon. Der sah, daß der Prinz von Liebe zu ihr erfüllt war; und da er Mitleid mit ihm hatte, versprach er ihm von Tag zu Tage, ihn mit ihr zu vermählen. Er sandte auch seinen Wesir zu ihrem Vater, um ihre Hand zu erbitten; doch jener wies ihn ab. Als nun der Wesir von König 'Abd el-Kâdir zurückkam und seinem Herrn berichtete, wie es ihm ergangen war, und ihm meldete, daß sein Wunsch nicht erfüllt sei, ward der König erregt und ergrimmte gewaltig. Und er rief: ,Soll meinesgleichen zu einem der Könige senden mit einer Bitte, ohne daß sie erfüllt 'wird?' Dann befahl er einem Herold, den Truppen zu verkündigen, sie sollten die Zelte ins Feld schaffen und sich mit allem Eifer rüsten, selbst wenn sie das Geld dafür borgen müßten. Und er sprach: ,Ich will nicht eher umkehren, es sei denn, ich habe zuvor das Land des Königs 'Abd el-Kâdir verwüstet und seine Mannen erschlagen, seine Spur ausgetilgt und sein Gut als Beute davongetragen!' Wie davon die Kunde zu Ardaschir kam, erhob er sich von seinem Lager, ging zu seinem Vater hinein, küßte den Boden vor ihm und sprach zu ihm: ,Großmächtiger König, bemühe dich mit nichts dergleichen.' —. —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 720. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Prinz, als jene Kunde zu ihm kam, zu seinem Vater hineinging, den Boden vor ihm küßte und zu ihm sprach: ,Großmächtiger König,



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bemühe dich mit nichts dergleichen. Sende diese Helden und diese Truppen nicht aus; verschwende dein Geld nicht; denn du bist stärker als er. Wenn du dies Heer wider ihn aussendest. so wirst du seine Länder und Städte verwüsten, seine Mannen und Helden erschlagen und sein Gut als Beute heimtragen; ja, auch er selbst wird umkommen. Wenn aber dann seine Tochter erfährt, was ihrem Vater und seinem Volke ihretwegen widerfahren ist, so wird sie sich selbst das Leben nehmen; und ich werde um ihretwillen sterben, denn nach ihrem Tode kann ich nimmermehr leben.' Da fragte ihn der König: ,Und was gedenkst zu tun, mein Sohn?' ,Ich will mich in meiner Sache selbst auf den Weg machen,' antworte der Prinz; ,ich will mich als Kaufmann verkleiden und eine List ersinnen, wie ich zu ihr gelange, und dann will ich sehen, wie ich meinen Wunsch bei ihr erreichen kann.' ,Bist du zu diesem Plan fest entschlossene' fragte der König weiter; und der Prinz gab ihm zur Antwort: ,Jawohl, mein Vater!' Nun berief der König den Wesir und sprach zu ihm: ,Reise du mit meinem Sohne, mit ihm, der die Wonne meines Herzens ist, und hilf ihm, sein Ziel zu erreichen! Behüte ihn und leite ihn durch deinen rechten Rat; denn du bist mein Stellvertreter bei ihm!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Wesir; und dann gab der König seinem Sohne dreihunderttausend Golddinare, ferner gab er ihm Juwelen, Ringsteine, Schmucksachen, Kaufmannsgüter, Vorräte und dergleichen mehr. Darauf trat der Prinz bei seiner Mutter ein, küßte ihr die Hände und bat um ihren Segen. Nachdem sie ihn gesegnet hatte, ging sie alsbald hin und öffnete ihre Schatzkammer; daraus holte sie für ihn allerlei Schätze, Halsbänder, Schmucksachen, Kleinodien und all die Dinge, die aus den Zeiten der früheren Könige dort aufgespeichert waren und die nicht mit Geld bezahlt werden konnten. Und er selbst



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nahm von seinen Mamluken und Sklaven und Saumtieren, so viele er für die Reise nötig hatte, dazu noch mancherlei anderes; und schließlich verkleidete er sich und den 'Wesir und ihre Begleiter als Kaufleute. Darauf nahm er Abschied von seinen Eltern, seinen Verwandten und Freunden; und sie zogen dahin durch Steppen und Wüsteneinsamkeit bei Tag und Nacht zu jeglicher Zeit. Als ihm nun der Weg lang ward, sprach er diese Verse:

Die Sehnsucht meiner Liebe und das Siechtum wachsen;
Ich habe keinen Helfer in der Not der Zeit.
Ich schaue der Plejaden und der Fische Aufgang,
Dem frommen Beter gleich, im großen Liebesleid.
Ich spähe nach dem Morgenstern; und wenn er leuchtet,
Wird immer heißre Liebesglut in mir entfacht.
So wahr du lebst, ich will von deiner Lieb nicht lassen,
Ich liebeskranker Mann, des Auge allzeit wacht.
Ist auch mein Ziel noch fern, wächst auch in mir die Schwäche,
Will mir auch, fern von dir, Geduld nicht Hilfe leihn,
So harr ich dennoch aus, bis Allah uns vereinet;
Drob sollen Feind und Neider schwer bekümmert sein!

Kaum hatte er diese Verse gesprochen, da sank er in Ohnmacht; doch nach einer Weile, als der Wesir ihn mit Rosenwasser besprengt hatte, erwachte er, und jener sprach zu ihm: ,O Prinz, fasse dich in Geduld; denn der Lohn der Geduld ist die Freude! Sieh, du bist ja auf dem Wege zu dem, was du wünschest!' So redete er ihm immer gut zu und tröstete ihn, bis sein Herz sich beruhigte; und sie zogen eilends weiter. Doch wieder währte dem Prinzen die Reise zu lang, und er gedachte seiner Geliebten und sprach diese Verse:

Die Trennung währt so lang, es wachsen Qual und Sorgen;
Mein Herz wird von der Glut des Feuers ganz verbrannt.
Und grau wird mir das Haupt durch all, was ich erdulde
An Leid, und Tränen rinnen ob der Augen Rand.



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Ich schwöre es, ,nein Wunsch, du Endziel meiner Hoffnung,
Bei Ihm, der alles schuf; darunter Zweig und Blatt:
Ich trage alle Qual von dir, o meine Hoffnung,
Wird unter Menschen auch, wer liebt, des Tragens matt!
Nun fragt nach mir die Nacht: sie wird es euch bekunden,
Ob in der langen Nacht mein Lid den Schlaf gefunden!

Nachdem er diese Verse beendet hatte, weinte er bitterlich und klagte ob der schweren Liebesqual, die er dulden mußte; aber der Wesir gab ihm gute Worte und tröstete ihn und versprach ihm, er werde sein Ziel erreichen. Dann zogen sie noch wenige Tage weiter, bis sie die Weiße Stadt erblickten, bald nach Sonnenaufgang. Da sprach der Wesir zum Prinzen: ,Freue dich, Königssohn, über alles Gute! Sieh, dies ist die Weiße Stadt, die du suchest.' Darob war der Prinz hocherfreut. und er sprach diese Verse:

Ihr Freunde, seht, mein Herz ist wie von Liebe irre.
Und meine Sehnsucht bleibt; die Qual verläßt mich nicht.
Ich klag wie der Verwaiste, den der Kummer wecker;
Die Lieb hat keinen Tröster. wenn die Nacht anbricht.
Doch wenn die Winde schon aus deinem Lande wehen.
So fühle ich die Kühlung, die dem Herzen naht.
Und meine Lider rinnen wie die Regenwolken;
Mein Herze schwimmt im Meer, das sich ergossen hat!

Als sie dann zu der Weißen Stadt gelangten, zogen sie dort ein und fragten nach dem Chân der Kaufleute, der Stätte der Handelsherren. Man wies ihnen den Weg dorthin; sie stiegen dort ab und mieteten sich drei Magazine. Und nachdem sie die Schlüssel erhalten hatten, schlossen sie auf und brachten ihre Waren und Güter dort unter. Sie blieben im Chân, bis sie sich ausgeruht hatten; dann aber begann der Wesir über einen Plan nachzusinnen, wie er die Sache des Prinzen fördern könne. — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 721. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß damals, als der Wesir und der Prinz im Chân abgestiegen waren und ihre Waren in den Magazinen untergebracht und dort ihren Dienern Wohnung gegeben hatten, dann auch selbst eine Weile geblieben waren, um sich auszuruhen, nunmehr der Wesir begann, über einen Plan nachzusinnen, wie er die Sache des Prinzen fördern könne. Und er sprach zu ihm: ,Mir kommt etwas in den Sinn, und ich glaube, darin liegt das Gelingen für dich, so Allah der Erhabene will.' Der Prinz antwortete ihm: ,O Wesir, der weisen Ratgeber Zier, tu, was sich dir in Gedanken darbietet, und Allah möge deinen Plan zum Rechten leiten!' Und der Wesir fuhr fort: ,Ich will dir einen Laden im Basar der Tuchhändler mieten, indem du dich niederlassen kannst. Denn alle, Vornehme wie Geringe, müssen in den Basar kommen; und ich denke, wenn du in dem Laden sitzest und die Leute dich mit eigenen Augen sehen, so werden die Herzen sich zu dir wenden und du wirst imstande sein, deine Absicht zu vollenden. Du bist ja schön anzuschauen; die Blicke werden durch dich entzückt, und die Seelen werden zu dir entrückt!' ,Tu, was du willst und wünschest!' erwiderte der Prinz. Darauf begann der Wesir alsbald seine prächtigsten Gewänder anzulegen, und der Königssohn tat desgleichen; er tat aber auch einen Beutel mit tausend Goldstücken in seine Brusttasche. Dann gingen die beiden fort und wanderten in der Stadt umher; und die Leute schauten sie an und staunten ob der Schönheit des Prinzen und riefen: ,Preis sei Ihm, der diesen Jüngling erschaffen hat aus verächtlichem Wasser!' Gesegnet



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sei Allah, der beste der Schöpfer!"Viel ward über ihn gesprochen; einige sagten: ,Das ist kein Sterblicher, das ist nichts anderes als ein edler Engel. "Andere aber ,Hat vielleicht Ridwân, der Hüter des Paradieses, das Tor des Himmelsgartens außer acht gelassen, so daß dieser Jüngling von dorten herabgekommen ist?' Und das Volk folgte den beiden zum Tuchmarkte, bis sie dort eintraten und stehen blieben. Nun trat ein alter Mann von hoheitsvollem und würdigem Aussehen an sie heran und begrüßte sie; und nachdem sie seinen Gruß erwidert hatten, sprach er zu ihnen: ,Meine Herren, habt ihr vielleicht einen Wunsch, durch dessen Erfüllung wir uns selbst ehren könnten?' ,Wer bist du, o Scheich?' fragte der Wesir: und der Alte erwiderte: ,Ich bin der Vorsteher des Basars.' Da fuhr der Wesir fort: ,Wisse, o Scheich, dieser Jüngling ist mein Sohn, und ich möchte für ihn in diesem Basar einen Laden mieten. damit er sich dort niederlassen und Kauf und Verkauf. Geben und Nehmen lernen kann und die Gewohnheiten der Kaufleute annehme.' ,Ich höre und gehorche!' sprach der Vorsteher, ließ alsbald den Schlüssel eines Ladens bringen und befahl den Maklern, ihn zu fegen. Nachdem sie ihn sauber und rein gefegt hatten, ließ der Wesir für den Laden ein hohes Polster kommen, das mit Straußenfedern gefüllt war; darauf lag ein kleiner Gebetsteppich, und ringsherum war die Borte mit rotem Golde bestickt. Ferner ließ er ein Kissen bringen und so viel von den Waren und Stoffen, die er hatte, daß der Laden gefüllt ward. Am nächsten Tag war der Prinz zur Stelle, öffnete den Laden, setzte sich auf jenes Polster und stellte vor sich zwei Mamluken auf, die mit den schönsten Gewändern bekleidet waren, und unten im Laden zwei schwarze Sklaven von den schönsten der Abessinier. Der Wesir



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aber hatte ihm eingeschärft, sein Geheimnis vor den Leuten zu hüten, auf daß er so ein Mittel fände, sein Ziel zu erreichen; dann hatte er ihn verlassen und war zu den Magazinen gegangen, nachdem er ihn auch noch gebeten hatte, ihm alles, was im Laden vor sich gehen würde, Tag für Tag mitzuteilen. So saß nun der Jüngling da in seinem Laden, schön wie der Mond zur Zeit seiner Fülle. Die Leute aber hörten von ihm und von seiner Schönheit reden, und sie strömten zu ihm hin, ohne kaufen zu wollen, ja, sie drängten sich im Basar, nur um seine Schönheit und Lieblichkeit und seines Wuchses Ebenmäßigkeit zu bewundern und um Allah den Erhabenen, der ihn geformt und geschaffen hatte, zu preisen. Und schließlich konnte niemand mehr durch jene Marktstraße gehen, weil eine so große Volksmenge bei ihm sich sammelte. Der Prinz aber schaute nach rechts und nach links; denn er war verwirrt durch die vielen Menschen, die ihn anstaunten, und er hoffte zugleich, er möchte mit jemandem Bekanntschaft schließen, der dem Hofe nahestehe und der ihm etwas über die Prinzessin mitteilen könne. Doch er fand keine Gelegenheit dazu, und deshalb ward ihm die Brust beengt. Derweilen versprach der Wesir ihm tagtäglich, er werde sein Ziel erreichen. So blieb es eine lange Weile. Eines Tages jedoch, als er in seinem Laden saß, kam eine alte Frau des Wegs, eine vornehme, hoheitsvolle und ehrwürdige Gestalt, die mit den Gewändern der Frommen bekleidet war; und hinter ihr gingen zwei dienende Frauen, wie Monde anzuschauen. Sie blieb vor dem Laden stehen, betrachtete den Jüngling eine Weile und rief dann: ,Preis sei Ihm, der dies Antlitz gestaltete und dieses Werkes waltete!' Darauf grüßte sie ihn; er gab ihr den Gruß zurück und bat sie, sich neben ihm niederzusetzen. Nun fragte sie ihn: ,Aus welchem Lande kommst du, o Jüngling mit dein schönen Antlitz?' ,Aus



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indischen Landen, meine Mutter,' erwiderte er; ,ich bin in diese Stadt gekommen, um mich in der Welt umzuschauen.' Sie sprach: ,Dein Besuch ist uns eine Ehre!' Dann fuhr sie fort: ,Was hast du bei dir an Waren, Gütern und Stoffen? Zeige mir etwas Schönes, wie es für Könige paßt!' Als er ihre Worte vernahm, sagte er: ,Wünschest du, daß ich dir die schönen Sachen vorlege? Ich habe Dinge, die sich für jeden Stand eignen.' ,Mein Sohn,' antwortete sie ihm, ,ich wünsche etwas, das hoch an Wert und schön von Aussehen ist, das Beste, was du hast.' Doch er entgegnete ihr: ,So mußt du mir denn sagen, für wen du die Ware haben willst, damit ich dir etwas vorlege, das dem Stande des Käufers entspricht.' ,Du hast recht, mein Sohn,' erwiderte sie, ,ich wünsche etwas für meine Herrin Hajât en-Nufûs, die Tochter des Königs 'Abd el-Kâdir, des Herrn dieses Landes und Königs dieser Stadt.' Kaum hatte der Prinz das Wort aus ihrem Munde gehört, da ward er vor Freude wie von Sinnen, und sein Herz begann zu pochen. Und er streckte seine Hand hinter sich, ohne seinen Mamluken oder seinen Sklaven einen Befehl zu geben, holte einen Beutel mit hundert Dinaren hervor und reichte ihn der Alten, indem er sprach: ,Dieser Beutel ist für die Wäsche deiner Kleider.' Darauf streckte er seine Hand aus nach einem Päckchen und holte aus ihm ein Gewand hervor, das zehntausend Dinare oder noch mehr wert war, und sprach zu der Alten: ,Dies ist etwas von dem, was ich in euer Land mitgebracht habe.' Als sie es erblickte, hatte sie Gefallen daran, und sie fragte: ,Wie hoch ist der Preis dieses Gewandes, o du Jüngling von vollkommener Art?' ,Es kostet nichts', gab er ihr zur Antwort; doch sie dankte ihm und wiederholte ihre Frage. Da sprach er: ,Bei Allah, ich nehme keinen Preis dafür. Ich gebe es dir zum Geschenk, wenn die Prinzessin es nicht annehmen will; dann



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sei es meine Gastgabe für dich. Preis sei Allah, der uns zusammengeführt hat, so daß ich in dir, wenn ich eines Tages einer Sache bedarf, eine Helferin finde, um sie zu erlangen.' Die Alte wunderte sich über diese feinen Worte, über seine hohe Vornehmheit und seine übergroße Höflichkeit; und sie fragte ihn: ,Wie heißest du, mein Herr?' ,Ardaschir', antwortete er; und sie fuhr fort: ,Bei Allah. das ist ein seltener Name! So werden die Söhne der Könige genannt, du aber hast die Tracht der Söhne der Kaufleute.' Er sagte darauf: ,Weil mein Vater mich so sehr lieb hatte, gab er mir diesen Namen. Aber ein Name besagt doch nichts.' Die Alte war immer noch voller Verwunderung, und sie bat ihn: ,Mein Sohn, nimm doch den Preis für deine Ware!' Doch er schwor, er wolle nichts nehmen. Dann hub sie an: ,Mein Freund, wisse, die Wahrheit ist das höchste aller Dinge. Diese Freigebigkeit, die du an mir übest, kann nur aus einem bestimmten Grunde stammen. Drum tu mir kund, wie es um dich steht, und was du bei dir in Gedanken verbirgst. Vielleicht hast du einen Wunsch, zu dessen Erfüllung ich dir verhelfen kann.' Da legte er seine Hand in die ihre und ließ sie Verschwiegenheit schwören; dann erzählte er ihr seine ganze Geschichte von seiner Liebe zu der Prinzessin und dem Leide, das er um ihretwillen erduldete. Die Alte jedoch schüttelte ihr Haupt und erwiderte ihm: ,Das mag recht sein; aber, mein Sohn, die Weisen sagen in dem bekannten Sprichwort: Wenn du willst, daß man dir Gehorsam leiht, so befiehl nicht ein Ding der Unmöglichkeit. Und du, mein Sohn, dein Name ist Kaufmann; und hättest du auch die Schlüssel zu den verborgenen Schätzen, du würdest doch immer nur Kaufmann genannt werden. Wenn du einen Rang erhalten willst, der höher ist als dein eigener, so bewirb dich um die Tochter eines Kadis oder gar eines Emirs! Warum



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mußt du denn, mein Sohn, nach der Tochter des größten Königs unseres ganzen Zeitalters streben? Sie ist noch Jungfrau, sie kennt nichts von den Dingen der Welt und hat in ihrem ganzen Leben noch nichts anderes gesehen als den Palast, darinnen sie wohnt. Und ob sie gleich jung an Jahren ist, so ist sie doch verständig, klug, einsichtsvoll, scharfsinnig, ja, sie hat einen trefflichen Verstand, sie ist gewandt zur rechten Tat, und immer sicher ist ihr Rat. Ihrem Vater ward kein anderes Kind beschert als sie, und sie ist ihm teurer als sein Leben; jeden Tag kommt er zu ihr und wünscht ihr einen guten Morgen, und alle, die im Schlosse sind, fürchten sich vor ihr. Glaub also nicht, mein Sohn, daß irgend jemand ein solches Wort an sie richten könnte; ich habe auch keine Möglichkeit dazu! Bei Allah, mein Sohn, mein Herz, ja mein ganzes Inneres liebt dich, und ich wünsche so sehr, daß du bei ihr sein könntest. Doch ich will dir etwas kundtun, durch das Allah vielleicht dir die Heilung deines Herzens gewährt, ja, ich will für dich mein Leben und mein Gut aufs Spiel setzen, bis daß ich dir deinen Wunsch erfülle.' ,Und was ist das, meine Mutter?' fragte er. Sie antwortete: ,Erbitte von mir die Tochter eines Wesirs oder die Tochter eines Emirs. Wenn du dergleichen von mir erbittest, so will ich dir deinen Wunsch gewähren. Aber es ist unmöglich, daß jemand von der Erde zum Himmel mit einem einzigen Sprunge emporstiege.' Darauf sagte der Jüngling zu ihr höflich und verständig: ,Meine Mutter, du bist eine kluge Frau, und du weißt, wie die Dinge gehen. Sag, wird ein Mann, wenn ihm sein Kopfweh tut, sich die Hand verbinden?' ,Nein, bei Allah, mein Sohn', erwiderte sie; und er fuhr fort: ,Ebenso wünscht auch mein Herz keine andere als sie, und nur die Liebe zu ihr hat mich dem Tode nahe gebracht. Ja, bei Allah, ich bin bald ein verlorener Mann, wenn



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ich nicht die Leitung eines Helfers finden kann. Ich bitte dich um Allahs willen, meine Mutter, erbarme dich meiner Fremdlingseinsamkeit und meiner strömenden Tränen Herzeleid !'— —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 722. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ardaschir, der Königssohn, zu der Alten sprach: ,Ich bitte dich um Allahs willen, meine Mutter, erbarme dich meiner Fremdling einsamkeit und meiner strömenden Tränen Herzeleid!' ,Bei Allah, mein Sohn,' gab sie ihm zur Antwort, ,mein Herz wird zerrissen durch diese deine Worte; und dennoch steht in meiner Gewalt keine List, die ich ausführen könnte.' Da sagte er: ,Ich möchte, daß du in deiner Güte dies Blatt von mir entgegennehmest und es ihr bringest und ihr in meinem Namen die Hände küssest!' Nun hatte sie Mitleid mit ihm und sprach zu ihm: ,Schreib darauf, was du willst; und ich will es ihr bringen.' Als er das hörte, ward er vor Freude fast wie von Sinnen; und er rief nach Tintenkapsel und Papier und schrieb diese Verse an die Prinzessin:

Hajât en-Nufûs, o, gewähr deine Nähe
Dem Freund in der Trennung verzehrenden: Schmerz!
Einst lebt ich in Wonne und herrlicher Freude:
Doch jetzt bin ich krank, und verirrt ist mein Herz.
Ich kenne nur Wachen in endlosen Nächten:
Gesell ist der Gram mir zu jeglicher Stund.
Erbarm dich des Liebenden, Kranken, Geplagten:
Er weinte vor Sehnsucht die Lider sich wund.
Und stellet dann endlich der Morgen sich ein,
So ist er berauscht von der Leidenschaft Wein.

