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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE FÜNFTE REISE SINDBADS DES SEEFAHRERS

Ihr wisset, meine Brüder. daß ich, als ich von meiner vierten Reise heimgekehrt war, mich wieder ganz dem Leben in Scherz und Frohsinn und Sorglosigkeit hingab. Da vergaß ich vor lauter Freude über den großen Gewinn und Verdienst alles, was mir widerfahren war, alles, was ich erlebt und erlitten hatte. Und meine Seele flüsterte mir wieder ein, zu reisen und mich in den Ländern der Menschen und auf den Inseln umzuschauen. Als nun dieser Entschluß bei mir feststand, kaufte ich mir Waren, wie sie für eine Seereise geeignet sind, ließ sie in Ballen verpacken und verließ Baghdad. Wiederum begab ich mich zur Stadt Basra, und wie ich dort am Hafen entlang schritt, sah ich ein großes, hohes und schönes Schiff, das mir gefiel. Die ganze Ausrüstung war auch noch neu, und so kaufte ich es. Ich heuerte einen Kapitän und Seeleute, wies meinen Sklaven und Dienern ihren Dienst dort an und ließ meine Ballen dort verstauen. Darauf kam eine Schar von Kaufleuten zu mir, und die ließen auch ihre Lasten auf mein Schiff bringen, indem sie mir die Fracht und die Fahrt bezahlten. Dann segelten wir so froh und heiter ab, wie wir es nur sein konnten: denn wir versprachen uns glückliche Heimkehr und reichen Gewinn. Wir segelten von Insel zu Insel und von Meer zu Meer; dabei schauten wir uns auf den Inseln und in den Städten um, gingen an Land und trieben Handel. Nachdem unsere Fahrt eine Weile so fortgegangen war, kamen wir eines Tages zu einer großen unbewohnten Insel; dort zeigte sich kein Mensch, öde und verlassen lag sie da, nur eine gewaltig große weiße Kuppel war auf ihr zu sehen. Einige von uns stiegen aus, um sich diese anzusehen; und siehe da, es war ein großes Ei



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vom Vogel Ruch. Die Kaufleute aber, die dorthin gingen und sich das Gebäude ansehen wollten, wußten nicht, daß es ein Ei des Ruch war, und schlugen mit Steinen darauf. Da zerbrach es, und es floß viel Wasser heraus; und drinnen zeigte sich das Junge des Ruch. Das zerrten sie aus dem Ei hervor, und nachdem sie es geschlachtet hatten, nahmen sie viel Fleisch von ihm mit. Ich aber war auf dem Schiffe geblieben und ahnte nicht, was sie taten. Da rief mir plötzlich einer von den Reisenden zu: ,Herr, komm doch und sieh dir das Ei an, das wir für eine Kuppel hielten!' Ich ging alsbald hin, um es mir anzusehen, und fand die Kaufleute damit beschäftigt, das Ei zu zerschlagen. Da schrie ich sie an: ,Tut das nicht! Sonst kommt gewiß gleich der Vogel Ruch und zertrümmert unser Schiff und richtet uns zugrunde!' Aber sie wollten nicht auf mich hören, und während sie noch mit ihrem Tun fortfuhren, verschwand auf einmal die Sonne vor unseren Augen, und der helle Tag ward zur Finsternis; wie eine Wolke, die den ganzen Himmel verdunkelte, zog es über uns hin. Wir hoben unsere Blicke empor, um zu sehen, was denn zwischen uns und die Sonne gekommen sei; und da entdeckten wir, daß es ein Flügel des Ruch war, der das Sonnenlicht von uns fernhielt, sodaß Dunkelheit herrschte. Als aber der Vogel näher kam und sah, daß sein Ei zerbrochen war, fing er an zu schreien; nun kam auch sein Weibchen, und die beiden begannen über dem Schiffe zu kreisen, indem sie dabei mit Stimmen, die lauter als der Donner dröhnten, auf uns hernieder schrien. Da rief ich dem Kapitän und den Matrosen zu: ,Stoßt ab und sucht die Rettung in der Flucht, ehe wir des Todes sind!' Die Kaufleute stürzten an Bord, und der Kapitän machte eiligst das Schiff los, und wir fuhren von der Insel fort. Als der Ruch bemerkte, daß wir auf dem Meere fuhren, flog er davon und verschwand eine kurze Weile, während



