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Kapitel 

AN NACHTFEUERN DER KARAWAN-SERAIL


MÄRCHEN UND GESCHICHTEN ALTTÜRKISCHER NOMADEN


erzählt von

ELSA SOPHIA VON KAMPHOEVENER

Erste Folge

CHRISTIAN WEGNER VERLAG HAMBURG



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BUCHAUSSTATTUNG: HANS HERMANN HAGEDORN


Das Bazilikonmädchen

Bazilikon, nicht wahr, das weiß ein jeder, ist eine kleine grüne Pflanze, die überall bei uns zum Würzen verwendet wird. Woher sie ihren königlichen Namen hat, das weiß niemand, denn Wassilikon heißt zu Griechisch königlich. Sei dem, wie ihm wolle, im Garten der Frau, die auf dem großen Grundstück zusammen mit ihrer Tochter eine Gärtnerei betrieb, wuchs das Bazilikon in verschwenderischer Fülle und war der Obhut und Pflege der Tochter allein anvertraut. Wer immer in der Nachbarschaft das würzige Kraut brauchte, wandte sich an das Bazilikonmädchen, dessen eigener Name ganz vom würzigen Duft des kleinen Krautes überdeckt worden war. Das Bazilikon hatte sie nahe einer Hecke gepflanzt, welche das große Gartengrundstück von einem ebenso weitläufigen trennte, das einem reichen Bey gehörte, aber nur zum Schmuck und zur Erfreunis des müßigen Besitzers diente.

Wie es nun geht mit denen, die um des Müßigganges willen zu leben scheinen, sie kommen auf törichte Gedanken. So war es auch hier. Der Bey, der hinter der Hecke den verschleierten Kopf des Mädchens auftauchen und wieder verschwinden sah (denn es versteht sich, daß das Bazilikonmädchen, mochte die Hitze auch noch so groß sein, verschleiert in ihren Bazilikonbeeten arbeiten mußte), der Bey also schlenderte an dieser



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Hecke entlang und rief halblaut einiges. Er sagte wieder und wieder das gleiche: »Bazilikonmädchen, Bazilikonmädchen, wann darf ich deine Wange küssen?« Nun ist es mit solcher Frage ein eigenes Ding - kann man auf sie eine Antwort geben? Kann man etwa sagen: »Am Dienstag um dreieinhalb« oder auch: »Am Freitag um Viertel nach zehn« —kann man das? Und wenn ein junger Mann da wie ein Hahn auf und ab schreitet, immer versuchend, die Hecke zu überblicken, die aber zu hoch für seine Körpergröße geriet . . . wenn er aber außerdem nichts unternimmt, nur immer nach dem für einen Wangenkuß passenden Zeitpunkt fragt, ist es da nicht verständlich, wenn dem Mädchen auf der anderen Seite der Hecke die stumme Wut aufsteigt? Schweigend bückte das Bazilikonmädchen ihren verschleierten Kopf über ihre Pflanzen, tat, als höre und sähe sie nichts, und in ihr kochte es vor verächtlichem Zorn. »Du Tor du, du großer, schöner, dummer Narr, was fragst du so albern und tust nichts? Bist du ein Mann, oder siehst du nur so aus? Und weißt du dir nichts Besseres als einen Wangenkuß?«

Es ist ja selbstverständlich, daß sie wußte, wie er aussah, denn wenn es eine Hecke gibt und auf der einen Seite ist ein Mann, auf der anderen ein Mädchen, so hat diese Hecke ein Loch, das gute Sicht gewährt. Fragt sich nur, auf welcher Seite sich das Loch befindet, danach kann dann alles Weitere gefolgert werden. Bei dieser Bazilikonhecke nun befand sich das sorgfältig hergestellte Loch, das eine ausgezeichnete Sicht gewährte, auf der Seite des Mädchens, wie auch aller Witz und aller Scharfsinn auf ihrer Seite zu suchen war.

Der Bey, wir wissen es schon, war ein schöner Jüngling, und, wie es meist bei der Schönheit der Fall ist: sie wird allein verschenkt, nicht zugleich mit Geist und Klugheit. Doch auch ihm wurde die Sache mit dem geforderten



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Wangenkuß mit der Zeit langweilig, und als sein Diener Achmed ihn eines Abends, während er ihm den Rücken nach dem Bade rieb, bemerkte: »Herr, ich höre dich immer das Bazilikonmädchen um einen Wangenkuß fragen, willst du in dieser Sache nicht einmal etwas tun, wenn dir wirklich daran liegt?«, da gab der Bey ganz aufgeregt zur Antwort: »Aman, Achmed, was kann man denn tun, wenn ein Mädchen niemals antwortet?«

Da Achmed hinter seines Herrn Rücken arbeitete, konnte der Bey das mitleidige Lächeln auf dieses klugen Mannes Gesicht nicht sehen, denn wie viele dumme und gutmütige Jünglinge wußte er nichts davon, wie sehr die Klugen sie mißachten und bemitleiden. »Herr«, sagte Achmed, »wenn du wirklich dem Bazilikonmädchen einen Wangenkuß geben willst, so wird sich das ohne Schwierigkeiten machen lassen. Du mußt nur gestatten, daß ich dich nach Art eines einfachen Fischers kleide, dir einen Fischkorb mit einem großen schönen Fisch verschaffe, und alles ist schon getan.«

Ein letztes festes Reiben des Rückens, und Achmed sah lächelnd in das erstaunte Gesicht des schönen Jünglings. Es machte ihm immer wieder Spaß, diesen Ausdruck erstaunter Bewunderung in den Zügen des Beys zu finden, wenn er mit einem seiner Vorschläge herauskam. »Fischer? Ein Fischkorb? Ich verstehe das gar nicht, Achmed, mein Lieber. Willst du es mir nicht erklären?« »Gewiß, Herr, das will ich. Sieh, es ist so: Du gehst mit diesem Fischkorb herum und rufst vor dem Haus der Gärtnersfrau, auf der anderen Straßenseite, du habest einen herrlichen Fisch billig zu verkaufen. Man wird dich hereinrufen und dich um den Preis fragen, und dann nennst du eben den Wangenkuß als Preis. Kannst du mich verstehen, Herr?«

Der Bey brach in helle Begeisterung aus, erklärte seinen



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Diener für die höchste Spitze aller Klugheit und war bereit, das Abenteuer schon am nächsten Tage anzugehen. Mit vielerlei Späßen wurde er dann auch in die von Achmed beschaffle Fischerkleidung gesteckt und ihm der Korb mit dem Prachtstück von Fisch unter den Arm gegeben. »Achte darauf, Herr, daß du nur vor dem Haus der Gärtnerin rufst, sonst ist alles umsonst«, das war die letzte Ermahnung, und dann zog der Bey davon, nachdem Achmed noch feststellte, daß das Mädchen nicht an der Hecke, also wohl daheim sei. Der Bey handelte getreu nach des Dieners Anweisung; er begann erst vor dem Hause der Gärtnerin zu rufen, er habe einen schönen Fisch billig zu verkaufen, und sah diese fleißige und treffliche Frau dann auch vor die Tür treten.

»Zeig deinen Fisch, du Fischer«, sagte sie und konnte den Bey, den sie niemals nahe gesehen hatte, auch deshalb nicht erkennen, weil er die Mütze der Fischer aus Cypern trug, die flach ist und einen langen breiten Zipfel hat, den die Fischer gegen die Blendung der Meeresoberfläche sich vor die Augen legen - auch dieses ein Zeichen von Achmeds Klugheit. Der Bey trat stumm und verlegen ein, schlug wortlos die verhüllende Decke von seinem Fischkorb zurück und zeigte die Pracht des herrlichen Tieres, das sie beide starr anglotzte. Die Gärtnersfrau war von dem Anblick des seltenen Fisches so stark beeindruckt, daß sie alle Vorsicht vergaß und die angebotene Ware zu loben begann.

