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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Die letzte Garbe

Da war einmal ein junger Bauer Hans in unserem Dorf, der ließ, sosehr ihn die anderen neckten, jedes Jahr die letzte Garbe stehen, damit die guten Gewalten ihre Tiere äsen lassen oder auch, damit die kleinen Wichte Brot backen könnten nach Herzenslust.

Viele Jahre hielt er es so. Aber ihm selbst half es wenig; er blieb arm wie zuvor, kein Mädchen wollte in seine braune Kate einziehen. Ja, die Tochter des Fischers am See, die ihm wohl gewogen war und alles mit ihm hätte teilen mögen, durfte ihn nicht einmal ansehen, geschweige denn mit ihm tanzen. Der Fischer war neben dem armen Hans ein großer Herr, und seine sieben schönen Töchter, um die junge Bauern warben, wollte er nur auf sieben Höfen wissen.

Eines Tages nun, als der erste Herbstwind über die Hügel fuhr und eine hübsche Kornmuhme sich die letzte Garbe des Einsamen als Kammer gewählt hatte, kam über das Feld ein sonderbar humpelnder Mann gegangen. Frock war sein Mme; er sah von weitem aus wie einer der Knechte des Verlockers, hatte die Mütze tief in die Stirn gezogen, den Kragen hochgeschlagen und hinkte unter seinem schweren Rucksack, wie Bellhorn und Dullhorn und Kattenhorn und ihre Art es wohl einmal tun. Dieser Frock war aber ein rechtlicher Gesell; er hatte unter dem großen Sommerkönig Fro gedient und war dann doch weiter gewandert, weil es ihn langweilte, alles so leicht zu haben. Jetzt wollte er in der Nähe



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der Garbe warten und hoffte, daß vielleicht des Wilden Jägers Pferd vorüberkäme, so daß er neues Handgeld nehmen könnte.

Als Frock nun die Ähren besah, merkte er, daß da schon ein kleiner Gast einwohnte, und weil er ein Zauberspieler und ein Schelm war, blies er Kornmutter und Garbe in eins zusammen und bewirkte so, daß der Geist leibhaftig wurde und leibhaftig bleiben mußte.

Frock hat sich aber, während er sein Kunststück vollbrachte, selbst in die hübsche Braut aus den Ähren vergafft. Er hat darüber alle guten Vorsätze, den neuen Dienst beim Wohljäger und sogar die Zeit unter Herrn Fco vergessen und hat nur noch daran gedacht, wie er für immer mit dieser schönen Kornfrau zusammenleben könnte.

Das war nun keine leichte Sache. Die beiden mußten nämlich, wollten sie das rechte Glück finden, vorerst einmal unter die Menschen gehen; und ihresgleichen weilen in einer anderen Schicht, die nur wie ein Gleichnis der unserigen ist. Ja, wenn es ihm auf echte beständige Liebe ankam, mußte Frock sich ein verliebtes Paar unter den Irdischen suchen, dem er nachleben konnte. Aber alle guten Leute im Dorf hatten, auch wenn sie es nicht wußten, längst ein verliebtes Paar von den "Anderen" um sich; der Fremde es traurig und forschte vergeblich von Hof zu Hof.

Als er nun so gar nichts Rechtes gefunden hatte, kam er schließlich zu dem armen Bauern zurück, auf dessen Feld er der Kornmutter begegnet war, und hielt um Arbeit an. Er blieb auch zum Abend zu Gast, obschon der Mann sagte, er habe kein Geld, um jemand zum Dienst zu dingen.

Ob er denn alles mit seiner Frau zusammen bestelle? Ach, seufzte der Bauer, eine Frau habe er noch nicht. Während er mit Frock sein Abendbrot teilte, sprachen sie weiter von diesem und dem, und der Knecht erfuhr, wie es um den armen Hans stand, und hörte, daß der Fischer am See zwar sieben Töchter habe, daß er aber auch die siebente, obschon sie den Burschen gern genommen hätte, nur an große Herren geben wollte.

Frock witterte, daß er hier eine gute Gelegenheit hatte, er käme wohl sonst nimmermehr und nirgendwo zu Unterschlupf und Hochzeit. Er ging also zu seinem Bräutlein, erzählte ihm von allem, und die beiden machten



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sich einen Plan. Mit sinkender Sonne suchte der Mann wie von ungefähr die Fischerhütte, hielt sich eine Meile in der Nähe und sah dem Mädchen zu, von dem der Freund gesprochen hatte. Und weil es ihm gefiel, ließ er es einschlummern, stahl die Schlafende und trug sie dem Bauern ins Haus. Als der spätabends von der Arbeit kam und seine Liebste auf der Ofenbank fand, war er so glücklich erschrocken, er wagte nicht, sie zu wecken, und blieb, die Mütze in der Hand, voller Andacht vor ihr stehen.

Frock und Braut, die ihm heimlich zuschauten und vielleicht gehofft hatten, schon die Hochzeit ansagen zu hören, staunten über die Frömmigkeit des armen Jungen vor der Fischertochter. Sie sahen ihm eine Meile und überlegten, was sie wohl tun müssten, um die lange Andacht abzukürzen. Frock wollte das .Mädchen wecken, die Kornfrau aber hielt ihn zurück, sie meinte, die Dirn könnte vor Schani entspringen.

Weil sie aber auch ungeduldig war und ein Ende machen wollte, faßte sie einen anderen Plan. Sie musterte die Schlummernde, nahm ihre Tracht und Gestalt an, ging zum See hinab und zeigte sich, als sei sie die Tochter, dem geizigen Fischer. Der schalt ja sil) an, als sie kam, und fragte, wo sie so lange gesteckt habe.

"Beim Mauern Hans", sagte die )jrn. Da blieb der Vater offenen Mundes stehen, er hatte ihr doch bei Himmel und ,Solle verboten, dem armen Schlucker zu begegnen.

Sie solle zu Bett gehen, er wolle darüber nachdenken, wie er sie zu strafen Häne, drohte der Alte.

Da könne er lange nachdenken, antwortete die sonderbare Tochter, und wenn er sie wieder einmal vermisse, solle er sie nur auf dein Steinfeld oben auf dem Berg suchen, just da, wo ihres Liebsten Kate stünde.

Nun, der Fischer wollte gerade mit Reusenstangen aufs Wasser gehen und Aalnetze auslegen; als er solche Antwort erhielt, lief er, zwei Prügel in beiden Händen, einf die Tochter zu. Aber die leichte nur, huschte leichtfüßig vor ihm her und war doppelt so rasch als der Vater, Menu imitier er nach ihr schlagen zu können meinte, hieb er ins Leere und geriet darüber



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in solchen Zorn, daß er alles Fischen vergaß, nur der Flüchtigen folgte und immer wild vor sich hin fuchtelte. Die Leute wunderten sich sehr über ihn, er war ja der einzige, der die Kornmuhme sah.

Je näher er dabei dem Acker des armen Bauern kam, um so verhetzter wurde ihm zumute. Vögel saßen in allen Bäumen; sie warteten neugierig, was aus Herrn Fros Knecht und der schönen Kornmutter würde, sie wollten sich vielleicht selbst danach richten. Der Dachs und sein Weib liefen dem Zornigen schier über die Füße, so verliebt waren sie zur Unzeit, und die Hirsche röhrten ihren Ruf von den Feldern, daß ihr Altem dampfte. Vielhundert kleine Wesen jagten hin und her, und überall lachte es und lachte über den tobenden Mann.

Der Fischer kam sich zuletzt selbst dumm und töricht vor. Denn als er zur ersten Höhe gelangte, über die man zu des armen Bauern Steinkamp aufstieg, war aller Acker reich bestellt; ihm schien, er dürfe gar nicht viel einwenden gegen solchen Tochtermann. Und als die Kornfrau ihn oben auf den Hügel gelockt hatte, wo vordem doch nur eine arme Hütte und viele Felsen gelegen hatten, sah er einen großen Hof und fruchtbare Felder weithin. Das kam aber davon, daß die schöne Muhme ihm eingab, in zukünftige Zeit zu blicken; sie wollte ja nicht, daß er seiner Tochter Böses antäte, fände er sie bei Hans auf der Ofenbank.

Als der Fischer dann halb zornig ans Haus klopfte, sah er sich in einer großen Halle und wurde zu Tisch geladen. Und weil viele vornehme Gäste warteten, wagte er nicht mehr zu schelten, war vielmehr einverstanden, als er den Bauern Hans und sein Kind beieinander traf — beinahe stolz war er auf den Hof, es schien ihm der beste von allen, in die seine Töchter eingeheiratet hatten.

Was soll ich noch erzählen? Anderntags, als der Mann wieder nüchtern war, konnte er nicht Aufgebot, nicht Hochzeit absagen, er hatte Schon zu viel versprochen. Ihn dünkte es auch nicht mehr so arg mit dem Schwiegersohn. Und er hat recht behalten; denn Frock und die Kornfrau, die nach des Bauern Hochzeit unterm Hügel einzogen, haben dafür gesorgt, daß alles so wurde, wie es der Fischer bei seiner Verfolgung gesehen hatte.



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Auch sie fanden ja erst das Glück, je fröhlicher die Leute auf dem .Hof und über der Erde aufwuchsen.

Die Garbe läßt der Bauer immer noch im Herbst auf dem Feld. Und wenn er nicht genau weiß, wie sich alles zugetragen hat, meint er doch, es sei gut, daran festzuhalten. Glück hätt's ihm gebracht!


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