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Die Götter und Göttersagen der Germanen


von Friedrich von der Leyen

Dritte Auflage München 1924

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck


3. Thor

An schöpferischer Kraft und Freude, an zermalmender Stärke und an elementarer Gewalt kam kein andrer germanischer Gott dem Donar gleich, er blieb außerdem des Menschen treuester und gütigster Freund, jäh aufflammend in blitzeschleuderndem Zorn, doch der stärkste Beschützer und von Geschlecht zu Geschlecht als Behüter von Ehe und Zeugung immer von neuem offenbar.

Im Nordischen verwandelte sich der Name Donar über altsächsische Formen wie Thunres, Thunre in Thorr (Thor). Der Gott blieb der im Volk geliebteste Gott: vor allem in Norwegen und Island. Unzählige Tempel, Haine, Gehöfte, Wiesen, Wälder trugen seinen Namen, unzählige Geschichten erzählen von dem Vertrauen, der Liebe, der Verehrung, die man ihm entgegenbrachte.

Der Gott beschützte seine Anhänger von der Geburt bis zum Tod und beschützte alles, was sie erwarben, unternahmen und besaßen; ob sie nun zur See fuhren, oder zum Fischfang, oder neues Land sich aneigneten, oder Recht sprachen, oder ihre Ehe schlossen. Den Hammer Thors trugen die Nordleute als Amulett bei sich und gaben ihn dem Toten ins Grab; dieser Hammer



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weihte das ganze Leben, er segnete das Kind bei der Geburt, heiligte die Ehe, das Haus und die Herden und bei Festen den ersten Trank, er wurde auch über dem Scheiterhaufen geschwungen, auf dem der Körper des Toten verbrannte. Noch ein anderes Zeichen erscheint auf Thorbildern, das Hakenkreuz. Thor mußte sogar das Grab vor bösen Geistern und anderer Unbill schützen und die zauberische Kraft der Runen auf dem Grabstein erhalten. Das ganze Sein des norwegischen Volkes schien unlöslich an diesem Gott zu hängen, bei jeder Gefahr und jeder Schwierigkeit flog der erste Gedanke zu ihm; noch Helgi der Magere, der zum Christentum bekehrt war, hielt im gewöhnlichen Lauf der Dinge zu dem neuen Gott, wenn er aber in Bedrängnis geriet oder auf der See fuhr, rief er nach Thor. — Von kostbaren Bildern Thors in Tempeln melden uns bewundernd viele Berichte. In Möre bei Drontheim saß eine kunstvoll aus Gold und Silber gearbeitete Bildsäule des Gottes auf einem Wagen, unter dessen Füßen Räder angebracht und an den zwei aus Holz geschnitzte Böcke gespannt waren, um die Hörner der Böcke wanden sich silberne Ketten. Auch im Tempel zu Upsala stand Thor, den Hammer in der Hand. Die Kostbarkeiten und der Reichtum dieser goldenen und silbernen Bilde- wird immer hervorgehoben, bald war Thor im Tempel allein, bald mit anderen Göttern zusammen, in Upsala stand er z. B. zwischen Odhin und Frey. — Das Bildnis des Thor war auch auf dem Hochsitz selbst oder auf seinen Lehnen oder auf den Vordersteven des Schiffes angebracht, man traute ihm prophetische Kraft zu. Die isländischen Ansiedler warfen Pfeiler mit einem Ttzorsbild ins Meer, wo diese ans Land trieben, bauten sie sich selbst an.

Die Missionare und Könige, die den Norwegern und Isländern diesen Gott nehmen wollten, mühten sich an einer schweren Aufgabe ab. Sie versuchten bald Christus als den mächtigeren Helfer zu erweisen, bald die heidnische Verehrung, die dem Thor



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galt, einfach auf den neuen Gott überzuleiten. Sie griffen auch zu häßlichen Mitteln, nach den Sagen zerschlugen sie die Bildsäulen Thors, aus denen angeblich Mäuse, Nattern, Würmer und anderes Gezücht herauskroch, oder sie machten den alten Verehrern ihren Gott so verhaßt, daß sie in einem Taumel der Bekehrung sein Bild mißhandelten, durch den Kot schleiften, zerschlugen, verbrannten und die Asche, mit Fett vermischt, den Hunden zu fressen gaben.

Die Nordleute empfanden es als schweren Treubruch, daß sie ihren Gott verließen, der sie niemals verlassen hatte, der ihnen gerade in der Stunde der Not als bester Helfer beistand. Traurig und finster erscheint Thor vor einem von ihnen im Traum und tut dem Abtrünnigen Schaden auf Schaden an, er vernichtet ein Stück seines Besitztums nach dem andern. Einige hielten ihm die Treue, wie Raud, trotzdem er darum Martern ertragen mußte, und der König Olaf den "Götzen" besiegte. Es heißt darüber:

Raud (der Rote) auf Raudsey in Norwegen war einer der eifrigsten Verehrer Thors. Gelegentlich eines Zuges nach Halogaland suchte König Olaf Tryggwason auch den Raud auf seiner Insel auf. Diesem hatte sein Abgott Thor die Ankunft des Königs mit vielem Ärger vorausgesagt ; umsonst hatte er versucht, durch seinen Bartruf dessen Schiffe zurückzutreiben. Olaf landet und verkündet den neuen Glauben. Raud antwortet: "Ich habe wenig Lust, den Glauben zu verlassen, den ich gehabt habe, und den mich mein Pflegevater gelehrt hat; man kann auch nicht sagen, daß unser Gott Thor, der hier im Tempel wohnt, wenig vermöge; denn er verkündigt noch ungeschehene Dinge und ist mir in aller Not von erprobter Verläfsigkeit, und darum mag ich unsre Freundschaft nicht brechen, solange er mir die Treue hält.

Doch die Verehrung Thors hatte sich im Laufe der Zeit eingeschränkt und bei vielen die werbende Kraft verloren; denn sie wiederholte gedankenlos Hergebrachtes, die alten Formeln des Gottesdienstes büßten ihren früheren tiefen Sinn ein und verloren damit ihr Recht; sie hatten auch nicht das Vermögen, sich mit



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neuen Erlebnissen zu bereichern und den tiefen Inhalt der Wikingerzeit in sich aufzunehmen. Die Sehnsucht nach Neuem, das Gefühl, daß eine andere Zeit kam und jeden gewaltsam von der Vergangenheit fortriß, ihn von der Heimat zur Eroberung der Welt trieb, die sieghafte überzeugung der Bekehrer, denen sich gleich die Besten, die Könige, anschlossen, schließlich viele äußere Erfolge verschafften dem Christentum einen raschen Sieg.

Aber ein ungelöstes, bitteres Gefühl, eine zwiespältige Zerrissenheit blieb zurück, die das Alte lassen mußte und nicht lassen wollte, und diese klingt in vielen Sagen nach. Das Heidentum nimmt darin Abschied, es weicht, bewußt seiner Taten, seines Ruhmes, seines Besitzes und seiner Rechte, stolz und still vor dem Christentum, das, obwohl von ihm nicht verletzt und herausgefordert , es doch grausam und rücksichtslos vertrieb. Als ergreifendsten von allen diesen Berichten empfunden Ludwig Uhland und Thomas Carlyle die Sage oon Thor und Olaf, die auch wir unsrer Darstellung einfügen.

Eines Tages segelte König Olaf südwärts die Küste entlang mit gelindem Fahrwasser. Da stand ein Mann auf einem Felsvorsprünge und rief um Aufnahme in das Schiff, die ihm auch gewährt ward. Er war von stattlichem Wuchse, schön von Aussehen und rotbärtig. Mit dem Gefolge des Königs begann er allerlei Kurzweil und scherzhaftes Wettspiel, wobei die andern schlecht gegen ihn bestanden. Sie führten ihn hierauf, als einen vielkundigen Mann, vor Olaf. Dieser hieß ihn irgendeine alte Kunde sagen. Der Mann antwortete: "Damit heb ' ich an, Herr, daß dieses Land, an dem wir vorbeisegeln, ehemals von Riesen bewohnt war. Diese kamen jedoch zufällig schnellen Todes um bis auf zwei Weiber. Hernach begannen Leute aus östlichen Landen sich hier anzubauen, aber jene großen Weiber taten ihnen viel Gewalt und Bedrängnis an, bis die Landbewohner beschlossen, diesen Rotbart um Hilfe anzuflehen. Alsbald ergriff ich meinen Hammer und erschlug die beiden Weiber. Das Volk des Landes blieb auch dabei, mich in seinen Nöten um Beistand anzurufen, bis du, o König! fast alle meine Freunde vertilgt hast, was wohl der Rache wert wäre." Hierbei blickte er bitter



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lächelnd nach dem König zurück; indem er sich so schnell über Bord warf, wie wenn ein Pfeil in das Meer schöße, und niemals sahen sie ihn fortan wieder.

Von den Taten und Kämpfen Donars wollten die Germanen immer von neuem hören, aus ihm erwuchs schon in alter Zeit ein Reichtum starker und froher Sagen. Die Nordleute haben diesen in ihrer Art gepflegt, um keinen Gott stellten sich so viel Geschichten wie um Thor.

Gleich ein altes Eddalied, dessen Ursprung und erst e Formen wir schon verfolgten (S. 36), die Thrymskwidha, gilt dem Thor.

Das Lied schildert, wie der Gott, als er aufwacht, seinen Hammer vermißt. Loki, dem er den schrecklichen Verlust mitteilt, entleiht der Freyja ihr Federhemd, fliegt zum Riesen Thrym und hört von diesem, daß er den Hammer gestohlen und acht Meilen tief unter der Erde verborgen habe. Gebe man ihm Freyja zur Frau, so solle Thor den Hammer zurückerhalten. Freyja weist dies Ansinnen entrüstet von sich, die Götter versammeln sich zum Rat, und der kluge Heimdall schlägt vor, daß Thor sich in Weibergewänder hüllen und dem Riesen als Freyja nahen solle. Der gibt nach kurzem Sträuben, weil sonst die Riesen die Götter vertreiben würden, nach, und als Magd begleitet ihn Loki. Jubelnd empfängt der Riese die Braut, doch entsetzt er sich bald über ihre ungeheure Ess- und Trinkkraft beim Brautmahl, und springt, als er sie begehrlich küssen will, erschrocken zurück vor dem funkelnden Blick ihrer Augen. Loki beschwichtigt ihn noch: Freyja habe aus Sehnsucht acht Nächte weder gegessen noch geschlafen. Da läßt der Riese den Hammer bringen, die Braut zu weihen, und wie Thor den sieht, lacht ihm das Herz in der Brust, er erschlägt den Riesen und seine ganze Sippe.

Was uns die Thrymskwidha so lieb macht, ist die Art ihrer Darstellung. Kein anderes Eddalied ist so frisch, so jung, so kräftig und anschaulich und wieder so großartig, so überlegen und bezwingend in seinem Humor. Der erwachende Gott; sein erstes Gefühl der Zorn; er fährt sich durch die Haare, schüttelt den Bart, entschließt sich, halbverschlafen, endlich, um sich zu greifen, sein Hammer bleibt fort. Und er, Thor, der Sohn der Erde, muß



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Frauenröcke sich übers Knie fallen lassen, den Ring mit klirrenden Schlüsseln und leuchtenden Brautschmuck und kunstvollen Kopfputz tragen! Und ißt — als Braut — einen Ochsen, acht Lachse, alle Süßigkeiten, dazu trinkt er drei Tonnen Met! — Dann wieder der Riese, der seinen Hunden die Goldbänder umlegt, seinen Rossen die Mähne glättet, seiner tiefschwarzen Ochsen und seiner goldgehörnten Kühe sich freut, und der für seinen Reichtum nur noch die schönste Frau will, und in der weiblichen Hülle der wirkliche Thor, bei dessen Fahrt die Erde bebt und die Berge zittern, dessen funkelnder Blick auch den Stärksten erbeben macht, und der, hat er einmal den Hammer, alles zerschlägt.

Der Dichter, und das ist bei einem halb lustigen, halb großartigen Thema von besonderer Wirkung, verwertet gern alte und schöne Formeln, wiederholt feierliche und ausmalende Verse und überrascht durch unerwartete Einfälle. Seine ganze Kunst ist für den lebendigen, mimischen Vortrag bestimmt. Diesem gilt auch die Lautmalerei, die in wenigen Liedern der Edda so frisch und derb in unser Ohr klingt. Das björg brutnuthu (die Berge dröhnten) bringt das Dröhnen und dumpfe Brummen des Donners prächtig zur Geltung. Wie breit und gefräßig klingt das einn at oxa atta laxa (er ass einen Ochsen und acht Lachse), man beachte ät gegen ätta, und wie hört man bei kräsir allar die Süßigkeiten in Thors Mund krachen. Der unbändige Zorn Freyjas kommt uns durch den Klang ihrer Worte unvergeßlich ins Gehör. Mik veiztu vertha vergiarnasta (du weißt, ich müßte werden die Männertollste), schnaubt sie den Loki an, man sieht sie bei dem breiten werth und vergjar das göttliche Maul weit aufreißen. Und et ek ek meth ther (wenn ich fahre mit dir), fährt sie fort, in einem Vers mit einsilbigen , ganz kurzen, nur mit e anlautenden oder inlautenden, vor Wut stotternden Worten, die höchst wirkungsvoll die fauchenden und zischenden f, k, th unterbrechen.

Dieser Kunst und Kraft der Darstellung, ihren dramatischen



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und novellistischen Werten verdankt die Thrymskwidha ihren Ruhm und ihr Ansehen: sie lebte noch lange im Norden als Volkslied. Es ist eine hübsche Fügung, daß die beiden ältesten von den uns erhaltenen Göttersagen, die von Wodan und den Langobarden, und die von Thor und seinem Hammer, gerade die Frische und den Humor, die überlegene Heiterkeit der Darstellung gemein haben, daß sie beide in die Kunst des Mimus, des Spielmanns, mündeten. Sie ähneln sich sogar in den Motiven, eins ist das Widerspiel des andern, dort erscheinen Frauen als Männer, hier die Götter als Göttinnen (S. 47 f.).

