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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DER CHRISTLICHEN PRINZESSIN UND DEM MUSLIM

Sîdi Ibrahim ibn el-Chauwâs -Allahs Barmherzigkeit sei über ihm! —berichtete: Einstmals trieb mich mein Geist, in das Land der Ungläubigen zu ziehen; ich bekämpfte diesen Wunsch, aber er ließ sich nicht besiegen noch unterdrücken, ja, ich mühte mich sehr, einen solchen Gedanken zu vertreiben, dennoch ließ er sich nicht austreiben. So machte ich mich denn auf, durchquerte ihre Auen und zog umher in ihren Gauen, indem Gottes Gnade mich mit Mut erfüllte und Seine Güte mich in ihren Schutz einhüllte ;jedesmal, wenn ich einen Christen traf, wandte er seinen Blick von mir ab und ging mir aus dem Wege, bis ich schließlich zu einer ihrer Hauptstädte kam. Dort fand ich am Tor eine Menge von schwarzen Sklaven; die waren mit Rüstungen angetan und trugen eherne Keulen in den Händen. Als sie mich erblickten, standen sie auf und fragten mich: ,Bist du ein Arzte' ,Jawohl!' erwiderte ich; und sie



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fuhren fort: ,So folge dem Rufe des Königs!' und führten mich zu ihm. Und siehe da, er war ein Herrscher, aus dem die Würde spricht, und ein Mann von schönem Angesicht. Wie ich zu ihm eingetreten war, blickte er mich an und fragte: ,Bist du ein Arzt?' ,Jawohl!' gab ich zur Antwort. Darauf sagte er: ,Führt ihn zu ihr und macht ihn mit der Bedingung bekannt, ehe er zu ihr eintritt!' Nun führten sie mich hinaus und sprachen zu mir: ,Wisse, der König hat eine Tochter, die von einer schweren Krankheit befallen ist, und die Ärzte vermögen sie nicht zu heilen. Wenn aber ein Arzt zu ihr geht, um sie zu heilen, und wenn dann seine Heilkunst nichts nützt, so läßt der König ihn töten. Nun sieh zu, was du tun willst!' Ich erwiderte ihnen: ,Der König hat mich zu ihr geschickt; also führt mich zu ihr hinein!' Dann brachten sie mich vor ihre Tür; und wie ich dort stand, klopften sie an. Da rief sie von drinnen: ,Führt ihn zu mir herein, den heilkundigen Mann, der das wunderbare Geheimnis verstehen kann!' Und sie sprach die Verse:

Öffnet die Tür; denn der Arzt ist gekommen!
Schaut auf das seltne Geheimnis in mir!
Oft ist der Nahe doch weit in der Ferne;
Oft ist der Ferne doch nahe bei dir.
Wahrlich, ich lebte bei euch nur als Fremdling;
Jetzo will Gott seinen Trost mir verleihn.
Uns hat die Glaubensgemeinschaft verbunden;
Freund mit dem Freunde, sind wir im Verein.
Als er mich in seine Nähe gerufen,
Hielten der Tadler und Späher uns fern.
Laßt euer Schelten, hört auf mich zu tadeln!
Weh euch, ich antworte doch nicht, ihr Herrn.
Mich kümmert nicht das Flüchtige, das Unzulängliche;
Mein Ziel ist nur das Bleibende, das Unvergöngliche.



