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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Mumme Mules Wunschtag

Irgendein Tag im Frühling ist dazu ausersehen, daß alle Bettler und Armen ihre gerechten Wünsche aussprechen dürfen. Es der Tag, an dem auch die Unterirdischen, das kleine Volk aus der Tiefe, ein gleiches Recht haben. Und man erzählte sich, daß er um den Maien liegt.

Die Wichielleute wissen natürlich besser als unsereins damit Bescheid. Da war einmal ein sehr kluger Mann unter ihnen, der hatte die Menschen und zumal den alten Landstreicher Prachermann gern und lieg dem Freund sagen, er würde am Tag der gerechten Wünsche nach oben kommen und Weib und Kinder mitbringen, damit sie sich den Irdischen gleich am blauen Himmel ergötzten.

Er hieß also, als es soweit war, seine Frau sich schön machen, ließ sie die sieben Kinder bürsten und klopfen und kleiden, zog eine weiße Hose an, schnitt einen Stecken und kroch wahrhaftig in der Frühe mit den Seinen aus dem Heidberg, um Prachermann zu treffen. Der alte Bettler aber, der ihn erwarten sollte, hat in einem Graben die Zeit verschlafen, und darüber wäre beinahe ein Unglück geschehen, ich muß es euch erzählen!

Als der Unterirdische, Summe Mule hieß er, nämlich so seines Weges geht und den Freund straßauf, straßab vergeblich sucht, bekommt er Durst. kehrt deshalb in einer Wirtschaft ein, hebt, selbst kaum zwei Schuh hoch, Frau und Kind auf die Stühle und will mit dein Wirt ein Gespräch beginnen. Der erstaunt sehr über die neuen Gäste und möchte wissen, ob es an ihnen etwas zu verdienen gibt. Er nickt höflich, zieht die Kappe und fragt, auf wen der Herr warte.

Auf seinen Freund Prachermann, sagt Summe Mule treuherzig.

Nun ist der alte Landstreicher dem Wirt aber sehr wohl bekannt; Prachermann kriegt bei ihm nichts mehr zu trinken, und Mumme Mule hat es, sobald er den Namen nennt, mit dem dicken großen ,Mann ver dorben. Der Kröger wird unfreundlich, er forscht, woher man komme, und erkundigt sich sogar, ob der Gast denn auch zahlen werde, was er bestelle.



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Die Frage erzürnt den Unterirdischen, er will gerade erbost weitergehen, da fängt die Gartenmusik an. Nun haben die Wichte ja zu nichts mehr Stift, als nach unseren Geigen zu tanzen. Krumme Mule tut also einen vergnügten Schleifer, er hebt Frau und Kinder von den Stühlen und will in den Tanzsaal. Es laufen aber nur einige kleine Mädchen herbei und schreien und fassen sich an den Händen und reigen im Kreis um ihn. Die großen Leute kümmern sich gar nicht um den Fremden, nur der dicke Kröger läßt ihn nicht aus den Augen. Da wird Mumme Mule sehr ärgerlich, ihm fällt ein, daß er seinen Wunschtag hat, er zaubert dem Wirt einen doppelten Bauch und allen schreienden Kindern und allen Leuten, die ohne ihn tanzen, eine zwiefache Nase an.

Als der Knirps nun weiter seines Weges stapfte, kam ihm auf der Landstraße ein gelehrter Herr entgegen, der sich auch mit den Seinen im Grünen ergehen wollte und sich über die sonderbare Begegnung sehr verwunderte. Aber er war doch ein höflicher Mann, zog den Hut und fragte den Knirps nach dein Woher und Wohin. Ja, hat Mumme Mule gesagt und hat Vertrauen zu diesem Fremden gefaßt, er gehöre eigentlich zu den Unterirdischen. Er wolle jedoch auch einmal in der Sonne spazierengehen, weil es just ein Festtag der Menschen sei. Die Frauen haben sich währenddes hochmütig angeguckt, und die Kinder haben mit kleinen Steinen nach einander geworfen. Aber der Gelehrte und Mumme Sule haben vom Leben unter und über der Erde ein ernsthaftes Gespräch begonnen. Und Mumme Mule hat beweisen wollen, wieviel schöner und gleichmäßiger und gegen Frost und böses Wetter geschützt man doch in den Höhlen der Tiefe lebe, wieviel klüger überhaupt alles unter der Erde als über der Erde sei. Als er das aber sagte, hat der andere ihm solche Reden verwiesen, er hat zornig erklärt, daß der Mensch das Höchste aller Dinge sei und eine ewige Seele habe.

"Oho", hat Mumme Mule geantwortet, "wir leben solange wir wollen, ist das nicht besser?

Oho, hat der Gelehrte geeifert, die Unterirdischen hätten eben die Sehnsucht nicht, das hätte er gehört, und seinesgleichen sei jetzt schon so weit, hoch durch die Lüfte zu fliegen.



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Ach, hat Mumme gesagt, das sei etwas Uraltes und längst erfunden, der Herr brauche nur einmal über sich zu schauen; das fliege zehnmal besser und von jung an als alles Menschengezücht.

Der Gelehrte hat das Kinn erstaunt nach oben gedreht, hat jedoch nur eine alte Krähe gesehen. Mumme Mule aber hat dem hochmütigen Kopf gewünscht, daß er stehenbliebe, wo er stand. Da hat der weise Herr, den Hals in die Luft gestreckt, seines Wegs laufen müssen.

