Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839 ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 1

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DES DRITTEN BETTELMÖNCHES

Ich hinein König, der Sohn eines Königs. Als mein Vater starb, übernahm ich die Herrschaft nach ihm. Und ich regierte in Gerechtigkeit und Wohlwollen gegen die Untertanen. Nun hatte ich eine Vorliebe dafür, zu Schiff auf dem Meere zu fahren; denn meine Stadt lag am Meere, und die See dehnte sich weit aus von dort. Um uns lagen viele große Inseln mitten im Meere; und ich hatte auf dem Wasser fünfzig Handelsschiffe, fünfzig kleinere Schiffe zu Lustfahrten und hundertundfünfzig Galeeren bereit zum Krieg und zum Glaubenskampf. Einmal wollte ich eine Lustfahrt zu den Inseln machen, und so zog ich mit zehn Schiffen aus und nahm Vorräte für einen ganzen Monat mit. Ich war schon an die zwanzig Tage auf der Fahrt, da, eines Nachts, erhoben sich widrige Winde gegen uns, und das Meer schwoll in ungeheuren Wogen gegen uns empor; die Wellen peitschten einander, und wir gaben uns schon verloren. Nun kam auch noch dichte Finsternis über uns, da rief ich aus: ,Wer sich in Gefahr begibt, wird nicht gelobt, auch wenn er gerettet wird.' Und wir beteten zu Allah dem Erhabenen und flehten ihn an; aber die Winde hörten nicht auf, gegen uns zu wüten, noch die Wogen, uns zu peitschen, bis der Morgen anbrach; da legte sich der Wind, das Meer beruhigte sich, und es schien die Sonne. Dann erreichten wir eine Insel; wir stiegen



1000-und-1_Vol-01-163 Flip arpa

ans Land, kochten ein wenig zum Essen, verspeisten es und ruhten uns zwei Tage aus. Drauf stachen wir wieder in See und segelten wieder an die zwanzig Tage; da lief uns die Strömung zuwider, und dem Kapitän ward das Meer fremd. Wir aber sagten zu dem Wächter: ,Steig in den Mastkorb und halt Umschau auf dem Meere!' Alsbald kletterte der Wächter den Mast hinauf und spähte aus und rief dem Kapitän zu: ,O Kapitän, ich sehe zu meiner Rechten Fische auf der Oberfläche des Wassers, und mitten auf dem Meere sehe ich etwas Dunkles, das bald schwarz, bald weiß erglänzt.' Als der Kapitän die Worte des Wächters hörte, schleuderte er seinen Turban auf das Deck, riß sich den Bart aus und rief der Mannschaft zu: ,Höret die frohe Botschaft von unser aller Untergang! Kein einziger von uns wird mit dem Leben davonkommen!' Und er begann zu weinen, und wir alle weinten um unser Leben; und ich sagte: ,O Kapitän, tu uns kund, was der Wächter sah.' ,O mein Gebieter', erwiderte er, ,wisse, daß wir den Kurs verloren an dem Tage, an dem die Winde sich gegen uns erhoben und die ganze Nacht bis zum Morgen wehten; dann hielten wir uns zwei Tage auf, verloren aber unseren Weg auf dem Meere. Jetzt fahren wir schon elf Tage seit jener Nacht in die Irre, und wir haben keinen Wind, der uns dorthin zurückbringt, wohin wir fahren wollen. Morgen abend werden wir zu einem Berge kommen aus schwarzem Stein, der heißt der Magnetberg; die Strömungen reißen uns, ob wir wollen oder nicht, hin zu seinem Fuße. Dort wird das Schiff bersten, und jeder Nagel des Schiffes wird zu dem Berge hinfliegen und sich an ihn heften; denn Allah der Erhabene hat den Magnetstein mit einer geheimnisvollen Kraft begabt, so daß alles, was Eisen ist, auf ilm zufliegt. An diesem Berge hängt so viel Eisen, daß niemand es zu zählen vermag als Allah der Erhabene; denn



1000-und-1_Vol-01-164 Flip arpa

es sind seit uralten Zeiten viele Schiffe an jenem Berge zerbrochen. Über dem Meere aber erhebt sich eine Kuppel aus Messing, auf zehn Säulen errichtet; und auf der Kuppel steht ein Reiter, dessen Roß aus Kupfer ist. In der Hand jenes Reiters ist eine Lanze aus Kupfer, und auf seiner Brust hängt eine Tafel aus Blei, in die Namen und Talismane gegraben sind.' Und weiter sprach er zu mir: ,O König, kein anderer vernichtet die Menschen als jener Reiter auf dem Roß, und es gibt kein Entrinnen, als bis dieser Reiter von jenem Rosse stürzt.' Darauf, o meine Herrin, weinte der Schiffsführer bitterlich, und wir waren sicher, daß wir dem Untergange unrettbar verfallen waren; wir boten daher, ein jeder seinem Freund, Lebewohl und vertrauten ihm unser Testament, für den Fall, daß etwa er gerettet würde. Jene Nacht hindurch schliefen wir nicht; und als der Morgen anbrach, waren wir dem Berge schon näher gekommen, und die Wasser trieben uns mit Gewalt auf ihn zu. Als dann die Schiffe an seinem Fuße waren, barsten sie, die Nägel flogen heraus, und alles Eisen in ihnen strebte dem Magnetfelsen zu und heftete sich an ihn; und gegen Ende des Tages trieben wir rings um den Berg herum. Einige von uns ertranken, andere retteten sich. Aber derer, die von uns ertranken, waren mehr; und auch die, so mit dem Leben davonkamen, wußten nichts voneinander, denn die Wellen und die widrigen Winde hatten sie verschlagen. Mich aber, o meine Herrin, sparte Allah der Erhabene auf für all die Mühsal, Not und Pein, die er mir bestimmt hatte. Ich kletterte auf eine der umherschwimmenden Planken, der Wind trieb sie dahin, und ich konnte mich an den Berg anklammern. Dort fand ich einen Weg, der zum Gipfel führte, einer Treppe gleich in den Fels gehauen. Und ich rief den Namen Allahs des Erhabenen an.'——«