Eine Variante der Sage von Thor und Thrym war die von Thor und Hrungni, ein Kampf des blitzeschleudernden Gottes gegen das steinerne Wurfgeschoß des Riesen (S. 39). Snorri erzählt:

Thor war gefahren nach Osten, um Trolle zu erschlagen, aber Odhin ritt den Sleipni nach Riesenheim und kam zu dem Riesen, der Hrungni hieß. Da fragt Hrungni, welch ein Mann das ist, mit dem Goldhelm, der reitet durch Wind und Wogen und sagt, er habe einen wunderschönen Hengst. Odhin sagt, er wolle wetten um seinen Kopf, daß kein ebenso guter Hengst sei im Riesenheim. Hrungni sagt, das sei ein guter Hengst, aber, sagt er, er besitze einen Hengst, der mache weitere Sprünge und heiße Gullfax, und Hrungni ward zornig und springt auf seinen Hengst und sprengt dem Odhin nach und will ihm seine großen Sprüche vergelten. Odhin sprengt so rasch, daß er immer voran war um einen Gipfel, doch Hrungni hatte einen so starken Riesenzorn, daß er sich nicht wiederfand, bevor er hineinstürmte in das Tor zu den Asen. Und als er zur Saaltür kam, entboten die Asen ihn zum Trunk. Er ging in die Halle und bat, man möge ihm den Trunk reichen. Es wurden da genommen die Schalen, aus denen Thor gewohnt war zu trinken und er stürzte rasch herunter den Trank einer jeden. Aber als er trunken wurde, sparte er gerade nicht die großen Worte: er, sagte er, wolle Walhall aufpacken und nach Riesenheim schleppen und Asgard. versenken und alle Asen, und Freyja und Sif will er bei sich behalten — und Freyja allein wagt, ihm einzuschenken — und austrinken wolle er das ganze Bier der Asen. Doch als den Asen seine großen Spruche leid wurden, da nennen sie Thor. Sofort kam Thor in die Halle und reckte hoch in die



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Lust den Hammer und war sehr zornig und fragt, wer dafür die Verantwortung trägt, daß die Riesen, die Spürhunde, dort trinken dürfen oder wer dem Hrungni den Burgfrieden in Walhall verschaffte oder woher Freyja ihm einschenkt wie bei einem Fest der Asen. Da antwortet Hrungni und sieht nicht mit Freundesaugen auf Thor, und sagt, daß Odhin ihm den Trunk entboten und daß er sei in seinem Schutz. Thor sagt, Hrungni werde diese Entbietung bereuen, bevor er herauskomme. Hrungni antwortet, Thor, dem großen Asen, sei es geringer Gewinn, ihn, den Waffenlosen zu erschlagen, das ist eine stärkere Mutprobe , wenn er wagt, mit ihm sich zu messen bei der Landesgrenze auf der Grjotunargard. Und es ist das eine große Torheit gewesen, bemerkte er, daß ich daheim ließ meinen Schild und meinen Wetzstein. Wenn ich nur hier hätte meine Waffe, da sollten wir gleich den Holmgang erproben. Sonst aber lege ich auf dich eine Schurkengesinnung, wenn du mich Waffenlosen erschlagen willst.

Thor will um keinen Preis versäumen, zum Zweikampf zu kommen, für den ihm der Holm bestimmt war (Platz zum Zweikampf auf einer Insel), weil kein Riese ihm das früher bewilligt hatte. Da fuhr Hrungni sofort seine Straße und sprengte schnell dahin, bis er kam zum Riesenheim und es ward seine Fahrt unter den Riesen sehr berühmt und auch dies, daß ein Kampftag bestimmt war zwischen ihm und Thor. Die Riesen sorgten sich schwer darum, wer den Sieg erringe, sie vermuteten sich Böses von Thor, wenn Hrungni vor ihm nachließe, weil er ihr stärkster war. Da machten die Riesen einen Mann auf Grjotunargard aus Lehm und er war neun Meilen hoch und drei breit unter Armen und nicht fanden sie ein Herz groß genug, daß es ihm paßte, bis sie es nahmen aus einem Pferd, und es war ihm dies nicht standhaft, als Thor kam. Hrungni hatte ein Herz, das berühmt ist, von hartem Stein und zahnspitz an drei Ecken, so wie später geritzt wird das Runenzeichen, das Hrungnis Herz heißt. Von Stein war auch sein Haupt, sein Schild war auch Stein, weit und dick, und er hielt den Schild vor sich, als er auf Thor wartete. Aber den Stein hielt er als Waffe und schwang ihn über die Achsel und er war nicht gut aufgelegt. Auf der andern Seite vor ihm stand der Lehmriese, der genannt ist Mökkurkalfi, und er war ganz furchtsam; es verlautet, daß er seichte, als er sah den Thor. Thor fuhr zum Holmplatz und mit ihm Thjalfi, da rannte Thalfi voran dorthin wo Hrungni stand und sagte zu ihm: Du stehst unachtsam, Riese, hältst den Schild vor dich, aber Thor hat dich gesehen



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und er fährt auf dich los von unten her aus der Erde, und er wird von unten dich erreichen. Da warf Hrungni den Schild zwischen seine Füße und stellte sich darauf, aber mit zwei Händen schwang er den Wetzstein. Danach sah er Feuerbündel und hörte Donnerlärmen, da sah er den Thor im Asenzorn, er fuhr stürmisch dahin und schwang den Hammer und schleuderte ihn einen weiten Weg nach Hrungni. Hrungni hebt nach oben den Wetzstein mit beiden Händen, schleudert ihn entgegen und er trifft sich mit dem Hammer im Fluge, und es bricht entzwei der Stein, es fällt ein Teil auf die Erde und es sind davon geworden alle Wetzsteinfelsen , der andere Teil zerbrach im Haupte Thors, so daß dieser vornüber auf die Erde fiel. Aber der Hammer Mjölni kam mitten ins Haupt Hrungnis und zerschlug den Schädel in kleine Stücke. Hrungni fiel vorn über Thor, so daß sein Fuß lag auf dem Halse Thors. Aber Thjalfi kämpfte bei Mökkurkalfi und der fiel mit geringem Nachruhm. Da ging Thjalfi zu Thor und wollte den Fuß Hrungnis von ihm nehmen und brachte es nicht fertig. Da liefen herbei die Asen alle, als sie erfuhren, daß Thor gefallen war und wollten den Fuß von seinem Halse nehmen und bekamen es nicht fertig. Da kam dazu Magni, der Sohn Thors, und der Jarnsaxa, er war damals drei Nächte alt, der warf die Füße Hrungnis von Thor und sprach: "Sieh da, wie jammerschade, Vater, daß ich so spät kam! ich traue mir zu, daß ich diesen Riesen entzwei geschlagen hätte mit meiner Faust, wäre ich ihm nur früher begegnet ." Da stand Thor auf und begrüßte seinen Sohn freundlich und sprach, daß ein rechter Mann aus ihm werden müßte und "ich will", sagte er, "dir geben den Hengst Gullfaxi, den Hrungni gehabt hat" . Da antwortete Odhin und sagte, daß Thor falsch handelte, wenn er diesen guten Hengst dem Sohn einer Riesin gäbe und nicht seinem Vater.

Thor fuhr heim nach Thrudwang und es lugte noch der Wetzstein aus seinem Haupt. Da kam dazu die Zauberin, die Groa hieß, die Frau Aurwandils, des Kühnen, sie sang ihre Zaubersprüche über Thor, damit der Wetzstein sich lockere. Aber als Thor das empfand und ihm die Aussicht da erschien, es würde der Stein fortgehen, da wollte er der Groa die Heilung lohnen und sie froh machen. Er sagte ihr die Botschaft, daß er nach Norden gewatet sei durch die Eisströme (eliwägar) und getragen habe, im Eisenkorb auf seinem Rücken, den Aurwandil von Norden fort aus dem Riesenheim, und das sei für ihn das Wahrzeichen, daß eine seiner Zehen aus dem Eisenkorb gelugt habe, und sie war erfroren, so daß Thor sie abbrach und nach oben warf an den Himmel und den



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Stern davon machte, der nun heißt Aurwandils Zehe. Thor sagte, daß es nicht lange dauern würde, daß Aurwandil heim käme. Aber Groa wurde so froh, daß sie an keine Zaubersprüche mehr dachte und es wurde der Wetzstein nicht lockerer und er liegt noch im Haupte Thors. Und es ist das geboten als Vorschrift, die Wetzsteine quer über den Boden zu werfen, weil sich dann lockert der Wetzstein im Haupte Thors.

Dieser Bericht besteht wie der Bericht von Balders Tod aus drei Geschichten, die aber auf den ersten Blick noch loser zusammenhängen . Das Kernstück ist die Mitte, der Kampf Thors mit Hrungni. Snorri gab ihn, wie er selbst sagt, in Anlehnung an ein großartiges, etwas überladenes Gedicht eines Skalden aus dem 10. Jahrhundert, Thjodolf von Hwin, wieder. Dies schildert den Aufruhr der Elemente, das Erbeben der Erde und die im Feuer auflodernde Welt: so braust Thor heran, um den Riesen zu treffen. — Ganz in der Art der Kunst des 10. Jahrhunderts schildert Snorri auch die steinerne Natur des Bergriesen; man vergleiche etwa die Schilderung des "Eisernen karl" im dritten Teil unseres Sagenbuchs.

Die Kunst des 10. Jahrhunderts steigert also und verdichtet in ihrer Art die großartige Vision eines gotischen Poeten vom Kampf des blitzeschleudernden Wettergottes gegen den steineschleudernden Felsriesen, die wir als die älteste Form des Kampfes von Thor und Hrungni erschlossen.

Man sollte nun meinen, diese auch im Norden hochberühmte Tat hätte den Snorri auch zu anderem und neuem Preise des Donnergottes begeistert. Das Umgekehrte geschieht: Thor und sein Sieg werden in allen drei Teilen des Hrungniberichtes offen und versteckt, geistreich und boshaft verspottet und verkleinert. Das ist das Leitmotiv und ein Band, das die drei Teile zusammenhält. Gleich im Eingang erscheint Odhin und nicht Thor. Wohl prahlt der Riese in seiner Trunkenheit in Walhall, bis es den Göttern auf die Nerven fällt, aber, wie er Thor sich gegenüber sieht, wird er besonnen. Thor jedoch wirft sich als Herr auf, wo er gar nicht



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Herr ist, überprahlt den Riesen, will das Gebot von Gastfreundschaft und Burgfrieden brechen, und der Riese ist der ritterliche, er entbietet den Gott zum Zweikampf, Held gegen Held. — Das ungefüge und feige Gebilde, Mökkurkalfi, den Thjalfi so leicht besiegt , scheint eigens erfunden, um auch auf den Kampf von Thor und Hrungni etwas Lächerlichkeit herüberzuspritzen. Thor erringt seinen Sieg außerdem nur durch die Hinterlist Thjalfis, hätte dieser den Riesen nicht bewogen, auf den Schild zu treten, statt ihn schützend vor sich zu halten, so hätte Hrungni sich auch gegen den Hammer geschützt. Der Skalde Thjodolf weiß von dieser Hinterlist noch nichts: der Riese verzagte, sagt er, als er den kampfkühnen Gott erblickte, den goldenen Schild warf er unter seine Fußsohlen, so wollte es das Schicksal. Diese Darstellung des Skalden entspricht der älteren germanischen Auffassung. — Als der Riese aber gefallen, kann der stärkste der Götter sich von dem auf ihm liegenden Riesen nicht befreien und muß sich durch seinen drei Nächte alten Sohn beschämen lassen: beschämen in Tat und in Prahlerei, durch einen kaum Geborenen! Die Bilder von dem Gott dem ein Stück Stein in der Stirn bleibt, und oon dem Gott, der in seinem Korb auf dem Rücken einen anderen Gott mühsam übers Eis schleppt und dessen Zehe abbricht und in den Himmel wirft, sind ebenfalls nicht gerade Verherrlichungen.

Schon durch die Thrymskwidha tönt ein Unterton des Spottes. Wie ratlos ist Thor, wenn es gilt, Klugheit und Geistesgegenwart zu zeigen; wäre Loki nicht da und rettete er nicht die Lage, Thor würfe durch sein wildes Dreinfahren den ganzen schönen Plan der Götter über den Haufen. Welch seltsame Rolle spielt Thor auch bei Balders Bestattung; nicht er, eine Riesin bringt das Totenschiff ins Gleiten, und er muß gewaltsam zurückgehalten werden, sonst bräche er wieder den Frieden und erschlüge die Riesin, dann läßt er seinen Zorn an einem kleinen schwachen Zwerg aus. Die Dichter der Edda gaben Thors Kraft und Macht anscheinend



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immer widerwilliger zu, ihre Liebe gehört nicht ihm, sondern dem adligen Odhin, den sie auch in die Hrungnidichtung bringen, und sie setzen gerade den deutschen und volkstümlichen Gott herab. Er ist ihnen wohl zu bäurisch; wir stoßen in der Edda auf die Unduldsamkeit des Aristokraten und wohl auch auf die des Artisten.

Unter der Darstellung des Snorri von den Kämpfen Odhins, Hrungnis und Thors liegen nun verschiedene Märchen- und Mythengeschichten. Der Sinn vom Kampf Hrungnis und Odhins war früher wohl der, daß Odhin dem Riesen sein Pferd entwendete und es trotz stürmischer Verfolgung zu den Göttern rettete, wie er einem anderen Riesen den Göttertrank entführt und, hart verfolgt, bei den Göttern birgt. In unsrer Geschichte wird ja das Roß des Riesen einem Gott geschenkt. Loki entwendet, ähnlich dem Odhin, einem Riesen die Idhun und ihre Äpfel und bringt sie, auch er hart verfolgt, den Göttern zurück. Die Riesen sind ja reich: goldgehörnte Kühe, tiefschwarze Ochsen, langmähnige Rosse erfreuen den Thrym, ein zauberstarker Hengst hilft dem Riesenbaumeister.

Man darf hier an ein verbreitetes Märchen erinnern: von einem jungen Helden, der den Auftrag erhält oder der sich vermißt, einem Riesen sein schönstes Roß zu entwenden, und dem diese Tat, meist durch die Hilfe höherer Mächte, auch gelingt: dem Davoneilenden jagt der Riese auf einem sturmschnellen Pferde nach. Ein Märchen dieser Art scheint auf Odhin übertragen, kaum vor dem 11. Jahrhundert, da beginnt die Märchenzeit der Edda. Unser Märchen wanderte vielleicht aus dem märchenliebenden Irland nach dem Norden.

Man beachte noch folgendes: Der Riese bestaunt den Odhin, der durch Wind und Wogen reitet, dessen goldener Helm im Sturm auffunkelt, nachher jagt er über die Berggipfel ihm nach. Als Hermod braust Odhin auf seinem Rosse in die dunkle Hölle, und setzt hart über den Höllenzaun. In einer schwedischen Sage erscheint



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er einem Schmied, der seinem Rosse zauberische Hufe schmiedet, setzt mit dem Pferd über einen sieben Ellen hohen Zaun, ohne ihn zu berühren und durchmißt eine sieben Tage lange Strecke in wenigen Abendstunden. Diese Angaben sind doch wohl mehr als großartige phantastische Dichtung; wir halten sie für eine mythische Vision aus germanischer Zeit. Der gewaltige Reiter erinnert uns an den germanischen Wode, den Schimmelreiter, der auf seinem gespenstischen Roß durch Wind und Wolken stürmt; einem germanischen Dichter erschienen die Wolken und der Gewittersturm, der sie vor sich herfegt, als riesische Wesen oder als ein vom Wettergott verfolgter Wolkenriese. Ist diese Auffassung richtig, so muß freilich der Hrungni, der den Odhin erstürmen will, ein anderer sein als der Hrungni, der mit Thor kämpft.