»Und was verlangst du für das Stück Fisch? Was nennst du billig? Kann man jemals einem Händler trauen, der so spricht?« »Ich will kein Geld, Hanoum. Ich will etwas anderes«, sagte so ungeschickt wie möglich der Bey. »Ha, du Elender, hast du den Fisch vielleicht gar gestohlen und willst nun deshalb kein Geld? Rede, Feigling!«



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Niemals noch hatte irgend jemand so mit dem Bey gesprochen, und er bekam heftige Angst vor der Frau, die zu überlisten er gekommen war. Aber die Gärtnerin, die seit langem sich ihr Leben selbst verdiente, war es gewohnt, ihre Meinung zu sagen, und sprach noch ein Weilchen in ähnlich lebhafter Art weiter. Von den lauten Worten angezogen, war die Tochter lautlos herbeigekommen und stand nun hinter dem Vorhang, der den Vorraum abschloß, spähte neugierig hindurch. Beinahe wäre ihr ein Schrei entschlüpft, als sie das schöne verlegene junge Gesicht des Beys erkannte, und sie verhielt sich mäuschenstill, um keines seiner Worte und keine seiner Bewegungen außer acht zu lassen. In ihr jubelte es, denn sie glaubte ihn nun doch verkannt zu haben, als sie ihn für einen Toren hielt. War er so listig, dieses hier zu wagen, wer weiß, was dann noch folgen konnte?

Der Bey, nahezu erstickt unter der Flut von Beschimpfungen, faßte sich urplötzlich ein Herz und schrie heraus, entschlossen, die Gärtnersfrau zu übertönen: »Hanoum, so höre mich endlich, ich beschwöre dich! Ich stahl den Fisch nicht, aber ich verkaufe ihn dir nur um einen Kuß deiner Tochter!« Vor seinem eigenen Mut erschrak er, als er das gesagt hatte, und sah die Frau unter dem Mützenzipfel hervor besorgt an. Es war aber auch, um Sorge zu haben, denn nun rückte sie erst richtig ins Gefecht und sagte alles, was sie einem unverschämten, einem elenden, einem ganz frechen Lump von Fischer mitzuteilen hatte. Der Bey aber wartete gespannt auf den Augenblick, in dem sie Luft holen mußte zwischen zwei Großgefechten, und rief: »Nur ein Kuß auf die Wange, und ich rühre sie nicht weiter an!«

Da war die Redeflut wie auf ein Zauberwort hin gedämmt. Die Frau sah den Jüngling an und dann den Fisch, und es war wirklich ein sehr schöner Fisch . .



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billig, nun ja . . . man würde aufpassen. »Du wirst die Hände auf dem Rücken halten?« Der Bey strahlte auf. »Ich werde sie fest auf dem Rücken halten.« Die Frau sagte streng: »Du wirst nur die Wange küssen, nur diese?« Der Bey beteuerte: »Nur diese und nur die eine.« Noch ein Blick auf den Fisch, der unbewegt glotzend den Blick wiedergab, während die Frau berechnete, wie viele und wie geartete Mahlzeiten damit herzustellen wären. Ja, es war billig, wirklich billig! Laut und durchdringend erhob sich dann ihre Stimme, nach der Tochter rufend.

Das Bazilikonmädchen hatte sich nur mühsam hinter ihrem Vorhang des Lachens enthalten können beim Anblick des beschimpften Bey. Als sie dann das Zaudern der Mutter bemerkte, war sie lautlos und hastig davongeeilt, um aus einem entfernten Raume des weitläufigen Hauses dem Ruf der Mutter Antwort geben zu können und sich auch hastig den Schleier überzuwerfen. Dann kam sie, die Ahnungslosigkeit in eigener Gestalt, daher, sagte, ganz gehorsame Tochter: »Du hast gerufen, Mutter?« Der Bey, der das Mädchen noch niemals außerhalb der schützenden Hecke erblickt hatte, war betroffen von ihrer Schönheit. Die schlanke Gestalt, die stolze Haltung, die weiche Stimme . . . Maschallah, welch ein Mädchen! Und er würde ihre Wange küssen infolge dieser seiner mutigen Tat. So voll Bewunderung seines eigenen Tuns war er, daß er kaum auf die Unterhaltung zwischen Mutter und Tochter achtete, was bedauerlich schien, da sie immerhin bemerkenswert blieb.

»Ich rief dich, meine Tochter«, sagte die Gärtnerin, »um dich zu fragen, wie du diesen Fisch findest?« Das Mädchen ließ sich nichts anmerken, betrachtete den Fisch prüfend und gab dann ihr Urteil scheinbar sachlich ab: »Es ist ein besonders schöner und sehr seltener Fisch.



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Willst du ihn kaufen, Mutter? Und ist er nicht sehr teuer?« Die Mutter zögerte nun doch etwas mit der Antwort, entschloß sich aber dann schnell und sagte ruhig: »Es kommt darauf an, was man unter teuer versteht. In diesem Falle, meine Tochter, wäre der zu bezahlende Preis durch dich zu entrichten, wenn du dich nämlich dazu verstehen könntest, dir von diesem Fischer die Wange küssen zu lassen.« Jetzt hörte der Bey wieder zu und verging fast vor Spannung. Das Mädchen sagte in dem gleichen sachlichen Ton wie vorhin: »Und wenn ich es erlaube, bekommst du den Fisch umsonst, Mutter?« Die Gärtnerin antwortete nicht unmittelbar, beugte sich nur nochmals über den Fischkorb und sagte abschätzend, wie empfehlend: »Sieh nur, wie groß und dick er ist! Ich denke, wir könnten sogar drei Mahlzeiten davon haben, meinst du nicht?« Das Mädchen, immer im gleichen kühlen Ton sprechend: »Du hast recht, Mutter, es ist billig.«

Sie ging auf den Bey zu, hob ein wenig den Schleier über der linken Wange hoch und sagte: »Nimm deine Bezahlung!« Die Mutter rief heftig: »Hände auf den Rücken!« Der Bey tat, wie sie befahl, legte die Hände auf den Rücken, küßte das kleine ihm freigegebene Stück Wange, wandte sich ab und ging wortlos davon. Sagten wir nicht schon, daß schöne Jünglinge meist nicht klug zu sein pflegen? Nun ja, so war es auch hier.

Das Mädchen sah ihm nach und wußte nicht, was sie denken sollte . . . tat er so oder war er so? Sie sollte nicht lange im ungewissen bleiben. Als sie am Tage nach dieser Fischgeschichte wieder an der Hecke mit ihrem Bazilikon arbeitete, kam der Bey wie auch vorher immer herbei, stand auf der anderen Seite und sagte: »Bazilikonmädchen, das ich an der einen Wange geküßt habe . . wann darf ich die andere Wange küssen?« Es ist nicht zu beschreiben, welch ein Zorn das Mädchen packte! So



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dumm zu sein, so albern zu fragen, dabei so stark und jung und schön . . . das war doch zum Verzweifeln! Warte, dachte sie, dir werde ich es beibringen und zeigen, warte du nur! Wie vorher auch antwortete sie der törichten Frage nicht und ging ihrer Arbeit nach.

Als er sich entfernt hatte, begab sie sich auf die Suche nach einem jener geschmeidigen Zweige des Baumes, der sich über das Wasser neigte, nahm einen und legte ihn für die Nacht in einen Wasserkübel. Am Tage darauf aber, nachdem der Bey wieder seine Frage gestellt hatte und sich in einen Kiösk begab, wo er stets seine Ruhe während der heißesten Zeit zu halten pflegte, schlüpfte das Mädchen durch ein sorgfältig bereitetes Loch der Hecke hindurch . . . etwas, das dieser Tor von einem Jüngling auch weder bedacht noch bemerkt hatte . glitt in der heißen Mittagsstille im Schatten der Bäume dahin, die durch das Wasserbad ganz biegsam gewordene Rute in der Hand, und kam unbemerkt am Kiösk an. Dort lag er und schlief, dieser schöne und törichte Jüngling, und das Mädchen stand eine Weile atemlos still ihn zu betrachten, ja, sie wurde durch den Anblick fast schwankend in ihrem Vorhaben. Dann sagte sie sich aber, daß sie nicht schwach werden dürfe, daß er lernen solle, ein Mann zu sein, durch Zorn es lernen. So nahm sie die Rute fester in die Hand, schlich nahe herzu und begann den Schläfer mit Hieben zu bearbeiten, wobei sie leise und heftig sagte: »Das hast du für die geküßte Wange, das für die ungeküßte«, und noch einmal, und wieder.