Nachdem er den Brief beendet hatte, faltete er ihn, küßte ihn und gab ihn der Alten. Dann streckte er die Hand aus nach



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einer Truhe und holte aus ihr einen zweiten Beutel heraus. der auch hundert Goldstücke enthielt. Den gab er ihr, indem er sprach: ,Verteile dies unter die Sklavinnen!' Sie aber weigerte sich und rief: ,Bei Allah, mein Sohn, ich bin nicht um solcher Dinge willen bei dir!' Da dankte er ihr und sagte: .Du mußt ihn dennoch annehmen.' So nahm sie ihn denn von ihm entgegen, küßte seine Hände und wandte sich zum Gehen.

Als sie bei der Prinzessin eintrat, sprach sie: ,Meine Gebieterin, ich habe dir etwas mitgebracht, dessengleichen bei den Leuten unserer Stadt nicht zu finden ist; es kommt von einem schönen Jüngling, wie es auf dem Angesichte der Erde keinen herrlicheren gibt.' Da fragte die Prinzessin: ,Liebe Amme, woher ist denn dieser Jüngling?' Und die Alte erwiderte: ,Er ist aus indischen Landen; er hat mir dies Prunkgewand gegeben, das mit Gold durchwirkt und mit Perlen und Edelsteinen besetzt ist und das so viel wert ist wie das Reich des Perserkönigs und des Kaisers von Rom.' Und kaum hatte sie es entfaltet, da erglänzte das ganze Schloß von dem Lichte jenes Gewandes; so herrlich war es gewirkt, und so reich waren die Edelsteine und Juwelen, mit denen es bestickt war. Alle, die im Schlosse waren, erstaunten darüber; auch die Prinzessin betrachtete es. und sie schätzte die Höhe seines Wertes auf nicht weniger als den vollen jährlichen Betrag der Einkünfte aus ihres Vaters Reich. Dann sprach sie zu der Alten: ,Liebe Amme. kommt dies Gewand von ihm selber oder von einem anderen?' ,Von ihm selber', erwiderte jene; und die Prinzessin fragte weiter: ,Liebe Amme, ist dieser Kaufmann aus unserer Stadt oder ist er ein Fremdlingin' Die Alte antwortete: ,Er ist ein Fremdling, meine Herrin, und er ist erst vor kurzem in unsere Stadt gekommen. Und hei Allah, er hat Gefolge und



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Diener, er ist schön von Angesicht, von ebenrnäßigem Wuchs, von edler Art und hoher Gesinnung, und nach dir ist er der schönste Mensch, den ich je gesehen habe.' Da sagte die Prinzessin: ,Es ist doch wahrlich ein sonderbar Ding, daß ein solches Prachtgewand, das gar nicht mit Geld bezahlt werden kann, in den Händen eines Kaufmanns ist. Wie hoch ist denn der Preis, den er dir dafür genannt hat, liebe Amme?' Die Alte erwiderte: ,Bei Allah, meine Herrin, er hat mir die Höhe des Preises gar nicht genannt, sondern er sagte zu mir: ,Ich nehme kein Geld dafür an; es ist ein Geschenk von mir für die Prinzessin, denn es gebührt nur ihr allein.' Und dann wies er das Gold zurück, das du mir mitgegeben hattest, und schwor, er könne es nicht annehmen, indem er noch hinzufügte: ,Es soll dir gehören, wenn die Prinzessin es nicht annimmt.' Da rief die Prinzessin: ,Bei Allah, das ist wirklich eine gewaltige Freigebigkeit und eine hohe Großmut! Aber ich befürchte den Ausgang des Ganzen; vielleicht wird er gar in Not geraten. Warum hast du ihn nicht gefragt, liebe Amme, ob er irgendeinen Wunsch habe, den wir ihm erfüllen können?' ,Meine Gebieterin.' antwortete die Alte, ,ich habe ihn gefragt, ob er einen Wunsch habe; und da sagte er mir, er habe wohl einen Wunsch, doch er tat ihn mir nicht kund, sondern er gab mir nur dies Blatt mit den Worten: ,Überreiche es der Prinzessin!' Hajât en-Nufûs nahm den Brief, entfaltete ihn und las ihn bis zum Schlusse. Doch da war sie wie verwandelt, sie war fast von Sinnen, und ihre Farbe erblich. Und sie schrie die Alte an., ,Weh dir, du Amine! Wie heißt dieser Hund, der einer Prinzessin solche Worte zu schreiben wagt? Welche Verwandtschaft besteht zwischen mir und diesem Hunde, daß er mir Briefe senden dürfte? Bei Allah, der mächtig das All umspannt, dem Herrn des Zemzem-Brunnens 1



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und der heiligen Wand', fürchtete ich nicht Gott den Erhabenen, ich schickte hin und ließe diesem Hund die Hände auf den Rücken binden, die Nüstern aufschlitzen und die Nase samt den Ohren abschneiden und ihn hernach als warnendes Beispiel kreuzigen am Tore des Basars, in dem sein Laden ist!' Wie die Alte diese Worte vernahm, erblich sie; ihr ganzer Leib zitterte, und ihre Zunge klebte ihr am Gaumen fest. Dann aber faßte sie sich ein Herz und sprach: ,Sanft, meine Herrin! Was ist denn an diesem Briefe, daß er dich so sehr erregt? Ist er etwas anderes als eine Bittschrift, die er an dich richtet, in der er sich über Armut oder Bedrückung beklagt und durch die er auf deine Güte und auf Befreiung aus der Not hofft?' ,Nein, bei Allah, meine Amme,' erwiderte die Prinzessin, ,es sind Verse und gemeine Worte. Doch, Amme, bei diesem Hunde ist nur eins von drei Dingen möglich: entweder er ist besessen und hat keinen Verstand, oder er sucht seinen eigenen Tod, oder er hat in seinem Unterfangen gegen mich einen Helfer von starker Kraft und gewaltiger Macht. Oder sollte er vielleicht gehört haben, ich sei eine von den Dirnen dieser Stadt, die eine Nacht oder zwei Nächte verweilt bei dem, der ihrer begehrt, daß er mir gemeine Verse zu senden wagt, um meinen Verstand durch solche Dinge zu betören?' Die Alte sagte darauf: ,Bei Allah, meine Herrin, du hast recht! Doch kümmere dich nicht um diesen törichten Hund: du sitzest ja in deinem hochragenden und unnahbaren Schlosse, über das nicht einmal die Vögel fliegen noch der Wind hinstreichen kann. Er ist sicher ganz verstört; schreib ihm nur einen Brief und schilt ihn, erspare ihm keinerlei Vorwurf, sondern drohe ihm mit dem Äußersten und halt ihm den Tod vor



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Augen! Sprich zu ihm: ,Woher weißt du von mir, daß du mir zu schreiben wagst, du Hund von einem Kaufmann, der du zeit deines Lebens in Wüsten und Einöden dich umhertreibst, um einen Dirhem zu verdienen oder einen Dinar? Bei Allah, wenn du nicht aus deinem Schlafe erwachst und aus deinem Rausche wieder zu dir kommst, so lasse ich dich kreuzigen am Tore des Basars, in dem dein Laden steht.' Doch die Prinzessin entgegnete: ,Ich fürchte, wenn ich ihm schreibe, so wird er noch verwegener.' Da sagte die Alte: ,Welchen Rang, welchen Stand hat er denn, daß er gegen uns verwegen werden könnte? Wir schreiben ihm ja nur, damit seine Vermessenheit aufhört und seine Furcht größer wird!'

In dieser Weise redete sie immer weiter mit List auf die Prinzessin ein, bis sie Tintenkapsel und Papier bringen ließ und ihm diese Verse schrieb:

Der du nach Liebe suchst und nach der Qual des Wachens,
Die in den langen Nächten Herz und Sinn verzehrt,
Erstrebest du, Vermeßner, dich dem Mond zu nahen -
Ja, wird denn einem Mann sein Wunsch vom Mond gewährt?
Wohlan, ich rate dir; drum hör auf meine Worte:
Laß ab, du bist umringt von Tod und von Gefahr!
Kommst du mit dieser Bitte wiederum, so wisse.
Dir naht von mir die Strafe schwerster Qual, fürwahr!
Bei Ihm, der alle Dinge aus dem Nichts geschaffen
Und der den Himmel schmückte mit der Sterne Zier.
Wenn du noch einmal kommst mit dein, was du gesagt hast -
Den Kreuzestod am Baumesstamm bereit ich dir!
Sei sittsam, klug, vernünftig, handle mit Verstand!
Der Rat durch meiner Verse Wort ist dir bekannt.'



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Dann faltete sie den Brief und gab ihn der Alten; die nahm ihn hin und ging durch die Stadt, bis sie zu dem Laden des Jünglings kam; dort überreichte sie ihm die Botschaft. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 723. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte, nachdem sie den Brief von Hajât en-Nufûs hingenommen hatte und durch die Stadt gegangen war und dem Jüngling in seinem Laden die Botschaft überreicht hatte, zu ihm sprach: ,Nun lies deine Antwort! Wisse aber, als sie deinen Brief gelesen hatte, da war sie sehr zornig; dann habe ich sie durch Worte so lange beruhigt, bis sie dir die Antwort schickte.' Erfreut nahm er den Brief hin, las ihn und verstand seinen Sinn. Als er ihn aber zu Ende gelesen hatte, weinte er bitterlich. Darob tat der Alten das Herz weh, und sie sprach: ,Mein Sohn, Allah lasse deine Augen nimmer weinen, noch auch dein Herz trauern! Was kann denn freundlicher sein, als daß sie deinen Brief beantwortete, nachdem du dich eines solchen Tuns vermessen hattest?' Der Jüngling erwiderte: ,Liebe Mutter, was für eine feinere List soll ich denn anwenden als diese, nun, da sie mir in ihrer Botschaft mit dem Tode am Kreuze droht und mir verbietet, ihr zu schreiben? Ich sehe, bei Allah, mir wäre der Tod besser als das Leben: doch ich bitte dich, nimm in deiner Güte noch diesen Brief von mir und trag ihn zu ihr!' ,Schreib nur,' erwiderte sie, ,ich verbürge mich für eine Antwort! Bei Allah, ich will mein Leben für dich wagen, damit du dein Ziel erreichest, und sollte ich auch umkommen dir zuliebe.' Er dankte ihr, küßte ihr die Hände und schrieb dann diese Verse:

Du drohest ,nich zu töten, nur weil ich dich liebe.
Doch Sterben ist Gewinn, der Tod ist ja bestimmt.



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Wer liebt, dem ist der Tod mehr wert als langes Leben,
Das einem Abgewies'nen alle Hoffnung nimmt.
Wenn du den Freund besuchst, der keinen Helfer findet,
Bedenk, dem guten Tun der Menschen winkt der Lohn!
Allein wenn du auf deinem Tun beharrst, so wisse,
Ich bin dein Knecht; der Sklave liegt in Banden schon.
Was soll ich tun, da mir ohn dich Geduld entschwindet ?
Wenn Lieb das Herze zwingt, wie kann es anders sein?
Erbarm dich seiner. Herrin. den die Lieb verzehrte:
Denn jedem, der die Edlen liebt, ist zu verzeihn.

Dann faltete er den Brief und gab ihn der Alten, und zugleich reichte er ihr zwei Beutel, die zweihundert Dinare enthielten. Sie wollte sie nicht annehmen, aber als er sie beschwor, tat sie es doch und sagte: ,Ich muß dir gewißlich zu deinem Ziele verhelfen, deinen Feinden zum Trotze!'

Darauf ging sie fort, trat zu Hajât en-Nufûs ein und überreichte ihr den Brief. Doch die Prinzessin sprach: ,Was ist denn dies, meine Amme? Sind wir schon so weit gekommen, daß wir im Briefwechsel stehen und du zwischen uns hin und her gehst? Ich fürchte, die Sache wird ruchbar werden, so daß wir in Schande geraten.' ,Wieso denn, meine Gebieterin? Wer darf ein solches Wort sprechen?' fragte die Alte. Die Prinzessin nahm den Brief von ihr hin, und als sie ihn gelesen und seinen Inhalt verstanden hatte, schlug sie die Hände aufeinander und rief: ,Dies ist doch wirklich eine Plage für uns! Und wir wissen nicht einmal, wie wir zu diesem Jüngling gekommen sind!' Die Alte erwiderte: ,Meine Herrin, ich bitte dich um Allahs willen, schreib ihm noch einen Brief; aber gib ihm harte Worte. Sag ihm: Wenn du mir noch einen Brief schickst, so lasse ich dir den Kopf abschlagen.' Da sprach die Prinzessin zu ihr: ,Liebe Amme, ich weiß, daß die Sache auf diese Weise zu keinem Ende kommt. Das beste wäre, mit dem Briefwechsel



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aufzuhören. Wenn dieser Hund sich nicht durch meine frühere Drohung fortjagen läßt, so lasse ich ihm den Kopf abschlagen.' Dennoch sagte die Alte: ,Schreib ihm noch einen Brief und tue ihm kund, wie es nun steht!' So ließ denn die Prinzessin wiederum Tintenkapsel und Papier kommen und schrieb ihm diese Verse der Drohung:

O der du um des Schicksals Schläge dich nicht kümmerst,
Des hebend Herz erhofft, es werde mir vereint,
Vermeßner, wähnst du denn den Himmel zu erreichen?
Kannst du zum Mond gelangen, der dort oben scheint?
Mit Feuersglut, die nie erlischt, will ich dich rösten;
Und Unheilsschwerter singen dir dein Todeslied.
Dein Ziel, o Freund, ist doch in weiter, weiter Ferne;
Es ist ein dunkel Ding, das graue Scheitel zieht.
Laß von der Liebe ab! Nimm meine Warnung an!
Hör auf mit deinem Tun; denn es ist mißgetan!

Nachdem sie den Brief gefaltet hatte, gab sie ihn der Alten, die durch all das in große Verwirrung geraten war. Doch sie nahm ihn hin, machte sich auf den Weg, bis sie zu dem Jüngling kam, und überreichte ihm das Schreiben. Als der es in die Hand genommen und gelesen hatte, senkte er sein Haupt und tat, als ob er mit den Fingern schriebe, ohne ein Wort zu sagen. Da hub die Alte an: ,Mein Sohn, warum muß ich sehen, daß du nicht zu reden beliebst und keine Antwort gibst?' ,Liebe Mutter,' erwiderte er, ,was soll ich denn sagen, da sie mir wieder droht und immer größere Härte und Abneigung zeigt?' Sie aber fuhr fort: ,Schreib ihr in einem Briefe, was du willst! Ich will dich schützen. Dein Herz möge guter Dinge sein; denn ich werde euch sicher vereinen.' Er dankte ihr für ihre Güte, küßte ihr die Hände und schrieb diese Verse:

Bei Gott, da ist ein Herz, das Liebe nicht erhöret!
Ein Freund auch, der die Näh des Lid's allein erstrebt!



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Die Augenlider sind ihm immer mund von Tränen,
Sobald die dunkle Nacht die schwarzen Schleier webt.
Sei gütig, zeige Huld, üb Mitleid und Erbarmen
Mit ihm, den Liebe peinigt hier in fremden Land!
In all den langen Nächten kennt er keinen Schlummer,
Ertränkt im Meer der Tränen und von Qual verbrannt.
O töte doch das Sehnen meines Herzens nicht.
Das heil? in Liebe pocht und fast vor Schmerzen bricht!

Dann faltete er den Brief und reichte ihn der Alten; und diesmal gab er ihr dreihundert Dinare, indem er sprach: ,Dies ist für das Waschen deiner Hände.' Sie dankte ihm, küßte ihm die Hände und ging zurück, bis sie zu der Prinzessin eintrat; der gab sie das Schreiben. Doch als jene es in die Hand genommen und bis zum Schluß gelesen hatte, warf sie es aus der Hand und sprang auf die Füße. Dann schritt sie dahin auf ihren goldenen Stelzschuhen, die mit Perlen und Edelsteinen besetzt waren, bis sie zum Schlosse ihres Vaters kam; doch die Ader des Zornes war auf ihrer Stirn geschwollen, und niemand wagte zu fragen, was ihr geschehen sei. Als sie in den Palast trat, fragte sie nach dem König, ihrem Vater. Da erwiderten ihr die Sklavinnen und Odalisken: ,O Herrin, er ist zu Jagd und Hatz hinausgezogen.' So kehrte sie denn zurück, einer reißenden Löwin gleich, und sprach drei Stunden lang mit niemandem ein Wort, bis sich ihr Antlitz aufhellte und ihr Grimm sich legte. Und wie die Alte bemerkte, daß ihre Erregung und der Zorn vorüber waren, trat sie auf sie zu, küßte den Boden vor ihr und sprach zu ihr: ,Hohe Herrin, wohin sind diese edlen Schritte gegangen?' ,In den Palast meines Vaters', erwiderte die Prinzessin; und die Alte fuhr fort: ,O Herrin, war niemand dort, deinen Wunsch zu erfüllent' Die Prinzessin antwortete: ,Ich bin nur deshalb dorthin gegangen, um meinem Vater zu sagen, was mir durch den Hund von



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Kaufmann widerfahren ist, und um ihn anzutreiben, daß er ihn ergreifen lasse, ihn und alle Leute in seinem Basare, und daß er sie alle über ihren Läden kreuzigen lasse und keinem fremden Kaufmann mehr gestatte, sich in unserer Stadt aufzuhalten.' Da fragte die Alte: ,Bist du nur aus diesem Grunde zu deinem Vater gegangen, meine Herrin?' ,Ja,' erwiderte die Prinzessin, ,aber ich fand meinen Vater nicht dort, sondern ich erfuhr, daß er zur Jagd und Hatz fortgezogen ist. Jetzt will ich warten, bis er wiederkehrt.' Da rief die Alte: ,Ich nehme meine Zuflucht zu Allah, dem Allhörenden und Allwissenden! Meine Herrin, du bist -Gott sei gepriesen! —das verständigste Menschenkind; aber wie kannst du dem König dies törichte Geschwätz kundtun, das niemand ans Licht ziehen sollte?' ,Weshalb denn nicht?' fragte die Prinzessin; und die Alte gab zur Antwort: ,Nimm an, du hättest den König in seinem Palaste getroffen und hättest ihm diese Geschichte berichtet, und er hätte nach den Kaufleuten geschickt und befohlen, sie über ihren Läden aufzuhängen, und die Leute hätten sie gesehen; die würden dann sicher darüber nachfragen und reden, was wohl der Grund ihrer Hinrichtung wäre, und darauf würde ihnen geantwortet: ,Sie haben versucht, die Tochter des Königs zu verführen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 724. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte zur Prinzessin sprach: ,Nimm an, du hättest dem König all das kundgetan, und er hätte befohlen, die Kaufleute aufzuhängen, würden dann die Leute sie nicht sehen und fragen, was wohl der Grund ihrer Hinrichtung wäre? Darauf würde ihnen geantwortet: ,Sie haben versucht, die Tochter des Königs zu verführen.'