Auch das Beiwerk im Kampf von Thor und Hrungni entwickelte sich aus alten sagenhaften Zügen und mythischen Vorstellungen. Das Motiv vom Riesenbein über Thor erscheint merkwürdigerweise in kaukasischen Geschichten vom gefesselten Unhold und es ist aus ganz anderen Umgebungen in unsere Geschichte geflossen: auch dort sollte es ein überstarkes Wesen demütigen. Thors Sohn, Magni, der Starke ist ebenso wie sein anderer Sohn Modi der Zornige, eigentlich ein Beiname des Gottes. —Mökkurkalfi, Nebelwade, deuten wir wohl richtig als eine Verkörperung des riesenhaften, zerfließenden, formlosen Nebels; dadurch wird Mökkurkalfi mit dem Hrungni, dem Gegner Odhins, verwandt, es ist also kein Zufall, daß er bei Snorri in Hrungnis Nachbarschaft auftritt. Diesen größten und formlosesten Riesen besiegt — das ist eine geistreiche, skaldische Ironie — einer der zierlichsten und kleinsten Götter, Thjalfi, nach unsrer Auffassung ein elbisches Wesen (S. 72), blitzschnell, wie der Riese langsam und ungefüg. Thjalfis Wesen ist das Behende und Helle, auf eine Insel, die Tags immer ins Meer sank und bei Nachts auftauchte, brachte er Feuer und schenkte sie für immer dem Tag und dem Licht. Die



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Besiegung des Mökkurkalfi durch Thjalfi enthüllt sich uns nun auch als mythische Dichtung: der rasche Sonnenstrahl löst den Nebel auf, daß er in Luft und Licht zerrinnt. Dies mythische Gebilde erlebte manche Wandlungen, bei Snorri ist es eine boshafte, Thorfeindliche Episode geworden.

Die sonderbaren Fabeleien von Thor, Groa, Aurwandil führen uns noch einmal in eine reiche, durcheinanderwogende, mythische und kultische Welt. Den Namen Groa tragen im Norden manche Wahrsagerinnen, des Zauberspruchs kundig singt sie in unsrer Sage ihre heilenden Weisen über Thor, damit der Stein in seiner Stirn sich lockere. Man meint in diesen Worten noch den Nachhall eines alten Bittgesanges an die winterlich erstarrte Mutter Erde zu hören, daß sie sich lockere und Blumen und Frucht wieder aus sich sprießen lasse. Groa ist im Dienst der Mutter Erde und war früher wohl die Erde selbst; der Name Groa, "die Wachsende, die Keimende" (vgl. englisch to grow wachsen), deutet darauf hin. Groa ist mütterlich besorgt um Thor, der, wie Thjalfi sagt, von unten her aus der Erde hervorbricht, und der, wie wir wissen, der Erde Sohn ist. Und Aurwandil, der in Feuchtigkeit wandelnde, scheint ein Gott des Frühlings und der Stern: Aurwandils Zehe sein Wahrzeichen. " Sei du (Erde) wachsend in Gottes Umarmung" hieß es im altenglischen Erdsegen (S. 55), einen die Erde umarmenden Gott nennt uns nun die Edda. — Den Aurwandil, den ihr der Winter raubte, entreißt Thor, der Herr über Wetter und Wachstum, den Winterriesen und trägt ihn zur sehnsüchtigen Erde zurück; eine alte, schöne, mythische Dichtung wird dies erzählt haben. Snorri trägt sie leider in recht skurriler Form vor, die Geschichte des für seinen Vorwitz bestraften Gottes klingt fast wieder wie ein übermütiges Märchen.

Unsre anderen, sehr merkwürdigen Berichte über Aurwandil widersprechen wenigstens unsrer Deutung nicht. Saro kannte ihn auch, ihm war er ein irdischer Held, strahlend in Schönheit und



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Jugendkraft, ein Liebling der Götter, ein Mensch gewordener Frühlingsgott. Sein Bruder tötet ihn und nimmt sein Weib zur Gemahlin, den schändlichen Mord rächt der Sohn des Erschlagenen, das ist kein anderer als Hamlet. Was Sato erzählt, ist eine Wikinger Dichtung und wäre — wir erinnern an die Baldersage — ein neues Beispiel dafür, wie die Wikinger alte Mythen in Helden- und Rachesagen umwandeln.

Das deutsche Mittelalter überliefert uns ein Spielmannsgedicht Orendel. Dies entwickelte sich aus dem Hergang, daß Orendel lange von der Heimat fern war, bei seiner Rückkehr die Frau in den Armen eines andern fand und sie durch Kampf zurückgewinnen mußte.

Schließlich ist eine dem Orendel ähnliche Sage voll nordischen Tiefsinns auf einen dänischen Helden und Riesen Starkad übertragen . Während er in den eisigen Strömen war, raubte ihm ein überstarker Held, ein Zauberer und Berserker, ein Bürger zweier Welten, der Menschen- und der Riesenwelt, seine geliebte jugendliche Frau. Beide Gewaltigen kämpfen, als Starkad wieder kam, um ihren Besitz, der Gatte siegte, aber die Frau, durch die Künste des Nebenbuhlers betört und verführt, verschmähte den plumpen Riesen und durchstach sich mit dem Schwert. —

Gemeinsam ist den Berichten außerhalb der Edda der Kampf um die Frau, ein Motiv, das wir aus den Rückkehrsagen kennen, das hier aber doch wohl mythische Bedeutung hatte. Freilich ist schwer zusagen, welche. Die hergebrachte Erklärung ist, daß die Frau, die Erde, während der Abwesenheit ihres Gemahls, des Frühlings, dem Werben des Winters endlich erliegt, und daß diesen der rückkehrende, rechtmäßige Gatte vertreibt.

Es kann aber auch sein, daß Orendel ursprünglich ein Himmelsgott war, und daß seine Eigenschaft als Gott des Frühlings und der Fruchtbarkeit sich erst spät vordrängte. Im Altenglischen heißt nämlich der Morgenstern earendel. Die Berichte über den Gott



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gäben dann verschwimmende Erinnerungen an jene Mythen vom Opfer und vom Nachfolger des Himmelsgottes wieder, von denen auch Sagen von Odhin und Balder vielleicht Spuren zeigen.

Starkad war einer der Feinde Thors und wurde von ihm besiegt; er hatte acht Hände, und der Gott schleuderte ihn, wie Uhland sagt, " vom schroffen Fels herab; rücklings, mit gespreizten acht Händen, stürzte der brüllende Wasserriese nieder, und noch eeden Augenblick sieht man ihn in grauenvollem Sturze begriffen ."

Nicht alle Sagen der Edda bergen eine so reiche Ernte wie die um Thor und Hrungni gestellten. Wir erkennen nun auch, daß sie nicht nur literarisch, durch die in allem gegen Thor waltende Bosheit , zusammengeschmiedet sind, sondern auch mythisch: Hrungni (der Gegner Odhins), Mökkurkalfi, Aurwandil sind verwandte Wesen, mit Wetter und Wolke zusammenhängend, und auch Odhin, Thor, Hrungni, Magni, Groa, Thjalfi, besonders der Odhin in der alten Auffassung als Sturmreiter, gehören zueinander. Der Mythologe hat vielen Grund zur Dankbarkeit, daß er unter der Decke der skaldischen Dichtung so viele Mythen hervorholen kann: von Hrungni, von Thjalfi, von Groa und Aurwandil, von Thor. Doch zugleich erstaunt ihn die Wahrnehmung, wie bar jedes mythischen Gefühls und jeder religiösen Ehrfurcht die isländischen späteren Erzähler sein können, wie rücksichtslos sie gelegentlich mit ihren alten Göttern umspringen, um ihrer Laune und ihrem Geist die Zügel schießen zu lassen.

Wir wenden uns nun zu der Geschichte von Thor und Geirrödh , deren Verwandtschaft mit dem Kampf von Thor und Hrungni und von Thor und Thrym wir schon hervorhoben (S. 33 f.). Snorri erzählt:

Einer besonderen Erwähnung wert ist die Geschichte, wie Thor fuhr zum Haus des Geirrödh. Da hatte er weder den Hammer Mjölni noch den Kraftgürtel noch die Eisenhandschuh und das verschuldete Loki — er



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begleitete ihn-—, weil ihm das begegnet war, als er einmal zur Kurzweil flog im Faltenhemd der Frigg, daß er aus Vorwitz auch flog zur Behausung des Geirrödh und dort eine große Halle sah und sich setzte und hineinsah von der Dachluke. Aber Geirrödh wurde ihn gewahr und befahl, man solle den Vogel holen und ihm bringen. Doch der Diener kam nur mit Mühe die Wand des Saales herauf, so hoch war sie. Das schien denn Loki gut, daß jener sich so anstrengen mußte, ihn zu fassen, und er nahm sich vor, es sei nicht früher Zeit aufzufliegen, bis jener den ganzen zuwideren Weg zurückgelegt hätte. Aber als der Mann suchte, ihn zu packen, da schickt er sich an zum Flug und stößt sich kräftig ab, und da sind die Füße fest. Loki wurde mit der Hand ergriffen und zu Geirrödh, dem Riesen gebracht. Und als er sah in seine Augen, da ahnte er, daß es ein Mann wäre und gebot ihm zu reden, doch Loki schwieg. Da schloß Geirrödh den Loki in eine Kiste, und da hungerte er drei Monate, und als Geirrödh ihn herausnahm und Rede verlangte, sagte er, wer er war und zur Lebenslösung schwor er dem Geirrödh den Eid, daß er mit Thor kommen würde in Geirrödhs Behausung, so daß Thor hätte weder den Hammer noch den Kraftgürtel.

Thor kam zur Gastung zu der Riesin, die Grid genannt ist, sie war die Mutter Widars, des Schweigsamen. Sie sagte dem Thor die Wahrheit von Geirrödh, daß er ein Spürhund von Riese war und schlecht mit ihm umzugehen. Sie lieh ihm den Kraftgürtel und die Eisenhand-schuh, die sie hatte, und ihren Stab, der Gridstab heißt. Da fuhr Thor zu dem Fluß, der Wimur heißt, aller Flüsse größtem. Dort legte er nun den Kraftgürtel an und stützte sich stromabwärts auf den Gridstab, aber Loki hielt sich unter dem Kraftgürtel fest. Und als nun Thor kam mitten in den Strom, wuchs der Strom so stark, daß er ihm oben an die Achseln brauste. Da sprach Thor dies: "Wachs nicht, du, Wimur! / wenn zu waten mich lüstet / zum Haus des Niesen! / Wisse, wenn du wächst / so wächst auch mir Asenkraft / hoch hinauf wie der Himmel — Da sieht Thor oben auf einer Klippe, daß Gjalp, die Tochter Geirrödhs, stand auf beiden Seiten des Flusses und sie machte den Fluß wachsen. Thor nimmt da aus dem Fluß einen großen Stein auf und warf nach ihr und sagte so: "am Ausfluß soll der Strom sich stauen" . Nicht verfehlte er das Ziel, das er anwarf. Und in diesem Augenblick trug er sich ans Land und bekam zu fassen einen Ebereschenbusch und stieg so aus dem Wasser. Daher stammt die Redeweise, daß der Schutz Thors die Eberesche ist.



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Aber als Thor kam zu Geirrödh, da wurde den beiden Gefährten zuerst ein Gasthaus angewiesen zur Herberge, und es war da ein Stuhl zum Sitz und es saß Thor da. Da wurde er dessen gewahr, daß der Stuhl unter ihm aufwärts fuhr zum Dach, er stemmte den Gridstab an den Dachbalken und ließ sich fallen stark auf den Stuhl, da gab es ein großes Gekrach und es folgte ein Geschrei und da waren unter dem Stuhl die Töchter des Geirrödh gewesen, Gjalp und Greip, und er hatte beiden den Rücken gebrochen. Da sprach Thor: "Ein einzig Mal / braucht ' ich Asenkraft / im Haus der Riesen. / Da, als Gjalp und Greip / des Geirrödh Töchter / mich heben wollten zum Himmel." Da läßt Geirrödh den Thor rufen in die Halle zum Wettkampf mit sich. Da waren große Feuer entlang an der Halle, aber als Thor kommt gegen den Geirrödh, da packte Geirrödh mit einer Zange ein glühendes Eisenstück und wirft es nach Thor, aber Thor fing es auf mit dem Eisenhandschuh und schwingt das Eisen in der Luft. Doch Geirrödh lief hinter eine Eisensäule, sich zu schützen. Thor warf das Stück, und es fuhr durch die Säule und durch den Geirrödh und durch die Wand und noch weiter in die Erde.

***
Das letzte in diesem Bericht, den der Erzähler etwas abgerissen und lückenhaft vorträgt, ist, wie wir wissen, das Älteste und seine germanische Seele: der Kampf von Geirrödh und Thor. Die Waffe des Riesen ist der Blitz und der Gott weiß den Blitz wirksamer und wuchtiger zu schleudern.

Nun wartet Thor niemals, bis die Riesen zu ihm kommen, er sucht sie in ihren eigenen Reichen auf und seine Fahrten dahin sind Fahrten in eine andere Welt, den Fahrten ins Jenseits gleichend, die bei allen alten und jungen Völkern die stärksten Heroen unternehmen, und die in langen Jahrhunderten Furcht und Phantasie der Menschheit immer oon neuem erregen und beflügeln.

Die Abenteuer von Thor auf der Fahrt zu Geirrödh gleichen namentlich den Abenteuern, die gerade in mittelalterlichen Epen Helden auf Fahrten ins Jenseits und zu verwunschenen Schlössern bestehen und die vor allem keltische Phantasie sich ausmalte: das Waten durch einen reißenden Strom, ein verhexter Stuhl oder ein



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verhextes Bett im Haus des Riesen, Wettkämpfe von Wirt und Gast sind hier wie dort typische Motive.

Märchenhelden, die sich wie Thor zu Unholden begeben, treffen meist, bevor dieser heimkehrt, eine mitleidige Alte, die sich ihrer erbarmt und die ihnen hilft, den Unhold zu überlisten oder zu besiegen. Die Rolle dieser mitleidigen Helferin spielt in unsrer Sage Grid, sie gibt dem Thor Kraftgürtel, Eisenhandschuh und Stab. In der späteren Form einer anderen Thorsage treffen wir eine solche mitleidige Alte noch einmal (S. 171).

Durch diese märchenhaften und abenteuerlichen Ausschmückungen wird aus dem männlichen Thor ein knabenhafter Märchenheld. Der eigentliche Anlaß für diese Umgestaltung war wohl der Zug, daß der Gott den Riesen nicht mit seinem Hammer, sondern mit dessen Waffe bezwang, er entriß dem Riesen den Blitz und streckte ihn damit nieder. Den archaischen Wert dieses Motivs verkannten die späteren isländischen Erzähler, ihnen war der Gott ohne Hammer der Gott ohne Macht. Das war der Anlaß zu der weiteren Erfindung, daß Loki den Gott ohne Hammer dem Riesen ausliefern wollte, wie im Märchen den Märchenhelden seine Feinde ins Verderben schicken, daß der Gott aber, wiederum dem Märchenhelden gleich, gütige Helfer findet und am Ende doch triumphiert. In der Geirrödhsage büßt also in einem Sinn Thor seine alte germanische Kraft ein, freilich durch eine liebenswürdigere Kunst als die Kunst der Hrungnisage, durch die Kunst des Märchens. Im anderen Sinn aber steigert unsre Sage eine alte Kraft des Gottes: nämlich seine Zauberkraft, gerade die Kraft, nicht die L i st des Zauberers: Thor zerstört in Geirrödhs Halle den Zauber der Riesentochter, Thor beschwört den reißenden Strom, Thor gibt der Eberesche ihre Kraft, mit Thor verbindet sich die wahrsagende, zauberische Frau, wie sich Groa mit ihm verband — denn Grid ist eine Wölva und ihr Stab ist ein Zauberstab.

