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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

k) Uboa (Schamane) und Usopu (Subache)

Von den Bestätigungen des Uboa, von seinem Beruf als Schamane und Prophet haben wir uns im vorhergehenden schon einen allgemeinen Überblick gemacht. Nun kommt es darauf an, charakteristische Einzelzüge aufzufinden, die uns die inneren Beziehungen dieser Priesterschaft in ethnologischer Verwandtschaft einerseits und in ihrem Wirkungskreise anderseits verständlich machen. In diesem Sinne Umschau haltend, entdecken wir zunächst einmal wieder das Zeremonial des Schamanentanzes, der auch hier wie bei Bosso und Tombo, bei Mahnke und dem Lo-Kultus der Nonostämme die Unverletzlichkeit des Priesters andeutet, dann



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aber auch zur Entdeckung des in Funkenform sich manifestierenden kannibalischen Vampyrs, der mandeschen Subaga, überleitet. Also, daß wir auch hier wieder in einen uns in mehrfachen Varianten entgegentretenden wichtigen und uralten Kulturbereich gelangen.

Der prophetische Feuertanz der Uboa gilt als deren großartigste und feierlichste Zeremonie, die nach den Beschreibungen der Leute einen eminenten Eindruck auf die Masse machen muß. Hier wie anderweitig ist es mir nicht gelungen, selbst eine solche Vorführung mit zu erleben, und ich muß mich darauf beschränken, die Berichte der Eingeborenen hier zusammenzufassen. Immerhin sind sie so übereinstimmend, daß an der Richtigkeit nicht zu zweifeln ist. Bemerkenswert ist, daß dieser Vorgang offenbar im Verschwinden begriffen ist, und zwar geschieht dies einerseits unter dem Einflusse des Islam, anderseits und ganz besonders aber unter dem des modernen, auch hier mächtig fortschreitenden kolonialen Wirtschaftslebens. Das Interesse am Alten erstirbt. Beide Einflüsse wirken überall gleich nivellierend.

Eines Morgens also sagt ein Umboa zu den Bauern, sie sollten ihm Feuerholz zusammentragen, denn er habe ihnen etwas Wichtiges zu sagen. Darauf schleppt dann alle Welt sowohl altes und trockenes, als junges und frisches Holz herbei. Das wird auf einem großen Dorfplätze aufgeschichtet, und zwar so, daß das trockene Holz zu unterst, das frische obenauf zu liegen kommt.

Gegen Abend versammeln sich alle Dörfler, alt und jung, und auch das Frauenvolk ist nicht ausgeschlossen. Dann erst tritt der Uboa herzu. Er hat einen langen Stoff um die Lenden geschlungen. Der wird zusammengehalten durch einen weißen Schal, der zusammengedreht und wie ein Gürtel umgelegt ist. In jeder Hand hält er ein eisernes Klapperinstrument. In der Linken das Kuboataung (Plural: Teboatan), in der Rechten das Uboadjilam (Plural: Iboadjilam). Ersteres ist ein rundes Eisenblatt, das in der Mitte zur Aufnahme des nach oben ragenden, aus starkem Eisendraht geschmiedeten Handgriffes am Rande mehrfach durchbohrt ist zur Einbäugung des eisernen Klöppels. Das Uboadjilam hat die Form eines eisernen Keitschuhes, wie er häufig an afrikanischen Speerenden befestigt ist. Nur ist in der Tülle, die sonst das Holz des Speerschaftes aufnimmt, ein Glockenklöppel befestigt.

Das Feuer wird angezündet. Der Uboa beginnt zu tanzen. Die Leute rühren emsig die Trommeln. Die Zuschauenden singen den auffallenden Text: "Das Wasser ist kalt! Das Wasser ist kalt!" Erst singt das der Uboa, dann wiederholt es ein Vortänzer, die Korona fällt ein, die ganze Gemeinde singt mit. Der Uboa tanzt mehrmals um den Feuerstoß. Er klappert mit Kuboataung und Uboadjilam. Von Zeit zu Zeit bückt er sich und blickt in den



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brennenden Scheiterhaufen. Tanzend zieht er sich nach vorn. Wenn er mehrmals das "Uboamui", das heilige Feuer, umtanzt hat, unterbricht er den "Ngo-tu-boale" genannten Tanz und setzt sich mit einem Ruck in das Feuer. Seine Kleider brennen nicht. Er selbst verbrennt sich nicht. Das Feuer kann ihm nichts anhaben. Er ist eben Uboa.