Da war er aus der Schlafverwirrung ganz wach geworden . . . kein Wunder auch! . . . sprang hoch, wollte die Frevlerin packen, aber alles, was er in Händen hielt, war ein Schleier, und es half nichts, daß er das leichte Gewebe in Fetzen riß, die Trägerin war flüchtigen Fußes längst auf der anderen Seite der Hecke wieder angelangt.



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Der Bey bebte vor Zorn. War so etwas erhört . . . ein Weib hatte einen Mann geschlagen?! Was war zu tun, wie war diese Schmach auszulöschen? Hier konnte auch Achmed und dessen Schlauheit nicht helfen, denn dergleichen sagte man seinem Diener nicht, und es gab nur eine Einzige, die man zu Rate ziehen konnte, wenn sie auch nicht völlig eingeweiht werden durfte: seine Mutter.

Nachdem er sich mühsam beruhigt hatte, suchte also der Bey diese kluge Frau auf und legte ihr nach der gebotenen ehrfürchtigen Begrüßung eine Frage vor: »Sage mir, o meine Mutter, wenn es sich so träfe, daß eine Frau, ein Mädchen, einen Mann tödlich beleidigt hätte, welches wäre dann die härteste Strafe, die er ihr auferlegen könnte, ohne allzusehr die Sitte zu verletzen?« Die Mutter sah den Sohn kurz an, fragte dann, ohne von ihrer Seidenstickerei aufzusehen, leise: »Handelt es sich um dich, mein Sohn? Ich kann dir besser raten, wenn ich es weiß.« Der Bey blickte nicht zu ihr hin, murmelte: »Du sagst es, Mutter, um mich.« Lächelnd sah die kluge Frau auf, fragte halblaut: »Du willst sie so hart wie möglich strafen, ist es so?« Ganz streng und entschlossen klang die junge Stimme, als der Bey antwortete: »So ist es, Mutter.« Das Lächeln um den Mund der Mutter vertiefte sich, und sie sagte heiter: »Dann heirate sie, mein Sohn«, worauf sie sich wieder über ihre Stickerei beugte. »Heiraten? Warum das, Mutter?« Sie sah nicht auf, als sie sagte: »Du kannst strafen, wie immer du willst, wenn du Ehemann bist . . . außerdem, mein Sohn, ist es schon eine Strafe, wenn du sie ehelichst, die Arme!« Das sagte sie so leise, wie die kluge Mutter eines törichten Sohnes dann zu sprechen pflegt, wenn sie es sich erlaubt, die Wahrheit zu sagen, was nur selten geschehen darf.

Inzwischen hatte der Bey ihre Meinung erfaßt und brach in Begeisterung aus: »Das ist ein wunderbarer Gedanke,



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o meine Mutter! Wie recht du hast, wie klug du bist, wie ich dich bewundere! Willst du dann gehen und sie mir zur Frau fordern, damit ich bald zu strafen beginnen kann, Mutter, ich bitte dich?« Erstaunt sah die Mutter auf. »Aber, mein Sohn, noch sagtest du mir nicht, wen du meinst? Kenne ich sie?« Er lachte ein wenig verlegen, denn was würde seine Mutter, die reiche, die edel geborene Frau, zu seiner Wahl einer Gärtnerstochter sagen? Zögernd und abgewandt antwortete er: »Ich weiß nicht, ob du sie kennst, Mutter.. . es ist das Bazilikonmädchen.« Der Mutter fiel ihre Stickerei aus den Händen, sprachlos erstaunt sah sie ihren Sohn an, wiederholte leise: »Das Bazilikonmädchen? Gewiß kenne ich sie. Aber, mein Sohn, sie ist sehr klug, sie ist sehr tatkräftig . . . « Der Bey murmelte vor sich hin: »0 ja, das ist sie!« Erstaunt über die Unhöflichkeit der Unterbrechung fragte die Mutter: »Was sagtest du, mein Sohn? Du stimmtest mir zu? Du befürchtest nicht das Zusammensein mit einem so klugen Mädchen?« Unwillig, tief verstimmt über das wiederholte Betonen der Klugheit, sagte der Bey und erhob sich von dem Kissen, auf dem er am Boden vor der Mutter gesessen hatte: »Genug gesprochen, Mutter. Es muß sein, daß ich diese eheliche, sei sie nun dumm oder klug, denn du selbst rietest mir an, daß ich sie solcherart am besten strafen kann. Willst du sie mir zur Frau erfragen, Mutter?«

Die kleine zierliche Frau erhob sich nun auch und stand vor dem Sohne, der sie weit überragte; sie reckte sich hoch und umfaßte seinen schönen Kopf, küßte ihn leicht auf die Wange. »Ich werde sie dir gerne zur Frau erfragen, mein Kind, und ich freue mich, daß du eine so kraftvoll gesinnte Gattin haben wirst. Sei gesegnet, mein Sohn, und strafe sie nicht zu hart!«

Der Bey ließ sich die seltene Liebkosung nur widerwillig



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gefallen, denn er war so zornig, daß keine weicheren Gefühle in ihm Platz hatten. Seine Mutter aber begab sich noch am selben Tage hinüber zu der Gärtnersfrau, die sie mit Staunen empfing und mit noch größerem Staunen ihr Anliegen vernahm. Es wäre ihr niemals in den Sinn gekommen, daß so etwas möglich würde, aber sie zeigte sogleich, welcher Art und Gesinnung sie war, indem sie die strengen Regeln der Sitte ohne Zögern durchbrach. Sie sagte voll Ruhe und Sicherheit: »Herrin, ich danke der hohen Ehre, die du mir antust, und ich weiß wohl, daß mir nun nichts anders bliebe, als zuzustimmen. Aber meine Tochter und ich, wir arbeiten seit langem zusammen, und so ist es ihr gutes Recht, befragt zu werden in dieser Sache, die ihr Leben allein betrifft, so wie ein Mann befragt werden würde . . . arbeitet sie doch einem Manne gleich. Willst du erlauben, Herrin, daß ich sie rufe?« Die Mutter des Bey dachte daran, wie sie ihrem Sohne von der Tatkraft des Bazilikonmädchens gesprochen hatte, und sie lachte leise. »Es ist mir sehr recht«, sagte sie, »rufe deine Tochter.«

Zu ihrem Erstaunen erhob sich darauf die Gärtnerin und stieß einen langgezogenen Vogelruf aus, lauschte dann angespannt, und nach kurzer Zeit erklang entfernt der gleiche Ruf als Antwort. »Sie ist im Gartengrundstück und arbeitet; so haben wir es schon länger ausgeübt uns zu rufen, es geht schneller, weißt du, Herrin.« Die Mutter des Bey begann sich ausgezeichnet zu unterhalten; endlich erlebte sie einmal etwas anderes als den wohlgeordneten Tagesablauf einer reichen Frau! Wie aber kam es, daß ihr Sohn, dessen langsamer Geist sie oftmals ungeduldig machte, an diese Frauen geraten war, die von Lebenskraft und Klugheit leuchteten und sprühten? Maschallah, dann würden des Sohnes Kinder auch so sein.. . Allahu Akbar!