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Und dann würde man alle möglichen Gerüchte über dich verbreiten. Die einen würden sagen: ,Sie hat sich aus ihrem Palaste entfernt und ist zehn Tage lang bei ihnen gewesen, bis sie genug von ihr hatten!' Und andere würden noch anderes sagen. Die Ehre, o meine Herrin, ist wie die Milch, die durch das kleinste Stäubchen beschmutzt wird; oder wie Glas, das, einmal geborsten, nicht wieder heil werden kann. Hüte dich, deinem Vater oder irgend jemand anders etwas von dieser Sache zu erzählen, auf daß deine Ehre nicht besudelt wird, meine Gebieterin! Nie und nimmer könnte es dir von Nutzen sein, wenn die Leute davon erfahren. Erwäge meine Worte mit deinem trefflichen Verstande; und wenn du sie nicht für richtig hältst, so tu, was du willst!' Als die Prinzessin diese Worte aus dem Mund der Alten vernommen hatte, dachte sie darüber nach und fand, daß sie vollkommen richtig waren. Darum sprach sie zu ihr: ,Was du sagst, ist wohl richtig, liebe Amme; doch der Zorn hatte mein Urteil getrübt.' Und die Alte fuhr fort: ,Wisse, es ist vor Allah dem Erhabenen ein guter Entschluß von dir, daß du niemanden etwas davon kundtun willst. Doch bleibt uns noch etwas anderes zu tun übrig, das ist, wir dürfen zu der Schamlosigkeit dieses Hundes, des gemeinsten der Kaufleute, nicht schweigen. So schreib ihm denn einen Brief und sprich zu ihm: ,Du gemeinster der Kaufleute, wenn der König nicht fern gewesen wäre, so hätte ich in diesem Augenblick befohlen, dich und alle deine Nachbarn zu kreuzigen. Doch dir wird nichts davon entgehen. Ich schwöre bei Allah dem Erhabenen, wenn du noch einmal wieder mit solchem Geschwätze beginnst, so werde ich deine Spur vom Angesichte der Erde vertilgen.' Gib ihm harte Worte, damit du ihn von diesem Tun abbringst; weck ihn auf aus seiner Achtlosigkeit!' Die Prinzessin fragte aber wiederum: ,Werden



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ihn denn diese Worte von seinem Unterfangen abbringen?' Die Alte gab zur Antwort: ,Wie sollten sie ihn nicht abbringen, wenn ich noch mit ihm rede und ihm kundtue, was vorgefallen ist?' So rief denn die Prinzessin nach Tintenkapsel und Papier und schrieb diese Verse:

Du hängst noch an der Hoffnung, daß du dich mir nahest;
Du könntest noch dein Ziel erreichen, dünket dir.
Den Menschen stürzt doch nur Verblendung ins Verderben;
Und das, was der begehrt, bringt ihm den Tod von mir.
Du bist kein starker Held, bist auch kein Stammeshäuptling;
Du bist kein Fürst, noch auch mit Herrschermacht betraut.
Sogar, wenn unsresgleichen solches Tun begönne,
Er stände davon ab, von wildem Schreck ergraut.
Doch einmal will ich noch dir deine Schuld verzeihn:
Und du sollst in dich gehn hinfort und reuig sein!

Dann reichte sie den Brief der Alten, indem sie zu ihr sprach: ,Liebe Amme, halt diesen Hund zurück, auf daß ich ihm nicht den Kopf abschlage und wir nicht um seinetwillen eine Sünde auf uns laden!' Die Alte antwortete: ,Bei Allah, meine Gebieterin, ich will ihm keine Seite lassen, nach der er sich wenden kann.' Und sie nahm den Brief und ging mit ihm fort, bis sie wieder bei dem Jüngling war. Nachdem sie ihn begrüßt und er ihren Gruß erwidert hatte, reichte sie ihm das Schreiben. Er nahm es in die Hand, las es und schüttelte den Kopf und sprach: ,Fürwahr, wir sind Allahs Geschöpfe, und zu ihm kehren wir zurück.' Und er fügte hinzu: ,Liebe Mutter, was soll ich nun tun? Meine Geduld versagt, und meine Kraft erlahmt.' ,Mein Sohn,' entgegnete ihm die Alte, ,gedulde dich noch; vielleicht wird Allah jetzt etwas geschehen lassen. Schreib, was dir auf dem Herzen liegt; ich werde dir eine Antwort bringen! Hab Zuversicht und quäl dich nicht! Ich werde dich sicherlich mit ihr vereinen, so Allah der Erhabene will.' Da fichte er des Himmels



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Segen auf ihr Haupt herab und schrieb der Prinzessin einen Brief, dem er diese Verse anvertraute:

Da ich in meiner Liebe keinen Schützer finde
Und mir die Pein der Sehnsucht Tod und Unheil bringt,
Ertrage ich die Glut des Feuers tief im Herzen
Bei Tag und bei der Nacht, wenn mir kein Schlummer winkt.
Wie sollte ich auf dich nicht hoffen, Ziel der Wunsche?
Genügt es mir, daß ich der Qual ein Opfer bin?
Ich fleh zum Herrn des Throns, daß Er mir Gnade leihe;
Vor Liebe zu der keuschen Schönen siech ich hin.
Ergeb, daß ich mich freudig bald mit dir Verein;
Denn ich Versinke sonst in grimmer Liebespein.

Dann faltete er den Brief, reichte ihn der Alten und holte für sie einen Beutel mit vierhundert Dinaren. Die nahm alles hin und machte sich auf den Heimweg, bis sie wieder bei der Prinzessin eintrat. Doch als sie ihr den Brief geben wollte, nahm jene ihn nicht an, sondern rief: ,Was für ein Blatt ist das?' ,Hohe Herrin,' erwiderte die Alte, ,dies ist nur die Antwort auf den Brief, den du dem Hunde da, dem Kaufmann, geschickt hast.' Die Prinzessin fragte darauf: ,Hast du es ihm nicht verboten, wie ich dir gesagt habe?' ,Jawohl,' gab die Alte zurück, ,doch dies ist seine Antwort.' Da nahm die Königstochter den Brief von ihr entgegen und las ihn bis zu Ende durch; dann aber wandte sie sich der Alten zu und fragte sie: ,Wo bleibt die Erfüllung deiner Worte?' ,Hohe Herrin, sagt er denn nicht in seiner Antwort, daß er von seinem Tun abläßt und bereut und sich wegen dessen entschuldigt, was geschehen ist?' ,Nein, bei Allah, er wird vielmehr nur noch kühner.' ,Meine Gebieterin, schreib ihm noch einen Brief, und du sollst sehen. was ich mit ihm tun werde.' ,Ich will jetzt ohne Schreiben und ohne Antwort bleiben!' ,Aber ich muß doch einen Brief haben. damit ich ihn schelten und ihm seine Hoffnung nehmen kann.'



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,Nimm ihm seine Hoffnung, ohne einen Brief mitzunehmen!' Doch die Alte entgegnete: ,Soll er gescholten werden und der Hoffnung entsagen, so muß ich unbedingt einen Brief zu ihm tragen.' Da rief die Prinzessin nach Tintenkapsel und Papier und schrieb ihm diese Verse:

Wie oft schon schalt ich dich; doch hemmte dich kein Schelten!
Wie oft verbot ich dir im Lied mit eigner Hand!
Verbirg die Liebe dein, laß nie von ihr verlauten!
Wenn du nicht folgst, so sei mir Rücksicht unbekannt!
Und wenn du nochmals kommst mit dem, was du gesagt hast,
Erhebt um dich des Todes Bote sein Geschrei.
Dann fühlst du bald den Wind der Steppe dich umwehen,
Dort stürzt auf deinen Leib der Geier Schar herbei.
Zurück zum rechten Weg! Dort winket dir das Heil.
Doch sinnst du Schlechtes nur, ist grauser Tod dein Teil.

Und als sie diesen Brief beendet hatte, warf sie das Blatt im Grimm aus der Hand; die Alte aber nahm es an sich und begab sich zum Jüngling. Rasch ergriff er das Schreiben; doch als er es zu Ende gelesen hatte, erkannte er, daß sie nicht milder, sondern nur noch zorniger gegen ihn geworden war, und daß er ihr nie nahen könne. Da kam es ihm in den Sinn, ihr einen Brief zu schreiben, in dem er sie verwünschte, und so schrieb er diese Verse:

O Herr, schaff mir Erlösung -bei den fünf Planeten!' Von ihr, um derentwillen Liebe mich verbrennt.
Du kennst die Flamme ja, die mir im Herzen lodert
Voll heißer Glut zu ihr, die kein Erbarmen kennt.
Ach sie erbarmt sich nicht der Qualen, die ich dulde;
Wie quälet sie ,nich Armen stets durch Tyrannei!
Jetzt bin ich wie verwirrt durch Schmerzen ohne Ende.
Ich finde keinen Freund; o Volk, wer steht mir bei?
Wie oft, dieweil die Nacht den dunklen Schleier senket,
Beklag ich offen und geheim die Leidenschaft!



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Und dennoch hab ich nie von deiner Lieb gelassen;
Wie konnt ich's tun? Mir nahm die Sehnsucht meine Kraft.
O Trennungsvogel', sag mir an: Ist sie gefeit
Vor allen Nöten und dem Wechselspiel der Zeit?

Dann faltete er den Brief und reichte ihn der Alten; und diesmal gab er ihr einen Beutel mit fünfhundert Dinaren. Nachdem sie das Schreiben hingenommen hatte, machte sie sich von neuem auf den Weg zur Prinzessin, und als sie zu ihr eingetreten war, gab sie ihr den Brief. Doch wie die ihn gelesen und seinen Inhalt verstanden hatte, warf sie ihn aus der Hand und rief: ,Sag mir, du elende Alte, weshalb mußte mir dies alles widerfahren durch dich und deine List und deine Fürsprache für ihn, so daß du mich Brief auf Brief schreiben lässest und unaufhörlich Botschaften zwischen uns hin und her trägst, bis du zwischen ihm und mir Briefwechsel und derlei Geschichten zustande gebracht hast? Jedesmal sagst du mir: ,Ich will dich von seinem Übel befreien und seine Reden von dir fern halten.' Aber das sagst du nur, damit ich ihm immer wieder einen Brief schreibe und damit du am Abend und am Morgen hin und her gehen kannst, bis du schließlich meinen Ruf vernichtet hast. Heda, ihr Eunuchen, packt sie!' Und nun befahl sie den Eunuchen, die Alte zu schlagen; und die taten es, bis ihr ganzer Leib von Blut floß und sie in Ohnmacht sank. Dann gebot die Prinzessin den Mägden, die Alte hinauszuschleifen; und die schleppten sie an den Füßen aus dem Palaste hinaus. Ferner gab sie Befehl, eine der Mägde solle zu Häupten der Alten stehen bleiben, und wenn jene aus ihrer Ohnmacht erwache, solle sie zu ihr sprechen: ,Die Prinzessin hat einen Eid geschworen, daß du nie zu diesem Palaste zurückkehren und ihn nie wieder betreten sollst. Wenn du aber dent.



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noch zu ihm zurückkommst, so sollst du ohne Erbarmen getötet werden.' Als nun die Alte wieder zur Besinnung kam, tat die Magd ihr kund, was die Fürstin gesagt hatte. ,Ich höre und gehorche!' erwiderte die Alte. Darauf brachten die Mägde einen Korb für sie und befahlen einem Lastträger, sie darin zu ihrem Hause zu bringen. Der Mann lud sie auf und trug sie zu ihrem Hause. Auch schickten sie einen Arzt zu ihr mit dem Auftrage, sie sorgsam zu pflegen, bis sie genese. Und der Arzt tat, wie ihm befohlen war. Kaum aber war die Alte wieder gesund geworden, so saß sie auf und begab sich zu dem Jüngling, hing, der schon sehr betrübt war wegen ihres Ausbleibens und sich danach sehnte, von ihr zu hören. Als er sie nun kommen sah, sprang er auf, eilte ihr entgegen und begrüßte sie; da er jedoch bemerkte, daß sie leidend war, fragte er sie, wie es ihr ergehe, und nun erzählte sie ihm alles, was ihr von der Prinzessin widerfahren war. Das ging ihm sehr zu Herzen, und er rief, indem er die eine Hand auf die andere schlug: ,Bei Allah, mir tut bitter leid, was dir widerfahren ist! Doch sag mir, Mütterchen, warum haßt die Fürstin denn die Männer?' ,Mein Sohn,' gab sie zur Antwort, ,wisse, sie hat einen schönen Garten, so herrlich, wie es keinen zweiten auf dem Angesichte der Erde gibt. Und es begab sich, daß sie eines Nachts dort schlief; und mitten im süßen Schlummer träumte sie, daß sie in dem Garten weiterging. Dort sah sie einen Vogelsteller, der sein Netz aufgeschlagen, Weizenkörner ringsherum ausgestreut und sich abseits niedergesetzt hatte, um abzuwarten, welche Beute ihm ins Netz fallen würde. Es dauerte nur eine kleine Weile, da versammelten sich schon die Vögel, um die Körner aufzupicken; dabei geriet ein Vogelmännchen in das Netz und begann darin herumzuzappeln, während die anderen Vögel davonflogen. Sein Weibchen aber, das sich unter ihnen befand, blieb



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nur eine ganz kurze Weile fort; dann kehrte es zu ihm zurück, flog an das Netz heran und suchte die Masche, in die sich der Fuß ihres Männchens gefangen hatte. An der pickte sie so lange mit ihrem Schnabel herum, bis sie das Garn zerrissen und ihr Männchen befreit hatte. All dies trug sich zu, während der Vogelsteller schlafend dasaß. Wie er dann erwachte, blickte er auf das Netz und sah, daß es beschädigt war. Da besserte er es aus, streute von neuem Weizenkörner umher und setzte sich abseits von dem Netze nieder. Nach einer Weile kamen schon die Vögel zurück, unter ihnen auch jenes Weibchen und jenes Männchen. Alle Vögel flogen herbei, um die Körner aufzupicken; doch da fiel das Weibchen ins Netz und begann in ihm herumzuzappeln. Alsbald flatterten alle die Tauben davon; und der Täuber, den jene Taube befreit hatte, war auch unter ihnen, aber er kehrte nicht zu ihr zurück. Den Vogelsteller jedoch hatte der Schlaf wiederum überwältigt, und er wachte erst nach einer langen Weile auf. Kaum war der Schlaf von ihm gewichen, da sah er sogleich die Taube in dem Netz, und er stand auf, eilte zu ihr, löste ihren Fuß aus den Maschen und schlachtete sie. Da wachte die Prinzessin erschrocken auf und rief: ,So handeln die Männer an den Frauen! Die Frau hat Mitleid mit dem Manne und setzt ihr Leben aufs Spiel um seinetwillen, wenn er in Gefahr schwebt. Wenn dann aber der Herr ein widriges Geschick für die Frau bestimmt und sie in Not gerät, so läßt ihr Mann sie im Stich und befreit sie nicht, und was sie ihm an Güte erwies, ist vergessen. Allah verfluche jeden, der sich auf die Männer verläßt! Denn sie erkennen die guten Dienste, die ihnen die Frauen leisten, niemals an.' Von jenem Tage an haßte sie die Männer.' Nun fragte der Prinz die Alte: ,Mütterchen, geht sie nie auf die Straße hinaus?' ,Nein, mein Sohn,' erwiderte sie, ,aber sie hat einen Garten, der ist zum



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Lustwandeln einer der schönsten Orte unserer Zeit. Und in jedem Jahre, wenn die Früchte dort reifen, geht sie zu ihm und vergnügt sich in ihm einen Tag; aber die Nacht verbringt sie stets in ihrem Schlosse. Sie betritt den Garten nur durch eine geheime Tür, die von dem Schlosse zu ihm führt. Und nun will ich dich etwas lehren, durch das dir, so Allah will, der Erfolg zuteil werden soll. Wisse denn, es fehlt ein einziger Monat bis zur Zeit der Fruchtreife, in der sie dorthin geht. Ich rate dir, geh noch heute zu dem Hüter jenes Gartens und schließe enge Freundschaft mit ihm! Er läßt nämlich sonst keins der Geschöpfe Allahs des Erhabenen den Garten betreten, weil dieser ja an das Schloß der Prinzessin anschließt. Und wenn die Prinzessin in ihn hinabgeht, so will ich es dir zwei Tage vorher kundtun, ehe sie herauskommt. Dann begib du dich wie gewöhnlich in den Garten und suche es durch eine List zuwege zu bringen, daß du dort nächtigst. Und wenn die Prinzessin eintritt, so halte du dich an irgendeiner Stätte verborgen!'

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 725. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte dem Prinzen riet, indem sie sprach: ,Wenn die Königstochter in den Garten hinabgeht, so will ich es dich zwei Tage vorher wissen lassen. Und wenn sie dann eintritt, so halte du dich an irgendeiner Stätte verborgen! Sobald du sie erblickst, tritt vor sie hin; und wenn sie dich sieht, so wird sie von Liebe zu dir ergriffen werden; denn die Liebe deckt alle Dinge zu. Wisse, mein Sohn, wenn sie dich nur sähe, sie würde in Liebe zu dir entbrennen, da du so schön von Gestalt bist. Hab Zuversicht und gräme dich nicht, mein Sohn; ich werde dich sicherlich



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mit ihr vereinigen.' Da küßte er ihr die Hand und dankte ihr. Zugleich aber gab er ihr drei Stücke Alexandrinischer Seide und drei Stücke Atlas von verschiedenen Farben; ferner zu jedem Stücke auch Leinen für Hemden und Stoff für Hosen und ein Tuch für die Kopf binde und Baalbeker Zeug für das Futter, so daß sie drei vollständige Gewandungen hatte, von denen eine jede noch schöner als die andere war. Und außerdem gab er ihr einen Beutel mit sechshundert Dinaren, indem er zu ihr sprach: ,Dies ist für das Nähen.' Sie nahm alles hin und fragte dann: ,Mein Sohn, möchtest du nicht den Weg zu meinem Hause wissen und auch mir den Weg zu deiner Wohnstatt zeigen?' ,Jawohl', erwiderte er, und er schickte einen Mamluken mit ihr, auf daß er sich den Weg zu ihrer Wohnung merkte und ihr sein eigenes Haus zeigte. Als nun die Alte gegangen war, befahl der Königssohn seinen Dienern, den Laden zu schließen, und er begab sich zu dem Wesir und berichtete ihm alles, was er mit der Alten erlebt hatte, von Anfang bis zu Ende. Nachdem der Wesir diese Kunde von ihm vernommen hatte, hub er an: ,Mein Sohn, wenn nun Hajât en-Nufûs kommt und kein Gefallen an dir findet, was willst du dann tun?' Der Prinz aber antwortete: ,Dann bleibt mir kein anderer Ausweg, als daß ich von Worten zu Taten schreite und mein Leben um ihretwillen aufs Spiel setze; dann will ich sie aus ihrer Eunuchen Mitte rauben und hinter mir aufs Roß setzen und mit ihr in das weite Wüstenland eilen. Entkomme ich, so ist das Ziel meiner Wünsche erreicht; und wenn ich zugrunde gehe, so kann ich mich ausruhen von diesem verhaßten Leben.' Doch der Wesir entgegnete ihm: ,Mein Sohn, willst du mit dieser Weisheit durchs Leben kommen? Wie sollen wir denn weiterreisen, da zwischen uns und unserem Lande eine so große Entfernung ist? Und wie kannst du so handeln an



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einem der größten Könige unserer Zeit, dem hunderttausend Reiter untertan sind? Wir sind doch nicht sicher davor, daß er seine Krieger aussendet, die uns den Weg verlegen. Das ist wirklich kein guter Plan, und kein Verständiger würde ihn unternehmen.' Da sagte der Prinz: ,Was soll denn geschehen, o Wesir, du der guten Ratgeber Zier? Sieh, ich bin sicherlich des Todes!' ,Warte nur bis morgen,' erwiderte der Minister, ,dann wollen wir uns diesen Garten ansehen und erfahren, wie er ist und wie es uns mit dem Gärtner ergeht, der dort weilt.' Und als es Morgen ward, machten der Wesir und der Prinz sich auf, indem sie tausend Dinare in der Tasche mitnahmen; als sie dann den Garten erreichten, sahen sie, wie hohe Mauern mit festen Pfeilern ihn umschlossen, wie in ihm viele Bäume mit schönen Früchten sprossen und zahlreiche Bäche flossen; dort dufteten die Blümelein und zwitscherten die Vögelein, und er glich einer der Auen des Paradieses. Innerhalb des Torwegs saß ein hochbetagter Scheich auf einer Bank. Als er die beiden erblickte und ihre würdevollen Gestalten erkannte, erhob er sich, nachdem sie ihn begrüßt hatten, und gab ihnen den Gruß zurück. Dann fuhr er fort: ,Hohe Herren, habt ihr vielleicht einen Wunsch, durch dessen Erfüllung wir uns geehrt fühlen könnten?' Da erwiderte ihm der Wesir: ,Wisse, Alterchen, wir sind Fremdlinge, die Hitze ist uns lästig geworden, und unsere Wohnung ist weit entfernt, am Ende der Stadt. Wir möchten bitten, daß du in deiner Güte diese beiden Dinare von uns nehmest und uns ein wenig Speise kaufest; inzwischen öffne uns das Tor zu diesem Garten und laß uns an einer schattigen Stätte sitzen, wo kühles Wasser fließt, damit wir uns dort abkühlen, bis du mit den Speisen zu uns kommst. Dann wollen wir essen, wir beide und du, und danach, wenn wir uns ausgeruht haben, wollen wir beide unserer Wege