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wir so schnell wie möglich fuhren, in der Absicht, den beiden Vögeln zu entrinnen und aus ihrem Bereich herauszukommen. Aber da waren sie schon wieder hinter uns und kamen uns näher, und jeder von ihnen hielt einen großen Felsblock in den Krallen. Zuerst ließ das Männchen den Felsen, den es trug, auf uns herunterfallen; aber der Kapitän lenkte das Schiff rasch zur Seite, so daß jener Block uns gerade noch um ein kleines verfehlte. Er sauste ins Meer und unter das Schiff mit solcher Gewalt, daß unser Fahrzeug sich hob und dann wieder so tief hinabschoß, daß wir den Meeresgrund sehen konnten; mit solcher Kraft war der Felsen heruntergekommen. Dann ließ auch das Weibchen den Felsblock, den es trug, herunterfallen; der war wohl etwas kleiner als der erste, aber er traf nach der Bestimmung des Schicksals das Heck des Schiffes und zertrümmerte es. so daß unser Steuerruder in zwanzig Stücke auseinanderflog und alles, was sich auf dem Schiffe befand, ins Wasser fiel. Ich begann um meine Rettung zu ringen, da das Leben doch so still ist, und Allah der Erhabene bescherte mir eine von den Planken des Schiffes. An die klammerte ich mich, und dann kletterte ich auf sie hinauf und begann mit meinen Beinen zu rudern. Wind und Wellen waren mir günstig auf meiner Fahrt; und da das Schiff in der Nähe einer Insel auf der hohen See untergegangen war, so warf mich das Geschick mit Willen Allahs des Erhabenen an ebenjenes Eiland. Ich kletterte hinauf; doch ich war am Ende meiner Kräfte und fast wie ein Toter, da alles, was ich an Mühen und Qualen, an Hunger und Durst erduldet hatte, furchtbar auf mir lastete. Ich warf mich am Strande nieder und blieb eine lange Weile dort liegen, bis mein Geist sich erholte und mein Herz sich beruhigte. Dann ging ich auf der Insel umher und sah, daß sie einem Paradiesesgarten glich; da



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waren die Bäume mit reifen Früchten behangen, die Bächlein sprangen, und die Vögel sangen und priesen Ihn, der allmächtig und ewig ist. Ja, vielerlei Bäume und Früchte und Blumen jeglicher Art befanden sich auf jener Insel. So begann ich denn von den Früchten zu essen, bis ich satt war, und aus den Bächen zu trinken, bis mein Durst gelöscht war. Und ich pries und lobte Allah den Erhabenen für Seine Güte.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 557. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Sindbad der Seefahrer des weiteren erzählte: ,Als ich dem Tod in den Wellen entronnen und auf jener Insel an Land getrieben war und dort von den Früchten essen und aus den Bächen trinken konnte. pries und lobte ich Allah den Erhabenen für Seine Güte. Und ich blieb dort sitzen, bis der Tag zur Rüste ging und die Nacht nahte. Ich war aber immer noch wie ein Toter; so hatten die Anstrengung und die Angst mich erschöpft. Keinen Laut vernahm ich auf jener Insel, kein menschliches Wesen erblickte ich auf ihr. Und so schlief ich denn dort bis zum Morgen. Dann machte ich mich auf und wanderte zwischen den Bäumen dahin; und plötzlich sah ich ein Schöpfwerk bei einer Quelle fließenden Wassers, und neben dem Schöpfwerk saß ein alter Mann von würdigem Aussehen, der mit einem Schurz aus Baumblättern bekleidet war. Ich sagte mir: ,Vielleicht ist dieser Alte da auch auf der Insel gelandet und ist einer von denen, die von einem Schiffe fielen, als es kenterte.' So trat ich denn an ihn heran und grüßte ihn. Er aber erwiderte meinen Gruß durch ein Zeichen und sprach kein Wort. Darauf sagte ich zu ihm: ,Alterchen, warum sitzest du hier an dieser Stätten' Er schüttelte das Haupt und seufzte und gab mir durch Zeichen



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mit der Hand zu verstehen, ich sollte ihn auf meine Schultern heben und ihn von dort auf die andere Seite der Schöpfrinne tragen. Nun sagte ich mir: ,Ich will ihm den Gefallen tun und ihn dorthin tragen, wohin er will; vielleicht wird der Himmel mich dafür belohnen.' Ich trat also an ihn heran, hob ihn auf meine Schultern und trug ihn an den Ort, den er mir bezeichnet hatte. Dort sagte ich zu ihm: ,Steig langsam herunter!' Aber er stieg nicht herunter, sondern wand mir seine Beine um den Hals. Und wie ich seine Beine anschaute, da sahen sie aus wie das Fell eines Büffels, schwarz und rauh. Darüber erschrak ich, und ich wollte ihn von meinen Schultern abschütteln. Doch er preßte seine Beine noch fester um meinen Hals und würgte mich so heftig, daß mir schwarz vor den Augen wurde. Mein Bewußtsein schwand, und ich fiel ohnmächtig wie tot zu Boden. Da hob er seine Schenkel und schlug mich mit den Füßen auf meinen Rücken und auf meine Schultern; und das tat mir so weh, daß ich wieder aufsprang, obgleich er noch immer auf mir saß und ich unter seiner Last ermüdete. Dann gab er mir mit der Hand ein Zeichen, ich sollte ihn unter die Bäume zu den besten Früchten tragen; und wenn ich mich weigerte, so schlug er mich mit den Füßen ärger als mit Peitschenhieben. In einem fort wies er mit der Hand auf jede Stelle, die er erreichen wollte, so daß ich ihn dorthin tragen mußte. Wenn ich säumte oder langsam ging, so schlug er mich; und so war ich bei ihm wie ein Gefangener. Während ich mit ihm nun mitten auf der Insel unter den Bäumen dahinlief, fing er auch noch an, mir die Schultern zu nässen und zu beschmutzen. Tag und Nacht stieg er nicht herab, und wenn er schlafen wollte, so wickelte er seine Beine fest um meinen Hals und schlief eine kleine Weile. Wenn er dann wieder aufwachte, schlug er mich von neuem, und ich mußte eilends aufstehen



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und durfte ihm nicht zuwiderhandeln, weil ich sonst zu schwer von ihm zu leiden hatte. Nun machte ich mir selber Vorwürfe, daß ich mich seiner erbarmt und ihn auf meine Schultern gehoben hatte. Aber es ging noch immer so weiter, und ich war in der größten Bedrängnis, die man sich denken kann. Da sagte ich mir: ,Ich habe dem Kerl Gutes erwiesen, und er hat mir mit Bösem vergolten. Von jetzt an will ich, bei Allah, mein ganzes Leben lang nie mehr einem Menschen etwas Gutes tun.' Und ich bat zu jeder Zeit, zu jeder Stunde Allah Erhabenen, er möchte mich sterben lassen; denn ich konnte die schweren Anstrengungen und Qualen nicht mehr ertragen. Dennoch mußte ich eine lange Weile so weiterleben, bis ich schließlich eines Tages mit ihm zu einer Stelle auf der Insel kam, an der viele Kürbisse wuchsen. Manche von denen waren trocken, und so nahm ich mir einen großen, trockenen Kürbis, schnitt ihn oben auf und höhlte ihn aus. Dann trug ich ihn zu einem Rebstock, füllte ihn dort mit Traubensaft, schloß die Öffnung und stellte ihn in die Sonne. Nachdem ich ihn dort eine Reihe von Tagen hatte stehen lassen, war der Saft zu starkem Wein geworden. Und nun begann ich jeden Tag davon zu trinken, um mich dadurch gegen die Qualen zu stärken, die ich von jenem rebellischen Satan erlitt; und jedesmal, wenn ich von dem Weine trunken war, faßte ich neuen Mut. Doch eines Tages, als er mich trinken sah, fragte er mich durch ein Zeichen mit der Hand, was das sei. Ich antwortete ihm: ,Dies ist etwas Gutes, das dem Herzen Kraft verleiht und das Gemüt neu belebt.' Darauf lief ich mit ihm unter den Bäumen umher und begann zu tanzen; und in der Trunkenheit, die über mich kam, klatschte ich mit den Händen, sang und war ganz ausgelassen. Wie er mich in diesem Zustande sah, machte er mir ein Zeichen, ich sollte ihm den Kürbis geben, damit er



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auch trinken könne. Da ich Angst vor ihm hatte, reichte ich ihm die Schale hin. Und er trank alles, was noch darin war, sofort aus und warf sie weg. Nun wurde er lustig und begann auf meinen Schultern hin und her zu wackeln. Schließlich aber wurde er trunken, und ein so schwerer Rausch kam über ihn, daß seine Glieder und Muskeln ganz schlaff wurden und er auf meinen Schultern zu schwanken begann. Sobald ich bemerkte, daß er trunken und seiner Sinne nicht mehr mächtig war, streckte ich meine Hand nach seinen Füßen aus, löste sie von meinem Halse, beugte mich dann mit ihm vornüber und setzte mich, während er auf die Erde fiel.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 558. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Sindbad der Seefahrer des weiteren erzählte: ,Als ich den Satan von meinen Schultern abgeworfen hatte, konnte ich es noch kaum glauben, daß ich mich befreit hatte und daß ich meiner Not entronnen war. Und da ich fürchtete, er könne sich aus seinem Rausche erheben und mir ein Leid antun, holte ich mir einen großen Stein, der unter den Bäumen lag, trat an den Alten heran und schlug ihm, während er schlief, so gewaltig damit aufs Haupt, daß sein Fleisch und sein Blut ein Brei wurden. Nun lag er tot da - Allah habe ihn nicht selig! Darauf schritt ich mit leichtem Herzen über die Insel dahin und kam wieder zu der Stelle am Strande, an der ich schon vorher gewesen war. Aber ich mußte noch eine ganze Weile auf der Insel bleiben, indem ich von den Früchten dort aß und aus den Bächen trank, und dabei hielt ich immer Ausschau, ob wohl ein Schiff vorüberfahren würde. Und endlich, eines Tages, als ich wieder dasaß und über meine Erlebnisse und mein Schicksal nachdachte und mir



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sagte: ,Ich möchte wohl wissen, ob Allah mich glücklich davonkommen lassen wird, so daß ich in mein Land heimkehren und wieder bei den Meinen und meinen Freunden sein kann!' —da tauchte plötzlich ein Schiff auf aus dem tosenden Meer mit den brandenden Wogen ringsumher, und es kam geradeswegs auf die Insel zu und ging dort vor Anker. Die Reisenden stiegen aus und gingen an Land; ich trat auf sie zu, und als sie mich erblickten, eilten sie alle herbei und drängten sich um mich und fragten mich, was es mit mir sei und wie ich auf diese Insel gekommen wäre. Da berichtete ich ihnen von meinen Erlebnissen und Abenteuern, und sie hörten mir mit dem größten Erstaunen zu. Dann sagten sie: ,Dieser Mann, der auf deinen Schultern geritten hat, heißt der Alte vom Meere; noch nie ist einer, der unter seine Beine geriet, von ihm erlöst worden außer dir. Preis sei Allah für deine Rettung!' Dann brachten sie mir etwas Speise, und ich aß, bis ich satt war; auch gaben sie mir Kleider, daß ich sie anlegen und meine Blöße bedecken konnte. Und schließlich nahmen sie mich mit sich an Bord. und wir fuhren Tag und Nacht weiter, bis uns das Schicksal zu einer hochgebauten Stadt führte, deren Häuser alle aufs Meer hinausblickten. Sie hieß die Affenstadt; und wenn die Nacht anbrach, so pflegten alle Leute, die dort wohnten, zu den Toren am Meere herauszukommen, in Boote und Schiffe zu steigen und auf dem Wasser zu übernachten, da sie befürchteten, daß die Affen aus den Bergen bei Nacht über sie herfallen würden. Ich ging an Land, um mir die Stadt anzusehen; aber da fuhr das Schiff weiter, ohne daß ich es wußte. Nun bereute ich, daß ich bei der Stadt ausgestiegen war, und ich dachte an meine Gefährten und an all das, was ich mit den Affen schon zweimal durchgemacht hatte. Ich setzte mich nieder und weinte in meiner Trauer. Da kam ein Mann von den Einwohnern



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der Stadt auf mich zu und fragte mich: ,Lieber Herr, du bist wohl ein Fremdling in diesen Landen?' ,Jawohl,' erwiderte ich ihm, ,ich bin ein armer Fremdling. Ich bin mit einem Schiff gekommen, das hier vor Anker ging; ich stieg aus, um mir die Stadt anzusehen, doch als ich zur Küste zurückkehrte, fand ich es nicht mehr.' Jener Mann aber fuhr fort: ,Komm, geh mit uns und steige ins Boot; denn wenn du bei Nacht in der Stadt bleibst, so werden die Affen dir den Garaus machen.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte ich, machte mich sofort auf und stieg zu den Leuten ins Boot. Die stießen darauf vom Lande ab und fuhren in See, bis sie etwa eine Meile von der Küste entfernt waren; dort brachten sie die Nacht zu, und ich blieb bei ihnen. Als es Morgen ward, kehrten sie mit ihren Schiffen zur Stadt zurück, stiegen an Land, und ein jeder von ihnen ging seinen Geschäften nach. Das pflegten sie jede Nacht zu tun; wenn jedoch einer von ihnen am Abend in der Stadt zurückblieb, so kamen die Affen über ihn und töteten ihn. Bei Tage liefen die Affen wieder zur Stadt hinaus, fraßen von den Früchten der Gärten und schliefen in den Bergen bis zur Abendzeit; dann erst kehrten sie in die Stadt zurück. Jene Stadt liegt im fernsten Teile des Landes der Schwarzen; und das Seltsamste, was ich dort erlebt habe, ist dies. Einer von den Leuten, mit denen ich im Boote zu übernachten pflegte, sagte einmal zu mir: ,Lieber Herr, du bist ein Fremdling in diesen Landen. Kennst du ein Handwerk, in dem du arbeiten kannst?' ,Nein, bei Allah, mein Bruder,' erwiderte ich, ,ich habe kein Handwerk, und ich kann auch nichts arbeiten; denn ich bin ein Kaufmann, ich besaß Geld und Gut und nannte ein Schiff mein eigen, das mit vielen Waren und Gütern beladen war. Aber es litt Schiffbruch auf dem Meere, und alles, was darinnen war, ging unter. Ich konnte mich nur mit der Hilfe Allahs vor dem Ertrinken retten; denn Er sandte mir



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eine Planke, auf die ich steigen konnte, und das war die Ursache, weshalb ich mit dem Leben davonkam.' Da brachte der Mann mir einen baumwollenen Sack und sprach zu mir: ,Nimm diesen Sack und fülle ihn mit Kieselsteinen. wie sie hier herumliegen; dann zieh mit einer Schar von den Leuten dieser Stadt aus, ich will dich mit ihnen bekannt machen und dich ihrer Obhut empfehlen. Tu genau so, wie sie tun! Vielleicht kannst du dir dann etwas verdienen, das dir dazu verhilft, weiterzureisen und in dein Land heimzukehren.' Darauf nahm er mich mit sich und führte mich zur Stadt hinaus. Dort sammelte ich kleine Kieselsteine und füllte sie in den Sack. Alsbald kam auch eine Schar von Leuten aus der Stadt heraus, und mein Freund machte mich mit ihnen bekannt und empfahl mich ihrer Obhut, indem er zu ihnen sprach: ,Dieser Mann ist ein Fremdling; nehmt ihn mit euch und lehrt ihn das Sammeln, auf daß er sein täglich Brot verdiene und euch der Lohn des Himmels zuteil werde!' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie; dann hießen sie mich willkommen und nahmen mich mit sich fort. Ein jeder von ihnen aber hatte einen Sack bei sich, wie ich ihn trug, mit Kieselsteinen angefüllt. Wir zogen immer weiter dahin, bis wir ein geräumiges Tal erreichten, mit vielen hohen Bäumen, auf die kein Mensch hinaufsteigen konnte. In jenem Tale gab es aber auch viele Affen, und sowie die uns erblickten, flüchteten sie vor uns und kletterten auf die Bäume hinauf. Nun begannen die Leute mit den Steinen, die sie in ihren Säcken hatten, nach den Affen zu werfen, und jene rissen die Früchte von den Bäumen und warfen sie auf die Männer hinab. Ich sah mir die Früchte, mit denen die Affen warfen, genauer an und entdeckte, daß es Kokosnüsse waren. Wie ich also jene Leute bei ihrem Tun beobachtet hatte, wählte ich mir einen großen Baum aus, auf dem viele Affen