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Jetzt kam das Bazilikonmädchen, hörbar schon von weitem, lief sie doch auf Holzsandalen; sie rief, ehe sie sichtbar wurde: »Was ist, Mutter, daß du mich rufst, wo ich die neuen Pflanzen einsetze? Geschah dir etwas . . ?« Hier stockte ihr die Rede, denn das Mädchen wurde der Besucherin ansichtig, und sie, die von allem wußte, was im Hause des Bey vorging, erkannte sogleich seine Mutter. Sie verneigte sich tief, die Arme über der Brust gefaltet, die Hände an die Schultern angelegt, und murmelte: »Hanoum Effendim«, wobei ihr Blick fragend von einer der Frauen zur anderen glitt. Die Mutter des Bey, die das Mädchen zum ersten Male in der Nähe sah, musterte es verstohlen, lächelte dann und sagte: »Deine Mutter wird dir bekanntgeben, weshalb ich kam.«

Die Gärtnersfrau, die, um die ganze Wahrheit zu sagen, sich ein wenig vor ihrer Tochter fürchtete, wie das manche Mütter tun, räusperte sich verlegen, brachte dann leise hervor: »Meine Tochter, die Hanoum ist gekommen, uns die Ehre anzutun und auch dich zu fragen . . . « Das Bazilikonmädchen wurde ebenso ungeduldig, wie sie schuldbewußt war, denn konnte es nicht sein, daß der Sohn sich bei der Mutter beklagt hatte? So sagte sie schnell, alle gebotene Ehrfurcht vergessend: »Djanoum, meine Mutter, rede endlich . . . was geschah? Sage es, und es sei vorbei!«

Die Mutter des Bey mußte herzlich lachen, denn sie liebte solche Gradheit, und lachend sagte sie: »Ich kam, dich zu fragen, ob du meines Sohnes Frau werden willst«, mit welch fast unglaublichen Worten sie jeder Sitte in das altehrwürdige Antlitz schlug. Das Bazilikonmädchen strahlte auf, so als sei hinter ihren Augen die Sonne aufgestiegen, warf sich vor der lachenden Frau auf den Boden, küßte deren Füße und sagte laut, entschlossen: »Ich werde es mit Freuden, Hanoum Effendim, und will



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dir eine gute Tochter sein.« Die Mutter des Bey beugte sich nieder, packte das Mädchen an den Schultern, zog es zu sich heran, küßte es auf beide Wangen und sagte tiefbefriedigt: »Das wirst du gewiß sein, meine Tochter, und ich denke, du wirst meinem Sohn einiges von dem zeigen, was er bisher nicht wußte, und das ist gut. Aber höre, was ich dir zu berichten habe: er will dich ehelichen, um dich zu bestrafen, und ich, die nicht wußte, daß du es seist, um die es geht, habe es ihm geraten, was mich schmerzt.« Das Bazilikonmädchen warf den Kopf zurück und lachte aus voller Kehle. »So ist doch ein Mann in ihm, nicht nur ein schöner Jüngling! Er will mich bestrafen? Das ist gut und schön!« Hier aber mischte sich die Gärtnersfrau besorgt ein: »Du redest, wie so oft schon, Torheit, meine Tochter! Weißt du denn, was dir bei einem Ehemann alles geschehen kann an Ungutem? Ich bitte und beschwöre dich, tue es nicht, mein Kind, aman, tue es nicht!«

Das Bazilikonmädchen ging zur Mutter, klopfte sie beruhigend auf den Rücken, sagte lächelnd zu der Mutter des Bey: »Hanoum Effendim, du weißt nicht, was diese Gute und Treue schon an mir zu leiden hatte! Du wirst es leichter haben, denn nur wer liebt, leidet auch. Aber, vielgeliebte Mutter, höre mich an: Diesen Jüngling will ich und keinen anderen. Aus ihm und mir werde ich ein Glück schaffen, wenn er ein Mann geworden ist. Lasse mich meinen Weg gehen, ich bitte dich!« Die Mutter neigte ergeben den Kopf, murmelte »Allah ismagladih« und ließ allem Weiteren seinen Gang. Der Mutter des Bey aber klang noch lang dieses Gesagte nach: »Nur wer liebt, leidet auch.« Wie weise war dieses junge Herz . . und würde es unmöglich sein, daß auch sie, des Jünglings Mutter, nicht noch lernen würde zu lieben und somit zu leiden an dem Bazilikonmädchen? Allah bilir.



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Und wie es der Bey wünschte, fand nach kurzem die Hochzeit statt. Sie wurde wie je und stets gefeiert; wie man genugsam weiß, solcherart, daß die Braut auf ihrem Thronsessel sitzt und die Frauen des Viertels ihr Geschenke bringen, die Männer indessen das Festessen halten, zu dem ein jeder zugelassen wird. Als am Abend alle Frauen das Haus verlassen hatten, geleitete die Mutter des Bey das Bazilikonmädchen in das Brautgemach, wo das Lager gerichtet war; nun wäre es Sache der Dienerinnen gewesen, die Braut zu entkleiden und festlich hergerichtet auf das rosenfarbene Lager zu setzen. Die Braut sagte jedoch leise zu ihrer Schwiegermutter: »Hanoum Effendim, wolle diesen Dienerinnen gebieten, uns allein zu lassen, ich bitte dich.« Zwar sah die ältere Frau die jüngere erstaunt an, doch tat sie nach deren Verlangen. Das Bazilikonmädchen ließ sich auf dem Bettrand nieder, seufzte ermattet und bemerkte müde: »Dieses Sitzen auf dem Brautthron hat mich mehr ermüdet als das Bepflanzen von zehn Beeten! Uff aman, welch eine Quälerei! Nun aber will ich dir etwas anvertrauen, Hanoum Effendim, denn einiges mußt du erfahren: ich habe, als der Bey wie üblich kam, um mich als sein Weib auf diesem Brautsessel zu begrüßen, nicht, wie vorgeschrieben, ihm mein Gesicht gezeigt; nur den Schleier hob ich ein wenig und sagte: >Bey Effendim, nun kannst du die andere Wange küssen.< Was aber tat er? Er schlug mich auf diese Wange!«

Die Mutter des Sünders war ehrlich entsetzt, sah aber voll Staunen, daß diese ihre neue seltsame Tochter wieder belustigt lachte. Ihren Ausrufen der Entrüstung antwortete ein heiteres: »Und er tat recht daran, glaube es mir, Herrin. Nun aber will ich auch jetzt, hier auf dem Brautbett, verschleiert bleiben, und deshalb sollten die Dienerinnen gehen. Ich beschwöre dich, meine Herrin,



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habe Geduld mit mir, und eines Tages wirst auch du Freude erleben. Inzwischen erlaube mir nach meinem Willen zu handeln, ja, Herrin?« Was blieb da anderes übrig, als zuzustimmen? Die Hanoum küßte die Braut auf die mißhandelte Wange, sprach ein leises Segenswort und ließ das Bazilikonmädchen allein.

Erwartungsvoll saß sie nun dort auf dem rosenfarbenen Lager, in der Art wie noch niemals eine Braut, nämlich tief verschleiert, eingehüllt in diesen Schleier wie in einen Mantel. Ihr Herz schlug schnell, aber nicht vor Liebe und Sehnsucht, sondern vor Ungeduld, denn es gab an diesem Abend und in dieser Nacht noch einiges zu tun, was sie geplant hatte. Aber manch einer dünkt sich klug und plant, und alles wird anders, ist es doch nie der Mensch, der plant, nein, sondern, nur das Kismet. Es dauerte nicht lange, da wurden schnelle Schritte hörbar, und der Bey trat ein. Das Bazilikonmädchen sah sofort, daß auch er nicht die für eine bräutliche Gelegenheit gebotene Kleidung angelegt hatte, sondern nur über seine Festgewänder einen dunklen Mantel geworfen. Er kam zu der gleich einem verschleierten Bilde auf dem Bett sitzenden Frau heran, verneigte sich höflich und geziemend und sagte: »Meine Gemahlin, ich habe ersonnen, die Hochzeitsnacht draußen, in dem warmen und blühenden Garten zu verleben, und habe jenen Kiösk dafür herrichten lassen, den du gut kennst. Ist es dir genehm, so begeben wir uns dorthin.«

Das Bazilikonmädchen vermutete wohl, daß hinter diesem seltsamen Vorschlag sich etwas Besonderes verberge, aber das gehörte mit zu dem Abenteuer dieser eigenartigen Eheschließung und wollte erlebt werden. Also erhob sie sich bereitwillig und bemerkte erst jetzt, daß der Bey einen zweiten, dem seinen gleichen dunklen Mantel bei sich trug. »Ich brachte diesen Burnus mit«,



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sagte er und hüllte sie vorsorglich ein, »weil es draußen doch vom Nachttau kühl sein könnte. Komm, ich führe dich, meine Gemahlin.« Damit nahm er sie beim Ellenbogen und geleitete sie sorgsam durch die ihr noch unbekannten weiten Gänge des Hauses, kam an eine kleine nur angelehnte Seitentür, und schon waren -sie im sommerlichen Nachtleben des wohlbekannten großen Gartens. Der Bey hielt immer noch führend den Arm seiner jungen Frau fest, murmelte hie und da eine Warnung vor einem Stein, einem Ast, der niedergebrochen war, und lockerte dann so plötzlich seinen Griff, daß das Mädchen ein wenig stolperte, den Halt verlor und voll Erschrecken merkte, daß der Boden unter ihrem Fuß nachgegeben habe. Sie versank, in ein tiefes dunkles Erdloch fallend. Der Bey stand droben und tat nichts, ihr zu helfen, lachte nur leise vor sich hin, wartete, bis das Geräusch ihres Sturzes nachließ, beugte sich dann über das Erdloch und sagte: »Gefällt dir der Platz, den ich für unsre Brautnacht erwählte, o Bazilikonmädchen, das ich an der Wange geküßt und geschlagen habe?«

Sie hatte sich so schnell wie möglich von ihrem Schreck erholt und begriff, daß dieses ein Teil der Strafe war, die er sich für sie erdachte und die sie nicht allzu töricht fand. So antwortete sie halb lachend: »Es gefällt mir besser hier als droben in deinem Bett, o Bey, den ich am hinteren Teil geschlagen habe!« Deutlich vernahm sie, wie er einen Fluch unterdrückte, dann sagte er: »So bleibe dort, bis auch du zu Erde wirst!« und sie hörte seine Schritte sich entfernen.

Nun gut, da saß sie. Was aber jetzt tun? Die Mutter rufen, die wußte immer Rat. So wartete sie, bis sie sicher war, der Bey habe sich ins Haus begeben, dann stieß sie jenen Vogelruf aus, mit dem sie sich zusammenzufinden pflegten, diese zwei Gärtnerinnen. Die Mutter, die sich



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nach dem Dämmern in ihr vereinsamtes Haus zurückbegeben hatte, hörte den Ruf wohl, nahm aber an, sie habe sich getäuscht. »Es ist unmöglich, daß ich den Ruf hörte, feiert doch mein Mädchen ihre Hochzeitsnacht.« Aber wieder erklang der Ruf und noch einmal, da mußte etwas geschehen sein!

Die Gärtnersfrau nahm ein Windlicht zur Hand, und durch das Loch in der Hecke ging sie, immer leise dem Vogel gleich rufend und sich nach der Antwort richtend, in dem dunklen Garten dahin, wobei sie hoffte, daß es niemandem einfiel, nachzuforschen, wieso mitten in der Nacht zwei Vögel sich so seltsam andauernd riefen. Plötzlich erschrak sie sehr, denn fast zu ihren Füßen vernahm sie die Stimme ihrer Tochter. »Vorsicht, Mutter, fall nicht auch herein, ich sitze hier in einem Erdloch, hab acht!« »Aman, meine Tochter, wie konnte das geschehen?« Zu ihrem Erstaunen hörte sie die Tochter leise lachen. »Er hat es ersonnen, um mich zu strafen, Mutter; er ist so dumm nicht. Wir aber müssen nun dieses tun: wir müssen herausfinden, ob er nachschauen kommt, ob er Speisen sendet, kurz, was er zu tun gedenkt: die Diener, verstehst du, man wird sie zahlen. Indessen werden wir von diesem Loch aus einen Gang graben und' gleich damit beginnen. So er es lange betreiben will, kann ich dann immer zu dir hinüberschlüpfen, Mutter, und wieder da unten sein, wenn er nachschauen kommt. «

Wie es das Bazilikonmädchen gesagt hatte, so geschah es. Die Mutter half der Tochter heraus, man holte Geräte und begann zu graben, die eine von dieser, die andere von jener Seite her. Am Morgen dann geschah es, daß der Bey seiner Mutter mitteilte, das Bazilikonmädchen habe ihm während der Nacht so sehr mißfallen, daß er es der Gärtnerin zurückgeschickt habe. Eine alte Dienerin der



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Gärtnerin aber begann sich mittels des Besitzwechsels einiger Goldstücke mit Achmed zu unterhalten und fand so heraus, daß der Bey beabsichtigte, meist vor Sonnenuntergang zu jenem Erdloch zu gehen. Der Bey lachte mit Achmed; Achmed lachte mit der Dienerin; die Dienerin lachte mit der Gärtnersfrau; die Mutter des Bey lachte mit dem Bazilikonmädchen, und jeder achtete darauf, daß nicht der andere das Lachen vernehme. Und so sieben Tage lang: des Nachts graben, dann durch den Gang kriechen zum Hause der Mutter, den Tag verborgen dort verbringen; zur Zeit des Sonnenunterganges im Loch sitzen, lauschen auf den Schritt des Beys. »Bazilikonmädchen, das ich an der Wange geküßt und geschlagen habe, bist du da?« Und die Antwort: »Bey Effendim, den ich am hinteren Teil geschlagen habe, ich bin hier.« Ein leises Fluchen, und er ging wieder. »Djanoum, ist das auch eine Ehe?« fragte der Diener Achmed die alte Dienerin der Gärtnersfrau. »Jeder nach seinem Geschmack«, gab sie lachend zur Antwort. Nach sieben Tagen aber fühlte sich der Bey von dieser Strafart so gelangweilt, daß er nach der üblichen Begrüßung mit dem Wangenkuß sagte: »Ich verreise und wünsche dir gute Zeit inzwischen.« Sie antwortete: »Auch ich wünsche dir gute Zeit, Bey Effendim. Und wohin reisest du?« »Geht es dich etwas an, daß ich nach Syrien reise?« fragte er voll gelangweilten Zornes und ging davon. Sie aber kroch so schnell sie es vermochte durch den Gang zum Haus der Mutter.

»Mutter«, sagte sie atemlos, »lasse sogleich Achmed hierher rufen, ich habe mit ihm zu sprechen. Mataba soll sich beeilen!« Achmed, durch viele Goldstücke angeregt, kam eiligst herbei, und es begann ein langes Beraten, das darin gipfelte, daß er versprach, seinen Schwestersohn rufen zu lassen, der zur Zeit ohne Herrn war. »Er kennt



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sich vortreiflich mit Pferden aus, Herrin, und er weiß, wann er zu schweigen hat. Er wird dir und dem Bey ebenso ergeben sein, wie ich es bin. Was aber die Kleidung anlangt, Herrin, so hole ich sie selbst . . . besser auch, ich hole meinen Schwestersohn gleich dazu herbei, du kannst ihn dann sehen und sprechen.« Noch in derselben Nacht wurden zwei Pferde gekauft und die Kleidung eines Touareg von Achmed beschafft.

Der jüngere Mann, Sah mit Namen, verschrieb sich mit Leib und Seele der so großmütig zahlenden Herrin und freute sich des bevorstehenden Abenteuers ebenso, wie diese es tat. Die Gärtnersfrau allein war entsetzt, als ihr einfach gesagt wurde: »Ich reise nach Syrien, Mutter, wünsche mir einen langen Schatten!« Ob sie denn noch so sicher sei zu Pferde wie einstmals, als der Vater lebte? Ob sie noch mit Waffen umgehen könne? Ob sie sich denn gar nicht fürchte? und was dergleichen Mutterfragen mehr sind.