In früherer Zeit mag die Episode der Gjalp und Greip und



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Grid — man beachte den Stabreim — ein Lied für sich gewesen sein, in dem eine Mölva das Wüten zweier riesischer Wasserunholdinnen beschwor. Gjalp und Greip, die Brausende und die Packende, sind die Namen von Wasserriesinnen, zwei von Heimdalls neun Müttern heißen ebenso. Zwei Wasserriesinnen mit zauberischen Kräften treten noch in einem anderen Eddaliede auf, dem Mühlenlied, ihre Zaubersprüche versenken einen habgierigen König und die Seinen ins Meer.

Der Wettkampf von riesischem und göttlichem Zauber, das beherrschende Merkmal der Geirrödhsage, wird nun in der Einleitung variiert, in der sich Loki ohne rechte Begründung vordrängt: Loki will den Riesen besiegen oder ihm wenigstens einen Schabernack antun, aber die Zauberkraft des Riesen ist stärker, er hext den nichtsnutzigen Gott fest und demütigt ihn. Die Einleitung erinnert an andere Lokisagen und ist im Ton des Märchens gehalten; wir erinnern etwa an die Kinder, die sich wie Hänsel und Gretel in die Behausung einer Hexe wagen und von der Hexe gefangen und beinah gefressen werden.

Außerdem ist uns die Einleitung ein neues Beispiel, daß in den eddischen Geschichten drei Mächte gegen- und für- und durch- einander wirken: die kleinen Wesen elbischer Herkunft, wie Loki und Thjalfi, die großen Riesen wie Thrym, Hrungni, Mökkurkalfi, Geirrödh und die Götter wie Thor und Odhin. Bald hilft der Kleine dem Gott gegen den Riesen, wie Loki in ber Thrymskwidha , Thjalfi in der Hrungnisage, bald sucht der Kleine den Gott dem Riesen auszuliefern und wird selbst vom Riesen bezwungen , wie Loki in der Geirrödhsage, bald bezwingt der Gott aus eigner Kraft den gleichen Riesen, der des Elben so leicht Herr wurde, wie wiederum in der Geirrödhsage. Wir erkennen auch von dieser Seite her Thor als den mächtigen alten Gott. Andere Variationen des gleichen Themas werden wir noch beobachten, die Skalden und die isländischen Erzähler hatten offenbar an



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diesen Variationen ihre Freude und sie übten an ihnen gern ihre virtuosen Künste.

Die beiden Strophen in unsrer Geirrödhsage entstammen einem eigenen Lied: seine anderen Verse sind uns verloren, es war die zweite Gestalt der Dichtung. Eine dritte gab im 10. Jahrhundert der Skalde Eilif Gudrunarson, Erinnerungen an eine vierte sind bei Saro Grammaticus erhalten. Der Mönch weiß nichts von der Loki-Einleitung, und nichts von Gjalp und Greip und Grid, Geruths Land ist für ihn die grause Unterwelt, in die Thorkill: das ist Thor karl, Mann des Thor — auf Geheiß des Königs Gorm sich wagt. Die Abenteuer, die er auf seiner Reise zu bestehen hat, gleichen auffallend den Abenteuern des Odysseus und denen mancher mittelalterlichen Odyssee. Die Stadt Geruths wird durch einen breiten Strom vom Diesseits getrennt und eine goldne Brücke führt hinüber: uns kommt die Brücke des altdeutschen Segens ins Gedächtnis. In einer Höhle dieser schrecklichen Stadt sitzt auf einem Hochsitz ein alter Mann, sein Leib ist durchbohrt und an einem Felsen befestigt. Bei ihm sitzen drei Weiber mit zerbrochenem Rücken. Thorkill erzählt, der starke Gott Thor sei durch Geruths Hochmut erzürnt worden und habe ihn mit einem glühenden Eisenkeil an den welfen befestigt, zugleich traf Thor mit dem Blitz die drei Weiber.

Grade das grausig Phantastische an Thors Fahrt zu Geirrödh steigerten also die späteren Erzähler, freilich verschwand diese Fahrt, im 14. Jahrhundert, in einer späten isländischen Saga ganz ins Märchenreich. Welchen Gefallen mußten alte Zeiten an dieser Fabel gefunden haben, wenn sie in den germanischen Zeiten, im 10., 12., 13., 14. Jahrhundert im Norden, in Prosa und Vers, volkstümlich und skaldisch, mythisch und märchenhaft, immer von neuem vor uns auftaucht. Auch das esthnische Epos, der Kalewipoeg, enthält noch eine ihrer Episoden und führt sie in unappetitlicher Breite aus, die Episode nämlich von dem Strom, den die Tochter des Riesen wachsen macht.



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Endlich trägt in einem Eddaliede, in den Grimnismal, ein irdischer König den Namen Geirrödh. Ein langer Weg führt zu ihm, Odhin besucht ihn, unerkannt, in Bettlertracht, und der König mißhandelt den Gott, er setzt ihn mitten ins brennende Feuer. Doch Odhin löscht die Flammen und bewirkt, daß der König ins eigene Schwert stürzt. Die weite Fahrt, der Versuch, den Gott zu mißhandeln, der Feuerzauber, die Strafe, die den Frevler trifft: diese Motive erinnern an unsre Geirrödhsage, vielleicht sind sie in Anlehnung an sie erfunden.

Saxo erzählt uns:

Halfdan gebraucht eine ungeheure, mit eisernen Knoten versehene Keule auf seinen Kampffahrten oder eine Eiche, die er im Vorbeigehen aus dem Boden reißt und durch Abstreifen der Äste als Keule zurichtet, mit einem Hammer von erstaunlicher Stärke zermalmt er einen Riesen, der Königstöchter zu rauben pflegt. Er nahm den Thoro, einen geschickten und angesehenen Kämpen zu sich und kündigte Erik den Krieg an. Sie bestiegen einen steinreichen Felsen, rissen die Felsmassen los und ließen sie auf den Feind herabrollen, der unten im Talkessel aus abschüssigem Boden stand. So gewann Halfdan mit Felsblöcken den Sieg. Wegen dieser tüchtigen Tat galt er den Schweden als ein Sohn des großen Thor, wurde vom Volke mit göttlichen Ehren begabt und eines öffentlichen Opfers für würdig erachtet.

Diese Sage überträgt die Taten des Thor auf einen irdischen König und seinen Begleiter. Hinter ihr ragt ein Bild auf, in großen Umrissen, wie wir es nun kennen: die verheerende Macht des Gewitters, das Bäume entwurzelt und Felsmassen ins Tal schleudert, ist dargestellt als das ungeheure Wirken des Wettergottes . Ein Auftakt aus den Märchen leitet auch diese Geschichte ein: der Bursche mit der ungeheuren Keule, der Bursche, der eine Eiche ausreißt und sie als Waffe führt, der Bursche, der Königstöchter aus der Hand von Riesen befreit. Das alles ist der "Starke Hans" oder der"Bärensohn" des Märchens, der seit dem 10. Jahrhundert in der germanischen Märchenwelt sein übermütiges Kraftwesen treibt, besonders in späteren Thor- und Siegfriedsagen.



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In den Dichtungen, die wir bisher aufsuchten, war die Grundlage der Kampf eines Riesen mit Thor, dem blitzeschleudernden Gott. Nun wenden wir uns zu anderen Taten dieses tatenreichsten Gottes. In die germanischen Zeiten führt der Kampf Thors mit der Midgardschlange zurück. Snorri erzählt:

Thor blieb nicht lange daheim. Er rüstete sich so rasch zur Fahrt, daß er weder Wagen noch Böcke noch Fahrtgenossen hatte, wie ein junger Bursche ging er aus Asgard und kam eines Abends zur Dämmerzeit zu einem Riesen, der hieß Hymi. Er blieb da zur Gastung die Nacht. In der Frühe stand Hymi auf und kleidete sich an und wollte auf See rudern zum Fischfang. Aber Thor sprang auf und war schnell fertig und bat, daß Hymi ihn mit sich rudern lasse. Doch Hymi meinte, daß er wenig Hilfe von ihm haben werde, da er klein und ein Jungbursch war, "und es wird dich frieren, wenn ich so lange und so weit draußen sitze bei den Untiefen, wie ich es gewohnt bin" . Aber Thor sagte, daß er deswegen weit vom Land rudern könne und daß es gar nicht gewiß sei, ob er nicht verlangen würde, noch weiter herauszurudern, und Thor erzürnte sich so über den Riesen, daß er so weit war, gleich den Hammer auf ihn sausen zu lassen. Aber er ließ es dabei bewenden, weil er gedachte, seine Kraft zu erproben bei einer anderen Gelegenheit. Erfragte den Hymi, was sie als Köder haben würden, doch Hymi bat ihn, sich selbst einen Köder zu besorgen. Da ging Thor sofort zurück, bis er sah eine Herde Ochsen, die Hymi besaß. Er nahm den größten Ochsen, der Himinhrjod heißt, und rib ihm das Haupt ab und ging damit ans Ufer. Da hatte Hymi das Schiff herausgestoßen, Thor sprang aufs Schiff und setzte sich in den Schöpfraum (ans steuer), ergriff zwei Ruder und ruderte und es schien dem Hymi das Schiff rasch dahinzuschießen von seinen Ruderschlägen. Hymi ruderte vorn am Bootshals und suchte eilig zu rudern, es sagte Hymi, daß sie nun gekommen seien an die Sandbänke, wo er gewohnt sei zu sitzen und Plattfische zu angeln. Aber Thor rief, viel weiter wollten sie rudern, und sie begannen nun ein Schnellrudern. Hymi sagte nun, daß sie so weit herausgekommen seien, daß es gefährlich wird, dort zu verweilen wegen der Midgardschlange, doch Thor rief, noch eine Zeitlang würde er rudern, und so tat er. Aber Hymi war da ganz mißvergnügt. Wie nun Thor eingezogen hatte die Ruder, brachte er eine Angelschnur heraus, eine recht starke, und nicht war die Angel kleiner oder minder stark. Da ließ Thor auf die



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Angel das Ochsenhaupt kommen und warf es über Bord und es fuhr die Angel auf den Grund. Die Midgardschlange schnappte gewaltig nach dem Ochsenhaupt, doch die Angel fuhr dem Wurm inden Gaumen. Aber als der Wurm das merkte, da zog er so heftig an, daß die beiden Fäuste Thors an den Rand des Schiffes aufschlugen. Da wurde Thor zornig und die Asenkraft fuhr in ihn und er stemmte sich so fest auf, daß er mit beiden Füßen durch das Schiff trat und auf dem Meergrund feststand. Er zog da den Wurm an Bord. Aber das kann man sagen, daß der noch nicht die schrecklichsten Gesichte sah, der nicht sehen konnte, wie Thor mit den Augen durchbohrte die Schlange, und wie diese ihm entgegenstarrte von unten her und ihr Gift blies. Da heißt es, daß der Riese Hymi die Farbe wechselte, fahl wurde und zitterte, als er die Schlange erblickte, und sah wie die See in das Schiff hineinstürzte und hinaus. Und in dem Augenblick, wo Thor nach dem Hammer griff und ihn in die Luft schwang, da fuhr der Riese nach seinem Messer und zerschnitt die Schnur Thors am Schiffsrand und die Schlange senkte sich in die See. Doch Thor warf den Hammer nach ihr und die Leute sagen, daß er ihr Haupt abschlug in den Wogen, doch ich glaube, ich muß dir das als wahr erzählen, daß die Midgardschlange lebt und im Weltmeer liegt. Doch Thor schwang die Fäuste und setzt sie an die Ohren Hymis, so daß der über Bord stürzt und man sieht seine Fußsohlen, aber Thor watete an Land.

Wucht und Pracht in der Schilderung dieses Zusammentreffens von Thor und seiner Erzfeindin laffen sich kaum übertreffen. Mancher Skalde hat sich an dem gleichen Thema versucht und auch alte Bildwerke stellen den Kampf Thors mit der Midgardschlange dar.

Germanische Darstellungen von Ungeheuern, wie das Meer sie birgt, und von einem Unhold, dessen Zucken die Welt erbeben macht, sind in der Midgardschlange verschmolzen. — Beowulf, der als Mann den Meerunhold Grendel besiegt, fällt als Greis im Kampf mit einem ähnlichen Tiere, das er sterbend vernichtet und von dem er sein Land befreit. Dies heroische Schicksal übertrug die nordische Dichtung auf Thor und gestaltet es größer und tragischer: im letzten Kampf der Riesen und Götter tritt die



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Midgardschlange, die ihm noch immer entrann, dem Thor entgegen , der so viele Riesen erschlug. Sie öffnet den Schlund bis zum Himmel, der Gott erschlägt sie, aber sie haucht ihn noch einmal an, er weicht neun Schritte zurück und fällt tot hin. So erzählt es im 10. Jahrhundert die Wöluspa.

Spätere Jahrhunderte machen aus der Midgardschlange ein gelehrtes Fabelwesen, das sich, wie der Okeanos der Griechen, um alle Länder windet und sich selbst in den Schwanz beißt. Der Kampf Thors mit der Midgardschlange geriet ebenfalls aus der Welt germanischer Kraft und Tragik, die noch das 10. Jahrhundert so wundervoll steigerte, allmählich in das Groteske und Märchenhafte, wir kennen ja das Schicksal der Thorsagen. In dem Bericht Snorris ist der Kampf mit dem Besuch bei einem Riesen verbunden, dadurch erhält er den Anstrich der Riesengeschichten . Das Bild bei Snorri ist z. B. von gewollter Komik, daß der Riese, von der Ohrfeige des Gottes getroffen, kopfüber so ins Meer stürzt, daß nur noch seine Fußsohlen herausragen: ähnliche Ohrfeigen pflegt wieder der starke Hans auszuteilen. — Ferner hatte der Norden an alten Schwankmärchen von der überlistung der Riesen durch Menschl eine lebhafte Freude. Der Riese fordert darin von den Menschen Kraftleistungen, etwa Essen. Der Mensch bindet sich einen Sack vor, in den er die Speisen heimlich schüttet, und als der Riese satt ist, behauptet er, nun finge er gerade an. Oder: der Mensch soll Wasser holen, er fragt, ob er nicht gleich den ganzen brunnen mitbringen dürfe. Oder: der Mensch soll ein Boot ins Wasser schieben, weigert sich aber, weil das in Stücke gehen würde, wenn er es nur berühre. Diese scheinbaren Kraftleistungen des Menschen verwandelten aber die Dichter der Edda, im Unterschied vom Märchen, in wirkliche des Gottes.