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gehen.' Mit diesen Worten steckte der Wesir seine Hand in die Tasche, holte zwei Dinare aus ihr heraus und gab sie dem Gärtner in die Hand. Der Mann war siebenzig Jahre alt, aber er hatte noch nie so viel Geld in seiner Hand gesehen; und wie er nun die beiden Dinare betrachtete, ward er fast von Sinnen. und er lief sofort hin, öffnete die Gartentür, führte die beiden hinein und ließ sie unter einem fruchtbeladenen Baume sitzen. der viel Schatten spendete, indem er sprach: ,Setzt euch an dieser Stätte nieder, geht aber nicht weiter in den Garten hinein! Denn dort ist eine geheime Tür, die zu dem Schlosse der Prinzessin Hajât en-Nufûs führt.' Die beiden erwiderten ihm: ,Wir werden uns nicht von unserer Stelle rühren.' Darauf ging der alte Gärtner hin, um zu kaufen, was sie ihm aufgetragen hatten; und nachdem er eine kurze Weile fortgeblieben war, kam er zu ihnen zurück, begleitet von einem Lastträger, der auf seinem Kopfe ein geröstetes Lamm und Brot trug. Sie aßen und tranken zusammen und plauderten eine Weile. Dann schaute der Wesir auf und richtete seine Blicke nach rechts und nach links überall im Garten umher; und nun entdeckte er in seiner Mitte einen hochgebauten Pavillon; der war aber schon alt, der Gips bröckelte von den Wänden ab, und die Pfeiler waren eingestürzt. Da hub der Wesir an: ,Alterchen, ist dieser Garten dein Eigentum, oder hast du ihn gemietet?' ,Ach, Herr,' antwortete jener, ,er ist nicht mein Eigentum, und ich habe ihn auch nicht gemietet; ich bin hier nur der Wächter.' Und weiter fragte der Wesir: ,Wie hoch ist dein Lohn?' ,Hoher Herr,' erwiderte der Alte, ,ein Dinar im Monat.' Da fuhr der Minister fort: ,Damit tut man dir unrecht, zumal wenn du eine Familie hast.' ,Bei Allah, Herr,' rief der Scheich, ,ich habe eine Familie von acht Kindern; dazu komme ich noch!' Und der Wesir rief: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei



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Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Bei Gott, du tust mir in der Seele leid, du Armer. Aber was würdest du von einem denken, der dir etwas Gutes erweist um der Deinen willen, die du zu ernähren hast?' ,Ach, Herr,' gab der Alte zur Antwort, ,was du nur immer an Gutem tust, soll dir ein Schatz bei Allah dem Erhabenen sein.' Nun sagte der Wesir: ,Alterchen, sieh, dieser Garten ist eine herrliche Stätte, und da ist dieser Pavillon in ihm, aber der ist alt und verfallen. Ich möchte ihn wiederherstellen und neu verkleiden und schön bemalen lassen, damit diese Stätte zur allerschönsten im Garten werde. Wenn dann der Besitzer des Gartens kommt und sieht, daß der Pavillon wieder aufgebaut und schön geworden ist, so wird er dich sicherlich über den Wiederaufbau befragen. Und wenn er dich fragt, so sprich zu ihm: ,Mein Gebieter, ich habe ihn wiederhergestellt, da ich sah, daß er verfallen war und zu nichts nutze und daß niemand darin sitzen konnte; ja, er war wirklich seinem Ende nahe, und ich habe viel Geld auf ihn verwendet.' Fragt er dich dann weiter, woher du das Geld habest, das du für ihn ausgegeben hast, so sprich: ,Ich habe es mit meinem eigenen Gelde bezahlt, um mein Antlitz vor dir weiß zu machen und in der Hoffnung auf deine Güte.' Dann wird er dir sicherlich ein Geschenk machen im Werte dessen, was ich für den Bau ausgegeben habe. Morgen will ich die Baumeister und Gipser und Maler senden, damit sie diese Stätte wieder herrichten, und ich gebe dir jetzt, was ich dir zugedacht habe.' Dann zog er einen Beutel mit fünfhundert Dinaren aus der Tasche und sprach zudem Alten: ,Nimm diese Goldstücke und gib sie für die Deinen aus und laß sie für mich und für diesen meinen Sohn beten!' Der Prinz aber fragte den Wesir: ,Was ist der Sinn all dessen?' Und jener antwortete ihm: ,Der Ausgang wird dir bald offenbar werden.' — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 726. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir dem alten Hüter. der in dem Garten war, die fünfhundert Dinare gab und zu ihm sprach: ,Nimm diese Goldstücke und gib sie für die Deinen aus und laß sie für mich und diesen meinen Sohn beten!' Wie der Alte all das Gold erblickte, ward er wie von Sinnen. er warf sich dem Wesir vor die Füße und küßte sie und rief den Segen des Himmels herab auf ihn und auf seinen Sohn. Als sie sich dann zum Gehen wandten, sprach er zu ihnen: ,Ich werde morgen auf euch warten; bei Allah dem Erhabenen, es soll zwischen uns keine Trennung mehr geben, weder bei Tag noch bei Nacht.'

Am nächsten Morgen begab sich der Wesir an die Stätte der Bauleute und forschte nach ihrem Meister. Als der zu ihm gekommen war, führte er ihn zu dem Garten. Kaum erblickte der Gärtner ihn, so zeigte er sich hocherfreut. Darauf gab der Wesir ihm den Preis für die Verpflegung der Bauleute und für alles, was sie zum Wiederaufbau jenes Pavillons nötig hatten. Und die Leute bauten, verkleideten mit Gips und malten. Nun sprach der Minister zu den Malern: ,Ihr Meister, höret meine Rede an und verstehet meinen Wunsch und Plan! Wisset. ich habe einen Garten, diesem gleich, und ich schlief dort eines Nachts. Da sah ich im Traume, wie ein Vogelsteller sein Netz aufschlug und rings darum Weizenkörner streute. Bald kamen die Vögel dort zuhauf und pickten nach den Körnern, und ein Täuber fiel in das Netz. Erschrocken flogen die anderen Vögel davon, und unter ihnen war auch sein Weibchen. Doch jenes Weibchen blieb nur eine kurze Weile fort; dann kehrte es allein zu ihm zurück und pickte an der Masche, in die sich der



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Fuß des Männchens gefangen hatte, so lange herum, bis es ihn befreit hatte, so daß er fortfliegen konnte. Der Vogelsteller aber schlief gerade zu der Zeit; und als er aus seinem Schlummer erwachte, sah er, wie das Netz durchlöchert war. So besserte er es aus und streute von neuem Weizenkörner; dann setzte er sich abseits nieder und wartete, bis die Beute ihm in das Netz fiele. Wiederum flogen die Vögel herbei, um die Körner aufzupicken. Auch der Täuber und die Taube kamen mit den anderen Vögeln. Da aber verfing sich die Taube im Netz; alle Vögel flogen sofort auf und davon, unter ihnen auch der Täuber, und der kehrte nicht zu seinem Weibchen zurück. Nun erhob sich der Vogelsteller, ergriff die Taube und schlachtete sie. Das Männchen jedoch ward, als es mit den anderen Vögeln davongeflogen war, von einem Raubvogel gepackt, und der tötete es, trank sein Blut und fraß sein Fleisch. Jetzt wünsche ich, daß ihr mir diesen ganzen Traum im Bilde darstellt. wie ich ihn euch erzählt habe, und zwar mit schönen Farben. Malet also ein schönes Abbild des Gartens mit seinen Mauern und Bäumen und Vögeln, und stellet darin den Vogel steiler dar und sein Netz und das, was dem Täuber geschah durch den Raubvogel, als der ihn packte. Wenn ihr das tut, was ich euch gesagt habe, und wenn es mir gefällt, nachdem ich es gesehen habe, so werde ich euch ein Geschenk machen, das euer Herz erfreut, über euren Lohn hinaus.' Als die Maler diese Worte von ihm vernommen hatten, machten sie sich mit Eifer an die Arbeit und vollendeten sie in meisterhafter Art. Und wie das Werk ganz vollbracht war, zeigten sie es dem Wesir; es gefiel ihm, und er sah, daß die Darstellung des Traumes ganz genau so war, wie er ihn den Malern beschrieben hatte. Deshalb dankte er ihnen und gab ihnen reiche Geschenke. Bald darauf kam der Prinz nach seiner Gewohnheit und trat in



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den Pavillon ein, ohne zu wissen, was der Wesir getan hatte. Wie er aber dort um sich blickte, sah er das Bild des Gartens, des Vogelstellers mit dem Netze und den Vögeln und des Täubers in den Krallen des Raubvogels, der ihn gerade getötet hatte und nun sein Blut trank und sein Fleisch fraß. Da war er ratlos vor Staunen, und er eilte zu dem Wesir zurück und rief: ,O Wesir, du der trefflichen Ratgeber Zier, ich habe heute ein Wunder gesehen, würde man das mit Nadeln in die Augenwinkel schreiben, so würde es allen, die sich belehren lassen, ein lehrreiches Beispiel bleiben.' ,Was ist denn das, hoher Herr?' fragte der Wesir; und der Prinz fuhr fort: ,Habe ich dir nicht von dem Traume berichtet, den die Prinzessin gesehen hat und der die Ursache ihres Hasses wider die Männer war?' ,Jawohl', erwiderte der Minister; und nun sagte der Königssohn: ,Bei Allah, o Wesir, ich habe ihn im Bilde unter anderen Malereien dargestellt gesehen, und es war mir, als schaute ich ihn mit eigenen Augen. Aber ich habe dabei noch etwas anderes entdeckt, was der Prinzessin verborgen geblieben ist, so daß sie es nicht gesehen hat, und gerade dies ist es, worauf ich vertraue, daß ich meines Wunsches Erfüllung noch schaue.' ,Und was ist das?' fragte der Wesir; der Prinz erwiderte: ,Ich sah, daß der Täuber, der sein Weibchen verließ, als sie ins Netz gefallen war, und nicht zu ihr zurückkehrte, von einem Raubvogel gepackt war, der ihn getötet hatte und sein Blut trank und sein Fleisch fraß. Ach, hätte doch die Prinzessin den ganzen Traum gesehen! Hätte sie doch nur die Geschichte bis zu Ende miterlebt und geschaut, wie den Täuber der Raubvogel packte, und so erkannt, daß dies der Grund war, weshalb er nicht zu seinem Weibchen zurückkehrte und es nicht aus dem Netze befreite!' Darauf sagte der Wesir: ,O glücklicher König, bei Allah, das ist ein merkwürdig Ding, eine gar seltene Begebenheit.'



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Der Prinz aber wunderte sich immer noch über dies Gemälde und war traurig, weil die Prinzessin den Traum nicht bis zu Ende gesehen hatte. Und er sprach bei sich selber: ,Hätte sie doch nur dies alles bis zum letzten geschaut, oder möchte sie bei einem zweiten Male das Ganze sehen, sei es auch in dunklen Traumbildern!' Nun hub der Wesir an: ,Du fragtest mich, weshalb ich diesen Pavillon wieder auf bauen wolle; und ich antwortete dir, der Ausgang werde dir bald offenbar werden. Siehe, jetzt hat sich der Ausgang davon dir offenbart! Ich bin es, der dies alles getan hat, ich habe den Malern befohlen, den Traum abzubilden und das Männchen in den Krallen des Raubvogels darzustellen, wie er es tötet und sein Blut trinkt und sein Fleisch frißt. Nun wird die Prinzessin, wenn sie hierher kommt und dies Gemälde erblickt, darin das Abbild ihres Traumes erkennen und wird sehen, wie dieses Männchen von dem Raubvogel getötet wurde; und dann wird sie keine Schuld an ihm finden und von ihrem Hasse wider die Männer ablassen.' Kaum hatte der Prinz diese Worte vernommen, da küßte er dem Wesir die Hände, dankte ihm für seine Tat und sprach zu ihm: ,Deinesgleichen sollte der Minister des allergrößten Königs sein. Bei Allah, wenn ich mein Ziel erreiche und froh zum König heimkehre, so will ich ihm dies alles berichten, auf daß er dir noch größere Ehrungen weiht, deinen Rang erhöht und sein Ohr deinen Worten leiht.' Da küßte der Wesir seine Hand, und dann gingen die beiden zu dem alten Gärtner und sprachen zu ihm: ,Schau auf die Stätte dort und sieh, wie schön sie ist!' Der Alte erwiderte: ,Das alles ist das Verdienst Eurer Hoheit.' Darauf sprachen sie zu ihm: ,Alterchen, wenn die Besitzer dieser Stätte dich über den Neubau des Pavillons befragen, so antworte ihnen: ,Ich habe ihn mit meinem eigenen Gelde neu gebaut', auf daß dir dadurch Glück



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und Gunst zuteil werde.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte jener. Und der Prinz besuchte den Alten immerfort. So stand es damals um den Wesir und den Prinzen.

Hören wir nun, wie es Hajâten-Nufûs erging! Als die Briefe und die Botschaften nicht mehr zu ihr kamen und auch die Alte ihr fern war, kam große Freude über sie, und sie glaubte, daß der Jüngling in seine Heimat zurückgekehrt sei. Eines Tages aber brachte man ihr eine verhüllte Schüssel von ihrem Vater; und sie deckte sie auf und fand auf ihr schöne Früchte. Da fragte sie: ,Ist die Zeit dieser Früchte schon gekommen?' Und als man ihr antwortete: ,Jawohl', rief sie: ,Möchten wir uns doch bereit machen, uns in dem Garten zu ergehen!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 727. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Prinzessin, als ihr Vater ihr die Früchte geschickt hatte, fragte: ,Ist die Zeit dieser Früchte schon gekommen?' Und als man ihr antwortete: ,Jawohl', rief sie: ,Möchten wir uns doch bereit machen, uns in dem Garten zu ergehen!' ,Hohe Herrin,' erwiderten ihre Dienerinnen, ,das ist ein herrlicher Plan; bei Allah, wir sehnen uns schon lange nach dem Garten dort!' Doch sie fuhr fort: ,Wie sollen wir es jetzt machen? Sonst führte uns in jedem Jahre immer nur meine Amme in dem Garten umher und zeigte uns all die verschiedenen Bäume und Pflanzen. Aber ich habe sie geschlagen und von mir gewiesen. Jetzt bereue ich, was ich ihr angetan habe; denn sie ist doch immerhin meine Amme, und sie hat das Recht der Pflegerin an mir. Allein es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Als die Dienerinnen diese Worte aus dem Munde der Prinzessin vernahmen,



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eilten sie alle herbei und küßten den Boden vor ihr, und dann riefen sie: ,üm Allahs willen, hohe Herrin, verzeih ihr und entbiete sie zu dir!' ,Bei Allah,' erwiderte sie, ,ich bin dazu entschlossen; aber wer von euch will zu ihr gehen? Ich habe auch schon ein prächtiges Ehrengewand für sie bereit gelegt.' Da traten zwei Dienerinnen vor; die eine hieß Bulbul', die andere aber Sawâd el-'Ain.' Sie waren die Ersten unter den Kammerfrauen der Prinzessin und ihre Vertrauten, und sie waren schön und anmutig. Die beiden sprachen: ,Wir wollen zu ihr gehen, o Prinzessin!' Und sie erwiderte: ,Tut, was euch gut dünkt!' Nun begaben sie sich zum Hause der Amme, pochten an ihre Tür und traten zu ihr ein. Kaum hatte jene die beiden erkannt, so eilte sie ihnen mit offenen Armen entgegen und hieß sie willkommen. Nachdem sie dann eine Weile bei ihr gesessen hatten, sprachen sie zu ihr: ,Liebe Amine, die Prinzessin hat dir verziehen, und sie nimmt dich wieder in Gnaden an.' Doch die Amme entgegnete: ,Das kann nie sein, und müßte ich auch den Becher des Verderbens trinken !Denkt sie denn nicht mehr daran, wie sie mich vor denen, die mich lieben, und vor denen, die mich hassen, beschimpft hat, damals, als meine Kleider von Blut besudelt waren und ich so heftig geschlagen wurde, daß ich fast zu Tode kam? Und wie man mich darauf an den Füßen schleppte wie einen toten Hund und mich vor die Türe warf? Bei Allah, ich kehre nie und nimmer zu ihr zurück! Ihr Anblick soll nie mehr in meine Augen kommen!' Da sagten die beiden Dienerinnen: ,Mach unsere Mühe um dich nicht zuschanden! Wo bliebe dann deine Höflichkeit gegen uns? Bedenke doch, wer sich auf den Weg zu dir gemacht hat und bei dir eingetreten ist! Kannst du etwa jemanden verlangen, der höher als wir in Ansehen bei der



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Prinzessin steht?' ,Gott behüte!' gab die Alte zur Antwort; ,ich weiß ja, daß meine Stellung geringer ist als eure. Wäre die Prinzessin es nicht selbst gewesen, die meinen Rang bei ihren Kammerfrauen erhöhte, dann wäre sogar die Vornehmste unter ihnen, wenn ich ihr zürnte, fast in ihrer Haut erstorben.' Die beiden sagten darauf: ,Alles ist, wie es war; gar nichts ist verändert. Ja, es ist noch besser als zuvor; denn die Prinzessin demütigt sich selbst vor dir und sucht die Versöhnung ohne Vermittler.' ,Bei Allah,' erwiderte die Alte, ,wenn ihr nicht zu mir gekommen wäret, so wäre ich nie zu ihr zurückgekehrt, und hätte sie auch befohlen, mich zu töten!' Dafür dankten ihr die beiden; sie aber legte alsbald ihre Gewänder an und ging mit den Dienerinnen hinaus; und alle schritten ihres Weges dahin, bis sie zur Königstochter eintraten. Kaum aber hatte die Prinzessin sie hereinkommen sehen, da sprang sie auf; und die Amme rief ihr zu: ,Allah! Allah! O Königstochter, war die Schuld mein oder dein?' ,Die Schuld war mein,' gab jene zur Antwort, ,dein aber ist das Verzeihen und Vergeben. Bei Allah, liebe Amme, du stehst bei mir in hohem Ansehen, und du hast das Recht der Pflegerin an mir. Aber du weißt, daß Allah, der Gepriesene und Erhabene, seinen Geschöpfen viererlei zuerteilt hat: die Sinnesart, das Leben, das tägliche Brot und den Tod. Es steht in keines Menschen Macht, Gottes Ratschluß abzuwenden. Ich war nicht Herrin meiner selbst, und ich konnte damals auch nicht wieder zu mir kommen; doch jetzt, liebe Amine, bereue ich, was ich getan habe.' Nun schwand der Zorn der Alten, und sie ging hin und küßte den Boden vor der Prinzessin. Die aber ließ ein kostbares Ehrengewand bringen und warf es ihr über, so daß sie eine hohe Freude empfand, während alle die Sklaven und Dienerinnen vor ihr standen. Nachdem so das Zusammentreffen zu einem guten Ende ge



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führt hatte, fragte die Prinzessin: ,Liebe Amme, wie steht es mit den Früchten und den Bäumen in unserem Garten?' Die Alte erwiderte: ,Bei Allah. meine Herrin. ich habe schon fast alle Früchte in der Stadt gesehen; ich will aber noch heute mich danach umschauen und dir Antwort bringen.' So ging sie denn fort, mit Ehren überhäuft, und begab sich zudem Prinzen; der empfing sie mit offenen Armen, freute sich über ihr Kommen und war heiteren Gemüts, da er sich schon solange nach ihrem Anblick gesehnt hatte. Und nun erzählte sie ihm alles, was sich zwischen ihr und der Prinzessin zugetragen hatte, und daß ihre Herrin die Absicht habe, an demunddem Tage in den Garten hinunterzugehen. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 728. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte, nachdem sie zu dem Prinzen gekommenwar und ihm erzählt hatte, was zwischen ihr und der Prinzessin Hajâten-Nufûs vorgegangen war, und daß sie an demunddem Tage in den Garten hinuntergehen werde, des weiteren zu ihm sprach: ,Hast du auch getan, was ich dir empfohlen habe in bezug auf den Wächter des Gartens. und ist ihm schon etwas von deiner Güte zuteil geworden?' ,Jawohl,' gab er ihr zur Antwort, ,er ist mein Freund geworden, sein Weg ist mein Weg, und er sähe es gern, wenn ich ein Anliegen an ihn hätte.' Dann berichtete er ihr, was von seiten des Wesirs geschehen war und wie er den Traum, den die Prinzessin gesehen hatte, nämlich die Geschichte mit dem Vogelsteller und dem Netz und dem Raubvogel, hatte malen lassen. Wie die Alte das hörte, war sie hocherfreut, und sie sprach zu ihm: ,üm Allahs willen, schließe den Wesir eng in dein Herz; denn sein Tun zeugt von der Schärfe



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seines Verstandes. und er hat dir zum Ziele deiner Wünsche verholfen. Mache dich sogleich auf, mein Sohn, begib dich ins Bad und lege deine prächtigsten Gewänder an; wir könnten keinen besseren Plan haben als diesen! Dann geh zum Wächter und suche ihn durch irgendeinen Vorwand zu bewegen, daß er dich die Nacht im Garten zubringen läßt! Er würde, auch wenn er so viel Gold erhielte, wie die Erde zu fassen vermag, jetzt doch niemandem den Eintritt in den Garten gestatten. Bist du dann aber drinnen, so verbirg dich, so daß kein Auge dich sehen kann, und bleib verborgen, bis du mich rufen hörst: ,O du, dessen Güte sich im Verborgenen enthüllt, rette uns vor dem, was uns mit Furcht erfüllt!' Dann tritt hervor aus deinem Versteck und zeige deine Schönheit und Anmut -doch bleib von den Bäumen überdacht, da deine Schönheit die Monde zuschanden macht -, bis daß die Prinzessin Hajât en-Nufûs dich erblickt und ihr Herz und ihr ganzes Innere von der Liebe zu dir erfüllt wird. Dann wirst du das Ziel deiner Wünsche erreichen, und all dein Gram wird von dir weichen.' ,Ich höre und gehorche!' sprach der Jüngling und holte für sie einen Beute! mit tausend Dinaren; sie nahm ihn aus seiner Hand entgegen und ging davon. Der Prinz aber machte sich alsobald auf, ging ins Bad und erquickte seinen Leib; dann kleidete er sich in die prächtigsten Gewänder der Perserkönige und legte sich einen Gürtel um, auf dem alle Arten der kostbarsten Edelsteine vereinigt waren. Um sein Haupt wand er einen Turban, der mit Fäden von rotem Golde durchwirkt und mit Perlen und Juwelen bestickt war. Seine Wangen waren den Rosen gleich, seine Lippen roten Glanzes reich; seine Augen schienen die einer Gazelle zu sein, und er wiegte sich wie trunken von Wein. Er war erfüllt von Schönheit und Lieblichkeit, und die Zweige wurden beschämt von seines Wuchses zarter Ebenmäßigkeit.



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In seine Tasche tat er einen Beutel mit tausend Dinaren, und dann schritt er fort, bis er zum Garten gelangte. Dort pochte er an die Tür; der Wächter antwortete ihm und öffnete ihm das Tor. Wie der den Prinzen erblickte, war er hocherfreut und begrüßte ihn mit dem ehrfürchtigsten Gruße. Aber er entdeckte, daß des Prinzen Antlitz bewölkt war, und so fragte er ihn nach seinem Ergehen. Jener gab ihm zur Antwort: ,Wisse, o Scheich, ich bin meinem Vater teuer, und noch nie hat er seine Hand an mich gelegt bis auf diesen Tag; heute aber kam es zwischen mir und ihm zu Worten, und da schalt er mich und schlug mich ins Gesicht, ja, er hieb sogar mit dem Stock auf mich ein und trieb mich fort. Nun habe ich keinen Freund hier, und ich bin in Sorge um der Unbeständigkeit des Schicksals willen; du weißt ja, daß der Zorn der Eltern kein leichtes Ding ist. Deshalb bin ich zu dir gekommen, mein lieber Oheim, da du mit meinem Vater bekannt bist, und ich bitte dich, sei so gütig und laß mich bis zum Ende des Tages in dem Garten weilen, oder vielleicht auch die Nacht hier zubringen, bis Allah den Frieden zwischen mir und meinem Vater wiederherstellt.' Wie der Alte diese Worte von ihm vernahm, war er betrübt ob dessen, was zwischen Vater und Sohn sich begeben hatte, und er sprach: ,Mein Gebieter, willst du mir erlauben, daß ich zu deinem Vater gehe und bei ihm eintrete und die Ursache der Versöhnung zwischen euch werde?' Doch der Jüngling erwiderte: ,Mein Oheim, wisse, mein Vater hat eine ungeduldige Sinnesart, und wenn du ihm wegen der Versöhnung nahest, während er in der Hitze seines Zornes ist, so kümmert er sich nicht um dich.' ,Ich höre und gehorche!' sagte darauf der Alte, ,doch, hoher Herr, komm mit mir in mein Haus, ich möchte dich bei meinen Kindern und den Meinen nächtigen lassen; daraus kann uns niemand einen Vorwurf



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machen.' Aber der Prinz entgegnete ihm: ,Lieber Oheim, ich muß allein sein, wenn ich zornig bin.' Da sprach der Gärtner: ,Es kommt mir schwer an, wenn du allein in dem Garten schläfst, wo ich doch ein Haus habe.' Doch der Jüngling erwiderte: ,Mein Oheim, ich habe dabei das Ziel im Auge, daß die Sorge meines Geistes von mir weiche; und ich weiß auch, daß ich gerade hierdurch meines Vaters Gunst wiedergewinne und mir sein Herz geneigt machen kann.' Nun sagte der Scheich: ,Wenn es denn nicht anders möglich ist, so will ich dir einen Teppich holen, auf dem du schlafen, und eine Decke, mit der du dich zudecken kannst.' Als der Prinz ihm antwortete: ,Mein Oheim, das mag gern geschehen', öffnete der Alte ihm die Gartentür und holte ihm Teppich und Decke, ohne zu wissen. daß die Prinzessin den Garten besuchen wollte.

Wenden wir uns nun von dem Prinzen wieder zu der Amme! Die war inzwischen zu der Prinzessin zurückgekehrt und hatte ihr berichtet, daß die Früchte auf den Bäumen reif seien. Da sagte jene zu ihr: ,Liebe Amine, geh morgen mit mir zum Garten hinunter, um zu lustwandeln, so Allah der Erhabene will. Schicke also zum Wächter und laß ihm sagen, daß wir morgen bei ihm im Garten sein werden!' Da sandte die Amme dem Gärtner die Nachricht, daß die Prinzessin am nächsten Tage zu ihm in den Garten kommen werde und daß er weder Wasserträger' noch Tagelöhner im Garten belassen noch auch irgendeins von Allahs Geschöpfen hereintreten lassen solle. Als ihm diese Botschaft der Prinzessin ausgerichtet war, brachte er die Wasserläufe in Ordnung; dann suchte er den Jüngling auf und sprach zu ihm: ,Die Tochter des Königs ist ja die Herrin dieses Gartens. Und nun, mein Gebieter, muß ich dich um



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Vergebung bitten. Gewißlich ist diese Stätte deine Stätte, und ich lebe nur durch deine Güte; aber meine Zunge liegt unter meinem Fuße.' So tu ich dir denn zu wissen, daß die Fürstin Hajât en-Nufûs morgen mit Tagesanbruch in den Garten kommen will; und sie hat Befehl gegeben, ich solle niemanden hier lassen, der sie sehen könnte. Und darum muß ich dich bitten, du wollest gütigst heute den Garten verlassen. Die Prinzessin bleibt nur an diesem einen Tage hier, und zwar bis zur Zeit des Nachmittagsgebetes; sonst aber steht er dir zur Verfügung immerdar, alle Monate und jedes Jahr.' Darauf fragte der Prinz: ,Alterchen, bist du vielleicht durch uns in Verlegenheit geraten?' ,Nein, bei Allah, mein Gebieter,' erwiderte jener, ,durch dich ist uns nur Ehre widerfahren!' Und der Prinz fuhr fort: ,Wenn es so ist, so soll dir auch hinfort von uns immer nur Gutes zuteil werden. Ich will mich hier im Garten verbergen, so daß niemand mich sieht, bis die Prinzessin wieder zu ihrem Schlosse geht.' Aber der Gärtner wandte ein: ,Hoher Herr, wenn sie nur den Schatten eines Wesens von den Geschöpfen Allahs des Erhabenen sieht, so schlägt sie mir den Kopf ab.' - —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 729. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Prinz, als der Scheich einwandte: ,Wenn die Prinzessin nur den Schatten eines Wesens sieht, so schlägt sie mir den Kopf ab', ihm entgegnete: ,Ich werde mich ganz gewiß von keinem einzigen sehen lassen. Aber ohne Zweifel fehlt es dir heute an Geld für die Bedürfnisse der Deinen.' Und er steckte seine Hand in den Beutel und holte fünfhundert Dinare daraus hervor; dann



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sprach er: ,Nimm dies Gold und gib es für die Deinen aus, damit dein Herz sich über sie beruhigt.' Wie der Alte das Gold sah, schien ihm sein Leben ein leichtes Ding, und nachdem er dem Prinzen eingeschärft hatte, sich im Garten nicht zu zeigen, ließ er ihn dort sitzen. So weit von Gärtner und Prinz.

Sehen wir nun, was die Prinzessin tat! Als der nächste Tag anbrach, kamen die Eunuchen zu ihr herein, und sie befahl, die geheime Tür zu öffnen, die in den Garten mit dem Pavillon führte. Dann legte sie ein königliches Gewand an, das mit Perlen und Juwelen und Edelsteinen besetzt war; darunter aber trug sie ein zartes Hemd, das mit Rubinen bestickt war. Unter alledem aber war etwas verborgen -das vermag keine Zunge zu beschreiben, das läßt den Verstand ratlos stehen bleiben, das kann durch Liebe den Feigling zu tapferen Taten treiben. Auf dem Haupte trug sie eine Krone aus rotem Golde, die mit Perlen und Edelsteinen besetzt war; und stolz schritt sie einher auf Stelzschuhen aus rotem Golde, die mit frischen Perlen und allerlei edlen Steinen übersät waren. Nun legte sie ihre Hand auf die Schulter der Alten und gab Befehl, durch die geheime Tür hinauszugehen. Doch die Alte hatte schon in den Garten geschaut und entdeckt, daß er voll war von Eunuchen und Dienerinnen, die von den Früchten aßen und das Wasser trübten, während sie an den Bächen saßen, und denen es an jenem Tage gefiel, sich zu vergnügen mit Kurzweil und Spiel. Und sie sprach zu der Prinzessin: ,Du bist doch reich an Einsicht und hast einen vollkommenen Verstand, und daher weißt du, daß du diese Dienerschaft nicht in dem Garten brauchst. Gingest du aus dem Schlosse deines Vaters hinaus auf die Straße, so müßten sie dich um deiner Ehre willen geleiten; aber jetzt, meine Gebieterin, gehst du durch die geheime Pforte in den Garten, wo dich keines von den Geschöpfen Allahs des Erhabenen



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sehen kann.' ,Du hast recht, liebe Amme,' erwiderte die Prinzessin, ,doch was sollen wir tun?' Da sprach die Alte zu ihr: ,Befiehl den Eunuchen, zurückzukehren! Ich sage dir das nur aus Ehrfurcht vor dem König.' Als die Prinzessin den Eunuchen diesen Befehl gegeben hatte, hub die Amme wieder an: ,Es sind doch noch einige Eunuchen übrig, die vielleicht auf Übles im Lande sinnen; schick sie auch fort und behalt nur zwei Sklavinnen bei dir, mit denen wir uns vergnügen können!' Als die Amine nun sah, daß ihrer Herrin das Herz leicht ward, und daß ihr die Stunde gefiel, sprach sie: ,Jetzt haben wir schon einen schönen Anblick gehabt; drum auf, laß uns in den Garten gehen!' Da machte die Prinzessin sich auf, legte ihre Hand auf die Schulter der Amme und trat durch die geheime Tür ein. Die beiden Sklavinnen gingen vor ihr her; sie selbst aber machte Scherze über sie und schritt in ihren schönen Gewändern mit wiegendem Gange einher. Auch die Amme schritt vor ihr dahin und zeigte ihr die Bäume und gab ihr von den Früchten zu essen, während ihr Weg sie von Ort zu Ort führte. Und so zog sie immer weiter, bis sie zu jenem Pavillon gelangte. Als die Prinzessin ihn anschaute, entdeckte sie, daß er wieder neu war; und so sprach sie zu der Alten: ,Liebe Anime, siehst du nicht den Pavillon dort? Seine Pfeiler sind ja wieder aufgebaut, und seine Wände sind getüncht!' ,Bei Allah, meine Gebieterin,' erwiderte die Alte, ,ich habe davon reden hören, daß der Gärtner von einigen Kaufleuten Stoffe erhalten und sie verkauft hat, und daß er für den Erlös Ziegel und Mörtel und Gips und Bausteine und anderes der Art erstanden hat. Und da habe ich ihn gefragt, was er damit getan habe. Er antwortete mir, er habe damit den Pavillon aufgebaut, der in Trümmern lag. Und dann fügte er hinzu: ,Die Kaufleute verlangten von mir das Geld, das ich ihnen



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dafür schuldete; aber ich sagte ihnen, sie sollten warten, bis die Prinzessin in den Garten käme; wenn sie den Bau sähe, würde er ihr gefallen, und wenn sie dann fortginge, würde ich von ihr so viel erhalten, wie sie mir zu geben geruhen würde, und danach würde ich ihnen bezahlen, was ihnen gebühre.' Als ich ihn weiter fragte, was ihn dazu veranlaßt habe, erwiderte er mir: ,Ich sah doch, wie der Bau eingestürzt war, wie seine Pfeiler zusammengefallen und sein Gips abgeblättert war. Und da ich sah, daß keiner den Mut hatte, den Bau zu erneuern, so borgte ich mir das Geld auf eigene Rechnung und baute wieder auf. Nun hoffe ich, daß die Prinzessin an mir handeln wird. wie es ihrer Würde ansteht.' Ich antwortete ihm, die Prinzessin sei ganz Güte und Huld. Er hat ja auch dies alles nur in der Hoffnung auf deine Güte getan.' Da sagte die Prinzessin: ,Bei Allah, er hat aus Edelmut den Bau vollendet, er hat getan, was hochherzige Menschen tun. Rufe mir die Schatzmeisterin!' Die Amme rief die Schatzmeisterin, und die erschien alsbald vor der Tochter des Königs. Jene befahl ihr, sie solle dem Gärtner zweitausend Dinare geben; und nun schickte die Alte einen Boten zu dem Gärtner. Als der Bote zu ihm kam, sprach er: ,Dir liegt ob, dem Rufe der Fürstin zu folgen!' Doch wie der Gärtner diese Worte aus dem Munde des Boten vernahm, begann er an allen Gliedern zu zittern, und seine Kraft verließ ihn. Denn er sagte sich: ,Ohne Zweifel hat die Prinzessin den Jüngling gesehen. Und dies wird heute für mich der unseligste Tag sein!' In solchen Gedanken schlich er sich fort, bis er zu seinem Hause kam; dort tat er seiner Frau und seinen Kindern kund, was geschehen war, gab ihnen seine letzten Aufträge und nahm Abschied von ihnen; und alle weinten um ihn. Dann kehrte er zurück und trat vor die Prinzessin hin; dabei war sein Gesicht so gelb wie Safran, und er wäre beinahe der



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Länge nach auf den Boden gestürzt. Die Alte erkannte, wie es um ihn stand, und so kam sie ihm mit ihren Worten zuvor. indem sie sprach: ,Alterchen, küsse den Boden aus Dank gegen Allah den Allmächtigen und bete flehentlich um Gottes Segen für die Prinzessin. Ich habe ihr erzählt, wie sehr du dich bemüht hast durch den Wiederaufbau des verfallenen Schlosses: darüber hat sie sich gefreut, und sie schenkt dir als Lohn dafür zweitausend Dinare. Nimm die nun von der Schatzmeisterin entgegen, bete für deine Herrin und küsse den Boden vor ihr und gehe deiner Wege!' Als der Gärtner diese Worte der Amme vernommen hatte, nahm er die zweitausend Dinare hin. küßte den Boden vor der Prinzessin und flehte den Segen des Himmels auf ihr Haupt herab. Darauf eilte er zu seiner Wohnung zurück, und die Seinen freuten sich und segneten ihn, der die erste Ursache von alledem gewesen war. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 730. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der alte Wärter, nachdem er die zweitausend Goldstücke von der Prinzessin erhalten hatte, zu seiner Wohnung zurückeilte, und daß die Seinen sich freuten und ihn segneten, der die erste Ursache von alledem gewesen war.

Wenden wir uns nun von dem Gärtner wieder zu der Alten! Die sagte: ,Hohe Herrin, diese Stätte ist wirklich prächtig geworden. Ich habe noch nie ein solches Schneeweiß gesehen wie diese Gipsverkleidung, noch auch so schöne Malereien wie die dort. Nun. will ich doch einmal schauen, ob er die Innenseite ebenso ausgebessert hat wie die Außenseite, oder ob er nur die Außenseite weiß gemacht, das Innere aber schwarz gelassen hat. Komm, laß uns hineingehen und betrachten, wie es drinnen



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aussieht!' So ging denn die Amme hinein, und die Prinzessin folgte ihr nach. Da entdeckten sie, daß die Innenseite aufs schönste bemalt und verziert war. Die Prinzessin schaute nach rechts, und nach links und schritt so bis zum oberen Ende der Estrade dahin; dort richtete sie ihren Blick auf die Wand und ließ ihn lange darauf verweilen. Die Alte erkannte, daß ihrer Herrin Auge auf der Abbildung des Traumes ruhte, und sie führte die beiden Dienerinnen fort, auf daß die sie nicht in ihrer Betrachtung störten. Als die Prinzessin aber das ganze Gemälde, das ihren Traum darstellte, angeschaut hatte, wandte sie sich voller Staunen nach der Alten um, schlug die eine Hand auf die andere und rief: ,Liebe Amme, komm, schau dir ein wundersam Ding an! Ja, würde man dies mit Nadeln in die Augenwinkel schreiben, es würde allen, die sich belehren lassen, ein lehrreiches Beispiel bleiben.' ,Was ist denn das, meine Gebieterin?' fragte die Alte; und die Prinzessin gab ihr zur Antwort: ,Geh hinein bis zum oberen Ende der Estrade. schau dort um dich, und was du dann siehst, das sage mir!' Da ging die Alte hinein, betrachtete die Abbildung des Traumes, kehrte staunend zurück und sprach: ,Bei Allah, meine Herrin, das ist ja das Bild des Gartens und des Vogelstellers und des Netzes und alles dessen, was du im Traume gesehen hast! Wahrlich, ein großes Hindernis hielt den Täuber davon zurück, nachdem er fortgeflogen war, wieder zu seinem Weibchen zu eilen und es aus dem Netz des Vogelstellers zu befreien; denn ich habe ihn in den Fängen eines Raubvogels gesehen, der ihn getötet hat und sein Blut trinkt und sein Fleisch zerreißt und auffrißt. Also das, o meine Gebieterin, war der Grund, weshalb er nicht zu seinem Weibchen zurückkehrte und es nicht aus dem Netze befreite. Aber, hohe Herrin, es ist doch ein Wunder, wie dieser Traum dort abgebildet ist!



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Wenn du das tun wolltest, so würde es dir nicht gelingen, ihn so zu schildern. Bei Allah, dies ist etwas so Wunderbares, daß es in den Geschichten verzeichnet werden müßte! Doch, meine Gebieterin, vielleicht haben die Engel, denen die Obhut über die Menschenkinder anvertraut ist, gewußt, wie dem Täuber ein Unrecht geschah, als wir ihn, den Unschuldigen, deshalb tadelten, weil er nicht zurückkehrte; und sie haben sich seiner Sache angenommen und seine Unschuld an den Tag gebracht. Ach, da sehe ich ihn jetzt erst, in diesem Augenblicke, tot in den Krallen des Raubvogels!' ,Liebe Amme,' sagte darauf die Prinzessin, ,dies ist der Vogel, über den ein grausames Verhängnis gekommen ist; und wir haben ihm unrecht getan.' Die Amme aber fuhr fort: ,Hohe Herrin, vor Allah dem Erhabenen begegnen sich die Widersacher. Jetzt, o Gebieterin, ist uns die Wahrheit offenbar geworden, und die Unschuld des Männchens hat sich uns gezeigt. Hätten die Krallen des Raubvogels es nicht gepackt und hätte er es nicht getötet und sein Blut getrunken und sein Fleisch gefressen, so hätte es nicht gegesäumt, zu seinem Weibchen zurückzufliegen. Ja, es wäre bald wieder bei seiner Gefährtin gewesen und hätte es aus dem Netze befreit. Aber mit dem Tode ist alles zu Ende. Und bedenke, wie zumal bei den Menschen der Mann selber hungert, um seine Frau zu speisen, wie er sich selber entblößt, um, sie zu kleiden. ;ja, sogar die Seinen erzürnt er, um ihr gefällig zu sein, und er ist seinen Eltern ungehorsam und versagt ihnen, was er ihr gibt. Sie dringt in seine Geheimnisse und verborgenen Gedanken ein, und sie kann sein Fernsein nicht eine einzige Stunde ertragen. Wenn er auch nur eine einzige Nacht nicht bei ihr ist, so schläft ihr Auge nicht; niemand ist ihr teurer als er. und sie liebt ihn mehr als ihre Eltern. Wenn sie ruhen, so halten sie sich eng umschlungen, und er legt seinen



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Arm unter ihren Hals und sie den ihren unter seinen Hals, wie der Dichter sagt:

Ihr Kissen war mein Arm, ich lag an ihrer Seite
Und sprach zur Nacht: ,Sei lang!' im hellen Mondesstrahl.
Ach, eine Nacht wie die hat Allah nie erschaffen;
Ihr Anfang war so faß, ihr Ende bittre Qual.

