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Hauffs Werke

Sechster Teil Phantasien und Skizzen Aus dem Nachlasse

Herausgegeben von

Max Drescher


V. Die Bel-Etage.

Ich war unter diesen Gedanken wieder an mein Fenster getreten. Der Tag war nun auch im ersten Stock gegenüber angebrochen. Ich konnte, weil das Haus auf der Mittagsseite lag, bis in die Mitte dieser schönen Zimmer schauen; ich nahm mein Opernglas zur Hand und musterte die Fenster. Es waren drei junge und eine alte Dame, die ich sah; von den Mädchen waren zwei noch im Negligé, die eine las im Fenster, schaute übrigens oft über das Buch hinweg auf die Straße; sie schien nicht mehr sehr jung, ihre Züge hatten schon etwas Scharfes angenommen, an ihrem Nasenwinkel glaubte ich jenes unbeschreibliche mokante Etwas zu bemerken, das einer meiner Freunde den Altiungfernzug nennt.

Die zweite, im Negligé, schien jünger und hübscher; sie saß am Klavier und präparierte sich wohl auf ihre Lektion oder gar auf einen Singtee. Mama saß an ihrer Seite und schien ihr Spiel zu bewundern . An einem andern Fenster saß ein Kind von sechzehn bis siebzehn Jahren. Es mußte die Fremde, die Cousine sein; denn wäre dieser schöne Kopf, wären diese Augen, deren Glanz ich aus so weiter Ferne bewunderte, schon länger in der Stadt gewesen, ich hätte gewiß von einer schönen Tochter der Oberforstmeisterin gehört. Sie nähte emsig an einem Kleide; aber dennoch konnte sie sich nicht enthalten, zuweilen die Vorübergehenden zu mustern, mit den niedlichen Fingern zu deuten, wenn ihr etwas auffiel, und die Lesende im Negligé zu befragen. Es mußte die Fremde sein. Ich hatte dazu mehrere Gründe. Die beiden andern Fräulein hatten gleiche Hauben, gleiche Bänder, gleiche Überröcke; sie waren die Schwestern. Die eine las, die andere musizierte, das schöne Kind aber arbeitete; was war natürlicher, als daß es die Fremde war, die arbeitete? Sie hatte ihre Garderobe vom Lande mitgebracht. Wenn sie auch dort nach der Mode gewesen sein mochte, so war sie doch hier schon um einige Monate zurück. Der Leib am Kleidchen durfte vielleicht nur etwas weiter ausgeschnitten, die Garnitur nur etwas höher gesetzt werden, so war man noch passabel nach der Mode. Auch das, daß sie so frühe schon in vollem Anzug war, bestärkte meine Vermutung.



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Ich hatte einige Zeit mit diesen Betrachtungen hingebracht, als ich Madame plötzlich aufstehen sah; sie winkte der Cousine, sie deutete ans Fenster; das schöne Mädchen öffnete und sah heraus, sie heftete ihre Blicke auf die Haustüre. Ich war begierig, wer erscheinen werde; denn offenbar erwartete sie jemanden, der aus dem Hause treten sollte. War es der Russenschuster? Hatte der Panser ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen? Oder ging vielleicht jemand aus dem obern Stock an ihrem Zimmer vorbei? Etwa der Doktor oder Münsterthurm , der kleine Leutnant? Er war es, der Kleine! Aber welchen sonderbaren Anblick gewährte er! Gleichsam zum Hohn hatte ihm die Natur einen großen Namen gegeben: wer dachte sich nicht, wenn er vom Leutnant Münsterthurm hörte, einen Kerl, der dem Kölner oder Straßburger Münster Ehre machte : Aber er war ein Duodezmünsterchen. Er hatte eine tiefe, rauhe Stimme; wenn man die Augen zumachte und ihn fluchen und donnerwettern hörte, glaubte man wenigstens, einen riesenhaften Kürassier vor sich zu haben. Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus; es ist der kleine Münsterthurm. Er kündigte sich zuerst durch das schreckliche Klirren eines nachschleppenden Säbels an; dann kam ein ungeheurer Hut mit wehendem Federbusch aus der Türe, unter ihm wandelte der Leutnant. Dieser Soldat schien seine verkürzten Formen dadurch entschädigen zu wollen, daß er alles, was er sich selbst beilegen konnte, im größten Maßstabe hatte; seinen ungeheuern Bart, die lange Pfeife, die er mit zwei Händen balancierte, hatte ich früher schon bewundert. Der Hut samt Federbusch maß drei Schuh in der Höhe, also zwei Dritteile von dem Leutnant; sein Schwert war eine furchtbare Waffe und reichte ihm, wenn er aufrecht neben ihm stand, hoch über die Brust. Er führte die längste Reitgerte, die ich gesehen, lange Sporen rasselten an seinen Füßchen; er ging wohl aus, uni einen Morgenritt für sechs Groschen zu machen. Er machte Front vor der Haustüre, ich sah, daß er unter seinem Hut hinaufschielte in den ersten Stock; er bemerkte die Fremde, eine angenehme Freude blitzte, nur mir sichtbar, aus seinen Augen; er tat, als hätte er sie nicht erblickt.

