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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Die Geschichte von den goldenen Pfändern

Da ist einmal ein Mädchen, Arneke, gewesen, das ist zu dem dicken Kulenkröger geraten, der sieben Schuh unter dem Heidberg seine unheimliche Schenke hat. Und es hat ihm die Geschichte von seinen zehn unholden Brautwerbern erzählen müssen. Ehe Arneke indes damit zu Ende war, haben sie und der Schneidergeselle den Wirt selbst betrogen, und zwar — aber ich will von Anfang an beginnen.

Da wohnte also einmal eine hübsche Dirn, Arneke mit Namen, in unserm Land, die hatte nicht Vater, nicht Mutter, nur einen alten Oheim, der sie aufgenommen hatte. Und sie wäre arm und verlassen gewesen, hätte sie nicht einen wackeren Schneidergesellen gekannt, der ihr von Herzen zugetan war. Aber der Bursch hat auf Wanderschaft müssen; er war ja noch jung und sollte sich die Welt ansehen, und Arneke blieb allein.

Als nun wieder eine Zeit vergangen war, ist auch der gute Mann, bei dem das Mädchen wohnte, eines Tages sehr krank geworden; es hat nicht lange gedauert, da hat er den Tod nahen fühlen, Er hat sich aber einer Verwandten erinnert und hat, obschon die als ein böses Weib galt, Arneke zu ihr gehen heißen, weil sie sonst niemand auf der Welt hatte. Immer nach Norden hinauf, mitten durch die große braune Besenheide, müsse sie laufen, hat er ihr anbefohlen.

So hat das Mädchen denn, als die Leute den Oheim begraben hatten, mutterseelenallein aus der Stadt wandern müssen, die Menschen hatten alle genug mit ihren Sorgen zu tun. Aber damit ihr Vertrauter, wenn er heimkehrte, den Weg finden und ihr folgen könnte, hat Arneke alle Zäune und Büsche, an denen sie entlang kam, kreuzweig mit kleinen Nadeln besteckt — die weiß einer vom Schneiderhandwerk leicht zu gewahren. So hat sie halb getröstet ihren Weg gesucht.

Nun ist die Alte, zu der sie geschickt war, ja eine böse Kupplerin gewesen, die sich wohl freute, solch junges Ding bei aufzunehmen, aber



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nichts als Arges mit ihm im Sinn hatte. Schlimm ist es in ihrem Haus zugegangen, vielen unholden Freiern hat das Mädchen die Tür versperren müssen und vor andern sich nur mit List retten können.

Schließlich, als die Jahre der Wanderschaft vorüber waren, ist aber auch der Schneidergeselle, dem Arneke sich versprochen hatte, in die große Stadt heimgekehrt. Als der nun seine Liebste nicht traf und die Nachbarn ihm erzählten, was inzwischen geschehen war, hat er rasch, wie's bei Schneidergesellen geht, Nadel und Faden wieder in den Ranzen gepackt, hat sich zu suchen aufgemacht, und, was glaubt ihr, er hat sich richtig in der großen Besenheide zurechtgefunden, ja bis nahe zur Hütte, in der sein Mädchen wohnte. Aber die arge Hexe hat gewittert, wer da käme, und weil sie ein schlimmes Gewissen hatte, ist sie dem Bursch mit ihren bösen Wünschen entgegengefahren. Und sie hat ihn erkannt, und was eben noch als fröhlicher Handwerksmann auf dem Weg zur Hütte war, hat mit einem Male gefangen als alter Holzbock in der Küche gestanden, gerade zwischen der Hexe und Arneke und zwischen einem Kochtopf, der von selbst brodelte, und einem abscheulichen greisgrauen Kater, der gleich sein Fell an dem neuen Gerät zu reiben begann.

Zur Nacht aber, als die Drut schlief, hat der Zauber wohl ein wenig nachgelassen. -)er Holzbock hat auf seinen drei Beinen zu wandern begonnen, hat sich vor Arnekes Kammertür zu strecken vermocht und so lange leise geklopft und seinen Namen genannt, big das Mädchen ihn hörte und erkannte. Da hat es ihn mit der List, die es der Alten abgelugt, rasch wie: der zum rechten Schneidergesell verwandelt.

Ihr könnt euch denken, in welche Freude die beiden über das Wiedersehen gerieten! Gleich beschlossen sie, sich aus dem Staub zu machen. Das Mädchen hat seinen Besen gerufen und, obschon dem Burschen sehr unheimlich zumute wurde, einen schönen Schimmel daraus zurechtgestrichen. Dann hat es den Liebsten aufsteigen lassen, ist hinterdreingesprungen und hat sich mit ihm auf den Weg begeben.

Im Morgengrauen aber, als über der wehenden Heide schon die Lerchen zu singen begannen, hat mit einem Male aller Wind und alles Lied



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aufgehört; die beiden merkten, daß die Hexe ihnen auf den Fersen war. Da haben dem Schimmel zwei Steine in die Steigbügel geschoben, als seien sie's selbst, und haben ihn weitertraben lassen. Arneke wünschte sich und ihren Liebsten aber flugs in zwei Wacholdersträucher, die am Weg standen.

Die Alte hat sie indes erkannt, und als ein Bauer daherkam, hat sie sich sichtbar gemacht und ihm geraten, die Büsche abzuschlagen, es könnte Gold darunter sein. Rasch hat das ,Mädchen einen Spruch gewußt, die Sträucher sind Flügel geworden, und die zwei Vertrauten sind als Schmetterlinge bis zum Kiegkulenrand geflattert. War aber gleich ein böser Vogel hinter ihnen drein, Arneke hat noch eben den Wassersegen über sich und den Liebsten gewünscht. Kaum waren die beiden nun als Tau ins braune Heidekraut niedergefallen, da ist ein Feuer von Busch zu Busch



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geflogen und hat alles verzehrt; das Mädchen hat sich nicht anders zu helfen gewußt, es ist mit seinem Schatz in eine Schlangenhaut geschlüpft. Gerade zur rechten Zeit haben sie noch ein Loch gefunden und sind rasch niedergeglitten; in der Tiefe hatte die Hexe ja keine Gewalt über sie.

Da unten aber hat auch das Schlangenkleid nicht mehr gegolten, und das Loch ist nichts anderes gewesen als ein Schornstein des alten Unholds, des unterirdischen Kulenkrögers. Die beiden sind also, je tiefer sie fielen, desto mehr wieder zu Menschen geworden und schließlich von oben durch den Schlot geradeswegs zu dem groben Wirt hinabgerutscht und kopfüber und in ihrer richtigen Gestalt in seine böse Schenke gepurzelt.

Nun, dergleichen hatte selbst dieser schlimme Nachbar selten erlebt; er jiepte wie ein Hund vor Zorn und Angst. Aber die Gäste, die bei ihm zum Trinken saßen, ein grauer Fuchs, eine Ohreule, der Marder, der dicke Metier Poggenschluck und viele andre arge Gesellen, haben über die Purzelei und über das verdutzte Schneidergesicht und über das erschrockene Mädchen ein Kiesengelächter begonnen und vor Vergnügen mit den Krügen auf den Tisch getrommelt.

Arneke und ihr Schneidergesell haben sich auch gleich wieder gesammelt, haben sich entschuldigt und eilig davonlaufen wollen. Der riesige Kulenkröger aber war so wild vor Zorn, er ist zur Tür getreten, hat seinen Zeigefinger in das Schlüsselloch gesteckt und das Schloß rasch umgedreht — das vermochte er ja. Dann hat er sein Messer gezogen und geschworen, die beiden Eindringlinge sogleich vom Leben zum Tode zu bringen.

Wie haben sich die zwei erschrocken!

Ob sie ihm nicht erst einen neuen Rock nähen sollten, hat das Mädchen in seiner Angst gebettelt, sie seien Schneidersleute.

)er Kulenkröger sah an seinen Lumpen herab. Ja, einen neuen Rock solle der Mann ihm noch machen, hat er geknurrt, dann gäbe es keine Gnade mehr. Flugs hat der arme Schneidergesell die Nadel aus dem Ränzel geholt. Aber erst müßten sie das Tuch weben, bat das Mädchen. Gui, das Tuch sollten sie auch noch weben, brummte der Kröger ungeduldig, danach sei es aus. Und den Faden müßten sie eben spinnen,



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sagte Arneke, ohne den gehe es ja nun einmal nicht. Da hat der Alte gemerkt, daß es nur auf den Aufschub hinaus sollte, er hat die grünen Ohren hochgestellt und ist mit dem großen Messer schweigend zum Schleifstein getreten. Und hätte der Fuchs nicht verlangt, der Schneider müsse ihm um's Himmels willen erst die Schrotlöcher im Pelz flicken, und hätte die Eule nicht geheult, der Bursch solle ihr vor seinem Tod noch die Halskrause federn, es wäre mit den beiden wohl bald zum Schlimmsten gekommen.

Aber bei solch guten Gästen hat selbst der arge Wirt mit seiner Bosheit warten müssen. Der Schneider hat sich also an den Fuchsrock machen dürfen, und Arneke hatte Zeit für ihre Listen gewonnen. Rasch hat sie den dicken Poggenschluck, das ist ja der Gauch aus der Wassertonne, heimlich gefragt, was sie um Gottes willen tun könne, um alles wiedergutzumachen.

Nun, hat der Alte geantwortet, am besten sei, wenn sie ihnen ein paar schöne Geschichten von ihrem letzten Schatz oder dergleichen bringe, sonst wisse er keinen Rat.

Kaum hörten die Gäste von dem Vorschlag, da haben sie alle zugleich Arneke beigestanden; mit solchem Erzählen kann man die Unholde nämlich am schnellsten gewinnen. Selbst der Kulenkröger ist lüstern geworden. Gut, hat er gesagt und mit beiden Daumen über das Messer gestrichen, solange die Jungfer schöne Geschichten zum besten gäbe, wolle er den Gefangenen das Leben lassen, aber keinen Augenblick länger.

Dann müsse sie auch ein Pfand dafür haben, verlangte Arneke, daß ihr und ihrem Schatz in der Zeit nichts geschähe.

Ja, schrien alle Gäste, das müsse man gewähren.

"Wag wille du denn zum Pfand?" fragte der Kulenkröger böse; es tat ihm leid, daß er etwas zugegeben hatte.

Nun, bei großen Herren gälten große Pfänder, antwortete die Jungfer. Wenn er zum Beispiel sein Ohr oder seine Hand oder den Zeigefinger dem Schneider reichte?

Das war nun ein sonderbares Verlangen, aber an Schätzen ist sonst nicht viel in solch alter Sandkule zu holen. So mußte der Kulenkröger



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nachgeben; es fiel ihm gar nicht mal schwer, die Glieder wachsen bei diesen wässerigen Gesellen nach, er konnte die beiden immer noch um sein Wort betrügen.

Er schielte also zum Schneidergesellen hinüber, um zu sehen, wie weit der mit dem Fuchspelz wäre, und setzte sich zu seiner Bequemlichkeit auf zwei Stühle zugleich.

