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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

15. Spinne und Chamäleons Acker

Das Chamäleon (Kunato; Plural: Tinatote) richtete sich einen sehr großen Acker her. Aber das Chamäleon baute keinen Weg zu dem Acker, damit niemand ihn finde und von der Frucht stehle. Das Chamäleon ging also stets über das Gras zu dem Acker. Eines Tages aber ging Spinne durch das Gras und trat auf das Chamäleon. Spinne fragte: "Was machst du denn hier im Grase? Wo gehst du denn hin? Das Chamäleon wußte nichts anderes zu sagen und sagte daher: "Ich gehe zu meinem Acker."Spinne ging mit dem Chamäleon.

Als beide vor dem Acker standen, sagte Spinne: "Aber Chamäleon, das ist ja gar nicht dein Acker! Das ist ja mein Acker!" Chamäleon sagte: "Was? Das ist dein Acker?"Spinne sagte: "Ja natürlich ist das mein Acker!"Chamäleon sagte: "Den Acker habe



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ich doch aber angelegt! Ich habe doch den Boden gereinigt! Ich habe die Erde gehackt. Ich habe mein Korn gesät! Das ist doch mein Acker!"Spinne sagte: "Das ist alles gelogen. Das ist mein Acker. Und wenn du es mir nicht glauben willst, so komm nur morgen früh wieder hierher, und ich will es dir beweisen."Spinne wandte sich um und ging weg. Chamäleon blieb an dem Acker stehen und sagte: "Natürlich, das ist mein Acker!"

In der Nacht ging Spinne hin und machte einen Weg von seinem Gehöft zu dem Acker. Gegen Morgen nahm er allerhand Töpfe und Kochgerät, lud einen Teil selbst auf, gab einen Teil seinem Sohne zu tragen und brachte so alles auf den Acker Chamäleons. Er stellte es in eine Ecke, so daß es aussah, als ob hier schon lange Zeit hindurch alltäglich Essen bereitet worden wäre. Danach ging Spinne dem Chamäleon entgegen. Das Chamäleon sagte: "Du bist sehr früh auf meinem Acker." Spinne sagte: "Nein, es ist mein Acker." Chamäleon sagte: "Ich habe doch den Acker bestellt! Dann ist es doch mein Acker!" Spinne sagte: "Wenn du den Acker hergerichtet und bestellt hast, so zeige mir doch auch den Weg, auf dem du hin und her gegangen bist!" Chamäleon sagte: "Den Weg kann ich nicht zeigen, denn ich bin immer durch das Gras gegangen!" Spinne sagte: "So, so! Also deinen Weg kannst du nicht zeigen. Nun, so zeige mir doch die Stelle, an der du gekocht hast, an der du deine Nahrung bereitet hast, wenn du den Tag über auf dem Felde gearbeitet hast!" Chamäleon sagte: "Eine solche Stelle kann ich dir nicht zeigen, denn ich habe stets rohes Essen mit auf das Feld genommen und habe das Essen dann ungekocht während des Mittags gegessen!"Spinne sagte: "Daran kannst du zum zweiten sehen, wie du lügst, denn ich kann dir auf diesem Acker die Stelle zeigen, an der ich habe kochen lassen und an der ich gegessen habe. Ich will mich nun nicht länger mit dir herumstreiten, sondern werde meinen Acker einfach weiter bearbeiten, und wenn du etwas dagegen einzuwenden hast, so geh' zum Häuptling und fordere getrost deinen Acker zurück!" Damit ging Spinne auf das Feld und bearbeitete das Feld.

Das Chamäleon lief sogleich zum Häuptling und sagte: "Gaffara (d. i. ehrerbietiger Gruß)! Ich habe einen Acker angelegt und gesät; nun kommt Spinne und behauptet, es wäre sein Feld. Er hat mir das Feld fortgenommen." Der Häuptling sandte zu Spinne und ließ ihn kommen. Als beide da waren, sagte der Häuptling: "Wem von euch beiden gehört denn nun der Acker?" Chamäleon sagte:



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"Der Acker gehört mir." Spinne sagte: "Der Acker gehört mir." Der Häuptling sagte: "Wer hat denn den Acker bestellt?" Chamäleon sagte: "Ich habe den Acker bestellt!"Spinne sagte: "Ich habe den Acker bestellt." Der Häuptling sagte: "Das ist mir unverständlich!" Spinne sagte: "Können wir nicht zu dem Acker gehen?" Der Häuptling sagte: "Ja, wir wollen zu dem Acker gehen."

Der Häuptling mit seinen Leuten, Spinne und Chamäleon gingen zu dem Acker. Als sie an den Weg kamen, sagte Spinne: "Das ist der Weg, den ich zu dem Acker angelegt habe." Der Häuptling fragte das Chamäleon: "Ist das wahr, daß das der Weg ist, den Spinne angelegt hat?" Chamäleon sagte: "Ja, das ist wahr!" Der Häuptling sagte: "Wo ist denn der Weg, den du angelegt hast?" Chamäleon sagte: "Ich habe keinen Weg angelegt. Ich bin immer durch das Gras gegangen." Der Häuptling sagte: "Das ist ja sehr merkwürdig." Sie kamen auf den Acker. Spinne sagte: "Da ist die Stelle, an der ich immer mein Essen koche, wenn ich auf dem Felde tagsüber arbeite!" Der Häuptling fragte das Chamäleon: "Wo ist denn deine Eßstelle ?" Das Chamäleon sagte: "Ich esse nie Gekochtes auf dem Felde. Ich nehme mein rohes Essen mit und esse es ungekocht so nebenbei." Der Häuptling sagte: "Spinne hat einen Weg zu dem Acker angelegt. Chamäleon kann keinen Weg zeigen. Spinne hat eine Stelle, an der er immer kocht und ißt. Chamäleon aber hat nichts Derartiges aufzuweisen. Der Acker gehört also Spinne und nicht dem Chamäleon!" Damit war der Rechtsstreit entschieden. Spinne nahm seinen Acker in Besitz.

Nach einiger Zeit bereitete Chamäleon sich ein schönes Kleid. Es bestand nur aus Jamsfasern. Auf die hatten sich allerlei bunte Fliegen gesetzt, so daß es in allerhand Farben schillerte. Als das Kleid fertig war, ging Chamäleon zum Häuptling und sagte: "Laß trommeln und alle Leute in den schönsten Kleidern zusammenkommen, damit man sehe, wer das schönste Kleid hat." Der Häuptling sagte: "Es ist gut; ich werde es tun." Es wurde getrommelt. Alle Leute kamen in ihren schönsten Kleidern zusammen. Endlich kam auch Chamäleon in seinem neuen Kleid aus Jamsfasern, auf denen die schimmernden Fliegen saßen. Als Chamäleon in diesem Kleide kam, wandten sich alle zu ihm und alle sagten: "Das ist das schönste Kleid. Das ist bei weitem das schönste Kleid."Die Leute gingen nach Hause. Jeder sagte daheim: "Das schönste Kleid war das, das Chamäleon hatte."



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Spinne wollte das Kleid gerne haben, damit er sagen könne, er habe das schönste Kleid. Spinne ging zu Chamäleon und sagte: "Ich möchte das Kleid gerne kaufen. Was willst du dafür haben?" Chamäleon sagte: "Das Kleid ist mir nicht verkäuflich!"Spinne sagte: "Verkaufe es mir nur. Ich will dir viel dafür geben." Chamäleon sagte: "Gut, so komme morgen früh wieder; dann können wir darüber reden."

Am andern Morgen kam Spinne ganz früh zu Chamäleon und sagte: "Ich möchte nun das Kleid kaufen; was willst du dafür haben?" Chamäleon sagte: "Ich will das Kleid überhaupt nicht gegen Geld verkaufen. Wenn ich es weggebe, so gebe ich es nur gegen Korn." Spinne sagte: "Wieviel Korn willst du dafür haben?" Chamäleon sagte: "Ach, gar nicht so sehr viel: nur einen großen Topf voll. Der Topf, der dort in der Ecke steht. Er muß aber bis an den Rand gefüllt sein."Spinne sagte: "Es ist gut."Spinne ging. Chamäleon machte in den Topf boden ein Loch. Unter dem Topfe machte er eine tiefe Aushöhlung im Boden.

Nach einiger Zeit kam Spinne mit einer Last Korn, die er auf dem Acker Chamäleons geerntet hatte, und leerte sie in den Topf aus. Das Korn rann unten durch das Loch im Boden hinaus in die Aushöhlung in der Erde. Spinne lief zurück und schleppte eine zweite Last Korn herbei. Auch die verschwand im Topfe. Spinne brachte eine Last Korn nach der andern. Er schüttete alles in den Topf. Aber der Topf wollte nicht voll werden. Endlich war alles Sorghum von dem gestohlenen Acker abgeerntet und in den Topf geschüttet. Aber der Topf war noch nicht voll und Spinne mußte hingehen und noch Korn dazukaufen. Spinne verkaufte alles, was er besaß, für Korn und schüttete alles Korn in den Topf. Als Spinne nichts mehr besaß, war der Speichertopf gefüllt.

Chamäleon gab nun Spinne das Kleid. Chamäleon sagte dazu: "Nun merke dir aber: Wer das Kleid anhat, darf nicht scheißen. Vergiß es nicht."Spinne sagte: "Es ist gut." Dann lief Spinne zum Häuptling und sagte: "Nun trommle und laß alle Leute in ihren besten Kleidern zusammenkommen. Wir wollen sehen, wer das schönste Kleid hat." Der Häuptling sagte: "Es ist gut." Er ließ trommeln. Von allen Seiten kamen die Leute in den besten Kleidern zusammen. Endlich kam auch Spinne. Spinne hatte sich auf einen Ziegenbock gesetzt; der war sein Pferd. Auf seinen Rücken hatte er einen Topf gebunden. Das war der Sattel. Er hatte das Kleid Chamäleons angelegt.



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Als Spinne angekommen war, stieg Spinne ab und ging stolz im Kreise umher. Alle Leute sagten: "Spinne hat das schönste Kleid." Spinne ließ sich erst unter den andern nieder. Nach einiger Zeit stand er aber auf, ging mit langen Schritten aus dem Kreise und hockte nebenan im Grase nieder, als wenn er sein Wasser abschlagen wollte. Er wollte aber gar nicht sein Wasser abschlagen, sondern er wollte sich nur zeigen. Dann ging er wieder in den Kreis zurück. — Nach einiger Zeit wiederholte er das noch einmal, damit ja alle Leute sein schönes Kleid sahen, und kehrte wieder an seinen Platz zurück. — Nach einiger Zeit wiederholte er es zum drittenmal. Infolge des langen, mühsamen Verhaltens (einer wirklichen Entleerung) und infolge der bockenden Stellung trat aber eine Entleerung nach hinten ein. Es entstand an der Stelle, wo Spinne hockte, ein fürchterlicher Gestank. Die Fliegen aber, die auf dem Jamsfasernrocke saßen, hoben infolge des Gestankes alle gemeinsam sogleich die Flügel und flogen von dannen. Alle Leute sahen nun, woraus das schillernde Kleid Spinnes bestand und daß Spinne nichts anderes anhatte als ein einfaches Jamsfaserkleid. Alle Leute lachten Spinne aus.

Auf solche Weise erhielt Chamäleon sein Korn wieder und hatte es nicht einmal selbst zu ernten brauchen. Spinne schämte sich darüber und daß er so ausgelacht worden war derart, daß er sich in eine Mauerritze verkroch. Und deshalb sitzen bis heute die Spinnen sehr gerne und vorzugsweise versteckt in Mauerritzen.


Copyright: arpa, 2015.

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