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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON ISHÂK AUS MOSUL UND DEM KAUFMANN

Ishâk ibn Ibrahim aus Mosul erzählte: Es begab sich einst, daß ich dessen müde ward, mich immer im Kalifenpalaste aufzuhalten und dort Dienst zu tun. Drum stieg ich zu Pferde und zog am frühen Morgen hinaus; denn ich hatte beschlossen, mich in der freien Steppe zu tummeln und zu vergnügen. Und zu meinen Dienern sagte ich: ,Wenn ein Bote vom Kalifen oder sonst jemand kommt, so tut ihm kund, ich sei früh in wichtigen Angelegenheiten fortgeritten und ihr wüßtet nicht, wohin ich mich begeben hätte.' Dann machte ich mich allein auf und ritt in der Stadt umher; als es aber heiß wurde, machte ich in einer großen Straße halt, die unter dem Namen ei-Haram bekannt ist. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 408. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden,



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o glücklicher König, daß Ishâk ibn Ibrahîm aus Mosul des weiteren erzählte: Als es heiß wurde, machte ich in einer großen Straße halt, die unter dem Namen el-Haram bekannt ist. um vor der Sonnenglut Schutz im Schatten zu suchen; den fand ich bei dem geräumigen Flügel eines Hauses, der auf die Straße vorsprang. Kaum hatte ich dort eine kurze Weile angehalten, als ein schwarzer Eunuch daherkam, der einen Esel führte. Auf dem Esel sah ich eine Sklavin sitzen; unter ihr lag eine Decke, die mit Juwelen besetzt war, und sie trug die allerprächtigsten Gewänder, die es nur geben konnte; auch sah ich, daß sie einen schönen Wuchs und versonnene Augen und ein zierliches Wesen hatte. Ich fragte einen der Vorübergehenden nach ihr, und der sagte mir, sie sei eine Sängerin. Aber schon auf den ersten Blick ward mein Herz von der Liebe zu ihr ergriffen, und kaum vermochte ich mich auf dem Rücken meines Reittieres zu halten. Sie trat in das Haus ein, an dessen Tor ich mich befand; und ich begann über ein Mittel nachzusinnen, wie ich wohl zu ihr gelangen könnte. Unterdessen kamen plötzlich zwei schöne junge Männer herbei und baten um Einlaß. Nachdem der Hausherr ihnen die Erlaubnis gegeben hatte, saßen sie ab; und auch ich saß ab, zugleich mit ihnen, und trat mit ihnen ein, und die beiden glaubten, der Hausherr habe mich eingeladen. Nachdem wir eine Weile beisammen gesessen hatten, wurden die Speisen aufgetragen, und wir aßen. Darauf ward uns der Wein vorgesetzt, und eine Sklavin trat hervor, eine Laute in der Hand. Sie sang, und wir tranken, bis ich mich erhob, um einem Rufe der Natur zu folgen. Da fragte der Hausherr die beiden Männer nach mir; und als sie ihm sagten, sie kennten mich nicht, fuhr er fort: ,Er ist wohl ein Schmarotzer; dennoch ist er von feinem Wesen, also behandelt ihn höflich.' Als ich zurückgekommen war, setzte ich



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mich wieder an meinen Platz: und nun stimmte die Sklavin eine heitere Weise an und sang diese beiden Verse:

Sprich zur Gazelle dort, die nicht Gazelle ist,
Zum Reh, das doch kein Reh, mit schwarzen Äugelein:
Mit seinen Männchenhörnern ist es doch kein Weibchen;
Und was so weiblich schreitet, kann kein Männchen sein.

Das trug sie wunderschön vor, und die Gäste, die da tranken, hatten großes Gefallen daran. Darauf sang sie allerlei Lieder zu seltenen Weisen; unter anderem sang sie eine Weise, die von mir war, und sie trug dazu diese beiden Verse vor:

Die Stätte ist verlassen:
Die Freunde zogen fort.
Die einst so traute trauert
Als wüster, öder Ort.

Und diesmal sang sie noch besser als das erste Mal. Darauf sang sie wiederum mancherlei Lieder zu seltenen Weisen, alte und neue; und darunter sang sie auch wieder eine von mir zu diesen beiden Versen:

Sprich du zum Lieb, das zornig dich verließ,
Das in die Ferne ging und dich verstieß:
Was du erreichen wolltest, wurde dein.
Und mag's auch nur im Scherz gewesen sein.

Ich bat sie, die Weise zu wiederholen, damit ich sie ihr verbessere; aber da wandte sich einer der beiden Männer zu mir und sprach: ,Wir haben doch nie einen Schmarotzer mit frecherer Stirn gesehen als dich! Bist du mit dem Schmarotzen noch nicht zufrieden, daß du dich auch noch in fremde Sachen einmischen mußt? An dir wird das Sprichwort zur Wahrheit: Ein Parasit -ein Störenfried!' Ich senkte nun beschämt mein Haupt und gab ihm keine Antwort. Sein Freund hatte versucht, ihn von mir zurückzuhalten; aber er hatte sich nicht zurückhalten



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lassen. Bald darauf erhoben sie sich, um zu beten; ich blieb ein wenig zurück, nahm die Laute, straffte die Saiten und stimmte sie rein. Dann ging ich wieder an meinen Platz und betete mit den anderen. Doch als wir mit dem Gebete fertig waren, begann jener Mann wieder, mich zu tadeln und zu schelten, und er zankte beständig, während ich schwieg. Nun nahm die Sklavin die Laute, griff in die Saiten und bemerkte, daß sie anders klang. Da fragte sie: ,Wer hat meine Laute berührt ?' Die Leute antworteten: ,Niemand von uns hat sie berührt.' Aber sie beharrte darauf: ,Doch, bei Allah, jemand hat sie berührt, ein Meister, der die Kunst beherrscht! Denn er hat die Saiten gespannt und gestimmt wie ein vollendeter Künstler.' Da sprach ich: ,Ich habe sie gestimmt!' ,üm Allahs willen,' rief sie, ,nimm sie und spiele auf ihr!' Ich nahm die Laute und spielte auf ihr eine seltene und schwere Weise, die fast die Lebenden hätte sterben lassen und die Toten hätte lebendig machen können. Dazu sang ich diese Verse:

Ich hatte ein Herz, und ich lebte mit ihm:
Da ward es vom Feuer versengt und verbrannt.
Nie ward mir das Glück ihrer Liebe beschert:
Dem Menschen hat Gott es nicht zuerkannt.
Wenn Liebe die Speise, die ich schmeckte, gibt,
So kostet sie sicher ein jeder, der liebt! — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 409 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: ,Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ishâk ibn Ibrahim aus Mosul des weiteren erzählte: Als ich mein Lied beendet hatte, blieb in der Gesellschaft kein einziger sitzen, sondern alle sprangen auf, setzten sich vor mir nieder und riefen: ,üm Allahs willen, unser Gebieter, sing uns noch eine Weise vor!' Ich antwortete



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ihnen: ,Herzlich gern!' griff mit geübter Hand in die Saiten, um mit dem Spiele diese Verse zu begleiten:

Wer hilft denn wohl dem Herzen, das vor Not vergehet,
In das der Sorgen Schar von allen Seiten floß?
Es sündigt, wer mein Herz mit seinem Pfeil durchbohrte,
Wenn er mein Blut in meinem Innersten vergoß.
Am Trennungstag war's klar, daß er die Trennung wollte,
Bestürmt von des Verdachtes lügnerischer Flut.
Und wär die Liebe nicht, hätt er kein Blut vergossen;
Ersteht denn wohl ein Rächer und Sühner meinem Blut?

Als ich auch dies Lied beendet hatte, blieb wiederum nicht einer von ihnen sitzen, sondern alle sprangen auf und warfen sich dann im Übermaße des Entzückens, das sie durchbebte, auf den Boden. Da warf ich die Laute aus der Hand; aber sie riefen: ,üm Allahs willen, tu uns nur das nicht an! Laß uns noch mehr Lieder hören; Allah lasse dir noch reichere Huld zuteil werden!' Ich erwiderte: ,Ihr Leute, ich würde euch gern noch ein Lied hören lassen und dann noch eins und wieder noch eins. Aber erst will ich euch kundtun, wer ich bin. Ich bin Ishâk ibn Ibrahim aus Mosul! Bei Allah, ich trete dem Kaufen stolz entgegen, wenn er mich rufen läßt; ihr aber habt mich heute grobe Worte hören lassen, die mich kränken. Bei Gott, ich werde kein Wort mehr sprechen und auch nicht mehr bei euch sitzen bleiben, bis ihr diesen Zänker aus eurer Mitte verjagt habt!' Da sprach der Gefährte jenes Mannes: ,Davor habe ich dich ja gewarnt, weil ich um dich besorgt war!' Sie nahmen ihn nun bei der Hand und führten ihn hinaus. Ich aber griff zur Laute und sang die Lieder meiner Kunst, die jene Sklavin gesungen hatte, noch einmal. Und dann flüsterte ich dem Hausherrn zu, daß die Sklavin mein Herz gefangen genommen habe und daß ich das Leben ohne sie nicht



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mehr ertragen könne. Der Hausherr antwortete mir darauf: ,Sie ist die Deine, aber nur unter einer Bedingung!' ,Wie lautet die?' fragte ich; und er fuhr fort: ,Du mußt einen Monat lang bei mir bleiben; dann soll die Sklavin mit allem, was ihr an Schmuck und Gewändern gehört, dein Eigentum sein.' Ich erwiderte: ,Gut; das will ich tun.' So blieb ich denn einen Monat lang bei ihm, ohne daß jemand wußte, wo ich war; und der Kalif ließ überall nach mir suchen, aber er konnte keine Kunde von mir erhalten. Als nun der Monat verstrichen war, übergab mein Freund mir die Sklavin mit allem, was ihr an kostbaren Dingen gehörte, und er schenkte mir auch noch einen Eunuchen. Ich zog mit alledem in meine Wohnung, und mir war, als hätte ich die ganze Welt gewonnen; so sehr freute ich mich über die Sklavin. Dann aber ritt ich sogleich zu el-Mamûn: und als ich vor ihm stand, rief er mich an: ,Du da, Ishâk, wo bist du gewesen?' Ich erzählte ihm mein Erlebnis; da fuhr er fort: ,Bringt mir sofort jenen Hausherrn!' Nachdem ich den Leuten seine Wohnung beschrieben hatte, ließ der Kalif ihn holen. Und als er gekommen war, fragte der Kalif ihn nach dem Abenteuer. Jener berichtete es ihm; da sprach der Herrscher: ,Du bist ein Mann von edler Gesinnung; darum geziemt es sich, daß du in deinem Mannesadel gefördert wirst.' Nachdem er ihm darauf hunderttausend Dirhems angewiesen hatte, sprach er zu mir: ,Ishâk, führe mir das Mädchen vor!' Ich brachte sie ihm, und sie entzückte ihn durch ihren Gesang. Ja, er hatte so große Freude an ihr, daß er sagte: ,Ich setze ihren Dienst auf jeden Donnerstag fest; dann soll sie kommen und hinter dem Vorhang für mich singen.' Zugleich wies er ihr fünfzigtausend Dirhems an. So habe ich, bei Allah, nicht nur mir, sondern auch anderen durch jenen Ritt Gewinn verschafft.



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Ferner wird erzählt


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