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Kapitel 

Die deutschen Heldensagen


von

Friedrich von der Leyen

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage München 1923

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung

Oskar Beck


6. Der Kampf in Finnsburg

Zu den Friesen und vielleicht zu den Angelsachsen, in der Zeit, als sie noch auf dem deutschen Festland saßen, geleiten uns die Fragmente eines sehr berühmten Heldenliedes, des Kampfes in Finnsburg. Statt der Angelsachsen erscheinen in unsern Texten die Dänen. Der Anfang des Liedes ist verloren, den Fortgang erzählt ein altenglisches Bruchstück, das, ähnlich dem Hildebrandslied, mitten im entscheidenden Kampfe abreißt, dann folgt wieder eine lange leere Strecke. Das Ende erfahren wir aus dem Beowulf, dessen Dichter läßt aber die Flut der Empfindungen über die Ereignisse strömen und verschweigt manchen Namen. So ist es nicht leicht, Aufbau und Kunst des alten Liedes zu erschließen. Wir teilen hier mit, was der Forschung nun leidlich gesichert scheint:



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Hildburg, eine dänische Königstochter, ist die Gemahlin des Finn, des Königs der Friesen — vielleicht folgte sie ihm widerwillig. Auf einen Herbst hat Finn den Bruder seiner Frau, Hnäf, den König der Dänen, (verräterische) eingeladen. Dieser wird mit seinem Gefolge mit sechzig Dienern in einer Halle, in der Finnsburg, untergebracht. Bei Mondenschein überfallen sie die Friesen. — Hier beginnt das Fragment:

Der Wächter der Burg sieht im Osten grellen Schein, er meldet es dem König und verwirrt und betäubt weiß er nicht: zieht der Tag herauf oder fliegt ein feuriger Drache durch die Luft oder brennen gar die Zinnen der Burg ? Aber der König Finn sieht, was in Wirklichkeit droht: Feinde ziehen heran, die Vögel der Schlacht kreischen in der Luft, die Brünnen klirren, die Gere singen, in die Schilde sausen die Schäfte. Der aus den Wolken tretende Mond beleuchtet das todverheißende Bild und dem Volk naht der Untergang. "Erwacht, meine Helden! Ergreift eure Schilde! Gedenkt eurer Kraft, tretet in die ersten Reihen, bleibt bei eurem Mut."

Die Helden springen auf, waffnen sich, besetzen die Tore und ziehen die Schwerter. Ein junger Krieger unter den Angreifern, Gudher, will an den gefährlichsten Platz, ein älterer, Garulf drängt ihn zurück und fragt trotzig, wer das Tor drinnen bewache. "Sigeferd heiße ich" tönte es zurück. " Mein Name hat einen guten Klang, in manchem harten Kampf hielt ich aus, du kannst es erfahren, wenn du dich an mich wagen willst." Beide Helden treten gegenüber und ihre Begleiter stürzen sich in den Kampf. Die Burg erdröhnt von den Schlägen: Garulf fällt und neben ihm viele Helden. Der Rabe, schwarz und glänzenden Gefieders, fliegt über das Schlachtfeld und die Schwerter leuchten, als stehe die Finnsburg in Flammen. Niemals kämpften sieggewohnte Krieger tapferer als jene sechzig und nie vergalt einem Herrn besser sein Gefolge den Met als dem Hnäf seine Freunde.

Fünf Tage kämpften sie, keiner von ihnen fiel, die an den Toren wachten, bis ein Held verwundet fortging, da ihm die Brünne zerbrochen, der Helm durchlöchert war.

Hier bricht das Fragment ab. Aus den Versen des Beowulf dürfen wir schließen, daß endlich von den Friesen der Sohn des Finn und der Hildburg fiel und von den Dänen Hnäf. An dessen Stelle übernahm Hengest die Führung. Finn konnte mit seinen letzten Kriegern die Dänen nicht bewältigen. Beide Völker schlossen einen Vertrag: die Dänen sollten in das Gefolge Finns aufgenommen werden und Gaben



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erhalten. Die alte Feindschaft sollte man vergessen, und kein Krieger des einen Volkes sollte den des andern schmähen. Die Leichen der Gefallenen wurden auf einen Holzstoß gehoben und verbrannt. Aber die Dänen behielten ihre Rache im Herzen, ein Krieger legt dem Hengest, um ihn zur Vergeltung zu mahnen, das Schwert in den Schoß. Als die günstige Zeit gekommen war, vielleicht nachdem sie sich von der Heimat Verstärkung geholt, überfielen die Dänen den Finn in seiner Halle, erschlugen ihn und führten Hildburg heim und den ganzen Schatz der Friesen.

Dies Lied entwickelt sich wieder aus einem Konflikt; aus dem Konflikt zwischen den Geboten der Rache und den Geboten des feierlich beschlossenen Vertrags. Hildburg verliert ihren Bruder und ihren Sohn, um diesen Preis sieht sie die Heimat wieder. Wilde Reden begleiten und steigern die Kämpfe, der überfall geschieht beidemal jäh und unerwartet. Die Charaktere und die Begebnisse treten uns freilich nicht klar entgegen, sie sind wie in einen Nebel gehüllt, der bald zu weichen scheint, bald sich ganz dicht um sie legt. Dafür ist die Schilderung von einer Kunst, die uns bisher das Germanische nicht zeigte: "zieht der Tag herauf, fliegt ein feuriger Drache durch die Luft, brennen die Zinnen der Burg?" — "Der aus den Wolken tretende Mond beleuchtet das todverheißende Bild." "Der Rabe schwarz und glänzenden Gefieders fliegt über das Schlachtfeld, und die Schwerter leuchten, als stehe die Burg Finns in Flammen." —

Die schöpferischen Motive unsres Liedes gleichen den schöpferischen Motiven andrer germanischen Heldendichtungen. Die verräterische Einladung, die der König dem Schwager schickt, kennen wir aus dem Nibelungenlied, die Rückkehr einer Frau zu den Ihren nach langen schweren Kämpfen ist das Thema der Gudrun, dem Hildebrand gleich muß die Hildburg die Heimkehr mit dem Liebsten, was sie hat, bezahlen; der tragische Untergang eines geliebten Königs, bei einem jähen überfall, nach verzweifelter Gegenwehr, das besingt uns das dänische Lied von Hrolf und



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Bjarki. Das Schicksal der Hildburg, den Verlust von Sohn und Bruder haben auch nordische Frauen tragen müssen. In der Dichtung von Hetel und Hilde verlor Hilde den Vater um des Geliebten willen; Hetel und Hilde war ein altes, an den Ostseegestaden heimisches Heldenlied.

Von ähnlichem Geist erfüllt wie dies Lied von den Friesen- und Dänenkämpfen waren die Lieder, die dem Königsgeschlecht der Dänen, den Schildungen, galten und aus denen in späteren Jahrhunderten in England, in Dänemark und im Norden immer von neuem großartige Dichtungen sich erzeugten. Die geschichtlichen Grundlagen dieser Dichtungen hat Axel Olrik gefunden.

Der Königssitz des Geschlechts war Lejre auf Seeland. Seine Kämpfe führte es (im fünften Jahrhundert) mit den Longobarden und Schweden Hrodhgar, derselbe, der den Froda, den Vater des Jngeld, besiegte und dessen Tochter Freawaru mit Jngeld vermählt wurde, war ein Schildung. Den Sohn Jngelds, Ägenhere (Agnar), tötete später ein Däne Bjarki, und sein Lohn war die Schwester des Hrodulf (Hrolf), eines anderen Schildungs. Die Schwester des Königs Hrodgar war vermählt mit dem Schwedenkönig Onela (Aale), sein Neffe Eadgils (Adils) tötete ihn, und um den Mord zu rächen, zog Hrodulf nach Schweden. Der Dichter des Beowulf ergänzt unser Wissen von diesen Kämpfen: er weiß noch, daß Onela früher seine beiden Neffen Eadgils und Eanmund aus Schweden vertrieb, weil sie sich gegen ihn empörten. Sie suchten mit ihrem Anhang Hilfe bei Heardred, dem Gautenkönig, den nun Onela sofort mit Krieg überzog. Dabei fiel Heardred und es fiel auch Eanmund; der ihn erschlug, Weohstan, erbeutete auch seine Rüstung. Eadgils fand dann Hilfe bei Beowulf und besiegte und tötete nun seinen Oheim Onela.

Vor allem aber zerrissen innere Kämpfe das Geschlecht der Schildunge. Wir hören zuerst von Healfdene (Halfdan), dessen Söhne waren Hrodhgar (Hroar) und Halga (Helgi). Hrodhgar ist derselbe König, dessen wunderbare Halle Heorot durch Grendels mörderische Untaten verödete und dem Beowulf später half. Sein Sohn war Hredhric (Hrörik), Halgas Sohn war Hrodulf (Hrolf). Hrolf stieß nach Hroars Tod seinen Vetter Hrörik vom Thron und er selbst wurde wieder durch einen Verwandten, Hjörward, überfallen, entthront und getötet.



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Von diesen Ereignissen prägte sich der Dichtung, wie wir wissen, die Vermählung Jngelds ein und die Aufreizung des Jngeld durch den alten Kämpen; außerdem der Zwist und der blutige Kampf der beiden Vettern und schließlich der überfall auf Hrolf und sein Ende. Der Dichter des Beowulf erzählt, daß die berühmte Halle Heorot bei dissem überfall verbrannte. Zwischen die beiden Vettern stellte die englische Dichtung einen Zwietrachtstifter Unferdh (Unfried) und ihm stellte sie wieder eine milde Königin, Wealhtheow, gegenüber, Hrodhgars Gemahlin, die umsonst sich mühte, die feindlichen Vettern zu versöhnen und den Kampf zu verhüten.

