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Märchen und Sagen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaëls


Die drei Hunde

Ein Schäfer hinterließ seinen beiden Kindern, einem Sohn und einer Tochter, nichts als drei Schafe und ein Häuschen und sprach auf seinem Totenbette: "Teilt euch geschwisterlich darein, daß nicht Hader und Zank zwischen euch entstehe." Als der Schäfer nun gestorben war, fragte der Bruder die Schweter, was sie lieber wolle, die Schafe oder das Häuschen? Und als sie das Häuschen wählte, sagte er: "So nehm' ich die



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Schafe und gehe in die weite Welt: es hat schon mancher sein Glück gefunden, und ich bin ein Sonntagskind." Er ging mit seinem Erbteil fort; das Glück wollte ihm jedoch lang nicht begegnen. Einst saß er recht verdrießlich an einem Kreuzweg, ungewiß, wohin er sich wenden sollte; auf einmal sah er einen Mann neben sich, der hatte drei schwarze Hunde, von denen der eine immer größer war als der andre. "Ei, junger Gesell", sagte der Mann, "Ihr habt da drei schöne Schafe. Wißt Ihr was? Gebt mir die Schafe, ich will Euch meine Hunde dafür geben."Trotz seiner Traurigkeit mußte jener lachen. "Wag soll ich mit Euren Hunden tun?"fragte er. "Meine Schafe ernähren sich selbst, die Hunde aber wollen gefüttert sein. — "Meine Hunde sind von absonderlicher Ark", antwortete der Fremde; "sie ernähren Euch und werden Euer Glück machen. Der kleine da heißt: ,Bring Speisen', der zweite ,Zerreiß'n' und der große starke Brich Stahl und Eisen Der Schäfer ließ sich endlich beschwatzen und gab seine Schafe hin. Um seine Hunde zu prüfen, sprach er: "Bring Speisen! und alsbald lief der eine Hund fort und kam zurück mit einem großen Korb voll der herrlicheren Speisen. Den Schäfer gereuete nun der Tausch nicht; er ließ sich 's wohl sein und zog lange im Sande umher.

Einst begegnete ihm ein Wagen, mit zwei Pferden bespannt und ganz mit schwarzen Decken bekleidet, und auch der Kutscher war schwarz angetan. In dem Wagen saß ein wunderschönes Mädchen in einem schwarzen Gewande, das weinte bitterlich. Die Pferde trabten traurig und langsam und hingen die Köpfe. "Kutscher, was bedeutet das?" fragte der Schäfer. Der Kutscher antwortete unwirsch. Jener aber ließ nicht nach zu fragen, bis der Kutscher erzählte, es hause ein großer Drache in der Gegend, dem habe man, um sich vor seinen Verwüstungen zu sichern, eine Jungfrau als jährliche Abgabe versprechen müssen, die er mik Haut und Haar verschlinge. Das Los entscheide allemal unter den vierzehnjährigen Jungfrauen, und diesmal habe es die Königstochter betroffen. Daher sei der König und das ganze Sand in tiefer Betrübnis, und doch müsse der Drache sein Opfer erhalten. Der Schäfer fühlte Mitleid mit dem schönen jungen Mädchen und folgte dem Wagen, der endlich an



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einem hohen Berge hielt. Die Jungfrau stieg aus und schritt langsam ihrem schrecklichen Schicksal entgegen. Der Kutscher sah, daß der fremde Mann ihr folgen wollte, und warnte ihn; der Schäfer ließ sich jedoch nicht abwendig machen. Als sie die Hälfte des Berges erstiegen hatten, kam vom Gipfel herab ein schreckliches Untier mit einem Schuppenleib, Flügeln und ungeheuren Krallen an den Füßen; aus seinem Rachen loderte ein glühender Feuerstrom, und schon wollte es sich auf seine Beute stürzen, da rief der Schäfer: "Zerreiß'n!", und der zweite Hund stürzte auf den Drachen, biß sich in der Weiche fest und setzte ihm so zu, daß das Ungeheuer endlich niedersank und sein giftiges Leben aushauchte. Der Hund aber fraß ihn völlig auf, daß nichts übrigblieb als ein paar Zähne, die steckte der Schäfer zu sich. Die Königstochter war ganz ohnmächtig vor Schreck und Freude, der Schäfer erweckte sie wieder zum Leben, und nun sank ihrem Retter zu Füßen und bat ihn flehentlich, mit zu ihrem Vater zu kommen, der ihn reich belohnen werde. Der Jüngling antwortete, er wolle sich erst in der Welt umsehen, nach drei Jahren aber wiederkommen. Und bei diesem Entschlusse blieb er. Die Jungfrau setzte sich wieder in den Wagen, und der Schäfer ging eines andern Weges fort.

Der Kutscher aber war auf böse Gedanken gekommen. Als sie über eine Brücke fuhren, unter der ein großer Strom floß, hielt er still, wandte zur Königstochter und sprach: "Euer Retter fort und begehrt Eures Dankes nicht. Es wäre schön von Euch, wenn Ihr einen armen Menschen glücklich machtet. Saget deshalb Eurem Vater, daß ich den Drachen umgebracht habe; wollt Ihr aber das nicht, so werf' ich Euch hier in den Strom, und niemand wird nach Euch fragen, denn es heißt, der Drache habe Euch verschlungen." Die Jungfrau wehklagte und flehte, aber vergeblich; sie mußte endlich schwören, den Kutscher für ihren Retter auszugeben und keiner Seele das Geheimnis zu verraten. So fuhren sie in die Stadt zurück, wo alles außer sich vor Entzücken war; die schwarzen Fahnen wurden von den Türmen genommen und bunte darauf gesteckt, und der König umarmte mit Freudentränen seine Tochter und ihren vermeintlichen Retter. "Du hast nicht nur mein Kind, sondern das ganze



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Land von einer großen Plage errettet sprach er. "Darum es auch billig, daß ich dich belohne. Meine Tochter soll deine Gemahlin werden; da sie aber noch allzu jung ist, so soll die Hochzeit erst in einem Jahre sein." Der Kutscher dankte, ward prächtig gekleidet, zum Edelmanne gemacht und in allen feinen Sitten unterwiesen. Die Königstochter aber erschrak heftig und weinte bitterlich und wagte doch nicht, ihren Schwur zu brechen. Als das Jahr nun um war, konnte sie nichts erreichen als die Frist noch eines Jahres. Auch dies ging zu Ende, und sie warf sich dem Vater zu Füßen und bat um noch ein Jahr, denn sie dachte an das Mersprechen ihres wirklichen Erretters. Der König konnte ihrem Flehen nicht widerstehen und gewährte ihr die Bitte, mit dem Zusatz jedoch, daß dies die letzte Friss sei, die er ihr gestatte. Wie schnell verrann die Zeit! Der Trauungstag war nun festgesetzt, auf den Türmen wehten bunte Fahnen, und das ganze Volk war im Jubel.

An demselben Tage geschah es, daß ein Fremder mit drei Hunden in die Stadt kam. Der fragte nach der Ursache der allgemeinen Freude und erfuhr, daß die Königstochter eben mit dem Manne vermählt werde, der den schrecklichen Drachen erschlagen. Der Fremde schalt diesen Mann einen Betrüger, der sich mit fremden Federn schmückte. Aber er wurde von der Wache ergriffen und in ein enges Gefängnis mit eisernen uren geworfen. Als er nun so auf seinem Strohbündel lag und sein trauriges Geschick überdachte, glaubte er plötzlich draußen das Winseln seiner Hunde zu hören; da dämmerte ein lichter Gedanke in ihm auf. "Brich Stahl und Eisen!" rief er so laut als er konnte, und alsbald sah er die Tatzen seines größten Hundes an dem Gitterfenster, wodurch das Tageslicht spärlich in seine Zelle fiel. Das Gitter brach, und der Hund sprang in die Zelle und zerbiß die Ketten, mit denen sein geir gefesselt war, darauf sprang er wieder hinaus, und sein Herr folgte ihm. Nun war er zwar frei, aber der Gedanke schmerzte ihn sehr, daß ein anderer seinen Sohn ernten sollte. Er rief seinen Hund an: "Bring Speisen!" Bald darauf kam der Hund mit einem Tuch voll köstlicher Speisen zurück; in das weiße Tuch war eine Königskrone gestickt.



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Der König hakte eben mit seinem ganzen Hofstaat an der Tafel gesessen, ala der Hund erschien und der bräutlichen Jungfrau bittend die Hand leckte. Mit freudigem Schreck hatte sie den Hund erkannt und ihm selbst Wein und Braten gegeben. Sie bat den Vater um einige Worte und vertraute ihm das ganze Geheimnis. Der König sandte einen Boten dem Hunde nach und ließ den Fremden holen. Der König führte ihn an der Hand in den Saal; der ehemalige Kutscher erblaßte bei seinem Anblick und bat kniend um Gnade. Die Königstochter erkannte den Fremdling als ihren Retter, der sich auch durch die Drachenzähne, die er noch bei sich trug, auswies. Der Kutscher ward in einen tiefen Keller geworfen, und der Schäfer nahm seine Stelle an der



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Seite der Königstochter ein. Diesmal bat sie nicht um Aufschub der Trauung.

Das junge Ehepaar lebte schon eine geraume Zeit in wonnigem Glück, da gedachte der ehemalige Schäfer seiner armen Schwester und sprach den Wunsch aus, ihr sein Glück mitzuteilen. Er sandte einen Wagen fort, sie zu holen, und es dauerte nicht lange, so lag sie an der Brust ihres Bruders. begann einer der Hunde zu sprechen und sagte: "Unsere Zeit ist nun um; du bedarfst unser nicht mehr. Wir blieben nur so lange bei dir, um zu sehen, ob du auch im Glücke deine Schwester nicht vergessen würdest." Darauf verwandelten sich die Hunde in drei Vögel und verschwanden in den Lüften.


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