Dann küßt er sie, und sie küßt ihn. Es wird gar unter anderem von einem König und seiner Gemahlin erzählt, daß er, als sie nach einer Krankheit gestorben war, sich selbst mit ihr begraben ließ, er, der noch in voller Lebenskraft war; so ging er freiwillig in den Tod aus Liebe zu ihr und um der unlöslich engen Gemeinschaft willen, die zwischen ihnen beiden bestand. Es geschah aber auch, daß einmal, als ein König nach einer Krankheit gestorben war und begraben werden sollte, seine Gemahlin zu den Ihren sprach: ,Lasset mich lebendig mit ihm begraben werden; sonst töte ich mich selbst, und mein Blut kommt über euer Haupt!' Und als sie sahen, daß sie von diesem Entschlusse nicht abließ, gaben sie ihr nach, und sie warf sich zu ihm ins Grab; so übermäßig groß war ihre Liebe und Neigung zu ihm.' Unablässig erzählte die Alte der Prinzessin dergleichen Geschichten von Männern und Frauen, bis der Haß gegen die Männer, den sie in ihrem Herzen trug, geschwunden war. Und wie nun die Alte erkannte, daß die neue Liebe zu den Männern in ihr erstand, sprach sie: ,Jetzt ist es an der Zeit, daß wir im Garten lustwandeln.' Da gingen die beiden aus dem Pavillon hinaus und schritten unter den Bäumen einher. Eben jetzt wandte der Prinz seinen Blick, und sein Auge fiel auf die Prinzessin; und er sah ihre herrliche Gestalt, ihres Wuchses Ebenmäßigkeit und ihrer Wangen rosenfarben Kleid, ihrer Augen schwarze Pracht und ihrer Anmut Zaubermacht, ihre strahlende Lieblichkeit und unvergleichliche



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Vollkommenheit. Da verwirrte sich ihm der Verstand. und er konnte seinen Blick nicht von ihr wenden. Die Leidenschaft brachte seine Vernunft zum Wanken, und die Liebe durchbrach in ihm alle Schranken; sein Inneres war nur ihrem Dienste zugewandt, und sein ganzes Wesen war von dem Feuer der Liebe entbrannt. Sein Bewußtsein schwand, und er sank zu Boden von Ohnmacht gebannt. Doch als er wieder zu sich kam, entdeckte er, daß sie seinen Blicken entschwunden und zwischen den Bäumen vor ihm verborgen war. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 731. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Prinz Ardaschir, der sich im Garten verborgen hatte, die Prinzessin erblickte, als sie mit der Alten dorthin gekommen war und unter den Bäumen einherschritt, und daß er alsbald in Ohnmacht sank, da die Allmacht der Liebe ihn überwältigte. Doch als er wieder zu sich kam, entdeckte er, daß sie seinen Blicken entschwunden und zwischen den Bäumen vor ihm verborgen war. Da seufzte er aus tiefstem Herzen und sprach diese Verse:

Ach, als mein Auge ihre hehre Schönheit schaute,
Ward mir vor heißer Liebesqual das Herze wund.
Da sank ich hin und lag bewußtlos auf der Erde;
Doch der Prinzessin ward von meinem Leid nichts kund.
Sie schritt dahin und brach das Herz des Liebessklaven;
Bei Allah. sei doch mild, erbarm dich meiner Not!
O Herr, laß mich ihr nahn, vereine mich in Freuden
Mit meinem Lieb, eh ich ins Grab hinsinke, tot!
Zehn Küsse geb ich ihr, und aber zehn; und zehn
Soll dann des armen Kranken Wange sich erflehn.

Inzwischen führte die Alte die Königstochter immer weiter im Garten umher, bis sie an die Stätte kam, an der sich der



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Prinz befand. Und siehe, da rief sie: ,O du, dessen Güte sich im Verborgenen enthüllt, rette uns vor dem, was uns mit Furcht erfüllt!' Als nun der Prinz das Merkwort hörte, kam er aus seinem Versteck hervor, und er schritt selbstbewußt und stolz unter den Bäumen dahin, und seine Gestalt beschämte die Zweige; seine Stirn war mit Perlentropfen gekrönt, und seine Wange war gleichwie durch das Abendrot verschönt - o allmächtiger Allah, dem aus Seiner Schöpfung Sein Lob ertönt! Da traf ein Blick der Prinzessin auf ihn, und sie schaute ihn an; und kaum hatte sie ihn gesehen, so ließ sie ihren Blick lange auf ihm verweilen. Sie betrachtete seine Schönheit und Lieblichkeit und seines Wuchses Ebenmäßigkeit, seine Augen, deren Gazellenblick zur Liebe entfachte, und seine Gestalt, die der Weide Zweige zuschanden machte. Er verwirrte ihren Verstand und nahm ihre Seele gefangen, als die Pfeile seiner Augen ihr in das Herze drangen. Und sie sprach zu der Alten: ,Liebe Amine, wie kommt diese liebliche Jünglingsgestalt hier zu uns dahergewallt?' ,Wo ist der, meine Gebieterin?' fragte die Alte; und die Prinzessin antwortete: ,Dort ist er, ganz nah, unter den Bäumen.' Nun wandte die Alte sich nach rechts und links, als wüßte sie nichts von ihm; und sie rief: ,Wer mag nur dem jungen Manne den Weg zu diesem Garten gewiesen haben?' Hajât en-Nufûs aber erwiderte ihr: ,Wer kann uns über diesen Jüngling Auskunft geben? Preis sei Ihm, der die Männer erschuf! Doch sag, liebe Amme, kennst du ihn vielleicht?' ,Hohe Herrin,' gab jene ihr zur Antwort, ,es ist der Jüngling, der dir durch mich Botschaften schickte.' Da fuhr die Prinzessin fort, die schon ganz versunken war im Meere ihrer Leidenschaft und der sehnenden Liebe Feuerkraft: ,Ach. liebe Amme, wie schön ist dieser Jüngling! Ja, fürwahr, er ist herrlich anzuschaun! Ich glaube, es gibt auf dem Angesicht



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der Erde keinen schöneren als ihn.' Wie nun die Alte erkannte, daß die Liebe zu ihm Gewalt über sie gewonnen hatte, sprach sie: ,Habe ich dir nicht gesagt, meine Gebieterin, daß er ein Jüngling ist, um dessen Angesicht die Schönheit ihren Strahlenkranz flieht?' Die Prinzessin erwiderte ihr: ,Liebe Anime, die Königstöchter wissen nichts von den Wegen der Welt, noch kennen sie das Wesen derer, die in ihr leben; sie haben mit niemandem Umgang, sie geben nicht und nehmen nicht. Ach, meine Amme, wie kann ich zu ihm gelangen, wie kann ich mich ihm zeigen, was soll ich zu ihm sagen, und was wird er zu mir sagen?' Darauf erwiderte die Alte: ,Welches Mittel hätte ich jetzt noch in der Hand? Wir sind in dieser Sache jetzt ratlos geworden um deinetwillen.' ,Liebe Amme,' sagte die Prinzessin, ,wisse, wenn je ein Mensch vor Leidenschaft starb, so werde ich sterben. Ich bin gewißlich sogleich des Todes, so sehr brennt mich das Feuer der Leidenschaft.' Als die Alte diese Worte aus ihrem Munde vernahm und sah, daß die Sehnsucht nach seiner Liebe über sie kam, da hub sie an: ,Hohe Herrin, daß er zu dir komme, ist unmöglich; und auch du darfst nicht zu ihm gehen, da du noch so jung bist. Doch komm mit mir; ich will dir vorangehen, bis du bei ihm bist. Dann will ich ihn anreden, so daß du dich nicht zu schämen brauchst, und es wird nur einen Augenblick währen, bis Vertrautheit zwischen euch herrscht.' Die Prinzessin erwiderte: ,Geh vor mir her, denn den Ratschluß Allahs kann keiner zurückweisen!' Nun machten die Amme und die Prinzessin sich auf und begaben sich zu dem Prinzen, der dasaß, als wäre er der Mond in seiner Fülle. Und als sie vor ihm standen, sprach die Alte zu ihm: ,Schau, o Jüngling, wer vor dir stellt! Dies ist die Tochter des größten Königs unserer Zeit, es ist Hajât en-Nufûs. Bedenke ihren Stand und die Ehre, die dir durch ihr



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Kommen widerfährt. Erhebe dich aus Ehrfurcht vor ihr und tritt vor sie hin!' Im selbigen Augenblicke sprang der Jüngling auf, ihrer beider Augen trafen sich, und beide wurden wie trunken ohne Wein. Ja, die Sehnsucht und das Verlangen nach ihm wurden noch stärker in ihr, und die Prinzessin öffnete ihre Arme, und der Prinz tat desgleichen, und beide umarmten sich in heißem Sehnen. Doch Liebe und Leidenschaft überwältigten sie, so daß sie in Ohnmacht sanken und zu Boden fielen und eine lange Weile dort liegen blieben. Die Alte aber, die das Ärgernis der Entdeckung fürchtete, trug die beiden in den Pavillon hinein und setzte sich an der Tür nieder. Dann sprach sie zu den Dienerinnen: ,Ergreift die Gelegenheit, euch zu ergehen; denn die Prinzessin schläft!' Da ergingen die Sklavinnen sich wieder im Garten. Die beiden Liebenden aber erwachten aus ihrer Ohnmacht, und als sie sich drinnen im Pavillon sahen, sprach der Jüngling: ,üm Allahs willen, o Herrin der Schönen, ist dies ein Traum oder spukhafter Schaum?' Wiederum sanken sie sich in die Arme und wurden trunken ohne Wein und klagten einander der Liebe Pein. Und der Prinz sprach diese Verse:

Die Sonne steigt empor aus ihrem Strahlenantlitz;
Aus ihren Wangen scheint der Abendröte Glanz.
Und wenn sich den Beschauern solches offenbaret,
Verbirgt vor ihm beschämt der Abendstern sich ganz.
Doch wenn aus ihres Munds Geheg ein Blitzen leuchtet,
So bricht der Morgen an, es weicht die dunkle Nacht;
Und wenn ihr schlanker Leib sich biegt und wiegt im Schreiten,
So wird im Weidenlaub der Zweige Neid entfacht.
Ach, mir ist alles gleich, wenn ich nur sie erblicke;
Der Herr des Frühlichts und der Menschen' schutze sie!
Sie lieh dem Vollmond einen Teil von ihren Reizen:



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Die Sonne wollt ihr gleichen, doch vermocht es nie.
Wie kann die Sonne wohl sich so im Schreiten wiegen?
Wann hat Gestalt und Art so schön der Mondenschein?
Wer tadelt mich, wenn ich in Lieb zu ihr vergehe,
Mag ich ihr ferne weilen oder nahe sein?
Sie ist es, die mit ihrem Blick mein Herz bezwingt -
Was gibt's, das lieberfüllten Herzen Hilfe bringt? — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 732. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß damals, als der Prinz seine Verse beendet hatte, die Prinzessin ihn an ihre Brust zog und seinen Mund und seine Stirn küßte; da kehrte seine Seele in ihn zurück, und nun begann er ihr zu klagen, was er hatte dulden müssen durch die Macht der Liebe und die Gewalt der Leidenschaft und durch der verzehrenden Sehnsucht unendliche Kraft, und was er um ihrer Herzenshärte willen hatte ertragen müssen. Als sie seine Worte vernahm, küßte sie ihm Hände und Füße, und sie enthüllte ihr Haupt, und da war es. als leuchte in finsterer Nacht des Vollmonds liebliche Pracht. Dann sprach sie zu ihm: ,O mein Geliebter, o du Ziel meiner Wünsche, hätte es doch nie den Tag der Abweisung gegeben, und Allah mache, daß wir ihn nie wieder erleben!' Und sie umarmten sich von neuem und weinten miteinander; und die Prinzessin sprach diese Verse:

Der du den Mond beschämst, ja auch des Tages Sonne,
Ach, töten willst du mich, von Grausamkeit verzehrt,
Durch eines Blickes Schwert, das meine Seele spaltet;
Wohin kann ich entfliehen vor der Blicke Schwert?
Dem Bogen gleich sind deine Brauen, und sie schießen
Den Pfeil der heißen Liebe mir ins Herz hinein.
Ein Paradies sind mir die Früchte deiner Wangen;
Wie kann vor solcher Frucht mein Herze ruhig sein?



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Dein zarter, weicher Wuchs ist wie ein Zweig voll Blüten;
Von solchen Zweiges Blüten reift die schönste Frucht.
Du zogst mich mit Gewalt, du raubtest mir den Schlummer,
Ja, deine Liebe nahm mir alle Scheu und Zucht.
Dir möge Gott den Glanz des reinen Lichtes leihen;
Er bring das Ferne nahe, Er verein uns bald!
Erbarm dich eines Herzens, das in Lieb entbrannt ist;
Dies kranke Herz ergibt sich deiner Allgewalt.

Als sie ihre Verse beendet hatte, überwältigte sie der Liebe Kraft, und sie war verstört und weinte Tränen quellender Leidenschaft. Auch des Jünglings Herz war entbrannt, und er war durch die Liebe zu ihr wie verstört und gebannt. Da trat er an sie heran, küßte ihre Hände und weinte bitterlich. Und so blieben sie beisammen, indem sie ihre Liebe klagten und plauderten und Verse sprachen, bis der Ruf zum Nachmittagsgebet erscholl. Nichts anderes als dies war zwischen ihnen geschehen, und nun mußten sie an die Trennung denken. Die Prinzessin sprach zu ihm: ,O du mein Augenlicht, mein Herzlieb, jetzt müssen wir auseinandergehen; und wann werden wir uns wiedersehent' Der Jüngling aber rief sofort, wie von Pfeilen getroffen durch ihr Wort: ,Bei Allah, ich mag nicht von Trennung sprechen!' Doch sie ging aus dem Pavillon hinaus, und als er ihr nachblickte, hörte er ihre Seufzer, vor denen die Steine zerflossen, und sah ihre Tränen, die sich wie Regenschauer ergossen. Da versank er vor Liebe in der Verzweiflung Meer, und er sprach diese Verse vor sich her:

Du meines Herzens Wunsch, es wächst mein Kummer.
Und ratlos bin ich durch der Liebe Macht.
Dein Antlitz gleicht dein Morgen, wenn er dämmert;
Und deines Haares Farbe gleicht der Nacht.
Dein schlanker Wuchs ist gleich dem schwanken Zweige,
Vom Hauch des Nordwinds auf und ab bewegt;
Und deine Augen sind wie die der Rehe,



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Wenn edler Männer Blick sich auf sie legt.
Dein Leib ist schmal, es lasten deine Hüften -
Die einen schwer, der andre zart und fein;
Dein Lippentau ist gleich dem süßen Weine
Mit Moschusduft und Wasser, kühl und rein.
Du Reh des Stammes, ende meinen Kummer:
Laß huldvoll mich dein Traumbild sehn im Schlummer!

Wie nun die Prinzessin seine Verse zu ihrem Preis vernommen hatte, kehrte sie zu ihm zurück und umarmte ihn: in ihrem Herzen aber brannte ein Feuer, das hatte die Trennung entfacht, und es zu löschen stand nur in des Küssens und Umarmens Macht. Und sie rief: ,Fürwahr, das Sprichwort sagt: Geduld geziemt sich für den Liebenden, nicht Ungeduld. Jetzt muß ich auf ein Mittel sinnen, daß wir uns wiedersehen.' Darauf nahm sie Abschied von ihm und ging fort; doch im Übermaße ihrer Liebe wußte sie kaum, wohin sie ihre Füße setzte. So ging sie dahin, bis sie sich in ihrem Zimmer niederwarf. Indessen ward der Prinz von Sehnsucht und Leidenschaft immer heftiger geplagt, und des Schlummers Süße blieb ihm versagt. Die Prinzessin nahm keine Speise zu sich, ihre Geduld erlahmte, und ihre Standhaftigkeit ermattete. Sobald der Morgen dämmerte, rief sie nach der Amme; und als die vor ihr stand, entdeckte sie, daß ihre Herrin wie verwandelt aussah. Die Königstochter aber sprach zu ihr: ,Frage mich nicht nach dem, was ich leide; denn alles, was ich dulde, ist nur dein Werk! Wo ist der Geliebte meines Herzens?' ,Hohe Herrin, wann habt ihr euch getrennt? Ist er dir denn schon länger fern als diese eine Nacht?' ,Ach, kann ich die Trennung von ihm auch nur eine Stunde lang ertragen? Wohlan, ersinne ein Mittel, um uns eiligst zu vereinen; denn mir ist, als ob meine Seele mich verlassen wolle!' ,Gedulde dich, meine Gebieterin, bis ich dir einen klugen Plan ersonnen habe, so daß niemand etwas



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davon merkt!' ,Bei Allah dem Allmächtigen, wenn du ihn mir nicht heute noch bringst, so rede ich gewißlich mit dem König und tu ihm kund, daß du mich verführt hast; und dann wird er dir den Kopf abschlagen.' ,Ich bitte dich um Allahs willen, hab Geduld mit mir! Denn dies Unterfangen ist gefährlich.' Und weiter flehte die Amme sie demütigst an, bis sie ihr drei Tage Frist gewährte; und dann sprach die Prinzessin zu ihr: ,Ach, liebe Amme, die drei Tage werden mir drei Jahre sein. Wenn aber der vierte Tag kommt und du ihn nicht zu mir bringst, so will ich auf deinen Tod sinnen.' Alsbald verließ die Amme sie und begab sich in ihre Wohnung; und wie der vierte Morgen anbrach, berief sie die Kammerfrauen der Stadt und verlangte von ihnen schöne Farben, um eine Jungfrau zu schmücken und zu schminken. Und jene brachten ihr von allem, was sie verlangte, das Schönste. Dann ließ sie den Jüngling rufen, und als der zu ihr kam, öffnete sie ihre Truhe und holte daraus ein Bündel hervor, das ein Frauengewand im Werte von fünftausend Dinaren enthielt, und ferner ein Kopftuch, das mit allerlei edlen Steinen besetzt war. Dann hub sie an: ,Mein Sohn, möchtest du mit Hajât en-Nufûs zusammentreffen?' ,Jawohl', gab er zur Antwort; und nun nahm sie eine Haarzange und zupfte ihm die Haare aus dem Gesicht und schminkte ihm die Augen. Darauf nahm sie ihm die Kleider ab und strich die Farbe auf seine Hände und Arme von den Fingernägeln bis zu den Schultern und auf seine Beine vom Mittelfuße bis zu den Schenkeln; und sie bemalte seinen ganzen Leib, bis er aussah wie rote Rosen auf Alabasterplatten. Nach einer kleinen Weile wusch sie ihn und säuberte ihn; dann holte sie ihm ein Hemd und eine Hose und bekleidete ihn mit jenem königlichen Gewande. Schließlich legte sie ihm Kopftuch und Schleier an und lehrte ilm, wie er



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gehen solle, indem sie sprach: ,Schieb die linke Seite vor und zieh die rechte zurück!' Er tat, wie sie ihm befahl, und schritt vor ihr dahin, als wäre er eine Huri, die das Paradies verlassen hätte. Darauf sagte sie zu ihm: ,Fasse dir ein Herz! Denn du gehst in des Königs Palast, und dort stehen immer Wächter und Diener am Tore. Wenn du dich vor ihnen fürchtest oder dich irgendwie verdächtig zeigst, so werden sie dich ins Auge fassen und dich erkennen; dann wird es uns schlimm ergehen, und wir werden unser Leben verlieren. Fühlst du dich dem nicht gewachsen, so sag es mir!' Er antwortete ihr: ,Wahrlich, solches kann mich nicht erschrecken. Also hab Zuversicht und quäl dich nicht!' Da gingen sie hinaus, indem sie voranschritt, bis sie zum Tore des Palastes kamen, wo es voll von Eunuchen war. Nun wandte die Alte sich nach ihm um, auf daß sie sähe, ob etwas Verdächtiges an ihm sei oder nicht; aber sie fand, daß er unverändert sich selber gleich war. Wie dann die Alte ankam und der Obereunuch sie erblickte, erkannte er sie; doch da er hinter ihr eine Maid entdeckte, deren Reize den Verstand verwirrten, sprach er bei sich: ,Die Alte da ist ja die Amme; aber was die angeht, die hinter ihr ist, so gibt es in unserem Lande keine, die ihr an Gestalt gleicht, keine, die ihr an Schönheit und Liebreiz auch nur nahekommt, es sei denn die Prinzessin Hajât en-Nufûs. Allein die lebt doch abgeschlossen und geht niemals aus! Wüßte ich nur, wie sie auf die Straße gekommen ist! Mag sie wohl mit Erlaubnis des Königs oder ohne seinen Willen ausgegangen sein?' Und sofort sprang er auf, um über sie Kunde zu gewinnen, und es folgten ihm etwa dreißig Eunuchen. Als die Alte sie erblickte, ward sie wie von Sinnen, und sie sagte: ,Wir sind Allahs Geschöpfe, und zu ihm kehren wir zurück! Jetzt ist es um unser Leben geschehen, das ist gewiß!' — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 733. Nacht anbrach, fahr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte, als sie den Obereunuchen mit seinen Leuten nahen sah, in große Furcht geriet und sagte: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah! Wir sind Allahs Geschöpfe, und zu ihm kehren wir zurück. Jetzt ist es um unser Leben geschehen, das ist gewiß!' Wie aber der Obereunuch sie also reden hörte, überkam ihn die Angst, da er die Heftigkeit der Prinzessin kannte und wußte, daß ihr Vater unter ihrer Herrschaft stand: und er sprach bei sich selber: ,Vielleicht hat der König die Amme angewiesen, seine Tochter hinauszuführen, um eine Besorgung zumachen, und will nicht, daß jemand um sie wissen soll. Wenn ich ihr nun in den Weg trete, so wird sie in ihrer Seele gewaltig wider mich ergrimmen und wird sagen: ,Dieser Eunuch da ist mir in den Weg getreten, um mich zu untersuchen.' Und dann wird sie auf meinen Tod sinnen. Überhaupt geht mich diese Sache nichts an.' So machte er denn Kehrt, und die dreißig Eunuchen gingen mit ihm zum Tor des Palastes zurück; dort trieben sie das Volk beiseite, und die Amme trat ein, während sie mit dem Haupte grüßte. Die dreißig Eunuchen aber standen da in ehrfürchtiger Haltung und erwiderten ihren Gruß. Mit der Alten trat auch der Prinz in den Palast ein, indem er ihr folgte, und sie schritten immer weiter durch die Tore dahin, bis sie bei allen Wachen vorbeigekommen waren, beschützt von dem Allschützer, und dann erreichten sie das siebente Tor. Das war das Tor zum großen Palastgebäude, in dem sich der Thron des Königs befand, und von dort gelangte man zu den Zimmern der Odalisken und den Hallen des Harems und auch zum Schlosse der Prinzessin.