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Da machte - so berichtete der Erzähler - ein hochbetagter Greis eiligst die Tür auf und rief: ,Tritt ein!' Als ich eingetreten war, sah ich mich in einem Raum, der mit allerlei duftenden Kräutern bestreut war und wo in der einen Ecke ein Vorhang niederhing. Hinter ihm erklang eine schwache Stimme, stöhnend vor Gram, die aus einem abgezehrten Leibe kam. Ich setzte mich gegenüber dem Vorhange nieder und wollte gerade den Friedensgruß aussprechen, da dachte ich an das Wort dessen, dem Allah Segen und Heil spenden möge: ,Saget den Juden und Christen nicht zuerst den Friedensgruß! Und wenn ihr ihnen auf der Straße begegnet, so drängt sie auf die schmalste Stelle!' Ich hielt also an mich, doch da rief sie hinter dem Vorhang: ,Wo bleibt, o Chauwâs, der Gruß der Einheit und Reinheit?' Darüber war ich erstaunt, und so fragte ich sie: ,Woher kennst du mich?' Sie antwortete: ,Sind Herz und Gedanken gesund, so sprechen die geheimen Winkel der Seelen mit beredtem Mund. Gestern habe ich Ihn gebeten, mir einen seiner Heiligen zu senden, durch dessen Hand mir Befreiung zuteil würde: und da rief es mir aus den Winkeln meines Gemaches entgegen: ,Sei unbesorgt! Wir wollen Ibrahim el-Chauwâs zu dir senden!' Nun fragte ich sie: ,Was ist es mit dir?' Und sie erzählte mir: ,Schon seit vier Jahren ist mir die klare Wahrheit' offenbar geworden, Er, der Verkünder und traute Gefährte, der Nahebringer und als Freund Bewährte. Da hielten die Meinen mit den Augen über mich Wacht und hegten wider mich mancherlei Verdacht, ja, sie glaubten, ich sei in des Teufels Macht. Es gab keinen Arzt, der in mir, wenn er zu mir kam, nicht Kummer erweckte, und keinen Besucher, der mich nicht erschreckte.' Ich fragte sie: ,Wer hat dich zu der Kenntnis geleitet, die du besitzest?' Sie erwiderte: ,Seine



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Beweise, die wahren, und seine Zeichen, die klaren. Und hast du den Weg erst deutlich gesehn, so kannst du den Beweis und den Beweiser bald selbst verstehn.' Während wir so miteinander sprachen, kam plötzlich der Alte, dessen Obhut sie anvertraut war, und fragte: ,Was hat dein Arzt ausgerichtet?' Sie antwortete: ,Er hat die Krankheit erkannt und das Heilmittel gefunden.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 487. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Alte, dessen Obhut sie anvertraut war, sie fragte, als er zu ihr eintrat: ,Was hat dein Arzt ausgerichtet?' Sie antwortete: ,Er hat die Krankheit erkannt und das Heilmittel gefunden.' Da ward mir von ihm hohe Freude bezeigt, und er sprach zu mir liebevoll und wohlgeneigt. Dann begab er sich zum König, um ihm Bericht zu erstatten, und der schärfte ihm ein, mich mit aller Ehre zu behandeln. Sieben Tage lang besuchte ich sie in ihrem Gemache; und schließlich sprach sie zu mir: ,O Abu Ishâk, wann sollen wir nach dem Lande des Islams auswandern?' Da fragte ich: ,Wie kannst du hinausgelangen? Wer kann dergleichen wagen?' ,Er, der dich zu mir hereingeführt und zu mir getrieben hat', antwortete sie; und ich sagte: ,Du hast trefflich geredet.' Als es wieder Morgen ward, zogen wir beide zum Tore der Burg hinaus, und aller Augen verhüllte vor uns Er, ,dessen Befehl ist, so er ein Ding will, daß er zu ihm spricht: Werde! und es wird."Und der Erzähler schloß mit den Worten: Nie hab ich einen Menschen gekannt, der fester als sie im Fasten und im Gebete stand; sie harrte bei Allahs heiligem Haus sies.



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ben lange Jahre aus. Und nachdem sie aus diesem Leben geschieden, fand sie in mekkanischer Erde den Grabesfrieden - möge Allah seine Gnaden auf sie herniedersenden und dem, der diese Verse gesprochen, sein Erbarmen zuwenden:

Als sie den Arzt mir brachten, mir, an der die Zeichen
Sich kundgetan, ein Tränenstrom und Siechtum auch,
Hob er den Schleier mir vom Antlitz und entdeckte
Darunter weder Leib noch Geist. nur einen Hauch.
Er sprach zu ihnen: Das zu heilen ist unmöglich;
Und was die Liebe birgt, ist höher denn Verstand.
Sie sagten: Wenn der Mensch das Leiden nicht erkannte
Und wenn es nicht in klaren Worten Ausdruck fand,
Wie kann die Heilkunst dann dem Kranken Hilfe bringen? Laßt mich, sprach ich, durch Denken kann ich's nicht erzwingen!

Ferner wird erzählt


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