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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON HARÛN ER-RASCHÎD UND DER JUNGEN BEDUININ

Der Beherrscher der Gläubigen, Harûn er-Raschîd, zog eines Tages mit Dscha'far dem Barmekiden seines Weges einher; da sah er eine Schar von Mädchen, die Wasser holten, und er bog zu ihnen ab, um zu trinken. Doch gerade wandte sich eine der Jungfrauen der anderen zu und sprach diese Verse:

Sag deiner Traumgestalt, sie solle weichen
Von meinem Lager, wenn der Schlummer naht,
Auf daß ich ruhe und die Glut erlösche,
Die sich in dem Gebein entzündet hat.
Ich Siecher werde hin und her geworfen
Auf meinem Bette von des Leidens Hand.
Du mußt doch wissen, wie es mit ergehet;
Bin ich denn stets aus deiner Näh gebannt?

Dem Kalifen gefiel ihre reine und feine Rede - —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 686.



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Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß dem Kaufen, als er diese Verse aus dem Munde der Maid gehört hatte, ihre reine und feine Rede gefiel. Und er sprach zu ihr: ,Du Tochter edler Eltern, hast du diese Verse selber gemacht, oder hat ein anderer sie erdacht?' Sie erwiderte: ,Ich habe sie selbst gemacht.' Da fuhr er fort: ,Wenn deine Worte wahr sind, so bewahre den Sinn und wechsle die Reime!' Und nun sprach sie:

Sag deiner Traumgestalt, sie solle weichen
Von meinem Lager in der Schlafenszeit,
Auf daß ich ruhe und die Glut erlösche,
Die meinem Leibe heiße Schmerzen leiht.
Ich Siecher werde hin und her geworfen
Auf meinem Bette von der Hand der Pein.
Du mußt doch wissen, wie es mir ergehet;
Steht denn ein Kaufpreis auf der Nähe dein?

Da sprach der Kalif: ,Das ist auch entlehnt.' ,Nein,' erwiderte sie, ,es ist von mir.' Und er fuhr fort: ,Wenn es von dir ist, so wechsle noch einmal die Reime und behalte die Worte bei!' Und sie hub an:

Sag deiner Traumgestalt, sie solle weichen
Von meinem Lager in der Zeit der Ruh,
Auf daß ich ruhe und die Glut erlösche,
Die mir im Herzen brennet immerzu.
Ich Siecher werde hin und her geworfen
Auf meinem Bette von der Hand der Qual.
Du mußt doch wissen, wie es mir ergehet;
Steht denn vor deiner Näh: ein Trennungsmal?

Und wieder sprach der Kalif zu ihr: ,Auch das ist entlehnt.' ,Nein,' erwiderte sie, ,es ist von mir.' Darauf sagte er: ,Wenn es von dir ist, so wechsle von neuem die Reime und behalte die Worte bei.' So sprach sie denn:



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Sag deiner Traumgestalt, sie solle weichen
Von meinem Lager in der stillen Nacht,
Auf daß ich ruhe und die Glut erlösche,
Die unter meinen Rippen sich entfacht.
Ich Siecher werde hin und her geworfen
Auf meinem Bette von der Hand der Zähren.
Du mußt doch wissen, wie es mir ergehet;
Wirst du mir nimmer deine Nah gewähren?'

Nun fragte der Beherrscher der Gläubigen sie: ,Aus welchem Teile des Zeltlagers bist du?' Sie antwortete: ,Aus dem mittelsten Zelte, mit den höchsten Pfählen.' Daran erkannte er, daß sie die Tochter des Stammeshäuptlings war. ,Und du,' fragte sie darauf ihn, ,von welchen unter den Rossehirten bist du ?' Er sprach: ,Von dem höchsten in der Bäume Flucht und dem reifsten an Frucht.' Da küßte sie den Boden und rief: ,Allah stärke dich, o Beherrscher der Gläubigen!' und rief Segen auf sein Haupt herab; dann ging sie mit den Töchtern der Araber fort. Der Kalif aber sprach zu Dscha' für: ,Ich muß mich mit ihr vermählen.' Darauf begab der Wesir sich zu ihrem Vater und sprach zu ihm: ,Der Beherrscher der Gläubigen begehrt deine Tochter.' ,Herzlich gern,' erwiderte jener, ,sie sei als Magd Seiner Hoheit, unserem Herrn, dem Beherrscher der Gläubigen, geschenkt!' Dann stattete er sie aus und führte sie dem Kalifen zu; und der nahm sie zur Gemahlin und ging zu ihr ein, und sie ward ihm die liebste unter seinen Frauen. Ihrem Vater aber gab er reiche Geschenke, die ihm unter den Arabern Ansehen verliehen. Als nach einiger Zeit ihr Vater zur Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen entrückt ward und die Kunde davon den Kalifen erreicht hatte, ging er betrübt zu ihr. Und wie sie ihn in seiner Betrübnis kommen sah, trat sie alsbald in



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ihr Gemach, legte alle prächtigen Kleider ab, die sie trug, zog Trauergewänder an und erhob die Totenklage um ihren Vater. Als man sie fragte: ,Warum tust du das?' antwortete sie: ,Mein Vater ist gestorben.' Da gingen die Diener zum Kaufen und meldeten es ihm. Und er ging alsbald zu ihr und fragte sie: ,Wer hat dir diese Kunde gebracht?' ,Dein Antlitz, o Beherrscher der Gläubigen', erwiderte sie; und als er dann weiter fragte: ,Wieso?' fuhr sie fort: ,Seitdem ich bei dir weile, habe ich dich noch nie so gesehen wie diesmal, und um niemanden war ich mehr besorgt als um meinen Vater, da er hochbetagt war. Dein Haupt möge leben, o Beherrscher der Gläubigen!' Da rannen ihm die Tränen aus den Augen, und er tröstete sie in ihrem Schmerze. Eine lange Weile trauerte sie um ihren Vater, dann folgte sie ihm nach -Allah habe sie beide selig!

Ferner wird erzählt


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