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An jener Stätte machte die Alte Halt und flüsterte: ,Mein Sohn, siehe, so weit sind wir nun gelangt, und Preis sei Ihm, der uns bis zu diesem Orte gebracht hat! Aber, mein Sohn, nur zur Nachtzeit ist es uns möglich, mit der Prinzessin zusammenzutreffen; denn die Nacht hüllt den, der etwas zu fürchten hat, in ihren Schleier.' ,Du hast recht,' antwortete er ihr, ,doch was ist zu tun?' Sie erwiderte ihm: ,Verbirg dich an dieser dunklen Stätte hier!' Da setzte er sich in der Zisterne nieder, während sich die Alte entfernte; und sie ließ ihn dort, bis der Tag zur Rüste ging. Dann kam sie zu ihm zurück und hieß ihn herauskommen, und nun traten sie beide in das Schloßtor ein und gingen immer weiter, bis sie zum Gemach der Prinzessin Hajât en-Nufûs vordrangen. Die Amme klopfte an die Tür, eine kleine Sklavin kam und rief: ,Wer ist an der Tür?' ,Ich bin's!' antwortete die Alte: da kehrte die Sklavin zurück und bat ihre Herrin um Erlaubnis, daß die Amme eintreten dürfe. Die Prinzessin sprach: ,Öffne ihr und laß sie eintreten mit denen, die bei ihr sind!' Nun traten die beiden ein, und als sie näher kamen, blickte die Amme nach Hajât en-Nufûs und erkannte, daß die Prinzessin alles zum Empfang gerüstet hatte; sie hatte die Lampen aufgereiht und die Lager und Estraden mit Teppichen bedeckt, auch hatte sie die Kissen hingelegt und die Kerzen in den goldenen und silbernen Leuchtern angezündet. Ferner hatte sie einen Tisch mit Speisen und Früchten und Süßigkeiten ausgebreitet und Moschus, Aloeholz und Ambra ihren Duft ausströmen lassen. Da saß sie nun inmitten der Lampen und Kerzen; aber das Licht ihres Antlitzes erstrahlte noch heller als alle. Wie sie die Amine erblickte, sprach sie zu ihr: ,Liebe Amme. wo ist der Geliebte meines Herzens?' ,Hohe Herrin,' erwiderte jene, ,ich habe ihn nicht gefunden, und mein Blick ist nicht auf ihn gefallen. Doch ich habe dir



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seine leibliche Schwester hier vor dich gebracht.' Die Prinzessin rief: .Bist du von Sinnen? Ich habe seine Schwester nicht nötig! Verbindet sich etwa der Mensch die Hand, wenn ihn der Kopf schmerzt?' ,Nein, bei Allah,' erwiderte die Alte, ,doch schau sie dir an, und wenn sie dir gefällt, so behalte sie bei dir!' Mit diesen Worten enthüllte sie das Gesicht des Prinzen, und sowie Hajât en-Nufûs ihn erkannte, sprang sie auf und zog ihn an ihre Brust, während auch er sie an sich drückte. Darauf sanken beide zu Boden und lagen eine lange Weile ohnmächtig da. Nachdem die Alte sie jedoch mit Rosenwasser besprengt hatte, kamen sie wieder zu sich. Dann küßte sie ihn auf den Mund wohl mehr als tausendmal und sprach diese Verse:

Mein Herzensallerliebster kam zu mir im Dunkel;
Ich stand, um ihn zu ehren, und er setzte sich.
Ich sprach: O du mein Wunsch, mein einzigstes Begehren,
Du kamst zu mir bei Nacht, kein Wächter schreckte dich.
Er sprach zu mir: Wohl hatt ich Furcht, allein die Liebe
Hat mich um meinen Geist und meinen Sinn gebracht.
Und eine Weile hielten wir uns eng umschlungen
In Sicherheit und ohne Furcht vor Dem, der wacht.
Wir standen wieder auf, von Sunde unbefleckt,
Und hoben unsern Saum. den keine Schmach bedeckt. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 734. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hajât en-Nufûs, als ihr Geliebter zu ihr ins Schloß gekommen war, in seinen Armen ruhte und dann Verse sprach, die ihr Erleben schilderten. Und als sie die Verse beendet hatte, fuhr sie fort: ,Ist es denn wirklich wahr, daß ich dich in meinem Hause sehe und daß du mein Tischgenosse und mein Trautgesell geworden bist?' Und wiederum kam die Liebe über sie mit Macht.



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und heiße Glut war in ihr entfacht, so daß sie vor Freuden fast wie von Sinnen ward; dann sprach sie diese Verse:

Mein Leben ihm, der zu mir kam im tiefen Dunkel!
Ich hatte schon geharrt auf unser Stelldichein.
Mich weckte nur die zarte Stimme seines Klagens;
Ich sprach: Du sollst von Herzen mir willkommen sein!
Auf seine Wange drückte ich wohl tausend Küsse,
Umarmte ihn als Freund in aller Heimlichkeit.
Ich rief: Jetzt hab ich doch erreicht, was ich erhoffte;
Wie sich's gebührt, sei Gott der rechte Dank geweiht.
Die schönste Nacht war unser -ach, sie war uns lieb -,
Bis daß des Morgens Licht die Dunkelheit vertrieb.

Sobald es aber Morgen ward, geleitete sie ihn in eins ihrer Gemächer, das niemandem bekannt war, und verbarg ihn dort, bis der Abend anbrach; dann führte sie ihn wieder hinaus, und die beiden setzten sich zum Gelage nieder. Nun hub er an: ,Ich möchte in mein Land zurückkehren und meinem Vater von dir erzählen, auf daß er seinen Wesir ausrüste, um dich bei deinem Vater für mich zur Gemahlin zu erbitten.' ,Ach, mein Lieb,' erwiderte sie, ,ich fürchte, wenn du in dein Land und dein Reich gezogen bist, so könntest du von mir abgelenkt werden und die Liebe zu mir vergessen; oder dein Vater willigt in deine Bitte nicht ein, und dann würde ich sterben, und alles würde zu Ende sein. Mich dünkt, es wäre das richtige, wenn du bei mir in meinem Bereiche bleibst, so daß du immer mein Antlitz schauen kannst und ich das deine erblicke, bis ich dir einen Plan ersonnen habe; dann wollen wir beide, du und ich, in derselben Nacht entfliehen und uns in dein Land begeben. Ich habe die Hoffnung auf die Meinen aufgegeben und erwarte nichts mehr von ihnen.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte er; und so blieben sie beieinander und tranken ihren Wein. Eines Nachts aber mundete ihnen der Rebensaft so



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sehr, daß sie sich erst zum Schlafe niederlegten, als der Morgen graute. Und gerade damals hatte einer der Könige ihrem Vater Geschenke gesandt, darunter auch ein Halsband von neunundzwanzig einzigartigen Edelsteinen, die alle Schätze eines Königs an Wert übertrafen. Da sprach der König: ,Dies Halsband gebührt nur meiner Tochter Hajât en-Nufûs.' Und er wandte sich um nach einem Eunuchen, dem die Prinzessin einst aus irgendeinem Grunde die Backenzähne ausgeschlagen hatte, rief ihn und sprach zu ihm: ,Nimm dies Halsband und trag es zu Hajât en-Nufûs und sprich zu ihr: Einer der Könige hat dies deinem Vater als Geschenk gesandt, sein Wert ist nicht mit Geld zu bezahlen; leg du es um deinen Hals!' Der Bursche nahm das Kleinod, indem er bei sich sprach: ,Allah der Erhabene lasse dies das letzte in dieser Welt sein, das sie sich anlegt; denn sie hat mir meine unersetzlichen Backenzähne geraubt.' Dann ging er dahin, bis er zum Gemach der Prinzessin kam; dort fand er die Tür verschlossen und die Alte auf der Schwelle schlafen. Er weckte sie, und erschrocken fuhr sie auf und fragte ihn: ,Was willst du?' ,Der König schickt mich mit einem Auftrag zu seiner Tochter', antwortete er. Sie sagte darauf: ,Der Schlüssel ist nicht hier; geh fort, bis ich ihn geholt habe!' Da entgegnete er: ,Ich kann doch nicht so zum Köni zurückkehren!' Nun lief sie fort, um den Schlüssel zu holen; aber die Furcht kam über sie, und so suchte sie ihr Heil in der Flucht. Wie sie jedoch dem Burschen zu lange ausblieb, fürchtete er, sein Fortbleiben würde dem König zu lange dauern, und er begann an der Tür zu rütteln und zu schütteln, bis der Riegel zerbrach und die Tür sich auftat. Dann ging er hinein und schritt immer weiter, bis er zur siebenten Tür kam. Und als er in das Zimmer eintrat, sah er, daß es mit kostbaren Teppichen ausgestattet war, und entdeckte dort Kerzen und



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Flaschen. Ob dieses Anblicks erstaunte der Eunuch, und indem er weiterschritt, kam er zu dem Bett. vor dem sich ein seidener Vorhang und eine juwelenbesetzte Gardine befanden. Da hob er den Vorhang auf und sah die Prinzessin dort schlafen im Arm eines Jünglings, der noch schöner als sie war. Und er pries Allah den Allmächtigen, der jenen aus verächtlichem Wasser erschaffen hatte. Dann aber sprach er: ,Wie herrlich das zu einer paßt, die sonst die Männer haßt! Wie mag sie an den da geraten sein? Ich glaube, nur um seinetwillen hat sie mir die Backenzähne ausgeschlagen.' Darauf ließ er den Vorhang zurückfallen und ging auf die Tür zu. Die Prinzessin aber war aufgewacht voll Schrecken und hatte den Eunuchen Kafûr gesehen. Sie rief ihn, aber er gab ihr keine Antwort. Da sprang sie auf und eilte hinter ihm her, ja, sie ergriff seinen Saum und legte ihn auf ihr H upt, küßte ihm die Füße und flehte ihn an: ,Verhülle, was Allah verhüllt hat!' Doch er entgegnete: ,Allah verhülle dich nicht, noch auch den, der dich in seinen Schutz nimmt! Du hast mir einst die Backenzähne ausgeschlagen und sagtest mir damals, niemand solle zu dir je über das Wesen der Männer reden.' Mit diesen Worten riß er sich von ihr los, lief rasch davon, verschloß die Tür, stellte einen anderen Eunuchen als Wache davor und ging zu dem König hinein. Der König fragte ihn: ,Hast du Hajât en-Nufûs das Halsband gegeben?' Doch der Eunuch antwortete: ,Bei Allah, du verdientest etwas Besseres als all dies.' Da rief der König: ,Was ist geschehen? Sag es mir und beeile deine Worte!' Darauf sprach der Eunuch: ,Ich kann es dir nur sagen, wenn ich mit dir allein bin.' ,Sag es öffentlich!' befahl der König; und der Sklave bat: ,Gewähre mir Sicherheit!' Nachdem der König ihm das Tuch der Sicherheit zugeworfen hatte, fuhr jener fort: ,O König, ich trat ein zur Prinzessin Hajât en-Nufûs und



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fand sie in einem prächtig ausgestatteten Gemach am Busen eines Jünglings schlafen. Da verschloß ich die Tür vor den beiden, und nun stehe ich wieder vor dir.' Als der König diese Worte von ihm vernahm, sprang er auf, nahm ein Schwert in die Hand, rief den Obereunuchen herbei und sprach zu ihm: ,Nimm deine Burschen mit dir, geh hinein zu Hajât en-Nufûs und bring sie samt dem, der bei ihr ist, so, wie die beiden auf dem Bette liegen; doch verhüllt sie mit ihrer Decke!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 735. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König dem Obereunuchen befahl, mit seinen Burschen sich zu Hajât en-Nufûs zu begeben und sie samt dem, der bei ihr sei, vor ihn zu bringen, und daß jener darauf mit seinen Leuten fortging und in das Gemach eindrang. Dort fanden sie Hajâten-Nufûs stehen und in Tränen und Klagen zergehen; und ebenso auch den Prinzen. Der Obereunuch sprach zu dem Jüngling: ,Lege dich wieder auf das Bett, wie du gelegen hast; und die Prinzessin soll desgleichen tun!' Da nun die Prinzessin um ihren Geliebten besorgt war, sprach sie zu ihm: ,Dies ist nicht die Zeit zum Widerstand.' Und so legten sich denn die beiden wieder auf das Lager, und die Eunuchen trugen sie alsbald vor den König. Als der nun die Decke von ihnen hob, sprang die Prinzessin auf. Ihr Vater sah sie an und wollte ihr das Haupt abschlagen; aber der Jüngling kam ihm zuvor und warf sich ihm an die Brust und rief: ,O König, sie ist unschuldig, die Schuld trifft nur mich allein, drum töte mich zuerst!' Schon wollte der König ihn töten, da warf Hajâten-Nufûs sich ihrem Vater entgegen und rief: ,Töte mich allein, nicht ihn, denn er ist der Sohn des mächtigsten Königs, des Herrn aller Lande weit und



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breit!' Als der König die Worte seiner Tochter vernommen hatte, wandte er sich an den Großwesir, der ein wahrer Ausbund von Bosheit war, und sprach zu ihm: ,Was sagst du zu dieser Sache, Wesire' Jener gab zur Antwort: ,Was ich sage, ist dies: Jeder, der in eine Lage wie diese gerät, hat die Lüge nötig; den beiden gebührt nichts anderes, als daß ihnen der Kopf abgeschlagen wird, nachdem sie mit mancherlei Foltern gepeinigt worden sind.' Da rief der König den Träger des Schwertes seiner Rache, und als der mit seinen Knechten erschien, sprach der König: ,Nehmt diesen Galgenstrick und schlagt ihm den Kopf ab; danach tut ebenso mit dieser Dirne, und dann verbrennt die beiden! Fragt mich aber nicht noch einmal über sie!' Nun legte der Henker seine Hand auf ihren Rücken, um sie zu packen; aber da schrie der König ihn an und warf etwas nach ihm, das er in der Hand hielt, so daß er ihn fast getötet hätte, und er rief: ,Du Hund, wie kannst du, wenn ich zornig bin, noch milde sein wollen? Pack sie mit deiner Hand an den Haaren und schleife sie daran fort, so daß sie auf dem Gesichte liegt!' Jener tat, wie ihm der König befohlen hatte, und schleifte sie an ihrem Haar davon, und ebenso tat er mit dem Prinzen. Und als sie den Blutplatz erreichten, riß er einen Streifen von seinem Gewande und verband dem Prinzen die Augen und zückte sein scharfes Schwert. Die Prinzessin hatte er nämlich bis zuletzt zurückgestellt in der Hoffnung, daß ihr noch Fürsprache zuteil werden möchte. Und nun machte er sich an den Jüngling und ließ das Schwert dreimal um ihn kreisen, während alle Krieger insgemein weinten und Allah anflehten, beiden möchte ein Fürsprech zu Hilfe kommen. Dann aber reckte er seinen Arm - da wirbelte plötzlich eine Staubwolke empor, die legte der Welt einen Schleier vor.



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Dies war also geschehen. Jener König, der Vater des Prinzen, hatte sich, als die Kunde von seinem Sohn ihm zu lange ausblieb, mit einem großen Heere ausgerüstet und sich selbst aufgemacht, um nach seinem Sohn zu suchen. So war er hierher gekommen. Der König 'Abd el-Kâdir andrerseits rief, als jene Staubwolke aufstieg: ,Ihr Leute, was gibt es? Was ist es, das da staubt und uns den Ausblick raubt?' Da sprang der Großwesir auf und eilte fort, auf jene Staubwolke zu, um zu erkunden, was es mit ihr in Wahrheit auf sich habe. Und er entdeckte, daß dort ein Volk war, zahllos wie Heuschrecken; ihre Menge konnte nicht ermessen werden, und ihr widerstand keine Macht auf Erden, sie erfüllten Berg und Tal und alle Hügel zumal. Alsbald kehrte der Wesir zum König zurück und berichtete ihm, was er gesehen hatte. Der sprach darauf zu ihm: ,Geh wieder hinab und erkunde uns Näheres über dies Heer und über den Grund, weshalb sie in unser Land kommen! Frage auch nach dem Anführer jenes Heeres und überbring ihm meinen Gruß; dann bitte ihn, dir zu sagen, weshalb er gekommen sei; und wenn er irgendeinen Wunsch zu erfüllen sucht, so wollen wir ihm helfen! Hat er Blutrache wider einen der Könige, so wollen wir mit ihm ziehen; wünscht er irgendeine Gabe, so wollen wir sie ihm geben. Denn dies ist eine ungeheure Zahl und ein gewaltiger Truppenaufwand, und wir befürchten von ihnen einen Angriff auf unser Land.' Da ging der Wesir hinab und schritt dahin zwischen den Zelten und Kriegern und Leibwachen; ja, er mußte von Tagesanbruch bis nahe vor Sonnenuntergang wandern, ehe er zu den Männern mit den vergoldeten Schwertern kam und zu den sternenbesetzten Zelten. Danach Danach gelangte er zu den Emiren und Wesiren, den Kammerverwaltern und Statthaltern. Und noch weiter mußte er gehen, bis er zum Herrscher selbst gelangte; in ihm



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erkannte er einen mächtigen König. Kaum hatten die Würdenträger ihn erblickt, so riefen sie: ,Küsse den Boden! Küsse den Boden!' Er tat es; doch als er sich aufrichten wollte, riefen sie es ihm zum zweiten und dritten Male zu. Schließlich erhob er sein Haupt und stand auf; aber da fiel er wieder in voller Länge zu Boden, in Ehrfurcht ersterbend. Doch dann trat er vor den König und sprach: ,Allah lasse deine Tage lange währen und stärke deine Herrschaft und erhöhe deine Macht. o glücklicher König! Vernimm nunmehr, daß der König 'Abd el-Kâdir dir seinen Gruß entbietet und den Boden vor dir küßt und dich fragen läßt, in welcher wichtigen Angelegenheit du gekommen seiest. Wenn du an irgendeinem König Blutrache zu nehmen wünschest, so will er mit dir ziehen in deinem Dienste. Und wenn du ein Anliegen hast, das er dir erfüllen kann, so steht er dir darin zu Diensten.' ,O Bote.' erwiderte ihm der König, ,geh zu deinem Herrn und sprich zu ihm: Der großmächtige König' hat einen Sohn, der seit geraumer Zeit fern von ihm weilt; er konnte auch seit langem nichts mehr von ihm erkunden, und keine Spur ward von ihm gefunden. Wenn der in dieser Stadt ist, so will er ihn nehmen und euch verlassen. Geschah ihm aber irgendein Leid, oder geriet er bei euch in Fährlichkeit, so wird sein Vater euer Land verwüsten und euer Hab und Gut zusammenraffen, eure Männer töten und eure Weiber in die Sklaverei fortschaffen. So kehre denn eiligst zu deinem Herrn zurück und tu ihm dies kund, ehe das Unheil über ihn kommt.' ,Ich höre und gehorche!' antwortete der Wesir und wandte sich zum Gehen; doch wiederum riefen die Kammerherren ihm zu: ,Küsse den Boden! Küsse den Boden!' Das tat er nun wohl zwanzigmal,