1000-und-1_Vol-01-165 Flip arpa

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 15. Nacht anbrach, sprach sie: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der dritte Bettelmönch, während die übrigen Gäste festgebunden dasaßen und die Sklaven dabeistanden, die Schwerter über ihren Häupten gezückt, der Dame also weitererzählte: ,Nachdem ich den Namen Allahs angerufen und inbrünstig zu ihm gebetet hatte, klammerte ich mich an die Stufen, die in den Stein gehauen waren, und langsam kam ich empor. Allah gebot, daß sich in diesem Augenblick die Winde beruhigten, und er half mir beim Aufstieg, so daß ich unversehrt den Gipfel erreichte. Dort hatte ich nun keinen anderen Weg mehr als den zur Kuppel. Ich war hocherfreut über meine Rettung, trat in die Kuppel ein, vollzog die religiöse Waschung und warf mich zweimal anbetend nieder aus Dank gegen Allah, der mich errettet hatte. Dann schlief ich ein in der Kuppel und hörte im Traume eine Stimme, die sprach: ,O Sohn des Chadîb! Wenn du aus deinem Schlaf erwachst, so grabe zu deinen Füßen, und du wirst einen Bogen aus Messing finden und drei Pfeile aus Blei, auf die Talismane eingegraben sind. Nimm den Bogen und die Pfeile und schieß nach dem Reiter, der auf der Kuppel steht, und befreie die Menschen von diesem großen Unheil. Und wenn du den Reiter getroffen hast, so wird er ins Meer hinabstürzen; auch der Bogen wird dir aus der Hand fallen, aber heb ihn auf und vergrab ihn an seiner Stätte. Darauf wird das Meer anschwellen und steigen, bis es den Bergesgipfel erreicht, und auf ihm wird ein Boot erscheinen mit einem Mann aus Kupfer, einem anderen, als den du schossest. Er wird zu dir kommen mit einem Ruder in der Hand, und du steige ein zu ihm, aber nenne den Namen Allahs des Erhabenen nicht. Er wird rudern und mit dir fahren zehn



1000-und-1_Vol-01-166 Flip arpa

Tage lang, bis er dich in das Meer der Rettung bringt; wenn du dort angekommen bist, so wirst du jemanden finden, der dich in deine Heimat bringt. All dies wird sich dir erfüllen, wenn du den Namen Allahs nicht nennst.' Dann erwachte ich, erhob mich rasch und tat, wie mir die geheimnisvolle Stimme gesagt hatte. Ich schoß auf den Reiter und traf ihn. Da fiel er ins Meer, aber der Bogen fiel neben mir nieder; ich nahm ihn und vergrub ihn. Und alsbald brandete das Meer auf und stieg, bis es den Gipfel des Berges und mich erreichte; und ich hatte nicht lange zu warten, bis ich ein Boot von der hohen See her auf mich zukommen sah. Da dankte ich Allah dem Erhabenen. Und als das Boot näher kam, sah ich darin einen Mann aus Kupfer und auf seiner Brust eine Tafel aus Blei, beschrieben mit Zaubernamen und Talismanen; und schweigend, ohne ein Wort zu sprechen, stieg ich zu ihm ein. Nun ruderte der Mann mit mir fort, und ruderte den ersten Tag und den zweiten und den dritten, bis die zehn Tage vollendet waren. Da blickte ich auf und sah die Inseln der Rettung vor mir. Ich war hocherfreut, und im Übermaß meiner Freude nannte ich Allah; ich rief: ,Im Namen Gottes! Es gibt keinen Gott außer Allah! Gott ist der Größte.' Wie ich das getan hatte, kenterte das Boot und warf mich ins Meer; und es richtete sich wieder auf und versank in die Tiefe. Ich verstand aber zu schwimmen, und so schwamm ich jenen ganzen Tag hindurch bis zum Einbruch der Nacht. Da versagten meine Arme, und meine Schultern erlahmten; ich war ermattet und dem Ende nahe, und da ich den sicheren Tod vor Augen sah, sprach ich das Glaubensbekenntnis. Immer noch schwoll das Meer unter der Gewalt der Winde, und plötzlich kam eine Welle, so hoch wie eine mächtige Burg; die hob mich hoch empor und warf mich durch die Luft -da war ich auf trockenem Lande, nach dem Willen Allahs.



1000-und-1_Vol-01-167 Flip arpa

Nun kroch ich den Strand hinauf und preßte meine Kleider aus und breitete sie hin zum Trocknen; dann brachte ich die Nacht dort zu. Als es tagte, zog ich meine Kleider an und stand auf, um auszuspähen, wohin ich gehen sollte. Da fand ich eine Niederung, ging zu ihr hin und um sie herum und sah, daß die Stätte, an der ich mich befand, eine kleine Insel war, rings vom Meer umgeben. Und ich sprach zu mir selber: ,Ich komme doch immer von einer Not in die andre!' Aber als ich noch nachsann über mein Schicksal und mir den Tod herbei wünschte, siehe, da sah ich fern ein Schiff, in dem Menschen waren und das auf die Insel steuerte, auf der ich mich befand. Da machte ich mich auf und kletterte auf einen Baum. Denn schon landete das Schiff, und aus ihm heraus stiegen zehn schwarze Sklaven, die eiserne Hacken bei sich trugen. Sie gingen, bis sie zur Mitte der Insel kamen. Dort gruben sie in dem Erdboden und legten eine Platte bloß. Die Platte hoben sie auf, und das war nun eine offene Tür. Dann kehrten sie zum Schiffe zurück und brachten von dort Brot, Mehl, Butter, Honig, Schafe und Geschirr, alles, was man für eine Wohnung nötig hat. Immerfort liefen die Sklaven herbei und zogen wieder hinab zum Schiffe, kehrten zurück vom Schiffe und stiegen hinab in die Grube, bis sie alles, was auf dem Schiffe war, dorthin geschafft hatten. Darauf endlich kamen sie herbei mit den allerschönsten Kleidern, und in ihrer Mitte war ein uralter Mann. Der war zu dem geworden, was noch von ihm übrig war; denn die Zeit hatte ihn hart mitgenommen, und er sah aus, als ob er schon tot sei. Er trug ein Gewand, das aus blauen Fetzen bestand, durch das nach West und Ost der Wind hindurchpfiff. Von ihm sagt der Dichter:

Die Zeit erschreckt - o welch ein Schreck!
Die Zeit hat Kraft und bleibt bestehn;



1000-und-1_Vol-01-168 Flip arpa

Einst konnt ich gehn und war nicht krank,
Heut bin ich krank und kann nicht gehn.

Die Hand des Alten lag in der Hand eines Jünglings, der schien, als sei er gegossen in der Form der Lieblichkeit, der Anmut und der Vollkommenheit, so daß seine Schönheit zum Sprichwort ward weit und breit; wie ein Reis so zart war seine Art, er bezauberte jedes Herz durch seine liebliche Gestalt, und durch seinen zärtlichen Blick zwang er jeden Sinn in seine Gewalt. Wie der Dichter von ihm sprach, als er sang:

Man brachte die Schönheit, um ihn zu vergleichen;
Da senkte die Schönheit beschämt ihr Haupt.
Man sprach: O Schönheit, sahst du dergleichen?
Sie rief: Das zu sehn hört ich nie geglaubt.