»Nur eines, Mutter, ist's, was ich fürchte: ob ich noch genug Schach spielen kann . . . nur das! Übe ein wenig mit mir, wie wir es früher taten, willst du?«Ratlos fragte die Mutter: »Bist du sicher, meine Tochter, daß dir der Schreck in jenem Erdloch nicht die Sinne verwirrt hat... denn wie, um der Liebe guter Geister willen, kommst du jetzt darauf, nach Schach zu fragen?« »Mutter«, gab das Bazilikonmädchen mit jener nachsichtigen Geduld zur Antwort, die Jugend für das Alter aufbringt, »o Mutter, ist es dir nicht bekannt, daß der Bey täglich mit Achmed Schach spielt, wenn er keinen Freund findet, der bei ihm bleibt? Und so, Mutter, wird er jetzt einen Touareg finden, der mit ihm spielt.«

An diesem Punkte der Unterhaltung angelangt, beschloß die Gärtnersfrau, von nun an nichts mehr zu fragen, lag ihr doch daran, ihren eigenen klaren Verstand zu bewahren.



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Hatte zudem die Tochter nicht ein Recht auf ihr freies Handeln, da sie eine verheiratete Frau war, wenn auch vorläufig nur mit einem Erdloch verehelicht?

Was nun den erwähnten Touareg anlangt, so begriff die Gärtnersfrau bald, was es mit den Angehörigen dieses berühmten und berüchtigten Stammes auf sich hatte, diesen unübertreiflichen Reitern und Räubern, die dunkel verschleiert wie ein Heer der Schatten auf dunklen Pferden dahergebraust kommen und verschwunden sind, ehe man sie noch bemerkte oder sich ihrer zu erwehren vermochte. Denn der von Achmed erwähnte Schwestersohn Sah brachte die schwarze Kleidung eines Touareg am nächsten Morgen und auch zwei Pferde nebst einem Esel zum Tragen der Vorräte und Zettgeräte. Und dann verwandelte sich vor den Augen der Mutter das Bazilikonmädchen in einen schlanken, schmalen Touareg, dessen schwarzer Burnus die junge Gestalt völlig verhüllte. Dieser gleiche dunkle Reiter aber legte großen Wert darauf, selbst einen leichten Korb zu packen, der alle Pracht und Lieblichkeit weiblicher Kleidung enthielt, zugleich mit einem großen goldgestickten Schleier und einem kleinen rosenfarbenen Gesichtsschleier, der kaum durchsichtig war.

Mitten in diese Vorbereitungen hinein erschien die Mutter des Beys, die sich in letzter Zeit auffallend oft im Hause der Gärtnersfrau aufhielt. Sie und der Touareg hatten miteinander viel heimlich zu flüstern und zu beraten, worauf dann beim Abschiednehmen feierlich Segen für die Reise mitgegeben wurde. Der Touareg lachte siegesgewiß und versicherte der Schwiegermutter, bald gute Nachricht zurückzubringen. Eine unruhige Nacht verging, und als die Nachricht kam, der Bey sei unterwegs, nahm auch der Touareg von der Gärtnersfrau Abschied und ritt mit Sah davon, das beladene Eselchen



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brav und eifrig hinterher. Da Achmed dem Schwestersohn genaue Anweisung für den Reiseweg des Bey gegeben hatte, entstanden keinerlei Schwierigkeiten, und genau einen Tag nachdem der Bey sein Lager aufgeschlagen hatte, tat der Touareg in geringer Entfernung das gleiche. Es verging kaum genug Zeit, um sich einzurichten, da erschien schon Achmed, der die Vorsichtsmaßregeln eines lichtscheuen Wesens gebrauchte, um nicht vom Lager seines Herrn aus gesehen zu werden.

»Maschallah, Hanoum Effendim, welch großartiger Spaß!« sagte er und lachte vor sich hin, »und wie alles gelingen wird! Schon langweilt sich der Bey und sagte mir, er kenne nun schon alle meine Züge und es bereite ihm keine Freude mehr, mit mir Schach zu spielen, am besten, man reise weiter und begebe sich in eine andere Gegend, wo es Städte gebe und nicht diese Stille rings herrsche. Darum, Hanoum Effendim, wird es gut sein, wenn Sah dich noch vor Sonnenuntergang anmeldet, so es dir genehm ist.«

Der Touareg, unkenntlich unter seinem schwarzen Schleier, stimmte sogleich zu und gab dann, als Achmed gegangen war, Anweisung, den Korb mit den Kleidungsstücken ins Zelt, neben das Ruhelager zu stellen. Darauf wurde Sah fortgeschickt, nachdem ihm nochmals eingeschärft worden war, genau auf das zu achten, was er dem Bey zu sagen habe, und dabei den gebührenden Ernst zu bewahren. Sah versprach, sein Bestes zu tun, und nach kurzer Zeit meldete Achmed seinem gelangweilten Herrn, es sei ein fremder Diener da, der gebeten habe, den Herrn sprechen zu dürfen. Ob er hereinkommen dürfe? »Ein Diener in dieser Einöde? Wie ist das möglich?« fragte der Bey, schon etwas aufgeheitert. Achmed machte ein teilnahmslos ernstes Dienergesicht, wie es das in der ganzen Welt zu allen Zeiten gibt, und sagte mit dem



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üblichen farblosen Dienerton, der zu diesem Gesicht paßt: »Einer hat sein Lager in der Nähe aufschlagen lassen vor kurzem; dessen Diener wird es sein, der vor dich gebracht werden will, Herr.« Der Bey gab erfreut seine Zustimmung, war ihm doch schon jede Abwechslung recht.

So betrat Sah das Zelt, verneigte sich gebührend und sagte tief ernst, wohl bewußt, daß sein Oheim ihm von draußen zuhöre: »Bey Effendim, mein Herr, ein vornehmer Touareg entbietet dir seinen Gruß und läßt dich ehrerbietig fragen, ob es dir recht wäre, am heutigen Abend mit ihm Schach zu spielen?« Der Bey antwortete erfreut und eifrig: »Sage deinem Herrn meinen Dank und bestelle ihm, daß ich ihn erwarte zu jeder Zeit, die ihm beliebt.« Schweigend verbeugte sich Sah und verließ das Zelt; draußen flüsterte ihm Achmed zu: »Gut so, mein Neffe, auf diese Art wird man ein vollkommener Diener, so mache weiter.« Stolz kehrte Sah zu seinem »Herrn« zurück, und nun, da es soweit war, schlug das Herz des Bazilikonmädchens doch recht bange unter ihrer Männerkleidung. Aber sie richtete sich stolz auf und ging schwingenden Schrittes zu dem nahe gelegenen Zelt des Bey hinüber. »Herr«, sagte sie sehr leise und etwas heiser sprechend, »vergib, wenn ich so verschleiert vor dich trete, aber es ist uns verboten, anders in Gesellschaft zu weilen. Du willst es mit mir und meiner geringen Kunst im Schach versuchen?«

Dem Bey, der das Bazilikonmädchen noch kaum sprechen gehört hatte, fiel nichts auf; er sagte einige Höflichkeiten, wies auf die Polster am Boden und das bereitgestellte Schachbrett. Sogleich begann das Spiel. Achmed erschien und brachte Kaweh; der Touareg, der Mühe hatte, ernst zu bleiben, sah nicht auf. Es wurde gespielt, und der Bey erkannte bald, daß der Partner ihm nicht gewachsen war. Wie hätte er sich gewundert, wenn er gewußt



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hätte, daß die nur schwachen Gegenzüge mit Absicht getan wurden! Nach einiger Zeit dann war der Bey Sieger. Der Touareg senkte scheinbar beschämt den schwarz verschleierten Kopf und sagte sehr leise: »Herr, gegen einen Meister wie dich vermag ich nichts . . . doch wolle mir erlauben, dir einen Siegespreis anzubieten, da du, Herr, ihn reichlich verdientest.« Der Bey wehrte ab, durfte aber nicht unhöflich erscheinen und erwartete nun, irgendeine Kleinigkeit überreicht zu bekommen, daran er, der im Reichtum lebte, gewiß kein Gefallen finden würde. Doch horchte er bei den nächsten Worten des Touareg auf, war erstaunt, ja, erregt. Denn der Verlierer sagte: »Da deine Kunst so groß ist, Herr, verdient sie auch den höchsten Preis, den ich zu vergeben habe. Ich habe eine Sklavin, Herr, und sie ist mir sehr viel wert, doch willst du, so sende ich sie dir zu für diese Nacht. . . ist es dir so genehm?«

Eifrig beugte sich der Bey vor, erschöpfte sich in Dankesbezeugungen und konnte nicht lebhaft genug versichern, wie sehr ihm dieser Gewinnerpreis behage. Der Touareg erhob sich, der Bey tat ein Gleiches; unmittelbar bevor er das Zelt verließ, wandte sich der Touareg um, sagte vertraulich: »Herr, erlaube mir noch zu sagen, daß diese meine Sklavin etwas seltsam ist und sehr schamvoll . . . sie kann es nicht ertragen, wenn man ihr Antlitz erblickt, und sie liebt es nicht, zu sprechen. Würdest du ihr gestatten, schweigend und verhüllten Gesichts bei dir zu sein?« Der Bey lachte, sagte heiter: »Wenn nur ihr Antlitz verhüllt bleibt, soll es mir recht sein!« Der Touareg aber murmelte vor sich hin: »Auch ist sie einer nicht durchbohrten Perle gleich«, verbeugte sich tief und war gegangen.