Er hieb mit der Reitpeitsche auf seine Stiefel und rief mit tiefer, dröhnender Stimme: "Johann!"

Ein großer Kerl in abgetragenen Soldatenkleidern fuhr aus dem Haus, stellte sich in militärische Position, die Hand an der Mütze, und antwortete: "Herr Leutnant!"

"Schlingel!" fuhr der Kleine fort, "hab' ich dir nicht gesagt, du solltest meine Flöte jeden Abend einsalben mit Mandelöl? Ha! daß dich das Donnerwetter! Sie hat gestern nacht gequiekt wie ein Dudelsack. Schmier' ein, sag' ich dir, salbe das fürtreffliche



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Instrument, daß es weich töne, oder dich soll der T . . . holen, und ich lasse dich sechs Stunden auf die Latten legen, daß du kein Glied rühren kannst."

"Ganz wohl, Herr Leutnant! aber . . ."

"Was! aber? Wenn ich befehle, gibt es kein aber; was willst du denn?"

"Ich hätte schon gestern eingeschmiert und gesalbt, Herr Leutnant ; aber der Grunsky bei dem ich das süße Mandelöl kaufen soll, sagte, er borge — mit Respekt zu vermelden — dem Herrn Leutnant keinen Groschen mehr."

"Was? mir das?" schrie Münsterthurm mit entsetzlicher Stimme, daß meine Fenster zitterten und die schöne Fremde erbleichte . "Ich ermorde ihn, ich renne ihn mit dem Säbel durch und durch, ich zerhacke alle Gläser, Pomeranzen und Zitronen in seinem Laden in Kochstücke! Der Kuckuck soll ihn holen, ihn und sein süß' Mandelöl!" Der tapfere Soldat wackelte zu diesen Worten mit dem Federbusch, klirrte mit dem Säbel, stampfte mit den Sporen, focht mit der Reitpeitsche in der Luft und blinzelte hinauf ans Fenster, welche Wirkung seine Berserkerwut hervorbringe. "Doch, es ist unter meiner Würde, mich über solche Kanaille zu alterieren," fuhr er ruhiger fort; "ich werde ihn verklagen, so tu' ich. — Johann!"

"Was befehlen der Herr Leutnant?"

"Geh in die Apotheke in der Königsstraße, dort, wo es zur Kirche hinunter geht, laß dir für zwei Groschen süß' Mandelöl geben; laß es aufschreiben — die Welt kennt meinen Namen."

So sprach der Leutnant Münsterthurm. Er nahm seinen Säbel unter den Arm, rückte den großen Hut schiefer aufs Ohr und schritt mit mächtigem Gange die Straße hinab.

Die Fremde aber schlug das Fenster zu, setzte sich an ihren Platz und lachte.


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