Wenn der Uboa nun im Feuer sitzt, beginnt er zu weinen, zu jammern. Er klagt lange und Tränen rollen ihm über die Backen. Wenn er lange geweint hat, steigt er wieder herab. Er tanzt noch einige Male um das Feuer. Dann verkündet er das, was er den Leuten zu sagen hat, daß nämlich der junge Mann X im Dorfe sehr krank sei. Er sei so krank, weil es im Dorfe schlimme Vampyre gebe (Singular: usopu, Plural: bussopobe), die den jungen Mann fressen wollten. Das wäre sehr schlecht. Endlich wendet sich der Uboa an den Vater des jungen X, der natürlich unter den Anwesenden ist, und sagt ihm, er solle Hühner, Perlhühner, Ziege und Schaf bringen als Opfer.

Damit ist der Feuertanz beendet. Der Vater des X bringt das geforderte Opfergetier. Der Uboa führt es in seine Koadi und tötet es da über den magischen Mitteln, den Dubaure, so daß das Blut über sie hinrinnt. Andere Leute können die Schlachtopfer genießen, der Uboa aber darf es nicht. Wenn der Uboa davon genießen würde, würde er sogleich sterben. Der junge Mann wird aber sofort genesen. Dazu ist noch zu bemerken, daß der Uboa an diesem Abend nach dem Feuertanz die Bussopobe würde fassen können - wenn er es wollte. — Wenden wir uns aber zunächst einmal diesen Geschöpfen zu.

Auch bei den Bassariten gehen die Vampyrungeheuer auf Seelenraub aus. Auch hier kann es Mann und Weib sein. So ein Kerl vampyrischer Eigenart kann nachts neben seinem Ehegesponst liegen, ohne daß dies es merkt, wie der Böse aus seiner Haut herausfährt und durch die Dachspitze die Hütte verläßt. Wenn das Ehegespann erwacht, sieht es die Haut des Menschenräubers liegen und kommt dann gar nicht auf den Gedanken, daß etwas in Unordnung ist und jener zu so schrecklicher Tat fortgegangen ist. Man kann die zum Seelenraub ausgezogene Usopa nicht anders sehen als gelegentlich des Nachts, wenn er als Feuerfunke durch die Luft fliegt. In dieser Gestalt segelt er von dem eigenen Hause, das er durch die Dachspitze verlassen hat, zum Heim seines Opfers, in das er wieder durch die Dachspitze gelangt.

Drinnen läßt er sich nieder und zieht die Seele aus dessen Leib. Die Bussopobe erwählen sich nie alte, magere Menschen, sondern immer kräftige, wohlbeleibte, junge Leute, die gute Schlachttiere abgeben. Genau wie bei Mahnke, Tombo usw. verwandelt der



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Vampyr die herausgezogene Seele seines Opfers in ein vierfüßiges Tier, etwa in eine Antilope oder einen Ochsen. Dieses Seelentier wird alsdann auf den großen Marktplatz des Ortes geschleppt. Der Usopu hat Messer und Kalebasse bei sich und schlachtet auf dem Marktplatze. Auf dem Platze versammeln sich viele Vampyre, Männer und Weiber. Und nach dem Schlachten hebt sogleich ein allgemeiner Fleischhandel an. Danach kochen die Bussopobe auch gleich ab, speisen und trinken dazu viel Bier. Dagegen tanzen die Vampyre der Bassariten nicht. Alles Fleisch wird sogleich verzehrt. Es wird nichts aufgehoben, denn man könnte die Speisereste der Orgie finden und das könnte zur Entdeckung der Unholde führen.

Anderseits aber scheint es fast so, als ob entweder die Seelenaussaugung nicht immer so schnell vor sich ginge oder die Seelentiere nicht immer sogleich geschlachtet würden - als ob vielmehr noch eine Leidens- und Wartezeit gelassen würde. Das geht aus der Möglichkeit hervor, daß die Uboa in der Zwischenzeit eingreifen und den armen Teufel noch retten können. Ist dagegen das Seelentier sogleich geschlachtet und verspeist, so erwacht der seines Innenlebens beraubte junge Mann am andern Tage krank und schwach und stirbt meistenteils sehr schnell.