Zwei von diesen Leistungen, daß Thor als Köder ein Stierhaupt nimmt, und daß er den Riesen gerade dahin rudert, wohin dieser nicht mag, kennt Snorri. Zwei andere erzählt ein ganz



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spätes Eddalied, die Hymiskwidha — eine märchenhafte und skaldenhafte übersteigerung von Snorris Bericht —, nämlich die Eßkraft des Gottes: er verzehrt allein zwei Ochsen, und seine Tragkraft: er nimmt allein ein großes Boot auf die Schulter.

Dies Lied schiebt außerdem die bezeichnenden Motive des Märchens von der Fahrt zu einem menschenfressenden Unhold in die alte Sage. Thor wird zum Hymi geschickt, um dessen Kessel zu holen, wie ein Märchenheld zu einem Riesen, dessen Bestes er rauben soll. Den Gott und seinen Begleiter verbirgt wieder eine mitleidige Alte. Thor bricht die Kraft des Riesen, indem er seinen Becher zerschlägt, er raubt ihm den Kessel und wird von der ganzen Menge der Unholde verfolgt, die er jedoch überwindet.

Ein Motiv in der Hymiskwidha erweckt unser besonderes Interesse: Thor soll dem Riesen Hymi seine Stärke beweisen. Trotzdem der Gott den Riesen durch verschiedene ungeheure Taten in Schrecken versetzte, verlangt dieser als letzte, daß er seinen Becher zerschellt. Der Gott wirft den an einen steinernen Pfeiler; umsonst, der Pfeiler zerbricht, der Becher bleibt heil. Da rät die Frau des Riesen dem Thor, er möge den Kelch an den Kopf des Unholds schleudern, Thor befolgt den Rat: und nun bleibt der Kopf heil, der Becher zerspringt. Der sonst recht wortkarge Riese trauert erschüttert seinem kostbaren Schatze nach, läßt den Gott ziehen und duldet sogar, daß er auch noch seinen großen Kessel mitnimmt: mit dem Becher hat der Unhold seine Macht über den Gott verloren.

Es bietet sich nun die Vermutung an, daß in der Quelle, aus welcher der Dichter der Hymiskwidha schöpfte, die Seele des Riesen im Becher war, und daß der Held den Becher zerbrach, um den Riesen zu vernichten. Dann wäre das Bechermotiv die Umformung des alten Märchens vom ¶Riefen ohne Seele: der Riese hat seine Seele nicht in sich, sondern außer sich, versteckt in irgendeinem Gegenstand, eine mitleidige Frau verrät das Geheimnis einem



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tapferen Burschen, der den Riesen bezwingen soll, dieser zerstört den Gegenstand, in dem sich die Seele birgt, und damit den Riesen selbst.

Die Hymiskwidha bewegt sich in starren ungelenken Vergleichen skaldischer Art. Es ist seltsam zu sehen, wie das warme und kindliche Märchen in ihrer Umarmung erfriert. Daneben erfreut sie durch eine kräftige Komik: Thor, der an einer dünnen Angelschnur das schwerste Ungetüm, die Midgardschlange, heraufzieht, und der, den erbeuteten Kessel über den Kopf gestülpt, so schnell als möglich sich davontrollt, das sind Bilder des ergötzlichsten Kontrastes. Am besten aber geriet die Schilderung des Riesen: schwer von Kälte, mit ungefügen Schritten, tappt er in das Zimmer, um das Kinn steht ihm der Bart wie ein Eiswald, und vor seinem Blick zerbersten die Balken.

In den Geschichten von Thor und Hymi wuchert neue Komik um den Gott auf. Außerdem stellt sich zwischen den germanischen Donar und zwischen den Märchenhelden und Prahlhans Thor ein heroischer Gott des 10. Jahrhunderts. Ihn und seine Tragik erkennen wir auch in der Sage vom Riesenbaumeister. Snorri erzählt:

Es war da in frühen Zeiten in der Götterwelt, nachdem die Götter Midgard eingerichtet und Walhall gebaut, daß ein Baumeister kam und anbot, ihnen eine Burg zu bauen in drei halben Jahren, so fest, daß sie nicht in Furcht zu sein brauchten vor Bergriesen und vor Reifriesen, wenn diese auch in Midgard eindrängen. Aber er beanspruchte das als Kaufpreis, daß er sich Freyja aneignen dürfe und auch Sonne und Mond wollte er haben. Da gingen die Asen zur Besprechung und tauschten ihre Ratschläge und es wurde dieser Kaufpreis mit dem Riesen ausgemacht , daß er sich aneignen dürfe, was er beanspruche, wenn er vollendete die Burg in einem Winter. Doch am ersten Sommertag, wenn irgend etwas unfertig wäre an der Burg, dann sollte er vom Kaufpreis abstehen, er sollte auch von keinem Menschen Hilfe haben beim Bau. Aber als sie ihm diese Bedingung ansagten, da verlangte er, daß sie ihm Hilfe von seinem Hengst erlauben möchten, der Swadilfari heißt,



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und Loki riet, daß ihm dies zugestanden würde. Er nahm in Angriff den Bau der Burg am ersten Wintertag und nachts schleppte er Steine auf dem Hengst herbei. Aber das schien den Asen ein großes Wunder, welche großen Lasten dieser Hengst schleppte, und die Hälfte mehr Arbeit verrichtete der Hengst als der Baumeister. Bei dem Baupreis waren nun starke Bekräftigungen und viele Eide, denn der Riese traute den Asen nicht und hielt sich für schutzlos, wenn Thor zurückkäme, der war gerade nach Osten gefahren, Trolle zu erschlagen. Als der Winter vorschritt, strengte sich der Baumeister sehr an, und es wurde der Bau so hoch und stark, daß niemand heraufsehen konnte. Als es noch drei Tage waren bis zum Sommer, da war er fast bis zum Burgtor gekommen. Da setzten sich die Götter auf ihre Ratstühle und suchten Ratschläge und jeder fragte den anderen, wer dazu geraten hätte, die Freyja in die Welt der Riesen auszuliefern oder Luft und Himmel so zu vergiften und ihnen Sonne und Sterne zu nehmen und sie dem Riesen zu geben. Und sie kamen alle darin überein, daß ihnen der das geraten hätte, der das meiste Böse riet, Loki, Laufeys Sohn, und sie nannten ihn wert eines bösen Todes, wenn ihm nicht ein guter Rat einfiele, daß der Baumeister vom Kaufpreis abstehe, und sie gingen auf Loki los. In seinem Schrecken schwur er Eide, er werde es so einrichten, daß der Baumeister vom Kaufpreis abstehe, was es ihm auch kosten möge. Am selben Abend nun, als der Baumeister hinausfuhr zu den Steinen mit dem Hengst Swadilfari, lief aus dem Walde eine Stute und zum Hengst und wieherte dabei. Aber als der Hengst merkte, was für ein Roß das war, da geriet er in Brunst und zerriß seine Stricke und lief zur Stute, aber sie in den Wald hinein und der Baumeister hinterher und er will den Hengst fangen und die Pferde laufen die ganze Nacht, und der Riese blieb da die Nacht, und da am Tage wurde nicht so gebaut wie vorher. Als der Baumeister nun sieht, daß er nicht mit dem Werke fertig wird, da gerät er in Riesenzorn. Aber als die Asen nun sicher wußten, daß ein Bergriese unter ihnen war, da wurden die Eide nicht geschont, und sie riefen nach Thor, und im gleichen Augenblick kam er, und dann sauste der Hammer Mjölni durch die Luft: er vergalt dem Baumeister seinen Kaufpreis, und nicht Sonne und Gestirne bekam er, sondern er nahm ihm die Wohnung in der Riesenwelt und schlug den ersten Hieb, daß der Schädel zerbrach in kleine Stücke und schickte ihn unten in die dunkle Hölle. Aber Loki hatte solchen Umgang mit Swadilfari gehabt, daß er nach einiger Zeit ein Füllen gebar, und es war



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grau von Farbe und hatte acht Füße und es ist der beste Hengst unter Göttern und Menschen.

Diese Sage war früher eine von den Göttern unabhängige Volkssage. Ihresgleichen leben heute in Deutschland noch manche: ein Riese oder ein Unhold, jetzt ist es meist der Teufel, verspricht einem Menschen in kurzer Zeit, in einer Nacht, eine Burg zu bauen, wenn dieser ihm sein Bestes gäbe. Der Mensch nimmt in dem Wahn, daß es sogar übermenschlicher Kraft unmöglich sei, ein Werk so rasch zu vollenden, die Bedingung an, aber der Bau steigt mit entsetzlicher Geschwindigkeit empor, und nun hilft sich der Mensch durch List, er bringt einen Hahn zum Krähen oder weiß sonst den Anschein zu wecken, der Tag sei angebrochen. Der Unhold aber gibt sich mit einem Fluch verloren und zertrümmert das Werk der Nacht.

Die List der Göttersage weicht von der List der Volkssage ab: Loki lockt das Pferd des Riesen fort, indem er sich in eine Stute verwandelt. Diese nicht eben schöne, aber mit Humor vorgetragene groteske Erfindung wanderte vielleicht aus dem Irischen ins Nordische und aus dem Irischen scheint auch der Hengst des Riesen selbst zu stammen. Alt und germanisch an diesem Teil der Sage ist die Verwandlungsfähigkeit von Loki, seine Beziehung zum Tier der geschlechtlichen Kraft, dem Pferd, und seine Gabe, das Geschlecht zu tauschen oder, sagen wir besser, zu verdoppeln.

Befreien wir unsre Dichtung oon ihrer irischen Verschnörkelung , so gewinnt sie etwa diese Form: Die Götter gehen, damit ihnen eine Burg gebaut werde, einen leichtsinnigen Vertrag mit einem Riesen ein, rufen, als sie ihren Leichtsinn erkennen und sich keinen Rat wissen, den Thor und dieser befreit sie von dem Riesen und zerbricht zugleich die heiligen Eide. So überliefern uns wirklich die schwermütigen und tragischen Verse der Wöluspa die Sage: die Götter beraten bestürzt, wer die Luft vergiftet und wer die Freyja dem Riesen gegeben, Thor, von seinem Zorn bezwungen,



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schlägt zu, und die Eide und Schwüre sind zerstört, die sie stark und bindend aufgerichtet. — Diese Form ist gewiß eine Vertiefung der alten volkstümlichen Geschichte. Thor rettet die Götter, nicht durch List und Betrug, sondern durch seine ehrliche Kraft. Aber was in der Urzeit natürliche Notwehr war und die Tat des Starken, verwandelt sich in Treubruch und rohe Gewalt in einer Zeit, die Recht und Eid über sich setzte. Auch diese höhere Zeit kann ohne Gewalt nicht leben, aber, indem sie den Gott der Gewalt ruft, überliefert sie sich zugleich der Schuld und dem Untergang.

So faßt der Dichter der Wöluspa den Thor auf: als den Beschützer der Welt (midgards veorr), der die Menschen von den Riesen befreit und auch die Götter vor ihnen bewahrt, der zugleich die Eide zerschlägt und das Ende der Götter dadurch beschleunigt , der am Ende seines Daseins, seinen stärksten Kampf mit dem stärksten Unhold kämpfend, zum letztenmal seine zermalmende und hilfreiche Macht zum Schutz der Götter und Menschen aufbietet und der nicht der Kraft, sondern dem Gifthauch des Wurms erliegt.

Das ist wieder, unter der Einwirkung des Christentums, eine großartige Erhöhung des alten germanischen Gottes. Von ihr aber ist der Schritt nicht allzuweit zu der Gegenüberstellung von roher Kraft gegen besonnene List, die wir als Merkmal der späteren Thorsagen erkannten, und in deren Licht der Gott immer lächerlicher wird. Am ausgelassensten und geistreichsten verhöhnt den Thor die Sage vom Utgardaloki.

Gangleri fragt in der Gylfaginning: "Ist es Thor niemals so ergangen , daß er auf etwas so Mächtiges und Kräftiges traf, daß es für ihn übergewaltig war, für seine Stärke und für sein Wissen." Da sagte Ha: "Wenige, glaube ich, können davon erzählen, doch manches schien ihm schwer auszuführen. Wenn es sich nun aber auch begeben haben sollte, daß irgend etwas so kräftig und stark war, daß Thor nicht den Sieg erlangte, so ziemt es sich doch nicht davon zu reden, deswegen,



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weil viele Beweise dafür da sind, daß Thor der stärkste bleibt, und weil wir sie alle glauben müssen." Da sprach Gangleri: " So scheint es mir, als hätte ich gerade nach etwas gefragt, worüber es nicht schicklich ist, zu reden." Jafnha antwortete: " Wir haben sagen hören von Vorfällen, die uns zu unglaublich scheinen, als daß sie wahr sein könnten, aber hier in der Nähe sitzt einer, der Zuverlässiges davon berichten kann, und du wirst kaum glauben, daß er nun das erste Mal lügt, der vorher nie log." Da sprach Gangleri: "Hier will ich stehen bleiben und hören, ob diese Sache sich auflöst; wenn ihr aber schweigt, so habt ihr das Spiel verloren; wenn ihr nicht beantworten könnt, was ich euch frage." Da sprach Thridi: " Nun ist es offenbar, daß er diese Geschichten wissen will, trotzdem es uns nicht schön scheint, davon zu reden."

So hebt diese Geschichte an, daß Wagen Thor ausfuhr mit seinen Böcken und reiste mit ihm der Gott, der Loki heißt. Sie kommen am Abend zu einem Bauern und besorgen sich das Nachtquartier. Thor nahm seine Böcke und schlachtete beide. Danach wurden sie enthäutet und zum Kessel getragen, und als sie gekocht waren, setzte sich Thor zum Nachtmahl und die Gefährten. Thor entbot zum Mahle mit sich den Bauern und seine Frau und ihre Kinder, der Sohn des Bauern hieß Thjalfi, aber Röskwa die Tochter. Da legte Thor die Bocksfelle an;; dem Feuer und sagte, daß der Bauer und seine Familie die Knochen werfen sollten auf die Bocksfelle. Thjalfi, der Sohn des Bauern, hielt sich an den Schenkelknochen des Bockes und öffnete ihn mit dem Messer und brach ihn auf bis zum Mark. Thor verweilte dort die Nacht, aber in der Dämmerung vor Tag stand er auf und kleidete sich an und nahm den Hammer Mjölni, schwang ihn darüber und weihte die Bocksfelle. Da standen auf die Böcke und es war der eine lahm am Fuße. Das sah Thor und sagte, daß der Hausherr oder einer der Seinen nicht vorsichtig umgegangen sei mit den Bocksknochen, er sieht, daß gebrochen war der Schenkel. Nicht braucht man lange davon zu erzählen, vorstellen werden sich das alle, wie erschrocken der Bauer sein mußte, als er sah, daß Thor sinken ließ seine Brauen über die Augen und als er zu den Augen aufsah, da meinte er vor dem Anblick allein zusammenzubrechen. Thor packte mit den Händen den Hammerschaft, so daß die Knöchel weiß wurden. Der Bauer tat, was zu erwarten war, und alle die Seinen, sie riefen ihn flehentlich an und baten um Schonung und boten als Ersatz alles an, was sie hatten. Aber als er ihren Schreck sah, verging ihm der Zorn und er besänftigte sich und nahm von ihnen als Buße



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ihre Kinder Thjalfi und Röskwa, und sie waren ihm da als Dienstboten verpflichtet und folgen ihm immer von da an.

Thor ließ dort zurück die Böcke und rüstete die Fahrt östlich nach Jötunheim und ganz zum Meer. Er fuhr über das tiefe Meer und als er an das Land kam, ging er hinauf, und mit ihm Loki und Thjalfi und Röskwa. Als sie nun eine kleine Weile gegangen waren, stand vor ihnen ein großer Wald, und sie wanderten darin den ganzen Tag bis zur Dunkelheit. Thjalfi war unter allen Männern der fußschnellste, er trug den Speisesaal Thors, denn an Speise war hier nichts Gutes. Als es nun ganz dunkel geworden war, suchten sie sich einen Ruheplatz für die Nacht und fanden vor ihrer Nase ein Haus, ein recht großes, die Türen waren an einem Ende und sie waren ebenso breit wie die ganze Wohnung. Dort richteten sie sich ein für die Nacht. Um Mitternacht aber entstand ein gewaltiges Erdbeben, die Erde ging hin und her wie ein Schiff auf den Wellen und das Haus erzitterte. Da stand Thor auf und rief nach seinen Genossen, und sie suchten umher und fanden ein Nebenhaus zur rechten Seite in der Mitte und gingen hinein. Thor setzte sich in die Tür, aber die andern waren innen, hinter ihm versteckt, und sie waren recht furchtsam. Thor dagegen hielt die Hand am Hammerschaft und gedachte, sich zu wehren. Da hörten sie ein mächtiges Brausen und Schnauben. Als der Tag anbrach, kam Thor heraus und sieht einen Mann dicht vor sich im Walde liegen und der war nicht klein und schnarchte stark. Da glaubte Thor zu erkennen, was für Geräusche das gewesen seien in der Nacht. Er tat den Kraftgürtel an, und die Götterkraft wuchs ihm. Aber in diesem Augenblick erwachte der Mann und stand schnell auf, und da heißt es, daß dem Thor dies eine Mal der Mut entfiel, mit dem Hammer zuzuschlagen. Er fragte nun jenen nach seinem Namen, er hieß Skrymi. "Dich aber brauche ich nicht nach dem Namen zu fragen," sagte er, " du bist Asathor; aber hast du meinen Handschuh fortgenommen?" Da bückte er sich und hob seinen Handschuh auf: Thor sieht nun, was er für eine Behausung in der Nacht gehalten hat, und das Nebenhaus war der Däumling des Handschuhes. Skrymi fragte, ob Thor seine Begleitung haben wollte, und Thor bejahte das. Da nahm der Riese seinen Speisesack, löste die Bänder und begann, sein Tagmahl zu essen; Thor und seine Begleiter aßen daneben. Skrymi schlug nun vor, sie sollten die Speisen zusammenlegen, und Thor stimmte zu. Da tat der Riese das ganze Essen in einen Ranzen, band ihn zusammen und warf ihn auf seinen Rücken. Er



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ging den ganzen Tag voran und machte recht große Schritte, aber spät am Abend suchte er für sie das Nachtlager unter einer großen Eiche. Skrymi sagte zu Thor, er wolle sich niederlegen und schlafen, " aber ihr nehmt den Speisesaal und rüstet euch das Nachtmahl" . Dann schlief er gleich ein und schnarchte stark. Thor nahm nun den Sack und wollte ihn öffnen, aber das ist zu melden, so unglaublich das auch klingen mag, daß er keinen Knoten lösen konnte, und daß kein Riemenende sich rührte, so daß es loser war als vorher; doch als er sieht, daß sein Werk nicht gelingen will, da wird er zornig und griff nach dem Hammer mit beiden Händen, stieg mit einem Fuß dahin, wohin Skrymi lag und schlägt ihn auf den Kopf. Der Riese erwacht und fragt, ob ein Laubblatt ihm auf den Kopf gefallen wäre, und ob sie schon gegessen hätten und nun bereit seien zum Schlaf. Thor sagte, daß sie jetzt schlafen wollen. Sie gehen da unter eine andere Eiche, aber ich muß dir in Wahrheit sagen, daß es nicht gefahrlos war zu schlafen. Um Mitternacht hört Thor, daß Skrymi wieder schnarcht, so daß es im Walde dröhnt. Er steht auf, geht zu ihm, schwingt den Hammer, rasch und fest, und schlägt ihn mitten auf den Scheitel, er sieht, daß des Hammers Spitze tief einsinkt ins Haupt. In dem Augenblick erwacht Skrymi und sprach: " Was ist nun? Fiel mir eine Eichel auf den Kopf? Oder warum bist du so aufgeregt, Thor?" Aber Thor ging rasch zurück und sagte, daß er wieder aufgewacht sei — und es war Mitternacht geworden —, und es wäre doch Zeit zu schlafen. Nun beschloß Thor bei sich, wenn die Gelegenheit wiederkäme, dem Riesen den dritten Hieb so zu schlagen, daß jener dann niemals sich wieder besehen sollte; er liegt nun und lauert, ob Skrymi noch einmal einschläft. Und kurz vor Tag hört er, daß der Riese eingeschlafen sein muß. Da steht er auf und läuft zu ihm, schwingt den Hammer mit seiner ganzen Kraft und schlägt auf seine Schläfe, die er nach oben gekehrt wußte, der Hammer sinkt bis zum Schaft. Skrymi aber setzte sich auf, strich sich über die Wangen und sagte: " Sollten wohl in dem Baum über mir Bögel sitzen? Mir war so, als ich aufwachte, daß ein Stückchen eines Zweiges mir auf den Kopf fiele. Wachst du Thor? Es wird Zeit sein, aufzustehen und sich anzukleiden! Ihr habt nun keinen langen Weg bis zu der Burg, die Utgard heißt. Ich habe gehört, daß ihr unter euch flüstertet, daß ich ein Mann sei, nicht klein von Wuchs, dort aber, wenn ihr hinkommt, werdet ihr größere Männer sehen können. Ich will euch einen guten Rat geben: Spielt da nicht die großen Leute, nicht werden die Gefolgsleute von Utgardaloki



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sich prahlende Worte von solchen Knirpsen bieten lassen. Oder kehrt um und das wäre der beste Entschluß, den ihr fassen könntet; aber wenn ihr weiter wollt, so geht nach Osten. Ich werde mich gen Norden wenden zu den Bergen, die ihr nun sehen könnt." Skrymi nimmt das Bündel , wirft sich's auf den Rücken und schlägt sich in den Wald, und es wird nichts davon erzählt, daß die Götter ihm eine gute Reise gewünscht hätten.

Thor geht weiter auf seinem Weg und seine Gefährten und geht bis Mittag. Da sahen sie eine Burg sich erheben auf dem Gefilde, und sie mußten den Nacken ganz auf den Rücken legen, bevor sie zu den Zinnen hinaufsehen konnten. Sie gehen zur Burg, und es war ein Gitter vor dem Burgtor, und es war verschlossen. Thor ging an das Gitter, konnte das Schloß aber nicht öffnen, und als sie sich umsonst bemüht hatten, in die Burg zu kommen, schmiegten sie sich zwischen die Gitterstäbe und schlüpften so hinein. Sie sahen eine große Halle und gingen darauf zu, die Tür war offen. Da traten sie ein und sahen da viel Leute auf den beiden Bänken, und die meisten waren groß genug. Darauf kamen sie vor den König Utgardaloki und begrüßten ihn. Der sah ganz langsam zu ihnen hin und bleckte die Zähne und sprach: "Schwer ist es, von weither wahre Nachrichten zu erfahren oder ist es anders, als ich denke, ist dies Bürschlein wirklich Wagen Thor? Aber du kannst ja stärker sein, als du mir aussiehst, oder welche Künste sind es, die du kannst oder die deine Gefährten zu beherrschen glauben? denn bei uns darf niemand sein, der sich nicht durch irgendeine Kunst oder Begabung vor anderen Männern auszeichnet." Da erwiderte der, der ganz zuletzt ging, und der Loki heißt, "ich kann die Kunst und bin bereit, sie zu zeigen, daß niemand hier innen ist, der schneller seine Speise essen wird als ich" . "Das ist eine Kunst," antwortete Utgardaloki, " wenn du sie wirklich kannst, und die Kunst soll sich gleich erweisen." Er rief herbei von der Bank den Mann, der Logi heißt, und er solle in die Halle gehen und sich messen mit Loki. Ein großer Trog ward hereingebracht, auf den Boden gesetzt und gefüllt mit Fleisch, es setzte sich Loki an das eine Ende und Logi an das andere, und jeder ass, so rasch er konnte. Und in der Mitte des Troges trafen sie sich. Da hatte Loki alles Fleisch von den Knochen gefressen, ogi aber hatte auch gefressen alles Fleisch und die Knochen und den Trog dazu, und es schien nun allen, als hätte Loki das Spiel verloren. Da fragt Utgardaloki, was denn der junge Mann für Spiele könne. Thjalfi erwidert, daß er es versuchen wolle



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und mit jedem um die Wette laufen, den Utgardaloki ihm brächte. Der spricht: "das ist eine gute Kunst", und er hält es für wahrscheinlich, daß er in schnellem Lauf sehr geübt sei, wenn er diese Kunst hier vorführen wolle, " aber das wird sich ja gleich erweisen" . Er steht auf und geht hinaus, und es war da eine gute Rennbahn auf ebenem Felde. Utgarda-Loki ruft einen Burschen herbei, der Hugi (der Gedanke) heißt, und er befahl ihm, mit Thjalfi um die Wette zu laufen. Sie laufen den ersten Lauf, und Hugi ist so weit voran, daß er am Ende der Bahn umkehrt und dem anderen entgegenläuft. Da sprach Utgardaloki: "Es wird nötig sein, Thjalfi, daß du dich mehr ins Ieug legst, wenn du das Spiel gewinnen willst, aber das bleibt wahr, daß hierher noch keine Männer gekommen sind, die mir fußschneller scheinen." Nun laufen sie den zweiten Lauf, und als Hugi ans Ende der Bahn kommt und umkehrt, da war es noch ein weiter Pfeilschuß bis zu Thjalfi. Utgardaloki sagte: Gut scheint mir Thjalfi zu laufen, doch ich glaube nicht, daß er das Spiel nun noch gewinnt, aber nun wird es sich entscheiden, wenn sie das dritte Mal laufen." Da beginnen sie noch einen Lauf. Hugi rennt an das Ende der Bahn und kehrt um, und Thjalfi ist noch nicht gekommen bis zur Mitte der Bahn; da sagen alle, daß dies Spiel entschieden ist. Nun fragt Utgardaloki den Thor, welche Kunst es wohl werden würde, mit der er vor ihnen glänzen wolle, die Menschen hätten doch so viele Sagen gedichtet von seinen Großtaten. Thor antwortet, daß er am liebsten versuchen wollte, es mit jemand im Trinken aufzunehmen . Das kann geschehen, sagt Utgardaloki, und er geht in die Halle zurück und befiehlt seinem Mundschenk, das Strafhorn zu bringen, aus dem die Gefolgsleute gewohnt waren zu trinken. Darauf kommt der Mundschenk mit dem Horn und gibt es Thor in die Hand. Da sagt Utgardaloki: " Von diesem Horn scheint dann gut getrunken, wenn es sich in einem Zug leert; manche aber trinken es in zwei Zügen leer, doch kein Trinker ist so erbärmlich, der es nicht in dreien leerte." Thor sieht auf das Horn, und es schien ihm nicht groß, doch ist es ziemlich lang, er aber ist sehr durstig, nimmt es und trinkt und schluckt gewaltig und meint, es sei nicht nötig, noch einmal in das Horn zu schauen. Als ihm jedoch der Atem ausging, und er aus dem Horn blickte und dann zusah, was vom Trunk davon ging, da schien ihm, als sei der Unterschied ganz gering und als sei es im Horn kaum leerer als vorher. Utgardaloki sprach: " Das ist ein guter Schluck, wenn auch nicht allzu groß. Ich hätte es nicht geglaubt, wenn jemand mir gesagt hätte, daß



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Asathor keinen größeren Trunk trinken könne. Aber ich weiß, du wirst es mit dem zweiten Schluck austrinken wollen." Thor antwortet nichts, er setzt das Horn an den Mund und gedenkt nun, daß er einen größeren Trunk tun will. Und er hält den Atem an beim Trinken, solange wie es gehen will und wieder sieht er, daß die Spitze des Horns nicht so hoch kommen will, wie es ihm lieb ist, und als er das Horn sich vom Mund nahm und hineinsieht, scheint es ihm, als sei noch weniger verschwunden als das erste Mal. Doch ist ein Rand am Horn, und man kann es nun gut tragen. Da sprach Utgardaloki: " Wie steht es nun, Thor? Sparst du nicht deine Kraft für einen Trunk, größer als dir bekömmlich ist? Das scheint mir, wenn du es mit dem dritten Zug noch austrinken willst, so muß der als der größte gelten. Wir aber können dich hier nicht einen so großen Mann heißen, wie die Asen dich nennen, wenn du nicht mehr aus dir machst bei den anderen Proben, als es bei dieser wird, wie es mir scheint." Da wurde Thor zornig, er setzt das Horn an den Mund und trinkt so übermächtig, wie es nur geht, und spannt alle seine Kräfte an; und als er nun in das Horn sah, war doch ein Unterschied gegen vorher, da gibt er das Horn zurück und will nicht mehr trinken. Utgardaloki sprach: "Leicht kann man erkennen, daß deine Stärke nicht so groß ist, wie wir dachten. Oder willst du sie noch in anderen Spielen erweisen? Man sieht ja, daß du von diesem keinen Vorteil hattest." Thor antwortet: "Erproben will ich es noch in anderen Spielen, aber wunderlich würde es mir scheinen, wenn ich daheim bei den Asen wäre, und solche Trünke klein genannt würden. Welche Spiele wollt ihr mir nun anbieten?" Utgardaloki antwortete: "Das tun hier die jungen Burschen, und es scheint ihnen ein kleines Stück, aufzuheben von der Erde meine Katze, und ich würde nicht mit Asathor davon reden, wenn ich nicht gesehen hätte, daß du viel weniger vor dich bringst, als ich dachte." Da lief eine graue Katze über den Boden der Halle, und sie war ziemlich groß. Aber Thor ging zu ihr, faßte ihr mit der Hand mitten unter den Bauch und hob die Hand. Doch die Katze machte einen Buckel und um so mehr, je höher Thor die Hand ausstreckte, und als Thor die Hand reckte, so hoch er nur konnte, da hob die Katze nur einen Fuß, und weiter brachte es Thor in diesem Spiel nicht. Utgardaloki sprach: "Dies Spiel ging so aus, wie ich vermutete. Die Katze ist ziemlich groß, aber Thor ist klein und kurz im Vergleich mit den Riesen, die hier sitzen." Thor erwiderte: " Wenn ihr mich auch klein nennt, es trete nur einer von euch vor und ringe mit mir, nun bin ich zornig."