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saßen, ging hin und begann die Tiere mit Steinen zu bewerfen. Da rissen sie die Nüsse ab und schleuderten sie auf mich, und ich sammelte sie, wie die anderen es taten. Ehe ich noch die Steine in meinem Sack alle verbraucht hatte, war schon eine große Menge von Nüssen in meinem Besitz. Als die Leute dann mit ihrer Arbeit fertig waren, sammelten sie alles, was bei ihnen lag, und ein jeder von ihnen trug so viel fort, wie er konnte. Und zuletzt kehrten wir, solange es noch Tag war, in die Stadt zurück. Dort ging ich alsbald zu meinem Freunde, dem Manne, der mich mit den anderen bekannt gemacht hatte, und wollte ihm alles geben, was ich gesammelt hatte, indem ich ihm für seine Güte dankte. Doch er sprach zu mir: ,Nimm du sie, verkaufe sie und verwerte den Erlös für dich!' Dann gab er mir den Schlüssel zu einer Kammer in seinem Hause und sagte: ,An dieser Stätte kannst du immer die Nüsse, die du zurücklegst, aufbewahren. Zieh jeden Morgen mit den anderen aus, wie du heute getan hast, und von den Nüssen, die du heimbringst, wähle die schlechten aus, verkaufe sie und verwende den Erlös für dich; die guten aber speichere hier auf: vielleicht wirst du so viel zusammenbringen, daß du dafür deine Reise bestreiten kannst.' ,Allah der Erhabene vergelte es dir!' erwiderte ich und tat, wie er mir gesagt hatte. Ich fuhr fort, jeden Tag meinen Sack mit Kieseln zu füllen, mit den Leuten hinauszuziehen und so zu schaffen wie sie. Nun empfahlen sie mich einander und zeigten mir immer den Baum, an dem die meisten Nüsse hingen. Eine lange Zeit hindurch blieb ich bei ihnen, und so häufte sich bei mir ein großer Vorrat von guten Kokosnüssen auf; ich verkaufte auch viele und verdiente durch sie viel Geld, so daß ich mir alles. was ich sah und gern haben wollte, kaufen konnte. So verlebte ich eine schöne Zeit, und mein Ansehen nahm zu in der gan



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zen Stadt. Und ich lebte weiter so dahin, bis einmal, während ich am Ufer stand, ein großes Schiff auf jene Stadt zulief und am Strande vor Anker ging; auf ihm befanden sich Kaufleute, die Waren mit sich führten und die nun mit Kokosnüssen und anderen Dingen Handel trieben. Da ging ich zu meinem Freunde und erzählte ihm von dem Schiffe, das gekommen war; zugleich aber sagte ich zu ihm, ich möchte nun wieder in meine Heimat reisen. ,Das steht bei dir', erwiderte er; und ich nahm Abschied von ihm, nachdem ich ihm für alle seine Güte gegen mich gedankt hatte. Darauf ging ich zu dem Schiffe, traf mit dem Kapitän zusammen und vereinbarte mit ihm Fahrgeld und Fracht. Dann schiffte ich mich mit meinem ganzen Besitz an Nüssen und anderen Dingen auf jenem Fahrzeug ein. Wir brachen auf' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 559. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Sindbad der Seefahrer des weiteren erzählte: ,Als ich von der Affenstadt aus an Bord gegangen war, indem ich meinen ganzen Besitz an Kokosnüssen und anderen Dingen mitnahm, und als ich auch mit dem Kapitän Fahrgeld und Fracht vereinbart hatte, brachen wir noch am selben Tage auf. Und dann segelten wir dahin von Insel zu Insel und von Meer zu Meer. Auf jeder Insel, bei der wir anlegten, verkaufte ich Kokosnüsse oder tauschte sie gegen Waren ein; und Allah gab mir mehr zurück, als ich früher besessen und verloren hatte. Wir kamen auch an einer Insel vorbei, auf der Zimt und Pfeffer wuchs; und Leute dort erzählten uns, sie fänden bei jeder Pfefferdolde ein großes Blatt, das ihr Schatten spendet und die Nässe von ihr abwehrt, wenn es regnet; sobald aber die Regenzeit vorüber sei, wende das



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Blatt sich um und hänge dann neben der Dolde herunter. Von jener Insel nahm ich einen großen Vorrat an Pfeffer und Zimt mit mir, den ich für Kokosnüsse eingetauscht hatte. Dann kamen wir auch bei der Insel der Fährnisse vorbei, auf der das komariner Aloeholz wächst, und weiter bei einer anderen Insel, die fünf Tagereisen lang ist; dort wächst das chinesische Aloeholz, und das ist besser als das komariner. Aber die Bewohner dieser Insel stehen in Sitten und Glauben auf einer niedrigeren Stufe als das Volk der Insel des komariner Aloeholzes; denn sie sind der Unzucht und dem Weintrinken ergeben und kennen weder den Gebetsruf noch überhaupt etwas von der Gebetspfficht. Darauf kamen wir zu den Perlenfischereien, und ich gab den Tauchern ein paar Kokosnüsse und sagte ihnen, sie sollten auf mein Glück und Gelingen tauchen. Sie taten es und holten wirklich eine Menge von großen und kostbaren Perlen herauf. Da sprachen sie zu mir: ,Hoher Herr, bei Allah. dir ist das Glück hold!' Ich aber nahm alles, was sie für mich gefunden hatten, zu mir ins Schiff. Und wir fuhren mit dem Segen Allahs des Erhabenen immer weiter dahin, bis wir endlich bei der Stadt Basra ankamen. Ich ging an Land und blieb dort eine kurze Weile. Dann setzte ich meine Reise fort nach Baghdad, begab mich in mein Stadtviertel und kam zu meinem Hause. Hier begrüßte ich die Meinen und meine Freunde, und sie wünschten mir Glück zu meiner sicheren Heimkehr. Nachdem ich alle Waren und Güter. die ich mit mir führte, aufgespeichert hatte, kleidete ich die Witwen und Waisen und verteilte Spenden und Gaben und Geschenke an die Meinen, an meine Freunde und Gefährten: denn Allah hatte mir das, was ich verloren hatte, vierfach ersetzt. Ich vergaß auch über diesem reichen Gewinn und Verdienst alle Mühen, die ich erduldet und durchgemacht hatte, und kehrte



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zu meinem früheren Leben in Gemeinschaft mit meinen Freunden zurück. Dies ist also das Wunderbarste, was mir auf meiner fünften Reise begegnet ist. Doch nun speiset zu Abend! Wenn ihr morgen wiederkommt, will ich euch von den Abenteuern der sechsten Reise berichten; die sind noch merkwürdiger als die heutigen.' *

Als die Gäste nun gespeist hatten, befahl er, Sindbad dem Lastträger hundert Quentchen Gold zu geben. Der nahm sie entgegen und ging fort, indem er sich wieder über alles wunderte. Die Nacht brachte er in seinem Hause zu: doch als es Morgen ward, stand er auf, sprach das Frühgebet und schritt hinaus, bis er zum Hause Sindbads des Seefahrers gelangte. Dort trat er ein und wünschte ihm einen guten Morgen. Jener bat ihn, sich zu setzen; und nachdem er das getan hatte, plauderten die beiden, bis die anderen Gäste kamen. Sie begrüßten einander, die Tische wurden gebreitet, man aß und trank, war froh und guter Dinge. Dann hub Sindbad der Seefahrer an und erzählte ihnen


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