Usopu ist man von Geburt, von Kindheit an. Man ist genau so, wie es Umbote, wie es Gott gab. Also gibt es hier anscheinend einen Kauf solcher Eigenschaften nicht. Der Uboa erkennt derart veranlagte Menschen und warnt sie auch. Weiterhin treffen wir hier wieder die Anschauung, daß jeder Usopu nur Mitglieder der eigenen Familie fangen kann, also ein Besitzrecht nur über die, die ihm "zugehören", ausüben kann. Also aneignen kann nur der Verwandte sich eine Seele, während sich am Schlachten auch andere, nicht mit der betreffenden "Seele" verwandte Vampyre beteiligen können. Auch hier wieder bilden alle Vampyre eine Genossenschaft, in der jedes Mitglied die Pflicht hat, aus dem eigenen Verwandtenkreise in entsprechenden Zwischenräumen eine Seele zu liefern, so daß also die Ausnutzung der einzelnen Familienbestände eine gut ausgeglichene, abgemessene, wohigeregelte im Sinne der sauberen Genossenschaft ist.

Der einzige durchgreifende Schutz gegen die Vampyrgeister liegt in dem Schamanentum der Uboa. Einen Zug der Anwendung lernten wir schon oben gelegentlich der Schilderung des Feuertanzes kennen. Aber ausgesprochenermaßen kann der Uboa nur dann helfen, wenn die herausgezogene und zum Tier verwandelte Seele noch nicht getötet ist. Sobald das Tier getötet ist, kann auch der begabteste Uboa mit allen seinen Kräften nicht mehr nützen. — Der Uboa übernimmt nicht immer aus eigenem Antriebe die Anklage oder den Tanz um das heilige Feuer, wie es oben beschrieben



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wurde. Oft muß erst ein Verwandter des unter dem Angriff des Vampyrs leidenden Mannes zum Uboa gehen und ihn fragen, was es mit dem schlechten Befinden des Kranken für eine Bewandtnis habe. Daraufhin stellt der Uboa die Beziehung zu den Dubaure her und danach kann er die Diagnose auf "Vampyrfraß" stellen, und zu entscheiden wäre dann noch, ob es zu spät oder noch Zeit zur Hilfsaktion ist. Jedenfalls muß nach solcher Feststellung gegen das gemeingefährliche Individuum und sein Unwesen vorgegangen werden.

Fernerhin ist es recht interessant, daß der Uboa, auch wenn er den "fast schon verlorenen" Mann retten will und kann, auf keinen Fall den Namen des Übeltäters nennen darf. Er muß sich darauf beschränken, die Tatsachen im allgemeinen festzustellen und kann dann eventuell noch hinzufügen: "Ich weiß, wer der Usopu ist. Ich kenne den Usopu." Er selbst nennt den Namen nicht. Will die Familie des Kranken den nach Bassaritenansicht sehr wohl auch für die andern Familienmitglieder gefährlichen Usopu fassen, um weitere Verluste zu verhindern (man bedenke, daß jeder Usopu den Genossen von Zeit zu Zeit aus seiner Verwandtschaft ein Opfer liefern muß), so wendet sie sich an den Uboa eines Nachbarortes und bittet ihn, er möchte zur Feststellung herüberkommen. Der kommt dann solchem Wunsche meistens nach und tritt den Weg mit den beiden zeremoniellen Eisenschellen und mit seinem Uboastabe an.

Die Feststellung erfolgt nach prophetischem Tanze, der den Usopu in einen exaltierten Zustand versetzt. Anscheinend spielt auch in diesem Falle ein Feuer eine Rolle, doch kann das auch auf Mißverständnis beruhen. Den Racheakt, die Vernichtung der Vampyrmenschen, übernimmt nicht der Vater des Angegriffenen, noch gerade Geretteten oder schon verfallenen Opfers, sondern die Familie seiner Mutter. Der erkannte Usopu wird ergriffen, abgefangen und am Wege hingeschlachtet. Die Rächer lassen den Leichnam liegen. Die Sippe des Toten mag kommen und ihn zum Begräbnis fortschaffen. Seine Leute bestatten ihn dann und feiern das übliche Totenfest. Der Uboa, der zur Feststellung aus dem Nachbardorfe herübergekommen ist, erhält ein Geschenk von 1000 Kauri.


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