Völlig aus der Fassung geraten, sah der Bey dem Besucher reglos nach. Unberührt war diese Sklavin, und der



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Touareg hatte gesagt, sie sei ihm wert? Seltsam, mehr als seltsam! Was konnte das auf sich haben? Aber darüber nachzudenken, blieb nicht viel Zeit, denn nun war es schon fast Abend, und mit der Schnelligkeit, mit der die Nacht in unsren Breiten sinkt, dunkelte es bereits. In hoher Erregung gab der Bey Achmed Befehle; vielerlei an Erfrischungen wurde bereitgestellt, Kerzen wurden entzündet . . . es sollte ein hohes Fest werden, und von dieser Nacht erhoffte der Bey völliges Vergessen jenes Bazilikonmädchens, das daheim im Erdloch saß und ihm nach Art des Unerfüllten nicht aus dem Sinn ging.

Zur selben Zeit aber bereitete sich seine junge Frau vor, die Hochzeitsnacht mit ihm zu feiern. Aus jenem Korbe wurden die zarten Seiden und Schleiergewänder genommen, Duftwässer machten das Zelt einem Blumengarten gleich. Um das Gesicht des Mädchens legte sich fest der rosenfarbene Schleier, der kaum zu durchschauen war, und dann hüllte der große Schleier die ganze Gestalt ein. Einer Peri gleich im Dunkel der Weite anzuschauen, huschte das Bazilikonmädchen in das Zelt des Beys hinüber, um ihres Gatten Weib zu werden.

Draußen hielt Achmed Ausschau, dem von der Mutter des Beys auf die Seele gebunden worden war, wie ein Genieh über die junge Herrin zu wachen, daß kein Schatten der üblen Nachrede sie berühre. Und so verging die Nacht der Verzauberung, hielt doch der Bey ein schweigendes Geheimnis in den Armen. Als die Dämmerung sich zu zeigen begann und das junge Weib sich stumm erhob, nahm sie seine Hände und führte sie mit einer Gebärde tiefster Ergebenheit an die Brust. »Mein Kleinod«, sagte er und mußte sich mühsam fassen, so schwer wurde es ihm, sie gehen zu lassen, »du warst das vollkommene Wunder, das tiefe, stille Glück. Nimm diese Kette aus reinsten Perlen, gleich deiner Unberührtheit,



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die du mir gabst, und wisse, daß ich dich niemals vergessen werde, niemals!«

Sie hüllte sich fest in ihren weiten Schleier ein und huschte davon, während ihre Tränen an dem rosenfarbenen Gesichtsschleier entlangliefen. Schon hatte Sah begonnen das Lager abzubrechen, und nur ihr eigenes Zelt stand noch; in höchster Eile verwandelte sich das junge verhüllte Weib in einen verhüllten Touareg, und kaum daß der Tag anbrach, waren sie schon unterwegs in der Richtung auf die Heimat zu.

Als der Bey aus tiefstem Schlafe erwachte und Achmed nach dem Touareg fragte, konnte dieser durchtriebene und doch so getreue Diener nur berichten, daß von dessen Lager nichts mehr zu sehen sei. Der Bey ließ sofort das eigene Lager abbrechen und begab sich an Plätze, wo ihm Zerstreuung winkte, doch gelang es ihm nirgends, das Erinnern an sein schweigendes Wunder zu übertäuben.

Indessen war das Bazilikonmädchen heimgekehrt und führte im Hause der Mutter ein Leben der Verborgenheit. Sie ließ die Diener viel daran arbeiten, den Gang zum Erdloch zu erhöhen und verbreitern, und erhielt oftmals den Besuch der Mutter des Beys, der sie immer wieder von des Touaregs Erlebnissen berichtete. Die Freude der Schwiegermutter, als sich herausstellte, daß die junge Frau nicht mehr allein sei, war unbeschreiblich. »Von Anbeginn an habe ich gesagt, daß deine und meines Sohnes Kinder etwas Besonderes sein würden. Daß sich aber noch ein Touareg hineinmischen würde, das, meine Tochter, hatte ich nicht erwartet!« Und sie lachten zu dritt zusammen.

Nach Monaten erst kehrte der Bey nach Hause zurück, und nun wurde es dem Bazilikonmädchen nicht ganz so leicht mehr, durch den Gang zum Erdloch zu gelangen, wie sehr der auch erweitert worden war. Immerhin, es



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ging noch, und als sie die Stimme ihres Mannes hörte, der oben stand und sein Sprüchlein vom Wangenkuß sagte, da mußte sie heimlich lachen über seinen Irrtum, vermochte es aber nicht, ihre frühere herbe Antwort dem zu geben, den sie zärtlich liebte. So sagte sie nur leise: »Du befiehlst, mein Bey«, und ließ ihn verwundert davongehen.

Jetzt aber griff die Mutter ein, die um das werdende Kind bangte, und sie forderte von ihrem Sohne, er solle die Sache mit dem Erdloch endlich aufgeben, lachten doch schon alle Diener darüber. Zu ihrer Überraschung stimmte der Bey sogleich zu und sagte: »Mir ist die Sache längst leid, Mutter, und ich denke, ich werde mich von dem Bazilikonmädchen nun trennen, um vielleicht dann eine andere zu ehelichen . . . denkst du nicht auch so, Mutter?« Die Frau stammelte nur erschreckt: »Wie du befiehlst, mein Sohn«, und eilte hinüber, diese Entwicklung mit dem Bazilikonmädchen zu besprechen. Zu ihrem Erstaunen aber begrüßte diese seltsame junge Frau den Entschluß des Beys lachend und erheitert. »Sage ihm doch, o meine Mutter, er solle mir die Scheidung im Erdloch aussprechen, dann ist uns allen geholfen, wußten wir doch bisher nicht, wie wir mein Fehlen dort erklären sollten während der Zeit, da unser aller Kind geboren werden wird. Es ist alles gut so, Mutter, auch wenn er sich wieder verheiraten will, lasse es zu, nur suche es hinauszuzögern, bis unser Kind einige Monate alt ist dann wird auch dieses sich gut gestalten, glaube mir, Mutter!«

Die beiden Mütter lauschten voll Sorge, konnten aber, wie immer, nichts gegen den starken Willen der Tochter ausrichten, und so gab die eine Mutter, die des Beys, dem Sohne zu verstehen, daß es recht und passend sein würde, da seine Ehe bisher nur in einem Erdloch bestanden habe, auch über diesem Erdloch die Scheidung auszusprechen.



