Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Märchen und Sagen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaëls


Jägerstücklein

Im Münsterlande besaß ein Edelmann weit ausgedehnte Forste, und da begab sich's auf seinem Gute, daß der Förster meuchlings erschossen wurde, und als ein anderer die Stelle bekam, ging es diesem ebenso, und andern, welche folgten, desgleichen. Da mochte endlich niemand mehr in diesem Walde Förster sein, denn die Sache hatte sich in der ganzen Gegend herumgesprochen, und man erzählte sie ganz genau, wie es zugehe mit diesen rätselhaften Ermordungen, nämlich sobald der neue Förster in den Wald trete, knalle in weiter Ferne ein Schuß, ihn aber treffe stets die Kugel mitten in die Stirne, so daß leicht zu ermessen war, daß hier etwas Übernatürliches und grauenhaft Geheimnisvolles im Spiele sein mußte.

Daher blieb der Wald einige Jahre fast ganz ohne Aufsicht, bis sich endlich ein Jäger meldete, der ganz so aussah, als fürchte er weder den Teufel noch seine Großmutter. Der Edelmann sagte ihm aber ganz ehrlich, welche mißliche Bewandtnis es mit der Försterstelle habe und daß er ihm kaum zur Annahme derselben raten könne und dürfe, wie gern er auch seine Waldung wieder in forstlicher Aufsicht habe. Der Weidmann aber sagte, er wolle es darauf wagen, er fürchte sich nicht vor den unsichtbaren Scharfschützen, er könne auch Jägerstücklein und habe für den, der ihm ans Leben wolle, auch eine gewisse Kugel gegossen und im Rohre stecken, und übernahm also die Stelle und den Wald.

Am andern Tage versammelte der Edelmann mehrere Jagdgesellen, den neuen Förster auf seinem ersten Gange in den Wald zu begleiten. Kaum war dieser betreten, so knallte in der Ferne ein Schuß, aber im selben



276 Ludwig Bechstein Märchen Flip arpa

Augenblicke warf der Jäger seinen Hut in die Höhe, und wie der Hut niederfiel und aufgehoben ward, sah man, daß er von einer Kugel gerade da durchbohrt war, wo er auf der Stirne des Jägers aufsaß.

Jetzt komme ich, spricht der Hanswurst", sagte der Jäger, nahm seine Büchse von der Achsel, rief: "Dem Gruß einen Gegengruss!" —und schoß.

Alle wunderten sich, die dabei waren, auf das höchste und folgten dein Jäger tief durch den Wald, big sich an dessen Ende ein Mühlhaus zeigte, aus welchem Klagegeschrei erscholl. Als die Waldgesellen hinzutraten, fanden sie darin den Müller tot — eine Büchsenkugel war ihm mitten durch die Stirne gegangen; er war der jagdzauberkundige Schütze gewesen, der jeden Förster aus der Ferne mit Freikugeln traf, um allein im Walde des Wildstandes Herr zu sein.

Seni Edelmann grauste vor solchen Künsten, wie sem neuer Förster nicht minder übte. Dieser konnte die Feldhühner nach seiner Tasche fliegen lassen, soviel er deren bedurfte. Das Wild bannte er, daß es stehenbleiben mußte, wo er wollte, und völlig schußgerecht. In die unglaublichste Entfernung traf der Jäger stets und sicher. Darum nahm der Edelmann einen schicklichen Vorwand und entließ ihn bald wieder aus seinen Diensten.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt