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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DSCHAUDAR UND SEINEN BRÜDERN

Es war einmal ein Kaufmann, 'Omar geheißen; der hatte als Nachkommen drei Söhne. von denen der älteste Sâlim. der jüngste Dschaudar und der mittlere Saum hieß. Er zog sie alle auf, bis sie erwachsen waren: aber er liebte Dschaudar mehr als seine Brüder. Als es nun den beiden anderen klar ward, daß der Vater ihren jüngsten Bruder am meisten liebte, kam die Eifersucht über sie, und sie begannen Dschaudar zu hassen. Ihr Vater bemerkte, wie die beiden ihrem Bruder feind waren; und da er ein alter Mann war, so fürchtete er, daß nach seinem Tode dein Dschaudar Arges von seinen Brüdern widerfahren würde. Daher versammelte er bei sich einige von seiner Sippe, ferner Erbteiler von seiten des Kadis und gelehrte Männer, und dann sprach er: ,Holt mir mein Geld und mein Gut!' Nachdem alles Geld und alle Stoffe gebracht waren, fuhr er fort: ,Ihr Leute, teilet dies Geld und diese Stoffe in vier Teile nach der gesetzlichen Vorschrift!' Und als das geschehen war, gab er jedem Sohne einen Teil; doch den vierten Teil behielt er für sich selber, indem er sprach: ,Dies warmem Geld; ich habe es unter sie geteilt, und jetzt haben sie keinen Anspruch mehr auf mich noch aufeinander. Wenn ich sterbe, so wird es keinen Streit zwischen ihnen geben; denn ich habe das Erbe schon zu meinen Lebzeiten geteilt. Das, was ich für mich behalten habe, soll



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meiner Frau gehören, der Mutter dieser Söhne, und sie soll damit ihren Unterhalt bestreiten.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 607 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kaufmann, nachdem er sein Geld und Gut in vier Teile hatte teilen lassen, jedem seiner drei Söhne einen Teil gab, während er den vierten Teil für sich behielt und sprach: ,Dieser Teil soll meiner Frau gehören, der Mutter dieser Söhne, und sie soll damit ihren Unterhalt bestreiten.' Bald darauf starb er; und nun war keiner der beiden älteren Brüder mit dem zufrieden, was ihr Vater 'Omar bestimmt hatte, sondern sie verlangten mehr von Dschaudar, indem sie sprachen: ,Unseres Vaters Geld ist bei dir!' Da ging er mit ihnen vor Gericht; und nachdem die Muslime, die bei der Teilung zugegen gewesen, erschienen waren und Zeugnis abgelegt hatten über das, was sie wußten, wies der Richter sie auseinander. Aber Dschaudar verlor viel Geld und ebenso auch seine Brüder durch den Streit vor Gericht. Die beiden ließen ihn eine Weile in Ruhe; dann aber begannen sie von neuem, Ränke wider um zu spinnen, so daß er zum zweiten Male mit ihnen vor Gericht ging. Und wiederum verloren sie viel Geld durch die Richter. Dennoch ließen die beiden nicht ab. nach seinem Schaden zu trachten, indem sie ihn von Tyrann zu Tyrann' schleppten; und so büßten die drei immer mehr Geld ein, bis sie alles an die Blutsauger vergeudet hatten. Nun waren die drei zu armen Leuten geworden. Die beiden älteren Brüder gingen darauf zu ihrer Mutter, verhöhnten sie, nahmen ihr Geld weg, schlugen sie und jagten sie fort. Da ging sie zu ihrem Sohne Dschaudar und sprach zu ihm: ,Deine Brüder haben



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mir dies und das getan und haben mein Geld weggenommen.' Und sie fluchte den beiden. Dschaudar aber sprach: ,Liebe Mutter, fluche ihnen nicht! Allah wird einem jeden von ihnen nach seinem Tun vergelten. Sieh doch, Mütterchen, ich bin arm geworden, und meine Brüder sind arm; denn durch Streit schwindet immer das Geld dahin. Ich habe viel mit meinen Brüdern vor den Richtern streiten müssen, aber es hat uns nichts genutzt; vielmehr haben wir alles vergeudet, was unser Vater uns hinterlassen hat, und die Leute haben uns durch ihr Zeugnis vor aller Augen bloßgestellt. Soll ich nun um deinetwillen wieder mit ihnen streiten und vor Gericht gehen? Das darf nicht sein! Bleib du nur bei mir, ich will das Brot, das ich esse, mit dir teilen! Bete für mich, und Allah wird mir deinen Unterhalt gewähren! Laß die beiden den Lohn für ihr Tun von Allah empfangen und tröste dich mit dem Dichterworte:

Wenn dich ein Tor bedruckt, so laß ihn nur gewähren
Und warte eine Weile auf das Strafgericht.
Gewalt und Druck' vermeide! Lastet auf dem Berge
Ein Berg, so denke dran, daß auch die Last zerbricht.'

So beruhigte er das Herz seiner Mutter, bis sie es zufrieden war und bei ihm blieb. Dann holte er sich ein Fischernetz und begann zum Strome zu gehen, zu den Teichen und zu jeder Stätte, an der es Wasser gab jeden Tag ging er an einen anderen Ort, und manchmal verdiente er an einem Tage für zehn Para, manchmal für zwanzig und manchmal für dreißig. Die gab er für seine Mutter aus; aber er konnte auch selbst noch gut essen und gut trinken. Seine beiden Brüder jedoch hatten kein Handwerk, auch trieben sie keinen Handel; so kam über sie, was da sengt und bedrängt, die Not, die sich an den Menschen hängt, und sie verloren auch das, was sie ihrer Mutter abgenommen hatten. Schließlich wurden sie zu elenden, nackten



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Bettlern. Da kamen sie manchmal zu ihrer Mutter. demütigten sich tief vor ihr und klagten über ihren Hunger; und da das Herz der Mutter mitleidig ist, so gab sie ihnen dann etwas verschimmeltes Brot zu essen, oder wenn vom Tage zuvor etwas Gekochtes übriggeblieben war, so sprach sie zu ihnen: ,Esset es rasch und geht davon, ehe euer Bruder kommt! Denn er könnte zürnen und sein Herz wider mich verhärten, so daß ich durch euch bei ihm mißachtet würde.' Darauf aßen sie hastig und gingen wieder fort. Eines Tages aber begab es sich, daß sie zu ihrer Mutter kamen und sie ihnen Fleisch und Brot vorsetzte; und siehe da, als die beiden beim Essen waren, trat ihr Bruder Dschaudar ein. Seine Mutter ward von banger Scheu vor ihm erfüllt und fürchtete, er würde ihr zürnen; darum senkte sie ihr Haupt zu Boden und stand beschämt vor ihrem eigenen Sohne da. Er jedoch lächelte ihnen freundlich entgegen und sprach: ,Willkommen, meine Brüder, ein gesegneter Tag! Wie kommt es, daß ihr mich an diesem gesegneten Tage besucht?' Dann umarmte er sie, nahm sie liebevoll auf und sprach zu ihnen: ,Ich hatte nicht geglaubt, daß ihr mich so lange allein lassen würdet, ohne zu mir zu kommen, daß ihr weder mich noch eure Mutter besuchen würdet!' ,Bei Allah, lieber Bruder,' erwiderten sie, ,wir hatten wohl Sehnsucht nach dir, aber die Scham wegen dessen, was zwischen uns vorgefallen ist, hielt uns zurück. Wir haben es bitter bereut; es war das Werk Satans - Allah der Erhabene verfluche ihn! Jetzt haben wir keinen anderen Segen mehr als dich und unsere Mutter.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 608. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschaudar, als er nach Hause



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kam und seine Brüder erblickte, sie willkommen hieß und zu ihnen sprach: ,Ich habe keinen Segen als euch!' Nun rief seine Mutter: ,Allah lasse dein Antlitz hell erstrahlen! Allah lohne dir reichlich! Du bist doch der Edelste, mein Sohn!' Und er fuhr fort: ,Seid herzlich willkommen, bleibet bei mir! Allah ist gütig, und des Guten ist viel bei mir.' So söhnte er sich mit ihnen aus; und sie blieben in seinem Hause und aßen mit ihm zur Nacht. Am nächsten Morgen frühstückten sie, und dann nahm Dschaudar sein Netz über die Schulter und ging fort, der Tür des Eröffners' entgegen; auch seine Brüder gingen und blieben bis zum Mittag fort; und als sie heimkehrten, trug ihre Mutter ihnen beiden das Mittagsmahl auf. Am Abend kam Dschaudar und brachte ihnen Fleisch und Gemüse. So lebten sie einen Monat lang, indem Dschaudar Fische fing und verkaufte und den Erlös für seine Mutter und seine Brüder ausgab; die beiden aßen nun und führten ein fröhliches Leben. Doch eines Tages begab es sich, daß Dschaudar mit seinem Netze zum Strome ging, es auswarf und leer wieder heraufzog. Da warf er es zum zweiten Male aus; und wiederum kam es leer herauf. Nun sagte er sich: ,An dieser Stelle gibt es keine Fische', begab sich an einen anderen Ort und warf dort sein Netz aus; aber es kam leer herauf. Also lenkte er seine Schritte wieder weiter an andere Stellen, und das tat er unablässig vom Morgen bis zum Abend, ohne daß er auch nur ein einziges Fischlein fing. Da rief er: ,Wunderbar! Sind denn alle Fische aus dem Strom verschwunden, oder was sonst?' Dann nahm er das Netz wieder auf den Rücken und kehrte betrübt und verdrießlich heim, indem er sich auch um seine Mutter und seine Brüder sorgte, weil er nicht wußte, was er ihnen zum Nachtmahl bringen sollte. Er kam an einem Backofen vorbei-



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sah, wie das Volk sich dort nach dem Brote drängte, mit Geld in den Händen, ohne daß der Bäcker sich darum kümmerte. Wie er nun stehen blieb und aufseufzte, sprach der Bäcker zu ihm: ,Sei willkommen, Dschaudar! Willst du Brot haben?' Als er schwieg, fuhr der Bäcker fort: ,Wenn du kein Geld bei dir hast, nimm so viel, wie du nötig hast; du kannst später bezahlen.' ,Gib mir für zehn Para Brot', sagte Dschaudar; doch der Bäcker antwortete: ,Da, nimm noch diese zehn Para hinzu! Morgen kannst du mir Fische für zwanzig Para bringen.' ,Herzlich gern', erwiderte Dschaudar und nahm das Brot und die zehn Para; für die kaufte er Fleisch und Gemüse, indem er sich sagte: ,Morgen wird der Herr weiterhelfen.' Dann ging er nach Hause, seine Mutter kochte das Mahl, und nachdem er gegessen hatte, legte er sich schlafen. Als er am nächsten Morgen sein Netz nahm, sagte seine Mutter zu ihm: ,Setze dich zum Frühmahl!' Doch er sprach: ,Iß du mit meinen Brüdern das Frühmahl!' Dann ging er zum Flusse, warf das Netz dort aus, einmal, zweimal, dreimal, und ging von Ort zu Ort bis zur Zeit des Nachmittags gebetes, ohne daß ihm etwas zufiel. Da lud er sein Netz wieder auf und ging niedergeschlagen davon. Wieder führte ilm sein Weg bei dem Bäcker vorbei; und als er dort ankam, sah ihn der Bäcker und reichte ihm das Brot und das Geld, indem er zu ihm sprach: ,Komm her, nimm und geh, wenn es heute nicht ist, so wird es morgen sein!' Dschaudar wollte sich entschuldigen; aber der Bäcker sprach: ,Geh nur, es bedarf keiner Entschuldigung! Wenn du etwas gefangen hättest, so hättest du es da. Als ich dich mit leeren Händen kommen sah, wußte ich, daß du nichts gefangen hast; und wenn dir auch morgen nichts zuteil wird, so komm und hole Brot. Scheue dich nicht; du kannst später zahlen!' Am dritten Tage zog Dschaudar von Teich zu Teich bis zur Zeit des Nachmittagsgebetes;



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und wiederum fand er nichts. So ging er denn zum Bäcker und nahm von ihm Brot und Geld in Empfang. Sieben Tage lang ging es immer so weiter; doch da ward er mutlos und sagte sich: ,Heute will ich zum See Karûn' gehen.' Wie er dort das Netz auswerfen wollte, kam plötzlich ein Maure auf ihn zu, der ein Maultier ritt; er trug prächtige Gewänder, und auf dem Rücken des Maultieres lagen gestickte Satteltaschen, und alles Geschirr des Tieres war mit Gold durchwirkt. Der Maure sprang ab von dem Maultier und rief: ,Friede sei mit dir, o Dschaudar, Sohn 'Omars!' ,Auch mit dir sei Friede, Herr Pilgersmann!' erwiderte Dschaudar. Dann fuhr der Maure fort: ,Hör, Dschaudar, ich habe ein Anliegen an dich; und wenn du mir willfährst, so wirst du viel Gut gewinnen, du wirst dann mein Gefährte sein und meine Geschäfte für mich leiten.' ,Herr Pilgersmann,' sprach Dschaudar, ,sag mir, was du im Sinne hast, so will ich dir gehorchen und nicht zuwider handeln.' Der Maure sagte: ,Sprich die erste Sure!' Nachdem er sie zusammen mit ihm gesprochen hatte, holte jener eine seidene Schnur hervor und sagte: ,Fessele mir die Hände auf dem Rücken, binde sie ganz fest und wirf mich in diesen See; dann warte ein wenig, und wenn du siehst, daß ich die Hände aus dem Wasser emporstrecke, ehe ich selber erscheine, so wirf das Netz nach mir aus und zieh mich rasch herauf. Wenn du aber siehst, daß ich die Füße herausstrecke, so wisse, daß ich tot bin; dann verlasse mich, nimm das Maultier und die Satteltaschen und geh zum Basar der Kaufleute. Dort wirst du einen Juden finden, namens Schama' ja; gib ihm das Maultier, und er wird dir hundert Dinare geben. Nimm sie, bewahr das Geheimnis und geh deiner Wege!' Nun band



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Dschaudar ihm die Hände ganz fest, während der Maure immer sagte: ,Binde fester!' Schließlich sagte er: ,Jetzt stoße mich vorwärts, bis ich in den See hineinstürze!' Da stieß Dschaudar den Mauren vorwärts und stürzte ihn in den See, so daß er unterging. Eine Weile stand der Jüngling wartend da; aber dann erschienen des Mauren Füße über dem Wasser, und so wußte er, daß er tot war. Da nahm er das Maultier, ließ den Mauren, wo er war, und begab sich zum Basar der Kaufleute; dort sah er den Juden auf einem Stuhle an der Tür seines Vorratshauses sitzen. Kaum hatte der jude das Maultier erkannt, so rief er auch schon: ,Ja, der Mann ist umgekommen!' Und dann fügte er hinzu: ,Nur die Habgier hat ihn umgebracht!' Darauf nahm er dem Dschaudar das Maultier ab und gab ihm hundert Dinare, indem er ihm einschärfte, das Geheimnis zu wahren. Dschaudar nahm das Geld, ging weiter und holte, was er an Brot nötig hatte, von dem Bäcker, indem er zu ihm sprach: ,Nimm diesen Dinar!' Da nahm der Mann das Goldstück und berechnete, was er noch zu fordern hatte; dann sagte er: ,Du hast noch für zwei Tage Brot von mir zu erhalten.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 609. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Bäcker, als er mit Dschaudar über den Preis des Brotes abrechnete, zu ihm sprach: ,Du hast noch für zwei Tage Brot von mir zu erhalten.' Darauf begab Dschaudar sich von ihm zum Fleischer, gab auch ihm einen Dinar, entnahm Fleisch und sagte: ,Lasse das, was von dem Dinar übrigbleibt, bei dir auf Rechnung stehen!' Ferner holte er Gemüse und ging heim; da sah er, wie seine Brüder gerade von ihrer Mutter Speise verlangten, während sie zu ihnen sprach: ,Wartet, bis euer Bruder heimkehrt! Ich habe



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nichts.' Er trat zu ihnen ein und sprach zu ihnen: ,Nehmt und eßt!' Und sie fielen über die Speisen her wie gefräßige Dämonen. Darauf gab Dschaudar den Rest des Goldes seiner Mutter mit den Worten: ,Nimm hin, Mutter! Wenn meine Brüder zu dir kommen, so gib ihnen etwas, damit sie sich Nahrung kaufen können, während ich abwesend bin!' Die Nacht über blieb er zu Hause; doch als es Morgen ward, nahm er das Netz und ging wieder zum See Karûn; dort blieb er stehen, und gerade als er das Netz auswerfen wollte, erschien plötzlich ein zweiter Maure, reitend auf einem Maultier, und noch prächtiger ausgestattet als jener, der ertrunken war; auch er hatte Satteltaschen, und in jeder der beiden Taschen befand sich ein Kästchen. Der rief: ,Friede sei mit dir, o Dschaudar!' ,Auch mit dir sei Friede, Herr Pilgersmann', erwiderte Dschaudar; und der Maure fuhr fort: ,Ist gestern zu dir ein Maure gekommen, der auf einem Maultier wie diesem hier ritte' Der Jüngling erschrak und leugnete, indem er sprach: ,Ich habe niemanden gesehen.' Denn er fürchtete, der andere könnte ihn fragen, wohin der Mann gegangen sei, und wenn er selber dann erwidere, jener sei im See ertrunken, so möchte er vielleicht behaupten: ,Du hast ihn ertränkt!' So blieb ihm nichts anderes übrig, als zu leugnen. Doch der Maure sagte: ,Armer Kerl, er war mein Bruder, der vor mir herzog.' Dennoch beharrte Dschaudar darauf: ,Ich weiß nichts von ihm.' Nun fragte der Maure: ,Hast du ihm nicht die Hände gefesselt und ihn in den See geworfen? Und hat er nicht zu dir gesagt: ,Wenn ich meine Hände herausstrecke, so wirf das Netz nach mir und zieh mich eilends heraus; wenn ich aber die Füße herausstrecke, so bin ich tot, und dann nimm das Maultier und führe es zu dem Juden Schama'ja, der wird dir hundert Dinare geben?' Sind dann nicht seine Füße herausgekommen, und hast du



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nicht das Maultier zu dem Juden gebracht, und hat der dir nicht hundert Dinare gegeben?' ,Wenn du alles weißt,' sagte Dschaudar darauf, ,warum fragst du mich dann noch?' Und der Maure fuhr fort: ,Ich möchte, daß du mit mir tust, wie du mit meinem Bruder getan hast.' Dann gab er ihm eine seidene Schnur und fügte hinzu: ,Binde mir die Hände auf dem Rücken; und wenn es mir ergeht wie meinem Bruder, so nimm das Maultier, führe es zu dem Juden und nimm von ihm hundert Dinare.' Nun sagte Dschaudar: ,Tritt heran!' Und als der Maure das getan hatte, band Dschaudar ihm die Hände fest und stieß ihn vorwärts, so daß er in den See fiel und unterging; eine Weile wartete der Jüngling, und als dann die Füße herauskamen, sprach er: ,Er ist tot und in der Hölle. So Gott will, kommen die Mauren jeden Tag zu mir; dann will ich sie fesseln, und sie mögen umkommen. Hundert Dinare für jeden Toten -das genügt mir!' Darauf nahm er das Maultier und zog weiter. Wie der Jude ihn sah, rief er ihm zu: ,Ist der zweite auch tot?' ,Möge dein Haupt am Leben bleiben!' entgegnete Dschaudar; und der Jude fuhr fort: ,Solches ist der Lohn der Habgierigen', nahm ihm das Maultier ab und gab ihm hundert Dinare. Als Dschaudar sie erhalten hatte, begab er sich zu seiner Mutter und gab sie ihr. ,Mein Sohn, woher hast du die?' fragte sie alsbald; und er erzählte ihr alles. Da sagte sie: ,Geh nicht mehr zum See Karûn! Ich bin um dich besorgt wegen der Mauren.' ,Liebe Mutter,' erwiderte er, ,ich stoße sie doch nur auf ihren eigenen Wunsch hinein. Was soll ich tun? Dies ist ein Handwerk, das mir täglich hundert Dinare einbringt! Ich komme ja auch immer rasch zurück. Bei Allah, ich will nicht eher aufhören, zum See Karûn zu gehen, bis die Spur der Mauren aufhört und keiner von ihnen mehr übrig ist.' So ging er denn auch am dritten Tage hin und stellte sich auf; wiederum



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erschien plötzlich ein Maure auf einem Maultiere mit Satteltaschen, aber noch prächtiger ausgerüstet als die beiden ersten. Der rief: ,Friede sei mit dir, o Dschaudar, o Sohn 'Omars!' Da sagte sich der Jüngling: ,Woher kennen die mich alle?' Doch er erwiderte alsbald den Gruß; und nun fuhr der Maure fort: ,Sind Mauren hier vorbeigekommen?' ,Ja, zwei', erwiderte Dschaudar; und jener fragte weiter: ,Wohin sind sie gegangen?' Der Jüngling antwortete: ,Ich habe sie gefesselt und in diesen See gestoßen; dort sind sie ertrunken, und deiner harrt das gleiche Schicksal.' Da lachte der Maure und rief: ,Armer Kerl, jedes Leben hat seine Zeit!' Dann stieg er vom Maultier herunter und fuhr fort: ,Dschaudar, tu mit mir, wie du mit den anderen getan hast!' Als er die seidene Schnur hervorholte, sagte Dschaudar zu ihm: ,Halte die Hände auf den Rücken, damit ich dich feßle; ich habe Eile, und die Zeit geht rasch dahin.' Der Maure hielt die Hände hinter sich, der Jüngling fesselte ihn und stieß ihn vorwärts; da fiel der Fremde in den See. Dschaudar blieb stehen und wartete; plötzlich aber hielt der Maure seine Hände empor und tief: ,Wirf das Netz aus, armer Kerl!' Da warf er das Netz über ihn und zog ihn heraus, und siehe da, er hatte zwei Fische in den Händen, in jeder Hand einen, die waren rot wie Korallen. Dann gebot er: ,Öffne die Kästchen!' Dschaudar tat es, und der Maure legte in jedes einen Fisch hinein und verschloß es wieder. Dann zog er den Jüngling an seine Brust, küßte ihn auf die rechte Wange und auf die linke und sprach: ,Gott errette dich stets aus aller Not! Bei Allah, hättest du nicht das Netz über mich geworfen und mich herausgezogen, so hätte ich diese beiden Fische festgehalten, während ich im Wasser versank, so lange bis ich ertrunken wäre und nichtmehr aus dem See hätte herauskommen können.' ,Herr Pilgersmann,' erwiderte Dschaudar, ,ich be



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schwöre dich, tu mir die Wahrheit kund über die beiden, die ertrunken sind, und über diese beiden Fische und über den Juden!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 610. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Maure, als Dschaudar ihn bat: ,Tu mir die Wahrheit kund über die beiden, die ertrunken sind!' ihm antwortete: ,Wisse, o Dschaudar, die beiden Ertrunkenen waren meine Brüder; der eine hieß 'Abd es-Salâm, der andere 'Abd el-Ahad, und ich heiße 'Abd es-Samad. Auch der jude ist unser Bruder; er heißt 'Abd er-Rahîm und ist in Wirklichkeit kein Jude, sondern ein Muslim, und zwar ein Malikit.' Unser Vater hatte uns gelehrt, geheime Dinge zu erkennen, Schätze zu heben und zu zaubern; und wir übten uns so lange, bis uns die Mârids unter den Geistern und die Dämonen dienstbar wurden. Wir waren also vier Brüder. Söhne eines Vaters, der 'Abd el-Wadûd hieß. Als unser Vater starb, hinterließ er uns vielerlei. Da teilten wir die Schätze und die Reichtümer und die Talismane, bis wir zu den Büchern kamen. Doch als wir die teilten, erhob sich ein Streit zwischen uns wegen eines Buches, das da hieß ,Die Legenden der Alten'; seinesgleichen gibt es nirgends, auch könnte niemand seinen Wert bezahlen, ja es läßt sich nicht einmal mit Edelsteinen aufwiegen, denn in ihm sind alle Schätze genannt, und alles geheime Wissen ist ihm bekannt. Unser Vater pflegte es zu gebrauchen, und wir wußten einen kleinen Teil davon auswendig; nun wollte ein jeder von uns es besitzen, um alles zu erfahren,



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was darinnen stand. Während wir damals miteinander stritten, war der Scheich unseres Vaters bei uns, er, der unseren Vater erzogen und in Zauber und Magie unterwiesen hatte; der war el-Kahîn el-Abtan' geheißen. Und er sprach zu uns: ,Holt das Buch!' Wir gaben es ihm, und er fuhr fort: ,Ihr seid die Söhne meines Sohnes, und darum vermag ich keinem von euch unrecht zu tun. Wer also dies Buch erhalten will, der gehe hin und hebe den Schatz von esch-Schamardal und bringe mir die Himmelsscheibe, die Schminkbüchse, den Siegelring und das Schwert. Der Siegelring hat einen Mârid zum Diener, des Namens er-Ra'd el-Kâsif'; und wer ihn besitzt, wider den wird kein König und kein Sultan etwas vermögen; ja, wenn er will, kann er durch ihn die ganze Welt beherrschen weit und breit. Wer aber das Schwert trägt, der kann, wenn er es zückt und gegen ein Heer schwingt, alsbald das Heer in die Flucht schlagen; und wenn er beim Schwingen zu ihm spricht: ,Schlag dies Heer tot!' so sprühen feurige Blitze aus dem Schwerte und töten das ganze Heer. Und wer die Himmelsscheibe besitzt, der kann, wenn er will, alle Länder von Ost nach West darin erblicken; dann kann er sie schauen und betrachten, während er ruhig dasitzt. Wenn er irgendein Land zu betrachten wünscht, braucht er nur die Scheibe dorthin zu drehen und in sie hineinzublicken; dann sieht er das Land und das Volk darin, als ob alles vor ihm läge. Ist er aber auf irgendeine Stadt erzürnt und wendet die Scheibe der Sonne zu, so kann er die Stadt verbrennen, wenn er es will. Was endlich die Schminkbüchse anlangt, so kann jeder, der sich aus ihr die Augen schminkt, die Schätze der Erde erkennen. Dies lege ich euch als Bedingung auf: Wer diesen Schatz nicht heben kann, der hat keinen Anspruch auf das Buch; doch wer es tut und mir die vier Kleinodien



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bringt, der soll das Recht haben, dies Buch zu erhalten.' Wir waren mit der Bedingung einverstanden; dann fuhr er fort: ,Meine Söhne, wisset, daß der Schatz von esch-Schamardal unter der Herrschaft der Söhne des Roten Königs' steht; und euer Vater hat mir erzählt, daß er einst jenen Schatz zu heben versuchte, es aber nicht zu tun vermochte; denn die Söhne des Roten Königs flohen vor ihm zu einem See im Lande Ägypten, geheißen der See Karûn, und verkrochen sich in ihn; er folgte ihnen nach Ägypten, aber er vermochte ihrer nicht Herr zu werden, sintemalen sie sich in jenem See versteckt hatten, der durch einen Zauber gefeit ist.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 611. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß el-Kahîn el-Abtan den Jünglingen des weiteren erzählte: ,Euer Vater kehrte unverrichteter Sache heim, da er den Schatz von esch-Schamardal den Söhnen des Roten Königs nicht entreißen konnte und nichts wider sie vermochte. Und er kam zu mir und klagte es mir. Da berechnete ich die Sterne für ihn und sah in ihnen geschrieben, daß dieser Schatz nur durch einen Jüngling aus Kairo gehobenwerden könne, der den Namen Dschaudar ibn 'Omar führe. Jener Jüngling wäre ein Fischer, und er werde am See Karûn zu finden sein. Und jener Zauber würde nur dann gelöst werden können, wenn Dschaudar dem Schatzsucher die Hände auf dem Rücken fessele und ihn in den See stoße: darauf würden die Söhne des Roten Königs mit ihm kämpfen, und wer Glück habe, der werde die Geistersöhne packen; wer aber kein Glück habe, der werde umkommen, und seine Füße würden sich über dem Wasser zeigen. Bei dem aber, der Erfolg haben solle, würden



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zuerst die Hände erscheinen; und dann müsse Dschaudar das Netz über ihn werfen und ihn aus dem See herausziehen.' Da sagten zwei meiner Brüder: ,Wir wollen dahin gehen, auch wenn wir den Tod finden!' Und ich sagte: ,Auch ich will gehen.' Aber unser Bruder, der jetzt als Jude verkleidet ist, sagte: ,Ich trage kein Verlangen danach.' Deshalb verabredeten wir mit ihm, er solle sich nach Kairo begeben in Gestalt eines jüdischen Kaufmannes, auf daß er, wenn einer von uns in dem See umkäme, sein Maultier und seine Satteltaschen in Empfang nähme und dem Überbringer hundert Dinare gäbe. Den ersten, der zu dir kam, haben die Söhne des Roten Königs getötet, und auch meinen zweiten Bruder haben sie umgebracht. Mich aber haben sie nicht übermocht. und so habe ich sie gefangen.' ,Wo sind denn deine Gefangenen?' fragte Dschaudar; und der Maure fuhr fort: ,Hast du sie nicht gesehen, wie ich sie in die Kästchen einsperrte?' ,Das waren ja Fische', entgegnete Dschaudar; doch der Maure sprach: ,Nein, das sind keine Fische; das sind Dämonen in Fischgestalt! Aber, o Dschaudar, wisse, daß der Schatz nur durch dich gehoben werden kann. Willst du meinen Wunsch erfüllen und mit mir nach der Stadt Fes und Meknes' ziehen? Dort wollen wir den Schatz heben, und hernach will ich dir alles geben, was du verlangst; du sollst immerdar vor Allah mein Bruder sein und sollst fröhlichen Herzens zu den Deinen zurückkehren.' .Mein Herr Pilgersmann,' erwiderte Dschaudar, ,auf meinem Halse lasten meine Mutter und meine beiden Brüder.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sic hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 612. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet



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worden, o glücklicher König, daß Dschaudar zu dem Mauren sprach: ,Auf meinem Halse lasten meine Mutter und meine beiden Brüder. Ich habe für sie zu sorgen; und wenn ich mit dir gehe, wer soll ihnen das Brot geben?' ,Das ist ein nichtiger Vorwand,' entgegnete ihm der Maure; ,wenn es sich nur um die Ausgaben handelt, so wollen wir dir tausend Dinare geben; die kannst du dann deiner Mutter schenken, damit sie davon lebt, bis du in deine Heimat zurückkehrst. Wenn du fortziehst, so wirst du vor Ablauf von vier Monaten zurückkehren.' Wie Dschaudar von tausend Dinaren hörte, rief er: ,Her, o Pilger, mit den tausend Goldstücken! Ich will sie bei meiner Mutter lassen und mit dir ziehen.' Da holte der Maure das Geld hervor, und Dschaudar nahm es und ging zu seiner Mutter. Er berichtete ihr auch, was er mit dem Mauren erlebt hatte, und fügte hinzu: ,Nimm also die tausend Dinare hin und gib davon aus für dich und für meine Brüder! Ich will mit dem Mauren gen Westen ziehen und vier Monate fortbleiben. Mir wird viel Gutes widerfahren; drum segne mich, mein Mütterchen!' ,Mein Sohn,' erwiderte sie, ,du machst mich trostlos, und ich bin um dich besorgt.' Doch er sagte: ,Liebe Mutter, dem kann kein Leid widerfahren, der in Gottes Hut steht, und der Maure ist ein guter Mann.' Und nun begann er sein Wesen zu preisen, so daß die Mutter schließlich sagte: ,Allah mache dir sein Herz geneigt! Geh mit ihm, mein Sohn, vielleicht wird er dir manches schenken!' Da nahm er Abschied von ihr und ging fort. Als er wieder bei dem Mauren 'Abd es-Samad ankam, fragte der ihn: ,Hast du deine Mutter um Rat gefragt?' ,Jawohl,' antwortete Dschaudar, ,und sie hat mich gesegnet.' ,Dann sitz hinter mir auf', sagte der Maure. Und nachdem Dschaudar das Maultier bestiegen hatte, ritten die beiden dahin, von Mittag bis zur Zeit des Nachmittagsgebetes; da wurde der Jüngling



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hungrig, und weil er bei dem Mauren keine Zehrung sah, so sprach er zu ihm: ,Herr Pilgersmann, hast du vielleicht vergessen, für uns etwas mitzunehmen, das wir unterwegs essen können?' ,Bist du hungrig?' fragte der Maure, und Dschaudar antwortete: ,Jawohl.' Nun stiegen beide von dem Maultier herunter, und der Maure sagte: ,Nimm die Satteltaschen herab!' Nachdem jener das getan hatte, fragte er weiter: ,Was willst du haben, mein Bruder?' ,Irgend etwas.' ,üm Gottes willen, sag mir doch, was du haben möchtest!' ,Brot und Käse.' ,Armer Kerl, Brot und Käse schicken sich nicht für dich: verlange etwas Gutes!' ,Gerade jetzt ist mir alles gut genug.' ,Magst du gebratene Hühnchen?' ,Jawohl!' ,Magst du auch Reis mit Honig?' ,Jawohl!' So fragte der Maure weiter: ,Magst du dies?' und ,Magst du das?' bis er ihm vierundzwanzig Gerichte genannt hatte. Dschaudar dachte: ,Der Mann ist irre; woher will er mir all die Gerichte bringen, die er da nennt, sintemalen er weder Koch noch Küche hat. Ich will aber zu ihm sagen, es sei genug.' Er rief also: ,Das genügt; du erweckst in mir die Sehnsucht nach all den Gerichten, und ich sehe doch nichts.' ,Willkommen, o Dschaudar!' sprach der Maure, steckte seine Hand in die Satteltasche und zog daraus eine goldene Schüssel hervor, auf der zwei heiße gebratene Hühnchen lagen. Dann griff er zum zweiten Male hinein und holte eine goldene Schüssel mit Röstfleisch heraus; so zog er unablässig eins nach dem andern hervor, bis er die vierundzwanzig Gerichte, die er genannt hatte, samt und sonders vor sich sah, während Dschaudar ganz erstaunt dastand. ,Iß, armer Kerl', rief der Maure; doch der Jüngling sagte: ,Hast du etwa in diese Satteltaschen eine Küche getan und Leute, die da kochen?' Lachend antwortete der Mann: ,Dies sind Zaubertaschen, und sie haben einen dienstbaren Geist; wenn wir auch in jeder Stunde tausend



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Gerichte verlangten, so würde er sie uns doch sofort herbeischaffen.' ,Das sind ja prächtige Taschen', sagte Dschaudar. Dann aßen sie, bis sie gesättigt waren, und was übrigblieb, schütteten sie weg. Darauf legte der Maure die leeren Schüsseln in die Tasche zurück, steckte von neuem die Hand hinein und holte eine Kanne heraus. Sie tranken, nahmen die religiöse Waschung vor und sprachen das Nachmittagsgebet; nun legte er die Kanne in die Tasche zurück. Auch die beiden Kästchen tat er hinein, und dann warf er die Taschen dem Maultier über den Rücken, saß auf und rief: ,Steig auf, wir wollen weiterreiten.' Darauf sprach er: ,Sag, Dschaudar, weißt du wohl, welche Strecke wir von Kairo bis hierher zurückgelegt haben?' ,Nein, bei Allah, ich weiß es nicht', erwiderte er; und der Maure tat ihm kund: ,Wir haben eines vollen Monats Reise zurückgelegt.' Da rief Dschaudar: ,Wie ist das möglich?' Der Maure entgegnete ihm: ,O Dschaudar, wisse, dies Maultier unter uns ist einer von den Mârids der Geisterwelt, und es kann an jedem Tage die Reise eines Jahres zurücklegen; es ist um deinetwillen heute langsamer gegangen.' Dann ritten sie weiter dem Westland entgegen; und als es Abend ward, holte der Maure das Nachtmahl aus den Satteltaschen. Ebenso holte er am nächsten Morgen das Frühmahl hervor. So ritten sie unermüdlich vier Tage dahin; erst um Mitternacht machten sie Halt, stiegen ab und schliefen. Am nächsten Morgen brachen sie wieder auf; und sooft Dschaudar nach etwas Verlangen trug, erbat er es von dem Mauren, und der holte es aus den Satteltaschen hervor. Am fünften Tage erreichten sie Fes und Meknes und zogen in die Stadt ein; und wie sie nun durch die Stadt ritten, begrüßte ein jeder, der ihnen begegnete, den Mauren und küßte ihm die Hände. So zogen sie dahin, bis sie zu einer Tür gelangten, an die 'Abd es-Samad klopfte. Da tat die



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Tür sich auf, und heraus trat eine Maid, so schön wie der Mond. Zu der sprach der Maure: ,O Rahma, o meine Tochter, öffne uns den Söller!' Sie erwiderte: ,Herzlich gern, mein Väterchen!' und trat mit wiegenden Hüften ins Haus zurück. Da war Dschaudar ganz berückt, und er sprach: ,Dies ist gewiß eine Prinzessin!' Nachdem sie den Söller geöffnet hatte, nahm der Maure die Satteltaschen von dem Maultier und sprach zu diesem: ,Geh, und Gott segne dich!' Da spaltete sich die Erde, und das Maultier sank hinab; und die Erde ward wieder, wie sie zuvor gewesen war. Dschaudar rief: ,O Beschützer, Preis sei dir, o Allah. der du uns auf ihrem Rücken behütet hast!' Doch der Maure sprach: ,Wundere dich nicht, Dschaudar! Ich habe dir doch schon gesagt, daß dies Maultier ein Dämon ist. Nun laß uns aber zum Söller hinaufgehen!' Als der Jüngling dort eintrat, ward er verwirrt durch die Menge von prächtigen Teppichen und durch alles, was er dort sah, die kostbaren Geräte und die Ampeln aus Edelsteinen und edlen Metallen. Nachdem sie sich gesetzt hatten, befahl der Maure seiner Tochter: ,O Rahma, hole uns dasunddas Bündel!' Da brachte sie ein Bündel und legte es vor ihrem Vater nieder; der aber öffnete es, entnahm ihm ein Prachtgewand im Werte von tausend Dinaren und sprach: ,Lege es an, o Dschaudar, du bist willkommen!' Der Jüngling legte das Gewand an und glich in ihm einem der Könige des Westlandes. Nun legte der Maure die Satteltaschen vor sich hin, steckte seine Hand hinein und holte Schüssel auf Schüssel mit allerlei verschiedenen Gerichten heraus, bis etwa vierzig Gerichte auf dem Tische standen; und er sprach zu Dschaudar: ,Mein Gebieter, tritt heran und iß und nimm vorlieb!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 613.



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Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Maure, nachdem er Dschaudar in den Söller geführt hatte, ein Mahl von vierzig Gerichten vor ihm ausbreitete und zu ihm sprach: ,Iß und nimm vorlieb! Wir wissen ja nicht, was du gern hast von Speisen; sag uns nur, was du wünschest, und wir werden es dir sogleich herbeischaffen!' ,Bei Allah, Herr Pilgersmann,' erwiderte Dschaudar, ,ich habe alle Gerichte gern und verschmähe nichts. Frage mich nicht, sondern gib mir alles, was dir in den Sinn kommt; ich habe nichts zu tun als zu essen!' Danach blieb er zwanzig Tage bei dem Mauren, und der gab ihm an jedem Tage ein neues Gewand; und sie aßen immer aus den Satteltaschen; der Maure brauchte nichts zu kaufen, weder Fleisch noch Brot, auch kochte er nicht, sondern alles, was er brauchte. kam aus den Zaubertaschen, selbst die verschiedenen Arten von Früchten. Am einundzwanzigsten Tage aber sprach er: ,O Dschaudar, laß uns gehen! Dies ist der Tag, der vorherbestimmt ist für die Hebung des Schatzes von esch-Schamardal.' Da machte er sich auf mit ihm, und sie gingen bis ans Ende der Stadt; draußen vor dem Tore aber bestiegen die beiden jeder ein Maultier, und sie ritten immer weiter bis zur Mittagszeit. Nun erreichten sie einen Fluß mit strömendem Wasser; dort stieg 'Abd es-Samad ab und sprach: ,Steig ab, Dschaudar!' Dann rief er: ,Vorwärts!' indem er zwei Sklaven mit seiner Hand winkte; und die beiden nahmen die Maultiere, und ein jeder von ihnen zog seines Weges. Nachdem sie eine kurze Weile fortgeblieben waren, kehrte einer von ihnen mit einem Zelte zurück und schlug es auf, während der zweite einen Teppich brachte und ihn im Zelte ausbreitete; und ringsherum legte er Polster und Kissen. Darauf ging der eine von ihnen hin und holte die beiden Kästchen, in denen die zwei Fische



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waren; der andere aber holte die Satteltaschen. Nun hub der Maure an und sprach: ,Komm ,Dschaudar!' Der Jüngling trat herein und setzte sich neben ihn. Darauf holte der Maure aus den Satteltaschen Schüsseln mit Speisen, und die beiden aßen das Mittagsmahl. Nach dem Essen nahm er die beiden Kästchen und sprach Beschwörungen über sie; da erklangen von drinnen Stimmen, die riefen: ,Zu deinen Diensten, o größter Zauberer der Welt! Hab Erbarmen mit uns!' Und sie schrien um Hilfe. Er aber sprach noch mehr Zauberformeln über sie, bis die beiden Kästchen in Stücke zersprangen und die Trümmer umherflogen; da traten aus ihnen zwei Männer mit gefesselten Händen heraus und sprachen: ,Gnade, o größter Zauberer der Welt! Was willst du mit uns beginnen?' Er antwortete: ,Ich will euch beide verbrennen, es sei denn, daß ihr euch mir verpflichtet, den Schatz von esch-Schamardal zu heben!' Sie fuhren fort: ,Wir verpflichten uns dir, und wir wollen den Schatz öffnen, doch nur unter der Bedingung, daß du Dschaudar, den Fischer, herbeischaffst; denn der Schatz kann nur durch ihn gehoben werden, und niemand kann zu ihm eindringen außer Dschaudar ibn 'Omar.' Da rief der Maure: ,Den, von dem ihr redet, habe ich schon hergebracht, er ist hier und hört und sieht euch.' Nun schworen sie ihm, den Schatz zu öffnen, und er ließ sie frei. Darauf holte er ein Rohr und Tafeln aus rotem Karneol und legte die Tafeln auf das Rohr; ferner nahm er ein Kohlenbecken, tat Kohlen hinein und hauchte sie mit einem einzigen Atemzuge an, so daß sich das Feuer darin entzündete. Schließlich holte er Weihrauch und sprach: ,Dschaudar, jetzt will ich die Beschwörungen sprechen und den Weihrauch hineinwerfen; und wenn ich mit dem Zauber begonnen habe, so darf ich nicht mehr reden, sonst wird er zunichte. Darum will ich dich jetzt lehren, was du zu tun hast,



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um dein Ziel zu erreichen. ,Lehre es mich!' erwiderte der Jüngling; und der Maure fuhr fort: ,Wisse also, wenn ich den Zauber gesprochen und den Weihrauch aufs Feuer geworfen habe, so wird das Wasser im Flusse austrocknen, und du wirst eine goldene Tür erblicken, so groß wie das Tor einer Stadt, mit zwei ehernen Ringen; geh zu der Tür, poche leise und warte ein Weile. Dann poche zum zweiten Male, lauter als zuvor, und warte wieder eine Weile; und dann poche dreimal hintereinander in rascher Folge. Darauf wirst du eine Stimme hören, die da spricht: ,Wer klopft an das Tor der Schätze an, ob er gleich die Geheimnisse nicht lösen kann?' Du aber sprich: ,Ich bin Dschaudar, der Fischer, der Sohn des 'Omar.' Dann wird sich das Tor auftun, und eine Gestalt wird heraustreten, mit dem Schwerte in der Hand, und wird zu dir sagen: ,Wenn du der Mann bist, so strecke deinen Nacken vor, auf daß ich dir den Kopf abschlage!' Halt ihm ruhig deinen Nacken hin und fürchte dich nicht! Denn wenn er seine Hand mit dem Schwerte erhebt und dich erschlagen will, so wird er vor dir niederstürzen, und nach einer kleinen Weile wirst du ihn als lebloses Wesen daliegen sehen. Du wirst den Streich nicht verspüren, und dir wird kein Leid widerfahren; doch wenn du dich ihm widersetzest, wird er dich töten. Hast du seinen Zauber durch deinen Gehorsam gebrochen, so geh hinein, bis du ein zweites Tor erblickest. Klopfe an, so wird ein Reiter auf einem Rosse zu dir herauskommen, mit einer Lanze auf der Schulter, und er wird zu dir sprechen: ,Was führt dich an diesen Ort, den kein Mensch und kein Geist betritt?' Er wird seine Lanze wider dich schütteln; du aber halte ihm die bloße Brust hin, und er wird nach dir stoßen und im selben Augenblick zu Boden sinken. Du wirst ilm liegen sehen als Leib ohne Seele; doch wenn du es nicht tust, so wird er dich töten. Darauf



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geh weiter bis zur dritten Tür, so wird ein Mensch dir entgegentreten, der Pfeile und Bogen in der Hand hält, und wird den Bogen auf dich richten. Entblöße deine Brust vor ihm, so wird er schießen und sogleich vor dir niederstürzen, ein Leib ohne Leben: handelst du aber anders, so tötet er dich. Dann geh weiter zur vierten Tür.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 614. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Maure zu Dschaudar sprach: ,Geh weiter zur vierten Tür und klopfe an; sie wird sich vor dir auftun, und ein Löwe von riesiger Größe wird dir entgegentreten, sich auf dich stürzen und seinen Rachen aufsperren, als wolle er dich verschlingen. Fürchte dich nicht und fliehe nicht vor ihm; sondern wenn er vor dir steht, reiche ihm die Hand, so wird er auf der Stelle niedersinken, und dir wird kein Leid geschehen! Darauf geh weiter zur fünften Tür; dort wird ein schwarzer Sklave zu dir heraustreten und dich fragen: ,Wer bist du?' Sprich: ,Ich bin Dschaudar!' Und er wird sagen: ,Wenn du jener Mann bist, so öffne die sechste Tür.' Du aber tritt zu der Tür und sprich: ,O jesus, sag zu Moses, er solle die Tür auftun.' Die Tür wird sich öffnen, und wenn du hineingehst, so wirst du zwei Drachen finden, einen zur Linken und einen zur Rechten. Beide werden den Rachen aufsperren und sich sofort auf dich stürzen. Halt ihnen deine beiden Hände entgegen, und ein jeder von ihnen wird nach einer Hand schnappen; doch wenn du das nicht tust, werden sie dich totbeißen!' Und nun geh weiter bis zum siebenten Tore und klopfe an, so wird deine Mutter zu dir heraustreten und zu dir sagen: ,Willkommen, mein Sohn! Tritt näher, auf daß ich dich begrüße!' Du aber sprich zu ihr: ,Hebe dich hinweg von



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mir und lege deine Kleider ab!' ,Mein lieber Sohn,' wird sie dann sagen, ,ich bin doch deine Mutter, und du bist mir den Dank dafür schuldig, daß ich dich gesäugt und aufgezogen habe; wie kannst du mich da entblößen wollen?' Dennoch sprich zu ihr: ,Wenn du deine Kleider nicht ablegst, so töte ich dich!' Und blicke zur Rechten, so wirst du ein Schwert an der Wand hängen sehen; das nimm und zücke es wider sie, indem du rufst: ,Entkleide dich!' Darauf wird sie dir schmeicheln und sich vor dir demütigen; du aber laß dich nicht rühren, sondern jedesmal, wenn sie etwas ablegt, sprich zu ihr: ,Zieh auch das andere aus!' Droh ihr unablässig mit dem Tode, bis sie alles ausgezogen hat, was sie trägt, und zu Boden sinkt. In dem Augenblick hast du alle Geheimnisse gelöst und alle Zauber gebrochen; und du bist deines Lebens sicher. Tritt in die Schatzhöhle ein, und du wirst das Gold in Haufen liegen sehen; doch achte auf nichts von alledem, sondern suche nach einer Kammer auf der inneren Seite der Höhle, die durch einen Vorhang verdeckt ist, und hebe den Vorhang auf! Dann wirst du den Zauberer esch-Schamardal auf einem goldenen Bette ruhen sehen. Zu seinen Häupten leuchtet etwas Rundes wie der Mond, das ist die Himmelsscheibe; das Schwert hat er umgehängt, an seinem Finger ist ein Ring, und um den Hals hat er eine Kette, an der sich eine Schminkbüchse befindet. Bringe die vier Kleinodien; hüte dich, irgend etwas von dem zu vergessen, was ich dir gesagt habe, und unterlasse nichts; sonst wirst du bereuen und in großer Gefahr sein!' Dann wiederholte er ihm alle die Anweisungen noch einmal und zum zweiten, dritten und vierten Male, bis Dschaudar sprach: ,Ich habe sie behalten; doch wer kann allen diesen Zaubern, die du aufgezählt hast, entgegentreten und all diese furchtbaren Schrecken ertragen?' ,O Dschaudar,' erwiderte der Maure, ,fürchte dich nicht! Es sind



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nur Scheingestalten ohne Lebensgewalten.' So sprach er ihm Mut zu, bis Dschaudar rief: ,Ich vertraue auf Allah!' Alsdann warf der Maure 'Abd es-Samad den Weihrauch aufs Feuer und begann eine Weile Beschwörungen zu murmeln; plötzlich verschwand das Wasser, das Flußbett ward sichtbar, und die Tür des Schatzes zeigte sich. Da ging Dschaudar zu jener Tür hinab, klopfte an und hörte eine Stimme fragen: ,Wer klopft an die Tore der Schätze an, ob er gleich die Geheimnisse nicht lösen kann?' ,Ich bin Dschaudar ibn 'Omar', rief er, und das Tor tat sich auf. Und eine Gestalt kam heraus mit gezücktem Schwerte und rief: ,Strecke deinen Nacken vor!' Der Jüngling hielt seinen Nacken hin, das Scheinbild holte zum Streiche aus und sank tot nieder. Ebenso vernichtete er den Zauber bei der zweiten Tür und bei allen folgenden bis zur siebenten Tür. Dort trat ihm seine Mutter entgegen und rief ihm zu: ,Sei gegrüßt, mein Sohn!' Doch er sprach zu ihr: ,Was bist du?' Sie antwortete: ,Ich bin doch deine Mutter, und du bist mir den Dank dafür schuldig, daß ich dich gesäugt und aufgezogen habe, mir, die ich dich neun Monate unter dem Herzen getragen habe, mein Sohn!' Doch er sprach zu ihr: ,Lege deine Kleider ab!' Da erwiderte sie: ,Du bist mein Sohn, wie kannst du mich entblößen?' ,Zieh dich aus!' wiederholte er, ,sonst schlage ich dir den Kopf ab mit diesem Schwerte!' Dabei streckte er seine Hand aus und ergriff das Schwert; und indem er es wider sie zückte, sprach er: ,Wenn du dich nicht entkleidest, so töte ich dich!' Sie stritten lange miteinander, bis sie schließlich, als er ihr noch heftiger drohte, ein Gewand ablegte. Dann gebot er: ,Zieh auch die anderen Kleider aus!' Doch er mußte lange Zeit mit ihr streiten, bis sie noch etwas anderes auszog. Und so ging es weiter, während sie immer sagte: ,Mein Sohn, an dir ist die Erziehung fruchtlos gewesen.' Schließlich



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blieben ihr nur noch die Hosen; da sprach sie: ,Mein Sohn, ist denn dein Herz aus Stein? Willst du mich entehren, indem du meine Scham auf deckst? Mein Sohn, ist das nicht eine Sünde?' ,Du hast recht,' erwiderte er, ,zieh die Hosen nicht aus!' Kaum hatte er dies Wort gesprochen, so schrie sie: ,Er hat gefehlt! Schlagt ihn!' Und nun fielen die Schläge auf ihn nieder wie die Regentropfen; denn die Diener des Schatzes drängten sich um ihn und versetzten ihm eine solche Tracht Prügel, daß er sie in seinem ganzen Leben nicht wieder vergaß. Darauf stießen sie ihn vorwärts und warfen ihn zum Tor der Schatzhöhle hinaus: und alle Tore dort schlossen sich wie zuvor. Kaum aber hatten sie ihn hinausgeworfen, so holte ihn der Maure; und alsbald flossen die Wasser wie zuvor. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 615. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß damals, als die Diener des Schatzes den Dschaudar geschlagen und zum Tore hinausgeworfen hatten und als die Tore sich schlossen und der Fluß wieder strömte wie zuvor, der Maure 'Abd es-Samad über dem Jüngling Beschwörungen sprach, bis er wieder zu sich kam und aus seiner Betäubung erwachte. Dann fragte er ihn: ,Was hast du getan, Elender?' Und Dschaudar gab ihm zur Antwort: ,Ich hatte all die feindlichen Zauber gelöst, bis ich zu meiner Mutter gelangte; zwischen uns entspann sich ein langer Streit. Endlich aber, mein Bruder, begann sie ihre Kleider abzulegen, bis ihr nur noch die Hosen blieben. Da sprach sie zu mir: ,Entehre mich nicht; denn es ist eine Sünde, die Scham zu entblößen!' Ich ließ ihr die Hosen aus Mitleid mit ihr; aber da schrie sie plötzlich: ,Er hat gefehlt! Schlagt um !'Und nun drangen Leute auf mich ein, ich weiß nicht, woher sie kamen, und



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versetzten mir eine solche Tracht Prügel, daß ich dem Tode nahe war; darauf stießen sie mich vorwärts; doch was danach mit mir geschah, das weiß ich nicht.' Der Maure fuhr fort: ,Hab ich dir nicht gesagt, du solltest in allem gehorchen? Jetzt hast du mir und dir selbst geschadet. Hätte sie die Hosen ausgezogen, so hätten wir unser Ziel erreicht. Nun mußt du bis heute übers Jahr bei mir bleiben.' Alsbald rief er die beiden Sklaven herbei; die brachen das Zelt ab und trugen es fort, und nachdem sie eine kleine Weile fern gewesen waren, kehrten sie mit den beiden Maultieren zurück. Jeder der beiden, der Zauberer und der Jüngling, bestieg ein Maultier, und dann ritten sie nach der Stadt Fes zurück. Dort blieb Dschaudar bei dem Mauren, der ihm gut zu essen und gut zu trinken gab und ihn jeden Tag in ein prächtiges Gewand kleidete, bis das Jahr vorüber war und der gleiche Tag kam. ,Dies ist der bestimmte Tag,' sprach der Maure, ,laß uns gehen!' Und Dschaudar erwiderte: ,Gern.' Der Maure führte ihn wieder zur Stadt hinaus, und dort sahen sie die beiden Sklaven mit den Maultieren. Dann ritten sie weiter, bis sie den Fluß erreichten; von neuem schlugen die Sklaven das Zelt auf und legten Teppiche und Kissen hinein. Nachdem der Maure die Speisen herausgeholt hatte, aßen sie das Mittagsmahl; danach holte er das Rohr und die Tafeln wie zuvor, zündete das Feuer an, hielt den Weihrauch bereit und sprach: ,Dschaudar, ich will dir die Anweisungen wiederholen.' Doch der rief: ,Herr Pilgersmann, wenn ich die Prügel vergessen habe, so habe ich auch die Anweisungen vergessen.' ,Hast du sie also wirklich behalten?' fragte der Maure; und Dschaudar erwiderte: ,Jawohl.' ,Nun denn,' fuhr der Zauberer fort, ,so nimm dich zusammen, denke daran, daß jenes Weib nicht deine Mutter ist, sondern nur eine Spukgestalt nach dem Bilde deiner Mutter, die dich zu einem Fehler



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verleiten will. Du bist wohl das erste Mal lebendig herausgekommen; doch wenn du diesmal einen Fehler begehst, so werden sie dich tot hinauswerfen.' Der Jüngling sagte darauf: ,Wenn ich fehle, so verdiene ich, daß sie mich verbrennen!' Da warf der Maure den Weihrauch aufs Feuer und sprach die Beschwörungen; der Fluß trocknete aus, und Dschaudar schritt zu der Tür und klopfte an. Nachdem sie sich aufgetan hatte, löste er alle sieben Zauber. bis er wieder vor seiner Mutter stand. Die rief: ,Willkommen, mein Sohn!' Doch er fuhr sie an: ,Wie kann ich dein Sohn sein, Verflüchtet Zieh dich aus!' Sie begann ihm zu schmeicheln und legte dabei ihre Kleider eins nachdem andern ab, bis sie nur noch die Hosen trug. ,Zieh dich aus, Verfluchte!' wiederholte Dschaudar. Da legte sie auch die Hosen ab und ward plötzlich zu einem leblosen Wesen. Er aber trat weiter hinein und sah das Gold in Haufen umherliegen. Ohne sich um etwas zu kümmern, schritt er in die Kammer und sah dort den Zauberer esch-Schamardal liegen, mit dem Schwerte gegürtet, den Siegelring am Finger, die Schminkbüchse auf der Brust und die Himmelsscheibe zu seinen Häupten. Er trat auf ihn zu, löste das Schwert, nahm den Siegelring, Himmelsscheibe und Schminkbüchse und ging zurück. Da ertönten plötzlich Klänge der Musik für ihn, und die Diener riefen: ,Durch das, was du gewonnen, mögest du im Glück dich sonnen, o Dschaudar!' Und die Klänge ertönten so lange, bis er die Schatzhöhle verlassen hatte und wieder bei dem Mauren war. Der hörte sofort auf zu beschwören und zu räuchern, zog den Jüngling an seine Brust und begrüßte ihn. Nun überreichte ihm Dschaudar die vier Kleinodien. und er nahm sie hin und rief die beiden Sklaven. Nachdem die das Zelt abgebrochen und fortgeschafft und auch die Maultiere gebracht hatten, ritten Zauberer und Jüngling nach der Stadt



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Fes zurück. Dort legte jener die Satteltaschen bereit, holte Schüsseln mit vielerlei Gerichten aus ihnen hervor, bis der Tisch vor ihm gefüllt war, und sprach: ,O Bruder, o Dschaudar, iß!' So aß denn der Jüngling, bis er gesättigt war; der Maure aber schüttete den Rest der Speisen in andere Geräte und legte die leeren Zauberschüsseln in die Satteltaschen zurück. Darauf hub 'Abd es-Samad, der Maure, an: ,O Dschaudar, du hast um unsertwillen dein Land und deine Heimat verlassen und unser Begehren erfüllt. Drum steht es dir zu, etwas von uns zu wünschen; verlange, was du nur magst, und Allah der Erhabene wird es dir durch uns gewähren! Sprich deinen Wunsch aus und scheue dich nicht; denn du hast es verdient!' ,Mein Gebieter,' gab jener zur Antwort, ,ich erbitte von Allah dem Erhabenen und dann von dir, daß du mir diese Satteltaschen gebest!' Da ließ der Maure die Satteltaschen bringen und sprach: ,Nimm sie, denn sie gebühren dir. Ich hätte dir auch alles andere gegeben, wenn du darum gebeten hättest. Aber, du Armer, diese nützen dir nur zum Essen; und du hast dich doch bei uns abgemüht, und wir haben dir versprochen, dich in Freuden heimzusenden. Aus diesen Satteltaschen sollst du essen; nun wollen wir dir noch andere geben, voll von Gold und Edelsteinen. Wenn wir dich dann in deine Heimat gebracht haben, so wirst du ein Kaufherr werden; dann kannst du dich und die Deinen kleiden und brauchst dich um die Ausgaben nicht zu kümmern. Iß mit den Deinen aus diesen Satteltaschen; das Verfahren dabei ist so: Stecke die Hand hinein und sprich: ,Bei den gewaltigen Namen, die Macht haben über dich, o Diener dieser Satteltaschen, bring mir dasunddas Gericht!' Dann wird er dir sofort bringen, was du begehrst, solltest du auch an jedem Tage tausend Gerichte verlangen.' Darauf ließ er einen Sklaven mit einem Maultier herbeikommen



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und füllte ihm ein Satteltaschenpaar zur Hälfte mit Gold und zur Hälfte mit Edelsteinen und anderen kostbaren Metallen. Und nun sprach er: ,Besteige dies Maultier; der Sklave kennt den Weg und wird vor dir hergehen, bis er dich zur Tür deines Hauses gebracht hat; wenn du dort angekommen bist, nimm die beiden Satteltaschenpaare und gib ihm das Maultier, damit er es mir wiederbringe! Doch teile niemandem dein Geheimnis mit! Und also empfehlen wir dich Allah!' Dschaudar erwiderte: ,Allah lohne es dir reichlich !'Dann legte er die Satteltaschen dem Maultier auf den Rücken und ritt davon, während der Sklave vor ihm herging. Das Maultier folgte dem Sklaven den ganzen Tag und die Nacht hindurch, und am nächsten Morgen zog er schon durch das Siegestor' ein. Doch da sah er seine Mutter sitzen, wie sie rief: ,üm Allahs willen. eine milde Gabe!' Darüber ward er wie von Sinnen; er sprang von seinem Maultiere herunter und warf sich auf sie. Und wie sie ihn erkannte, begann sie zu weinen. Dann hob er sie aufs Tier und schritt an ihrem Steigbügel dahin, bis sie nach Hause kamen. Dort hob er seine Mutter wieder herunter, nahm die beiden Satteltaschenpaare und überließ das Maultier dem Sklaven; der nahm es und zog zu seinem Herrn zurück; denn Sklave und Maultier waren Geisterwesen. Dschaudar aber war tief betrübt darüber, daß seine Mutter betteln mußte; und als er ins Haus getreten war, sprach er zu ihr: ,Mein Mütterchen, geht es meinen Brüdern gute' ,Es geht ihnen gut', erwiderte sie; und er fuhr fort: ,Weshalb bettelst du denn am Wege?' ,Mein Sohn, weil ich hungrig bin!' ,Ehe ich abreiste, gab ich dir doch hundert Dinare an einem Tage und hundert Dinare am nächsten Tage und tausend Dinare am Tage, da ich aufbrach.' ,Mein Sohn, sie haben mich betrogen und mir das Geld



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abgenommen, indem sie sprachen: Wir wollen Waren dafür kaufen. Und als sie das Geld in Händen hatten, jagten sie mich fort, und nun muß ich am Wegesrande betteln, weil ich so hungrig bin.' ,Mein Mütterchen, jetzt soll dir kein Leid mehr widerfahren, ich bin ja bei dir. Sorge dich nie mehr; diese Satteltaschen sind voll von Gold und Edelsteinen. und ich bin reichlich versehen mit allem Guten!' ,Mein Sohn. du hast Glück. Allah sei dir immer gnädig und mehre dir Seine Huld! Nun geh, mein Sohn, hole uns Brot; ich bin die ganze Nacht vom Hunger gequält worden, da ich kein Nachtmahl hatte.' Da lächelte er und sprach: ,Willkommen, liebe Mutter! Wünsche dir, was du nur essen willst; ich beschaffe es dir im Augenblick; ich brauche es nicht erst auf dem Markte zu kaufen. und ich habe auch keinen Koch nötig.' ,Aber, mein Sohn,' fuhr sie fort, ,ich sehe doch nichts bei dir.' ,Ich habe in diesen Satteltaschen alle möglichen Gerichte.' ,Mein Sohn, alles, was bereit ist, stillt den Hunger!' ,Du hast recht; wenn nicht viel da ist, begnügt der Mensch sich mit dem Geringsten. Doch wenn die Fülle vorhanden ist, so wünscht er. etwas Gutes zu essen. Ich habe die Fülle; also wünsche dir, was du nur begehrst!' ,Mein Sohn, etwas warmes Brot und ein Stückchen Käse.' ,Liebe Mutter, das ziemt sich nicht für deinen Stand!' ,Da du meinen Stand kennst, so gib mir zu essen, was sich für ihn geziemt!' ,Meine Mutter,' erwiderte er, ,deinem Stand gebühren gebratenes Fleisch, geröstete Hühnchen, Reis mit Pfeffer; für dich geziemen sich Würstchen, gefüllter Kürbis, gefülltes Lamm, gefüllte Rippchen, süße Nudeln mit zerriebenen Mandeln, Bienenhonig und Zucker, auch Honigkuchen und Nußtörtchen.' Da glaubte seine Mutter, er mache sich lustig über sie und wolle sie verspotten, und sie rief: ,Wehe, wehe! Was ist mit dir geschehen? Träumst du, oder bist du irre?'



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,Weshalb glaubst du, daß ich irre sei?' fragte er; und sie erwiderte: ,Weil du mir all die prächtigen Gerichte nennst. Wer kann ihren Preis bezahlen? Und wer versteht es, sie zu bereiten?' ,Bei meinem Leben,' rief er. ,ich will dir noch in dieser Stunde all das, was ich dir genannt habe, zu essen geben!' Sie entgegnete: ,Ich sehe aber nichts bei dir!' ,Hole die Satteltaschen!', bat er sie; und sie holte sie, betastete sie und sah, daß sie leer waren. Doch sie legte sie vor ihn hin; und er steckte seine Hand hinein und zog eine gefüllte Schüssel nach der anderen hervor, bis er ihr alles, was er gesagt hatte, vorgesetzt hatte. Da fragte sie: ,Mein Sohn, die Satteltaschen sind doch klein und waren obendrein leer, nichts war darin. Jetzt hast du all dies daraus hervorgeholt! Wo waren denn diese Schüsseln?' ,Wisse, Mutter,' gab er ihr zur Antwort, ,diese Satteltaschen hat mir der Maure gegeben. Es sind Zaubertaschen, und sie haben einen dienstbaren Geist; wenn ein Mensch etwas haben will und die Zaubernamen darüber spricht und sagt: ,O Diener der Satteltaschen, hol mir dasunddas Gericht!' so bringt er es.' Nun fragte die Mutter weiter: ,Kann ich auch meine Hand hineinstecken und etwas von ihm verlangen?' ,Tu deine Hand hinein!' sagte er; und sie steckte ihre Hand hinein und sprach: ,Bei den Namen, die Gewalt über dich haben, o Diener dieser Satteltaschen, bringe mir gefüllte Rippchen!' Da sah sie, daß die Schüssel in der Satteltasche war; sie legte ihre Hand daran und holte sie heraus und sah darauf zarte gefüllte Rippchen. Dann verlangte sie Brot und viele andere Arten von Speisen, die sie sich wünschte. Dschaudar aber sprach zu ihr: ,Mutter, wenn du mit dem Essen fertig bist, so tu das, was von den Speisen noch übrig ist, auf andere Schüsseln und lege die leeren Zauberschüsseln in die Satteltasche zurück; denn so will es der Zauber. Doch bewahre die Taschen gut auf!' Darauf nahm sie



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die Taschen fort und brachte sie an eine sichere Stätte; und er fügte hinzu: ,Mutter, hüte das Geheimnis und bewahre es in deinem Herzen! Sooft du etwas nötig hast, nimm es aus den Taschen heraus; gib auch Almosen und speise meine Brüder, ob ich da bin oder fern!' Dann begann er mit ihr zu essen; und siehe, seine Brüder traten zu ihm ein. Zu denen war die Kunde durch einen Mann aus dem Stadtviertel gedrungen, der ihnen gesagt hatte: ,Euer Bruder ist heimgekommen, reitend auf einem Maultier, mit einem Sklaven vor sich und in ein Prachtgewand gekleidet, das nicht seinesgleichen hat.' Da hatten sie zueinander gesagt: ,O hätten wir doch unsrer Mutter kein Leid zugefügt! Jetzt wird sie ihm sicherlich erzählen, was wir ihr angetan haben; ach, wie elend stehen wir nun vor ihm da!' Doch einer von den beiden sagte: ,Unsere Mutter hat ein weiches Herz; und wenn sie es ihm sagt, so ist unser Bruder noch weichherziger gegen uns als sie. Wenn wir uns nur vor ihm entschuldigen, so wird er unsere Entschuldigung annehmen.' Darauf traten sie zu ihm ein; und er stand auf vor ihnen, begrüßte sie aufs herzlichste und sprach zu ihnen: ,Setzt euch nieder und esset!' So setzten sie sich denn und aßen; denn sie waren schwach von Hunger. Und sie aßen so lange, bis sie gesättigt waren. Da sprach Dschaudar zu ihnen: ,Liebe Brüder, nehmt, was von den Speisen übrig ist, und verteilt es an die Armen und Bedürftigen!' ,O Bruder,' erwiderten sie, ,laß uns davon zu Nacht essen!' Er aber entgegnete ihnen: ,Zur Zeit des Nachtessen wird euch noch mehr zuteil werden.' Nun nahmen sie den Rest der Speisen mit hinaus, und immer, wenn ein Armer an ihnen vorbeiging, sprachen sie zu ihm: ,Nimm und iß !', bis nichts mehr übrig war. Dann brachten sie die Schüsseln zurück, und Dschaudar sprach zu seiner Mutter: ,Tu sie in die Satteltaschen!' — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 616. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschaudar, nachdem seine Brüder das Mittagsmahl beendet hatten, zu seiner Mutter sprach: ,Tu die Schüsseln in die Satteltaschen!' Am Abend sodann begab er sich in die Halle und holte aus den Taschen eine Mahlzeit von vierzig Gerichten hervor; dann ging er wieder nach oben, und nachdem er sich zu seinen Brüdern gesetzt hatte, sprach er zu seiner Mutter: ,Bring uns das Nachtmahl!' Als sie in die Halle trat, sah sie die Schüsseln gefüllt dastehen; dann deckte sie den Tisch und trug die Schüsseln eine nach der anderen auf, bis alle vierzig vor ihnen standen. Nun aßen sie zur Nacht; und nach dem Mahle sprach er: ,Nehmt und speiset die Armen und Bedürftigen!' Da nahmen sie den Rest der Speisen und verteilten sie. Hernach holte er auch noch Süßigkeiten für sie; und nachdem sie davon gegessen hatten, sagte er: ,Was übrig ist, das gebet den Nachbarn!' Am nächsten Tage war das Frühmahl ebenso; und in dieser Weise blieben sie zehn Tage zusammen. Da sagte Sâlim zu Saum: ,Wie kommt es, daß unser Bruder uns morgens ein Gastmahl vorsetzt, mittags ein Gastmahl und abends ein Gastmahl und dazu noch spät in der Nacht Süßigkeiten, und dann sogar alles, was übrigbleibt, an die Armen verteilt? Das ist doch die Art der Sultane! Woher hat er nur diesen Reichtum? Wollen wir uns nicht einmal nach diesen verschiedenen Gerichten und diesen Süßigkeiten näher umsehen, von denen er alle Reste noch an die Armen und Bedürftigen verteilt? Wir sehen a nie, daß er etwas einkauft; er zündet auch kein Feuer an und hat weder Küche noch Koch.' ,Bei Allah,' erwiderte der andere Bruder, ,ich weiß es nicht. Kennst du etwa jemanden, der uns die



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Wahrheit darüber berichten könnte?' Darauf sagte der erste: ,Das kann uns nur unsere Mutter sagen.' Sie verabredeten nun einen Plan und begaben sich zu ihrer Mutter, während ihr Bruder fort war; und sie sprachen zu ihr: ,Mutter, wir sind hungrig!' Sie erwiderte ihnen: ,Seid getrost!' ging indie Halle, verlangte von dem Diener der Satteltaschen warme Gerichte und brachte sie ihnen. ,Mutter,' fragten sie nun, ,diese Speise ist warm; aber du hast doch nicht gekocht, ja, nicht einmal ein Feuer angeblasen!' Da gab sie ihnen zur Antwort: ,Sie kommt aus den Satteltaschen.' ,Was für Satteltaschen sind das?' fragten sie weiter; und die Mutter antwortete: ,Das sind Zaubertaschen; was man will, bringt der Zauber.' Darauf erzählte sie ihnen alles; aber sie fügte hinzu: ,Bewahrt das Geheimnis!' ,Das Geheimnis soll bewahrt bleiben, Mutter,' erwiderten sie. ,doch lehre uns, wie es dabei zugeht.' Nachdem sie es ihnen gezeigt hatte, begannen sie ihre Hände hineinzustecken und herauszuholen, was sie nur verlangten, während ihr Bruder von alledem nichts ahnte. Und als sie nun mit der Art der Satteltaschen vertraut waren, sagte Sâlim zu Saum: ,Bruder, wie lange wollen wir noch als Diener bei Dschaudar sitzen und Almosen von ihm essen? Wollen wir nicht eine List wider ihn ersinnen, um ihm diese Satteltaschen abzunehmen und sie in unsere Gewalt zu bringen?' ,Wie soll das geschehen?' ,Wir wollen ihn an den Kapitän des Meeres von Suez verkaufen.' ,Wie sollen wir es anfangen, ihn zu verkaufen?' ,Wir wollen zu jenem Kapitän gehen und ihn mit zweien seiner Leute zu einem Mahle einladen. Was ich dann zu Dschaudar sage, das bestätige du mir; und wenn die Nacht zu Ende geht, will ich dir zeigen, was ich tun werde.' Sie kamen also überein, ihren Bruder zu verkaufen, gingen zum Hause des Kapitäns des Meeres von Suez, und als sie dort eingetreten waren, sprachen



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sie: ,Herr Kapitän, wir kommen in einer Sache zu dir, die dir Freude machen wird.' ,Gut!' erwiderte er; und sie fuhren fort: ,Wir sind zwei Brüder. und wir haben einen dritten Bruder. einen schlechten Kerl. an dem nichts Gutes ist. Als unser Vater starb, hinterließ er uns viel Geld. Wir verteilten das Erbe. und jener Bruder nahm das, was ihm zufiel, und vergeudete es in liederlichem Lebenswandel, bis er arm geworden war. Dann aber machte er sich über uns her und verklagte uns bei den ungerechten Richtern, indem er behauptete, wir hätten ihm seine Habe und die seines Vaters genommen. Wir stritten darüber vor Gericht. und wir beide verloren das Geld. Dann wartete er eine Weile und verklagte uns zum zweiten Male, bis er uns zu armen Leuten machte; und auch jetzt will er noch nicht von uns lassen. Wir sind seiner überdrüssig, und wir möchten, daß du ihn uns abkaufst.' Der Schiffsführer sprach zu ihnen: ,Könnt ihr ihn überlisten und zu mir hierher schaffen? Dann will ich ihn sofort aufs Meer schicken.' Sie antworteten: ,Wir können ihn nicht bringen; sei du heute abend unser Gast und bringe zwei Leute mit dir, mehr nicht! Wenn er schläft, wollen wir einander helfen und zu fünfen über ihn herfallen, ihn packen und ihm einen Knebel in den Mund stopfen. Dann kannst du ihn im Dunkel der Nacht nehmen und aus dem Hause schaffen; und tu mit ihm, was du willst.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Kapitän; ,wollt ihr ihn mir für vierzig Dinare verkaufen?' Sie sagten: ,Jawohl! Komm nach Einbruch der Nacht in die und die Straße; dort wirst du einen von uns auf euch wartend finden.' Da sprach der Kapitän: ,Geht nun!' Sie begaben sich darauf zu Dschaudar und warteten eine Weile; dann trat Sâlim auf ihn zu und küßte ihm die Hände. ,Was ist dir, mein Bruder?' fragte Dschaudar; und Sâlim antwortete ihm: ,Wisse, ich habe einen Freund. der



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mich manches Mal in sein Haus eingeladen hat, während du fort warest; ja, er hat mir tausend Freundlichkeiten erwiesen, und immer nimmt er mich gastlich auf, wie mein Bruder hier weiß. Als ich ihn heute begrüßte, lud er mich wieder ein; doch ich sagte zu ihm: ,Ich kann mich nicht von meinem Bruder Dschaudar trennen.' Da sagte er: ,Bring ihn mit!' und ich: ,Das wird er nicht wollen: aber vielleicht könntest du unser Gast sein, zusammen mit deinen Brüdern -denn seine Brüder saßen bei ihm. So lud ich sie ein, da ich glaubte, sie würden meine Einladung nicht annehmen. Doch er nahm sie für sich und seine Brüder an und sagte: ,Erwarte mich am Klostertor; dann will ich mit meinen Brüdern kommen!' Nun fürchte ich, sie werden wirklich kommen: aber ich scheue mich vor dir. Möchtest du wohl meinen Sinn wieder froh machen und die Leute heute abend bewirten? Du bist ja reich begütert, mein Bruder. Wenn es dir aber nicht recht ist, so erlaube mir, sie in ein Nachbarhaus zu führen.' Dschaudar antwortete ihm :, Warum willst du sie ins Nachbarhaus führen? Ist unser Haus etwa zu eng? Oder haben wir nicht genug, um ihnen ein Nachtmahl zu geben? Schäme dich, daß du mich erst noch fragst! Da sind doch für dich gute Speisen und Süßigkeiten, so viel, daß sogar noch davon übrigbleibt. Wenn Leute kommen und ich fort bin, so bitte deine Mutter darum; sie wird dir Speisen im Überfluß bringen. Geh, hole sie; mögen sie uns Segen bringen!' Da küßte Sâlim die Hand Dschaudars, ging fort und setzte sich am Klostertor nieder bis nach Sonnenuntergang; nun kamen die Kumpane auf ihn zu, und er führte sie und brachte sie ins Haus. Als Dschaudar sie sah, hieß er sie willkommen und bat sie, sich zu setzen; und er schloß Freundschaft mit ihnen, ohne zu wissen, was ihm insgeheim von ihnen drohte. Dann bat er seine Mutter, das Nachtmahl zu



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bringen; und sie holte die Speisen aus den Satteltaschen, während er ihr immer zurief: ,Bring dasunddas Gericht!' bis vierzig Gerichte vor ihnen standen. Sie aßen, bis sie gesättigt waren, und der Tisch ward abgetragen, während die Seeleute meinten, diese reiche Bewirtung gehe von Sâlim aus. Als ein Drittel der Nacht vergangen war, holte Dschaudar ihnen die Süßigkeiten; und Sâlim bediente sie, während Dschaudar und Saum bei den Gästen saßen, bis sie nach dem Schlafe verlangte. Nun legte Dschaudar sich zum Schlafe nieder; und auch die anderen taten so. Als er aber eingeschlafen war, fielen sie gemeinsam über ihn her, und ehe er erwachte, hatte er schon den Knebel im Munde; und sie fesselten ihm die Hände auf dem Rücken und schleppten ihn aus dem Hause hinaus unter dem Schutze der Nacht. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 617. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschaudar, nachdem die Leute ihn ergriffen und auf die Schultern geladen und im Dunkel der Nacht aus dem Hause hinausgeschleppt hatten, von ihnen nach Suez geschafft und in Fußfesseln gelegt ward. Dort mußte er nun bleiben und still seine Dienste verrichten; ein volles Jahr tat er die Arbeit von Gefangenen und Sklaven. Also stand es um Dschaudar. Wenden wir uns aber wieder zu seinen Brüdern! Als es Morgen geworden war, gingen die beiden zu ihrer Mutter und sprachen zu ihr: ,Mutter, unser Bruder Dschaudar ist noch nicht erwacht!' ,Weckt ihn doch!' erwiderte sie ihnen. Da fragten sie: ,Wo ruht er denn?' Und sie antwortete: ,Bei den Gästen.' Nun fuhren sie fort: ,Vielleicht ist er gar mit den Gästen fortgegangen, dieweil wir schliefen. Mutter, es scheint doch, daß er am Wandern Gefallen gefunden