Ein Lied in der Form, die wir nun kennen, wird die lange Reihe dieser Taten und Kämpfe kaum erzählt haben. In alter Zeit, wahrscheinlich schon in den Tagen des Tacitus, feierten germanische Helden ihre Vorfahren, indem sie ihre Namen in langer Reihe nannten und sie durch den gleichen Anlaut, den Stabreim, dem Hörer einprägten. Es war ja damals der Name etwas anderes als heute, er besaß zauberische Kraft, stellte seinen Träger unter den Schutz der Götter, auch von seinem Klang strömte eine geheimnisvolle Wirkung. Namenreihen von Helden und Ahnen zeigt uns auch die altirische und die altjüdische Dichtung, der Nachfahr, der sie lernte, verband sich mit seinem ganzen Geschlecht, seinen Taten und seinem Wesen. Ebensolche "Geschlechtslisten" führen in der isländischen Saga die Helden ein. Ihnen steht der altenglische Widsith nah. Fast wirkt er auf uns wie eine übersicht über alte germanische Helden- und Königstafeln, zu den Namen kommen dann noch da und dort kurze Angaben über Taten und Reiche und Persönlichkeiten. Ähnlich denken wir uns das alte Gedicht von den Schildungen: Heldenreihen, unterbrochen durch einige Verse über die Taten und Schicksale der Hervorragendsten. Aus diesen Reihen traten dann, frei und abgeschlossen in sich, die einzelnen Helden und Lieder heraus.



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In der nordischen Dichtung verwandeln sich die Lieder von den Nibelungen, den Wölsungen, die Dichtung von Ermanarich wieder in die Dichtung von der langen Kette der Geschlechter zurück.

Der Anfang der Ahnen- und Heldenreihen ist bei Tacitus und bei Jordanes der Gott. Auch der Stammwater der Schildungen ist göttlicher Art, Skyld. Von ihm weiß die Sage, daß er, aus unbekannten Fernen kommend, in einem Schiff ans Land getrieben wurde, als er gestorben war, gab man ihn den Fluten zurück, die ihn ans Land getragen. Seine lange Herrschaft war eine goldene Zeit des Glückes und Friedens. — Das ist eine alte Dichtung, der ältesten von Lohengrin verwandt. Spätere Dichter haben sie verwirrt, der Dichter des Beowulf hob sie in das Heroische.

Als die Schicksalsstunde Skylds gekommen war, und er sich in den Schutz des Herrn begab, trugen ihn seine Getreuen zur Meeresflut, wie er selbst bestimmt, als er der Worte noch mächtig war und herrschte. Am Hafen stand das Schiff des Fürsten, zur Fahrt gerüstet, glänzend wie Eis, und sie legten den lieben Herren in seinen Schoß an den Mast und viele Kleinodien und Edelsteine legten sie zu ihm. Niemals wohl wurde ein Kiel schöner geschmückt mit Kampfwaffen und Rüstungen, mit Schwertern und Brünnen. In seinem Schoße lagen viele Kostbarkeiten, die mit ihm sollten in der Fluten Trift mitfahren. Sie gaben ihm nicht geringere Spenden und Schätze als jene, die ihn ausgesandt allein über das Meer, als er ein kaum geborenes Kind war. Nun setzten sie ihm ein goldenes Banner hoch über das Haupt, da ließen sie ihn dann die Wogen treiben, gaben ihn dem weiten Meer. Ihnen war traurig der Mut, sorgend der Sinn. Die Männer, die in unsern Wohnungen hausen, können nicht sagen, die Helden unter unserm Himmel, wer diese leuchtende Last empfing."

Im Beowulf und im Kampf in Finnsburg stehen sich Dänen und Friesen gegenüber. An Stelle der Dänen standen früher vielleicht die Angeln. Erinnerungen an die Schicksale und Lieder mancher germanischer Stämme gingen eben in die Dichtung der Dänen ein und gewannen dort eine neue tragische Größe. —



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Dänische Berichte des 12. Jahrhunderts, die auf das 10. zurückweisen, feiern den alten König Wermund und seinen Sohn Uffe. Im Zweikampf verteidigte er gegen freche Herausforderung mit dem Schwert seines Vaters die Heimat, man hatte ihm, der stumpf und untätig dahin zu leben schien, diese Tat nicht zugetraut . Von Uffe (Offa) weiß der Widsith, daß er König der Angeln war und gegen die Myrginge, ein südlicher wohnendes Volk, einen Sieg erstritt, er setzte die Grenze am Fifeldor, das ist an der Eider, fest. Das entspricht den wirklichen Hergängen der Geschichte im 4. Jahrhundert. — Wie bei Siegfried und Alboin hing das Schicksal des Uffe mit einer wilden und grausamen Frau, der Thryda, zusammen; der Beowulf erzählt, nur der eigene Gemahl hätte ihr ins Auge sehen dürfen, wer das sonst wagte, wurde gefesselt oder mit dem Schwert durchstoßen. Spätere Berichte verwandeln die Thryda in eine bezähmte Widerspenstige . — Auch das dänische Lied von Hagbard und Signe möchte man aus einem germanischen Lied herleiten, wegen des unbändigen Trotzes und der lachenden, herausfordernden Todesverachtung des Helden.


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