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Der Bey lachte und erklärte sich einverstanden. Am Tage darauf, als das Bazilikonmädchen durch die Diener benachrichtigt worden war, daß der Bey zum Erdloch komme, saß sie wartend unten und spähte zu ihm hinauf, der langsam sich etwas herabbeugte. Er sah nur einen verschleierten Kopf, dachte einen Augenblick lang an sein verschleiertes Wunder, das er nie vergaß — ist doch ein schweigendes Weib der Wunder höchstes! —, und sprach dann feierlich und laut die uralten Worte, die eine Scheidung bedeuten, sowie sie ausgesprochen sind: »Dein Antlitz ist mir wie dein Rücken, hebe dich hinweg.« Leise, ein wenig lachend klang es zurück: »Du befiehlst, Herr.« Er vernahm ein Rascheln, etwas wie ein Rauschen, und dann war Stille. »Wohin kann sie nur verschwunden sein, sie, die im Erdloch saß? 0 Bazilikonmädchen, wie schade ist es doch um dich!« Und wie er es dachte, wußte er nicht, wen er meinte, die süße verschleierte Sklavin des Touareg oder das Mädchen hinter der Hecke mit dem Bazilikon.

Wie dem auch sei, hier gefiel es ihm nicht mehr. Reisen wollte er wieder, nach Agypten, weit fort. Nichts sollte ihn mehr erinnern an Erdlöcher und schweigende Sklavinnen. Käme er zurück, würde die Mutter ihm eine Frau suchen, und alles wäre vorbei, was in Gedanken peinigte und sich als Träume erwies. Und so reiste er wieder in die Welt, ohne daß dieses Mal ein Touareg seiner Spur folgte.

Für seine Mutter wie für die Gärtnersfrau begann nun eine glückliche Zeit. Das ersehnte Kind wurde geboren, war ein Knabe und füllte die Tage der drei Mütter aus. Doch gab die junge Mutter keine Ruhe, vielmehr versuchte sie wieder und wieder, die Mutter des Beys dazu zu bestimmen, mit der Suche nach des Sohnes neuer Frau zu beginnen. »Und vergiß nicht, Mutter, es muß ein



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Mädchen sein, dessen Angehörige ganz bescheidene Leute sind und deren Zorn leicht mit Geld zu beschwichtigen ist. Denke daran, und suche bald die Rechte.«

Alles gestaltete sich dann so, wie der starke junge Wille es befahl. Nach einem halben Jahre erst kehrte der Bey zurück, zum Manne gereift und voll ernster Ruhe, wie seine Mutter berichtete. »Ich habe es immer gewußt, daß er so werden würde«, sagte die junge Frau und drängte nun mehr und mehr auf die Festsetzung der neuen Heirat. Die Mutter hatte das gewünschte Mädchen für den Sohn gefunden, und er wehrte sich kaum, als sie ihn mahnte, nun die Hochzeit stattfinden zu lassen. Ihm war es gleich, denn keine Frau hatte ihn in der Zwischenzeit so beglückt wie die schweigende Sklavin, keine ihm soviel Kopfzerbrechen verursacht wie das Bazilikonmädchen, und er war sicher, diese unvermeidliche Ehe, die sein Haus mit Kindern bevölkern sollte, würde ihn nur langweilen, wie es meist die Gebote der Sitte taten.

Er kümmerte sich auch um fast nichts, wußte nicht einmal den Namen der Braut, überließ alles seiner Mutter, und die Hochzeit wurde, wie das üblich ist, hergerichtet. Droben auf dem Brautthron saß die Braut, deren alltägliches Gesicht der Bey einen Augenblick lang gesehen hatte, dann ging er wieder hinunter in den großen Raum, wo das Festessen gerichtet war und seine Freunde sich vereinigt hatten. Sie saßen auf niedern Polstern um die Tafel herum, hinter jedem zweiten Gast stand ein Diener mit den goldenen Becken und Kannen duftenden Wassers, über dem Arm ein feines gesticktes Tuch zum Abtrocknen der Finger. Die Geladenen zerrissen mit leichten und zierlichen Bewegungen gebratene Hühner und aßen mit Löffeln aus Schildpatt und Korallen den gelben Reis der Hochzeitsspeise dazu, nahmen dann Früchte und Süßigkeiten. Von draußen kamen viele



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herein und nahmen, wie üblich, am Mahl teil, doch achtete der Bey ihrer nicht, der auch den Freunden den Anschein erweckte, als ginge ihn das Ganze nichts an. Plötzlich aber sahen sie ihn sich aufrichten, sahen, wie er aufsprang, wie er einem schlanken schwarz gekleideten Jüngling entgegeneilte, der soeben den Raum betreten hatte und dessen dunkel verschleiertes Antlitz in der farbenfrohen Gemeinschaft fast erschreckend wirkte.

Die Freunde hörten, wie der Bey mit bebender Stimme ausrief: »Touareg, mein Freund, welch gutes Kismet führt dich her in mein Haus? 0 mein Freund«, fügte er dann leise hinzu und zog den Touareg ein wenig beiseite, »wie oft habe ich deiner gedacht! Wie bin ich hierhin und dorthin gereist, immer hoffend, dich wiederzufinden - vergeblich! Aber sage mir, ich beschwöre dich«, und der Bey neigte sich zu dem dunklen verschleierten Kopf, flüsterte: »hast du deine schöne Sklavin noch?« Der Touareg gab ebenso leise zur Antwort: »Ich habe sie noch, Herr . . . wolltest du etwa wieder Schach um sie spielen, Herr? Und... « Der Touareg winkte, und hinter ihm zeigte sich das vertraute Gesicht des getreuen Achmed, dieses Mal jedoch ohne jede Dienermiene, vielmehr mit einem Ausdruck so strahlender Freude, daß jedes Auge sogleich gefesselt ward; der Gegenstand dieser hohen Freude des Dieners aber war ein kleiner Knabe, der ihm auf dem Arm saß und der in seinen winzigen Fäustchen eine wunderbare Perlenkette auf und nieder tanzen ließ. Der Touareg fuhr fort: » . . . und ihr wieder eine Perlenkette schenken, Herr?«

Der Bey starrte den Touareg an, starrte das Kind an, griff nach der Perlenkette, die die kleinen Fäuste aber festhielten. »Habe acht, Herr, er wird sie zerreißen«, sagte Achmed warnend. »Sage Babam, mein Kleinod, sage Babam.« Die weichen Lippen versuchten es nachzustammeln.



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»Aman, ich verstehe nicht. Ist er meiner? Und wo ist sie . . . wo ist sie . . . ? Touareg, so unter deinem schwarzen Schleier ein Funken von Mannestum lebt, hilf mir, hilf mir, ich bitte dich!« Bei den Worten vom Mannestum unter dem schwarzen Schleier bekam Achmed einen Anfall, von dem man nicht wußte, ob er zum Ersticken führen würde. Nur eilige Flucht schien hier zu helfen.

Auch der Touareg benahm sich seltsam, stammelte endlich: »Herr, könnten wir wohl in einen anderen Raum gehen? Ich erkläre dir dann alles.« »Ja, komm, komm, schnell!« rief der Bey, faßte den Touareg beim Arm und zog ihn fort. Sie verschwanden in einem Nebenraum. Nach kurzem stürzte aus eben diesem Nebenraum ein aufgeregter Mann hervor, lief, als sei Feuer hinter ihm, hinauf zu den Frauengemächern, fand sie seltsamerweise verlassen von allen Frauengästen, raste auf den Brautthron zu, stieß atemlos hervor: »Dein Antlitz ist mir wie dein Rücken, hebe dich hinweg von hier!«, wandte sich ab und schrie zu seiner Mutter hin, die unerwarteterweise lächelnd am Eingang stand: »0 Mutter, schaffe diese Fremde fort! Schnell! Und komm herunter, meinen Sohn zu sehen und sie, seine Mutter. 0 Mutter, die süße Sklavin im Bazilikon! Ach Mutter, kann ein Mensch so glücklich sein? Perlen in meines Sohnes Händen, eine Perle, seine Mutter... o komm doch, komm!« Die Mutter sagte leise: »Ich komme; doch aus Mitleid lasse mich diese hier erst fortschaffen. Und du, gehe zurück zum Bazilikon und atme seinen herben Duft, mein geliebter Sohn.« Der Bey ging langsam, fast ein wenig feierlich zurück zum Duft des Bazilikon, murmelte hauchleise: »Strafen wollte ich und wurde gesegnet . . . welch ein Tor war ich, und wie barmherzig ist Allah!« Dann packte es ihn, und er lief wie ein Knabe hin zum Glück.


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