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hat, und daß ihm der Sinn danach steht, Schätze zu heben. Wir hörten, wie er mit den Mauren redete, und wie sie zu ihm sagten, sie wollten ihn mit sich nehmen und ihm den Schatz öffnen.' Als sie dann fragte: ,Ist er mit den Mauren zusammen gewesen?' erwiderten sie: ,Waren sie denn nicht als Gäste bei uns?' Darauf sprach sie: ,Vielleicht ist er mit ihnen gegangen. Doch Allah wird ihn auf dem rechten Wege leiten; denn das Glück ist ihm hold, und er wird sicherlich mit reichem Gute heimkehren.' Dennoch weinte sie, und die Trennung von ihrem Sohne war hart für sie. Die beiden aber fuhren sie an: ,Du Verruchte, verschwendest du all diese Liebe an Dschaudar? Wenn wir fort sind, trauerst du nicht um uns; und wenn wir da sind, freust du dich nicht über uns! Sind wir nicht auch deine Söhne, wie Dschaudar dein Sohn ist?' Sie entgegnete darauf: ,Wohl seid ihr meine Söhne; aber ihr seid Bösewichter, und euch gebührt keine Güte von mir. Seit dem Tage, da euer Vater starb, habe ich nichts Gutes von euch erfahren. Doch Dschaudar hat mir viel Liebe erwiesen; er hat mein Herz getröstet und mich lieb und wert gehalten. Drum geziemt es sich, daß ich um ihn weine; denn seine Güte ward mir und euch zuteil.' Als die beiden solche Worte hören mußten, schmähten sie ihre Mutter und schlugen sie. Darauf gingen sie im Hause umher und begannen nach den Satteltaschen zu suchen, bis sie alles fanden. Sie nahmen die Juwelen aus der einen Seite und das Gold aus der anderen, dazu auch die Zaubertaschen und sagten: ,Das ist unseres Vaters Gut!' ,Nein, bei Allah,' rief die Mutter, ,das ist das Gut eures Bruders Dschaudar; er hat es aus dem Lande der Mauren mitgebracht!' Aber die Brüder schalten sie: ,Du lügst! Das ist unseres Vaters Gut, und wir wollen frei darüber verfügen!' Dann verteilten sie die Schätze untereinander; aber wegen der Zaubertaschen erhob



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sich ein Streit zwischen ihnen. Denn Sâlim rief: ,Ich will sie haben!' während Sauna schrie: ,Nein, ich!' Als sie so miteinander zankten, sagte die Mutter: ,Meine Söhne, ihr habt die Taschen, in denen Gold und Edelsteine waren, geteilt, aber diese Taschen hier lassen sich nicht teilen, noch auch können sie mit Gold aufgewogen werden, und wenn sie in zwei Teile zerschnitten werden, so ist ihr Zauber dahin! Darum laßt sie bei mir; ich will euch jederzeit daraus zu essen geben und will bei euch mit einem Bissen zufrieden sein, wenn ihr mir in eurer Güte noch etwas geben wollt, um mich zu kleiden. Dann mag ein jeder von euch mit den Leuten Handel treiben! Ihr seid doch meine Söhne, und ich bin eure Mutter; so laßt uns leben wie bisher, sonst wird alles ruchbar, wenn euer Bruder etwa kommt.' Aber sie horchten nicht auf ihre Worte, sondern stritten die ganze Nacht hindurch. Da hörte sie ein Wächter, ein Mann von der Wache des Königs, der im Hause neben dem Hause Dschaudars eingeladen war; denn das Fenster war offen. Und der Wächter schaute aus dem Fenster hinaus und hörte den ganzen Streit mit an, wie sie redeten und teilten. Als es Morgen ward, trat dieser Wächtersmann vor den König; des Name war Schams es-Daula, und er war König von Ägypten zu jener Zeit. Als der Wächter vor dem Throne stand, berichtete er, was er gehört hatte; und der König ließ alsbald die Brüder Dschaudars herbeiholen. Dann unterwarf er sie der Folter, bis sie gestanden, nahm ihnen die Satteltaschen ab und ließdie Bösewichterins Gefängnis bringen. Der Mutter Dschaudars aber bestimmte er ein tägliches Einkommen, so viel, daß sie davon leben konnte.

Wenden wir uns nun von ihnen wieder zu Dschaudar! Der war inzwischen ein ganzes Jahr zu Suez im Dienste gewesen. Und als das Jahr abgelaufen war, erhob sich eines Tages, wie



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er auf See war, ein widriger Wind über den Fahrenden und warf das Schiff, auf dem sie waren, gegen einen Felsen. Da zerbarst das Schiff, und alles, was darauf war, versank, nur allein Dschaudar erreichte das Festland, während die anderen den Tod fanden. Sobald er an Land war, begann er zu wandern, bis er zu einem Beduinenlager gelangte. Da fragten die Leute ihn, wie es um ihn stehe; und er berichtete ihnen, er sei ein Seefahrer, und erzählte ihnen sein Abenteuer. Nun befand sich in dem Lager ein Kaufmann, der in Dschidda zu Hause war; der hatte Mitleid mit ihm und sprach zu ihm: ,Willst du bei mir in Dienst treten, Ägypter? Ich will dich kleiden und dich mit mir nach Dschidda nehmen.' So ward Dschaudar sein Diener und reiste mit ihm bis nach Dschidda; und jener erwies ihm viel Gunst. Nach einer Weile aber wollte sein Herr, der Kaufmann, die Pilgerfahrt machen, und da nahm er seinen Diener mit sich nach Mekka. Wie sie dort angekommen waren, ging Dschaudar hin, um im heiligen Bezirk das Haus Allahs zu umschreiten. Und während er den Umgang vollzog, erblickte er plötzlich seinen Freund, den Mauren 'Abd es-Samad, der auch um die Kaaba schritt. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 618. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschaudar, als er im heiligen Umzuge dahinschritt, plötzlich seinen Freund, den Mauren 'Abd es-Samad, erblickte, der auch um die Kaaba schritt. Als der ihn erkannte, grüßte er ihn und fragte ihn, wie es ihm erginge. Da erzählte Dschaudar ihm unter Tränen, was ihm widerfahren war. Der Maure aber nahm ihn mit sich in sein Haus, bewirtete ihn und gab ihm ein Gewand, so schön, daß es nicht seinesgleichen hatte. Und er sprach zu ihm: ,Jetzt ist



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das Ende deiner Leiden gekommen, o Dschaudar!' Dann befragte er über ihn den Sandzauber, und es ward ihm kund, was mit den Brüdern Dschaudars geschehen war. So sprach er denn: ,Wisse, Dschaudar, deinen Brüdern ist es soundso ergangen; jetzt liegen sie im Gefängnis des Königs von Ägypten. Du aber sei mein willkommener Gast, bis du die Pflichten der Wallfahrt vollendet hast! Es wird alles gut werden.', Hoher Herr,' erwiderte der Jüngling, ,laß mich gehen, um von dem Kaufmanne, bei dem ich diene, Abschied zu nehmen; dann will ich zu dir kommen.' Der Maure fragte noch: ,Schuldest du Geld?' Und als Dschaudar erwiderte: ,Nein', fuhr er fort: ,So geh und nimm Abschied von ihm und komm auf der Stelle zurück. Das Brot verpflichtet die Edelgesinnten.' Nun ging Dschaudar hin und nahm Abschied von dem Kaufmanne, indem er hinzufügte: ,Ich habe ja meinen Bruder getroffen.' ,Geh, hol ihn,' sagte der Kaufmann, ,wir wollen ihm ein Gastmahl bereiten!' Doch Dschaudar erwiderte: ,Das hat er nicht nötig; denn er ist einer von den Reichen, und er hat viele Diener.' Darauf gab der Kaufmann ihm zwanzig Dinare und sprach: ,Befreie mich von der Verantwortung!" Nun entließ er ihn; und Dschaudar ging fort von ihm, und wie er auf dem Wege einen armen Mann sah, gab er ihm die zwanzig Dinare. Darauf begab er sich zu 'Abd es-Samad, dem Mauren, und blieb bei ihm, bis beide die Pflichten der Pilgerfahrt erfüllt hatten. Da gab der Maure ihm den Ring, den er aus dem Schatze von esch-Schamardal geholt hatte, indem er zu ihm sprach: ,Nimm diesen Ring; er wird dich ans Ziel deiner Wünsche bringen. Denn er hat einen Diener, genannt er-Ra'd el-Kâsif.' Sooft du irgend etwas von den Dingen der



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Welt begehrst, reibe den Ring; dann wird der Diener dir erscheinen und wird alles für dich tun, was du ihm befiehlst.' Darauf rieb er den Ring vor den Augen des Jünglings; sofort erschien der Diener und rief: ,Zu Diensten, mein Gebieter! Was du nur immer begehrst, soll dir zuteil werden. Willst du eine verfallene Stadt bevölkern oder eine bewohnte Stadt zerstören oder einen König erschlagen oder ein Heer vernichten?' Aber der Maure antwortete: ,O Ra'd, dieser hier ist dein Herr geworden; diene ihm treu!' Nachdem er den Geist entlassen hatte, sprach er zu Dschaudar: ,Reibe den Ring, so wird sein Diener vor dir erscheinen; dann befiehl ihm, was du willst, er wird dir nicht zuwiderhandeln. Nun zieh in dein Land und gib acht auf den Ring; durch ihn wirst du deine Feinde überwinden. Verkenne seinen Wert nicht!' Dschaudar erwiderte: ,Mein Gebieter, mit deiner Erlaubnis will ich jetzt heimkehren.' ,Reib den Ring,' sagte der Maure, ,der Diener wird dir erscheinen, und du steig auf seinen Rücken! Und wenn du zu ihm sprichst: ,Bring mich noch heute in meine Heimat!' so wird er deinem Befehle nicht zuwiderhandeln.' Darauf nahm Dschaudar Abschied von 'Abd es-Samad und rieb den Ring. Alsbald erschien er-Ra'd el-Kâsif vor ihm und sprach: ,Zu Diensten! Verlange und empfange!' Dschaudar befahl: ,Bring mich noch heute nach Kairo!' Der Geist erwiderte: ,Der Wunsch sei dir erfüllt', nahm ihn auf den Rücken und flog mit ihm von Mittag bis Mitternacht dahin; dann setzte er ihn im Hofe des Hauses seiner Mutter nieder und verschwand. Dschaudar aber trat ein zu seiner Mutter; und als die ihn erblickte, hub sie an zu weinen, begrüßte ihn und erzählte ihm, was seinen Brüdern von dem König widerfahren war, und wie der sie hatte schlagen lassen und ihnen die Zaubertaschen samt den Taschen mit Gold und Edelsteinen abgenommen



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hatte. Als Dschaudar das hörte, ward er besorgt um seine Brüder, und er sprach zu seiner Mutter: ,Gräme dich nicht um das, was hinter dir liegt! Ich will dir jetzt sogleich zeigen, was ich tun kann, und meine Brüder herbeischaffen.' Er rieb den Ring, und der Diener erschien vor ihm und sprach: ,Zu Diensten! Verlange und empfange!' Dschaudar gebot: ,Ich befehle dir, daß du mir meine Brüder aus dem Gefängnis des Königs bringst!' Da versank der Geist in die Erde und stieg mitten im Kerker wieder empor. Dort saßen Sâlim und Saum ganz allein in arger Not und großer Pein wegen der Qualen der Gefangenschaft, und sie sehnten den Tod herbei. Der eine sprach zum andern: ,Bei Allah, Bruder, die Not lastet zulange auf uns. Bis wann sollen wir noch in diesem Gefängnisse schmachten? Im Tode fänden wir Ruhe.' Während sie so redeten, spaltete sich plötzlich der Boden, er-Ra'd el-Kâsif fuhr zu ihnen herauf; packte die beiden und stieg wieder in die Erde hinab. Die Sinne schwanden ihnen im Übermaß der Furcht, und als sie wieder zu sich kamen, sahen sie sich in ihrem Hause und erblickten ihren Bruder Dschaudar, der dort neben seiner Mutter saß. Er rief ihnen zu: ,Seid mir gegrüßt, meine Brüder! Ihr habt mich erfreut durch euer Kommen.' Sie aber ließen die Köpfe hängen und begannen zu weinen. Da sprach er zu ihnen: ,Weinet nicht! Der Satan und die Habgier haben euch zu solchem Tun verführt. Wie konntet ihr mich verkaufen! Doch ich tröste mich mit Joseph; an ihm handelten seine Brüder noch ärger, denn ihr getan habt, als sie ihn in die Grube warfen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 619 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschaudar zu seinen



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Brüdern sprach: ,Wie konntet ihr also an mir handeln? Nun bereut vor Allah und bittet ihn um Vergebung; so wird er sie euch gewähren, denn er ist der Vergebende, der Barmherzige! Ich habe euch schon verziehen und heiße euch willkommen; euch soll kein Leid widerfahren.' So tröstete er sie, bis ihre Herzen sich beruhigt hatten; und dann berichtete er ihnen alles, was er in Suez erduldet hatte, bis daß er den Scheich 'Abd es-Samad wieder traf; auch erzählte er ihnen von dem Ringe. Darauf sagten die beiden: ,Lieber Bruder, vergib uns noch dies eine Mal! Wenn wir aber zu unserem alten Treiben zurückkehren, so tu mit uns, was du willst!' ,Seid ohne Sorge,' erwiderte er; ,doch tut mir kund, wie der König an euch gehandelt hat!' Sie fuhren fort: ,Er hat uns schlagen lassen und hat uns gedroht und die beiden Satteltaschen von uns genommen.' ,Er wird sich schon fügen', sagte Dschaudar und rieb den Ring; da stand der Geist vor ihm. Als seine Brüder ihn erblickten, fürchteten sie sich vor ihm und meinten, Dschaudar würde ihm befehlen, sie zu töten. Darum eilten sie zu ihrer Mutter und flehten sie an: ,Liebe Mutter, wir sind deine Schutzbefohlenen! Liebe Mutter, leg Fürbitte für uns ein!' Sie gab ihnen zur Antwort: ,Meine Kinder, fürchtet euch nicht!' Darauf sprach Dschaudar zu dem Diener: ,Ich befehle dir, daß du mir alles bringst, was in der Schatzkammer des Königs ist, Edelsteine und alle anderen Schätze. Laß nichts darin zurück, und bring auch die Zaubertaschen und die Satteltaschen mit Juwelen, die er meinen Brüdern abgenommen hat!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Geist, verschwand alsbald, raffte alles zusammen, was in der Schatzkammer war, holte auch die Satteltaschen mit dem, was sie bargen, und legte den ganzen Inhalt der Schatzkammer vor Dschaudar nieder, indem er sprach: ,Mein Gebieter, ich habe nichts in der Schatzkammer



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liegen lassen.' Jener bat nun seine Mutter, die Taschen der Edelsteine aufzubewahren, und legte die Zaubertaschen vor sich nieder. Dann gebot er dem Diener: ,Ich befehle dir, daß du mir in dieser Nacht ein hohes Schloß erbauest, es ganz mit Goldglanz schmückest und mit prächtigem Hausrat ausstattest. Wenn der Tag anbricht, mußt du mit allem fertig sein.' ,Der Wunsch sei dir erfüllt', erwiderte der Geist und fuhr in den Erdboden hinab. Darauf holte Dschaudar Speisen hervor; und sie aßen, waren guter Dinge und legten sich zum Schlafe nieder.

Sehen wir nun, was der Diener tat! Er holte alle seine Hilfstruppen herbei und befahl ihnen, das Schloß zu erbauen. Und die einen begannen die Steine zu behauen, während andere bauten; wieder andere weißten, noch andere malten, und einige richteten die Gemächer ein. Und noch war es nicht Tag geworden, als das Schloß mit allem Schmuck vollendet war. Darauf begab der Geist sich zu Dschaudar und sprach zu ihm: ,Mein Gebieter, das Schloß ist fertig und vollkommen eingerichtet. Wenn du es dir anschauen willst, so komm!' Da ging Dschaudar mit seiner Mutter und seinen Brüdern hin, und sie sahen, daß dies Schloß nicht seinesgleichen hatte und durch die Schönheit seines Baues die Sinne verwirrte. Dschaudar hatte seine Freude daran; es stand oberhalb der Straße, und es hatte ihn ja nichts gekostet. Dann fragte er seine Mutter: ,Möchtest du wohl in diesem Schlosse wohnen?' ,Ja, mein Sohn', erwiderte sie und flehte Segen auf ihn herab. Er aber rieb den Ring von neuem, und wiederum stand der Geist vor ihm und rief: ,Zu Diensten!' ,Ich befehle dir,' sprach Dschaudar, ,daß du mir vierzig schöne weiße Dienerinnen herbeischaffst, dazu vierzig schwarze Sklavinnen, vierzig Mamluken und vierzig schwarze Sklaven.' ,Der Wunsch sei dir erfüllt'! erwiderte jener und begab sich mit vierzig seiner Gehilfen



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nach Vorderindien und Hinterindien und dem Lande der Perser; und wo sie nur immer ein schönes Mädchen oder einen schönen Knaben sahen, trugen sie alle davon. Ferner entsandte er vierzig, um anmutige schwarze Mädchen zu holen, und vierzig andere brachten schwarze Sklaven. Und alle kamen zum Hause Dschaudars und füllten es ganz an. Als der Geist sie dem Jüngling zeigte, gefielen sie ihm; dann fuhr dieser fort: ,Bring für einen jeden ein Prachtgewand!' ,Zu Befehl!' erwiderte der Geist; und Dschaudar fuhr fort: ,Bring auch ein Gewand für meine Mutter und ein Gewand für mich!' Nachdem alles gebracht war, kleidete Dschaudar die Dienerinnen ein und sprach: ,Dies ist eure Herrin; küsset ihr die Hand; handelt ihr nicht zuwider, sondern dienet ihr treulich, weiße wie schwarze!' Auch die Mamluken kleidete er ein, und sie küßten ihm die Hand; zuletzt legte er seinen Brüdern Gewänder an. So war Dschaudar gleichwie ein König, und seine Brüder waren gleich Wesiren. Nun war sein Haus geräumig; und also ließ er Sâlim mit seiner Dienerschaft in dem einen Flügel, den Saum mit der seinen in dem anderen Flügel wohnen. Er selbst aber zog mit seiner Mutter in das neue Schloß. Und ein jeder von ihnen war an seiner Stätte einem Herrscher gleich.

Wenden wir uns von ihnen nun zu dem Schatzmeister des Königs! Der wollte damals gerade etwas aus der Schatzkammer holen und ging hinein. Aber er fand nichts darinnen, sondern entdeckte, daß es dort aussah, wie der Dichter sagt:

Voller Bienen war die Stätte, als der Schwarm sich niederließ;
Als die Bienen sie verließen, war es nur ein leer Verlies.

Da stieß er einen lauten Schrei aus und sank ohnmächtig nieder. Doch als er wieder zu sich kam, ging er aus der Schatzkammer hinaus, ließ die Tür offen stehen und begab sich zum König Schams ed-Daula. Zu dem sprach er: ,O Beherrscher



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der Gläubigen, ich muß dir vermelden, daß die Schatzkammer in dieser Nacht leer geworden ist.' Der König fragte ihn: ,Was hast du mit meinen Schätzen gemacht, die darinnen lagen?' ,Bei Allah,' erwiderte er, ,ich habe nichts damit gemacht. Ich weiß auch nicht, wie es kommt, daß sie leer geworden ist. Gestern war ich noch dort und fand die Kammer gefüllt; aber als ich sie heute betrat, fand ich sie leer, ohne Inhalt. Doch die Tore waren verschlossen, die Mauern undurchbohrt, die Riegel ungebrochen; es kann also kein Dieb eingedrungen sein.' Weiter fragte der König: ,Sind denn auch die beiden Satteltaschen fort?' ,Ja', erwiderte der Schatzmeister. Nun ward der König wie von Sinnen. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 620. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß jener König, als sein Schatzmeister zu ihm gekommen war und ihm gemeldet hatte, daß die Schätze der Kammer verloren waren und ebenso auch die Satteltaschen, wie von Sinnen ward; er sprang auf und schrie den Schatzmeister an: ,Geh vor mir her!' Der tat es, und der König folgte ihm, bis sie zu der Kammer kamen; und dort fand er nichts. Da ergrimmte er und rief: ,Wer hat sich an meine Schätze gemacht, ohne sich zu fürchten vor meiner Macht?' Und immer heller loderte sein Zorn. Dann ging er hin und ließ die Staatsversammlung zusammentreten. Da kamen die Führer der Truppen, und jeder von ihnen glaubte, der König sei zornig auf ilm. Doch der König sprach: ,Ihr Krieger! Wisset, meine Schatzkammer ist in dieser Nacht geplündert worden; und ich weiß nicht, wer diese Tat gewagt und sich wider mich erfrecht hat, ohne sich vor mir zu fürchten!' Als sie fragten: ,Wie kann das geschehen?' fuhr er fort: ,Fragt den



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Schatzmeister!' Also fragten sie ihn, und er berichtete ihnen: ,Gestern war die Kammer noch gefüllt; aber als ich hegte eintrat, fand ich sie leer, obgleich keine Mauer durchbohrt und die Tür nicht gebrochen war.' Mit großem Erstaunen hörten die Krieger diesen Worten zu, aber sie alle konnten dem König keine Antwort geben. Da kam plötzlich der Wächter, der früher Sâlim und Saum verraten hatte, zum König hereingelaufen und sprach: ,O größter König unserer Zeit, die ganze Nacht hindurch habe ich zugeschaut, wie Baumeister einen Bau errichteten. Und als es Tag ward, sah ich ein Schloß errichtet, das seinesgleichen nicht hat. Und wie ich danach fragte, ward mir gesagt, Dschaudar sei gekommen und habe dies Schloß gebaut, und er habe Mamluken und Sklaven; er sei mit großen Reichtümern heimgekehrt und habe auch seine Brüder aus dem Kerker befreit; jetzt throne er in seinem Schlosse wie ein Sultan.' Darauf befahl der König: ,Schaut im Gefängnis nach!' Sie schauten nach, und als sie Sâlim und Saum nicht fanden, kehrten sie zum König zurück und brachten ihm die Meldung. Da rief er: ,Mein Widersacher ist entdeckt! Wer den Sâlim und Saum aus dem Kerker befreit hat, der hat auch meinen Schatz geraubt.' Als nun der Wesir fragte: ,Hoher Herr, wer ist das?' antwortete er ihm: ,Das ist ihr Bruder Dschaudar; und er hat auch die Satteltaschen genommen. Du aber, o Wesir, schicke einen Emir wider ihn mit fünfzig Mann, auf daß sie ihn und seine Brüder ergreifen, all seinen Besitz versiegeln und mir die drei bringen, damit ich sie aufhängen kann!' Und wieder kam heftiger Zorn über ihn, und er rief: ,Heda, schicke sofort einen Emir zu ihnen, er soll sie mir bringen, damit ich sie hinrichten lassen kann!' Doch der Wesir erwiderte: ,Übe Langmut! Denn Allah ist langmütig und übereilt sich nicht, Seinen Knecht zu strafen, wenn er



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wider Ihn sündigt. Siehe, mit dem, der einen Palast in einer einzigen Nacht erbaut, wie die Leute sagen, kann niemand in der Welt sich messen. Ich fürchte, es könnte dem Emir ein Unheil von Dschaudar widerfahren. Drum gedulde dich, bis ich einen Plan für dich ersinne und du die Wahrheit in dieser Sache schaust. Was du willst, wirst du dann erreichen, o größter König unserer Zeit!' Der König sagte darauf: ,So ersinne mir einen Plan, o Wesir!' Jener fuhr fort: ,Schicke den Emir zu ihm und lade ihn ein! Dann will ich ihn dir in sorgfältige Behandlung nehmen, will Liebe zu ihm heucheln und ihn ausfragen über alles, was ihn angeht; danach werden wir schauen. Ist seine Kraft groß, so wollen wir durch eine List seiner Herr werden; ist sein Mut aber schwach, so ergreife ihn und tu mit ihm, was du willst!' ,Schicke hin, lade ihn ein!' sagte der König; und er befahl einem Emir, der da Emir 'Othmân hieß, er solle zu Dschaudar gehen und zu ihm sagen: ,Der König lädt dich zu einem Gastmahl.' Und der König schärfte ihm ein: ,Kehre nur mit ihm zurück!' Jener Emir nun war töricht und hoffärtigen Sinnes; und als er hinabstieg, sah er schon von ferne vor dem Tor des Schlosses einen Eunuchen auf einem Stuhle sitzen. Wie er dann bei dem Schlosse ankam, erhob der Eunuch sich nicht vor ihm, sondern tat, als ob niemand käme, wiewohl der Emir 'Othmân fünfzig Mann bei sich hatte. Da trat dieser auf ihn zu und herrschte ihn an: ,Sklave, wo ist dein Herre' ,Im Hause', antwortete der Eunuch und redete mit ihm, während er sich mit dem Arme aufstützte. Darob ergrimmte der Emir 'Othmân, und er rief: ,Du elender Sklave, schämst du dich nicht vor mir? Ich spreche mit dir, und du flegelst dich hin wie ein Galgenstrick!' ,Geh weg, mach nicht viel Worte!' brummte der Eunuch. Kaum aber hatte der Emir diese Worte vernommen, da kam die Wut über ihn, und er zog seine Keule



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und wollte den Eunuchen schlagen; denn er wußte nicht, daß der ein Dämon war. Jener aber, wie er den Emir die Keule schwingen sah, sprang empor, warf sich auf ihn, entriß ihm die Keule und versetzte ihm vier Schläge. Als die fünfzig Mann das sahen, ergrimmten sie, weil ihr Herr geschlagen wurde, und sie zogen ihre Schwerter und wollten den Sklaven töten. Der aber rief: ,Zieht ihr die Schwerter, ihr Hunde?' Und er stürzte sich auf sie und zerbrach einem jeden, den er mit der Keule traf, die Knochen und ertränkte ihn in seinem Blute. Da flohen die anderen vor ihm und liefen eiligst davon, während er sie mit seinen Hieben verfolgte, bis sie weit von dem Schloßtore entfernt waren. Dann kehrte er zurück und setzte sich wieder auf seinen Stuhl und kümmerte sich um niemanden. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 621. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Eunuch, nachdem er den Emir 'Othmân, den Hauptmann des Königs, samt seiner Schar verjagt hatte, bis sie weit von dem Schloßtore Dschaudars entfernt waren, zurückkehrte und sich wieder auf den Stuhl neben dem Schloßtore setzte und sich um niemanden kümmerte.

Sehen wir nun, was der Emir 'Othmân und seine Leute taten! Sie liefen in eiliger Flucht, von Wunden bedeckt, immer weiter zurück, bis sie vor König Schams ed-Daula standen, und berichteten ihm, was geschehen war. Also sprach der Emir 'Othmân zum König: ,O größter König unserer Zeit, als ich zum Tore des Schlosses kam, sah ich einen Eunuchen an der Tür auf einem goldenen Stuhle sitzen mit hochmütiger Gebärde. Wie er mich auf sich zukommen sah, streckte er sich



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noch aus, während er vorher doch gerade gesessen hatte. Er behandelte mich mit Verachtung und erhob sich nicht vor mir. Dann redete ich ihn an, und er antwortete mir, indem er liegen blieb. Da packte mich die Wut, und ich schwang die Keule wider ihn und wollte auf ilm dreinschlagen. Er aber entriß mir die Keule und schlug mich und meine Leute und streckte sie nieder, so daß wir vor ihm fliehen mußten und nichts wider ihn vermochten.' Da kam der Zorn über den König, und er rief: ,Es sollen hundert Mann gegen ihn ausziehen!' Die zogen also aus gegen ihn; doch als sie sich ihm näherten, erhob er sich wider sie mit der Keule und schlug ohn Unter laß auf sie ein, bis sie vor ihm flüchteten. Dann ging er zurück und setzte sich auf den Stuhl. Als die hundert Mann heimkamen und vor den König traten, brachten sie ihm die Meldung, indem sie sprachen: ,O größter König unserer Zeit, wir sind vor ihm geflohen, da wir ihn fürchteten.' Nun rief der König: ,Es sollen zweihundert Mann ausziehen.' Die zogen dahin; aber der Eunuch jagte auch sie in die Flucht, und sie mußten heimkehren. Darauf sprach der König zum Wesir: ,Ich beauftrage dich, o Wesir, daß du mit fünfhundert Mann ausziehest und mir diesen Eunuchen sofort bringest, dazu auch seinen Herren Dschaudar und dessen Brüder.' Doch der Wesir erwiderte ihm: ,O größter König unserer Zeit, ich habe keine Krieger nötig; nein, ich will allein und unbewaffnet zu ihm gehen.' ,Geh, und tu, was du für richtig hältst!' sagte der König; und der Wesir tat die Waffen von sich, legte ein weißes Gewand an, nahm einen Rosenkranz in seine Hand und schritt allein dahin, ohne einen Begleiter, bis er zum Tore Dschaudars gelangte. Dort sah er den Sklaven sitzen; und kaum hatte er ihn erblickt, so trat er, waffenlos, wie er war, auf ihn zu und setzte sich ihm höflich zur Seite. Dann sprach er: ,Friede sei mit



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euch!' ,Auch mit dir sei Friede!' erwiderte der Wächter: ,o Sterblicher, was wünschest du?' Sowie der Wesir ihn sagen hörte ,o Sterblicher', wußte er, daß jener ein Dämon war, und er bebte vor Furcht. Doch er fragte ihn: ,Lieber Herr, ist dein Gebieter Dschaudar hier?' ,Ja,' erwiderte der Eunuch, ,er ist im Palaste.' Da fuhr der Wesir fort: ,Lieber Herr, geh zu ihm und sprich zu ihm: König Schams ed-Daula lädt dich ein; denn er hat ein Gastmahl für dich bereitet. Er entbietet dir seinen Gruß und läßt dir sagen, du mögest seine Stätte durch dein Kommen ehren und von seiner Speise essen.' Da sagte der Eunuch: ,Bleib hier, ich will ihn befragen!' Nun blieb der Wesir in ehrfurchtsvoller Haltung stehen, während der Mârid zum Schlosse hinaufging und zu Dschaudar sprach: ,Wisse, mein Gebieter, der König schickte einen Emir zu dir mit fünfzig Mann; ich schlug ihn und jagte sie alle davon. Dann schickte er hundert; auch die schlug ich. Darauf sandte er zweihundert Mann; ich vertrieb sie desgleichen. Jetzt aber sendet er den Wesir zu dir ohne Waffen. und er lädt dich zu sich, damit du von seinem Gastmahle essest. Was sagst du?' ,Bring den Wesir hierher!' sagte Dschaudar. Da ging der Mârid hinunter und sprach zu ihm: ,Wesir, folge dem Rufe meines Herrn!' ,Herzlich gern', erwiderte jener, ging hinauf und trat zu Dschaudar ein. Da sah er, wie jener von größerer Pracht umgeben war als der König, und wie er auf einem Teppich saß, dessengleichen der König nicht ausbreiten konnte; und sein Sinn verwirrte sich ob all der Schönheit des Schlosses mit seinem Schmuck und Gerät, so daß er, der Wesir, sich im Vergleich zu Dschaudar wie ein Bettler vorkam. Dann küßte er den Boden und flehte Segen auf den Hausherrn herab. Der aber sprach zu ihm: ,Was ist dein Begehr, o Wesir?' ,Hoher Herr,' gab jener zur Antwort, ,König Schams ed-Daula, dein Freund,



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läßt dich grüßen, und er sehnt sich danach, dein Antlitz zu schauen. Er hat ein Gastmahl für dich bereitet; willst du kommen und seine Sehnsucht stillen?' Dschaudar erwiderte: ,Da er mein Freund ist, so grüße ihn und sage ihm, er möchte zu mir kommen.' ,Herzlich gern', sagte jener darauf. Nun zog Dschaudar den Ring heraus und rieb ihn; und als der Diener vor ihm stand, sprach er zu ihm: ,Bring mir ein Gewand von den allerbesten!' Als der Geist es gebracht hatte, sprach Dschaudar: ,Lege dies an, o Wesir.' Und nachdem der es angelegt hatte, fuhr Dschaudar fort: ,Geh hin und melde dem König, was ich dir gesagt habe!' Da ging er hinab, angetan mit dem Gewande, dessengleichen er zuvor noch nie getragen hatte; und als er wieder zum König eingetreten war, berichtete er ihm von der Pracht Dschaudars, pries den Palast und alles, was darinnen war, und schloß mit den Worten: ,Wisse, Dschaudar lädt dich ein.' Da rief der König: ,Auf, ihr Mannen!' Alle sprangen auf; dann fuhr er fort: ,Besteigt eure Rosse und bringt mir meinen Renner, auf daß wir zu Dschaudar ziehen!' Und alsbald saß der König auf und ritt mit den Kriegern fort, und sie begaben sich zum Hause Dschaudars. Inzwischen aber hatte Dschaudar zu dem Mârid gesagt: ,Ich wünsche, daß du mir einige von den Dämonen bringst, die deinem Befehle unterstehen, die sollen in Menschengestalt Krieger sein und im Hofe des Schlosses stehen, so daß der König sie sieht. Sie werden ihm Furcht und Schrecken einjagen, sein Herz wird erbeben, und er wird erkennen, daß meine Macht größer ist als seine.' Da brachte der Mârid zweihundert Dämonen als Krieger verkleidet, mit prächtigen Waffen gerüstet, starke und kräftige Gestalten. Als nun der König ankam und die starken und stämmigen Leute sah, erschrak sein Herz vor ihnen. Dann schritt er im Palaste hinauf und trat zu Dschaudar ein. Dort sah er ihn sitzen in einer



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Pracht, in der kein König und kein Sultan zu sitzen pflegte, und er begrüßte ihn und machte eine Verbeugung vor ihm. Aber Dschaudar erhob sich nicht vor ihm, erwies ihm auch keine Ehren und sagte nicht zu ihm: ,Nimm Platz!' sondern ließ ihn stehen. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 621. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschaudar, als der König zu ihm eintrat, sich nicht vor ihm erhob, ihm auch keine Ehren erwies und nicht zu ihm sagte: ,Nimm Platz!' sondern ihn stehen ließ, so daß die Furcht ihn beschlich und er sich weder setzen konnte noch davongehen und bei sich selber sprach: ,Wenn er mich fürchtete, so würde er mich nicht so unbeachtet lassen; vielleicht wird er mir gar ein Leids antun wegen dessen, was ich seinen Brüdern zugefügt habe.' Darauf hub Dschaudar an: ,O größter König unserer Zeit, es ziemt sich nicht für deinesgleichen, den Menschen Gewalt anzutun und ihnen ihr Hab und Gut zu nehmen.' ,Hoher Herr,' erwiderte der König, ,zürne mir nicht! Die Habgier trieb mich dazu, und das Schicksal mußte sich erfüllen; und gäbe es keine Sünde, so gäbe es auch keine Verzeihung.' So entschuldigte er sich bei ihm ob des Vergangenen und bat ihn um Vergebung und Verzeihung, und unter anderem führte er auch diese Verse zu seiner Entschuldigung an:

O edler Ahnen Sproß, du stehest giltig da:
Drum schilt mich nicht ob dessen, was durch mich geschah!
Wenn du ein Unrecht tust, vergebe ich es dir;
Wenn ich ein Unrecht tu, verzeihe du auch mir!

So demütigte er sich lange vor ihm, bis Dschaudar zu ihm sprach: ,Allah vergebe dir!' und ihn sich setzen hieß. Nachdem



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der König sich gesetzt hatte, bezeigte Dschaudar ihm seine Gnade. und dann befahl er seinen Brüdern, die Tische zu breiten. Und als man gegessen hatte, verlieh er den Begleitern des Königs Ehren gewänder und gab ihnen Spenden. Dann hieß er den König aufbrechen; und der verließ das Haus Dschaudars. Doch hinfort kam er jeden Tag in dessen Schloß und hielt die Staatsversammlung nur noch in Dschaudars Hause ab: und es wuchs zwischen beiden die Vertraulichkeit und die Freundschaft. Eine Weile lebten sie so dahin; danach aber sagte der König zu seinem Wesir, als er mit ihm allein war: .Wesir. ich fürchte, Dschaudar wird mich töten und mir das Reich rauben.' ,O größter König unserer Zeit,' erwiderte der Wesir, ,daß er dir das Reich rauben will, brauchst du nicht zu fürchten; denn Dschaudars Rang, den er jetzt einnimmt, ist höher als der Rang eines Königs; und wenn er die Königswürde an sich risse, so würde dadurch sein Ansehen geschmälert. Doch wenn du fürchtest, er wolle dich töten, so hast du ja eine Tochter; gib sie ihm zur Gemahlin, so wirst du eng mit ihm verbunden sein.' Da bat der König: ,O Wesir, sei der Vermittler zwischen mir und ihm!' Und jener fuhr fort: ,Lad ihn zu dir ein: dann wollen wir die Nacht in einem der Säle verbringen. Und du befiehl deiner Tochter, daß sie sich aufs prächtigste schmücke und an der Tür des Saales vorbeigehe. Sobald er sie sieht, so wird er sie liebgewinnen; und wenn wir das an ihm bemerken, so will ich mich zu ihm neigen und ihm zuflüstern, daß sie deine Tochter ist. Und ich werde mit ihm darüber hin und her reden, während es scheint, daß du nichts davon weißt, bis er sie von dir zur Frau erbittet. Wenn du ihn mit deiner Tochter vermählt hast, so seid ihr beide nur noch ein einziges Wesen, und du bist sicher vor ihm; und wenn er stirbt, so erbst du von ihm all das große Gut.' ,Du hast recht,



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mein Wesir,' sagte darauf der König und rüstete ein Festmahl. Zu dem lud er Dschaudar ein; und als dieser zum Schlosse des Sultans gekommen war, blieben sie im trautesten Beisammensein bis zum Abend in dem Saale. Der König aber hatte seiner Gemahlin melden lassen, sie solle der Prinzessin den prächtigsten Schmuck anlegen und mit ihr an der Tür des Saales vorübergehen. Sie tat, wie er befohlen hatte, und ging mit der Prinzessin vorüber. Als Dschaudar sie erblickte, sie, die an Schönheit und Anmut nicht ihresgleichen hatte, richtete er die Augen fest auf sie und seufzte: ,Aah!' Es war ihm, als ob seine Glieder sich verrenkten; denn in ihm entbrannte der sehnenden Liebe Kraft, und er war erfüllt von der heftigsten Leidenschaft. Und als er bleich ward, fragte der Wesir ihn: ,Der Himmel behüte dich vor Bösem, o mein Gebieter, warum muß ich sehen, daß du die Farbe wechselst und Schmerzen leidest?' Dschaudar erwiderte: ,O Wesir, wessen Tochter ist diese Maid? Sie hat mein Herz gefangen und mir den Verstand geraubt!' Da gab der Wesir zur Antwort: ,Sie ist die Tochter deines Freundes, des Königs. Wenn sie dir gefallen hat, so will ich mit dem König sprechen, daß er sie dir vermähle.' ,Ja, Wesir, sprich mit ihm!' bat Dschaudar, ,und so wahr ich lebe, ich will dir geben, was du nur verlangst, und will dem König als Morgengabe für sie alles geben, was er verlangt; so werden wir Freunde und Verwandte sein.' Da sagte der Wesir: ,Du sollst deinen Wunsch gewißlich erreichen'; und er flüsterte dem König zu: ,O größter König unserer Zeit, dein Freund Dschaudar wünscht dein Verwandter zu werden, und er wendet sich durch mich an dich, du mögest ihn mit deiner Tochter, der Prinzessin Âsija', vermählen. Drum enttäusche mich



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nicht und nimm meine Vermittlung an; er will dir als Morgengabe für sie alles geben, was du nur immer verlangst.' Der König erwiderte darauf: ,Die Morgengabe habe ich bereits erhalten, und die Tochter ist seine Dienstmagd; ich gebe sie ihm zum Weibe, und er ist gütig, wenn er sie annimmt.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 623. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König Schams ed-Daula, als sein Wesir ihm sagte: ,Dschaudar wünscht dein Verwandter zu werden, indem er sich mit deiner Tochter vermählt, darauf erwiderte: ,Die Morgengabe habe ich bereits erhalten, und die Tochter ist seine Dienstmagd, und er ist gütig, wenn er sie annimmt.' Die Nacht über blieben sie beisammen; am nächsten Morgen aber berief der König eine Staatsversammlung, zu der er hoch und niedrig entbot, und bei der auch der Scheich el-Islâm' zugegen war. Da erbat Dschaudar die Prinzessin zur Gemahlin; und als der König sprach: ,Die Morgengabe habe ich bereits erhalten', ward der Ehevertrag geschrieben. Nun ließ Dschaudar die Satteltaschen mit den Juwelen herbeibringen und gab sie dem König als Morgengabe für die Prinzessin. Trommelwirbel hallte, und Flötenklang erschallte; die Hochzeit ward prächtig gefeiert, und Dschaudar ging zur Prinzessin ein. So waren er und der König eines Fleisches, und sie blieben viele Tage beieinander. Darauf starb der König. Nun verlangten die Truppen Dschaudar zum Sultan, und obwohl er sich dessen weigerte, drangen sie so lange in ihn, bis er nachgab und sie ihn zum Sultan ausriefen. Da befahl er, eine Moschee über dem Grabe des Königs



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Schams ed-Daula zu bauen, und setzte eine Stiftung für sie fest; und das war im Quartier der Büchsenmacher. Das Haus Dschaudars aber lag im Viertel der Jemenier; und als er Sultan geworden war, baute er Häuser und eine Gemeindemoschee; und so wurde jenes Viertel nach ihm benannt, und dessen Name war hinfort das Dschaudarîje-Viertel. Doch er war nur kurze Zeit König. Nachdem er seine Brüder als Wesire eingesetzt hatte, den Sâlim als Wesir zur Rechten und den Salîm als Wesir zur Linken, blieben sie noch ein Jahr zusammen, länger nicht. Denn damals sprach Sâlim zu Saum: ,Bruder, wie lange soll dieser Zustand noch dauern? Sollen wir unser ganzes Leben damit vertrauern, daß wir Dschaudars Diener sind? Wir werden uns nie darüber freuen, daß die Macht und das Glück uns lacht, solange Dschaudar am Leben ist!' Und er fügte hinzu: ,Wie sollen wir es nur beginnen, daß wir ihn töten und ihm den Ring und die Satteltaschen abnehmen?' Da sagte Saum zu Sâlim: ,Du bist klüger als ich; drum ersinne einen Plan für uns, durch den wir ihn zu Tode bringen können!' Jener gab ihm zur Antwort: ,Wenn ich dir einen Plan ersinne, ihn umzubringen, willst du dann einwilligen, daß ich Sultan werde und du der Wesir zur Rechten bist, daß der Ring mir gehört und die Satteltaschen dir?' Nachdem Saum gesagt hatte: ,Ich willige ein', kamen die beiden aus Liebe zur Welt und zur Macht überein, Dschaudar zu ermorden. Und diesen Anschlag gegen Dschaudar führten Salîm und Sâlim aus, indem sie zu ihm sprachen: ,Lieber Bruder, wir möchten uns deiner rühmen, daß du unsere Häuser betrittst und als Gast von unserem Tische issest und unser Herz erfreuest!' Und voll Tücke fuhren sie fort: ,Erfreue unser Herz und sei unser Gast!' Er antwortete: ,Das ist nichts Böses. In wessen Haus soll das



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Gastmahl seine' Sâlim erwiderte: ,In meinem Hause. Und nachdem du mein Gast gewesen bist, sollst du von meines Bruders Speise essen.' ,Das ist gut so', sprach Dschaudar und ging mit Sâlim zu dessen Haus. Der ließ ihm die Speisen vorsetzen, nachdem er sie vergiftet hatte. Und kaum hatte Dschaudar davon gegessen, so zerfiel sein Leib. Sâlim aber sprang auf, um ihm den Ring vom Finger zu ziehen; und als ihm das nicht gelang, schnitt er den Finger mit dem Messer ab. Sofort rieb er den Ring; der Mârid erschien vor ihm und sprach: ,Zu Diensten! Verlange, was du willst!' Und nun sprach Sâlim: ,Ergreif meinen Bruder und töte ihn! Dann nimm die beiden, den Vergifteten und den Getöteten, und wirf sie vor die Truppen hin!' Da packte der Geist den Saum und tötete ihn; dann trug er die beiden Leichen hinaus und warf sie vor die Anführer der Truppen hin, die schon im Saale des Hauses an der Tafel saßen und speisten. Als sie Dschaudar und Sahîm ermordet sahen, hoben sie ihre Hände von den Speisen, und, von Grauen ergriffen, fragten sie den Mârid: ,Wer hat an dem König und an dem Wesir also gehandelte' Jener antwortete: ,Ihr Bruder Sâlim.' Und plötzlich trat Sâlim vor sie hin und rief: ,Ihr Krieger, esset und seid guter Dinge! Ich habe den Ring von meinem Bruder Dschaudar gewonnen; und diesem Mârid da vor euch, dem Diener des Ringes, habe ich befohlen, meinen Bruder Saum zu töten, damit er mir die Herrschaft nicht streitig mache; denn er ist ein Verräter, und ich mußte fürchten, daß er treulos an mir handeln würde. Da liegt Dschaudar tot vor euch. Ich bin Sultan über euch geworden! Wollt ihr mich anerkennen? Wo nicht, so reibe ich den Ring, und sein Diener wird euch töten, groß und klein.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 624.



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Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Krieger, wie Sâlim zu ihnen sprach: ,Wollt ihr mich als Sultan über euch anerkennen? Wo nicht, so reibe ich den Ring, und der Geist wird euch töten, groß und klein', ihm antworteten: ,Wir erkennen dich an als König und Sultan!' Darauf befahl er, seine beiden Brüder zu begraben, und berief die Staatsversammlung. Ein Teil des Volkes ging mit dem Leichenzuge; andere aber liefen mit dem Prunkzuge vor Sâlim her. Und als sie in den Staatssaal kamen, setzte er sich auf den Thron, und das Volk huldigte ihm als dem König. Danach hub er an: ,Ich will mich mit der Gattin meines Bruders vermählen.' Da ward ihm gesagt: ,Die Tage ihrer Witwenschaft müssen erst vorüber sein.' Doch er rief: ,Ich kenne weder Tage der Witwenschaft noch sonst etwas. Bei meinem Haupte, ich muß noch heute nacht zu ihr eingehen!' Nun ward der Ehevertrag geschrieben, und ein Bote ward gesandt, um es der Gemahlin Dschaudars, der Tochter des Königs Schams ed-Daula, zu melden. ,Lasset ihn kommen!' erwiderte sie; und als er zu ihr eintrat, empfing sie ihn mit geheuchelter Freude und hieß ihn willkommen. Hernach aber tat sie ihm Gift ins Wasser und brachte ihn um. Darauf nahm sie den Ring und zerbrach ihn, auf daß ihn hinfort niemand mehr besitzen solle; auch zerriß sie die Satteltaschen. Und schließlich sandte sie zum Scheich el-Islâm und ließ ihm sagen: ,Wählt euch einen König, der Herrscher über euch sei!' Dies ist alles, was uns von der Geschichte Dschaudars überliefert worden ist, und nichts fehlt daran.

Ferner ist mir berichtet worden


Copyright: arpa, 2015.

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