Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[2707]

Gervasius Schuler
an Bullinger
Memmingen,
7. Dezember 1546

Autograph: Zürich StA, E II 345, 318 (Siegelspur) Ungedruckt

[1] Bullingers Ermahnung an die Memminger Geistlichkeit, das Volk zur Erkenntnis seiner Sünden und zu einem besseren Lebenswandel anzuhalten, entspricht auch Schulers Ansicht. Er ist nämlich der Überzeugung, dass Gott mit diesem Krieg die Menschen auf ihre Sünden aufmerksam machen will, um sie zur Buße aufzufordern. Wohl deshalb wird der Herr dem Feind [Kaiser Karl V.] nicht gestattet haben, die [Schmalkaldener] zu vernichten. Bullinger weiß bestimmt vom bedrohlichen Bündnis zwischen dem Antichristen [Papst Paul III.] und dem Genter [Karl V.]. Der langmütige und züchtigende Gott aber hat sich einen Rest auf bewahrt, damit dieser sich ihm von ganzem Herzen zuwendet. Mit Gottes Hilfe will Schuler seiner Aufgabe gerecht werden. Bullinger soll mit seinen Gebeten die Bemühungen Schulers und seiner Kollegen unterstützen! [2] Der gemeinsame Freund [Balthasar] Funk wird die die Zürcher interessierende Angelegenheit treu ausführen. [3] Es geht beständig das Gerücht um, dass der Kaiser gestorben sei. Die Augsburger berichten dies ebenfalls. Auch Ambrosius Blarer schrieb diesbezüglich aus Konstanz an den Memminger Stadtschreiber [Georg Maurer] und an den mit großem Erfolg in Leutkirch predigenden Johannes Schnell. Sollte dies wirklich stimmen, ist zu erwarten, dass Gott seine heimgesuchte Kirche bald nach seinem Willen reformieren wird! [4] Den Brief den Bullinger zur Weiterleitung an den Zürcher Bürger Fridli Wirth gesandt hatte, schickt Schuler versiegelt wieder zurück, zusammen mit anderen Briefen, die auch für Wirth bestimmt sind. [5] Schuler hat Kenntnis von Jakob Reinharts Schwindel, mit dem dieser einigen Hauptleuten geschadet hat. Er wurde vom Ulmer Rat mit Gefängnishaft bestraft. Der Herr reinige die Herzen der Menschen, damit ein jeder seiner Berufung ehrlich nachkomme! [6] Grüße, auch vom Arzt Ulrich [Wolfhart], von [Johannes Rembold] Funck, [Bartholomäus] Bertlin und Johannes Schmid, sowie von Schulers Gattin [..., geb. Lübegger] und der Tochter Rahel.

S. D. Bene et sancte admones nos, ut docendo populum purgemus, ut suorum peccatorum conscius vitam suam, qua irritavit dominum, emendet in melius. Non enim michi aliter persuasum habeo, quam ut dominus hoc bellico tumultu voluerit nos nostrorum peccatorum admonere et ad poenitentiam adhortari. Ob id enim non permisit hosti 1 , secundum quod apud se statuerat, in nos sevire. Fedus enim antichristi 2 cum suo executore Gandavo illo 3 , quid prae se tulerit quamque atrotia minatum fuerit, ipse nosti. Sed longanimus dominus voluit nobis et nunc temporis reliquum superesse 4 , ut ad illum toto pectore convertamur 5 et redeamus ad percutientem nos 6 . Ego, quoad dominus suo michi adfuerit spiritu, officio michi commisso non defuturus sum. luva tu, charissime frater, hos meos meorumque symmistarum conatus tuis orationibus quam fidelissime!

1 Kaiser Karl V.
2 Papst Paul III. Der in Gent geborene Kaiser.
4 Vgl. Ez 14, 22; Röm 9, 27.
5 Vgl. iKön 8, 48; Jes 21, 12.
6 Jes 9, 12 (Vulg. 13); Ez 7, 9. — Mit dem "percutiens nos" ist Gott gemeint.

Res ceterum Tigurinorum Funckius 7 , ille communis amicus noster, satis fideliter aperuit. 8

Apud nos constans fama est caesarem extremum diem obiisse. 9 Augustani scribunt idem firmissime. Ambrosius Blaurerus, Constantiensis ecclesie minister fidelissimus, ad archigrammatheum 10 urbis nostre idem scripsit simul atque ad Ioannem Schnellium 11 , qui nunc Luthkirchi Christum magno cum foenore salutis 12 praedicat. 13 Quod si verum est, spero dominum brevi ecclesiae sue adflictae laturum auxilia eamque ad suum nutum reformaturum.

Litteras 14 , quas Fridelino Wirt 15 , Tigurino civi, tradendas misisti, obsignatas remitto una curn aliis illi bono viro tradendis.

Scio Reinharti 16 imposturas, quas quibusdam militie capitaneis struxit. Ulme a senatu muictatus a carceribus penam dedit. Dominus lesus expurget suo spiritu hominum pectora, ut exciusa hypochrisi universa syncero pectore quisque sue vocationi inserviat. Nam mundus dolis, technis et imposturis plenissimus est. Periit fides et veritas. 17 Omnes paterne correptionis 18 fere sumus inpatientes, etc.

a Am Rande nachgetragen.
7 Altbürgermeister Balthasar Funk.
8 Die Reise Funks nach Zürich steht vielleicht im Zusammenhang mit dem am 7. Dezember eröffneten Tag zu Baden (s. Nr. 2693, Anm. 45), an dem u.a. die Beschlagnahmung einer für Memmingen und andere schwäbische Städte bestimmten Waffenlieferung sowie die in Memmingen erfolgte Gefangennahme von Konrad Schweri (dem vom Badener Landvogt Niklaus Imfeld dem kaiserlichen Gesandten Jean Mouchet zur Verfügung gestellten Boten; s. Nr. 2606,40f. 75f mit Anm. 87 und Anm. 90) zur Sprache kamen; s. EA IV/1d 723 b. 725 i.
9 Zu diesem falschen Gerücht s. die Verweise in Nr. 2700, Anm. 20.
10 Georg Maurer.
11 Johannes Schnell (Velocianus), 1546/47 Prediger in Leutkirch im Allgäu (Lkr. Ravensburg).
12 Vgl. Mt 9, 37 par. 13 Beide Briefe nicht in Blarer BW.
14 Höchstwahrscheinlich ein von Bullinger verfasster und heute unbekannter Brief.
15 Der ursprünglich aus Stammheim kommende Wundarzt (,,Schere?") Fridli (Friedrich) Wirth, der jüngere Bruder Leonhard Hospinians. Die Angabe in
HBBW XVI 429, Anm. 60, dass Fridli Wundarzt in Stammheim war, ist zu korrigieren. 1541 wurde er Ehrenbürger von Zürich, 1557 "Zwölfer" in der Zunft zur Schuhmachern. Am 31. Januar 1563 starb seine Frau Barbara Stumpf; am 16. November 1567 er selbst. Beide gehörten der Gemeinde des Zürcher Großmünsters an. Als Zwölfjähriger hatte er Ende September 1524 seine Mutter Anna Wirth (geb. Keller) zur Tagsatzung nach Baden begleitet, als diese (mit Erfolg) versuchte, ihren zur Hinrichtung verurteilten Sohn Adrian, der sich am Ittinger Sturm vom Sommer 1524 beteiligt hatte, zu retten; s. Zürich StadtA, VIII C 48, 1549— 1574 (unter den entsprechenden Sterbedaten); Erhard Dürsteler, Stemmatologia Tigurina, Bd. 9 (Zürich ZB, Ms E 24), f. 232r./v.; Alfred Farner, Geschichte der Kirchgemeinde Stammheim und Umgebung, Zürich 1911, S. 168.
16 Jakob Reinhart; s. schon Nr. 2612,16-21; Nr. 2683,8f. In Nr. 2701,65f, berichtet Haller, dass Reinhart gefangen nach Frauenfeld geführt worden wäre.
17 Jer 7, 28.
18 Vgl. Spr 3, 11.

Vale, amice inconparabilis. Salutant te Huidricus medicus 19 , d. Funckius 20 , Berthlinus 21 et Ioannes Fabri 22 , uxor mea 23 et Rachel filia. Date Memminge, 7. decembris 1546. Dominus lesus servet te.

Gervasius tuus Schaler.

[Adresse auf der Rückseite:] Seynem fruntlichen, lieben herren und pruder Mayster Haynrich Bullinger, predicanten zu Zürich. 24