Mumme Mule hat eigentlich genug von den Menschen gehabt, aber er hatte versprochen, den armen Prachermann zu besuchen. Er ist deshalb weiter die Straße fürbaß geschritten und ist an einen Platz gekommen, da war ein Zirkus aufgeschlagen. Die Leute haben natürlich gemeint, der kleine Mumme Mule und die Seinen gehörten dazu; auch der Besitzer des Zirkus ist der fremden Gäste gewahr geworden, er hat es sich nicht entgehen lassen, solch Volk, an dem er reich werden konnte, mit oder gegen dessen Willen einzufangen. Ja, der arge Kerl ist einfach auf Mumme Mule zugetreten, hat mit festem Griff seine Hand gepackt und gesagt, sie könnten gleich einen Vertrag miteinander machen. Dem Kleinen hat es fast den Altem genommen, weil der Lange so rasch ausschritt, und die Frau und die sieben Kinder haben nicht folgen können. Solche Behandlung hat Mumme Mule nun wieder so gekränkt, er hat dem Fremden im Laufen einen Riesenbuckel angewünscht, nur um etwas zu Atem zu kommen Da ist der Mann mitten auf dem Weg erbärmlich stehengeblieben und hat sich kaum auf den Beinen halten können.

"Frau", hat Mumme Mule erklärt, die Menschen gefallen mir nicht, wir wollen nach Haus.

"Hab ich's dir nicht schon immer gesagt?"hat die geantwortet. "Gehen wir nach Haus!"

Alls der Unterirdische nun seinen Weg durch die Heide trottete und noch allzeit viele Neugierige hinterdrein liefen und doch vorsichtig auswichen, weil es jedermann schlecht bekommen war, mit dem Kleinen zu verhandeln, da ist endlich auch der alte Landstreicher, den Rock zerrissen, einen Stock in der Hand und einen Riesensack auf dem Rücken, zu ihm gestoßen.



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Prachermann hatte schwer zu tragen. Ach, der Arme hatte von den verzauberten Menschen gehört, iver vor ihm die Landstraße gewandert war. Und er hatte begriffen, wie es mit seiner verschlafenen Morgenstunde ausgegangen war. Da hatte ihm das Gewissen geschlagen, und
weil auch ihm an diesem Tag allerhand Wünsche zustanden, hat er sich ein Flickentuch erbeten und alle bösen Dinge, die Mumme Sule eben den Menschen angezaubert hatte, gegen ein kleines Trinkgeld in den Sack auf seinem Rücken gewünscht. Ja, als er nun zuletzt noch den armen Zirkusherrn bettelnd und weinend auf dem Weg stehen sah, hat er vor lauter Mitleid auch dem den Buckel abgenommen, obwohl seine Last davon fast zu schwer geworden ist.



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Dann erst hat Prachermann mit viel Mühe Mumme Mule einholen können, sie haben sich herzlich begrüßt, und der Kleine konnte prahlen, was alles er ausgerichtet. Dabei hat er auch wissen wollen, was der Freund auf dem Kücken trüge. Der Bettler hat gelächelt und einen alten Schlehenstrauch am Weg gerufen. Und er hat alle Dinge, eins nach dem andern, ausgepackt und dem Holz angewünscht. So hat der arme Busch erst einen Bauch gekriegt, danach einen Kopf im Genick und an die hundertzwanzig Nasen, die haben nadelscharf im Stamm gesessen. Endlich hat Prachermann den Buckel hervorgeholt, und Krumme Mule, der erst sehr böse sein wollte, hat über den Busch lachen müssen, so krüppelkrumm hat der ausgesehen. Dann sind Summe Sule und Prachermann und Frau und Kinder in ein schönes Kartoffelfeld gegangen, haben sich noch einmal alles von Anfang bis zu Ende erzählt und haben es sich bequem gemacht und eine warme Stunde in der Sonne liegen wollen.

Daraus ist jedoch nichts geworden. Die Menschen hatten, geschwätzig wie sie sind, die Obrigkeit von den wunderlichen Begebnissen unterrichtet, und die mit Zeugen gekommen, um zu erfahren, wer den Schabernack ausgeheckt hätte. Vor dem bunten Kock aber hatte Prachermann solch entsetzliche Angst, er hat nicht mehr daran gedacht, daß er doch seinen Wunschtag hatte, ihm ist nicht eingefallen, daß ihm der tapfere Summe Sule zur Seite stand, er hat mit einem Schreckensruf den Freund an der Hand gefaßt, hat Reißaus genommen und ist in das erste beste Fuchsloch eingefahren, Mumme Sule, Weib und sieben Kinder hinterdrein.

Und ich muß sagen, ich habe Prachermann big heute nur selten wiedergesehen. Immer geht er im Bogen an mir vorüber, wenn ich ihm einmal begegne, obschon er doch weiß, daß ich ihn gern aushorchen möchte. und vom alten Mumme .Mule, der sonst immer so freundlich mit uns Wen: schen war, habe ich auch seit jenem Maitag kein Wörtlein mehr gehört. Ich will mich morgen abend einmal vor den Fuchsbau legen, vielleicht läßt er sich wieder blicken.


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