"Aks!" quiekte er, da hatte der Poggenschluck, der die Geschichten nicht abwarten konnte, ihm schon sein grünes spitzes Ohr wie einen Zwiebelhals abgedreht.

Wächst ja nach, dachte der Kulenkröger.



***
Allso hört zu", begann Arneke dann zu erzählen und sprach von einem jungen Mädchen und einer bösen Muhme, die das arme Ding überallhin zu Dienst verkaufte. "Also hört zu: Eines Tages wurde die Dirn, von der ich rede, einem alten Wichtelmann als Magd versprochen. Der unterirdische Gesell hatte aber eine Füchsin zur Frau und war ein geiziger Bursch, der alles hungern und dursten ließ, was in seinen Wald gelangte. Er schloß auch das arme Mädchen, kaum daß er es in seiner Macht hatte, gleich in einen hohlen Baum ein; sehr dunkel war es darinnen, nur durch einen schmalen Spalt fiel noch ein wenig Licht herein.

"Och", grunzten die Gäste.

"Nun lebte der Unterirdische nicht gerade zum besten mit seiner Frau", fuhr die Erzählerin fort, "und das kam daher, daß der Mann sich ein Volk kleiner Wichte zu Kindern wünschte, die Frau indes nichts als lauter Welpen zur Welt brachte. Nur zu den Mahlzeiten vertrugen die beiden Eheleute sich gut. Die Füchsin hielt auf volle Tafel, viel besser als die unterirdischen Frauen, und der alte Wichtelmann war so sehr auf Leckerbissen bedacht und so gefräßig, daß sein armes Weib die Kinder bei Tisch wegschicken mußte; ihr Vater hätte ihnen am Ende etwas zuleide getan, er konnte keinen neben sich essen sehen.

Nun war es schon auf den Abend gegangen, als die Muhme das Mädchen zu dem Unterirdischen in Dienst gebracht hatte, und es lag dem



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armen Ding auf dem Herzen, daß es einsam und verlassen im Baum wohnen mußte. Während es aber trüben Mutes durch den dünnen Spalt nach draußen blinzelte, kamen wahrhaftig fünf kleine Füchse angelaufen, das waren die Kinder des Wichtelmannes. Sie begannen, ohne von der Horcherin zu wissen, erst rund um die Wurzeln des Baumes zu scharren und zu kratzen und zu spielen, warfen dann in lustigem Eifer rasch und allesamt ihre rotbraunen Pelze ab und sprangen als kleine Unterirdische unter den Fuchsfellen hervor. So tanzten sie, Mädchen und Jungen, durcheinander. Und sie hüpften wie närrisch von einem Bein aufs andere und sangen dazu:

Heemlich in de Schummerstünn
Speelt de Kinner in de Sünn,
Wenn dat Füür uns' Voßfell freet,
Ach, wat weer't uns' Moder leed.

Auf einmal aber schlüpften sie alle wieder in die roten Felle hinein. Der Vater kam vom Abendessen angestapft, und die Füchse taten sehr artig, standen höflich am Weg und schauten zu, wie der Alte spazierenging, immer hin und her, er hatte ja wie meist viel zuviel gegessen und wollte etwas Luft schöpfen.

Das Mädchen aber wußte Bescheid. ,Hör', rief es leise dem Wicht zu, als er am Baum vorüberwanderte, ,wenn du mir versprichst, daß ich wieder von dannen darf, dann verrat' ich dir ein Mittel, aus deinen Kindern lauter kleine Unterirdische zu machen, so wie du einer bist.

"Wenn du das kannst, bekommst du noch ein Goldlack dazu', brummte der Zwerg aufgeregt.

"Bring mir nachher, wenn du allein bist, einen Haselhaken', verlangte das Mädchen.

Das tat der Alte auch bald, er war sehr neugierig und hätte gar zu gern gewußt, was die Gefangene plante. Aber sie verriet kein Wort.

Andern Abends kamen die fünf Welpen wieder und schlüpften noch einmal vor Arnekes Baum aus den Fellen, um, während der Vater beim



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Mahl war, in der Spätsonne zu spielen. Das Mädchen aber schob den Stock durch den Spalt und holte, eing nach dem andern, sorgfältig die roten Röckchen zu herein, sobald die Kleinen sie abgelegt hatten.

Als dann Vater und Mutter nahten, um die Kinder zu besehen —ob, was für einen furchtbaren Schreck kriegte die Füchsin und wie hoch hüpfte der Wichtelmann: da zappelten fünf Unterirdische, anderthalb Schuh groß, im Gras und suchten vergeblich nach ihren Pelzröcken. Der Alte aber packte die Burschen gleich am Kinnbart und die Mädchen am Schopf, jagte die Mutter fort und brachte alle Kinder selbst ins Bett, nur damit sie sich nicht wieder verwuchsen.

Am späten Abend kam der Wichtelmann zu Arneke, horchte nach allen Seiten und öffnete schließlich den Baum. ,Bist du da?' fragte er.

Ja, hier bin ich', flüsterte das Mädchen und verbarg die fünf Fuchs: felle unter der Schürze.

Wie hast du das nur fertiggebracht?' wollte er wissen. ,Werden die Kinder nun auch immer bleiben, wie sie sind?

'Das brauche ich dir nicht zu verraten', entgegnete Arneke. ,Laß mich jetzt frei und denk an das, was du mir versprochen hast.

'Den Unterirdischen reute sein Mersprechen schon. ,Ich will dich morgen freilassen und dir den Lohn bringen', sagte er heimtückisch. ,Ich muß erst sehen, ob meinen Kleinen nicht über Nacht rote Röcke wachsen.

Ich will aber gleich fort antwortete das Mädchen. ,Wenn du dein Sori nicht hältst, sorge ich dafür, daß alle fünf wieder zu roten Füchsen werden.

Da öffnete der Alte ängstlich den Baum, aber er ließ Arneke noch nicht frei. ,Sag mir erst, was ich beginnen soll, damit die Kinder bleiben, wie sie sind.

"Müßtest ein Feuerchen anmachen', kam ihm zur Antwort, ,und keinen Fuchspelz übriglassen.

Das leuchtete dem Alten ein, flink drehte er sich auf einer Hacke, bis es wirklich unser seinem Fuß zu glimmen und zu flackern begann. ,Und wo sind die Socke nun? fragte er mit bösen Blicken.



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Da warf das Mädchen den ersten über den Weg. ,Greif ihn', sagte es, 'sonst hat ihn die Füchsin!'

Der Wichtelmann, der in seiner Angst nicht wußte, was er tun sollte, Arneke festhalten oder das Fell holen, zappelte und hüpfte erbärmlich, aber er mußte die Gefangene wohl auf einen Augenblick freigeben. Ehe er jedoch den ersten Rock verbrannt hatte, zog das Mädchen den zweiten unter der Schürze hervor und schleuderte ihn hoch in die Zweige. Und bis der Alte den geholt und zum Feuer geschleppt hatte, lief sie schon, so rasch sie konnte, von dannen, warf den dritten Rock in die Farne und dann den vierten und fünften in den Erlenbruch oder ich weiß nicht wohin.

Und der Wicht, der vor Wut kreischte und doch immer erst nach den Fuchspelzen haschen und zum Feuer zurückrennen mußte, konnte das Wädchen nicht mehr einholen. Es war längst am Waldrand, ehe er mit seiner Arbeit fertig war.



***
"Das hast du aber fein angefangen, Arneke", sagte der dicke Poggenschluck und rieb sich den Bauch; er konnte die Wichtelleute ja nicht leiden.

"Glaube nur nicht, du dummes Ding", brummte der Kulenkröger, "glaube nur nicht, daß ich darüber lache, wie du die Leute betrügst.

"Gib mir dein andres Ohr zum Pfand, dann erzähle ich weiter.

"Käks!" sagte der Kulenkröger, der Fuchs hatte ihm schon das zweite Ohr abgedreht. "Blutet es?" fragte er noch, um sich wichtig zu machen. Aber es lief nichts als ein bißchen Wasser heraus.



***
Einmal", erzählte Arneke weiter, "einmal war da wieder jemand, der wollte das Mädchen zum Schatz haben. Das war der schlimme Totengräber — ihr wißt, wenn Frau und Kinder die Gräber nicht recht versorgen, erbietet sich wohl solch ein Gesell dazu. Aber er tut bei der Arbeit einen Spruch über die Särge, daß die armen Seelen ihm zum Lohn noch eine Weile dienen müssen.

Dieser Unhold ist nun eines Tages zu Arnekes böser Muhme gegangen und hat ihr viel Geld versprochen, wenn er das Mädchen zur Frau bekäme.



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Nun hatte die Alte es in ihrer Gier ja schon vielen Leuten zugesagt und sich immer ein bares Handgeld ausbedungen. Aber der Friedhofsgräber hat ihr soviel geboten, sie hat der armen Arneke gleich einen Kranz aufgesetzt und ihr befohlen, dem schlimmen Gesellen zu folgen.

Der Gräber hat nun wie ein Bräutigam schöntun und zeigen wollen, was alles sein eigen sei und welche Nacht er hätte. Er hat Arneke deshalb noch abends spät in Haus und Garten umhergeführt; da waren viele Seelen, die für ihn arbeiteten, die Faulen mußten karren, die Geizigen Gold schaben, und den Frömmlern hat ein alter Kirchgeschworener eine Rede ohne Ende gehalten. Die Griesgrame und Schwermütigen aber haben Nacht für Nacht in ihrem Leichenhemd fiedeln und walzen müssen, und sie haben das Mädchen so traurig angeschaut, daß ihm das Herz vor Mitleid geschlagen hat.

Denn wenn auch keines Menschen Leben ohne Fehl bleibt, so greift doch dem lieben Gott vor, wer gleich dem Totengräber über die Verblichenen Gericht halten will.

Als der Unhold nun merkte, daß dem Mädchen seine Gerechtigkeit nicht gefiel, hat er sich von der andern Seite zeigen wollen. Und er hat girrend und lüstern erboten, es zu den Hollentöchtern zu bringen.

Die hausen auf einer Wiese, zu der sonst nur Eingang findet, wen sich die Frauen selbst zur Nacht zum Tanzen holen. Lustig soll es dort zugehen, der Mann tat sich etwas darauf zugute, daß er auch roider den Willen der schönen Mägde im Walde einen geheimen Weg zu ihnen wußte.

Aber während er Arneke noch davon erzählte und sie aus der Friedhofstür führte, hat das Mädchen flink sein Kränzlein zwischen Klinke und Pfosten fallen lassen; da ist ein Spalt offen geblieben, ohne daß der böse Gräber etwas merkte. Und die armen Seelen sind eine nach der andern rasch hinterdreingeschlüpft.

So haben die Toten auch den Pfad zur Hollerwiese gefunden; er führt über drei Stufen im dichtesten Wald, und es heißt, niemand gewinnt ihn,



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der nicht beim erstenmal kreuz und quer über den Spann von vier großen Ziegenpilzen und dann eilig im Kreise um ein altes Ochsenhorn läuft, big es von selbst zu blasen beginnt.

Aber der Friedhofsgräber kannte ja den Pfad, er ist vorangegangen und stand mit dem Mädchen Arneke auf einmal mitten in einem herrlichen singenden Wald. Der war so lieblich, wie ihn die Menschen niemals zu sehen bekommen.

Kleine Feuer hüpften an den Wegen, tausend leuchtende Bienen flogen von Wipfel zu Wipfel, und die Vögel spielten zum Tanze auf, es mußte jedermann in den Knien trillen. Am schönsten aber waren die Hollentöchter selbst, die hier zu dritt als Königinnen herrschten und mit vielen Mägden und Wiedewitten und mit kleinen Moosfrauen gekommen waren, um ihr Reich aufzurichten.

Das Mädchen hat viel zu sehen gekriegt, es hat sich dabei auch um: geschaut und gemerkt, daß die armen Seelen gleich ihm über die Stufen gefolgt waren. Und es wäre in seiner Furcht gern heimgelaufen, aber der Mann hat seine Hand festgehalten und immer nur die Tanzenden an: gestarrt. Darüber haben die Verfolgenden sich nähern können und haben geseufzt und gestaunt. Mit einem Male hat jedoch alles Singen und Pfeifen aufgehört, hat eine rothaarige Frau Hollentochter jäh vor den beiden Gästen gestanden und gefragt, wer sie seien.

Der Mann hat sich gebrüstet, er sei der und der und habe als Nachbar ein Recht, einzutreten — rasch sprach er auch einen Zauber, gegen den die schöne Frau sich nicht wehren konnte. Er hat sich beim Aufsagen seiner Worte jedoch einmal um sich selbst drehen müssen, hat dabei alle armen Seelen warten sehen und ist vor Schreck kaum mit dem Satz zu Ende gekommen.

Die Hollentochter aber hat gemerkt, daß etwas nicht im rechten war, und hat, klug wie sie war, auch die Gäste zu bleiben geladen.

Weil sie indes kein schönes Kleid trugen, hat sie den Seelen rasch den Wuchs der Waldreben geschenkt —blitzschnell haben sich um den argen Friedhofsgräber gewunden, um Halt zu finden. Da ist dem Bösen vor



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seinen eignen Leuten unheimlich zumute geworden, er hat weglaufen und sich wehren wollen; es wuchsen aber so viele Ranken um ihn hin, sie haben ihm Knie und Brust und dann auch Hals und Augen umschlungen und mit den Händen sogar noch in die Baumwipfel gegriffen, nur damit den schlimmen Gesellen nicht wieder loslassen müssten.

So ist es der Hollentochter gelungen, den Prahler einzufangen, ohne ihm etwas anzutun. Er wird wohl heute noch als arme Haut dastehen, wo die Toten ihn angewurzelt haben.

Mit dem Mädchen Arneke aber hat jeder Erbarmen gehabt. Die schöne Zauberin hat es nur einmal mitleidig berührt, das hat sich wie Feuer und Wind angefühlt. Dann ist die Jungfer im Flug über die Brücke und wieder bei den Menschen gewesen.



***
"Das war eine feine Geschichte", sagte der kleine Marder und wollte gerade erzählen, was er von den Waldreben wußte und aus seinem hohlen Baum zu sehen kriegte.

Aber der Kulenwirt kam ihm zuvor. "Was war das für ein dummer Kerl, von dem du da schnackst", hustete er, "hat vergessen die Tür zuzuschlagen! Bei mir kommt so was nicht vor, das sag ich euch. Ihr braucht euch gar keine Hoffnung zu machen.

"Die nächste Geschichte", verlangte der Poggenschluck und schlenkerte schon mit den Beinen vor Vergnügen.

"Ein Pfand", bat Arneke.

Ja, sie muß erst ein Pfand von dir haben, Kulenkröger!"grölten alle.

Knack! sagte es, dann hielt der Dicke dem Wädchen schon seinen linken kleinen Finger hin.

Sorgsam besah Arneke sich das Pfand von allen Seiten, wog es in der Hand und tat es zu den andern Dingen in die Schürze.

"Wag ist denn Besonderes daran?"polterte der Poggenschluck. "Meinst, daß der Finger aus Gold sei?

"Ich weiß, was ich weiß", sagte Arneke geheimnisvoll.



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"Einmal", erzählte sie dann, "einmal brachen drei Drullekerle, das sind schlimme Wildemänner, in einen Hof ein, in dem wohnten zwei Bauern mit ihren Frauen. Und die argen Gäste erschlugen die Männer, taten sich an wie die Toten und überlisteten die armen Weiber. Aber der dritte Drull hat ja keines abbekommen.

Nun hatte gerade zu der Zeit die böse Muhme das Mädchen auch den Unholden zu Dienst angeboten, und weil die um einen Kock verlegen waren, schickten sie nach Arneke. Und die Alte sandte sie hinüber und sagte ihr nur, sie müsse sich unterwegs im Wald vorm Hilsenbusch wahren. Wer da hineingeriete oder auf die Wurzeln träte oder die roten Beeren pflücke oder sich gar ein Zweiglein an den Hut stecke, der könne sich schlimm verbrennen. Aber das Mädchen wußte, die Warnung galt nur für die Hexe und ihr unholdes Volk; den Menschen, die guten Mutes ihres Weges gehen, tut der schöne immergrüne Busch nichts an.

Als Arneke nun so in der Heimlichkeit eines tiefen Waldbruchs wanderte wo an fauligen Erdhügeln und bösem Brandmoos wohl zu erkennen war, daß hier mancher Unhold hatte enden müssen, da hörte sie auf einmal ein hohes jämmerliches Geschrei, und als sie hinzusprang, sah sie gerade noch, daß ein wildernder Hund davonlief, der hatte einen Bau der Unterirdischen aufgegraben. Ein Wichtelkindlein saß da sichtbarlich und greinte vor Schreck; das böse Tier hatte ihm die Kappe abgerissen.

Nun, das Mädchen hob das arme Ding erbarmend auf und kam auf die Weise gleich mit einem kleinen Balg auf den Hof. Aber die Wildemänner, die sie schon erwarteten, lachten über Arneke und ihr Mitleid, und auch der Wicht wollte nicht viel von ihr wissen und verlangte immer nur heim in seinen Busch.

Auf dem Hof hatte die Dirn sich bald umgesehen; sie merkte, daß die Drulle den Bauersfrauen die Augen wie im Schlaf halb zugeschlossen hatten, so daß sie die Toten nicht vermißten und den Wechsel nicht erkannten. Der jüngste der drei Unholde aber tat spitzbübisch freundlich, redete auf Arneke ein und sagte, zum Abend wollten sie alle ein Fest feiern,



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und sie müsse mit ihm tanzen. Darüber geriet das Wädchen sehr in Furcht und sann nach, wie es sich der drei Bösen entledigen könnte.

Es buk deshalb gleich zum Nchmittag ein großes Brot und rieb ein wenig von den Wurzeln des Hilsenbusches ins Mehl; es hoffte ja, die Bäuerinnen würden daraufhin innewerden, wen sie bei sich hätten. Die Unholde merkten den Betrug und schalten furchtbar, weil ihnen der Bissen schon im Munde zu springenden Fröschen wurde. Aber die Verzauberten traumlächelten, so sehr schliefen sie im Wachen.

Arneke wußte jetzt, daß es nicht leicht sein würde, mit den Wildemännern fertig zu werden; sie überlegte hin und her, was zu tun sei, und hatte noch keinen Entschluß gefaßt, als die drei schon schimpfend nach dem Apfelgärten liefen —sie wollten den schlimmen Geschmack der Frösche loswerden.

Nun waren die beiden ältesten aber um der jungen Arneke willen auf den jüngsten



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Bruder neidisch und hielten ihm vor, er wolle die Schönste für sich allein haben. Sie bedrohten ihn sogar und vertrugen sich schließlich nur mühsam mit ihm. Während sie so miteinander redeten, warf das Mädchen heimlich die roten Beeren der Hilsenbüsche in die Apfeläste. Und als die drei die Bäume schüttelten, fielen ihnen lauter Feuerfunken vor die Füße und versengten sie. Da mußten sie schreiend von dannen und merkten, daß sie wieder überlistet waren. Aber sie waren nur um so mehr alle drei hinter der her, die ihnen den Schabernack antat.

Arneke war schier am Verzagen; sie hatte nur noch einige Zweige des Hilsenbusches und wußte kaum, wie sie der schlimmen Brüder ledig werden sollte. Da hörte sie auf einmal den kleinen Unterirdischen in ihrer Kammer wie ein Hündlein winseln. Und als die Räuber sie heimlich und einer nach dem andern fragten, wo sie wohl zum Abend zu treffen wäre, sagte sie listig zu jedem: ,Oh, er, der mich liebhat, soll nur achtgeben! Ich werde ein Zweiglein tragen, das ist hell zu sehen, und wer mein Schatz werden will, mag ein gleiches tun und mir folgen.' Dann brach sie ein Reis des Hilsenbusches in drei Teile und legte jedem ein Teil unter seinen Tisch.

Danach ging sie in ihre Kammer, in der sie den Wicht eingeschlossen hatte, gab ihm zu essen und zu trinken und fragte ihn, ob er nicht bei ihr bleiben möchte. Aber er jammerte nur und wollte, obschon es Nacht wurde, durchaus zu den Seinen zurück. Da nähte sie ihm ein Käpplein, steckte ihm den letzten Hilsenzweig darauf und sagte, der werde ihm leuchten. Und weil er nun einmal nicht zu den Holden noch Irdischen gehörte, knisterte das Holz wirklich bald lichterloh. Dann ließ sie den Knirps laufen, er eilte wie ein Irrwisch und spornstreichs zu seiner Mutter in den Wald zurück.

Kaum hat der älteste der Drullekerle aber das flammende Zweiglein gesehen, hat er schon das seine aufgehoben, so arg es ihn brannte, und ist durch dick und dünn hinterdrein gerannt, durch den Busch und über alle Wurzeln. Er glaubte ja, er sei dem Mädchen auf der Spur. Und als der nächste Wildemann das Feuerlein sah, er auch das Reis in die Hand



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genommen und hinterdrein. Und der jüngste erblickte das Licht gerade, als er vom Nachtmahl aus der Tür trat — er also auf, die Braut sollte keiner vor ihm schnappen.

So sind alle drei Unholde hinter dem flinken kleinen Wichtelmann und geradeswegs in den Busch gelaufen. Und es ist keiner von ihnen wiedergekommen, so elend haben sie sich unter den feindlichen Hilfen verirrt.

Das Mädchen aber hat in Gemächlichkeit die armen Bäuerinnen wecken und danach in seine Hütte heimkehren können. Niemand hat es verfolgt.

"Das läßt sich hören", brummte der Kulenkröger, ihm sind alle Wildemänner über der Erde zuwider. "Aber glaub nur nicht, daß du dich mit solchen Geschichten losreden kannst." Er hob indes gleich die Hand auf und knickte sich den linken Mittelfinger ab — der Ringfinger fehlt ja bei diesen Unholden, sie haben ihre Daumen und danach drei dicke runzelige Stöpsel mit tintenschwarzen Nagelbetten. Nur ihr Zeigefinger ist etwas größer, das kommt davon, daß sie die Türen damit öffnen und schließen.

"Einmal", begann Arneke nun, "einmal hat das Mädchen, wie es so im Wald lief, auch ein Kindsei gefunden —ihr wißt doch, wie es damit zugeht?

Nein, warf der Fuchs ein, das sei gewiß wieder eine neue Heimtücke der Menschen.

"Hört nur: Wenn die jungen Mädchen beim Freien ,ja' zu ihrem Liebsten sagen und dabei einen schlimmen Gedanken haben, dann bringen sie neben einem weißen auch ein dunkles Kindlein zur Welt. Mitunter aber, wenn s nicht arg war, trägt das helle nur so etwas wie ein Krähenei in den Händen. Das muß man rasch austreten, es wächst sonst bald ein Mahrenbalg daraus.

"Gelogen!" brüllte der Poggenschluck.

Doch, solch Kindsei gäb's bestimmt, erwiderte Arneke, und was aus dem geworden sei, das sie gefunden habe, wolle sie gleich erzählen.

Einmal nämlich habe die böse Muhme sie einem blinden Riesen weit draußen hinterm Deich zur Frau geben wollen, obschon sie wußte, daß ihr



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Liebster doch nur auf Wanderschaft war und jeden Tag heimkommen konnte. Das Mädchen hat 's aber daran gemerkt: Als es mit der Alten auf einer ihrer Bettelreisen war, auf einmal wurde es aus jedem Busch und von jedem Hasen mit einem Kränzlein begrüßt. Auch die Kupplerin redete süßlich von reichen Freiern, und Arneke nahm sich vor, die Augen gui offen zu halten.

Endlich kamen die beiden auf ihrem Weg zu einem breiten versumpften Moorgraben, in dem lag ein Boot mit zwei Laternen. Kaum waren sie eingestiegen, ruderte es von selbst und immer schneller und schneller, erst durch die grüne Marsch, dann durchs Wattland und weit, weit, einen halben Tag wohl, über die silberne See.

Danach erreichten sie eine große Insel; ein alter blinder Riese wartete auf die beiden, und das Weib verlangte seinen Sohn. Aber der Riese sagte der Hexe, sie solle im Herbst zurückkommen, erst müsse Hochzeit sein. Dabei hat er über die beiden hinweggelacht, als kennte er die Zauberin und ihre Schliche.

Arneke hat wieder geweint, weil sie nun ganz allein mit dem Großen auf der Jnsel bleiben mußte. Denn wenn er auch ein guter Greisbart war, sie mußte doch immer nur an ihren armen Schneidergesellen denken. Als sie aber nachgrübelte, auf welche Weise sie entschlüpfen könnte, ist ihr das Hexenei eingefallen, und sie hat's nach einem Plan damit versucht.

Ohne ein freundliches oder böses Wort hat Arneke, als sei sie zum Dienst angenommen, begonnen, die Kammer zu kehren, das Vieh zu versorgen und das Gras zu mähen. Aber sie hat dabei das Ei immer unter der Achsel getragen, und eines Tages ist es geschehen, daß die Schale sprang und handgroß ein kleines schwarzes Mahrenkind ausgekrochen ist. Es ist jedoch stumm gewesen, das war ein Glück; denn der alte Riese hatte feine Ohren, es ist ihm fast nichts entgangen, was sich auf der Insel ereignete.

Alls nun der erste Monat ihres Dienstes zu Ende lief, ist der Graukopf zu dem Mädchen gekommen und hat gesagt, daß er mit ihm zufrieden sei. Seinetwegen könnten sie jetzt heiraten.



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Oh, hat es geantwortet, das ginge aber doch nicht so rasch, da müßten sie erst ein schönes Brautbett bauen,

Das hat der Kiese eingesehen, er ist an den Deich getrottet, hat alle Eidervögel, die er von weitem kommen hörte, im Fluge gegriffen und hat das Mädchen mit feinen Fingern die Daunen auszupfen lassen. Viele Wochen hat das gewährt, man kann sich vorstellen, daß solch ein Hünen
herr ein großes Bett verlangt. Währenddessen hat Arneke alles, was sich nur an Milch und Fleisch absparen konnte, dem Drullenkind gegeben — die Art wächst rasch und ist rein unersättlich.

Als das Brautbett nun fertig war; ,Wie ist es mit der Hochzeit? hat der Riese wieder gefragt.

Ja, aber wenn nun Besuch käme, müsse sie doch auch ein Brautkrönlein tragen, hat die Jungfer gesagt, was sollten die Leute sonst denken.

Das hat der Alte eingesehen; er in seine Schmiede gegangen, hat



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selbst mit den Fingern ein Krönlein zurechtgebogen und das Mädchen geheißen, es immer im Mitternachtslicht mit einem feinen Hammer zu klopfen. Da würde es bald leuchten, daß man das Beißen in den Augen kriegte.

Aber es hat wieder viel Zeit gedauert, manche Woche lang, und das Mahrenkind ist fast so groß wie ein Mensch gewesen, als der Riese zum drittenmal kam.

Wie es denn nun mit dem Heiraten sei, hat er wissen wollen.

Ach, meinte Arneke, die Gäste solle er nur schon laden, sie wolle währenddes einen Brautschleier spinnen, der gehöre doch auch dazu, und ihre Muhme habe ihn wohl vergessen.

Das ginge rasch, hat der Riese gesagt; immer wenn die Sonne im Bodennebel schiene, solle sie ein wenig davon zusammenharken, da hätte sie bald das schönste Gespinst, das man sich denken könne.

Da hat Arneke nun wirklich Furcht bekommen, und weil das Mahrenkind inzwischen just so groß wie sie selbst gewachsen war, hat sie's versucht und es in ihren eignen Kleidern eines Tages an des Riesen Tisch gesetzt. Der Schwarzen hat es gut gefallen, sie hat zugelangt wie nur eine.

Der Alte aber hat sich über die Einsilbigkeit seines Mädchens gewundert, wo es doch sonst immer höflich und ihm zu Gefallen geantwortet hatte. ,Das kommt, weil der Brautlauf so nahe ist', hat Arneke geflüstert; sie hatte sich hinter den beiden versteckt.

Endlich ist der Tag angebrochen, auf den die Hochzeit angesetzt war, viel Angst und Sorge hat er gebracht. Die Nacht vorher aber hatte Arneke Kreide gemahlen und davon auf die Zunge genommen, hat sich auch schon des Sorgens heiser geredet und sich als die alte Möhme ausgegeben, die gekommen sei, die Braut zu schmücken. Dann hat sie dem Mahrenkind Krone und Schleier übergeworfen und hat es, wie s bei dem Volk üblich ist, unter des Riesen Händen in die Kammer schlüpfen lassen, um das Fest zu erwarten.

Der Alte hat sich ja sehr auf die Hochzeit gefreut und den Kopf in den Bierbottich gesteckt, so wohl war ihm zumute. Schließlich aber, als die



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Stunde der Gäste schlug, ist ihm das andere heisere Weib lästig geworden, und er hat es los sein wollen.

Als Arneke deshalb alle Kammern gerichtet hatte und es an der Zeit war, das Fährboot auszusenden, hat er ihr, die er die Muhme hielt, einen Beutel Geld gegeben und hat gezeigt, wo der wundersame Kahn versteckt lag. Sie solle nur einsteigen, hat er gedrängt, sie würde schon richtig fahren, und die Gäste seien bestellt, die würden das Boot zurückbringen.

Das hat Arneke sich nicht zweimal raten lassen. Sie hat kaum atmen können, so rasch ist sie über die See gesaust. Und es ist auch an dem gewesen, daß, als sie zum Moorgraben kam, viele unholde Gäste für die Hochzeit bereitstanden und nicht abwarten konnten, an Bord zu springen. Ja, in dem argen Gedränge sind sie nicht gewahr geworden, daß zuletzt noch eine Hexe mitlief, die ihren Lohn holen wollte, und daß Arnecke, die doch im Boot herübergereist war, selbst die Heimfahrt vergaß.

Der alte Riese hat wirklich das Mahrenmädchen geheiratet und ist nicht unzufrieden mit ihm. Es sei nur ein Unglück, meint er, daß seine Frau seit der Hochzeit die Sprache verloren habe.

Die Hexe aber ist ganz still heimgekehrt und hat kein böses Wort zu sagen gewagt, sie hat wohl gefürchtet, daß die Junge ihr über käme. Sie hat es indes nicht lassen können und das Mädchen weiterhin jedermann zugesprochen, der einen guten Hut trug und an die Tür klopfte.



***
"Ist doch ärgerlich, wieviel kluge Leute auf diese dummen Menschen hereinfallen", brummte der Kulenkröger. Er sah drohend den Schneidergesellen an, der ja gar nichts gesagt hatte, und hielt schließlich den linken Daumen hin. Den Zeigefinger sparte er sich bis zuletzt. Schnell renkte das Mädchen ihm das Glied aus — es tat nicht weh, der Dicke kniff nur die Augen etwas zusammen, aber er wollte doch gar zu gern mehr hören. Beide Hände hob er auch an den Kopf, er konnte sonst nicht alle Worte verstehen, die Ohren wuchsen ihm eben erst wieder nach.

"Was besiehst du dir den Finger so lange?" fragte der Poggenschluck



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"Ach seufzte Arneke, "bei so hohen Herren werden die Geschenke oft zu Gold, hab ich gehört." Und sie zog die Stirn geheimnisvoll kraus, daß es den Gästen vor Erwartung heiß und kalt den Rücken entlang lief.



***
"Einmal", fuhr das Mädchen Daun rasch fort, "einmal, als es der Alten schon unheimlich mit Arneke wurde, da versprach sie das arme Ding, nur um seiner ledig zu werden, dem kleinen Wietje Puk, das ist der Knirps oben in der Giebelkammer. Er ist aber ein Junggeselle, der, nachdem er wohl hundert Jahre einsam gehalten hatte, plötzlich aufs Heiraten kam, niemand weiß, warum. Wahrhaftig, eines Tages zog der Puk den roten Rock mit silbernen Knöpfen an, stülpte die bunte Mütze über und erschien wie ein zwei Schuh großer Mensch in der Hexenstube, gerade als die Alte ihren Besen neu band.

'Nachbar? Was führt Ihn hierher?'

Nun, Wiege Puk redete vom Wetter, von den Fledermäusen, er ärgerte sich über die Hummel, die zuhören und über Nacht alles unter der Erde erzählen könnte, und brachte endlich seinen Wunsch vor, ihm das Mädchen zu geben.

Oh, sagte die Zauberin, sie wüßte nicht, was sie lieber täte —so sehr war sie Arnekes leid geworden.

Da wurde Wietje Puk doch vorsichtig. Aber erst solle die Jungfer auf ein paar Probetage zu ihm kommen, bat er, inan müsse einander noch kennenlernen.

Auch das versprach die Alte. Es war nur gut, daß das Mädchen alles gehört hatte, es saß nämlich als Maus unter der Truhe und ärgerte den Kater.

Nun, am nächsten Morgen verlangt die Arge, Arneke solle sich schmücken, und erzählt ihr, sie hätte sie als Magd bei Wietje Puk verdungen Und sie macht das Mädchen gerade so klein, wie es dem Knirps gefallen könnte, und der wartet auch schon in der Tür und drückt ihr den Diensttaler in die Hand.



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Sehr schweigsam geht es bei Wietje Puk zu. Den lieben langen Tag sitzt er, die Beine angezogen, auf seinem Stuhl, sagt kein Sori, schmaucht aus der leeren Pfeife und sieht zufrieden zu, wie das Mädchen die staubige Stube lüftet, den Fußboden blank scheuert und die Pfanne an den Herd rückt. Als sie ihm aber das Essen vorsetzt, hai sie die Kartoffeln kohlschwarz anbrennen lassen; die Kammer ist blau von der verbrutzelten Butter.

Der Alte tut, als schmecke das Essen ihm; er hat sich den langen Tag alles schön ausgedacht und meint, das Kartoffelbraten werde die Braut noch lernen.

Wenn er mit ihr zufrieden sei, dann dürfe sie morgen wohl ihren Freundinnen die neue Dienststelle weisen, fragt Arneke.

Das kann er ihr nicht abschlagen.

Anderntags nun, als Wietje Puk, der gewiß seit hundert Jahren keine Gäste mehr in seiner Kammer gehabt hat, sich gerade zum Mittagsschlaf hinlegen will, geht die Tür auf, und sieben kleine unterirdische Fräulein kommen Hand in Hand hereinspaziert. Sie sind fast außer Atem, selten sind sie so hoch geklettert, und um auch etwas von der vielen Mühe zu haben, tun sie, als wüßten sie ganz und gar nichts von allen Hoffnungen, fangen an, böse Bemerkungen über das braungeräucherte Gesicht des alten Wiege Puk zu machen, und fragen ihn höhnisch nach dem Bräutigam seiner Jungfer-— das solle solch hübscher Junge sein, noch keine zwanzig Jahre. Dann tritt das Mädchen selbst ein und bringt einen riesigen Kaffeetopf — gewiss ist da alles Ersparte von zehn Jahren draufgegangen. Und Kuchen hat die Dirn gebacken — aber Wietje Puk bekommt nur die Stücke mit den rußigen Rändern, und Zucker kriegt er auch nicht in seine Tasse, weil sonst nicht genug die Gäste da wäre. Und immer wieder erkundigen sich die Zwergfräulein nach Arnekes Bräutigam und schnattern und babbeln und zappeln und piepen und summen und jiepen und brummen und reden krumm, was Rechtes ist, und reden gerad, was Schlechtes ist — oh, der alte Wietje Puk hat noch kein einziges Wort vorgebracht, da es Dämm erzen.



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Und die sieben wollen zum Tanz bei den Unterirdischen nicht zu spät kommen, laden das Mädchen Arneke dazu und raten ihm, den künftigen Gatten nur gleich knapp und streng zu halten und ihn in guter Weibsehrfurcht zu erziehen, ihm zumal auch den Bart zu verbieten. Dann sind sie auf einmal alle als kleine Kröten und Fledermäuse und Maikäfer von dannen, und nicht ein Stück Kuchen und kein Tropfen in der Kanne für den Hausherrn zurückgeblieben.

Nun, Wietje Puk will am zweiten Tag nicht gleich Lärm machen, er meint, den dritten wird er ausschlafen können.

Aber was denkt ihr wohl? Ehe er sich in der nächsten Frühe erhoben hat, ist die eifrige Braut schon da, um die Kammer zu kehren. Dabei fällt ihr ein, daß sie sich längst nicht soviel zu bücken brauchte und daß sich alles doppelt gut putzen ließe, wenn sie es eben auf den Kopf stellt. Sie sagt also ihren Spruch:

Ünnen na haben
Un haben na ünnen
Un allens mi to günnen
Un ik as ik sta.

Schwupp, und Arneke bleibt stehen, wo sie steht. Aber der Besen dreht sich in ihrer Hand um. Und Schrank und Fußboden und Bett, alles hat sich auf einmal von unten nach oben gekehrt und hängt kopfüber unter der Decke. Und in allen Schränken klirrt es vom Umdrehen, und der arme Wietje Puk daß sie an den auch nicht gedacht hat —, der arme Wiege Puk liegt überkopf im Bett und zappelt sich vor Schreck die Beine bloß,

Das hat das Mädchen ja nicht gewollt; es hilft ihm zurecht, so gut es geht, aber er muß doch, solange Arneke die Kammer mit Seife und Spülicht schrubbt, und das dauert den halben Tag, immer mit dem Gesicht nach unten im Bett bleiben und behält all die Zeit die Angst, daß der Zauber vielleicht aufhöre und Schränke und Truhe und alle Dinge, die gleich ihm mit Rücken und Füßen an der Decke hängen, auf einmal krachend und durcheinander nach unten fahren.



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Nein, Wiege Puk hat genug von der Jungfernherrschaft in seinem Haus. Aber weil er dem Mädchen wirklich zugetan ist, nimmt er es, als wieder Ordnung geworden, an der Hand und fragt, ob das Fräulein ihn nicht ehrbar zum Mann haben wolle. Er glaubt, wenn sie erst zusammengesprochen seien, habe er zu befehlen und könne sich alles nach seinem Wunsch einrichten.

Nun, das Mädchen sagt weder ja noch nein, es tut, als wolle es sich's noch überlegen. In Wirklichkeit denkt es aber nur an seinen liebsten Schneidergesellen. Und in der Nacht lädt die Jungfer alles, was an häßlichen Unterirdischen die Straße entlang läuft, dazu viele kleine nackte Schnecken, Schlangen und alte braune Kröten zu sich. Damit klopft sie am vierten Tag morgens an die Kammertür. Gerade als Wietje Puk sich voller Erwartung auf seinem Bettrand die Strümpfe anzieht, kommt ihm ein böses Gewimmel, häßliche Zwerglippen, bucklige Stubbenkerle, Eierköpfe, Moosweiber und vielerlei Getier, in die Stube.

Ach, flüstert Arneke und hebt die Schürze bis über die Augen, sie hätte sich überlegt, was der Herr sie gestern gefragt hätte. Und sie wolle nicht nein sagen, aber er dürfe es ihr nicht übelnehmen, wenn sie einige Neffen und Nichten mitbrächte, die bei ihr unterkommen müßten.

Das ist dem alten Wiege Puk nun doch zuviel geworden. ,Hinaus! schreit er, uno der Schweiß tritt ihm auf die Stirn. ,Hinaus!' Er hat vielleicht nur das Ungezücht gemeint, aber Arneke hat es sich nicht zweimal sagen lassen, sie hat sich gleich auf den Hacken umgedreht und ist wie der Wind die Stiege hinabgelaufen. Die Anfechtung hatte sie überwunden.



***
Die Zuhörer lachten schadenfroh, jeder dachte, er hätte es gewiß klüger angefangen als Wietje Puk, und freute sich doch, daß solch hübsches Mädchen noch zu haben war. Ja, sogar der gefangene Schneidergeselle lachte und schielte dem Kulenkröger auf die linke Hand, an der nur der Zeigefinger zu sehen war. Er war ein stinker Bursch, mit dem der Unhold gewiß noch arg zu fechten hatte, ehe er ihm zu Leibe kam. Aber daran dachte der Kulenkerl jetzt nicht, er war so begierig, mehr zu hören, daß er schon



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die rechte Hand hinhielt und kaum merkte, wie das Mädchen seinen Mittelfinger rasch auszog und in seine Schürze tat. "Glaub nur nicht", brummte er, "glaub nur nicht, Arneke, daß deine erlogenen Geschichten mich andern Sinnes machen. Aber einen Finger kannst du noch kriegen, weil wir's nun mal so abgesprochen haben.

Wächst ja alles wieder nach, tröstete er sich.



***
"Einmal", erzählte Arneke weiter, "einmal, als das Mädchen abends nach seinem Vertrauten ausschaute wie jeden Tag, fand es in der Heide den wundertätigen Ring Doafdi, das heißt Tu dich ab', den der Teufel den Himmlischen gestohlen und wieder verloren hat. Es wußte jedoch nicht, was es damit für eine Bewandtnis hatte, und weil gerade der getreue Eckard des Weges kam, zeigte es dem das Wunderstück.

Der kannte es gleich und hätte es gern gehabt, weil man Gutes damit wirken kann. Er mochte es dem Mädchen indes nicht abverlangen. Der Schmuck hakte nämlich einst, auf Kranke gesetzt, alle Seuchen und auch alle Kräuter, die dagegen halfen, im Bilde schauen lassen. Seitdem der Böse ihn führte, war er aber ohne Kraft an jenen, die der Träger des Ringes liebhat.

Herr Eckard zeigte Arneke also die Wunderwirkung, und weil ihm gefiel, versprach er ihr auch, helfen zu kommen, wenn sie einmal in Not wäre. Vielleicht hoffte er, dabei den Ring als Dank zu erhalten.

Nun reisten um die Zeit zuweilen drei Brüder von der fernen Insel Utwunder zu uns, junge Burschen, die eine Hexe zur Mutter hatten. Die Frau wollte aber nicht, daß die Söhne ihrer Schlechtheit gewahr würden, und hatte ihnen deshalb gezeigt, wie sie im Dämmernebel zu Schiff über Wasser und Land zu fahren vermöchten. Da konnte sie während jener Stunden tun und lassen, was sie wollte.

Eines Abends nun, als die Feuchte schon früh aufgestiegen war, wagten sich die Brüder weiter als bisher und kamen auch zum Hüttengarten, in dem Arneke rasch kleine Melden zum Nachtmahl sammelte. Und weil solch junge Dirn in ihrer Einsamkeit noch nicht gesehen hatten, fuhren die



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Burschen geradeswegs auf sie zu; Arneke wurde plötzlich aufgehoben, segelte schon in einem Schiff über die Besenheide hinweg und war, ehe sie sich's versah, weit fort von ihrem Garten.

Die Brüder aber waren nicht schlecht wie ihre Mutter, sie freuten sich, jemand zum Spielen zu haben, taten dem Wädchen zuliebe, was es nur wünschte, und bauten ihm auch eine eigne Hütte auf der Insel, so daß es nicht in der Nähe der bösen Alten zu hausen brauchte und doch mit den Burschen, wenn es Lust hatte, zum Laufen und Jagen gehen konnte.

Es wurde schließlich so, als wären sie immer wie vier Geschwister aufgewachsen; die Jungen hatten keine Freude mehr an ihrem Schiff, fuhren nur noch aus, wenn Arneke etwas fehlte, ein neues Kleid oder ein Paar Schuh, und ließen sich im übrigen recht oft Geschichten von guten Überirdischen, von Wichten und von Wietje Puk erzählen, oder aber sie liefen mit den Graugänsen um die Wette und schlugen die dicken, plumpen Wasserkerle in die Flucht, die, kaum daß eine Menschenfrau gewahr wurden, neugierig aus allen Gräben und Kolken hochkamen.

Schließlich wurde die Sutter der drei des gefangenen Mädchens leid, sie befahl es in ihr Haus, hieß es harte Arbeit tun und gab ihm so viel auf, daß es Tag und Nacht keine Stunde zum Spiel hatte. Arneke war klug und gehorchte, aber auch die Burschen blieben in ihrer Nähe. Da versuchte die Frau, das Mädchen auf andre Weise zu verderben. Sie schlug ihre Söhne mit bösem Verlangen, so daß sie eines Tages nicht mehr wie Brüder zu Arneke waren, sondern wollten, daß sie einen von ihnen zum Liebsten wähle.

Nun hatte die Gefangene sie alle geschwisterlich gern, und, viel mehr noch, es gab ja einen unter den Menschen, dem sie die Treue versprochen hatte. Sie hoffte also von Tag zu Tag, die drei möchten ihren Sinn wieder ändern und mit ihr wie früher spielen. Arneke bat auch oft darum und weinte sogar. Aber die Eifersüchtigen wurden nur um so heftiger und schlugen einander vor ihren Augen.

Da erinnerte das Mädchen sich des Ringes Doafdi, der die Krank heiten von den Menschen nimmt; es drehte ihn am Finger, schaute hinein



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und suchte nach einem Kräutlein, um die Burschen von ihrer Verliebtheit zu heilen. Aber der Ring wußte, Arneke hatte die Brüder gern, er zeigte ihr kein Kräutlein im Spiegel.

Es ging also weiter, wie es war, und wurde von Tag zu Tag schlimmer mit Streik und bösen Worten. Ja, die drei schworen zuletzt, niemanden als Arneke zur Frau haben zu wollen, und bedrängten die Unglückliche, solle wählen, oder sie müsse zusehen, wie sie einander erschlugen.

Da fiel dem Mädchen in seiner großen Not ein, daß, wenn ein Fremder den Ring früge, er gewiß nicht blind bleiben würde. Und als noch einmal wunderschöner warmer Sonnenschein vor Arnekes Hütte und über See und Land kam und gewiß der Gütige nahe war, rief sie Herrn Eckard bei dem Namen, den er ihr gesagt hatte. Es dauerte auch nicht lange, da hob er sich vor ihr aus dem Beerenlaub; Arneke gab ihm den Ring, konnte ihm ihre Sorgen anvertrauen und bat ihn nur, den Burschen nichts Böses anzutun.

So bekam der den Zauberring wieder, der ihn zu aller Susen am besten trägt. Und er schaute hinein und fragte das Mädchen noch einmal, ob es gewiß sein Wille sei, was es da sagte. Er möge so handeln, daß es den drei Burschen und ihr hülfe, antwortete Arneke.

In dem Augenblick hob Herr Eckard jäh seinen Bogen hoch und schoß einen Pfeil über sich steilauf. Eine Krähe fiel, und während sie niederstürzte, fuhr es fauchend daraus in die tiefe Erde. Das Gefieder aber blieb leer liegen, rundum leuchteten drei Blutstropfen, die aus den Brustfedern gesprungen waren.

Als Arneke sich erschrocken umschaute, war Herr Eckard gegangen; die Burschen kamen vorüber und suchten ihre Mutter und sagten, sie hätten alle zugleich gehört, wie sie wie im Schmerz nach ihnen gerufen habe. Da fürchtete das Mädchen, daß die Hexe vielleicht in jener Krähe verborgen war, es wandte sich und versteckte die Flügel rasch unter einem Busch. Die Brüder fragten aber auch, wer die Lilien hätte wachsen lassen. Sie sahen nämlich, daß drei weiße Blumen aus den Blutstropfen aufgegangen waren.



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'Grabt sie nur aus', riet Arneke, ,gewiß ist ein Geheimnis darunter ver- borgen.

Und es ist geschehen, daß aus den Blumen, kaum daß die Wurzeln sich über die Erde hoben, drei Jungfrauen wurden, die waren wie die Spiegel der einen, nach der die Burschen verlangt hatten. Ja, so sehr ähnelten sie Arneke, jeder der Brüder nahm eine von ihnen in den Arm und glaubte, die Rechte zu fangen.

So heilte Herr Eckard die Jünglinge auf der Insel Utwunder; das Mädchen aber zog rasch die Flügel unterm Busch hervor — niemand schaute ja nach ihm —, warf sie über und kehrte eilig heim, um weiter auf seinen wandernden Gesellen zu warten.



***
"Das war eine schöne Geschichte", sagte der Kulenkröger und schluckte. Aber mir scheint, es war dumm von dir, den Ring wegzugeben. Und der Herr Eckard ist ungerecht, das habe ich schon immer gewußt, was muß er solchen Weibsjägern noch hübsche Mädchen besorgen! Da quält unsereins sich zeitlebens um die paar Groschen der Gäste und wird nicht reich und kriegt keine Frau ab, und andre haben alles im Überfluß."Und er bullerte und schlug mit der Hand auf den Tisch.

Schnell begann Arneke wieder, kaum hatte sie Zeit, den rechten Daumen in der Schürze aufzufangen:



***
"Einmal kam sie, von der ich erzähle, auch an einer Weide am Fluß vorüber, der hatte das Wasser viel Erde von den Wurzeln gerissen. Ach, hat die kleine Weidenfrau gebeten, ,ach, Arneke, kannst du mir keine neuen Schuhe verschaffen?

Gern hat das Mädchen das getan und hat die nackten Füße recht warm mit gutem Boden bedeckt. Dabei hat eine Nixische aus dem Wasser nach ihm gerufen. ,Ach", flehte sie, ,komm eben und hilf mir, Arneke!

Warum nicht?' hat die geantwortet, hat die Strümpfe ausgezogen und ist in den Bach gestiegen. Da sah sie, daß die Haare der kleinen Wasser



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jungfer sich im langen Gras verschnirrt hatten; es war gar nicht einfach, sie zu lösen und neu zu kämmen.

Die beiden Fräulein haben dem Mädchen dafür später gut zu danken versucht, und der Anlaß war schlimm genug. Alls Arneke einige Zeit danach nämlich einmal mit dem Kahn über den Fluß ruderte, um drüben Heu die Ziegen zu holen, ist das Boot schwer und schwerer geworden. Und als sie sich umschaute, hat ein dicker Frosch dringesessen, der ist immer größer geworden und hat bald wie ein alter Wassermann ausgesehen. Das Boot ist aber nicht von der Stelle gekommen, soviel Mühe das Mädchen sich auch gab; es war, als hätte es an einer Kette gehangen. Schließlich, als das Wasser bis an den Rand ging, hat der Grüne die erschrockene Arneke blitzschnell an den Lippen und an beiden Seiten des Halses berührt, so daß sie nun nur noch wie ein Fisch atmen konnte, und ist mit ihr auf den Grund des Stromes getaucht.

Er hat da unten aber ein schönes Haus gehabt, viel tiefer als der Fluß war, hat dem armen Gast herrliche Kleider geschenkt und ein Tuch gebracht, damit man die Wunden nicht sähe. Und er hat dem Mädchen gesagt, daß es seine Frau werden müsse, weil die alte Hexe es ihm versprochen hätte.

Als Arneke das nun ganz und gar nicht wollte und nur immer weinte und ihren wirklichen Vertrauten rief, ist der Wasserkerl böse geworden; es gibt ja kein jähzornigeres Volk als seinesgleichen. Und er hat ihr zum Trotz viele Gäste zur kommenden Hochzeit geladen und geschworen, er werde keinen Menschen mehr lebend über den Fluß lassen, wenn das Mädchen ihm nicht zu eigen sein wollte.



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Er hat auch gleich ein Kälbchen, das trinken wollte, herabgezogen. Und als ein Schiffer sich auf seinem Torfewer zur Stadt stakte, hat er dem an Bord wollen. Es hat ihn aber ein schwarzer Pudel angekläfft, der Grüne ist mit einem furchtbaren Schreck wieder zu Wasser gegangen und hat gemeint, er sei an den bösen Verlocker selbst geraten.

Dafür hat er in seinem Hause seine Macht um so mehr fühlen lassen; alles, was ihm an unglücklichen Wesen zu Dienst verfallen war, kleine Nixenmädchen und Milchpantscher, haben es in der Zeit nicht leicht gehabt.

Arneke aber hat ihn nie und nimmer leiden können und sich vor dem Tag der Hochzeit entsetzlich gebangt. Als sie nun selbst keinen Rat mehr wußte, ist sie eines Morgens zu der schönen Weidenfrau geflüchtet, hat die daran erinnert, daß sie ihr einmal die nackten Füße bedeckt hätte, und hat gebeten, sie doch um Gottes willen zu verbergen —sie vermochte es ja, weil sie halb im Wasser stand. Die Weidenfrau hat auch gleich einen hohlen Stamm fest um sich und den Gast geschlossen, dann haben sie lautlos gewartet, ob der Grüne sie zu Abend finden würde. Aber es haben so viele Buschweibchen von der Flucht gewußt und voll Neugier in der Nähe gelauert, daß der Wasserkerl, der bald blitzschnell flußauf und flußab suchte, sich denken konnte, wo die Verlorene war. Er hat schlimm unter der Weide zu wühlen begonnen, das arme Baumfräulein hat die Schwester lassen müssen, er hätte sie sonst beide hinabgezogen.

In der Frühe, als der Unhold schlafen ging, hat Arneke sich zum andernmal davongeschlichen. Sie sah wieder viele gute Wesen am festen Ufer, die alle gern geholfen hätten; aber das Wädchen wagte nicht an Land zu gehen, es konnte ja nur wie ein Fisch atmen. Traurig sprach es mit manchen und warnte alle Menschen, an den Fluß zu kommen. Aber niemand vermochte ihm selbst beizustehen.

Endlich traf Arneke die Nixe, der sie die Haare aus den Gräsern gelöst hatte. Die war inzwischen zu einem großen schneeweißen Mädchen gewachsen und hätte gern vieles für Arneke getan. Alls die Flüchtige ihr nun alles erzählte, schlug das Wasserfräulein vor, es wolle selbst den



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Grünen zu Abend wecken, vielleicht würde er des Wechsels nicht gewahr. Und es zog Arnekes Mütze und Halstuch und ihre schönen Kleider an.

Gerade aber zu der Stunde kamen die Hochzeitsschuhe, und der Unhold verfiel auf den Gedanken, sie der Braut anzupassen. Wie wurde er böse, als erda statt des Fußes nur einen Fischschwanz zu sehen kriegte! Alle Scheiben im Haus zerbrach er vor Wut, flußauf, flußab jagte er, bis er die Flüchtige entdeckt hatte. Der Nixe aber schnitt er zur Strafe die herrlichen langen Haare ab; ach, die Arme hat ein Jahr lang keinen Vertrauten mehr finden können.

Arneke geriet nun wirklich in bittere Not. Die ersten Gäste stellten sich ein; Blubber, der Moorkerl, der Riese Buhmann, der vor Bierdurst schon an allen Bottichen witterte, und viele andre. Auch eine uralte Wasserfrau, grün wie der Bräutigam, ist mit großen hölzernen Kummen und mit einem langen Iaea voll Fischen gekommen; sie sollte das Festmahl bereiten.

Da ist das Mädchen in der Stunde, als es den Wasserkerl zur Hochzeit wecken sollte, noch einmal ans Ufer geschwommen und hat in letzter Verzweiflung die gütige Frau Holle gerufen und sie zur Feier geladen. Die schien ihr jetzt die einzige, die noch helfen konnte.

Lange Zeit hat es gedauert; zuerst haben nur die kleinen Holzweiber auf sie gehorcht, kein Hang und kein Wald hat sich aufgetan. Schließlich aber, als Arneke immer weiter so recht innig bat, ist wirklich eine wunderschöne Frau wie ein letzter Hochzeitsgabe gekommen und ist, ohne Schaden zu nehmen, mit großem Gefolge in den Fluß niedergestiegen; die Flut hat sich vor ihr wie ein gläsernes Tor bis zu des Wassermanns Haus geöffnet.

Der Bräutigam, der schon zur Hochzeitstafel gerufen hatte, ist, als die vornehmen Gäste nahten, noch einmal aufgestanden, hat seinen Bauch in die Hände genommen und einen richtigen Bückling gemacht, ihm schien hohe Verwandtschaft gekommen.

Aber Arneke hat er dabei wunderlicherweise gar nicht angesehen.

Mehr noch, da hat auf einmal eine große Quabbe auf dem Brautstuhl gesessen; der Wasserkerl hat neben ihr Platz genommen, hat sein Liebchen



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genannt und freundlich auf sie eingeredet. Ja, eine Höflichkeit nach der andern hat er ihr erwiesen und hat ihr vor allen Leuten den Kopf an das breite Maul gelegt. Die Gäste haben sich erst die Augen gerieben und haben verwundert nach einer schöneren Braut ausgeblickt. Dann hatten sie's schon eilig, sich an den Speisen gütlich zu tun.

Das Mädchen aber verstand, daß die gute Frau Holle den Unhold mit Blindheit geschlagen hatte, es ist übermütig geworden, hat den Gästen vorgesetzt, was sie zu haben wünschten, und dem Wasserkerl sogar seine Geige geholt, als er der Quabbe und allen Leuten ein Hochzeitslied vorspielen wollte. Aber als Frau Holle und ihre lachenden Jungfern aufstanden, ist sie heimlich mit ihnen davongeschlichen; die schöne Zauberin hat ihr die Wunden am Hals geheilt und den irdischen Atem wiedergegeben.

Dann sind sie rasch über die Besenheide heimgefahren. Als sie vor der Hütte waren, in der das Mädchen wohnen mußte, fragte die gute Frau Holle Arneke, ob sie nicht in ihrem Gefolge bleiben wolle. Die hat indes an ihren wandernden Gesellen denken missen, hat den Kopf geschüttelt und gehofft, er möge ihr so treu bleiben wie sie ihm.



***
"Das war wieder eine schöne Geschichte", sagte der Kulenkröger und seufzte, "und ich glaube, ich muß dir doch das Leben schenken, Arneke, und meine, es wird dir recht sein, wenn du statt eines Sputters von Schneidergesellen mich zum Mann bekommst. Aber wenn du solcherlei mehr er lebt hast, will ich erst alles erfahren, damit ich nicht am Ende doch eine Hexe als Hausfrau kriege.

"Gib mir einen Finger", sagte das Mädchen, "dann erzähle ich weiter.



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Der Kulenkröger bedachte sich einen Augenblick, die Zeigefinger gab er nicht gern, weil er die Tür damit öffnet und schließt, aber er hatte ja noch einen kleinen Finger an der rechten Hand, den bekam das Wädchen.

"Warum seufzt du denn?" fragte er böse.

"Ach", antwortete Arneke listig, "deine Ohren und Finger sind so schwer, gewiß werden sie in der Schürze zu Gold und Edelsteinen." Und sie gab rasch dem Schneidergesellen alles zu tragen.

"Hat man je gehört, daß unsereins zu Gold wird", knurrte der Kulenkröger ein wenig eitel.

"Das hab ich wohl gehört", log das Wädchen, "zu Gold werden die Finger aller guten Geister und die Schweißtropfen zu klaren Edelsteinen. Man sieht's nur unter der Erde nicht und wirft achtlos weg, was Glück für immer bringt.

"Flunkerst du auch nicht, Arneke?" fragten die Gäste, und der Kulenkröger rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her. "Gewiß ist das ein Schwindel", drohte er, "und es wird dir schlecht bekommen, wenn du dich über mich lustig machst!

"Also, wo bin ich stehengeblieben?" fuhr das Mädchen rasch fort, als es den Aufruhr merkte. "Hört zu! Da ist nach dem Schneidergesellen und dem Wasserkerl und dem Kiesen und dem Unterirdischen noch allerhand buntes Volk gekommen und hat um Arnekes Hand gebeten. Selbst Vater Stickelpickel, so heißt der kleine Igel im Garten, hat oft am Weg gestanden und das Mädchen verliebt angesehen, wenn es abends ausging. Aber Hoffnung durfte er wohl bei der schlimmen Muhme nicht hegen.

Eines Tages hat Stickelpickel indes das Glück gehabt, ein Wunschkorn zu finden, so ein winziges goldenes Korn, das alles erfüllt, was man verlangt. Einer der guten Himmlischen wird es verloren haben, die wissen ja oft selbst nicht, welchen Schatz sie bei tragen.

Seitdem er das Wunschkorn entdeckt hatte, gab es für Sticke~ickel kaum noch etwas, was ihm versagt gewesen wäre. Alls allererstes hat er sich, weil seine Fran gerade auf ein paar Tage fort war, gewünscht, daß



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die hübsche Arneke, nicht größer als er selbst, bei ihm bleiben und ihn bedienen müsse. Versteht ihr? Er war ein vorsichtiger Mann, der kleine Igel. Er hat nicht verlangt, daß sie ihn gern haben solle, da hätte die gute Frau Holle, das ist ja die Beschützerin aller Liebenden, die Unordnung bald gespürt, und er wäre schlecht gefahren. Er wünschte sich nur die rechte Bedienung; er dachte wohl auch, eins nach dem andern zu gewinnen.

Als Arneke also an dem Abend aus der Tür trat, auf einmal verwandelte sich vor ihr die ganze Welt, und als sie noch erschrocken die winzig kleine Schürze besah, die ihr so aus dem Nichts gewachsen war, stand Vater Stickelpickel schon in der Stalltür, just so groß wie sie selbst, nickte und wußte noch nicht recht, was er nun weiter verlangen solle. Weil es aber draußen kalt war und er doch gern eine Behausung gehabt hätte, lud er das Fräulein ein: ,Laß uns nur unter die Kuh gehen, da ist es am wärmsten.

Schwupp, saßen die beiden im nächsten Augenblick im Stroh neben der Kuh, das Mädchen hat eine furchtbare Angst bekommen, und das arme Tier, das die Borsten spürte, brüllte vor Schreck und sprang auf.

Ich glaube, Wietje Puka Kammer ist gemütlicher', sagte Stickelpickel deshalb unbedacht, ,ob wir nicht lieber umziehen?' Schwupp, saßen sie auch schon in der Dachstube; es ging dem Igel mit seinem Korn ja alles nach Wunsch.

Nun, der Puk machte Augen über die Gäste. ,Bist du wieder da? schrie er die arme Arneke an, ,und dann mit solch einem Herumtreiber?

Ich kann nichts dafür', wollte das Mädchen sagen, aber den Herumtreiber' ließ Stickelpickel nicht auf sich sitzen. Gleich die Borsten hoch und den Tisch umgestoßen. Der kleine Puk warf ja in seiner Not was er zu fassen kriegte auf den Igel: Brot und Bratkartoffeln und was er sich gerade zum Abendessen zurechtgestellt hatte; an allen Stacheln blieb etwas hängen. Hätte Stickelpickel nicht mitten im Streit den Wunsch gehabt, mit Arneke friedlich im eignen Häuschen zu hocken, er hätte sehr in Verlegenheit kommen können.

Aber kaum hatte Stickelpickel daran gedacht, war Wiege Puka Kammer



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wieder leer, und der Igel saß mit Arneke vor einem alten Heuschober im Abendsonnenschein. Nur die Kartoffeln und die Brotstippen steckten ihm noch auf den gesträubten Spießen. 'Du kannst mich mal sauberputzen', bat er Arneke.

'Womit soll ich dich sauberputzen, lieber Stickelpickel?' fragte das Mädchen traurig, rieb sich die Augen und wußte immer noch nicht recht, was alles mit ihm geschehen war.

Nun, natürlich mit einem goldenen Kamm', sagte Stickelpickel, ,wir sind nämlich jetzt feine Leute und können haben, was wir wollen.

Im nächsten Augenblick hatte das Mädchen auch schon einen goldenen Kamm in der Hand und strich dem Igel das Borstenfell zurecht.

Just da kommt ein dicker grauer Mann vorbei, das ist der Düwel Kattenhorn. Er tut, als sähe er niemand, aber Stickelpickel kennt seinen Erzfeind, faucht leise und macht den Rücken krumm.

'Schau mal an, Freund', knurrt der Böse erstaunt, ,du hast dich ja mächtig verändert.' Er denkt, der goldene Kamm sei aus der Erbschaft, die der Kleine ihm einmal abgewonnen hat. ,Und eine schöne Hausfrau hast du auch?

'Ich habe mit dir nichts zu tun', sagt der wackere Igel, ,und meine Hausfrau ist für drei Tage über Land.'

"Na, na', besänftigt der andre, er hätte gern Stickelpickel im Fang und Arnekes Seele dazu. ,M, na, wir können uns doch mal nach einander erkundigen. Vielleicht kann man auch ein Geschäft machen?

'Schlechte Geschäfte mit dir, Kattenhorn, und schlechte Münze, womit du bezahlst.'

'Schlechte Münze? Wie meinst du das?' fragt der beleidigte Teufel.

Nun, die Leute erzählen sich, daß alles Gold, das du verschenkst, hinterher meist ein Dreck wird.

'Das ist nicht wahr', schreit der Böse. Und weil Arneke lachen muß und Stickelpickel spitzbübisch grinst, fährt er steil in die Erde und kommt gleich schwitzend mit einem roten Klumpen wieder hoch. ,Nun sag mir, was du gegen meine Münze hast!'



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Stickelpickel wünscht rasch ein faules ins Gold hinein. ,Riecht schlecht schilt er und wittert nur eben mit der Nasenspitze.

'Schieres Gold!' schreit der Verlocker und hämmert mit dem roten Huf darauf. Da bricht die Schale in zwei Hälften, und der Düwel macht einen Luftsprung vor Stank und Erstaunen. Stickelpickel aber wendet sich, scharrt nach hinten und kriecht in die Tür, um sich mit Arneke das neue Haus zu besehen.