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Utgardaloki sah zu den Bänken und spricht: "Ich sehe hier unter den Männern niemand, der es nicht für eine Kleinigkeit hielte, mit dir zu ringen." Und dann sprach er: "Wir wollen erst sehen, ruft mir das alte Weib Elli (das Alter) her, meine Pflegemutter, mit der mag Thor ringen, wenn er will; sie hat schon Männer gefällt, die mir nicht schwächer schienen, als Thor ist. Da kam in die Halle eine alte Frau, und Utgardaloki sagte ihr, sie solle mit Thor ringen. Nicht lange braucht man davon zu erzählen, das Ringen ging so aus: je mehr Thor sich anstrengte im Kämpfen, um so fester stand sie. Dann versuchte sie es mit Kniffen, und nun blieb Thor nicht mehr fest auf den Füßen, und es waren da starke Schwünge, und es dauerte kurze Zeit, da fiel er mit einem Bein auf das Knie. Utgardaloki trat hinzu, bat sie, mit dem Ringkampf aufzuhören , und sagte, es sei nicht mehr nötig, daß Thor anderen Männern im Gefolge das Ringen anbiete. Es war da auch Nacht geworden. Er wies ihm und den Gefährten Sitze an, und sie blieben die Nacht und waren in guter Pflege.

Aber am Morgen, sowie es Tag wurde, stehen Thor auf und die Gefährten und kleiden sich an und sind fertig fortzugehen. Da kam Utgardaloki an, und er ließ ihnen auftragen, er sparte nicht an guter Kost, an Speise und Trank, und als sie gegessen hatten, machten sie sich auf die Fahrt. Utgardaloki begleitet sie, er geht mit ihnen fort aus der Burg, und als sie Abschied nehmen, sprach er Thor an und fragt ihn, wie denn nun nach seiner Meinung ihm diese Fahrt geraten sei? Und ob er je einen mächtigeren Mann getroffen hätte als ihn? Thor sagt, daß er das nicht leugnen könne, daß er keine große Ehre eingelegt habe bei diesem Zusammensein, "und ich weiß, daß ihr mich einen kleinen Mann nennen werdet, der nichts vor sich brachte und damit bin ich schlecht zufrieden" . Da antwortete Utgardaloki: "Nun will ich dir die Wahrheit sagen, wo du aus der Burg heraus bist, und wenn ich lebe und etwas zu bestimmen habe, so sollst du nie wieder hineinkommen. Meiner Treu, das weiß ich, du wärst schon jetzt nie hineingekommen, wenn ich vorher gewußt hätte, daß du so viel Kraft mit dir brachtest. Und du hättest uns beinah in große Not gebracht, aber mit Blendwerken habe ich dich getäuscht. Das erste Mal im Wald begegnete ich euch; und als du den Speisesack öffnen solltest, hatte ich ihn mit Eisendraht zugebunden und du fandest die Stelle nicht, wo er zu öffnen war. Und danach schlugst du nach mir mit dem Hammer drei Schläge, und der erste war der schwächste und war doch so stark, daß es mit mir aus gewesen



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wäre, wenn er mich getroffen hätte. Aber du sahst ja bei meiner Halle eine Anhöhe, und darin sahst du oben drei viereckige Täler, und eins war das tiefste; das waren deine Hammerspuren, die Anhöhe zog ich vor mich wegen deiner Schläge, aber das sahst du nicht. So war es auch mit den Spielen, mit denen ihr meinen Leuten zusetztet. Das erste unternahm Loki, er war sehr hungrig und ass rasch, aber der ogi heißt, das war das Wildfeuer, und es verbrannte den Trog ebenso rasch wie die Speise. Als denn Thjalfi den Wettlauf versuchte mit dem, der Hugi heißt, da war das mein Gedanke, und es war für den Thjalfi keine Aussicht, dessen Schnelligkeit zu bezwingen. Als du aus dem Horn trankst und es dir schien, daß es sich langsam leere, meiner Treu, da geschah ein Wunder, wovon ich nicht glaubte, daß es geschehen könnte, das eine Ende des Horns war draußen im Meer und das sahst du nicht; aber wenn du nun zum Meer kommst, kannst du sehen, welchen Schwund du in das Meer getrunken hast: der heißt nun Ebbe." Und er fuhr fort: "Nicht weniger bewundernswert schien mir, daß du die Katze aufhobst, und, um dir die Wahrheit zu sagen, alle erschraken, die es sahen, als du ihren einen Fuß von der Erde brachtest. Die Katze war nicht, was sie schien, sie war die Midgardschlange, die um alle Länder liegt, und ihre Länge half ihr kaum, und auch das nicht, daß sie mit Haupt und Schwanz sich an die Erde klammerte, solange recktest du sie empor, bis sie dicht am Himmel war. Auch das war ein großes Wunder beim Ringkampf, daß du solange stehen bliebst und nicht tiefer fielst als mit einem Bein auf das Knie, als du mit Elli rangst. Denn noch keiner wurde geboren, und keiner wird geboren werden; wenn sie alt werden, fällt das Alter alle. Nun will ich dir die Wahrheit sagen: nämlich, daß wir uns trennen wollen, und es wird für beide Teile besser sein, daß ihr nicht wiederkommt, um mich zu besuchen. Ein andermal will ich meine Burg schützen mit diesen Künsten oder anderen, so daß ihr keine Macht über mich erlangt." Aber als Thor diese Rede hörte, griff er nach dem Hammer und schwingt ihn in der Luft. Doch als er zuschlagen will, sieht er nirgends einen Utgardaloki, und er kehrt. um zur Burg und will sie zerstören, da sah er weite und schöne Täler, aber keine Burg. Nun kehrte er wieder um und ging seine Straße so lange, bis er zurückkam, nach Thrudwang.

Der Anfang dieser Abenteuer führt uns gleich in die Welt von Märchen und Sage. Die Geschichte von den verspeisten und



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belebten Böcken, auf alten Glauben zurückweisend, wird von alten und neuen Völkern gern erzählt. Der Form der Edda (daß der Gott die eigenen Böcke tötet und zu neuem Leben erweckt, daß er seinen Wirt damit speist und daß ein Bock lahmt) stehen, wie karl von Sydow zeigte, irische Berichte am nächsten, ihnen ist sie wohl auch entlehnt. Aus dem Irischen stammt, wie der gleiche Forscher zeigte, auch der zugebundene Speisesack des Skrymi. Sonst gleichen die Erlebnisse von Thor und den Seinen mit Skrymi wieder denen, die in Märchen und Schwänken Menschen bei Riesen überstehen. In einer Tiroler Geschichte z. B. fährt ein Bauer mit seinen von zwei Ochsen gezogenen Wagen in einen mit Gestrüpp bewachsenen Hohlweg und wird plötzlich in großem Bogen herausgeschleudert: er war in die Naslöcher eines Riesen geraten und der hatte ihn in die weite Welt geniest. Riesenhandschuhe kennt namentlich die dänische überlieferung. — Skrymi, den auch der stärkste Hammerschlag nicht verletzt, ist wieder dem starken Hans des Märchens an Unempfindlichkeit ebenbürtig: die Menschen, die sich von diesem befreien wollen, werfen einen Mühlstein auf ihn, und er beschwert sich, daß die Hühner im Sand kratzen und die Körner auf ihn fallen. Der Thor aber, der so tückisch nach Skrymi schlägt, benimmt sich wie der Riese des Märchens, in dessen Haus nachts ein Mensch einkehrt. Er schlägt mit Keulen oder Eisenstangen nach ihm, der Mensch verkriecht sich und behauptet am folgenden Morgen, eine Fliege hätte ihn gestochen. Die Vertiefung in den Felsen, als Schlag eines Riesenhammers gedeutet, ist ein allgemein sagenhafter Zug; in Telemarken scheinen Sagen derart besonders verbreitet.

Die Fahrt zu Utgardaloki ist dann wieder eine Fahrt zur Hölle, das versichert uns ausdrücklich, wie schon bei Geirröd, Saxo. Dessen Thorkillus, der dem Thor entspricht, wird von Verleumdern zum Ugarthilocus in die Unterwelt geschickt, begegnet unterwegs scheußlichen Riesen, die ihn erst auf den rechten Weg weisen,



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nachdem er ihnen zweimal drei Wahrheiten gesagt und findet in einer Höhle den gefesselten Ugarthilocus, dem er eines seiner stinkenden Haare ausreißt.

Was Utgardaloki von Thor und den Seinen verlangt, wie er sie betrügt, auch sein Kunststück am Schluß: daß er und seine ganze Behausung verschwindet, das vollzieht sich ebenfalls wie Blendwerk und Gaukelspiel der Hölle. Wir erinnern auch hier an die keltischen Fabeleien vom Jenseits. Ganz ähnlich spielen sich übrigens die Vorgänge in der Rahmenerzählung der Gylfaginning ab. König Gylfi wünscht die Macht und Weisheit der Asen kennen zu lernen und verkleidet sich als alter Mann, die Asen täuschen ihm eine Halle vor, er erblickt auf ihren drei Hochsitzen drei mächtige Männer, Ha (der Hohe), Jafnha (der Gleichhohe) und Thridi (der Dritte), denen fragt er alle Geschichten über das Wesen und die Sagen der Götter, über Weltanfang und Weltende ab. Als er zum Schluß von der neuen Welt gehört, erhebt sich ein gewaltiges Geräusch, er steht auf freiem Feld und sieht weder Halle noch Götter.

Die einzelnen Taten des Thor, Thjalfi und Loki entsprechen aber einer alten Volkssage, die man noch heute in deutschen und osteuropäischen Landschaften erzählt und die in den Sagenkreis vom geprellten Teufel gehört. Der christliche Teufel übernahm darin die Rolle des dummen Riesen, die in der Edda Thor und die Seinen spielen müssen. Der Teufel der Sage will mit dem Menschen um die Wette laufen, der Mensch scheucht einen Hasen, angeblich seinen Enkel, aus dem Busch, und der ist schneller. Danach erbietet sich der Teufel zum Ringen: der Mensch verweist ihn an seinen Großvater, das ist aber ein Bär, und der richtet den Ringer übel zu. Zum Schluß rühmt sich der Teufel, er könne Lasten tragen, und trägt ein Pferd davon, der Mensch trägt es zwischen den Beinen, d. h. er reitet darauf. Das Laufen, Ringen und Tragen hat der Dichter der Edda beibehalten, es um Essen



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und Trinken vermehrt und einzelne Proben verdreifacht. Statt des Pferdes der Sage setzte er außerdem die Midgardschlange ein: Thor kämpfte nun auch hier, ohne es zu wissen, mit seiner Hauptfeindin. Das Essen und Trinken verwandelte er dann in grotesk-komische Leistungen. Der wirkliche Wettlauf mit dem Hasen schien ihm auch zu einfach, er erzählte den Wettlauf mit den Gedanken: es ist eine alte tiefe, von Homer schon gekannte, Vorstellung , daß der Gedanke des Menschen die schnellste aller Schnelligkeiten besitze. An Stelle des einmaligen und wirklichen Ringens mit den Bären trat schließlich der verzweifelte, halb lächerliche, halb tragische Kampf des Menschen mit dem Alter, der sich immer wiederholt, und in dem wir immer unterliegen.

Unser Komplex von Geschichten erhält also, bei Skrymi und bei Utgardaloki, sein Gepräge durch die Sagen aus dem Kreis von Wettkampf von Mensch und Riesen, Mensch und Teufel. Die kleinen und die großen Götter werden hier, und nur hier, von den Riesen gedemütigt. Mit diesen Fabeleien vermischen sich Geschichten irischer Herkunft: die belebten Böcke, der zugebundene Speisesack, die Höllenfahrt und ihr Blendwerk. Außerdem erscheint uns irisch der Kampf des Gottes mit der Katze und das Prahlen mit Essen und Trinken beim fröhlichen Mahl. Die grotesken und wenig würdigen aber komischen Situationen, in denen Thor sich uns vorführt, gleichen denen in den Sagen von Hrungni, Aurwandil, Hymi auf ein Haar: dort lag der Gott unter einem Riesenbein, schleppte einen anderen Gott im Korb mühselig übers Eis, wurde von einer mitleidigen Alten versteckt und lief, den Kessel über den Kopf gestülpt, davon, so rasch ihn die Beine trugen. Hier übernachtet er im Handschuh des Riesen, schlägt mit der ganzen Kraft und mit immer lächerlicherem Erfolg auf den Riesen ein, läuft hungrig hinter dem zugebundenen Speisesack her, kriecht zwischen den Gitterstäben einer Burg hindurch, trinkt, daß ihm der Atem ausgeht und trinkt doch nichts, kann eine sich



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buckelnde Katze nicht aufheben und sinkt beim Ringkampf mit einer alten Frau in die Knie. Endlich scheint der Eddadichter auch die Anregung zu seiner tiefen symbolischen Auffassung aus irischen Geschichten geholt zu haben. In Irland laufen manche Geschichten um, die der unsern gleichen und die aus ähnlichen Anfängen kommen werden. Hier nennen wir davon: Vier Helden sollen einen Widder binden und können es nicht, aber eine Katze kann es. Der alte Mann, in dessen Haus sie diese Schmach erleben, tröstet sie: der Widder sei die ganze Welt, die Katze aber, die ihn bezwungen, der Tod. Und in der Nacht, als die Helden schlafen, besucht sie die Tochter des Alten, die Jugend, und keiner van ihnen kann sie festhalten; sie läßt nur für einen ein Korn der Schönheit zurück, und seitdem widersteht diesem keine Frau.

Die verwegene Gewichte der Edda erscheint bei den Iren als wehmütiges Märchen: in der Hütte des Alten ziehen in einer Nacht Heldentum und Schönheit, Jugend und Alter, Tod und Welt vorüber, und das Heldentum unterliegt, und der Tod bleibt stärker als die Welt, und die Jugend entflieht uns zu früh und die Schönheit wird nur einem Erlesenen zuteil, damit Frauen sich daran betören.

Weitverbreitete Märchen, keltische Phantasie, keltischer übermut und keltischer Tiefsinn — welch eine reiche Welt! — sind also in die Märchen von Thor und Utgardaloki gezogen. Das Verdienst des nordischen Erzählers ist der lebendige Vortrag und die geistreiche Auffassung. Besonders im letzten Teil verwandelt sich eine hübsche und derbe Volkssage in eine in überlegenem Humor, spielender Ironie, dramatischer Anschaulichkeit und geistreichen Einfällen immer neu aufblitzende Erzählung. Doch den alten Gott Thor zeigt sie uns nicht mehr, sie gefällt sich dann, einen dummen, heimtückischen Riesen zu verspotten, der des Gottes Namen trägt.

Die nordischen Aussagen über Thors Erscheinung, Umgebung



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und Verwandtschaft entsprechen genau den Sagen von Thor und haben sich ebenso entwickelt. Die germanische Vorstellung des Gottes blieb, die Dichter prägten ihre Gewalt den nordischen Hörern immer von neuem ein, auf seinem Wagen — er heißt Wagen-Thor — fährt der Gott über den Himmel, den Hammer Mjölni, den Zermalmer, hält er in der Faust, Böcke ziehen den Wagen — als Tiere der Fruchtbarkeit, oder als Tiere. die dem Blitz gleich springen? In den Sagen und jüngeren Eddaliedern fährt Thor nicht, sondern wandert unermüdlich zu Fuß, und erscheint plötzlich, wenn man ihn ruft. Die sagen schildern ihn einstimmig als schönen, stolzen Mann in seiner besten Kraft mit rötlichem Haar und Bart, im Unterschied von Odhin zeigt er sich frei und unverhüllt. Kraftgürtel und Eisenhandschuh verleihen erst späte Sagen und Lieder dem Gott, es sind Orden, wie sie das Märchen gern austeilt, und keine Mehrung, sondern eine Minderung der alten großen Kraft. — Die Erde ist, wie im Germanischen, Thors Mutter, und hieß Jördh und Fjörgyn. Ob Hlodhyn auch eine Mutter Erde war, können wir nicht entscheiden: möglich scheint uns, daß sie als Gemahlin Odhins die Mutter Thors wurde; die skaldischen und eddischen Dichter machten, kaum vor dem 9. Jahrhundert, Odhin zum Vater Thors. Eine recht künstliche Genealogie, denn wie feindselig treten in den späteren Dichtungen Odhin und Thor gegenüber! — Der Glaube an einen innigen Zusammenhang von Thor und der Erde beherrscht vor allen Dingen die Sagen von Thor, Hrungni, Aurwandil, Groa; alte, mütterliche, kluge und wahrsagende Frauen nehmen den Thor gern in Schutz. Wie eine groteske, geistreiche aber freche Umkehrung dieses religiösen Zusammenhanges erscheint uns nun der Zug, daß Thor bei Utgardaloki einen unrühmlichen Ringkampf mit einem alten Weibchen besteht. — Thors Gattin, Haewa oder Sif ist eine Göttin der Ehe und Sippe, wie wir schon wissen, Loki sucht der Sif ihre Kraft, ihr Haar zu rauben und läßt ihr



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von geschickten Zwergen ein neues, goldenes, schöneres herstellen; auch hier spielt das Märchen mit einer alten kultischen Vorstellung. — Thors Söhne, Modi und Magni, aus den Beinamen des Vaters erwachsen, herrschen im neuen Reich der Götter an des Vaters Stelle; den Magni haben die Skalden ja ebensowenig mit ihrem Spott verschont wie den Vater. Der Pflegesohn Wingni und eine Pflegetochter Hlora sind skaldische Personifikationen des geschwungenen Hammers und des zuckenden Blitzes. Thors Bruder ist Meili.

Als Tochter von Thor und Sif wird Thrud, die Kraft, erwähnt, mit ihr haben auch erst die Skalden den Gott beschenkt. Ein sehr spätes Eddalied, die Alwismal, meldet, daß ein Zwerg um diese Tochter freit, und daß Thor, den Märchenvätern gleich, die ihr Kind um keinen Preis hergeben wollen, dem Freier die schwersten Aufgaben stellt. Er verlangt von dem Zwerg Auskunft über die Namen, die alle Dinge tragen, Erde und Himmel, Mond und Sonne, Wolke und Wind, Luft und Meer, Feuer, Wald und Nacht, Saat und Trank, bei den Menschen, ben Asen, den Wanen, den Riesen, den Elben und in der Hölle. Alwis, der Allwissende, weiß überall Bescheid, doch der Gott hat ihn trotzdem überlistet, er hielt ihn durch Fragen hin, bis die Sonne aufgeht, und das Tageslicht. ihn tötet. Das ist wieder ein besonders von nördlichen und östlichen Völkern gern erzähltes, dem Traum entsprungenes Märchenmotiv, es führt uns auch in die Welt des Rätsels. Antworten der Götter durch den Mund der Zauberer und Priester auf bange Fragen der Menschen, das scheinen die ältesten Rätsel, der Glaube an die prophetische Macht des Traumes hat ihre Macht verstärkt. Im Norden spielen sich die uns erhaltenen Rätseldichtungen zwischen Gott und Zwerg, Gott und Riese, Gott und König ab, sie sind eine neue Form des Themas vom Wettkampf der Riesen und Zwerge mit den Göttern.

Die Alwismal sind außerdem ein Erzeugnis virtuoser Skalden



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kunst, eine echt isländische Verbindung oon Märchen, Rätsel und dichterischer Gelehrsamkeit. Sie verspotten, und das ist das Hübscheste an ihnen, ihre eigene Überkunst und prahlen mit ihrer Namenkenntnis und ihrer verwickelten Anlage. Diese ist den Wafthrudnismal nachgebildet, und der Rahmen, daß nämlich zwei kluge Wesen ihre Klugheit messen, und eins dem andern die Weisheit abfragt, scheint eine Erfindung irischer Poeten. Edwin Jessen sagt über die Alwismal:

Machen wir zum Verständnis des Liedes ein Gedankenexperimnent. Lassen wir eine Anzahl altertums- und skaldendichtungskundiger Isländer beisammen sein, die sich auch mit literarischen Exerzitien die Zeit vertreiben. Es wird die Aufgabe gestellt, in katechisierender Form nach Muster der Wafthrudnismal eine Sammlung von 6x13 Vergleichen und anderen Umschreibungen für Erde, Himmel, Mond, Sonne usw. zu liefern. Derjenige, dem dies zufällt, löst die Aufgabe genau, kann sich aber nicht enthalten, über diese Art der Gelehrsamkeit und Poesie ein wenig zu ironisieren. Den Gelehrten macht er zum allweisen Zwerg, der den Riesen Wafthrudni noch übertrifft, indem er auch die dreizehnte Frage beantwortet. Und der dennoch in seinem Eifer nicht bemerkt, daß sogar der ungelehrte und unweise Thor doch mehr Klugheit hat, und daß seine Gelehrsamkeit beim ersten Strahl des Tageslichts unnütz wird und in Nichtigkeit vergeht. Noch deutlicher wird die Ironie, wenn man sich erinnert, daß dieser geistige Zwerg sich einer näheren Verbindung mit den größten himmlischen Mächten fähig glaubt.

Den alten echten Thor zeigen die Alwismal natürlich nicht. Aber der Gott, den die Riesen foppen, besiegt wenigstens die Zwerge, und diesmal nicht durch rohe Kraft wie bei Balders Bestattung , sondern durch seinen Geist.

Als Gott des Bauern und des Landmanns unterschied sich der Thor der Nordleute sehr bald von Odhin, dem Gott der Fürsten und ihrer Dichter. Da beide Götter jeder ihr Gebiet für sich hatten, konnte ihre Verehrung friedlich nebeneinander bestehen, wir hören daher von manchen Männern, die den Thor und den Odhin anriefen. Auch gab es unter den Edlen und Fürsten viele, die nicht



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in den Krieg und zu Beutezügen fuhren, sondern die in der Heimat die Werke des Friedens pflegten; für sie blieb Thor der mächtigste Gott, sie legten in seinen Tempeln und vor seinen Bildsäulen ihre Opfergaben nieder.

In der Edda aber geraten Thor und Odhin in einen sehr wahrnehmbaren Gegensatz. Das Leben des Bauern ist seßhaft und still. Es spielt sich ab in einem kleinen Kreis regelmäßig wiederkehrender Pflichten und bringt immer die gleichen Eindrücke. Die nordischen Helden dagegen trieb ihre Lust an Abenteuern immer in neue Fernen, sie erfüllten sich mit immer neuen Erlebnissen, ihr Dasein wurde überreich und unstet, ihre unaufhörlichen Kämpfe zeigten ihnen den jähen und grausamen Wechsel des Geschicks. Odhin hat den ganzen Reichtum jenes Heldentums und die Tücke seines Schicksals in sich aufgenommen. Was wir von Thor hören, sind Kämpfe, und immer wieder Kämpfe, gegen Riesen und immer wieder gegen Riesen, Kämpfe, deren Ausgang man immer schon vorher wußte; die Riesen wurden jedesmal bezwungen und jedesmal ungefähr in derselben Weise, Thor war stärker und zerschlug ihnen Kopf und Knochen.

Den Dichtern der Edda und der Skalden, die in immer wechselnden Geschehnissen, in der tragischen Verkettung der Dinge, in der ewigen Ungewißheit des Daseins, in überlistung und ränkevollem, , klugem Spiel, im Glanz fürstlicher Hofhaltung lebten, konnte dieser einfache Gott nicht genügen. Sie bewunderten wohl sein Heldentum, seine überkraft, seine nie umsonst angerufene, immer gern und schnell gewährte Hilfe, und sie besangen seine Kämpfe in mächtigen Liedern, denen sie die Kraft und Pracht ihrer Vergleiche und Schilderungskunst gaben. Zugleich aber fiel es ihnen auf, daß der Gott immer durch seine Stärke allein siegte und ratlos dasaß, wenn nur Geistesgegenwart, Witz und List helfen konnten. Sie fingen früh an, ihn zu verspotten. Späteren Dichtern erschien Thor als ein unausstehlicher Prahler, und sein ewiges



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Fressen, Saufen und Raufen wurde ihnen langweilig; sie machten sich ein Vergnügen daraus, den Gott in Lagen zu bringen, aus denen er, trotz aller seiner Kraft, gedemütigt und gefoppt herauskam, oder sie behaupteten geradezu, wie bei der Szene von Balders Bestattung, daß die anderen Götter den Thor gewaltsam zurückhalten mußten, damit er durch seinen plumpen Jähzorn und sein unüberlegtes Dreinschlagen nicht unabsehbaren Schaden stifte.

Ein ganz spätes Eddalied, das Harbardslied, schildert den Gegensatz zwischen Odhin und Thor mit derbem und geistreichem, manchmal etwas verletzendem Humor. Odhin, der sich Harbard nennt, und sich als Ferge verkleidet nicht zu erkennen gibt, weigert dem von Osten kommenden Thor die überfahrt und zwingt ihn endlich, sich den Weg über Land zu suchen. Mit der zornig ausgestoßenen Behauptung, er werde sich ein andermal rächen, zieht Thor ab.

Beide Götter rühmen sich ihrer Taten, Thor weiß nur von vernichteten und erschlagenen Riesen, Riesenweibern, erwürgten Berserkern , Odhin schafft Krieg auf Krieg, erhebt die Sturmfahne, rötet den Stahl, betrügt die Riesen und betört die Frauen. Er weiß seine Erfolge so lockend zu erzählen, daß sogar den Thor darnach gelüstet, und er schmunzelnd behauptet, er beiße nicht immer wie ein alter Lederhandschuh im Frühjahr. Zugleich verhöhnt Odhin den armen Thor als Landstreicher, weil er ohne Hosen und barfuß herumlaufe, als erbärmlichen Schlucker, weil er mit Stolz erzählt, er habe sich den Leib mit Hering und Hafergrütze vollgeschlagen, dann als einen Wicht, Feigling und Prahler, dabei bleibt er immer gewandt und schlagfertig, durch keine Beschimpfung aus seiner Ruhe zu bringen, während Thor keine Antwort hat als Drohungen, Wutanfälle oder ruhmredige Worte.

Viel tiefer und ernsthafter faßt die ältere Sage von Starkad den Gegensatz oon Thor und Odhin auf.

Odhin hatte unter dem Namen Hroßharsgrani den Starkad erzogen.



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Einst träumte diesem, daß sein Pflegevater ihn an eine einsame Stelle im Walde führte, wo elf Asen saßen, die Hroßharsgani als Odhin grüßten. Sie sollten Starkads Schicksal bestimmen. Thor, der ihm als einem Riesensohn ungünstig war,, verweigerte ihm Nachkommenschaft. Odhin gab ihm drei Menschenalter, Thor sagte, er solle in jedem ein Neidingswerk tun; Odhin bestimmte ihm die besten Waffen, Thor versagte ihm Landbesitz; Odhin schenkte ihm fahrend Gut im überfluß, Thor legte hinzu, daß er niemals genug haben solle. Odhin gab ihm Sieg in jedem Streit, Thor fügte bei, daß er aus jedem eine tiefe Wunde davontragen solle; Odhin gab ihm Skaldenkunst, Thor ließ ihn seine Lieder vergessen; Odhin machte ihn beliebt bei den Mächtigen, Thor verhaßt beim Volk.



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Odhin gibt dem Starkard alles, was der Wikinger Held sich ersehnt; langes Leben, die besten Waffen, Sieg, Reichtum, Poesie und die Gunst der Könige. Thor, erfüllt von Sorgen und Kummer um sein Volk, sieht mit feindlichen Blicken auf dies Leben der Mächtigen, dessen Fluch die Unfruchtbarkeit bleibt und die Untreue , heimatloses Umherziehen, unstillbare Gier nach Schätzen, tiefe Wunden und trotz allen Ruhmes ewige Vergessenheit. Die eigenen Kräfte verzehren sich in dieser Sucht nach Krieg und Abenteuern, die den Wikinger durch die ganze Welt treibt; er vernichtet sich selbst und entzieht seine Kraft seinem Volk und seinem Land, in dem sie so viel segensreicher gedeihen können.

Ist es möglich, das Wesen vom Gott des Volkes und vom Gott der Helden klarer zu scheiden, den Ruhm und die Tragik des Wikinger Lebens erschütternder zu schildern, als diese Geschichte es scheidet und schildert, die doch nur nach alter Märchenart einen Traum zu erzählen vorgibt?

Dem Odhin hat die Dichtung der Edda Alles gegeben, ihr verklärtes Heldentum und ihre letzte Weisheit, ja sie hat ihn geschaffen . Dem Thor hat sie am Ende Alles genommen, der starke, freundliche Gott der Germanen war ihr zu gering. Sie hat ihn zu einem Kinderschreck erniedrigt, erzählte von ihm die schönsten



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Geschichten, machte über ihn vergnügte Späße und die letzten Worte, die wir von ihm hören, sind die des Harbardliedes: er war ein ohnmächtiger Prahlhans.

Die Abneigung vom Adel gegen das Volk, vom Gelehrten gegen den Ungelehrten, vom abenteuernden Wikinger gegen den seßhaften Bauern erklärte aber die Geschichte Thors im Nordischen nicht ganz, auch nicht, wenn wir noch an die Spottsucht der Isländer erinnern. Wir müssen noch eines beherzigen: Thor als der eigentliche germanische Gott war der Hauptgott des nordischen Heidentums, er vor allen mußte darum dem Christentum zum Opfer fallen, dem sich die Könige, die Skalden, die Gelehrten zuerst anschlossen. Deshalb durfte man ihn so ungestraft verhöhnen: die späten isländischen Fabeleien erhalten nun einen tieferen religionsgeschichtlichen Sinn. Spielerisch in der Form, vernichtend in der Wirkung kämpften sie gegen den Gott, der den heidnischen Germanen der liebste war, und trafen ihn mitten ins Herz. Stolzer und gefaßter ist kaum eine Religion von ihren alten Anhängern geschieden als die nordische Religion von Thor. Wir denken noch einmal an jene Sage, in der Thor schöner und ritterlicher, als alle christlichen Herren, dem christlichen König entgegentritt, ihm von Seinen Taten erzählt, von der Vertilgung aller seiner Freunde durch den neuen Glauben, ihn bitter lächelnd ansieht, und, der Rache entsagend, für immer im brausenden Meere verschwindet.


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