Sie gingen nun weiter, o Herrin, bis sie zu der Falltür kamen; alle stiegen durch die Falltür hinab und blieben eine Stunde oder noch länger verschwunden. Schließlich aber kamen die Sklaven und der Greis wieder heraus, doch der Jüngling war nicht bei ihnen. Dann legten sie die Platte wieder so hin, wie sie vorher gewesen war, bestiegen das Schiff und schwanden mir aus den Augen. Als sie nun fort waren, stieg ich vom Baum herab, ging zu der zugeschütteten Stelle, grub in der Erde und schaffte sie beiseite; aber ich mußte meine Geduld zügeln, bis ich alle Erde weggeschafft hatte. Da ward die Falltür bloßgelegt; sie war aus Holz und von der Größe eines Mühlsteins; und als ich sie aufhob, ward darunter eine steinerne Wendeltreppe sichtbar. Ich staunte darüber und stieg die Treppe hinab, bis ich bei ihrem Ende anlangte, und fand eine schöne Halle, ausgestattet mit allerlei Teppichen und Seidenstoffen. Dort saß der Jüngling auf einem erhöhten Lager, gelehnt gegen ein rundes Kissen, in der Hand einen Fächer und vor sich Blumen und süßduftende Kräuter; doch er war ganz allein. Als er mich



1000-und-1_Vol-01-169 Flip arpa

sah, erbleichte er; ich aber grüßte ihn und sprach zu ihm: ,Sei ruhigen Herzens und unbesorgt, nichts Arges soll dir nahen; ich bin ein Mensch wie du und der Sohn eines Königs. Das Schicksal führte mich zu dir, um dich in deiner Einsamkeit aufzuheitern. Doch was ist dir geschehen, was ist dir widerfahren, daß du so allein unter der Erde wohnstr' Als er sicher war, daß ich wie er zum Menschengeschlecht gehörte, freute er sich, und seine Farbe kehrte zurück; und er bat mich, näherzutreten, und sagte: ,Mein Bruder, meine Geschichte ist seltsam, und sie ist diese: Mein Vater ist ein Juwelenhändler und hat einen großen Handel und schwarze und weiße Sklaven; Kaufleute reisen für ihn auf Schiffen mit den Waren bis zu den fernsten Ländern, mit Kamelkarawanen und reichen Gütern; aber er wurde nie mit einem Kinde gesegnet. Nun träumte er einmal, ihm werde ein Sohn geschenkt werden, doch werde der nicht lange leben; und am nächsten Morgen wachte mein Vater weinend und klagend auf. In der folgenden Nacht empfing mich meine Mutter, und mein Vater schrieb sich den Tag ihrer Empfängnis auf. Als dann ihre Zeit erfüllet war, gebar sie mich; mein Vater freute sich und gab Gastmähler und speiste die Fakire und die Armen, weil er am Ende seines Lebens noch mit mir gesegnet wurde. Dann versammelte er die Sterndeuter und die Männer, die da die Stellungen der Planeten kannten, und die Weisen der Zeit und solche, die in Berechnungen und Horoskopen erfahren waren; die stellten mein Horoskop und sagten zu meinem Vater: ,Dein Sohn wird bis zu seinem fünfzehnten Jahre leben, aber dann droht ihm Gefahr; wenn er sie übersteht, so wird er noch lange Zeit am Leben bleiben. Was ihm mit dem Tode droht, ist dieses: Im Meere der Gefahren erhebt sich der Magnetberg; auf seinem Gipfel befindet sich ein Reiter auf einem Rosse aus Kupfer, und auf der Brust des Reiters hängt



1000-und-1_Vol-01-170 Flip arpa

eine Tafel aus Blei. Fünfzig Tage, nachdem dieser Reiter von seinem Rosse fällt, wird dein Sohn sterben, und töten wird ihn der, der den Reiter herabschießt, ein Fürst namens 'Adschîb, Sohn des Chadîb.' Da ward mein Vater sehr traurig; dann zog er mich auf und gab mir eine vortreffliche Erziehung, bis ich fünfzehn Jahre alt war. Nun erreichte ihn vor zehn Tagen die Nachricht, daß der Reiter ins Meer gefallen sei und daß der, der ilm herabschoß, 'Adschîb, Sohn des Königs Chadîb, heiße. Da fürchtete mein Vater, daß ich sterben müsse, und brachte mich an diesen Ort. Dies ist meine Geschichte und der Grund, weshalb ich allein bin.' Als ich seine Geschichte gehört hatte, war ich erstaunt und sprach zu mir selbst: ,Ich habe ja all dies getan; aber bei Allah, ich werde ihn nie und nimmer töten!' Dann sprach ich zu ihm: ,Mein Herr, ferne sei dir Krankheit und Unheil, und so Gott der Erhabene will, sollst du keine Sorge leiden, und Gram und Unruhe sollen dich meiden! Ich will bei dir bleiben und dir ein Diener sein und dann meines Weges ziehen; wenn ich dir also während dieser Tage Gesellschaft geleistet habe, mögest du mir ein Geleit von Mamluken geben, mit denen ich in mein Land zurückreise.' Darauf setzte ich mich zu ihm bis zum Abend; und dann erhob ich mich, zündete eine große Kerze an und richtete die Lampen. Wir setzten uns zusammen, nahmen etwas von den Speisen und aßen; dann holte ich etwas von den Süßigkeiten, und wir aßen auch davon. Nun blieben wir im Gespräch miteinander sitzen, bis der größere Teil der Nacht vergangen war; dann legte er sich nieder zur Ruhe, und ich deckte ihn zu und ging selber schlafen. Und am nächsten Morgen stand ich auf, wärmte Wasser und rief ihn leise, so daß er erwachte; dann brachte ich ihm das warme Wasser, und er wusch sich das Gesicht und sagte zu mir: ,Mögest du mit Gutem belohnt werden, o Jüngling! Bei Allah,



1000-und-1_Vol-01-171 Flip arpa

wenn ich dieser Gefahr entgehe und gerettet werde vor dem, der da heißet 'Adschîb, Sohn des Chadîb, so werde ich meinen Vater bitten, dich zu belohnen; wenn ich aber sterbe, so liege mein Segen auf dir.' Ich antwortete ihm: ,Möge es nie einen Tag geben, an dem dir Arges widerfährt; und möge Allah meinen letzten Tag vor deinem letzten Tag erscheinen lassen!' Darauf holte ich etwas von den Speisen, und wir aßen; dann bereitete ich ihm Weihrauch, und er nahm ein Rauchbad. Auch machte ich ein Steinchenspiel für ihn, und wir spielten miteinander. Nachher aßen wir etwas von den Süßigkeiten und spielten wieder bis zum Abend. Dann zündete ich die Lampen an, holte etwas von den Speisen, setzte mich nieder und erzählte ihm Geschichten, bis nur noch wenig von der Nacht übrig war. Schließlich legte er sich nieder zur Ruhe, und ich deckte ihn zu und ging selber schlafen. Und so fuhr ich fort, o meine Herrin, Tag und Nacht; ich gewann ihn von Herzen lieb und tröstete mich über meine Sorgen, indem ich bei mir sprach: ,Die Sterndeuter haben gelogen; bei Allah, ich will ihn nicht töten.' Immerfort bediente ich ihn, aß mit ihm und erzählte ihm Geschichten, neununddreißig Tagelang. Am Abend vor dem vierzigsten Tage freute der Jüngling sich und rief: ,Mein Bruder, Preis sei Allah, der mich vom Tode errettet hat, und das durch deinen Segen und den Segen der Begegnung mit dir; und ich bete zu Allah, daß er dich wieder in deine Heimat führe. Aber jetzt, mein Bruder, möchte ich, du wärmtest mir etwas Wasser, damit ich mich waschen und baden kann!' Ich rief: ,Mit großer Freude'; und ich wärmte Wasser in Menge, schüttete es über ihn, wusch ihm den ganzen Leib tüchtig mit schäumendem Lupinenmehl, salbte ihn und rieb ihn ab, wechselte ihm seine Kleider und breitete ein weiches Bett für ihn aus. Da erhob sich der Jüngling und legte sich nieder auf das



1000-und-1_Vol-01-172 Flip arpa

Bett, um nach dem Baden zu ruhen. Und er sagte zu mir: ,Mein Bruder, zerschneide uns eine Wassermelone und löse ein wenig Zuckerkand darin auf.' Ich ging in den Vorratsraum, sah dort eine schöne Melone, die auf einer Schüssel lag, und rief ihm zu: ,O mein Gebieter, hast du nicht ein Messer?' ,Hier ist es', erwiderte er, ,auf der hohen Borte mir zu Häupten.' Ich eilte dorthin und nahm das Messer, indem ich es beim Griff faßte; aber als ich zurücktrat, stolperte mein Fuß, und ich stürzte schwer auf den Jüngling, mit dem Messer in der Hand. Und so erfüllte das Messer rasch das, was in der Ewigkeit geschrieben stand, und drang in das Herz des Jünglings. Er starb sofort, sein Leben war erloschen. Als ich sah, daß ich ihn getötet hatte, schrie ich laut auf, schlug mir das Gesicht, zerriß meine Kleider und sagte: ,Wahrlich, wir sind Allahs Geschöpfe, und zu ihm kehren wir zurück, o ihr Muslime! Dieser Jüngling war von dem Augenblicke der Gefahr, den die Sterndeuter und Weisen für den vierzigsten Tag angegeben hatten, nur noch durch eine Nacht getrennt; und der vorbestimmte Tod dieses Schönen sollte aus meiner Hand kommen. Wollte der Himmel, ich hätte nicht versucht, die Melone zu schneiden. Welch ein Unstern! Welche Trübsal! Doch Allah möge vollenden, was geschehen sollte!' — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 16. Nacht anbrach, fuhr sie fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Adschîb der Dame also weiter erzählte: ,Und als ich sicher war, daß ich ihn getötet hatte, stand ich auf und stieg die Treppe empor, legte die Falltür wieder an ihre Stelle und bedeckte sie mit Erde. Dann blickte ich aufs Meer hinaus und sah das Schiff durch die Wasser schneiden und auf die Insel zuhalten. Und ich erschrak und sagte: ,Jetzt werden sie



1000-und-1_Vol-01-173 Flip arpa

kommen und den Jüngling tot antreffen; dann werden sie wissen, daß ich ihn getötet hatte, und ganz sicher werden sie mich töten.' Darum ging ich zu einem hohen Baum, kletterte hinauf und verbarg mich in seinen Blättern; und kaum saß ich auf dem Baume, da stiegen die Sklaven mit dem Greise, dem Vater des Jünglings, an Land und gingen auf die Stelle zu. Sie schaufelten die Erde beiseite, fanden die Falltür, stiegen hinab und sahen den Jüngling daliegen, das Antlitz noch strahlend vom Bade, gekleidet in reine Gewänder, und das Messer tief in der Brust. Da schrien sie laut und weinten, schlugen sich die Gesichter und riefen Weh und Verderben. Der Greis aber fiel in eine lange Ohnmacht, und die Sklaven glaubten, er würde seinen Sohn nicht überleben. Dann hüllten sie den Jüngling in seine Kleider und deckten ihn mit einem seidenen Leichentuch zu. Nun machten sie sich auf, um zum Schiffe zurückzukehren, und auch der Greis erhob sich. Als er aber seinen Sohn daliegen sah, sank er zu Boden und streute sich Staub auf den Kopf, schlug sich das Gesicht und raufte sich den Bart aus; und stärker nur wurde sein Weinen, als er des ermordeten Sohnes gedachte, und nochmals sank er in Ohnmacht. Dann kam ein Sklave und brachte eine seidene Decke; sie legten den Alten auf ein Polster und setzten sich zu seinen Häupten. All das geschah, während ich in dem Baume über ihnen saß und sah, was vorging; und das Herz wurde mir von dem Kummer und dem Schmerz, den ich erlitt, grau, ehe mein Haupt ergraute; und ich sprach die Verse:

Wie manche Gnade Allahs ist so tief versteckt,
Daß der Verstand des Weisen selbst sie nicht entdeckt!
Wie mancher Morgen hebt für dich mit Trauer an;
Und doch - am Abend kommt zu dir die Freude dann!
Wie manches Glück erscheint doch erst nach einem Schmerz,
Befreiet dann von Kummer das bedrängte Herz!



1000-und-1_Vol-01-174 Flip arpa

Aber der Alte, o meine Herrin, erwachte nicht aus seiner Ohnmacht bis nahe vor Sonnenuntergang; als er dann zu sich kam und auf seinen Sohn blickte und daran dachte, was geschehen war und was er gefürchtet hatte, da warf er sich auf ihn, und er schlug sich das Gesicht und das Haupt und sprach diese Verse:
Das Herz ist seit der Trennung von dem Geliebten zerbrochen;
Seht doch, wie meine Tränen mir aus den Augen rinnen!
Es schwand die Sehnsucht mit ihm in die Ferne und, ach, mein Leid!
ich weiß nicht, was soll ich nun sagen, was soll ich beginnen?
O hätte ich ihn doch nie in meinem Leben gesehn!
Jetzt ist meine Kraft dahin, mir sind alle Wege verschlossen.
Wie kann ich denn einen Trost noch finden, da Feuerbrand
Der Liebe in mein Herz mit lodernder Flamme geflossen?
O hätte doch das Geschick des Todes ihn so ereilt,
Daß zwischen uns keine Trennung mehr sei für alle Zeiten!
Ich bitte dich, o Allah, sei du doch gütig mit uns,
Vereine mich mit ihm in alle Ewigkeiten!
Wie schön erging es uns, als dasselbe Dach uns umfing
Und wir in sorglosen, Glück hinlebten innig verbunden,
Bis wir getroffen wurden vom Trennungspfeil, der uns schied!
Und wer ist's, den die Pfeile der Trennung nicht verwunden?
Ja, da traf den Liebsten der Menschen das böse Geschick;
Der einzige seiner Zeit lag da in Schönheit verkläret.
Ich sprach zu ihm, doch die Sprache des Schicksals kam mir zuvor:
Mein Sohn, o wäre doch nie ein solches Ziel uns bescheret!
Wo ist der Weg, auf dem ich dich eilends treffen kann?
O könnt ich für dich, mein Sohn, die Seele als Lösegeld zahlen!
Nenn ich dich Mond? Doch nein -des Mondes Licht vergeht.
Oder neue, ich dich Sonne? Doch nein -die Sonne verliert ihre Strahlen.
Ach, meine Trauer um die!,, und ach, mein Schmerz ob der Zeit!
Dich kann mir keiner ersetzen! Wer wäre je deinesgleichen?
Dein Vater sehnt sich nach dir, und doch, seit dich der Tod
Umfangen hat, kann ich dich,, acht, nie und nimmer erreichen!
Das Auge der Neider ist's, das heut uns getroffen hat.
Die ernten, was sie gesät. Weh über die schändliche Tat!



1000-und-1_Vol-01-175 Flip arpa

Dann tat er einen einzigen Seufzer, und seine Seele verließ seinen Leib. Da schrien die Sklaven laut: ,Weh, unser Herr!', und sie warfen sich Staub auf den Kopf und weinten noch lauter. Und Seite an Seite trugen sie ihren Herrn und seinen Sohn zum Schiff hinab. Darauf setzten sie Segel und schwanden mir aus den Augen. Ich aber stieg von dem Baum, ging durch die Falltür hinab und gedachte des Jünglings; ich sah, was noch von seinen Sachen dort war, und sprach diese Verse:
Ich sehe ihre Spuren, und ich vergehe vor Sehnsucht;
An ihren verlassenen Stätten vergieße ich meine Zähren.
Und ich bitte den, der meinen Weggang von ihnen beschlossen,
Er möge eines Tages mir gnädig die Heimkehr gewähren.

Und dann, o Herrin, ging ich durch die Falltür hinaus; bei Tage streifte ich auf der Insel umher, und bei Nacht kehrte ich in die unterirdische Halle zurück. So lebte ich einen Monat lang und sah oft auf die Seite der Insel hinaus, die gegen Westen lag. Denn dort pflegte an jedem Tage, der verging, das Meer trockener zu werden, bis des Wassers auf der Westseite ganz wenig ward und die Strömung aufhörte. Und als der Monat vorüber war, war das Meer in jener Richtung ganz ausgetrocknet. Da freute ich mich und fühlte mich meiner Rettung sicher. So stand ich auf und durchschritt das flache Wasser, das noch blieb, und kam zum Festland; dort aber traf ich auf große Haufen losen Sandes, in den selbst ein Kamel bis an die Knie eingesunken wäre. Doch ich faßte mir Mut und watete durch den Sand, und siehe, in der Ferne leuchtete mir mit blendendem Licht ein Feuer. Ich ging darauf zu, da ich hoffte, Hilfe zu finden, und sprach diese Verse:

Vielleicht, daß das Geschick noch seinen Zügel wendet
Und doch noch Gutes bringet trotz der Zeiten Neid,
Mir meine Hoffnung fördert, meinen Wunsch erfüllet,
Und daß noch neue Freude sprießt aus altem Leid.



1000-und-1_Vol-01-176 Flip arpa

Nun ging ich weiter auf das Feuer zu, und als ich nahe daran war, siehe, da war es ein Palast, dessen Tor aus Messing war; und wenn die Sonne darauf schien, leuchtete es weithin, so daß man es für ein Feuer halten konnte. Ich freute mich des Anblicks und setzte mich nieder, gegenüber dem Tor. Aber kaum hatte ich mich gesetzt, da traten zehn Jünglinge auf mich zu, in kostbare Gewänder gekleidet, und bei ihnen war ein uralter Greis; doch die zehn Jünglinge waren alle auf dem linken Auge blind. Ich wunderte mich darüber, was es mit ihnen für eine Bewandtnis haben möchte und warum sie alle so gleichmäßig blind waren. Als sie mich sahen, begrüßten sie mich und fragten mich nach mir und meiner Geschichte; und ich erzählte ihnen alles, was mir widerfahren und welches Maß des Unglücks an mir vollendet war. Da staunten sie ob meiner Erzählung und führten mich in den Palast; dort sah ich rings um die Halle zehn Lager gereiht, und ein jedes Lager hatte einen Teppich und eine Decke aus blauem Stoff. In der Mitte zwischen jenen Lagern stand ein kleineres Lager, auf dem wie bei den anderen alles blau war. Als wir eingetreten waren, nahm ein jeder der Jünglinge auf seinem Lager Platz, und der Alte setzte sich auf das kleinere Lager in der Mitte und sagte zu mir: ,O Jüngling, nimm Platz in diesem Palaste und frage nicht nach uns, noch nach unserer Einäugigkeit.' Dann stand der Alte auf und setzte vor jeden Jüngling ein wenig Speise in einer Schüssel und Trank in einem Becher, und mir setzte er in gleicher Weise vor. Darauf lehnten sie sich zurück und fragten mich wieder nach meinen Abenteuern und nach allem, was mir widerfahren war; und ich erzählte ihnen bis weit in die Nacht hinein. Da sagten die Jünglinge: ,Alter, willst du uns nicht bringen, was uns gebührt? Die Zeit ist da.' Er erwiderte: ,Herzlich gern.' Dann stand er auf, trat in eine Kammer des Schlosses und verschwand;



1000-und-1_Vol-01-177 Flip arpa

alsbald kam er zurück und trug auf dem Kopf zehn Platten, deren jede mit einem blauen Tuch bedeckt war. Einem jeden Jüngling setzte er eine Platte vor. Dann zündete er zehn Kerzen an und heftete an jede Platte eine Kerze. Darauf zog er die Decken weg, und siehe, auf den Platten darunter war nichts als Asche, Kohlenstaub und Kesselruß. Nun schlugen all die Jünglinge ihre Ärmel bis zu den Ellenbogen auf und begannen zu weinen und zu klagen; und sie schwärzten sich die Gesichter, zerrissen ihre Kleider und schlugen sich die Stirn und die Brust und riefen dabei: ,Wir saßen in unserer Fülle da, doch unser Fürwitz war uns zu nah!' Das taten sie beständig, bis der Morgen herannahte; dann aber stand der Alte auf und wärmte Wasser für sie; und sie wuschen sich die Gesichter und legten andere Kleider an. Als ich nun dies sah, o meine Herrin, verließ mich der Verstand, mein Sinn ward verwirrt, und mein Inneres war mir voll Gedanken, bis ich vergaß, was vorher geschehen war, und nicht länger Schweigen bewahren konnte; ich mußte reden und sie fragen, und so sagte ich denn zu ihnen: ,Was ist der Anlaß hierzu, nachdem wir so froh gewesen und müde geworden sind? Ihr habt doch, gottlob! noch gesunden Verstand, aber so etwas tun nur Verrückte. Ich beschwöre euch bei allem, was euch das Liebste ist, erzählt mir eure Geschichte und sagt mir den Grund, weshalb ihr jeder ein Auge verloren habt und euch die Gesichter schwärzt mit Asche und Ruß?' Da wandten sie sich zu mir und sprachen: ,O Jüngling, laß dich durch deine jugend nicht betören, sondern laß ab vom Fragen!' Dann erhoben wir uns miteinander, der Alte aber brachte uns ein wenig zu essen. Nachdem wir gegessen hatten und das Geschirr abgetragen war, saßen sie beisammen und unterhielten sich bis zum Einbruch der Nacht. Da stand der Alte auf, zündete die Wachskerzen und Lampen an und setzte Speise und



1000-und-1_Vol-01-178 Flip arpa

Trank vor uns hin. Und als wir damit fertig waren, saßen wir wieder beisammen, unterhielten uns und plauderten bis Mitternacht; da sprachen die Jünglinge zu dem Alten: ,Bringe, was uns gebührt; denn die Stunde des Schlafes ist da!' Der Alte stand auf und brachte ihnen die Platten mit dem schwarzen Staub; und sie taten, wie sie in der vergangenen Nacht getan hatten. In dieser Weise blieb ich bei ihnen einen vollen Monat lang, und jede Nacht schwärzten sie sich die Gesichter mit Asche; und dann wuschen sie sich und wechselten ihre Kleider. Doch ich wunderte mich darüber immer mehr, und die Versuchung trat immer stärker an mich heran, so daß ich mich selbst der Speise und des Trankes enthielt. Und ich sprach zu ihnen: ,Ihr Jünglinge, macht doch meiner Unruhe ein Ende und sagt mir, weshalb ihr euch so die Gesichter schwärzt?' Doch sie erwiderten: ,Es wäre besser, unser Geheimnis zu bewahren.' Aber ich war ratlos über ihr Tun und enthielt mich des Essens und Trinkens, und zuletzt sagte ich zu ihnen: ,Es hilft nichts, ihr müßt mir kundtun, was das alles bedeutet!' Sie antworteten: ,Dies bringt Unheil über dich; denn du wirst werden wie wir.' Dennoch wiederholte ich: ,Es hilft nichts; und wenn ihr nicht wollt, so laßt mich ziehen und zu meinem eigenen Volke zurückkehren, damit ich Ruhe habe vor dem Anblick dieser Dinge; denn das Sprichwort sagt: ,Es ist wahrlich besser, wenn ich fern von euch bliebe, damit das Auge nicht schaue, das Herz sich nicht betrübe.' Da holten sie einen Widder, schlachteten ihn, häuteten ihn ab und sagten zu mir: ,Nimm dies Messer und lege dich in dies Fell, so wollen wir dich einnähen; und alsbald wird ein Vogel kommen, geheißen der Vogel Roch, der wird dich hochheben und dich auf einem Berge niederlegen. Danach schneide das Fell auf und krieche heraus; der Vogel aber wird über dich erschrecken und davonfliegen und



1000-und-1_Vol-01-179 Flip arpa

dich allein lassen. Dann wandere einen halben Tag lang, so wirst du vor dir einen Palast finden, der von wunderbarer Gestalt ist. Dort tritt ein, und dein Wunsch ist erfüllt; denn daß wir in den Palast getreten sind, ist der Grund, weshalb wir uns die Gesichter schwärzen und unser eines Auge verloren haben. Wollten wir jetzt dir unsere Geschichte erzählen, so würde es zu lange dauern; denn einem jeden von uns ist bei dem Verlust seines linken Auges etwas Besonderes widerfahren.' Ich freute mich über ihre Worte, und sie taten mit mir, was sie gesagt hatten; der Vogel trug mich davon und setzte sich mit mir auf einem Berge nieder. Ich aber kroch heraus aus dem Fell und wanderte, bis ich in den Palast kam. Siehe, da waren vierzig Mädchen, schön wie der Mond, an deren Anblick man sich nicht sattsehen konnte. Als sie mich erblickten, sprachen sie alle: ,Herzlich willkommen, sei uns gegrüßt, o unser Herr! Einen ganzen Monat schon warteten wir deiner. Preis sei Allah, der uns einen sandte, unser wert, wie wir seiner wert sind.' Dann ließen sie mich auf einem hohen Diwan sitzen und sagten: ,Heute bist du unser Herr und Gebieter, wir sind deine Dienerinnen und dir untertan; also befiehl uns nach deinem Gutdünken.' Ich aber staunte über sie. Sie brachten mir darauf Speise, und ich aß mit ihnen; auch setzten sie mir 'wein vor. Alle umstanden mich dann, um mir aufzuwarten. Zuletzt machten fünf sich daran, eine Matte auszubreiten; darauf legten sie ringsum Blumen und Früchte und Naschwerk vielerlei Art, und dann brachten sie den Wein herbei. Nun setzten wir uns wieder zum Trinken; sie nahmen eine Laute und sangen Lieder zu ihr. Die Becher und Schalen kreisten bei uns, und mich überkam eine solche Freude, daß sie mich alle Sorgen der Welt vergessen ließ. Und ich sprach: ,Dies ist das wahre Leben!' Und ich blieb bei ihnen, bis die Schlafenszeit kam. Da sagten



1000-und-1_Vol-01-180 Flip arpa

sie: ,Nimm mit dir, welche von uns du wünschest, auf daß sie dein Lager teile!' So wählte ich eine von ihnen, die hatte ein schönes Antlitz und dunkle Augen, schwarz war ihr Haar, zierlich der Lippen Paar, zusammengewachsen die Brauen, alles an ihr war wunderbar anzuschauen, sie war einem frischen Zweig oder dem Stengel des Myrrhenkrauts gleich, sie berückte das Herz und nahm es gefangen, sowie einst Dichter von ihr sangen:
Vergliche ich sie mit dem frischen Zweige - es wäre Torheit!
Fern sei es, daß ich ihren Blick mit dem des Rehes vergleich!
Woher hätte das zarte Reh ihre schlanken Glieder?
Oder den Honigtrank ihrer Lippen, an Süße so reich?
Oder ihr weites Auge, das tödliche Liebe entfachet
Und das liebende Herz in Todesbande schlägt?
Ich wandte mich ihr zu mit wilder, heidnischer Liebe;
Kein Wunder ist's, wenn in dem Kranken sich rasende Leidenschaft regt.

Und ich wiederholte ihr die Worte des Dichters:

Mein Auge soll immer nur auf deine Schönheit schauen;
Kein Bild als deines allein soll in meinem Herzen schweben.
Und alle meine Gedanken verehren nur dich, o Herrin;
In Liebe zu dir will ich sterben und auferstehen zum Leben.

So verbrachte ich denn jene Nacht bei ihr; und nie habe ich eine schönere erlebt denn diese. Als aber der Morgen kam, führten die Mädchen mich in das Bad, ließen mich baden und kleideten mich in die prächtigsten Gewänder. Sie trugen Speise und Trank für uns auf, und wir aßen und tranken, und die Becher kreisten bei uns bis zum Einbruch der Nacht. Dann wählte ich wieder eine unter ihnen, an Schönheit reich, und mit Formen so weich, wie sie der Dichter beschrieb, als er sang:

Ich sah auf ihrer Brust zwei Schreine, die waren versiegelt
Mit Moschus, auf daß der Verliebte sie nicht berührt und verletzt.
Sie behütet die beiden mit Pfeilen aus ihren Blicken;
Sie trifft mit ihrem Pfeile den, der sich ihr widersetzt.



1000-und-1_Vol-01-181 Flip arpa

Und auch mit ihr verbrachte ich die schönste Nacht bis zum Morgen; und, um mich kurz zu fassen, o meine Herrin, ich blieb bei ihnen im herrlichsten Leben ein ganzes Jahr lang. Aber zu Anfang des zweiten Jahres sprachen sie zu mir: ,Ach, hätten wir dich nie kennen gelernt! Doch wenn du auf uns hörst, so kannst du dadurch gerettet werden'; und sie begannen zu weinen. Ich aber war erstaunt und fragte sie: ,Was bedeutet diese' Da antworteten sie: ,Siehe, wir sind Töchter von Königen, und wir sind seit Jahren hier vereint. Wir bleiben vierzig Tage fort und bleiben ein Jahr hier, essen und trinken, ergötzen und freuen uns; aber dann müssen wir fortgehen. Das ist unsere Gewohnheit. Nun fürchten wir, daß du, wenn wir fort sind, unserem Befehle zuwiderhandelst. Siehe da, wir übergeben dir die Schlüssel des Schlosses; in ihm sind vierzig Zimmer. Du darfst diese neununddreißig Türen öffnen; aber hüte dich, die vierzigste Tür zu öffnen, sonst mußt du uns verlassen.' Ich rief: ,Ich werde sie nicht öffnen, wenn das die Trennung von euch bedeutet!' Darauf trat eine von ihnen zu mir, umarmte mich und weinte und sprach die Verse:

Vereinet uns die Nähe nach der Trennung wieder,
So lächelt das Antlitz der Zeit, nachdem es in Runzeln hing.
Und werden durch einen Blick von dir meine Augen geschmücket,
Verzeih ich der Zeit die Sünden, die sie an mir beging.

Und ich sprach noch diese Verse:

Als sie zum Abschied nahte, das arme Herz so erfüllet
Von tiefer Sehnsucht und zugleich von wildem Leide,
Weinte sie klare Perlen, und aus meinen Augen strömten
Diamanten; auf ihrer Brust vereinten sie sich zum Geschmeide.

Als ich sie weinen sah, sprach ich: ,Bei Allah, nie und nimmer will ich jene Tür öffnen!' Und ich nahm Abschied von ihr. Sie alle gingen hinaus, und dann flogen sie davon; ich aber blieb



1000-und-1_Vol-01-182 Flip arpa

allein in dem Palast. Als nun der Abend nahte, öffnete ich die Tür des ersten Zimmers, und ich trat ein und sah mich in einem Raum, der dem Paradiese glich. Darinnen war ein Garten, in dem so vielerlei Arten von grünen Bäumen standen, auf denen ganz zarte und reife Früchte sich fanden; die kleinen Vöglein sangen, und die reinen Bächlein sprangen. Dessen erfreute sich mein Gemüt, und ich schritt zwischen der Bäume Reihn, ich sog den Duft der Blumen ein und hörte den Gesang der Vögelein, wie sie ihn priesen, der da allmächtig ist allein; auch sah ich die Farbe der Äpfel von rotgelbem so wie der Dichter sagt:

Ein Apfel, der in sich vereint zwei Farben, die da gleichen
Der Wange der Geliebten und dem schüchternen Sehnsuchtsreichen.

Dann sah ich die Quitten und atmete ihren Duft ein, der Moschus und Ambra beschämt, wie der Dichter sagt:

Die Quitte vereint in sich die Freuden der Menschen; sie ist
Die Königin der Früchte ob ihrer Schönheit Gewalt:
Wie Wein ihr Geschmack und wie eine Moschuswolke ihr Duft,
Wie Gold ihre Farbe und rund wie der Vollmond ihre Gestalt.

Dann sah ich noch Aprikosen vor mir, deren Schönheit das Auge entzückte wie geglätteter Saphir. Darauf verließ ich jenen Ort und verschloß die Tür des Zimmers, so wie sie zuvor gewesen war. Am nächsten Tage öffnete ich ein anderes Zimmer und trat hinein. Darinnen war ein weites Land, in dem ein hoher Palmenhain stand; dort rieselte ein Bächlein frisch, sein Ufer bedeckt mit Gebüsch von Rosen und Jasminen, Majoran und Eglantinen, Narzissen und Levkojen. Ein Windhauch strich über alle die duftenden Blumen dahin, und jener herrliche Wohlgeruch verbreitete sich nach rechts und nach links; das erfüllte mich mit vollkommener Freude. Darauf verließ ich jenen Ort und verschloß die Tür des Zimmers, wie sie zuvor gewesen war. Dann öffnete ich die Tür des dritten Zimmers und sah in



1000-und-1_Vol-01-183 Flip arpa

ihm eine weite Halle, deren Boden belegt war mit buntem Marmor und vielerlei kostbaren und prächtigen Steinplatten; dort waren Käfige aus Sandel- und Aloeholz, voll von Singvögeln, Nachtigallen, Ringeltauben, Amseln, Kanarien und nubischen Sängern. Darüber ward mein Herz froh, und meine Sorgen wurden gelöst; und ich schlief an jenem Orte bis zum Morgen. Dann öffnete ich die Tür des vierten Zimmers. Darin fand ich einen großen Saal, und rings um ihn waren vierzig Kammern, deren Türen offen standen. In die trat ich ein, und dort sah ich Perlen, Saphire, Topase, Smaragde und so kostbare Edelsteine, wie sie keine Zunge beschreiben kann. Da ward mein Verstand entrückt durch diesen Anblick, und ich sagte zu mir: ,Diese Dinge, deucht mich, finden sich nicht einmal in der Schatzkammer eines wirklichen Königs.' Damals ward mein Sinn froh, und meine Sorgen schwanden, und ich sprach: ,Jetzt bin ich der größte König meiner Zeit, da mir durch Allahs Gnade alle diese Schätze zuteil wurden; und ich gebiete über vierzig Mädchen, die keinen anderen Herrn haben als mich.' Nun sah ich mir immerfort ein Zimmer nach dem anderen an, bis neununddreißig Tage vergangen waren. In dieser Zeit hatte ich alle Zimmer geöffnet außer dem einen Zimmer, dessen Tür zu öffnen mir die Prinzessinnen verboten hatten. Doch, o meine Herrin, mein Sinn dachte immer an jenes Zimmer, das die Vierzig voll machte, und Satan wollte zu meinem Verderben mich zwingen, daß ich es öffnete. So hatte ich keine Geduld mehr, um mich zu bezwingen, obgleich nur noch ein einziger Tag übrigblieb, bis die Zeit erfüllt war. Da ging ich denn zu jenem Zimmer, öffnete die Tür und trat ein. Darin war ein so starker Duft, wie ich ihn noch nie gerochen hatte, und der betäubte meine Sinne. Ich fiel ohnmächtig nieder und blieb eine ganze Weile so liegen. Danach aber faßte ich mir ein Herz,



1000-und-1_Vol-01-184 Flip arpa

trat ein in das Zimmer und sah, daß sein Boden mit Safran bestreut war. Und ferner sah ich Lampen aus Gold und mit Blumen, die den Duft von Moschus und Ambra verbreiteten, und helles Licht ging von ihnen aus; auch sah ich zwei große Weihrauchbecken, die beide mit Aloe, Amber und Honigduftwerk angefüllt waren; und der Saal war erfüllt von ihrem Duft. Und da, o meine Herrin, erblickte ich ein edles Roß, schwarz wie das Dunkel der Nacht, wenn sie am dunkelsten ist; vor ihm standen zwei Krippen aus klarem Kristall, in einer war enthülster Sesam, und in der anderen war Rosenwasser mit Moschus zubereitet. Das Roß war gesattelt und gezäumt, und sein Sattel war aus rotem Golde. Als ich das sah, erstaunte ich und sprach zu mir selbst: ,Mit diesem Tier muß es eine ganz seltsame Bewandtnis haben.' Und Satan verleitete mich, und ich führte es hinaus und bestieg es; aber es wollte sich nicht vom Flecke rühren. Da schlug ich ihm mit den Fersen in die Flanken, doch es bewegte sich nicht; nun nahm ich die Peitsche und gab ihm einen Schlag damit. Kaum jedoch verspürte es den Schlag, so wieherte es laut mit einem Klang wie der rollende Donner, und es entfaltete ein Paar Flügel und flog mit mir hoch zum Himmel empor, höher als irgendein Mensch zu blicken vermag. Nach einer Weile jedoch ließ es sich mit mir auf einer Dachterrasse nieder, warf mich vom Rücken, peitschte mich mit dem Schweif ins Gesicht und schlug mir das linke Auge aus, so daß es mir über die Wange rollte, und flog weg von mir. Da stieg ich hinab von dem Dach und befand mich bei den zehn einäugigen Jünglingen. Die riefen mir zu:, :, Sei nicht willkommen und sei nicht gegrüßt!' Ich aber antwortete: ,Sehet, ich bin geworden wie ihr; und ich wünsche, ihr gäbet mir eine Platte voll Schwärze, mir das Gesicht zu schwärzen, und nähmet mich auf in eure Gesellschaft.' ,Bei Allah', sprachen sie,



1000-und-1_Vol-01-185 Flip arpa

,du sollst nicht bei uns bleiben, heb dich hinweg von hier!' Und da sie mich forttrieben trotz meiner Bedrängnis, wobei ich an all das denken mußte, das über mein Haupt gekommen war, verließ ich sie mit betrübtem Herzen und mit Tränen im Auge; und leise sprach ich: ,Ich saß in meiner Fülle da, aber mein Fürwitz war mir zu nah.' Dann rasierte ich mir Kinn und Lippen und wanderte auf der Erde Allahs umher. Und Gott bestimmte, daß ich wohlbehalten in Baghdad ankommen sollte zu Beginn dieser Nacht. Hier aber traf ich diese beiden, wie sie ratlos standen; da grüßte ich sie und sprach: ,Ich bin ein Fremder!' Und sie erwiderten: ,Auch wir sind Fremde!' So trafen wir zusammen, wir, die drei Mönche, alle drei blind auf dem linken Auge. Das, o meine Herrin, ist der Grund, weshalb ich mir den Bart abrasierte und weshalb ich mein Auge verlor.' Da sprach die Dame zu ihm: ,Führe deine Hand zum Kopf und geh fort!' Er aber rief: ,Bei Allah, ich gehe nicht fort, bis ich die Geschichte der anderen gehört habe.'

Darauf wandte die Dame sich zu dem Kaufen und zu Dscha'far und Masrûr und sprach zu ihnen: ,Erzählt mir eure Geschichte!' Nun trat Dscha'far vor und erzählte ihr dieselbe Geschichte, die er der Pförtnerin berichtet hatte, als sie das Haus betraten; und als sie seine Worte angehört hatte, sagte sie: ,Ich schenke euch einander das Leben.' Da gingen alle hinaus; und als sie auf der Straße standen, sprach der Kalif zu den Mönchen: ,Ihr Leute, wohin geht ihr jetzt, da doch der Morgen noch nicht dämmerte' Sie antworteten: ,Bei Allah, o unser Herr, wir wissen nicht, wohin wir gehen sollen.' ,Kommt und verbringt den Rest der Nacht bei uns!', sagte der Kalif zu ihnen; und zu Dscha'far: ,Nimm sie mit dir nach Hause, und morgen führe sie vor mich, damit wir aufzeichnen, was ihnen widerfahren ist.' Dscha'far tat, wie der Kalif ihm befohlen hatte; darauf ging



1000-und-1_Vol-01-186 Flip arpa

der Kalif in seinen Palast hinauf. Aber der Schlaf wollte in jener Nacht nicht zu ihm kommen.

Als nun der Morgen kam, setzte er sich auf den Thron seiner Herrschaft; und nachdem die Großen des Reiches sich versammelt hatten, wandte er sich an Dscha'far und sprach zu ihm: ,Bringe mir die drei Damen und die beiden Hündinnen und die Bettelmönche.' Da ging Dscha'far hin und führte sie vor ihn; die Damen brachte er verschleiert herein. An diese wandte er sich, indem er sprach: ,Wir vergeben euch, weil ihr zuvor euch freundlich zeigtet, ohne uns zu kennen; jetzt aber möchte ich euch zu wissen tun, daß ihr steht vor dem fünften der Nachkommen des 'Abbâs, vor Harûn er-Raschîd, dem Bruder des Kalifen Mûsa el-Hâdi, dem Sohne des Muhammed el-Mahdi, des Sohnes des Abu Dscha'far el-Mansûr, des Sohnes Muhammeds, des Bruders von es-Saffâh ibn Muhammed. Nun berichtet ihm nichts als lautere Wahrheit!' Als die Damen Dscha'fars Worte im Namen des Beherrschers der Gläubigen hörten, trat die älteste vor und sagte: ,O Beherrscher der Gläubigen, mir ist es so ergangen, daß meine Geschichte, würde sie mit Sticheln in die Augenwinkel geschrieben, eine Warnung wäre für jeden, der sich warnen ließe, und guten Rat enthielte für den, der sich raten ließe.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 17. Nacht anbrach, fuhr sie fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die älteste Dame, als sie vor den Beherrscher der Gläubigen trat, zu erzählen begann


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt