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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

a) Stellung der Bassari unter den Djaba-Gurmavölkern

Kein einziges Volk in der deutschen Kolonie Togo ward mir so vertraut wie die Bassariten, unter denen wir viele Wochen verlebten, von denen uns gut beschlagene Stammestypen fast beständig begleiteten, so daß ich stets in der Lage war, wenn bei andern Stämmen etwas Neuartiges auffiel, aus dem Bereiche der Bassaritengesinnung Parallelen zu gewinnen. Zumal der Aufenthalt auf dem Sinnhof brachte uns den Leuten recht nahe, und ich stieß gerade in der dort verlebten Zeit oftmals auf die wunderlichsten und meist wohl streng geheimgehaltenen Sitten und Anschauungen. Es wird nämlich gleich nachher, wenn der Charakter dieses Volkes zu betrachten ist, von seiner Neigung zu Mißtrauen und Verheimlichung zu sprechen sein.

Es ist nicht schwer geworden, diesem Volke seinen Platz in der Runde der Sudanvölker anzuweisen. Die Bassariten gehörten ihrer sprachlichen wie auch jeder andern Beziehung nach zu den Gurmavölkern, zu der großen Gurmagruppe, deren Verbreitungslinie durch Yagha -Matikuali -(Fada) -Moha -Konkomba -Bassari-Kebu (?) bezeichnet ist. Im speziellen sind es die nächsten Brüder der Konkomba, die ihrerseits von den Moba nur durch die Mande-Tschokossieinwanderung wie durch einen hineingetriebenen Keil abgesprengt wurden. — Zu dieser Bassari -Konkombagruppe gehören im übrigen die Kumanguleute, die Natjakoleute und die Djeleute als nördliche, die Tschamba als östliche Splitter.

Ehe wir auf die Unterschiedlichkeit, die zwischen diesen kleinen Völkchen und größeren Stämmen besteht, eingehen, werden wir recht tun, die Übereinstimmungen zu betonen, die uns die Leute als Einheit erscheinen lassen und uns eine interessante Perspektive in bezug auf die historische Vergangenheit eröffnen. Und hier können wir etwas einheimsen, was uns bei dem großen Wechsel der Namen und Sprachen im Sudan selten begegnet, eine gewisse Einheit der Sprachbildungen, die wir als Bezeichnung voransetzen können. Ich nannte diese Völker bislang Gurmastämme. Es gibt noch ein besseres Wort.

Wir haben in den Geschichtsüberlieferungen des Sudan (Atlantis Bd. V) die Entstehungssage der Binumba, der Bingoleute im Norden Fada-Gurmas. Danach ist "Djaba" der erste Mensch. Als Zusammengehörige, Freunde, Stammesglieder bezeichnen sich die Bassariten und ihre Nachbarn als Bene Tschambe oder Tschamba; die Kumangu nennen sich Bem Fajaba, die Natjako Nata Tjeba, die Dje Bidjab. Eine Umbildung haben wir in Pogpa oder Pokpabe, für die Ssolaleute und Pokipam für die Konkomba. Bei den



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mit Mossiart vermischten Moba finden wir Dschaba oder Djaba, für den zeremoniellen Festtanzhelm, Dschabba für Orakel usw. Aber auch im Namen Moabijab ist das Wort erhalten. Den südlichsten Namen fand ich in dem der Kebuleute Ebuetewe. — Eine Wurzelerklärung finden wir aber, wenn wir das Wort für Männer durchgehen:

Fada Gurina bidjaba, Moba =ndjab,
Konkomba =bedjab,
Natjako =bitjaba,
Kumangu bidjab,

einer Reihe, der sich sehr bequem die eigentlichen Mossidialekte anschließen hier heißt Männer:

Mossi Tenkodugu =dápa,
Kussari =däpa,
Mossi-Wagadugu =dópa,
Dagomba =duo usw.

Wir können also Mossi- und Gurmastämme zusammenfassen als Djaba-Djabastämme, deren einer Teil - die Mossigruppe, das Substantivum -, nur durch Suffixe, deren anderer aber durch Präfixe und Suffixe behandelt wird. Zu der letzteren Gurmagruppe zählt unbedingt die Bassarisprache, wie sich nachfolgend aus vielen Beispielen erklären lassen wird. Indem wir die zusammenfassende Bezeichnung Djabavölker wählen, eröffnen wir folgende Perspektive:

In Krause "Die fulische Sprache"findet sich 5. 13 ein sehr wichtiger Hinweis auf die Überreste der von den Tuarek verjagten Ureinwohner. Diese Einwohner sollen Dschabbaren oder Kel Jeru geheißen haben. Aber Dschabbaren soll noch heute im Tamaschek = Riesen heißen. (Viele Völker bezeichnen die vorhergehenden Menschen als Riesen.) —Nicht nur, daß ich in dem Worte Dschabbaren unser Djaba wiederfinde -nein, wir wissen, daß die Mumien dieser Ureinwohner in Rindenhäute gewickelt heute noch im Wüstensande gefunden werden. — Dazu der Bericht über die Bestattung des ersten Obato (Fürst in Bingo, entspricht dem Umbotte-Fürst in Bassari) Djaba: (Geschichtsüberlieferung Atlantis Bd. V). Der erste Mensch war in Fada Gurina, und zwar am Niger in Rindenhaut gehüllt in eine Höhle gebracht.

Aber auch nach einer andern Richtung gibt der Name Djaba einen Anhaltepunkt und Ausblicke. Djaba ist Plural; das Pluralsuffix ist ba, der Singular also dia. Dia ist in dieser Gegend nur bekannt als erster Jäger aus dem Bussalande (Geschichtsüberlieferungen Atlantis Bd. V), aber welch enorme Bedeutung das Dia, das Ort und Name für die alten Songhaireiche und Mandereiche



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hatte, jene Länder, in denen der König in Dia gekrönt wurde und in denen eine ganze Dynastie von 32 Herrschern sich mit dem Ruhmesnamen Dia benannte. Sollten wir in den Königen der Diabastämme, deren letzte reine Dynastie heute in Fada Gurina Hof hält, Verwandte der alten Za oder Dia vor uns sehen, die von 800 bis 1330 in Kukia und Gaö herrschten?

Doch kehren wir zurück zu jenem Splitter, dessen ethnographischer Analyse dieses Kapitel gewidmet ist, zu den Bassariten. — Die einzelnen Gurmastämme haben außer andern Eigenarten auch in wirtschaftlicher Hinsicht Sonderentwicklungen durchgemacht. So sind die Tamberma und andere fast reine Ackerbauer, die Konkomba halbnomadische Farm- und Viehbauern, die Bassari aber sind zu Industriellen geworden. Die Banjelli sind die großen Eisenhütter, die Bassariten selbst die großen Schmiede, die Tschamba aber die Kalebassenschnitzer Nordtogos. Dadurch und durch Beeinflussung seitens der Nachbarn haben sie vor allem verschiedene Charaktere angenommen. Die Bassariten haben doch heute sogar einen Kotokollihäuptling. Dazu kommt noch, daß eine verschiedene Mischung mit alteingesessenen Stämmen vor sich ging. In Ländern wie dem eisenreichen Bassarigebiet ist die Industrie bodenständig, auch wenn die Völkerwellen darüber hin-Wogen. Und an den bodenständigen Industrien haften stets ältere Bevölkerungsteile.

Übrigens wissen die Bassariten etwas von ihrer Vergangenheit, wenn es auch wenig ist. Sie sagen: sie seien nicht immer am Bassariberge ansässig gewesen. Sie kamen von weither, zuletzt durch große, große Wälder, die im Nordwesten Bassaris liegen und vorher aus einem fernen Heimatlande (wohl auch im NW oder im N), in dem war keinerlei fließendes Wasser; man schöpfte Wasser aus Brunnen. Dies, ihr Heimatland, nennen sie Beden-zaw. Heute nennen sie sich Bassar nach dem großen Berg, an dessen Fuß ihre Dörfer liegen. Sie sprechen übrigens (nach eigener Angabe) mit einigen Stämmen den gleichen Dialekt, so mit den Bitschamba (vgl. Utohambaritja, bei Sokodd), dann mit den Banjerre (vgl. Bandjerritja) und andern nach Osten zu ansässigen Stämmchen. Sie nennen sich selbst Bassar (vgl. Bassaritja). Als Beteiligte an der Sprachgemeinsamkeit reden sie von Tessau-nubande (vgl. Bokouo tessari-nu-bande). Das sind die, die den gleichen Dialekt sprechen, während Bene-Schambe Freunde heißt und man darunter im weiteren Sinne Gleichsprachige versteht.

Die politische Organisation der Bassari ist ungemein schwach, immerhin ist eine solche vorhanden. Es ist also nicht jener Zustand wie bei Kipirsi und Lobi, wo Gehöft gegen Gehöft steht, Familie gegen Familie, oder wie bei Transkarajern, bei denen sich



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aus solchem Zerfall zuletzt eine republikanische Ordnung ohne Staatsvertreter herausbildet. Die Bassari haben vielmehr Häuptlinge, und zwar wird ein solcher Obote (Plural Ubotiwe) genannt. Es ist das gleiche Wort wie Obato =König in Fada Gurina; also haben wir es mit einer sehr alten Einrichtung der Gurmavölker zu tun. — Der vorige Häuptling von Bassari stammte aus Tokotequande. Es war ein reiner Bassarit. Der jetzige dagegen, der Uro (=Häuptling, ein Timwort) Tagba ist mütterlicherseits ein Tim. Früher setzte man die Obotes nach Wahl der Alten ein — aber auch ab, wenn der Herr nicht mehr konvenierte. Die Obotewürde war nie erblich, und die Charaktereigenschaften der Bassariten sind so, daß eine Erblichkeit kaum aufkommen oder sich erhalten konnte.

Die Charaktereigenschaften der Bassariten - ein etwas trauriger Absatz. Selten, daß ich eine solche Sammlung schlechter Typen zusammen sah wie hier. Keine Spur von Treue! Egoisten schlimmster Sorte; diebisch und großmäulig, klatschsüchtig, lügnerisch, feige -ach, die Liste läßt sich noch bedeutend verlängern! Als ich im Sinnhof wohnte, verging nicht ein Tag, der nicht mehrere schöne Eigenschaften zutage gefördert hätte. Ich bemühte mich studienhalber, die Leute dazu zu bewegen, das kleine Nest, in dem ich wohnte, in Ordnung zu bringen. Ich werde im Reisebericht erzählen, daß ich das studienhalber tat, und wie die Leute mir das mit ihrem, jedem Gemeinsinn zum Trotz wirkenden Egoismus erschwerten. Ich vertiefte mich in ihre Dorfgeschichten, um auch diese Seite des Negercharakters einmal wieder zu studieren, und ich fand Haus für Haus, Gehöft für Gehöft einen inneren Schmutz, dem gegenüber der Schmutz und Zerfall, der dem äußeren Auge schon unangenehm auffiel, einem noch als himmlische Ordnungsliebe und Reinheit vorkam. Es ist nicht nötig, daß ich das alles an dieser Stelle noch einmal wiederhole.

Der äußeren Erscheinung nach bieten die Bassariten nichts Auffallendes. Es gibt sehr helle Familien. Aber die Mehrzahl des Volkes ist dunkel. Der Profilbau des Schädels schien nur bei den Banjelliweibern gewissermaßen charakteristisch und ließ ich deswegen Herrn Nansen einige Porträtaufnahmen herstellen. — Vertiefen wir uns nun in den Lebenslauf dieser Leute.


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