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und er stand erst wieder auf, als ihm der Atem durch die Nase entschwinden wollte. Dann verließ er die Versammlung des Königs und eilte unablässig dahin, voller Gedanken über das Wesen dieses Königs und seine gewaltige Heeresmacht, bis er wieder vor dem König 'Abd el-Kâdir stand, bleich vor übergroßer Furcht und zitternd am ganzen Leibe. Und er tat ihm darauf kund, was ihm widerfahren war. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 736. Nacht anbrach, fuhr sie also fort. »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß damals, als der Wesir von dem großmächtigen König zurückgekehrt war und dem König 'Abd el-Kâdir berichtete, was ihm begegnet war, bleich und zitternd am ganzen Leibe vor übergroßer Furcht, den König selbst Unruhe und Sorge um sich und um sein Volk beschlich, und daß er alsbald fragte: ,O Wesir, wer mag der Sohn dieses Königs seine' ,Ebender, dessen Hinrichtung du befohlen hast,' gab der Minister zur Antwort, ,und Allah sei gepriesen, daß Er seinen Tod nicht beschleunigt hat! Sonst hätte sein Vater unser Land verwüstet und unser Hab und Gut geraubt.' Der König aber sagte darauf: ,Schau nun deinen verderblichen Rat, durch den du uns veranlassen wolltest, ihn zu töten! Wo ist nun der junge Herr, der Sohn dieses Königs von hoher Ehre' ,O du hochgemuter König,' erwiderte der Wesir, ,du hast doch Befehl gegeben, ihn hinzurichten!' Als der König diese Worte hörte, ward er ganz verwirrt, und er rief aus innerstem Herzen und Sinn: ,Weh euch, eilet zum Henker, auf daß er die Hinrichtung nicht an ihm vollstrecke! Holet mir auch sofort den Henker!' Da ward der Henker geholt, und er berichtete: ,O größter König unserer Zeit, ich habe ihm den Nacken durchgeschlagen, wie du mir befohlen hast.' Der Kö



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fig aber rief: ,Du Hund, wenn das wahr ist, so sende ich dich ihm unweigerlich nach.' ,O König,' erwiderte jener, ,du hast mir doch befohlen, ihn zu töten, ohne dich noch ein zweites Mal über ihn zu befragen.' Als aber der König sagte: ,Ich war im Zorn; sprich die Wahrheit, ehe dein Leben dahin ist', gestand jener: ,O König, er ist noch in den Banden des Lebens.' Des freute sich 'Abd el-Kâdir, und sein Herz ward beruhigt; dann befahl er, den Prinzen zu bringen, und als der vor ihm stand, erhob er sich, um ihn zu ehren, küßte ihn auf den Mund und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, ich bitte Allah den Allmächtigen um Verzeihung wegen des Unrechts, das dir von mir geschehen ist; und sage du nichts, was mich in Ungnade bringen könnte bei deinem Vater, dem großmächtigen König!' ,O größter König unserer Zeit,' rief der Prinz, ,wo ist denn mein Vater?' ,Er ist um deinetwillen hierher gekommen', antwortete ihm 'Abd el-Kâdir; und nun sprach der Jüngling: ,Bei deiner Würde, ich will dich nicht eher verlassen, als bis ich meine Ehre und die Ehre deiner Tochter von dem gereinigt habe, was du uns zur Last legst; denn sie ist eine reine Jungfrau. Laß die weisen Frauen kommen und sie in deiner Gegenwart untersuchen! Wenn du hörst, daß ihr Mädchentum geraubt ist, so magst du mein Blut vergießen; ist sie aber eine Jungfrau, so ist die Reinheit meiner und ihrer Ehre erwiesen.' Da ließ der König die weisen Frauen kommen, und als die sie untersuchten, fanden sie in ihr eine Jungfrau. Sie berichteten es dem König und erbaten sich von ihm eine Gnade; die gewährte er ihnen, indem er seine königlichen Gewänder ablegte und ihnen gab, und ebenso beschenkte er alle, die sich im Harem befanden. Dann wurden die Räucherbecken geholt, und die Großen des Reiches wurden beräuchert und waren hocherfreut. Nun umarmte der König den Prinzen und erwies ihm alle Ehren



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und Aufmerksamkeiten und ließ ihn durch seine obersten Eunuchen ins Bad geleiten. Und als der Prinz von dort zurückkam, legte er ihm ein kostbares Ehrengewand um, krönte ihn mit einer Juwelenkrone und gürtete ihn mit einem seidenen Gürtel. der mit rotem Golde bestickt und mit Perlen und Edelsteinen besetzt war. Ferner gab er ihm eines seiner edelsten Rosse mit einem goldenen Sattel, in den Perlen und Juwelen eingelegt waren; und er befahl den Großen seines Reiches und den Häuptern seines Landes, aufzusitzen und ihm bis zu seinem Vater das Ehrengeleit zu geben. Und er selbst bat den Prinzen, seinem Vater, dem großmächtigen König, zusagen, der König 'Abd el-Kâdir stehe ihm zu Diensten und füge sich willig in alle seine Gebote und Verbote. Der Prinz versprach, es sicherlich zu tun, nahm Abschied und machte sich auf den Weg zu seinem Vater. Doch als der ihn erblickte, ward er vor Freuden fast wie von Sinnen, und er sprang auf, schritt ihm entgegen und umarmte ihn; und große Freude verbreitete sich im Heere des großmächtigen Königs. Darauf strömten alle Wesire und Kammerherren herbei, auch alle Truppen und Hauptleute, und sie küßten den Boden vor ihm und freuten sich über sein Kommen; so war es für alle ein hoher Freudentag. Und der Prinz gab seinen Begleitern und allen, die aus der Stadt des Königs 'Abd el-Kâdir mitgekommen waren, die Erlaubnis, sich die Heerscharen des großmächtigen Königs anzuschauen, indem er anordnete, niemand solle sie darin behindern, bis sie die Größe seiner Streitmacht und die Stärke seiner Herrschergewalt erkannt hätten. Da begannen alle die Leute, die früher in den Tuchbasar gekommen waren und den Jüngling gesehen hatten, wie er im Laden saß, sich zu verwundern, daß er bei seiner Vornehmheit und seiner hohen Würde sich dazu hatte verstehen können. Dazu hatte ihn ja auch nur seine



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herzliche Liebe zur Tochter des Königs veranlaßt. Nun verbreitete sich die Kunde von seiner großen Heeresmacht überall, und auch Hajâten-Nufûs hörte davon. Da schaute sie hinab vom Dache des Schlosses und blickte auf die Berge und sah, wie sie von Kriegern und Streitern bedeckt waren; denn sie wurde noch im Palast ihres Vaters in Gewahrsam gehalten, bis die Nachricht käme, was der König über sie bestimmte, Gnade und Befreiung von der Hut oder Tod und Feuersglut. Wie also Hajât en-Nufûs diese Heerscharen sah, von denen sie erfahren hatte, daß sie dem Vater des Prinzen gehörten, fürchtete sie, ihr Geliebter möchte sie vergessen oder durch seinen Vater von ihr abgelenkt werden und ohne sie fortziehen, und dann würde ihr Vater sie töten. Deshalb schickte sie die Sklavin, die bei ihr im Zimmer war, um sie zu bedienen, zu ihm, nachdem sie ihr befohlen hatte: ,Geh zu Ardaschir, dem Sohne des Königs, und sei unbesorgt! Wenn du vor ihn trittst, so küsse den Boden vor ihm und sage ihm, wer du bist, und sprich zu ihm: ,Meine Herrin läßt dich grüßen; wisse, sie ist jetzt im Schloß ihres Vaters in Gewahrsam, und sie wartet, ob er ihr vergeben oder sie hinrichten lassen will. Sie fleht dich an, daß du sie nicht vergißt noch verlässest. Siehe, du bist jetzt allmächtig, und wenn du irgend etwas anordnest, so vermag niemand deinem Befehle zu widersprechen. Wenn es dich also gut dünkt, sie von ihrem Vater zu befreien und sie mit dir zunehmen, so geschähe das aus deiner Güte. Wahrlich, sie hat doch all dies Leid um deinetwillen ertragen. Wenn dich das aber nicht gut dünkt, dieweil dein Verlangen nach ihr zu Ende ist, so sprich mit deinem Vater, dem großmächtigen König, auf daß er für sie bei ihrem Vater Fürsprache einlege und nicht eher fortziehe, als bis er von ihm ihre Freilassung erwirkt und ihm ein bindendes Versprechen abgenommen hat, daß er ihr kein Leid zufügen



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und nicht auf ihren Tod sinnen will. Dies ist ihr letztes Wort: Allah beraube sie deiner nicht - und damit Gott befohlen hier und dort!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 737. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Sklavin, die von Hajâten-Nufûs an Ardaschîr, den Sohn des großmächtigen Königs, gesandt war, zu ihm ging und ihm die Botschaft ihrer Herrin ausrichtete. Doch als er diese Worte aus ihrem Munde vernommen hatte, weinte er bitterlich und sprach zu ihr: ,Wisse, Hajât en-Nufûs ist meine Herrin, und ich bin ihr Knecht und der Gefangene ihrer Liebe. Ich habe nicht vergessen, was zwischen uns gewesen ist, noch auch die Bitterkeit des Trennungstages. So sage ihr denn, nachdem du ihr die Füße geküßt hast, daß ich mit meinem Vater von ihr sprechen will, auf daß er seinen Wesir, der schon früher für mich um sie geworben hat, wiederum aussende, um sie für mich zur Gemahlin zu erbitten; dann werde ihr Vater es nicht abschlagen können. Wenn er dann zu ihr schickt, um sie darüber zu befragen, so möge sie nicht widersprechen; ich werde nicht ohne sie in mein Land ziehen.' Da kehrte die Sklavin zu ihrer Herrin zurück, küßte ihr die Füße und überbrachte ihr seine Botschaft; und als die sie vernahm, weinte sie vor Freuden und und pries Allah den Erhabenen. So stand es um sie.

Wenden wir uns nun wieder zu dem Prinzen zurück! Der blieb in jener Nacht allein mit seinem Vater, und als der König ihn fragte, wie es ihm ergangen und was ihm begegnet sei, erzählte er ihm alle seine Erlebnisse von Anfang bis zu Ende. Da sprach der Vater: ,Was willst du, daß ich für dich tue, mein Sohne Wenn du nach seinem Verderben trachtest, so verwüste



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ich seine Lande, plündere seine Schätze und stürze die Seinen in Schande.' Jener aber entgegnete ihm: ,Das wünsche ich nicht, lieber Vater, denn er hat mir nichts angetan, daß er solches verdiente; ich wünsche nur, mit ihr vereint zu werden. Drum bitte ich dich, du wollest in deiner Huld ein Geschenk ausrüsten und es ihrem Vater senden; das möge ein kostbares Geschenk sein, und du mögest es durch deinen Wesir senden, den Mann des richtigen Urteils.' ,Ich höre und willfahre!' sprach der König und begab sich zu den Schätzen, die er aus vergangenen Zeiten aufgespeichert hatte, holte allerlei kostbare Dinge aus ihnen hervor und zeigte sie seinem Sohne; dem gefielen sie. Dann rief er den Wesir und sandte das alles mit ihm, indem er ihm befahl, diese Schätze dem König 'Abd el-Kâdir zu überbringen und ihn um die Hand seiner Tochter für seinen Sohn zu bitten; er solle ihm sagen: ,Nimm diese Geschenke an und gib ihm eine Antwort.' So brach denn der Wesir auf zum König 'Abd el-Kâdir. Der aber war betrübt seit dem Aufbruch des Prinzen, und sein Sinn war immer sorgenvoll, da er befürchtete, sein Land würde verwüstet und sein Besitz geplündert werden. Doch siehe, da kam der Wesir zu ihm, begrüßte ihn und küßte den Boden vor ihm. Der König sprang auf und empfing den Gesandten mit allen Ehren; aber der warf sich ihm rasch zu Füßen, küßte sie und sprach: ,Vergib, o größter König unserer Zeit, deinesgleichen sollte vor meinesgleichen nicht aufstehen; ich bin der geringste Knecht unter den Dienern. Wisse, o König, der Prinz hat mit seinem Vater gesprochen und hat ihm einiges von deiner Huld und Güte gegen ihn erzählt; dafür dankt dir der König, und er schickt dir durch deinen Diener, der vor dir steht, ein Geschenk. Auch läßt er dich ehrenvoll grüßen und legt dir seine Glückwünsche zu Füßen.' Als 'Abd el-Kâdir solches von ihm hörte, vermochte



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er es im Übermaße seiner Furcht kaum zu glauben, bis die Geschenke kamen. Und wie sie vor ihm ausgebreitet wurden, fand er. daß es Gaben waren, deren Wert nicht mit Geld bezahlt werden konnte und deren gleichen kein König der Welt zu erwerben vermochte; da kam er sich selber gering vor, sprang auf, pries und lobte Allah den Erhabenen und sprach seinen Dank gegen jenen Prinzen aus. Darauf sagte der Wesir zu ihm: ,O edler König, leih meinem Worte dein Ohr und vernimm, daß der großmächtige König hierher gezogen ist, weil er eine Verbindung mit dir wünscht. Und ich bin zu dir gekommen, geführt von dem Wunsche nach deiner Tochter, der wohlbehüteten Herrin mein, dem sorglich bewahrten Edelstein, Hajât en-Nufûs, um sie mit seinem Sohne Ardaschir zu vermählen. Wenn du darin einwilligst und deine Zustimmung gibst, so einige dich mit mir über die Morgengabe.' Kaum hatte 'Abd el-Kâdir diese Worte vernommen, so rief er: ,Ich höre und gehorche! Ich von meiner Seite erhebe keinen Einspruch, und es ist mir das Liebste, was geschehen kann. Doch was die Tochter angeht, so ist sie großjährig und verständig, und ihr Schicksal ruht in ihrer Hand. Wisse also, daß diese Angelegenheit ihre Sache ist und daß sie für sich selbst zu wählen hat.' Dann wandte er sich zu dem Obereunuchen und befahl ihm: ,Geh zu meiner Tochter und mache sie mit diesem Antrag bekannt!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Obereunuch und ging fort, um zum Frauengemach hinaufzusteigen; dort trat er zu der Prinzessin ein, küßte ihr die Hände und tat ihr kund, was der König gesagt hatte; und er fügte hinzu: ,Was für eine Antwort gibst du auf diesen Antrag?' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte sie. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 738.



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Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Prinzessin, als der Obereunuch ihr kundgetan hatte, daß der Sohn des großmächtigen Königs um sie werbe, darauf erwiderte: ,Ich höre und gehorche!' Und wie der Obereunuch diese Worte vernommen hatte, kehrte er zum König zurück und meldete ihm die Antwort. Der war darüber hocherfreut, und er rief alsbald nach einem kostbaren Ehrengewand und legte es dem Wesir um; auch wies er ihm zehntausend Dinare an und sprach zu ihm: ,Bring die Antwort dem König und bitte ilm, mir zu gestatten, daß ich zu ihm komme!' ,Ich höre und gehorche!' sprach der Wesir, begab sich von dem König 'Abd el-Kâdir fort und schritt heimwärts, bis er zum großmächtigen König kam; dem meldete er die Antwort und berichtete ihm alles, was er zu sagen hatte. Darüber war der König erfreut; während der Prinz vor Freuden fast außer sich geriet, und ihm weitete sich die Brust vor lauter Lust. Auch gab der großmächtige König alsbald die Erlaubnis, daß König 'Abd el-Kâdir zu ihm komme, um ihn zu besuchen. So saß der am nächsten Morgen auf und ritt zum großmächtigen König. Der kam ihm entgegen, wies ihm einen hohen Ehrenplatz an und hieß ihn willkommen, und nachdem er neben ihm Platz genommen, stellte sich der Prinz vor die beiden hin. Darauf erhob sich ein Redner von den Vertrauten des Königs 'Abd el-Kâdir und hielt eine beredte Ansprache und wünschte dem Prinzen Glück, daß ihm nun die Erfüllung seines Wunsches zuteil geworden sei, die Vermählung mit der Prinzessin, der Herrin unter den Königstöchtern. Als der Redner sich wieder gesetzt hatte, befahl der großmächtige König, eine Truhe voll von Perlen und Edelsteinen zu bringen und dazu noch fünfzigtausend Dinare. Dann sprach er zum König 'Abd el-Kâdir: ,Wisse, ich bin der



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Sachwalter meines Sohnes in allem, was mit dieser Angelegenheit zusammenhängt.' Da bestätigte der König 'Abd el-Kâdir den Empfang der Morgengabe, darunter auch der fünfzigtausend Dinare für die Feier der Hochzeit seiner Tochter, der Herrin unter den Königstöchtern, Hajât en-Nufûs. Nach alledem holten sie die Kadis und die Zeugen, und nun ward der Ehevertrag aufgesetzt zwischen der Tochter des Königs 'Abd el-Kâdir und dem Sohne des großmächtigen Königs, Ardaschir. Und es war ein denkwürdiger Tag; an ihm gaben alle Freunde sich der Freude hin, doch alle Hasser und Neider ergrimmten in ihrem Sinn. Nachdem die Hochzeitsmahle und die Gelage gefeiert waren, ging der Prinz zu seiner Gemahlin ein, und er fand in ihr eine Maid an Ehren reich, einer undurchbohrten Perle und einem ungebrochenen Füllen gleich, ein Kleinod kostbar und rein, einen wohlbehüteten Edelstein; und das tat er seinem Vater kund. Nun fragte der großmächtige König seinen Sohn, ob er noch irgendeinen Wunsch habe vor der Abreise. Jener antwortete: ,Ja, o König. Wisse, ich möchte Rache nehmen an dem Wesir, der so übel an uns gehandelt hat, und an dem Eunuchen, der uns verleumdet hat.' Da schickte der großmächtige König alsbald zu König 'Abd el-Kâdir, indem er jenen Wesir und den Eunuchen verlangte. Der sandte die beiden zu ihm, und als sie eintrafen, befahl er, sie über dem Stadttor zu hängen. Eine kurze Weile blieben sie noch dort; dann baten sie den König 'Abd el-Kâdir, er möge seiner Tochter gestatten, daß sie sich zur Reise rüste. Nun stattete ihr Vater sie aus, und die Prinzessin ward in eine Sänfte aus rotem Golde geleitet, die mit Perlen und Edelsteinen besetzt war und von edlen Rossen gezogen wurde. Und sie nahm alle ihre Kammerfrauen und Eunuchen mit sich, auch die Amme, die nach ihrer Flucht an ihre Stelle zurückgekehrt war und ihr Amt



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wieder angetreten hatte. Der großmächtige König und sein Sohn saßen auf, und auch König 'Abd el-Kâdir und das Volk seines Reiches bestiegen ihre Rosse, um seinem Eidam und seiner Tochter das Geleit zu geben. Das war ein Tag, wie er zu den schönsten Tagen gerechnet wird. Nachdem sie sich aber eine Strecke weit von der Stadt entfernt hatten, beschwor der großmächtige König seinen Schwäher, in seine Heimat zurückzukehren; und der kehrte nun heim, nachdem er ihn umarmt und auf die Stirn geküßt und ihm für alle seine Huld und Güte gedankt und ihm seine Tochter anempfohlen hatte. Er war nach diesem Abschied von dem großmächtigen König und seinem Sohne auch zu seiner Tochter gegangen und hatte sie umarmt; und sie hatte ihm die Hände geküßt, und beide hatten an der Stätte des Abschieds geweint. So begab er sich wieder in sein Reich, während der Sohn des großmächtigen Königs mit seiner Gemahlin und seinem Vater weiterzog, bis sie ihr Land erreichten; dort feierten sie ihre Hochzeit von neuem. Und sie lebten in lauter Herrlichkeit und Fröhlichkeit, Freude und Glückseligkeit, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und der die Freundesbande zerreißt; der die Schlösser vernichtet und die Gräber errichtet. Und dies ist das Ende der Geschichte.

Ferner wird erzählt


Copyright: arpa, 2015.

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