Am Abend will der Igel zu Tanz gehen. Da ist ein Hagemann gekommen und läßt die Flöte trillern; er braucht nur einmal zu blasen, und die Flöte spielt die ganze Nacht hindurch.

Aber auch Kattenhorn ist als Junker Federbusch dabei.

'Wer von uns beiden wohl am besten pfeifen kann', sagt er zu Stickelpickel, er möchte dem Alten durchaus überkommen.

Wer von uns am besten pfeifen kann, weiß ich nicht', meint der Igel hochfahrend. ,Aber mit dir soll man ja nicht wetten, was du als Einsatz bringst, ist doch alles Betrug!

Da reißt sich der Düwel das goldene Hufeisen von der Hacke. ,Bist du damit zufrieden?' schreit er und weiß, keine Hexerei kann daran rühren;

'Gewiß, damit wäre ich zufrieden!' Und Stickelpickel scharrt einen Topf in die Erde, legt den Preis vor allen Leuten hinein und wünscht heimlich den Hagemann weit fort, aber die schöne Pfeife zwischen die eignen Zähne. Und dann setzt er sich mit Kattenhorn Rücken an Rücken, wie es bei solcher Wette Brauch ist. Viele Tiere sammeln sich im Kreis, um zuzuhören, und Stickelpickel wünscht sich, daß seine Flöte von selbst blase — Umstande macht er sich ja nicht gern.

So beginnen also, der eine die erse und der andre die zweite Stimme. Und der Böse gibt sich gewaltige Mühe; er pfeift so schön, viele Unter: irdische kommen und wiegen sich dazu. Aber schließlich, so gegen Mitternacht, wird sein Spiel doch schwächer, immer öfter muß er Atem holen und das Mundstück putzen und die Finger ausrecken. Und am Ende geht ihm wahrhaftig die Luft aus, er muß sein Hufeisen liegenlassen und fährt, weil er sich sehr schämt, lautlos in die Erde.



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'Na ja', knurrt Sticke~ickel, ,hab ich's nicht immer gesagt, man soll sich nicht mehr vornehmen, als man vermag.' Und er holt das goldene Hufeisen aus dem Topf und klopft des Hagemanns Pfeife ab. ,Komm', erlaubt er Arnecke, ,du kannst nach Hause gehen. Und morgen bist du rechtzeitig zum Dienst da, hörst du? Ich siehe mit Hahn und Hühnern

Nun war Stickelpickel aber vorm Einschlafen wohl doch bedenklich zumute geworden; er fürchtete vielleicht, jemand könnte Kattenhorn von seinem Zauberkorn erzählen. Wie er deshalb zu Haus unterm Heuschober ist, wünscht er sich ein Talglicht, eine Brille und ein dickes Buch über die Schwarze Kunst. Und er studiert die ganze Nacht, wie man sich vorm Düwel sichern könne.

Als in der Frühe der Böse wieder vorbeitrabt und seine Rache kühlen möchte, ist der Igel gerade mit der Arbeit fertig und zeichnet rund um die Hütte lauter kleine Mahrenfüße, die bilden einen Zauberkreis, über den auch Kattenhorn nicht hinweg kann. Aber ein winziges Loch, einen Schuh schmal, hat Stickelpickel heimlich Arneke offengelassen. Der Böse sieht das Loch wohl, doch ehe er zuspringt, bildet er sich in seiner Unersättlichkeit ein, er vermöchte vielleicht gleich zwei Leute zu fangen; er kann sich ja denken, wem die Lücke gilt.

Alls das Mädchen sich zum Dienst einstellt, läuft es erst den ganzen Kreis ab und sucht und weiß nicht, wie es hineinhüpfen soll. Stickelpickel plinkt und plinkt ihm zu, aber es merkt nichts. Da muß er's schon gröber weisen, zündet die Pfeife an und bläst den Rauch zum Loch. Aber er bleibt dabei voll Mißtrauen; es gefällt ihm nicht, daß der Düwel immer noch gierig zuschaut. Er wünscht dem Mädchen deshalb als vorsichtiger Mann kleine umgekehrte Mahrfüße unter die Schuhe, die zeichnen sich in die Erde, wohin es tritt. Und sie zeichnen sich auch just ins Loch, als Arneke hindurchschlüpft.

Der Düwel aber denkt, jetzt hat er beide in der Falle, stößt wie ein Höllenvogel hinter dem Mädchen drein und fällt, plauz, auf den Rücken, so entsetzlich hat ersch anden Mahrfüßen verbrannt. Hätte der gute Igel



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nicht voll Mitleid seinen Pfeifenqualm zur Erholung nach drüben geblasen, er wäre wohl bis zum Abend liegengeblieben.

Dank gewinnt Sticke~ickel nicht dafür, der Böse führt nichts als Rache im Schild. Und weil er dem Kleinen nicht anders beikommen kann, braust er als Dampf durchs Land hin und her, bis er schließlich die Frau Igelin entdeckt, die war ja zur Kindshilfe zu ihrer Schwester gefahren. Gleich verrät er, wen ihr Mann zur Bedienung hat, und weil sie's nicht glauben will, nimmt er sie huckepack, saust mit ihr heim und lädt sie gerade vor dem Mahrenkreis ab; er meint, jetzt müsse der Alte ihn öffnen.

'Das ist fein', sagt Stickelpickel, als er den Besuch sieht, fein, daß du wieder da bist, Mariechen! Na, wieviel Kinderchen sind denn gekommen?

'Willst du mich nicht erst einlassen?' fragt die Frau böse, sie will ins Haus und feststellen, ob es wahr ist, was Kattenhorn ihr zugesteckt hat.

'Geht leider nicht, Mariechen', antwortet der Igel und grinst Düwel an.

'Wieso geht das nicht?' schreit das arme Weib und trippelt außer sich vor dem Kreis auf und ab. .Oh, ich werde ja sehen, warum das nicht geht.

Da bedenkt Stickelpickel, daß es doch besser ist, aus dem Verdacht zu kommen, und weil ihm kein anderes Mittel einfällt, wünscht er rasch dem Mädchen in der Hütte seine leibliche Gestalt wieder zu. Gerade während des Kaffeekochens merkt Arneke auf einmal, daß sie alles besitzt, was sie verloren hat, und springt erstaunt vor die Tür. ,Liebe Frau', bedauert der Igel unterdessen, ,wenn ich dich nur einlassen könnte! Aber ich habe einen Streit mit dem Herrn Verlocker Kattenhorn gehabt.

'Oh', lacht Arneke fröhlich, ,deiner Frau will ich wohl helfen.' Und sie tritt mit dem linken Fuß aus dem Zauberkreis — sie ist ja jetzt wieder Mensch —, hebt Mutter Stickelpickel hoch über ihre rechte und linke Schulter und setzt sie gleich neben ihrem Mann zu Boden.

'Fein, daß deine Frau wieder da ist', sagt sie rasch zu dem Igel und nimmt die Gelegenheit wahr: ,Dann kann ich wohl nach Hause gehen?

Der Alte bedenkt sich und seufzt einmal und noch einmal. Aber es ist ja das beste, sich aus der Sache herauszuwinden; er hat Arneke auch schon



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halb vergessen, nun die da ist, die rechtens zu ihm gehört. ,Gewiß kannst du jetzt nach Haus gehen, Arneke', erlaubt Vater Stickelpickel gnädig und schiebt die Pfeife in die linke Mundecke. ,Ich brauch dich nicht mehr."



***
"Na ja", grunzte der Kulenkröger, das andere kann ich mir denken. Jetzt möchte ich nur noch wissen, was der Kerl weiter mit dem Wunsch: korn angefangen hat und warum unsereins nicht auch einmal so was findet. Aber es war bisher die schönste von all deinen Geschichten, Mädchen, und wenn du dereinst meine Frau bist, mußt du mir jeden Abend so eine erzählen. Was soll ich jetzt zum Pfand geben?

"Du hast ja noch den Zeigefinger", sagte Arneke und griff nach des Kulenkrögers linker Hand, da saß ein Pfand, auf das sie es schon lange abgesehen hatte. Knacks, hatte sie es ihm abgenommen und reichte es ihrem Verlobten hinüber.

"Was soll der Schneider damit?" fragte der Unhold mißtrauisch.

Du weißt doch, deine Pfänder werden mir zu schwer", seufzte Arneke, vielleicht sind sie bei Tageslicht schon halbes Gold.

Da horchten die Gäste auf. "Man könnt's ja mal prüfen", sagte der Fuchs, er wurde gierig, wo soviel von Gold die Rede war.

Gewiß, man müßte sich's im Treppenlicht besehen, riefen jetzt auch die andern Tiere.

Nur der Kulenkröger wollte nicht daran glauben. Arneke solle erst noch erzählen, was aus dem Wunschkorn geworden sei, verlangte er.

"Wart einen Augenblick", erklärte die, "vielleicht hat Stickelpickel meine Schürze heimlich voll Gold gewünscht.

Als sie das nun so sagte, winkte sie rasch ihrem Liebsten zu, und während auch der Kulenkröger neugierig mit seinen beiden Stühlen nachrückte, drängten sich alle Herren um den Schneidergesellen, der ächzend die Schürze zum Treppenlicht schleppte.

Kaum war er da, hatte er aber auch schon den Zeigefinger des Unholds ins Schloß geschoben und die Tür aufgetan. Und ehe ihn jemand halten konnte, ließ er — was gab's für einen Schreck! —ließ er die Schürze mit



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den goldenen und ungoldenen Pfändern fallen; alle Gäste bückten sich danach,, um davon aufzusammeln, und jeder drückte den andern zur Seite. Nur das Mädchen und ihr Liebster kümmerten sich nicht darum und setzten leichtfüßig mit einem Husch darüber hinweg. "Sieh", rief Arneke noch, "da kommt einer, und da gehen zwei!

Es war aber nur der kleine Hase, der just mit den Briefen in die Tür schlüpfte; er hoppelte dem Schneidergesellen und Arneke gerade unter den Füßen durch und wunderte sich, warum alle Leute auf dem Boden herumtappten, und begriff nicht, was sie an dem faulen Zeug, das da lag, verloren hatten.

Auch erschrak er sehr, als der Kulenkröger einmal entsetzlich aufbrüllte und voll Wut vor allen Gästen mit beiden Fäusten auf den Tisch schlug und heulend zur Tür humpelte. Wäre der Kleine nicht rasch hinter die Toonbank geschlüpft, der Alte hätte ihm noch ein Leid angetan. —

Arneke und ihr Vertrauter waren inzwischen längst auf der sicheren Landstraße, und sie haben geküßt und Tränen gelacht, weil der betrogene Kulenkröger so fürchterlich aus der Tiefe hinterdreinbullerte. Dann haben sie eilig von dannen gemacht.

Und hier endet für heute meine Geschichte von der armen klugen Arneke und ihrem Schatz, dem Schneidergesellen. (


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